Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte

Herausgegeben von Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner

Vom NWDR zum WDR

Gespräche zur Programmgeschichte

Heft 3

Peter von Rüden / Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.): Vom NWDR zum WDR. Gespräche zur Programmgeschichte. : Verlag Hans-Bredow-Institut Erscheinungsdatum: März 2005 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte; 3) ISSN 1612-5304

Impressum Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland Universität Hamburg Institut für Neuere deutsche Literatur und Medienkultur / FB 07 Von-Melle-Park 6 20146 Hamburg Telefon: (+49 40) 428 38 – 45 01 Fax: (+49 40) 428 38 – 35 53

Redaktion: Gyde Clausen (V.i.S.d.P.), Janina Fuge, Mark Lührs, Peter von Rüden, Anja Schäfers, Hans-Ulrich Wagner Layout: Christiane Matzen, Mark Lührs E-Mail: [email protected] / Homepage: www.nwdr-geschichte.de

Photos: NDR (S. 67, 88), Konrad-Adenauer-Stiftung (S. 45), alle übrigen: WDR.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 5

Zur Person: Claus-Hinrich Casdorff ...... 6 „Man muss die Gäste mit Situationen überraschen, mit denen sie nicht rechnen.“ Claus-Hinrich Casdorff über die Kunst des journalistischen Fragens und die Notwendigkeit langer Sendestrecken im Gespräch mit Peter von Rüden ...... 7

Zur Person: Chris Howland ...... 23 „Der Schallplattenjockey muss ein Pferd haben.“ Chris Howland über den langsamen Siegeszug der Schlagermusik in Hörfunk und Fernsehen und seinen steinigen Weg zum Erfolg im Gespräch mit Peter von Rüden ...... 24

Zur Person: Heinz Werner Hübner...... 38 „Man muss in einem Programm darauf achten, dass es nicht nur eine Meinung gibt.“ Heinz Werner Hübner über die Notwendigkeit fundierter Geschichtskenntnis und die Gefahr der Nachrichtenverwässerung im Gespräch mit Peter von Rüden ...... 39

Zur Person: Hilde Stallmach-Schwarzkopf...... 56 „Es war ein faszinierendes Experiment.“ Hilde Stallmach-Schwarzkopf über Kohlenklau und die Schwierigkeit, als Frau im Hörfunk aufzusteigen, im Gespräch mit Peter von Rüden ...... 57

Zur Person: Dieter Thoma...... 69 „Das Wichtige sollte so interessant gemacht werden, dass es von allen gerne konsumiert wird.“ Dieter Thoma über Aktualität der Nachrichten und die Kombination von Information und Unterhaltung im Gespräch mit Peter von Rüden ...... 70

Vorwort

Länder- und parteipolitische Motive bescherten dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) 1955/56 die Trennung und den Mitarbeitern einen neuen Arbeitsgeber. Dieser Wandel von einer zentralistischen Rundfunkeinrichtung der nordwestdeutschen Länder zu den beiden Anstalten des Norddeutschen und Westdeutschen Rundfunks (NDR und WDR) veränderte das bundesdeutsche Rundfunksystem maßgeblich – nicht nur institutionell. Für die Hörer blieb nur auf den ersten Blick vieles, wie es war, denn spurlos konnte und sollte der organisatorische Einschnitt am Programm nicht vorbeigehen.

Vorwiegend diesem programmgeschichtlichen Aspekt widmet sich die dritte Ausgabe der Nord- westdeutschen Hefte zur Rundfunkgeschichte. Peter von Rüden führte mit ehemaligen Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern des Kölner Senders Gespräche, welche die verschlungenen Pfade, die „vom NWDR zum WDR“ führten, nachzeichnen und einen persönlichen Einblick in die frühe Rund- funkgeschichte ermöglichen.

Faktenreich, unterhaltsam und kritisch schildern fünf Rundfunkmitarbeiter der ersten Stunden ihre Programmarbeit. So beschreibt Claus-Hinrich Casdorff die Kunst, mit den richtigen Fragen auch hinter die Floskeln der Politiker zu kommen. Chris Howland berichtet von den ersten Schlagern im NWDR-Hörfunk und von den Musiksendungen im Fernsehen. Heinz Werner Hübner spricht über Aufgaben und Herausforderungen eines Programmmachers und -direktors. Den Weg von der NWDR-Rundfunkschule bis zu den ersten Zielgruppensendungen zeichnet Hilde Stallmach- Schwarzkopf nach und Dieter Thoma erzählt über die Verträglichkeit von seriösem Nachrichten- journalismus und Kabarett sowie über die Anfänge der Auslandsberichterstattung. Alle Interview- partner entwerfen das Kaleidoskop der Hoffnungen, Erwartungen und Ängste einer Generation, die den Rundfunk als Instrument freier Meinungsäußerung in der jungen deutschen Demokratie festig- ten, und sie bewerten das, was ihrer Meinung nach davon geblieben ist.

Ein ganz besonderer Dank gilt dabei allen Interviewten für ihre Gesprächsbereitschaft und Koope- ration. Für die sorgfältige Bearbeitung der Interviews und die behutsame sprachliche Glättung sei Gyde Clausen gedankt. Der Abdruck der Photos erfolgt mit freundlicher Genehmigung des West- deutschen Rundfunks, des Norddeutschen Rundfunks sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Die Herausgeber, März 2005

NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR 5 Zur Person: Claus-Hinrich Casdorff

geboren am 6. März 1925 in Hamburg zunächst Schulbesuch in Hamburg, ab 1938 in zwei Internaten 1942 wegen angeblicher staatsfeindlicher Äußerungen verhaftet und inhaf- tiert; danach Reichsarbeitsdienst, dann Kriegsdienst in Russland 1944 verwundet gerät er in sowjetische Kriegsgefangenschaft 1945 Rückkehr nach Hamburg 1946 Abitur in Hamburg ab 1947 Volontariat, dann Redakteur in der Nachrichtenabteilung des NWDR 1956 nach der Auflösung des NWDR für den WDR aktiv, zuerst als Chef vom Dienst in der Nachrichtenabteilung Hörfunk ab 1961 auch für das Fernsehen tätig (Mitarbeit bei „Hier und Heute“) leitet von 1963 bis 1965 das politische Fernsehmagazin „Report“ ab 1965 bis 1982 Leiter der Abteilung Monitor und Dokumentation und des politischen Magazins „Monitor“ von 1977 bis 1982 Leiter der Programmgruppe Innenpolitik, stellvertreten- der Chefredakteur Fernsehen und Koordinator der Programm- und Redakti- onsgruppen Ausland, Innenpolitik, Gesellschafts- und Kulturpolitik 1979 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse für journalistische Verdienste ab 1982 Regionalisierungsbeauftragter und Chefredakteur der Fernseh- Landesprogramme 1990 pensioniert moderiert bis 1993 die Fernseh-Sendung „Ich stelle mich“ und arbeitet als Unternehmensberater im Bereich Fernsehen Claus-Hinrich Casdorff verstirbt am 6. Februar 2004

6 NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR „Man muss die Gäste mit Situationen überraschen, mit denen sie nicht rechnen.“

Claus-Hinrich Casdorff über die Kunst des journalistischen Fragens und die Notwendigkeit langer Sendestrecken im Gespräch mit Peter von Rüden

Herr Casdorff war das, was man gemeinhin einen wo wir blieben. Damit war programmprägenden Mitarbeiter nennt. Er arbeite- die liberale Zeit vorbei, die te bereits 1947 als Journalist beim Nordwestdeut- aber bis heute noch nach- schen Rundfunk in Hamburg für das Radio. Im wirkt. Zuge der Trennung des NWDR in NDR und WDR Würden Sie Ihr Elternhaus ging er nach Köln. Alle Stationen ließen sich hier wirtschaftsliberal bezeich- nicht aufzählen. Wir müssen uns mit einer Auswahl nen, wenn es um die politi- begnügen. Ab 1961 arbeiteten Sie für das WDR- sche Einstufung geht? Fernsehen und Sie sind bekannt aus den Fernseh- Ja, das würde ich sagen. magazinen „Report“ und „Monitor“. Sie waren Wirtschaftsliberal ist der Leiter der Programmgruppe Innenpolitik, stellver- richtige Ausdruck. Diese tretender Chefredakteur und Chefredakteur der Einstellung hat sich auch in Landesprogramme. Geboren wurden Sie, Herr meinem Leben fortgesetzt. Casdorff, im August 1925 in Hamburg und waren Ich hatte einen sehr natio- also am Ende des Zweiten Weltkriegs 19 Jahre nal denkenden Großvater, jung. In welcher Familie sind Sie aufgewachsen? der aber seinen Widerstand Ich bin in einer sehr bürgerlichen Familie in Ham- gegen das NS-Regime burg aufgewachsen, wie sich das gehört. Da meine dadurch bekundete, dass er Eltern sich scheiden ließen, war ich dann lange auch im Kriege noch im- Jahre im Internat. Diese fünf, sechs Jahre im Inter- mer die schwarz-weiß-rote nat haben mein Leben geprägt, weil es ein sehr Fahne hisste und nicht die liberales Internat war. Die Erfahrung, die ich dort Hakenkreuzfahne. Das machte, haben mich für mein Leben begleitet. Dass nahm man ihm auch nicht es in unserer Familie nicht immer so furchtbar weiter übel. Er war sehr alt leicht war, können Sie sich vorstellen. Als ich dann und die Leute sagten: wiederkam aus der – damals hieß sie noch sowjeti- „Lass den alten Daddel sche – Gefangenschaft, sagte mein Onkel: „Lern’ doch machen, was er will.“ mal einen anständigen Beruf, werde Installateur oder Klempnermeister oder Elektriker, denn Staatspolitische Umtriebe während des Deutschland ist am Ende und dann hast du wenigs- Nationalsozialismus tens einen handwerklichen Beruf. Hier in unserer Firma haben wir nichts mehr zu sagen.“ Das war 1942 wurde Claus-Hinrich Casdorff wegen staats- natürlich sehr ermunternd für mich, dass ich also politischer Umtriebe verhaftet. Was war der An- Elektriker werden sollte. Das habe ich dann – aber lass? ich will nicht gleich alles erzählen – Gott sei Dank Nachdem wir von der SS-Heimschule verjagt wur- im Laufe der Zeit verhindern können. den, war ich noch ein halbes Jahr in Ballenstedt im Sie wurden nicht Elektriker sondern Journalist. Harz. Dann kam ich nach Hamburg und lernte Doch bleiben wir zunächst noch mal bei Ihrer andere Gruppen von Jugendlichen kennen. Es gab Schulzeit, beim Internat. Sind Sie da nicht politisch die Swing-Jugend, die Pfennig-Bande, Bismarck- im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie Bande und viele mehr. Und wir haben etwas getan, indoktriniert worden? was man – ich war damals ja sechzehn Jahre alt – Doch, ich hatte einen sehr hohen Dienstgrad. Ich heute kaum mehr versteht. Wir haben Nachrichten war Oberhordenführer beim Jungvolk, hatte also von der BBC abgehört, aufgeschrieben, vervielfäl- drei Untergebene. Da es sich aber um ein sehr libe- tigt und in Telefonzellen gehängt. Das waren die rales Internat handelte, sind wir weitgehend ver- staatsfeindlichen Umtriebe. Die staatsfeindlichen schont worden. 1942 wurde allerdings das Internat Äußerungen, also der andere Anklagepunkt, be- geschlossen. Es wurde zu einer SS-Heimschule. standen darin, dass ich sagte, SS-Leute seien Ge- Wir flogen alle von der Schule und mussten sehen, nickschussakrobaten. Die Betroffenen hörten das

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nicht so furchtbar gern. So wurde ich dann in der wieder die Schwierigkeit auftrat, dass ich erst sieb- zweiten Stunde – es war Latein – im Unterricht des zehn war und man damals erst mit achtzehn Jahren Wilhelm-Gymnasiums in Hamburg von zwei Le- Soldat werden konnte. Schließlich ging das doch dermänteln aufgespürt und mitgenommen. Ich alles und ich kam nach Russland. Angenehm war es wusste gar nicht, was mir passieren konnte. Ich nicht, aber im Internat war ich sportlich gedrillt wurde verhört und musste meinen Hosenträger und worden und kaputt machen konnte man den Cas- Gürtel abbinden, damit ich mich nicht selbst um- dorff nicht gleich – auch nicht, wenn man ihn brachte. Allerdings hatte ich weder Hosenträger zwanzig Mal um die Essbaracke schickte oder noch Gürtel. In den ersten Wochen meines Aufent- indem man sagte, er müsse jetzt die Schuhe des halts im damaligen Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel Oberscharführers oder Feldmeisters beim Arbeits- wurde ich dann siebzehn Jahre alt. Ich war also dienst putzen. Also, diese moralischen Strafen, die eigentlich noch ein Kind. Aber diese ganze Gruppe sie sich ausdachten, haben mir eigentlich wenig der „Widerstandskämpfer“ bestand ja aus Jugendli- ausgemacht. chen. Einer der Ältesten wurde damals noch hinge- Bewährungseinsatz an der Ostfront. Bedeutete richtet. Wir waren aber sicher nicht in der Lage, das diese Formulierung, dass die Einsätze besonders NS-Regime nachhaltig zu bekämpfen. Bemüht gefährlich waren? haben wir uns, doch darf man das nicht überschät- Ja, das war ja die Aufgabe der Bewährungsbataillo- zen. Im Nachhinein höre ich immer wieder, was das ne. Wir hatten die Aufgabe, anrollende T 34, also für eine Heldentat war. Ein Held war ich eigentlich sowjetische Panzer, zum Stillstand zu bringen. Wir nie, aber ich hatte meine Meinung. bekamen hohe Haftladungen, die so groß wie Mi- Und doch bezeichneten Sie die SS als Genick- nen waren, und versuchten dann uns in Löcher zu schussakrobaten. Wo hatten Sie das her? Wo ka- rollen, damit der Panzer uns nicht traf. Sehen durf- men die Informationen her? ten die Fahrer uns auch nicht, sonst wären wir so- Ja, die kamen eben durch diese Gruppen, mit denen fort tot gewesen. Wenn der Panzer dann über uns wir zusammen gearbeitet haben oder die für sich hinweg gefahren war, mussten wir die Haftladung gearbeitet haben. Damals stürzte ja General Werner oben auf dem Panzer befestigen, zünden und sehen, Mölders mit dem Flugzeug ab und da kam das dass wir wegkamen. Mir ist das durch meine unge- Gerücht auf – das wohl auch richtig war -, dass er heure geistige Beweglichkeit zweimal gelungen. So in seinem Flugzeug bedrängt worden ist, bis er erwischte ich zwei T 34, bekam zwei weiße Felder abstürzte. Das war also ein beliebter Spruch, der mit einem Panzer drauf und wurde zu einer norma- auch zu dem Ausdruck Genickschussakrobaten len Einheit entlassen. führte. Doch im Gefängnis ist ja nicht immer alles nur heiter. Wir mussten jeden Tag zum Verhör, Kriegsgefangenschaft wurden mit Handschellen mit einem russischen Fremdarbeiter zusammengebunden, um uns zu Unmittelbar vor Kriegsende wurden Sie aber doch zeigen, was wir für minderwertige Leute seien. Wir noch verwundet. wurden geprügelt und geduzt. Ich traf dort auch Ja, ich kam 1944, als der Mittelabschnitt in Russ- zwei Kommunisten, von denen der eine fragte: land zusammenbrach, in Gefangenschaft. Wir wur- „Was hast Du denn gemacht?“ Ich antwortete, dass den abgeholt von einem LKW, mussten die Uni- ich Mitglied einer Widerstandsgruppe gewesen sei. formen ausziehen und bekamen russische „Ja, ja“, sagte er und fügte sinngemäß hinzu, dass Uniformen mit Filzstiefeln. Und Prügel kriegten der Spruch Genickschussakrobaten mich meinen wir sowieso immer. Bei diesem Einsatz wurde ich Kopf kosten werde. Es war nun nicht so, dass ich dann schwer verletzt – noch heute kann man die das mit Gelächter entgegengenommen hätte. Im Narben bewundern – und kam in diesem Zustand in Gegenteil, ich hatte richtig Schiss, denn man wuss- Gefangenschaft. Damals kam ich zu einer Erkennt- te ja nicht, wie sich das entwickelte. nis, die ich auch in einem Buch niederschrieb: „Der Von einem bestimmten Zeitpunkt war Ihnen also größte Feind des Menschen ist der Mensch.“ Dieser klar, dass es wirklich um Ihren Kopf ging? Meinung bin ich auch heute noch. Wenn es zu einer Situation käme, in der nur einer von uns, also Sie Ja, das war ganz deutlich. Später bot mir der ver- oder ich, überleben könnte, würden wir uns nicht nehmende Offizier oder SS-Mann an, dass ich zwei mehr gegenseitig helfen. In einer solchen Situation Möglichkeiten hätte – entweder ins Jugend-KZ kämpft jeder gegen jeden. Das lernte ich damals, nach Mohringen oder nach Russland zur Frontbe- als wir in Stalingrad in Gefangenschaft saßen – im währung, um die Schande von meinem Vaterland Lager 188, ich weiß es noch wie heute. Dort hatten abzuwaschen. Wenn ich nach Mohringen komme, wir 200 Gefangene im Außendienst, von denen 130 dachte ich, brauche ich noch nicht einmal mehr Männer in neun Monaten starben. Die sind einfach mein Testament zu machen. Also ging ich lieber zu verreckt. Wir hatten ja nichts zu essen, wir hatten einer Bewährungseinheit nach Russland, wobei da

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nichts. In solchen Situationen lernt man so einiges professionellen Ausbildungsstätte für Radiojourna- über die Menschen. Von rumänischen Soldaten listen nach dem Krieg. Wie kam es dazu? Aus dem wurden wir bewacht und wenn die merkten, dass Krieg kommen Sie in das zerbombte Hamburg einer starb, der noch einen Ehering trug, den sie zurück. Installateur waren Sie nicht, das wissen nicht vom Finger herunterbekamen, dann schnitten wir, aber wie kamen Sie zu dieser Bewerbung für sie den Finger eben ab. Solche Erlebnisse härten ab die Rundfunkschule? und gehören sicher nicht zu meinen angenehmsten Ja, das ist eigentlich ein Wunder, nicht?! Das ganze Erinnerungen. Meine frühe Rückkehr Mitte 1945 Jahr 1946 habe ich gebraucht, um körperlich wieder ist darauf zurück zu führen, dass ich damals nur in Schwung zu kommen. Ich wurde wieder ganz noch 38 Kilogramm wog. Ein Gewicht, dass ich nie dick, weil ich 36 Kartoffeln und sechs Teller Erb- wieder erreicht habe. Als wir nach Hause fuhren, sensuppe auf ein Mal aß. Danach war ich wieder kamen die neuen Kriegsgefangenen der letzten einigermaßen gut in Schwung. Irgendwas musste Monate uns entgegen. Da habe ich wiederum etwas ich dann machen und sah eine Anzeige in der Zei- erfahren, was mich beeindruckt hat. Unsere russi- tung. Zusammen mit meinem sehr guten Freund schen Wachsoldaten machten in Warschau Station, Gerd Ruge habe ich mich dann beworben. wo der Güterwagen dann stehen blieb. Die Wagen Er wurde angenommen und Sie nicht. waren so eng, dass die Hälfte stehen musste, damit die andere Hälfte sitzen konnte. Bei diesem Auf- Ja, so war es. Nun haben Sie meine Pointe geklaut! enthalt begannen die Russen, die um unsere Wag- Es gingen 2.000 Bewerbungen ein, 20 wurden gons herumstanden, auf die Polen, die uns kassie- genommen. Und Gerd Ruge, den ich an diesem Tag ren wollten, zu schießen. Es ist also auch ein hasste – das gab sich aber schnell wieder – wurde Verdienst der russischen Soldaten, dass ich lebend angenommen und ich nicht. aus der Gefangenschaft zurückkehrte, weil sie ihre „Kriegsbeute“, wenn man uns Gefangene so nen- Anfänge beim NWDR nen will, gegen die Polen verteidigt haben. Diese Ihre Bewerbung für die Rundfunkschule zeigt, dass Episoden gehören zu den Erinnerungen, die ich Sie den Wunsch hatten, Journalist zu werden. Oder sicher nicht vergesse. hatten Sie einfach den Wunsch, irgendetwas zu Wie haben Sie denn das Kriegsende erlebt? War machen? das für Sie überhaupt ein Einschnitt, denn Sie wa- Ich hatte eher den Wunsch, irgendetwas zu machen. ren ja in Gefangenschaft? Ich bin nicht einer von denen, die schon in der Wir arbeiteten damals zusammen mit Ukrainern in Wiege sagten, dass sie Journalist werden wollen. einem Sägewerk. Denen ging es fast genau so Ich komme aus einer Kaufmannsfamilie und für schlecht wie uns. Jedenfalls kam ein Mithäftling mich war klar, dass ich in diesen Laden einsteige. und sagte auf Ukrainisch, dass der Krieg zu Ende Das klappte allerdings nicht. Die Rundfunkschule sei. Ich kommentierte diese Nachricht: „Ja, ich war damals sehr reizvoll und so bewarb ich mich merke zwar nichts, aber ist wohl so.“ Am 8. Mai einfach, doch leider ohne Erfolg. Nach der Absage 1945 erfuhr ich dann, dass die deutsche Wehrmacht ging ich zum NWDR. Die leitenden Positionen kapituliert hatte. An unserem Zustand ließ sich hielten damals noch die Engländer, aber die Vertre- jedoch überhaupt keine Veränderung feststellen. ter waren Deutsche. Ich ging also zum Hamburger Hatten Sie Hoffnungen, Stimmungen, Gefühle, als Funkhaus und sagte, dass ich dort arbeiten wollte, Sie die Nachricht erfuhren, dass der Krieg zu Ende denn ich hatte Blut geleckt. Ein höherer Angestell- sei? Erinnern Sie das noch? ter namens Thielbeer sagte, dass nur noch eine Hoffnung hatte ich, ja. Ich hatte die Hoffnung, dass Botenstelle frei sei. „Ja, dann möchte ich gerne ich vielleicht doch noch aus dem Lager herauskä- Bote werden“, antwortete ich. Er war zunächst me. Das war die Hoffnung. Stimmungen hatte ich einmal überrascht und gab schließlich sein Okay. überhaupt nicht. Und Gefühle in Bezug auf meine So fing ich beim NWDR an, flog aber nach vier- Heimkehr nach Deutschland zurück und die damit zehn Tagen wieder raus, weil Thielbeer vergessen verbundenen Aufräumarbeiten hatte ich auch nicht. hatte, seinen englischen Vorgesetzten zu fragen, ob Ich hatte einfach nur den Wunsch, zu überleben er diesen komischen Casdorff einstellen dürfe. und aus dieser unsäglichen Situation heraus zu Thielbeer war aber weiterhin guten Mutes und kommen. Ich gehörte zu den Jungen und kehrte mit sorgte dafür, dass ich zu einer Anhörung einer so mehr Vertrauen nach Deutschland zurück als die genannten Kontrollkommission kam. Das war eine Älteren. Familienväter mit zwei, drei, vier Kindern Gruppe von Leuten verschiedener Nationalitäten in starben oft als erste, weil sie die Situation seelisch englischen Uniformen, die mich anhörte. So stand nicht verkrafteten. ich also brav in Hab-Acht-Stellung vor diesen 13 Leuten, die in meinen Spruchkammerbogen guck- 1946 bewarben Sie sich um einen der wenigen ten. HJ bis 1942 stand darauf und ich wurde ge- Plätze in der NWDR-Rundfunkschule, der ersten

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fragt, warum ich nur bis 1942 in der HJ war. Als Die Nachrichtenabteilung des NWDR ich antwortete, dass ich 1942 verhaftet wurde und Herr Casdorff, wie muss ich mir denn diese Nach- meine Laufbahn in einer NS-Organisation somit richtenabteilung beim NWDR-Hörfunk vorstellen? beendet war, bekam ich einen Stuhl angeboten, Was hatten Sie für Nachrichtenquellen, wie groß durfte mich hinsetzen und war wohlgelitten. Es gab war die Abteilung? ja damals wenig junge Leute, die auf so eine Lauf- bahn verweisen konnten. Die meisten waren Mit- Wir hatten ungefähr fünfzehn bis zwanzig Redak- läufer. Alexander Maass, der Leiter dieser Kom- teure inklusive Dienstleiter. Gute, große Namen mission, sagte dann, dass es eine gute Idee sei, dass waren dabei, aber eben auch unbekümmerte Jungs ich Journalist werden wollte. „Finde ich auch“, wie wir. Nachrichtenquellen hatten wir durch die sagte ich. Wo denn meine Begabung läge, wurde Engländer. Der Leiter unserer Nachrichtenabteilung ich dann gefragt, literarisch oder journalistisch. Ich war ein Mr. Fletcher, natürlich auch ein Engländer, hatte keine Ahnung, musste ja aber irgendetwas der eine große Freude hatte an seiner französischen sagen. Also attestierte ich mir eine große journalis- Freundin, aber auch daran, unsere Nachrichten zu tische Begabung. Am selben Tag im März 1947 zerpflücken. Durch die Engländer bekamen wir wurde ich als Volontär der Nachrichtenabteilung natürlich alles, was es in den Nachrichtenagenturen des Hörfunks in Hamburg eingestellt. Ich bekam wie Reuters und anderen internationalen Nachrich- 100 Reichsmark, womit ich vor der Währungsre- tenquellen gab. Wir waren gut ausgerüstet. form immerhin leben konnte. Am 1. April 1947 Und wie war denn das Verhältnis zu den britischen wurde ich dann fest angestellt. Damals wurden Kontrolloffizieren, also beispielsweise zu Fletcher? Volontäre sogar noch fest angestellt, im Gegensatz Ja, das war nicht so ganz einfach. Er war Redakteur zu heute. Ja und von da an ging es bergab, würde beim „Daily Telegraph“ gewesen. In Bezug auf ich mit Hildegard Knef sagen. alles, was deutsch war, war er mit großem Miss- Wie lange hat dieses Volontariat gedauert und was trauen ausgestattet – dass wir alle noch versteckte war das für eine Ausbildung? Jungnazis seien und so -, aber im Laufe der Zeit Das sollte an sich drei Jahre dauern und beinhaltete gab sich das und nachher haben wir richtig zusam- Arbeit im Hörfunk in den Bereichen Nachrichten mengearbeitet, bis der Übergang zu den deutschen und Politik. Es begann damit, dass ich lernte, Nach- Chefs kam. Hugh Carleton Greene ist für mich von richten zu schreiben. Das war furchtbar kompliziert allen Journalisten, die ich in diesen über fünfzig und ich machte eine Bauchlandung, dass es nur so Jahren kennen gelernt habe, einer der ganz Großen. krachte. Doch beim NWDR lernte man gute Leute Das war ein Journalist, wie er leibt und lebt. kennen, die gute Lehrmeister waren. Wir hatten die Haben Sie ihn denn konkret erlebt in der Nachrich- sieben Weisen, darunter Axel Eggebrecht, Peter tenredaktion? von Zahn, Wilhelm Heitmüller, Elef Sossidi, der Ja, wissen Sie, wenn ein Mann von zwei Metern damals unter dem Namen Andreas Günther die zwanzig den Raum betritt und Sie sind ein Meter Nürnberger Prozesse kommentierte, und noch drei zehn groß, dann sieht er sie kaum. Also, es war weitere. Aus irgendeinem Grund gab Peter von nicht so, dass er sagte: „Ich warte auf Sie, Herr Zahn sich Mühe mit mir. Casdorff.“ So war es nicht. Trotzdem kannten wir Also mit den Menschen, die Sie genannt haben, uns. Er mischte sich ja auch überall ein. Greene war haben Sie auch gearbeitet? Das waren diejenigen, ein ungeheurer Aktivist, was das Radio anging. Es die Ihnen zeigten, wie man Radio macht und die ging nicht um Fernsehen sondern um Radio, dabei Ihre Texte redigierten? hat er uns schon sehr geholfen. Er hat uns aber auch Ja, aber das war natürlich etwas Besonderes da- ganz schön unter Druck gesetzt. Das war eine herr- mals. Normalerweise gibt es das nicht, dass der liche Zeit. Es gab ein „Curfew“, also ein Aus- Dienstleiter oder der Redakteur sich so intensiv mit gangsverbot, aber für uns galt das nicht, weil wir einem normalen Volontär beschäftigt, aber diese nachts um 2.00 oder 3.00 Uhr anfingen. Dann tor- Menschen, die ich aufzählte, beschäftigten sich mit kelten wir alle in die Nachrichtenabteilung in der mir. Günter Hönicke war mein erster Dienstleiter. Rothenbaumchaussee. Ich hatte eine Kollegin, die Damals konnte ich ihn nicht leiden – im Gegensatz zu Hause keinen Strom hatte. Eines Tages hatte sie zu heute. Ich sollte eine Meldung über den Korea- ihre Reithose verkehrt herum angezogen und wir krieg schreiben. Ich schrieb 105 wunderbare Zeilen, hatten natürlich Zeit und Gelegenheit, über sie zu verfasste einen spannenden Text. Er guckte sich das lachen. Das war eine richtig schöne Stimmung – Manuskript an, sagte: „Schön!“, nahm einen Blei- abgesehen von dem Mangel an Zigaretten. Wenn stift und am Ende blieben noch fünf Zeilen übrig. einer rauchte und die Zigarette in den Aschenbe- Der Verlust war also schon ziemlich groß, aber wir cher legte, lag sie dort genau eine Sekunde, bis ein lernten sehr viel, auch weil wir ziemlich aufmüpfig anderer sie geklaut hatte. Dann hieß es immer: „Ich waren. dachte, die sei schon ausgedrückt.“ Es herrschte ein

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sehr kameradschaftliches Verhältnis. Horst Back- fort. Wenn Sie wollen, bin ich ein englisch ange- haus war auch dabei, der ging nachher nach Ostber- hauchter deutscher Journalist. lin. Mit ihm zusammen bin ich einmal rausgeflo- Gehörte dazu auch eine gewisse Kritik gegenüber gen, weil wir sagten, dass wir unsere 35 freien Tage der Obrigkeit? nie abfeiern könnten und deswegen einfach in den Ja, darauf wurde sehr geachtet. Fletcher hat uns Urlaub fuhren. Das war etwas ungewöhnlich. Wir immer wieder eingetrichtert, dass wir nicht das wurden wechselseitig entlassen, aber dann doch glauben sollen, was die Großen sagen. Er sagte, wieder eingestellt. dass man in der britischen Tradition des Journalis- Sie sind auch mal bei der BBC in London gewesen. mus den Mächtigen erst mal überhaupt nicht glaubt. War das Teil des Ausbildungsprogramms? Zunächst sollten wir lernen, die Tatsachen zu sehen Ja, das gehörte dazu. Da gab es ein Lager namens und aufzuschreiben, bevor wir zu kommentieren Wilton Park, wo wir deutschen Journalisten ausge- begannen. Nachricht und Kommentar durften auf bildet wurden. Als wir die BBC besuchten, staunte keinen Fall vermischt werden, wie es heute in deut- ich über die dortige Nachrichtenabteilung. Das war schen Zeitungen häufig passiert. Oft weiß ich heut- ein Traum. Ich hätte gar nicht gedacht, dass es so zutage nicht, ob ich eine Nachricht oder einen etwas geben könne. Wir sammelten dort einen Kommentar lese. Die Engländer legten großen Haufen Erfahrungen und dieses Lager hat meinen Wert darauf gegenüber allen kritisch zu sein, die Respekt vor dem britischen Journalismus erhöht – uns ans Leder wollten. vor dem anständigen Journalismus meine ich, denn Der Aufenthalt in London dauerte ein halbes Jahr. inzwischen gibt es ja auch einen anderen. Diese Wie war das Programm damals? Konnten Sie un- Zeit war sehr eindrucksvoll. Nicht eindrucksvoll terschiedliche Redaktionen in der BBC kennen war das Erlebnis, dass die Holländer unsere Pässe lernen? ungültig stempelten, als wir mit dem Zug durch Wir versammelten uns in einem riesigen Raum, in Holland zur Fähre nach England fuhren. So konn- dem durch Schilder verschiedene Länder angezeigt ten wir auf keinen Fall in Holland aussteigen. Wir wurden. Wir schrieben dann Nachrichten über waren noch Kriegsopfer, Kriegsverbrecher und Dinge, von denen wir keine Ahnung hatten. Wir sollten durch Holland fahren, ohne Schaden anzu- wanderten in der Nachrichtenabteilung herum, also richten. Das war in England anders. in den Großraumbüros. Solche gibt es ja jetzt auch Wie prägend war denn das Vorbild BBC für ihre hier. Und da saßen alle und guckten sich giftig an, Journalistengeneration beim Nordwestdeutschen wenn der eine rauchte und der andere nicht. Damals Rundfunk? rauchten alle noch, aber das ist wieder vorbei. Der Nordwestdeutsche Rundfunk war eine britische Herr Casdorff, damit wir diese Zeit auch richtig Einrichtung. Die Engländer hatten ihren britischen verstehen, sage ich, Sie waren auch Schwarzmarkt- Zonensender wie die Amerikaner RIAS. Die ganze händler. Womit haben Sie gehandelt? Generation von unter anderem Hanns-Joachim Die Einleitung Ihrer Frage ist sehr schön. Nach Friedrichs waren alles BBC-Leute. dieser Kränkung müsste ich eigentlich jede Antwort ablehnen, aber ich will Ihnen doch mal eine geben. Jawohl, ich muss zugeben, ich war auch Schwarz- markthändler, wie Sie so großspurig sagen. Das bestand darin, dass ich einen Zentner Zucker ge- kauft habe, den in lauter Ein-Pfund-Tüten abgefüllt habe und diese dann verkaufte. Das lohnte sich bloß nicht so richtig, weil wir immer Schwund hatten. Von einem Zentner Zucker blieben nach dem Umfüllen noch 98 Pfund Zucker übrig. Dann stiegen wir auf das Besohlen von Schuhen um. Wir gingen zu Autoverwertungsanlagen und schnitten aus alten Autoreifen das Innere heraus, also dieses Korkzeug. Das nagelten wir unter Schuhe. Die

Sohlen sahen wie großartige Kreppsohlen aus, nur Sir Laurence Olivier und Friedrichs bei Proben 1962 bogen sie sich immer in Form eines Autoreifens. Trotzdem war dieses Geschäft ganz erfolgreich. Es gibt eine ganze Menge, was wir damals von den Aber es war nicht so, dass ich mich zu den führen- Engländern gelernt haben in Bezug auf die Frage: den Schwarzmarkthändlern Hamburgs rechnen „Was ist Journalismus?“ – zum Beispiel die Tren- darf. So weit ist es leider nicht gekommen. nung von Kommentar und Nachricht, die Einsatz- bereitschaft, die Arbeitsweise und so weiter und so

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Sie haben auch nie Siegfried Lenz auf dem fern. Unser einziges Ziel bestand darin, eine Wie- Schwarzmarkt getroffen, denn der war auch derholdung der Geschehnisse bis 1945 zu verhin- Schwarzmarkthändler? dern. Insofern kann man von Sendungsbewusstsein Vielleicht habe ich ihn gesehen, aber nicht zur sprechen. Gegen die Älteren, die dann wieder in Kenntnis genommen. Oder er mich nicht. den Sender rutschten, nachdem sie aus der Gefangenschaft kamen, haben wir uns gewehrt. Das gab harte, präzise Auseinandersetzungen. Ich hüte Aufbruchstimmung im Hamburger mich bloß vor der Aussage, dass wir die ganze Welt Funkhaus des NWDR? verändern wollten. Wie gesagt, wir wollten ein Gab es eine ganz bestimmte Stimmung oder ein vernünftiges Programm machen, wir wollten dazu bestimmtes Klima im Nordwestdeutschen Rund- beitragen, dass sich das, was sich in Deutschland funk? War da irgendein besonderes Gefühl der abgespielt hatte, nie wiederholt. Zusammengehörigkeit? Saß man nach der Dienst- Nach meinem Eindruck gab es in dieser Frühphase zeit noch im Büro oder traf man sich privat? nach dem Krieg drei Gruppen: die Remigranten, Es gab natürlich private Beziehungen. Vor allen die jungen und unbelasteten Leute wie Sie und dann Dingen mit den Damen, die im Radio die Technik zunehmend wieder erfahrene Rundfunkleute, die erledigten und mit den Sekretärinnen. Die waren schon im Dritten Reich gearbeitet hatten. Gab es manchmal sehr hübsch und sehr nett und die be- zwischen diesen Gruppen Konflikte? suchten wir gerne. Aber es war nicht so, dass es Ja, das beste Beispiel ist Peter von Zahn. Peter von eine verschworene Gemeinschaft war. Diese Auf- Zahn war in der Propagandakompanie der deut- bruchstimmung, dass alle zusammen die Welt ver- schen Wehrmacht tätig und war somit vorbelastet. ändern wollten und sich so klug und gescheit fühl- Zahn traf nun auf die Remigranten, Alexander ten, die gab es in der oft zitierten Form eigentlich Maass, Elef Sossidi und andere. Doch die beiden nie. Aber ein Zusammengehörigkeitsgefühl gab es Seiten haben sich relativ schnell ausgeglichen, weil schon, selbst alte Spitznamen tauchten da wieder beide bereit waren, das schwierige Vorleben des auf. Ich heiße ja Claus-Hinrich und meine Schwes- jeweils anderen zu akzeptieren und ihm zuzugeste- ter machte vor tausend Jahren aus Hinrich Hinni. hen, dass er vielleicht nicht anders konnte. Als ich einst durch die Kantine vom NWDR ging, Der frühere Kommunist Axel Eggebrecht konnte passierte es, dass einer quer durchs Lokal „Hinni!“ also durchaus mit Peter von Zahn befreundet sein? brüllte. Das war ein Nachrichtensprecher und je- denfalls war damit dieser verfluchte Name Hinni Ja. Gerade Eggebrecht, der ist für mich auch einer wieder da. Den bin ich bis heute nicht wieder los- der ganz Großen, der in der Lage war, mit seinen geworden, aber ich habe mich daran gewöhnt. Die Sendungen über seinen eigenen Schatten zu sprin- Beziehungen zwischen den Nachrichtensprechern gen, und dabei auch bereit war, mit anderen zu- und den Redaktionen waren damals viel enger als sammen zu arbeiten. Eggebrecht hätte allen Grund heute. Das kann man so festhalten. Der Karl-Heinz gehabt, sich wegen der politischen Vergangenheit Köpcke war Nachrichtensprecher bei uns im Radio von Zahn fernzuhalten. Das hat er aber nie getan. und Arnold Paetz und Claus Wunderlich arbeiteten Auf Hugh Carleton Greene folgte Adolf Grimme als mit uns zusammen und meckerten an unseren Tex- erster deutscher Generaldirektor. Der war Kultus- ten herum. Und wir meckerten zurück. Wir haben minister in Niedersachsen und im Dritten Reich in uns gestritten und uns auch freundschaftlich unter- der Opposition. Hat man den Übergang von Hugh halten. Der Zusammenhalt zwischen diesen einzel- Carleton Greene auf Adolf Grimme gespürt? nen Gruppen, die zusammen ein Produkt anfertig- Ja, wir haben diesen Wechsel auch sehr bedauert. ten, der war viel größer als er meiner Meinung nach Wissen Sie, ich habe nur von meiner englischen heute ist. Heute sitzt der Sprecher in einem Studio Schule geredet und von der Anhänglichkeit. Adolf und weiß gar nicht, wer die Nachricht geschrieben Grimme war für mich so ein richtiger deutscher hat. Kulturpolitiker, so ein Fatzke, der aus Niedersach- Aber so ein journalistisches Sendungsbewusstsein sen kam, aus Hannover. Ich glaubte, ihn gar nicht gab es nicht? ernst nehmen zu können, weil er ganz andere Vor- Nein, ich kann nicht behaupten, dass es mein gan- stellungen von unserem Beruf hatte. Aber er war zes Leben beherrscht hat. ein anständiger Mensch. Das muss man ihm lassen. Er war bemüht, dieses schwierige Instrument, das Ich frage, weil in der Literatur über diese Zeit viel er in die Hand bekam, mit 1.000 Verfügungen zu von diesem Aufbruchs- und Sendungsbewusstsein ordnen und daraus etwas zu machen. Grimme war die Rede ist. Ich bin da misstrauisch. schon eine Persönlichkeit. Sie fragten mich, ob ich Ja, das bin ich auch. Wissen Sie, Sendungsbewusst- Hugh Carleton Greene kannte – Adolf Grimme sein ist ein großes Wort. Wir wollten anständige habe ich, glaube ich, einmal in meinem Leben Nachrichten, anständige Arbeit für das Radio ablie-

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gesehen. Dieses eine Mal hat er mich so giftig hat gewonnen.“ Das kann ich auch, dachte ich und angeguckt, dass ich ihm lieber aus dem Weg ge- sagte auch, dass St. Georg vorn sei. Aber die waren gangen bin. nicht mehr vorn, inzwischen war der HSV vorn Grimme mischte sich nicht in die konkrete Arbeit oder was weiß ich wer. Jedenfalls war die Sportbe- ein, weil er sie auch nicht richtig kannte? richterstattung wohl doch nicht meine Begabung und auch Jürgen Roland wurde von dieser Aufgabe Das wäre eine Behauptung, wenn ich das bejahte. sofort entbunden, denn das war nicht sein Bier. Aber ich hatte den Eindruck, dass er von unserer Jürgen Roland als Sportreporter wäre eher eine Arbeit, also von Politik, Nachrichten und vom Witzfigur geworden. Er hatte ganz andere Hörfunk, herzlich wenig verstand. Er kam aus der Fähigkeiten, die sich später entwickelt haben.1 Kultur. Da war er sicher sehr viel eher zuhause. Herr Casdorff, aus dem Jahre 1947 gibt es einen Redaktion „Echo des Tages“ Artikel aus dem „Hamburger Echo“, der sozialde- mokratischen Zeitung Hamburgs, der die Über- Haben Sie denn auch für das „Echo des Tages“ schrift trägt: „Essen Sie Ihren Hut, Mister Gree- gearbeitet? ne“. Das ist eine Generalabrechnung mit dem Ja, aber die Redaktion vom „Echo“ war fast wie Generaldirektor Hugh Carleton Greene. Aufgrund eine Enklave. Wir nannten es damals so. Die Re- von Indizien vermute ich, dass der Autor dieses daktion hing immer zusammen und es war unheim- Artikels Herbert Wehner war. Besonders hart wird lich schwer hineinzukommen. Man konnte zwar in diesem Artikel die kritische Berichterstattung des immer einige Arbeiten erledigen, aber in die Nordwestdeutschen Rundfunks in der Sendereihe Redaktion aufgenommen zu werden, war „Echo des Tages“, die es immer noch gibt, an dem wahnsinnig schwer. Hamburger Senat, der Hamburger Regierung und War das das publizistische Flaggschiff des Sen- der Verwaltung angegriffen. Sie waren in Ihrer ders? War es schwer, da Beiträge zu platzieren? NWDR-Zeit gelegentlich auch Reporter im Ham- burger Rathaus. Wie sind Sie dort als Mitarbeiter Ja, das war es. Aber ob es das Flaggschiff war? Ich vom NWDR empfangen worden? überlege und stelle mir die Frage selbst. Ja, aber es war nicht so, dass man sagte, es sei die herausra- Also, von überschäumender Freude möchte ich gendste Sendung. Das, was wir machten, also unse- nicht reden. Und dass Sie sagen, Herbert Wehner re Kommentare, von denen ich eine Menge schrieb, hat den Artikel zumindest konzipiert, kann ich sehr wobei ich mit meinem Nuscheln immer Schwierig- wohl glauben. Er gehörte zu denen, die der Auffas- keiten hatte, sie selbst zu sprechen, hielten wir sung waren, dass man die Oberen im Staat nicht dagegen und machten es interessant und wichtig. kritisieren dürfe. Wir kamen eben aus dieser engli- Das „Echo des Tages“ haben wir als Konkurrenz schen Schule und waren bereit, auch negative Sei- gesehen. Wir haben uns nicht vor denen versteckt. ten zu schildern. Wir sind nicht immer mit offenen Armen aufgenommen worden, ganz und gar nicht. Wie wurden denn die Kommentare vergeben? Wir waren Störenfriede. Konnte man sich selbst melden oder gab es ein System? Wurde da auch schon auf links und rechts Sie haben eine gewisse Distanz gespürt? geachtet? Ja, die hat man schon gespürt. Diese Distanz zieht Es ging noch nicht so sehr nach links und rechts, sich durch die ganze Landschaft bis heute. wie das heute der Fall ist. Auf irgendein Thema Für welche Sendereihen oder Sendungen haben Sie meldeten sich dann ein, zwei, drei der Reporter bei in ihrer Zeit beim Hamburger Funkhaus des NWDR den jeweiligen Nachrichten- oder Politikchefs, um gearbeitet? Sie haben anfangs Nachrichten ge- etwas daraus zu machen. Einen von denen musste macht. Haben Sie haben auch Reportertätigkeiten er dann nehmen, aber das hatte keine politischen ausgeübt? Hintergründe. Ja, das gehörte zu dem Auftrag bei der Hamburger Bürgerschaft dazu. Wir mussten eben nicht nur Nachrichten am Schreibtisch schreiben, sondern 1 Anmerkung: Das Erinnerungsvermögen von Claus- diese auch erst mal in Erfahrung bringen. Das lief Hinrich Casdorff ist im erwähnten Zusammenhang offen- auch ganz gut, allerdings mit einer Ausnahme: Es sichtlich fehlerhaft. In der Frühphase des NWDR gab es gab eine Zeit, in der ich Sportreporter werden woll- keine auf Sportreportagen spezialisierten Mitarbeiter. te. In der Rothenbaumchaussee war dann ein 4 x Jürgen Roland war Rundfunkreporter mit gelegentlichen 100 Meter-Lauf von Hamburger Vereinen. Beim Einsätzen als Sportberichterstatter. Jürgen Roland erin- Start stand Jürgen Roland, also damals noch Jürgen nert sich nicht daran, eine entsprechende Reportage über Schellack, neben mir und sprach in das Mikrofon: einen 4 x 100 Meter-Lauf von Hamburger Vereinen „St. Georg ist vorn, St. Georg ist vorn. St. Georg ist gemacht zu haben. Er sei auch nicht von seiner Tätigkeit immer noch vorn. St. Georg ist vorn. Oh, St. Georg entbunden worden.

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Die anfängliche Konkurrenz zwischen brauche, um die Vorgänge dieser Welt darzustellen. Mittelwelle und UKW Auch Nachrichtensendungen der Mittelwelle haben wir gar nicht zur Kenntnis genommen, wenn sie Herr Casdorff, ich würde jetzt gerne noch einmal kürzer waren als 15 Minuten. So lange mussten sie auf die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in eben 15 Minuten sein. Und in Sachen : Wir der britischen Besatzungszone eingehen. Es gab haben damals den SFB auch mit unseren Nachrich- zunächst bis 1950, als der Aufbau der UKW-Netze ten beliefert. Die haben kaum etwas gemacht, son- begann, nur ein Mittelwellenprogramm, das von dern viel übernommen. Sendungen wie „Blickpunkt Flensburg bis Köln und in Berlin zu empfangen Berlin“ stellten sie selbst her. Aber wir haben, das war – ein Mittelwellenprogramm für Schleswig- muss ich zu meiner Schande gestehen, UKW nicht Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein- richtig beachtetet. Das sollten lieber andere ma- Westfalen und Berlin. In einem Mittelwellenpro- chen. gramm musste eigentlich alles untergebracht wer- den. Die Zeitungen erschienen nur dreimal in der UKW war eine technische Notlösung, die man Woche und sie waren dünn. Welche Bedeutung eigentlich gar nicht wollte? hatte dieses eine Mittelwellen-Hörfunkprogramm? Ja. Wir wollten das nicht. Wir wussten gar nicht, Für uns eine sehr entscheidende Bedeutung. Als das was das sollte – wir waren doch die Macher! UKW-Programm aufkam, haben wir es ja gar nicht Haben Sie denn in Ihrer Hamburger Zeit die Ko- ernst genommen. „Was ist das denn für ein Quatsch operation zwischen den Funkhäusern Hamburg und da? Die machen doch nur so kleine Sendungen.“ Köln miterlebt? Wir waren eben die Mittelwellenleute. Ja. Wir hier in Hamburg hielten uns für die Chefs. In Köln in der Dagobertstraße gab es auch ein Funkhaus, aber mit den drei lustigen Gesellen vom Reichssender Köln von früher war das für uns nicht so richtig ernst zu nehmen, was dort passierte. Wir waren das Zentrum, die Zentrale. Weil wir die ganze britischen Zone einschließlich Berlin mit dem Mittelwellenprogramm belieferten, durften sie auch mal rein, aber wir sahen das nicht als Konkur- renz oder als Ergänzung.

Die Trennung des NWDR Von diesem großen Nordwestdeutschen Rundfunk trennte sich zunächst Berlin und gründete den SFB. Ab Ende des Jahres 1955 gibt es den NWDR nicht mehr und es entstehen zwei neue Anstalten, der NDR und der WDR. Diese Trennung war damals höchst umstritten und ist heiß diskutiert worden. Noch heute wird diese Frage in der wissenschaftli- chen Literatur diskutiert. Wie haben Sie diese De- batte erlebt? Wir hörten, dass in Köln Selbstständigkeitsbestre- bungen vereinbart wurden. Damals gab es in Nord- rhein-Westfalen eine CDU-geführte Landesregie- rung und wir hatten in Hamburg einen sozialdemokratischen Senat, damals sogar noch mit Das Kölner Funkhaus in der Dagobertstraße zwei Kommunisten. Dann kam der Wunsch nach der Unabhängigkeit von dieser verfluchten Zentrale Die Bedeutung des Mittelwellenprogramms muss in Hamburg. Eine zweite, genauso wichtige Zentra- doch groß gewesen sein? le in Köln sollte entstehen. Wir machten uns Ge- danken, was das sollte, wussten es aber auch nicht Das war es. Und es war das einzige, was wir aner- und beobachteten den Verlauf. Dann kamen die kannt haben. Wir hörten von UKW-West und Beschlüsse, die Trennung des NWDR in NDR und UKW-Nord mit nach unserer Meinung zu kurzen WDR. Die in Köln fingen dann auch munter an. Sie Nachrichten. Zunächst haben wir sie nicht ernst hatten alles, was man dazu brauchte: Technik, Sek- genommen. Ich war ja auch Nachrichtenredakteur, retärinnen, Tonmeisterinnen und so. Bloß dass man politischer Redakteur. Wir meinten, dass man Zeit Journalisten brauchte, hatten sie offensichtlich

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vergessen. So kamen der damalige Intendant Hanns war, ich fasse das jetzt mal grob zusammen: Der Hartmann und der damalige Chefredakteur Dr. NWDR ist protestantisch, weil er aus Hamburg Fritz Brühl nach Hamburg und warben uns aus kommt, und er ist tendenziell linkslastig und die Hamburg ab. Etwa 80 Figuren wurden gefragt, ob Karnevalssendungen kommen erst ab 22.00 Uhr. sie nicht nach Köln kommen wollten: Erwin Beh- War diese Kritik berechtigt? rendt, Peter Scholl-Latour, Gerd Ruge, der schon Wissen Sie, es gab auch das Gerücht, dass Köln vorher Interesse hatte, Heinz Werner Hübner, ich und Düsseldorf nur für die Trennung der beiden kann nicht alle aufzählen. Wir fragten, was wir Sender seien, weil in unserem Wetterbericht immer denn in Köln, im Rheinland sollten. Mein Großva- das Wetter in Norddeutschland zuerst genannt ter sagte immer zu seiner Tochter: „Du kannst alles wurde und erst danach das in Nordrhein-Westfalen. werden, aber heirate nie einen Rheinländer. Das Man kann sich da immer was ausdenken. Die Tren- sind alles ganz besonders komische Typen.“ Unab- nung hatte rein politische Gründe, das war doch hängig davon, ob mein Großvater Recht hatte, ganz klar zu erkennen. gaben uns die Kölner ein bisschen mehr Geld und Das war in der Phase, als die Politisierung des bauten uns Wohnungen. Uns ging es nicht um die Rundfunks schon in vollem Gange war? Wohnungen, sondern wir wollten den WDR zu einem eigenständigen Kulturinstitut machen. Am 1. Na ja. Hans Kühn hat da, wie Sie selbst sagten, Januar 1956 fingen wir an und am 2. Januar hatten auch kräftig mitgespielt. wir in der „Kölnischen Rundschau“, einem sehr konservativen Blatt in Köln, eine Riesenüberschrift: Skepsis gegenüber dem neuen Medium „Hamburger Rotfunk jetzt auch in Köln“. Wir wur- Fernsehen den also gleich richtig herzlich begrüßt. Das stimm- Herr Casdorff, ich möchte jetzt zum Thema Fern- te ja gar nicht, aber wir waren nun einmal die Ein- sehen übergehen. 1952 führt der NWDR den regel- dringlinge aus dem Norden. Später hat sich das mäßigen Fernsehprogrammbetrieb ein. Hat sich verändert. der Radiojournalist Claus-Hinrich Casdorff für das Es waren also viele Vorurteile im Spiel? neue Medium interessiert? Ja, nicht nur bei denen, bei uns auch. Wir haben In der folgenden Form: Dieter Gütt kam damals mit gesagt: „Wenn die gern wollen, dann machen wir mir aus Hamburg und ging später zum Fernsehen. ihnen das Programm.“ Aber das gab sich, das ver- Als wir das erfuhren, sagten Heinz Werner Hübner zahnte sich. und ich: „Jetzt ist er beim Ballett.“ Da sehen Sie schon die herzliche Freundschaft, die ich mit dem Fernsehen hatte. Also, damit wollten wir nichts zu tun haben, das ist alles inkorrekt, Tanzballett und furchtbar. Aber da ich ein Mann mit Grundsätzen bin, bin ich dann 1961 auch zum Fernsehen gegan- gen und habe eben noch rechtzeitig begriffen, dass es doch ein modernes neues Instrument ist. Also waren Sie in dem Kreis der Hörfunkjournalis- ten der damaligen Zeit, die dieses neue Medium für tendenziell unseriös hielten, und Sie haben an des- sen Zukunft nicht geglaubt? Am Anfang nicht. Zunächst dachte ich, es sei so eine Spielerei, so wie UKW. Die sollten da doch auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg herumham- peln und aus so einem Bunker senden. Irene Koss strahlte dann in die Kamera. Das war ja auch schrecklich, das alles. Aber dann wuchs das Medi- um und dann kamen auch sehr gute Ideen und gute Heinz Kühn 1962 Leute. Auch wenn es nicht so einfach war, mussten wir uns dann auch umstellen können. Sie haben schon gesagt, dass die nordrhein- Ich würde jetzt gern noch einmal auf die Trennung westfälische Landesregierung CDU-geführt war. des NWDR in NDR und WDR eingehen. Ich will es Ministerpräsident war Karl Arnold, der sich dann mal pointiert formulieren: Wenn es die Absicht der mit dem Sozialdemokraten Heinz Kühn verständigte damaligen CDU-geführten Landesregierung in und das WDR-Gesetz machte. Die Kritik an dem Nordrhein-Westfalen gewesen sein sollte, sich mit Nordwestdeutschen Rundfunk aus Kölner Sicht

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dem WDR ein CDU-nahes publizistisches Instru- aktuellen Sendungen, also für „Hier und Heute“, ment zuzulegen, ist diese Absicht nicht gelungen. wäre. Das käme gar nicht in Frage, sagte Höfer. Ich Nein. Das wird nie gelingen, denn selbst ein Inten- wäre schon deshalb nicht geeignet, weil ich einen dant, der ein CDU-Intendant oder ein SPD- Langschädel habe und der Fernsehapparat so ein Intendant ist, kann die Mannschaft nicht in seine Breitformat, dass ich da nicht reinpasse. Trotzdem Richtung steuern. Diese Hoffnung, den Sender zu machte ich nachher ein paar Probesendungen und besitzen, wenn man den Chef stellt, ist immer eine wurde mit Leuten zusammengesetzt, die möglichst Illusion gewesen und wird wohl auch immer eine blöde Antworten gaben, zu denen ich dann meine bleiben. Allerdings ändert das nichts daran, dass im Meinung sagen sollte. Das lief ganz gut. So fing ich Bayerischen Rundfunk nur ein CSU-Mann jemals als Nachrichtenredakteur in der Sendung „Hier und Intendant werden kann und dass in Köln im Au- Heute“ an. genblick kein CDU-Mann dieses Amt erhält. „Hier und Heute“ war ein Regionalmagazin im Auch in der heutigen Zeit? Fernsehen? Ja. Ja, ein Regionalmagazin im Fernsehen. Herr Höfer hatte immer gerne weibliche Moderatorinnen, die Herr Casdorff, Sie sind nach Köln gewechselt und ansehnlich waren und hübsche Beine hatten. Wir haben uns erzählt, wie es dazu kam. Bis 1961 ha- lieferten eben die Nachrichten für diese Sendung. ben Sie in Köln zunächst Hörfunk gemacht. Zu Später übernahm ich mehr und mehr Teile und welchen Sendungen haben Sie Beiträge geliefert? vielleicht fiel ich dabei durch besondere Intensität Wir machten Nachrichten und gegenüber war das oder ähnliches auf. Jedenfalls machte ich dann die „Echo des Tages“ mit Gerd Ruge. Werner Höfer Kölner Redaktion der Magazinsendung „Report“. war der Chef. „Panorama“ wurde aus Hamburg ausgestrahlt, und Das „Echo“ kam immer alternierend aus Hamburg „Report“ stand dem gegenüber als eine Gemein- und aus Köln, nicht wahr? schaftssendung vom SWF, BR und WDR. Ja, die „Echo“-Redaktion war auf der anderen Seite vom Gang und daher hatten wir enge räumliche Kontakte. Ich machte auch noch Nachrichten für die Deutsche Welle. Wir haben immer wieder ver- sucht, in Kommentaren unsere Meinung zu der Politik zu sagen. Klappte manchmal, klappte manchmal auch nicht. Die meisten der Nachrich- tenredakteure in Köln kamen ja aus Hamburg und es war nicht so, dass wir hier wilderten. Vielmehr wurden wir dann doch eine verschworene Gemein- schaft. Damals waren noch Sitte und Anstand beim Fernsehen oder beim Rundfunk. Ein Kollege, der später Programmdirektor wurde, lebte in freier Ehe mit einer Redakteurin, einer Volontärin aus unserer Helmut Schmidt zu Gast bei „Report“ 1964 Nachrichtenabteilung, zusammen. Deswegen wurde er zum Intendanten gebeten, der ihm sagte, dass Die Kölner Redaktion wurde zunächst von Hanns- beide entweder heiraten oder auseinander ziehen Joachim Friedrichs geleitet. Als er ging, übernahm sollten. ich seinen Posten und dann haben wir Material für Der Intendant war Hanns Hartmann? die Sendung geliefert. Das war eine Sturm-und- Ja. Das war eben diese moralische Keule. Manchen Drang-Zeit: Schließlich kamen drei Sender mit war es unerklärlich, dass zwei Menschen zusam- politisch völlig unterschiedlichen Auffassungen men lebten, ohne verheiratet zu sein. Das galt als zusammen. Jeder brachte Filme mit und wollte die Sünde! Aber bis heute haben sich die Einstellungen zur Verfügung stehenden 45 Minuten mit seinen ein bisschen geändert. Filmen bepflastern. Jeder hatte drei Filme mit, von denen höchstens ein Drittel zum Zuge kam. So „Hier und Heute“ wurden geheime Konferenzen abgehalten nach dem Motto: „Wenn Du meinen Film nimmst, sorge ich Sie erwähnten es ja schon: Ab 1961 arbeiteten Sie dafür, dass Deiner auch genommen wird.“ Das war für das Fernsehen beim WDR. Wie kam es dazu? schon ziemlich hieb- und stichfest von 1961 bis Es gab ja einen Menschen, der mich beobachtete 1965. und mich nicht so richtig leiden konnte: Werner Also gab es eine Gemeinschaftsredaktion für jede Höfer. Jemand hatte ihm vorgeschlagen, dass der Sendung? Casdorff doch vielleicht ein Moderator für die

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Ja, Helmut Hammerschmidt, der später Inten- Der Gegner war „Panorama“. Wenn also Paczensky dant des SWF wurde, war der Moderator der seine Absonderlichkeiten bei „Panorama“ vortrug, Sendung. Er war mit den Berichten oft nicht dann wollten wir auch die andere Seite zu Wort einverstanden. Ich drehte mal einen Film über kommen lassen. Dafür gab es dann „Report“. Das Motorbootfahren am Wörther See und am war keine freundschaftliche Zusammenarbeit, son- Lago Maggiore und war eigentlich – aus wel- dern das eher konservative Gegenstück. chen Gründen auch immer – gegen die Sen- dung. Aber Hammerschmidt, der am Staffel- „Monitor“ see ein Haus hatte, war dafür und machte eine Moderation zu meinem Film, in der er sinnge- Ab 1965 leiteten Sie dann die Sendung „Monitor“. mäß sagte, dass da so ein Vollidiot völlig fal- Das war schon eine WDR-Veranstaltung. sche Ansichten vertreten hat. So etwas kam Ja, ich erzählte von den Schwierigkeiten zwischen vor. Wir haben uns geärgert und gestritten, Stuttgart, München und Köln. Diese Art zu arbei- weil es eben drei Sender gab, also Stuttgart, ten, gefiel mir überhaupt nicht mehr, weil meine München und Köln, die sich häufig über die Entscheidungsfreiheit darin sehr begrenzt war. Also Inhalte der Sendungen und auch die jeweilige schlug ich vor, ein eigenes Magazin zu machen. politische Tendenz uneinig waren. Eines Tages trafen sich die Intendanten der SWF, BR und WDR in Stuttgart. Ich dachte, dass sie sich sicher in der Alten Post treffen. War aber nicht so. Sie trafen sich in der Neuen Post und dorthin ging ich dann auch. Als sie mich dort sitzen sahen, sagte einer: „Jetzt weiß ich, wer unser Programm kaputt machen will. Das sind Sie doch, Herr Casdorff.“ „Stimmt auch“, haben Sie geantwortet. Ja, genau. Wir haben den „Report“ dann auch ka- putt gemacht und unser eigenes Programm gestar- tet, nämlich „Monitor“. Den Namen habe ich er- funden. Kernelemente der Sendung waren das Studio als ein schwach bewaffnetes, aber schützen- gepanzertes Aufklärungsschiff und darin der Wäch- ter, der Mahner. Mit der eigenen Sendung konnten wir endlich unabhängig von den anderen senden. Das taten wir dann auch. Die Redaktion baute ich aus dem Nichts auf. Und darum bin ich stolz dar- auf, weil damals nur Anfänger bei „Monitor“ wa- ren: Martin Schulze, der später im ARD-Studio in Bonn saß, Ulrich Wickert, der der schwerste Schü- ler war, den ich je hatte, Klaus Richter, der jetzt „Frontal 21“ im ZDF macht, Stefan Burgdorf, der jetzt beim „Spiegel“ arbeitet, und Rüdiger Hoff- mann, der Programmdirektor bei Radio Bremen war. Allesamt kamen sie von der Uni und wussten Casdorff 1970 nicht so richtig, was sie machen sollten. Die haben also alle etwas gelernt von mir und darauf bin ich Welche Bedeutung hatte die „Hier und Heute“- stolz. Sie sagen heute noch „Hallo Chef“ oder Sendung für den WDR? „Hallo Vater“, wenn sie mich sehen. Wir haben Die Bedeutung liegt immer bei dem, der das Pro- noch ein herzliches Verhältnis, obwohl sie alle weit gramm verantwortet. Werner Höfer war ein Kern- über mich hinweg gewachsen sind. Ich machte 360 punkt der Berichterstattung des WDR. Er hing sehr „Monitor“-Sendungen, glaube ich, hatte über 1.000 an „Hier und Heute“. Bemerkenswerterweise hat Fernsehauftritte. Am meisten Spaß machte es je- diese Sendung sich auch bis heute, also 40 Jahre doch, mit den Jungs zu arbeiten und sie weiterzu- lang, gehalten hat. Jetzt heißt sie „Aktuelle Stunde“ bringen. Eine Einschränkung gab es: Ich war gegen – diesen Namen habe ich erfunden. Die Sendung ist die Beschäftigung von Frauen bei „Monitor“, weil zwar anders, aber doch dasselbe, was es damals ich die folgende Erfahrung gemacht hatte. Als wir war. Nur – wir waren natürlich besser. einmal mit der ganzen Mannschaft, also mit Kraft- Sie haben über „Report“ schon gesprochen. War fahrer, Tonmann, Kameraassistent, Kameramann das Vorbild „Panorama“? und einer Reporterin nach Südbulgarien fuhren,

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musste ich für die Frau ein eigenes Zimmer buchen. „Hörzu“, dass es unfair sei, wenn zwei Journalisten Damals waren wir noch so edel und konnten nicht einen Gast wechselseitig befragten. So etwas sollte in einem Zimmer schlafen. Das hatte also finanziel- es im WDR nicht geben. Aber das gab es doch, le Gründe. Deswegen wurde ich damals auch von obwohl Höfer sich lange wehrte und immer wieder einer deutschen Frauenzeitschrift zum „Pascha des schrieb, dass er von Rohlinger und Casdorff nichts Jahres“ gewählt. Nachher habe ich meine Meinung halte. geändert. Helga Märtesheimer wurde dann die erste Waren Ihre Fragen eigentlich vorher mit denen Redakteurin und später gab es ja auch viele andere. Rohlingers abgestimmt? Wusste jeder, was der andere fragen würde? „Kreuzfeuer“ Ja, wir haben die Sendung durchgespielt, indem wir Wer hat denn die Institution „Kreuzfeuer“ inner- uns zusammen überlegten, was wir fragen wollten. halb der Sendung „Monitor“ erfunden? Es wurde Oft löst man sich natürlich von der Vorlage, weil zu einem Markenzeichen von „Monitor“, dass die Antworten meist überraschend kommen. Es gab Rudolf Rohlinger und Claus-Hinrich Casdorff eine Höhepunkte ebenso wie Tiefpunkte. Am schönsten Figur, salopp gesagt, „in die Mangel“ nahmen. war das „Kreuzfeuer“ mit Franz Josef Strauß. Es wurde neunmal wiederholt, weil alle es noch ein- Es ist mir schon fast peinlich, das immer zu sagen, mal sehen wollten. Das war schon kein Kreuzfeuer aber ich habe das „Kreuzfeuer“ erfunden. mehr, das war Ballerei. „Das ist eine Überfallfra- Nun, ich bin lediglich an der historischen Wahrheit ge“, beschwerte sich der Strauß immer wieder. Er interessiert. war sauer, weil die Sendung vor den Wahlen statt- Herr Rohlinger saß hier im Hause, im WDR, und fand und wir lauter Kameraleute hatten, die „Wählt war im Bereich der Außenpolitik tätig, hatte mit Willy“-Buttons trugen. Das ärgerte ihn natürlich „Monitor“ also gar nichts zu tun. Und als ich fragte, maßlos. ob wir nicht mal so etwas machen sollten wie ein Trugen Sie auch so einen Button? „Kreuzfeuer“, fand er das eigentlich auch. Rohlin- Nein, nur unsere Kameraleute. Auf die Kameraleu- ger und ich sind sehr unterschiedliche Typen: Er ist te hatte ich doch keinen Einfluss! ein richtiger Ostfriese mit einem harten Kopf – im Gegensatz zu mir. Wir probierten die Idee von zwei Hätte mich auch gewundert. Journalisten, die einen Gast befragen, einfach aus. Die können auftreten, wie sie wollen, dachte ich Die Nachfahren sehen wir noch überall. Im ZDF zu früher. Obwohl es auch Kameraleute gab, die auch Beispiel mit Klaus Bresser, der auch bei mir gelernt zu irgendwelchen feierlichen Anlässen, bei denen hat, und Thomas Bellut. Ich denke da immer, dass wir drehten, aussahen, als kämen sie aus der man das auch gleich Kreuzverhör nennen könne. Muskiste. Zu denen sagte ich dann: „Wir haben sogar auch einen Fundus, wenn Sie freundlicher- weise mal einen anständigen Anzug anziehen wol- len.“ Ich bin auf dem Gebiet sehr empfindlich und habe deswegen auch genug Zeitungsartikel gegen mich kassiert. Wie auch immer – die Sendung mit Strauß sollte zwölf Minuten dauern, wie immer. Schließlich dauerte sie eine halbe Stunde. Nachher stürmte der Strauß aus dem Studio und, er fuhr damals gerne selbst Auto, fuhr falsch herum in die nächste Einbahnstraße hinein. Da habe ich gedacht, er ist genauso wie wir. Herr Casdorff, ich muss Sie mit einer Anekdote konfrontieren. Sie sagten eben schon, dass Sie Rudolf Rohlinger und Casdorff bei „Monitor“ 1970 gelegentlich für „Monitor“-Berichte mit sechs Personen unterwegs waren. Sie sollen mal, so wird Das Modell hat Schule gemacht. es erzählt, zu einem Gespräch mit dem Regisseur Wolfgang Staute nach Essen gefahren sein und als Ja, es wird vor der Bundestagswahl tatsächlich er das WDR- Team von „Monitor“ sah soll er Sie noch ein „Kreuzfeuer“ mit Sandra Maischberger gefragt haben: „Herr Casdorff, wollen Sie hier und Peter Klöppel geben. Ich fragte den Klöppel 'Ben Hur' drehen?“ neulich, wie er auf diese Idee gekommen sei, und er war ganz überrascht, als ich sagte, dass sie von mir Ja, die Tatsache stimmt. Wir kamen mit Kamera- sei. Wir landeten jedenfalls mit unserem „Monitor“ wagen, Rüstwagen, Tonwagen und ich weiß nicht, erst im Abseits. Wieder hatte Werner Höfer seine was noch alles. Wir belagerten das ganze Hotel und Finger im Spiel. Er schrieb zum Beispiel in der er fragte eben, ob wir "Ben Hur" drehen wollten.

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Die Frage war berechtigt, denn es handelte sich um koordiniert, mich mit den Baulöwen getroffen und ein Kreuzfeuer von zwölf Minuten. Wir arbeiteten wollte trotzdem noch journalistisch tätig sein. Wer- damals eben mit großem Aufwand. Das kannte ner Filmer und ich begannen mit der Arbeit an keine Grenzen. einem Konzept. Die konkrete Sendung entstand Bis zum Sommer 1973 waren Sie Redaktionsleiter nachher mit Hilfe eines gemischten Teams von von „Monitor“, ebenso wie von 1975 bis 1981. Sie zehn oder zwölf Figuren. Wir wollten eine vielsei- sind aus den unterschiedlichsten politischen Lagern tige Sendung, keine rein politische Sendung. Gäste für die kritischen Beiträge des Magazins getadelt wie Gottfried Fischer, Udo Jürgens, Klaus-Jürgen oder geadelt worden, das war immer eine Frage Wussow, Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Wolfgang der Bewertung. Haben Sie das als Bestätigung Clement sollten in ein- und derselben Sendung Ihrer Arbeit angesehen? Wie sind Sie mit dieser auftreten können. Es sollte so ein ständiger Wech- Kritik umgegangen, die zum Teil sehr harsch war? sel stattfinden, eben auch mit sehr wechselnden Einschaltquoten. Jeden Sonntagabend gingen wir Es war ja klar, dass nicht alle mit der einen Mei- auf Sendung. Wir hatten eine schwere Zeit, aber zu nung einverstanden waren, die wir vertraten. Es meiner Überraschung sind viele bei der Sendung waren auch nicht nur die Filme, sondern auch die hängen geblieben. Sicher auch, weil sie eben 90 Moderationen, die wichtig waren. Ja und es wurde Minuten lang war. auch harsche Kritik geübt, na klar. Die hat mich bei der Arbeit nicht weiter beeinträchtigt. Wer zehn Der Vorteil an dieser langen Sendestrecke von 90 Jahre beim WDR ist, den kann man nicht mehr Minuten war doch, dass man den Versuch machen entlassen, dachte ich mir. Vielleicht kann man mich konnte, sich mit einer Person intensiv zu beschäfti- nach Washington oder nach Ennepe versetzen, an gen. Man konnte den Gast dahin bringen, dass er diesen Gedanken habe ich mich eben gewöhnt. Und vielleicht auch mal etwas Unerwartetes sagte. es ist erstaunlich, wie lange man hängen bleibt. Genau diese Idee stand hinter der Sendung. Wir 1982 habe ich Redaktionsleitung von „Monitor“ hatten eine lange Vorbereitungszeit: Einer wurde zu endgültig abgegeben, auch weil die Arbeit immer dem Gast geschickt, einer zu dessen größten Geg- ähnlich war: Filmen, die Moderation, Filmen, Mo- ner und so. Wir haben unsere Gäste eingekreist, deration, Filmen, Moderation. deswegen brauchten wir auch so viele Leute. Die Gab es denn irgendwann einmal Interventionen aus Ergebnisse wurden zusammengetragen und mir der Hierarchie oder aus den Gremien? vorgesetzt mit den Worten: „So, Chef, übermorgen ist die Sendung. Sieh zu, was du da für eine Mode- Die harscheste Intervention kam einmal aus dem ration draus machst.“ Ich habe mich darum bemüht. Programmausschuss des WDR. Ein Mitglied der Der große Vorteil war eben die lange Sendezeit. FDP, einer Partei, der ich ja sehr nahe stehe, ver- Mit allen Abzügen an Filmen und Moderationen langte meine sofortige Entlassung – glücklicher- blieben noch etwa 70 Minuten für ein Streitge- weise ohne Erfolg. Kritik gab es immer und zu- spräch, also ein Zwiegespräch zwischen Gast und nächst mussten wir unsere Filme auch dem Moderator. Unter diesen Bedingungen antwortete jeweiligen Fernsehdirektor vorführen, damit er der Gast auch. Heute ist es ja überwiegend so, dass eingreifen konnte, wenn irgend etwas nicht so war, zum Beispiel in der NDR-Talkshow sechs Figuren wie er sich das vorstellte. Wir hatten dabei aber sitzen, von denen jeder weiß, dass er fünf Minuten immer großes Glück, weil Heinz Werner Hübner Zeit hat und dann wieder von der Mattscheibe ver- ein sehr liberaler Mensch war und Peter Scholl- schwunden ist. In der ihm zustehenden Zeit kann er Latour sich zu Recht mehr für seine eigene Arbeit gerade sagen, dass er außerdem ein Buch mit dem interessierte. Titel so und so geschrieben hat und demnächst eine Rundreise durch Deutschland macht und Konzerte „Ich stelle mich“ gibt. Auf die eine oder andere Art kann man also Ihr Name, Herr Casdorff, steht auch für die Sende- seine Interessen vertreten, nur erfahren kann der reihe „Ich stelle mich“. Diese Sendereihe ging Zuschauer auf diesem Weg verdammt wenig. Au- 1993 nach etwa 160 Ausgaben zu Ende. In dieser ßerdem ist die Zahl der möglichen Gäste nicht Sendung empfingen Sie Gäste aus ganz unter- unbegrenzt, sondern dieselben tauchen immer wie- schiedlichen Bereichen. Dabei waren zum Beispiel der auf. Deswegen halte ich von der jetzigen Form Gottlieb Fischer, Hans Rosenthal, der Theologe der Talkshows nicht allzu viel. Eine Sendung wie Hans Küng, Helmut Kohl und andere. Gab es eine „Ich stelle mich“ wird es sicher nicht mehr geben. Konzeption dieser Reihe? Manchmal werde ich heute noch gefragt, ob ich eine solche Sendung nicht noch einmal machen Ja, da war der Name Programm: „Ich stelle mich“. möchte. Ich antwortete dann: „Also, an mir liegt es Inzwischen war ich Chefredakteur der Landespro- ja nicht! Da müssen Sie schon meinen Intendanten gramme geworden sowie Regionalisierungsbeauf- oder wen weiß ich fragen.“ tragter des WDR. Ich habe den Aufbau der Studios

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Ist das der Trend zur kürzeren Form? Warum gibt nicht, ob das so mein Stil ist.“ Am nächsten Tag es den Trend? sagte er, dass ich überall Studios haben könne. Das Oft ist dieser Trend motiviert durch Beliebigkeit. Angebot nahm ich an und wir bauten Dortmund, Ich halte diesen ständigen Wechsel für eine gefähr- Bielefeld, das Riesending in Düsseldorf, haben liche Entwicklung. Heute ist der eine angesagt, Münster vergrößert und so weiter. Dadurch kamen morgen die andere. wir an die Bevölkerung heran. Denn wir wussten, dass der Bau der B52 um Münster die Zuschauer Alles wird immer kürzer, immer bunter? viel mehr interessierte als die nächste Hochwasser- Ja. Richtig ernsthafte Diskussionen finden nur katastrophe oder Dürre in der Sahel-Zone. Die manchmal statt, ganz selten. Der Auftritt von Os- Menschen wollen mit ihren häuslichen Problemen wald Kolle gilt schon als politische Sendung, weil konfrontiert werden und etwas darüber erfahren. er einst der Sexpapst war. Aber so richtige politi- Darin lag und liegt der Erfolg der Regionalisierung, sche Auseinandersetzungen gibt es immer weniger. die heute weit über das hinweg gegangen ist, was Es gibt immer wieder Versuche, wie zum Beispiel wir damals machten. Trotzdem war dieses Projekt „Was nun“ im ZDF oder Sat1 mit der Sendung nicht unumstritten. Ich war zum Beispiel gegen das „Zur Sache Kanzler“. Die dauern aber nur etwa große Funkhaus in Düsseldorf, aber bei der Direk- eine Viertelstunde. 15 Minuten sind zu kurz, um an torensitzung verloren wir mit vier zu drei Stimmen. den Gesprächspartner heranzukommen, denn der Dabei spielte wiederum die Politik eine Rolle, denn macht natürlich zunächst ein Affentheater. Ich die Landesregierung sitzt in Düsseldorf. Dort ent- erinnere mich an den damaligen Ford-Chef, Daniel stand dann neben dem Landtagsgebäude das WDR- Goeudevert, der mir immer wieder sagte, dass er Landesstudio. Das war so eine Morgengabe. vor meinen Fragen zittere. Trotzdem war er ganz Gab es denn auch konzeptionelle Kritik an Regio- ruhig, aber er spielte diese Rolle eben perfekt. Doch nalisierung? ich brachte ihn damit aus der Fassung, dass ich ein Ford-Auto in die Sendung rollen ließ und ihn auf- Ja, aber keine ausgeprägte. Kritik hagelte es vor forderte, ein Rad zu wechseln. Plötzlich hatte er es allem von unseren Kollegen von den Zeitungen. im Kreuz und rief seinen Fahrer, der dann auch den Die behaupteten, dass wir ihnen die Nachrichten Reifen eher schlecht als recht wechselte. Solche wegnähmen, weil wir in die Lokalteile überwech- Überraschungen muss man bereithalten. Man muss selten. Schließlich waren das deren Aufmacher. In die Gäste mit Situationen überraschen, mit denen diesen Aussagen lag tiefe Verbitterung. Jens Fed- sie nicht rechen. 1990 bin ich dann pensioniert dersen, damals Chefredakteur der Neuen Ruhr worden und vor lauter Schreck fragte der frühere Zeitung, wollte deswegen nie wieder mit mir reden. Fernsehdirektor Klammroth, ob ich die Sendung Mit unserer persönlichen Beziehung hatte das über- nicht noch drei oder vier Jahre weiter machen woll- haupt nichts zu tun, aber die Zeitungen sahen die te. Dazu kam es dann aber nicht. Gefahr, dass dieses schnelle elektronische Medium abends immer schon das sendet, was sie erst am nächsten Tag in der Zeitung hatten. Außerdem Regionalisierung des Rundfunks kostete die Regionalisierung auch viel Geld. Herr Casdorff, Sie waren auch Regionalisierungs- Herr Casdorff, ich habe mal im Zeitungsarchiv des beauftragter des Westdeutschen Rundfunks und NDR die Akte Casdorff durchgeblättert, die nicht dann Chefredakteur der Landesprogramme. Be- dünn ist. Sie haben sich zu vielen Programmfragen trachtet man den quantitativen Erfolg der Dritten geäußert, haben über Regionalisierung geschrieben Fernsehprogramme, kommt dieser sicher auch und über Ihre Arbeit bei „Monitor“. Zu Ihrer Ver- durch die starke regionale Akzentuierung der Drit- abschiedung haben Sie einige kritische Äußerungen ten Programme zustande. Gegen diese Regionali- verlauten lassen. Der „Kölner Express“ titelte in sierung gab es anfangs Bedenken und Kritik in den seiner Ausgabe vom 3. August 1990 „Wirbel um Gremien des Rundfunks. Wie bewerten Sie Ihre Casdorff“. Unterzeile: „Kollegen empört über Arbeit als Regionalisierungsbeauftragter? Rundumschlag“. Sie sollen gesagt haben, dass die Ich glaube, dass diese Arbeit ganz besonders wich- „Tagesschau“ viel zu steif und überholt sei. Klaus tig war. Wir hatten damals mit Friedrich Wilhelm Bednarz sei der Richter der Nation. Ich will das von Sell einen Intendanten, der für die Regionali- nicht im einzelnen aufarbeiten, aber es führt mich sierung war. Er benannte mich zu seinem Regiona- doch zu der Frage, ob Sie Fehlentwicklungen sehen lisierungsbeauftragten und damit wurde ich von bei den öffentlich-rechtlichen Programmen? allen Direktoren freigestellt, war also nur ihm un- Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich nur glück- terstellt. Eines Tages fragte er mich: „Sag mal, lich über dieses große Instrument wäre. Was Sie willst Du nicht das Studio Münster haben?“ Ich sagen, stimmt. Ich wusste gar nicht mehr, dass ich antwortete: „Weiß nicht, Mensch Du, ich habe da damals schon so kluge Gedanken formulierte. Die zwar in Warendorf einen Kotter, aber ich weiß „Tagesschau“ ist jetzt statisch. Es handelt sich um

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einen ständigen Wechsel von Nachricht mit Wort, direktor, aber dafür müssten Sie die Partei wech- eine Nachricht mit Bild und so weiter. Möglichst seln.“ Wo sollte ich denn hin? Und das war eben 17 verschiedene Themen in einer 15-Minuten- das Ende der Vorstellung, obwohl ich immer was Sendung. Wir haben mal die Probe gemacht, was anderes sage. Für mich ist ein Journalist niemals die Zuschauer von diesen 17 Meldungen behalten. ein guter Intendant – das ist ungeschützt, was ich Nichts! Außer vielleicht dem Wetterbericht. Die hier sage! Als Friedrich Nowottny damals Intendant nächste Kritik an der „Tagesschau“ kam von dem wurde, wurde er einmal richtig vorgeführt, weil er damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens, der nicht wusste, was die mittelfristige Finanzplanung sagte, dass die „Tagesschau“ so negativ sei. Er war. Tja, mehr konnte ich damals eben nicht wer- wünschte sich positive Nachrichten. Eines Tages den – bedauerlich, aber vielleicht auch zur Rettung saßen wir sechs Chefredakteure bei Carstens und aller Zuschauer. nach einer halben Stunde sagte ich: „Herr Präsi- dent, ich habe eine positive Nachricht. Heute ist Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen kein Flugzeug der Lufthansa abgestürzt.“ Oh Gott, Rundfunks das hätte ich lieber nicht sagen sollen, obwohl es die Wahrheit war. Ich habe mich sicher nie ge- Sie sind dennoch nie als Fundamentalkritiker des scheut, meine Meinung über meine Kollegen zu öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgetreten. Des- sagen oder über die „Tagesschau“, die ich immer wegen traue ich mich auch, die Was-wäre-wenn- noch nicht für der Weisheit letzten Schluss halte. Frage zu stellen. Können Sie sich vorstellen, dass Trotzdem hat sie einen guten Standard. Lange Jahre es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk irgendwann sprach nicht mit mir, weil ich nicht mehr gäbe, dass er überflüssig würde? gesagt hatte, dass ich noch nie eine Stewardess der Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Lufthansa gesehen hätte, die so schnell die Tages- Wissen Sie, der öffentlich-rechtlichen Rundfunk themen moderieren durfte wie sie. Na ja, das war hat so viele Vorteile. Wir haben immerhin das beste auch eine dumme Bemerkung. Klaus Bednarz und Netz an Auslandskorrespondenten. Das sind im- ich haben uns nie verstanden. merhin 54 oder so. Sicher, im Moment befindet Stimmt denn das, dass Sie ihn „Richter der Nation“ sich dieses System in einer kleinen Krise, die genannt haben? Stimmung in den einzelnen Funkhäusern ist nicht gerade so, wie man sich die vorstellen könnte, Ja, ich sagte, dass er immer eine Dornenkrone auf sollte, dürfte. Aber nur privaten Rundfunk wird es dem Kopf habe, weil er glaubte, er habe die Weis- in Deutschland nie geben. Das ginge auch gar nicht heit mit Löffeln gefressen. Ich behauptete, dass und das wollen die Privaten auch gar nicht. dem nicht ganz so sei. Jede Sache hat zwei Seiten. Schließlich kann RTL sagen, dass bei ihnen Kirche Herr Bednarz guckte mich immer so streng über und Wirtschaft nicht stattfindet. Damit verzichten den Bildschirm an, dass ich von vornherein Angst sie auf die Berichterstattung über zwei wichtige kriegte. Trotzdem grüßen wir uns, allerdings in Dinge. Die Privaten brauchen den öffentlich- Maßen. Von „Monitor“, was er ja auch 18 Jahre rechtlichen Rundfunk. Aber ich behaupte, dass 25 machte, haben wir sehr unterschiedliche Auffas- Prozent der Zuschauer uns treu bleiben, auch wenn sungen. Was ich sonst noch so gesagt habe, wird die Privaten sich auf den Kopf stellen. Die verblei- sicher noch viel schlimmer gewesen sein. benden Zuschauer verteilen sich zwischen den Vielleicht, ich habe jedenfalls nicht alles zitiert. vielen einzelnen Sendern und Sendungen und las- Herr Casdorff, Sie sind seit langem Mitglied der sen sich hochgradig von Talkshows am Nachmittag FDP. Dabei hat man Ihnen, wenn ich das richtig verblöden. Aber das öffentlich-rechtliche System überblicke, nie vorgeworfen, dass Sie in Ihren Pro- ist das, und damit komme ich auf den Anfang zu- grammen besonders öffentlich und deutlich FDP- rück, was wir von der BBC übernommen haben. Politik betrieben haben oder FDP-Positionen be- Und die Maßstäbe gelten heute auch noch. vorzugt berücksichtigt haben. Nun ist es bekannt, Ja, das wäre auch gleich die Überleitung zu meiner dass in den 1970er und 1980er Jahren die politi- Frage. Das journalistische Handwerk haben Sie sche Position bei der Auswahl von leitenden Mitar- beim NWDR gelernt, das Vorbild war die BBC mit beitern eine noch größere Rolle spielte als heute. ihren journalistischen Prinzipien. Ist eine Rückbe- Sie haben einmal formuliert, dass ein FDP- sinnung auf diese Maßstäbe erforderlich? Mitglied in diesem öffentlich-rechtlichen System kaum die Möglichkeit habe, in einem ARD-Haus Ja, das ist genau das, was ich eben meinte. Die Direktor zu werden. Haben Sie das persönlich so Stimmung ist nicht überall so gut. Wir müssen erlebt? aktiver oder auch aggressiver werden. Wir dürfen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen und uns Das habe ich so erlebt. Es war etwas deutlicher, als mit irgendwelchen Fußballveranstaltern herumstrei- Sie es sagten: „Dazu ist Ihr Rock zu kurz, Herr ten. Solche Dinge sind für mich das zweite, dritte Casdorff. Sie wären vielleicht ein guter Programm-

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oder vierte Glied. Wir müssen zugeben, dass das gleich. Sie haben die Beispiele genannt. Würden öffentlich-rechtliche System, das wir vertreten, Sie an dieser föderalen Struktur etwas ändern wol- immer Schwächen aufweisen wird, es aber im Ver- len? hältnis zu der privaten Konkurrenz immer noch ein Nein. Es wird häufig die Frage gestellt: Was brau- Segen ist. Und ich sehe nicht, dass das in den chen wir Radio Bremen, den Saarländischen Rund- nächsten dreißig, vierzig Jahren anders werden funk oder was brauchen wir den neuen Branden- sollte. burger Sender? Ich meine, es soll diese vielen Würden Sie denn meine Meinung stützen, dass Farbtupfer geben, wenn wir es finanziell schaffen. durch die Existenz der Privaten, aber auch aus Das ist die große Schwierigkeit. Das föderale Sys- anderen Gründen, der parteipolitische Einfluss auf tem und die ARD lebt und es ist stärker als das die öffentlich-rechtlichen Anstalten zurückgegan- ZDF. Ich halte dieses System für eine gute Mög- gen ist? lichkeit, die Vielfalt dieser ganzen Gesellschaft mit Wissen Sie, ich habe neulich mal mit Leuten von ihren unterschiedlichen Meinungen widerzuspie- RTL geredet und gesagt, dass wir es gut hätten, geln. Ich bin kein glühender, aber ich bin ein An- weil wir nur mit den politischen Parteien zu tun hänger dieses föderalen Systems ARD. hätten. Die Privaten haben auch mit der Wirtschaft Die ARD ist ein kompliziertes System mit einem zu kämpfen. Wenn der die Sendung nicht gefällt, großen Koordinationsaufwand. Ist das der Preis für dann gibt es keine Werbeinseln. Und diese Ausei- journalistische Vielfalt? nandersetzung mit den Parteien, nun ja, wenn die Das müssen wir wohl in Kauf nehmen. Ich habe richtigen Leute sich in den öffentlich-rechtlichen jahrelang an diesen Konferenzen der einzelnen Anstalten wehren können, dann geht von den Par- Sender teilgenommen. Ich weiß doch, was da für teien keine große Gefahr aus. Gefahr sehe ich nur, Mechanismen wirken. Das hat auch politische wenn jemand so umschwenkt und für Herrn Stoiber Gründe, wenn einer den Kommentator so und so oder Herrn Ich-weiß-nicht-wen jetzt mal ein schö- einbringt. Dann gibt es ein endloses Gerede. Es nes Programm machen will – aber selbst wenn: wird gemacht und getan. Es gibt Bündnisse und so Durch die vielen Länderanstalten gibt es da immer weiter. Das ist ein sehr mühseliger Vorgang, aber einen Ausgleich. Ich bin optimistisch, obwohl ich ich finde diesen mühseligen Vorgang besser als weiß, dass das der Versuch der Parteien, Einfluss eine Konzentration auf zwei, drei Sender. Das wäre auf die Riesenmassenmedien zu nehmen, ständig doch auf die Dauer schädlicher als die vielstimmige wächst. Das wird sich in absehbarer Zeit noch ver- ARD. stärken. Herr Casdorff, ich danke ganz herzlich für dieses Herr Casdorff, Sie haben schon auf die föderale Gespräch. Struktur der ARD hingewiesen. Das ist auch manchmal eine lästige Sache, wenn man sich mit so vielen abstimmen muss. Gleichwohl ist das auch Peter von Rüden führte das Interview am 5. eine Machtkontrolle, also die Vielfalt schafft Aus- Juni 2002.

22 NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR Zur Person: Chris Howland geboren am 30. Juli 1928 in London wächst im Süden Englands auf, wo er den Beruf des Imkers lernt 1948 kommt Howland als Soldat zum englischen Hörfunksender British Forces Network (BFN) nach Hamburg und wird dort schließlich Chefspre- cher und Chef der Musikabteilung ab 1952 als Radiomoderator („Plattenjockey“) beim NWDR aktiv, moderiert auch eine halbstündige NWDR-Fernseh-Sendung 1959 Rückkehr nach England, macht zwei Jahre die englische Fernseh- Talkshow „People and Places“ von 1961 bis 1970 Moderator der Fernsehsendung „Musik aus Studio B“ in dieser Zeit Darsteller in einer Vielzahl von Fernseh- und Filmkomödien produziert und moderiert ab 1961 die Fernseh-Sendung „Vorsicht Kamera“, die mit dem Verweis auf die Verletzung der Intimsphäre der Protagonisten 1963 abgesetzt wird 1970 Abkehr vom Rundfunk; Howland kümmert sich um sein Hotel auf Mallorca ab 1975 Rückkehr in die Rundfunkarbeit, moderiert im WDR- und NDR- Hörfunk unter anderem „Souvernirs, Souvenirs“ seit den achtziger Jahren auch Tätigkeiten für private Sender (Radio Schles- wig-Holstein und RTL) 1991 bis 1993 Neuauflage von „Vorsicht Kamera“ bei Sat1 1995 erscheinen seine autobiographischen Erzählungen „Happy Days“ Chris Howland lebt in der Nähe von Köln

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„Der Schallplattenjockey muss ein Pferd haben.“

Chris Howland über den langsamen Siegeszug der Schlagermusik in Hörfunk und Fernsehen und seinen steinigen Weg zum Erfolg im Gespräch mit Peter von Rüden

„Das hab’ ich in Berufswunsch Imker gelernt“ – das war einer Ihr Stiefvater war aktiver Soldat in der britischen der großen Schlagererfolge Armee. Und die Familie wollte eigentlich, dass Sie von Chris Howland. Ich Tierarzt werden, aber Sie wurden Imker. Wie kam begrüße ihn zu einem Ge- das? spräch über sein Leben und seine Arbeit für Hörfunk Imker habe ich studiert. Ich bin immer in Insekten und Fernsehen nach dem interessiert, weil auch damals habe ich geglaubt, Zweiten Weltkrieg, als er die kamen nicht von hier. Das sind die Außerirdi- Programmgeschichte schrieb. schen, die haben mit einigen kleinen Ausnahmen Vor fast genau fünfzig Jah- einen ganz anderen Lebensbau wie wir. Das hat ren lief seine erste Schla- mich fasziniert. Dann kam ich zu Bienen, weil sie gersendung im damaligen die ersten Kommunisten waren. Der geht in Ord- Nordwestdeutschen Rund- nung mit Insekten, die können es schaffen, nur bei funk in Hamburg. Seine den Menschen geht er nicht so gut. Das habe ich erste große Fernsehserie dann studiert; wenn man sagt „studiert“, meint das, hieß „Musik aus Studio B“, ich verbrachte alle meine Ferienzeit bei verschiede- auch die Fernsehsendung nen Imkern und ich habe mein Examen gemacht am „Vorsicht Kamera“ hat er Schluss. Aber das war außerhalb der Schule, das entwickelt. Herr Howland, hat mit meiner Schule gar nichts zu tun gehabt. Sie sind nicht wie viele Dann gingen Sie zur Armee und wurden Artillerist. andere Briten direkt nach Ja, da kam die Armee dazwischen. Wir wussten Ende des Zweiten Welt- alle, dass wir ins Militär gehen müssen und wir kriegs nach Deutschland wussten, dass bei der Universität fast keine Chance gekommen. Haben Sie das für uns war, weil die Plätze alle für die Heimkehrer, Kriegsende in Großbritan- die Soldaten waren, reserviert waren. Die kamen nien erlebt? zurück, die haben die Plätze genommen und wir Ja. Da gab es zwei „Victory-Days“: „VE-Day“ für sind ins Militär gegangen und wurden Soldaten. Europa und „VJ-Day“ für Japan. An beiden Tagen Aber diese Zeit bei der Armee war für Ihren weite- war ich ein junger Mann von siebzehn Jahren. Ich ren Lebensweg von entscheidender Bedeutung, weil war frisch aus der Schule oder immer noch in der sie über die Armee zum britischen Sender in Ham- Schule. burg kamen, zum BFN, British Forces Network. Sie lebten in London. Wurden Sie auch ausge- Ich habe dem Militär eigentlich sehr viel zu ver- bombt? danken. Als Soldat war ich furchtbar. Ich war in Ja, wir wurden zweimal ausgebombt. Ich glaube, Dover. Diese weißen Klippen, sehr romantisch. dass die Bomber, die nicht an ihr Ziel gekommen Wenn ich das Schloss in Dover heute sehe, dann sind, haben umgedreht und haben ihre Bomben auf erinnere ich mich an die Zeit 1946. Es war eiskalt uns losgelassen, damit die ein bisschen leichter und furchtbar, die haben uns behandelt wie den werden, dass sie schneller nach Hause kommen. allerletzten Dreck. Eines Tages habe ich gelesen, Wir haben uns genannt: „Bomb Alley“. Das war in dass auszubildende Rundfunksprecher gesucht Süd-London. Aber da haben wir nicht eigentlich werden für den Militärrundfunk. Weil mein Vater, gelebt, denn wir sind ausgebombt und nach West- nicht der Stiefvater im Krieg, sondern mein Vater, England auf einen Bauernhof gegangen. Das heißt, auch bei der BBC war, hab’ ich gedacht: „Okay, wenn ich nicht in der Schule war, im Internat, in geh mal mit dem Namen Howland hin, mal sehen, der Ferienzeit war ich in West-England, und da hat was passiert“. man vom Krieg wenig gewusst, wenig erfahren.

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Vom Militär zum Rundfunk Schallplatten, das waren damals Schellackplatten mit 78 Umdrehungen in der Minute. Dann mussten Und wie sind Sie zum Radiosender in Hamburg wir Timing lernen, wie man eine Sendung kürzen gekommen, zum BFN? War das Neigung? Wollten konnte oder wie man sie länger macht. Danach Sie Journalist oder Unterhaltungskünstler werden? mussten wir das Sprechen lernen, wie man mit Ich muss ehrlich sagen, ich hatte im Militär Angst einem Mikrofon umgeht. Später, als wir das alles vor der Zeit, in der ich ausschied, weil ich nichts gelernt hatten, kamen andere Aufgaben. Das war gelernt hatte. Auch nicht Tierarzt. Ich liebe Tiere, ein kleinerer Sender und wenn der Sender klein ist, aber ich kann sie nicht aufschneiden. Und Imker dann hat man da viel mehr Möglichkeiten, als wenn wäre ein wunderbarer Beruf gewesen, wenn das er riesengroß ist. Wetter nicht so wechselhaft wäre. Das ist ein Rie- Haben Sie sich auch um die Nachrichten geküm- senrisiko. Dann dachte ich mir: „Was kann ich mert und Hörspiele produziert? machen?“ und sah diese Anzeige. Sofort habe ich meinen Namen genannt, musste dann nach London Ja, das habe ich. Da gibt es nichts im Funk, was ich gehen für ein Interview und einen Test. Und der nicht gemacht habe. Hörspiele habe ich gemacht, Mann dort, mit dem ich später sehr gut befreundet als Filmkritiker gearbeitet, ich habe als Schauspie- war, war damals Major beim Militär und ich war so ler in vielen Hörspielen mitgearbeitet. Wir hatten ein kleiner Soldat mit zwei Streifen. Er hat mir eine zwei Orchester und eins davon habe ich später Liste von Komponisten gegeben mit Tschaikowski, gemanagt. Ich war zuerst nur der Ansager, dann Prokofjew und alles. Da waren zweihundert andere, haben die eine Orchesterabteilung gemacht und da die den Job haben wollten, weil ich eine musikali- war ich dann Chef, war Chefsprecher. Das war eine sche Ausbildung gehabt habe in der Schule, konnte Ausbildung, die ist unbezahlbar. Die Ausbildung ich die mindestens aussprechen. Deswegen habe war mehr "learning by doing", aber dieser Spruch ich den Job bekommen. war damals nicht bekannt. Wir haben die Gelegen- heit gehabt, alles zu tun. Wenn wir etwas machen Sie sind nach Hamburg gekommen. War das Zufall, konnten, haben wir den Job bekommen, wenn nicht denn BFN-Stationen gab es auch in anderen Städ- – der Nächste bitte! ten? Nein, die haben meine Papiere verloren. Die haben Das zerbombte Hamburg mich zuerst mal akzeptiert, dann ging ich zurück nach Dover und habe zu allen Leuten gesagt: „A- Als Sie in Hamburg ankamen, muss die Stadt noch dieu, meine Freunde.“ Besonders zu den Kanonen: ein Trümmerfeld gewesen sein. Erinnern Sie sich, „Danke! Winke, winke!“ Dann passierte nichts. was Sie gedacht und gefühlt haben? Sie waren Irgendeiner hat nachgeforscht, nachgeforscht, selbst in London ausgebombt worden und kamen nachgeforscht und endlich haben die meine Papiere dann in dieses Trümmerfeld. gefunden, das Militär hat sich entschuldigt bei mir An meinem ersten Wochenende haben ein paar von und gesagt: „Sie können zu BFN gehen, wohin Sie meinen neuen Freunden mich mitgenommen in wollen.“ Hongkong, Triest, Graz. Am Sonntag gab einem sehr klapperigen alten Taxi nach Wandsbek es eine Sendung „Two-Way Family Favourites“, und Barmbek in Hamburg. Das war flachgebombt ein Wunschkonzert zwischen Hamburg und BBC- und für mich ein absoluter Schock, weil ich London London. Da sprach ein Sergeant Derek Jones, der gesehen und London miterlebt habe, bevor wir hatte so eine nette Stimme und so eine nette Art ausgebombt wurden. Die Attacke auf Coventry und unsere Sergeants, die haben nur geschrieen. Da habe ich gesehen und von Dresden hat man gehört. habe ich mir gedacht: Wo die Sergeants so sind, da Aber wenn man das sieht ... Ich war zwanzig Jahre geh ich hin. Nur deswegen bin ich nach Hamburg alt, stand in diesen Trümmern und die Leute waren gekommen. so freundlich und – Gott sei Dank – ich habe keine Haben Sie in Hamburg beim BFN eine solide, seri- Uniform angehabt, aber es war ganz klar, dass wir öse journalistische Ausbildung erhalten? englische Soldaten waren. Ich muss ehrlich sagen, Unter anderem. Ich würde sagen eine technische da habe ich mich geschämt. Viele, viele, viele Jahre Ausbildung. Ich habe zuerst mal gelernt, wie man später habe ich mich auch für Dresden geschämt, leise läuft und wie man Tee von der Kantine holt das war nicht nötig. Die Trümmerfrauen sah ich: für meinen Chef. Ich war ein Schatten. Jeder von Sie trugen den Schal über dem Kopf, damit der uns Auszubildenden kriegte einen Boss und wir Staub nicht in die Haare kam, die haben unten in waren deren Schatten. Wir mussten dann zwei den Ruinen im Keller gelebt. Und sie haben die Schritte hinter ihm laufen und alles tun, was er Straßen freigeschaufelt, so dass die Straßen zu sagte. Das Journalistische kam etwas später. Zu- sehen waren, aber die Häuser nicht mehr. Von nächst mal war die Ausbildung mehr technisch. Barmbek konnten wir den Michel und die zwei Was ein Mikrofon ist, wie man damit umgeht. Bunker am Heiligengeistfeld sehen – einer davon

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wurde dann später die Fernsehzentrale. Die waren wir haben das eine „Offene Karte“ genannt – dann vielleicht fünf oder sechs Kilometer entfernt und konnten wir als Discjockey eine Platte einschieben, wir konnten alles sehen. Furchtbar war das. von der wir meinten, die könnte was werden. Und Wie sind Sie Experte für populäre Musik gewor- das ist meines Erachtens nach der Grund, warum den? Sie waren ein guter Orgel- und Klavierspie- wir dreißig Millionen Leute hatten, die diese Sen- ler. Hängt es damit zusammen? dung gehört haben am Sonntag, weil ich in Ham- burg und Jean Metcalfe in London das gleiche Das hat mir geholfen. Es ist für mich ein seelischer gemacht haben bei offenen Karten. Vielleicht ha- Ausgleich, Musik auf der Orgel und dem Klavier ben wir insgesamt in einer Stunde Sendung zwei zu spielen. Wir haben ein Schallplattenarchiv beim offene Karten gespielt oder vielleicht drei. britischen Soldatensender in Hamburg gehabt und hatten viele deutsche Kollegen. Der Chef des Waren diese offenen Karten Ihre erste Möglichkeit, Schallplattenarchivs war Otto, der wurde bekannt, in bescheidenem Umfang eine Radiosendung zu weil er kam immer ins Studio mit den Platten für gestalten? die neue, die nächste Sendung. Dann ging er an Ja, würde ich sagen. Da gab es andere Sendungen, unseren Aschenbecher und hat die Kippen rausge- „Die Neueste“, aber die habe ich nie gemacht. Das holt und die hat er weggenommen. Wir haben einen war auch ein ganz schöner Job, die neuesten Platten ganz kleinen Raum, nicht sehr viel größer als eine zu spielen, aber das habe ich bei dem englischen Telefonzelle, gehabt, wo wir die Platten anhören Rundfunk nicht gehabt. Aber ich konnte einen konnten. Eines Tages war er leer und ich bin ein- großen Einfluss nehmen nicht nur auf den Markt fach reingegangen, habe eine Platte gespielt – das unter den Soldaten, sondern auf den englischen vergesse ich nie: „Singing down the road“ oder Markt. Und für eine gewisse Zeit – drei Jahre – „Swinging down the road“ – das ist mir sofort ins haben Jean und ich fast unsere Hand auf der ganzen Ohr gegangen. Bis dahin habe ich nur klassische, Plattenwelt gehabt. leicht klassische und solche Art von Musik gehört, Herr Howland, wie kam es zu den ersten Kontakten aber das war ein Schlager. Der ist mir ins Herz zum Nordwestdeutschen Rundfunk? Das war der gegangen, dass ich von diesem Moment an anfing, Sender in der britischen Zone, empfangbar in ei- diese Art von Musik zu hören. nem großen Sendegebiet von Flensburg bis Köln und in Berlin. Wunschkonzert für Soldaten Ich habe verschiedene Kontakte zum NWDR ge- Sie haben dann bei BFN ein Wunschkonzert für die habt. Erstens hatten wir einen Organisten, Gerhard britischen Soldaten moderiert? Gregor, den wir entdeckt haben. Es war irgendwie Sitte im englischen Rundfunk, jeden Morgen eine Ja, das was der Derek Jones gemacht hat, habe ich halbe Stunde Orgelmusik zu spielen. Das war bil- dann später gemacht. Als ich weg von dem Schloss lig, man brauchte nur einen Organisten zu bezah- Dover gegangen bin, ging ich zu einem Laden, in len. Deswegen haben wir Gerhard Gregor dann dem es wunderbare Uniformen gab, kanadische engagiert und die Orgel war in der Rothenbaum- Uniformen. Die kanadischen waren genau die glei- chaussee im Funkhaus. Ich bin sehr oft zu Gerhard chen wie die englischen, nur besserer Stoff. In dem gegangen und habe seine Sendung angesagt. Er war Laden habe ich gesagt: „Ich gehe jetzt nach Ham- super. Manchmal hat das Symphonieorchester oder burg und eines Tages werde ich ‚Two-Way Family das Light-Orchestra des NWDR Sendungen für die Favourites’ machen. Kann ich eine von diesen BBC gemacht, dann haben die mich immer gebe- Uniformen haben?“ Er sagte: „Spielen Sie mir eine ten, die englische Ansage zu machen. Wir haben Platte, wenn Sie die Sendung haben?“ Da habe ich mit vielen deutschen Kollegen über unser BFN- gesagt: „Ja.“ Er hat seinen Namen aufgeschrieben Programm gesprochen und über die Sendungen im und deswegen habe ich zwei Uniformen bekom- deutschen Radio. Wir hatten auch viele, viele, viele men. Später habe ich die Sendung gemacht, da Briefe, die wir von deutschen Hörern bekommen hatte ich aber längst den Zettel verloren. Aber da haben, da haben wir dann sofort gewusst: Aha, da war ich auch nicht mehr beim Militär, da war ich sind auch sehr viele Deutsche, die uns hören. Und zivil. die Frage war: Warum? Bei diesem Wunschkonzert hatten Sie gelegentlich Der britische Soldatensender BFN hatte vermutlich auch die Möglichkeit, Titel eigener Wahl zu spie- zu bestimmten Sendezeiten mehr deutsche Hörer als len? britische Hörer. Meistens hat irgendein Soldat geschrieben: „Bitte Ich glaube eine Million pro Sekunde. Es war nicht spielen Sie das und das und das“ – dann haben sie immer die gleiche Million, aber jede Sekunde am eine Platte genannt – „für meine Frau in England.“ Tag waren es eine Million deutsche Zuhörer. Ich Aber einige haben geschrieben: „Ich überlasse habe mich gefragt: Warum? Die haben ihren eige- Ihnen, was Sie spielen.“ Das war für uns wichtig, –

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nen Funk. Ich habe herumgefragt und festgestellt, Das war ungewöhnlich, dass es eine solche Live- dass im deutschen Radio die eine ganz andere Art Sendung gab. Das muss eine kleine Revolution von Musik hatten und sehr viel Blablabla. Das habe gewesen sein. ich zur Kenntnis genommen. Die haben die ganze Etage vom NWDR zugemacht. Nur in dem Regieraum hatten die zwei große, dicke Anfänge beim NWDR fette Plattenteller mit 78er Umdrehung – man kann- te 33er schon, Langspielplatten gab es – aber die Es gab damals nur das eine NWDR- normale Geschwindigkeit war 78. Auf die Dinger Mittelwellenprogramm im Radio, UKW war noch konnte ein Auto draufsetzen und die hätten das ganz am Anfang der Entwicklung. Dieses Mittel- Auto herumgedreht. Aber es gab nur zwei, das wellenprogramm hatte sehr viele Wortprogramme waren die einzigen zwei Plattenteller, die die hat- und die leichte Musik war eher Tanzmusik. Eng- ten. Das war für mich nichts. Deswegen habe ich lischsprachige britische oder amerikanische Pop- einen Plattenspieler vom Amerikahaus leihweise musik fand nicht statt. Man kann nachlesen, dass bekommen. Einen anderen von der „Brücke“, das Sie eines Tages spontan in den NWDR in der Ro- war die britische Organisation, wo Engländer und thenbaumchaussee gegangen sind. Dort sollen Sie Deutsche zusammenkamen. BFN hatte gar keinen. gesagt haben: „Ich will zum Musikdirektor.“ Ist Die Ingenieure haben dann die beiden Plattenteller das eine Legende, oder war das wirklich so? auf dem Tisch montiert. Das Problem war: Ich Nicht nur ich bin gegangen: In mir war ein Gin konnte die Platten nicht vorher im Kopfhörer rich- Tonic. tig hören. Im Funk ist es sehr wichtig. Das musste Sie waren leicht angeheitert. ich quasi blind machen und habe zwei Kollegen Ich habe ein bisschen Courage gehabt. Ich befand gebeten, diese Riesenottos im Regieraum zu bedie- mich in der Rothenbaumchaussee im Wagen mit nen. Mit einem bin ich immer noch in Kontakt, der einem Gin Tonic. Damals hat keiner von Alkohol andere ist leider gestorben. Dann ging es los. am Steuer geredet. Und jemand hat zu mir gesagt: „Ich wette, dass Du Dich nicht traust. Geh mal über die Straße in das Funkhaus und sag’, dass die Leute auf Dich gewartet haben.“ Ich habe den Wagen geparkt, bin über die Strasse gegangen zu der Re- zeption und habe gesagt: „Ich möchte mit dem Chef von der Musikabteilung sprechen.“ Auf Englisch habe ich das gesagt. „I want to see the music-boss.“ In zehn Minuten stand ich vor Christian Törslef und sagte zu ihm: „Sie haben auf mich gewartet. Ich bringe, wenn Sie mir eine Stunde in der Woche geben, für diese eine Stunde alle Leute zurück, wo die hingehören – zum Nordwestdeutscher Rund- funk.“ Sie haben ihn mit dem Argument überzeugt, dass Sie viele Hörer zurückbringen, die sonst den BFN hören würden? Ich habe das einfach gesagt, ich habe es selber nicht geglaubt. Er ist aufgestanden und sagte: „Just a Howland im Studio 1958 moment, please.“ Ungefähr fünf Minuten später kam er zurück und sagte: „Sie können im Septem- Es gab damals in dem großen Funkhaus des NWDR ber anfangen.“ Das war im Juli. Ich bin fast umge- keinen Plattenspieler, mit dem man eine Single mit kippt. 45er Umdrehung abspielen konnte? Damit hatten Sie nicht gerechnet? Nein. Die zwei vom Amerikahaus waren für mich Nein, nicht in tausend Jahren! Ich bin rausgekom- und die zwei im Regieraum waren für die Effekte: men, wieder ins Auto gestiegen und habe dann galoppierende Pferde, Explosionen, Sirenen. Das gesagt: „Ja, ich habe eine Sendung bekommen. Mal alles habe ich irgendwie eingebaut in die erste sehen, was passiert.“ Dann habe ich nicht mehr Sendung. dran gedacht, denn September war weit weg. Aber Sie brauchten dafür die Zustimmung des britischen so ist es passiert, das ist keine Legende. Senders, denn dort waren Sie angestellt. Sie beka- Diese erste Sendung auf der Mittelwelle des NWDR men die Genehmigung, für den NWDR zu arbeiten ging am 1. September 1952 live auf die Antenne.

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nur unter der Bedingung, dass Sie das kostenlos Den englischen Begriff des Discjockeys mochte taten. man dem deutschen Publikum noch nicht zumuten, Kostenlos, ja. Ich glaube, die haben mir zwanzig so wurden Sie Schallplattenjockey. Mark Trinkgeld oder so gegeben. Das war mein Schallplattenjockey, ja. Das fand ich auch ziemlich Honorar. Aber das war nicht so wichtig. Die Arbeit mundvoll. Aber der Schallplattenjockey muss ein zu machen, war für mich damals ein „step for- Pferd haben. Deswegen habe ich die galoppieren- ward“, die Möglichkeit, in eine andere Richtung zu den Pferde gespielt und Pferdewiehern und alles. gehen. Und wenn man das umsonst macht, warum Das Pferd hatte sogar einen Namen, es hieß „Pe- eigentlich nicht, vielleicht bringt es was eines Ta- gasus“. ges. Ich habe ihn Pegasus genannt. Und Christian Törs- lef habe ich seinen Namen umgedreht in Tostian Moderator mit geringen Christleff. Und Tostian war mein Stallbursche. Deutschkenntnissen Der Christian Törslef war der Musikchef damals. Es gibt einen Zeitungsausschnitt aus der „Braun- Hat er in Ihrer Sendung diesen Stallburschen rich- schweiger Zeitung“ aus dem Oktober 1953, in dem tig gespielt? etwas über Ihre erste Sendung geschrieben wird. Ja, ja, er hat mitgemacht. Da heißt es, dass Sie die erste Sendung mit einem Eine solche Sendung muss im Umfeld des seriösen unerklärlichen Pferdegetrappel begannen, dass ein NWDR-Mittelwellenprogramms mit Nachrichten, „weicher ausländisch akzentuierter Bariton“ die Hörspielen sowie Tanzmusik etwas Ungewöhnli- Hörer direkt angesprochen hat mit den Worten: ches, Revolutionäres gewesen sein. Wie haben die „Guten Abend, nun will ich gar nicht viel reden. Es Hörerinnen und Hörer darauf reagiert? Wie hat geht los.“ Zwischendurch sollen Sie gesagt haben: der Sender darauf reagiert? „War zu laut, was? Machen Sie lieber die Tür zu – sonst schimpft Nachbar“. Dieses etwas gebrochene Ich habe das Gefühl, dass die mir nicht alles gesagt Deutsch wurde Ihr Markenzeichen? haben, wie erfolgreich es war. Es muss eine Sensa- tion gewesen sein, aber das habe ich nicht mitge- Ich sprach kein Deutsch. kriegt. Ich bekam die Zeitungen nicht und so wei- Sie konnten gar kein Deutsch? Das wusste der ter. Einige deutsche Kollegen von mir im BFN NWDR nicht, bevor die erste Sendung startete? haben gesagt: „Um Gottes Willen, was hast Du Ungefähr eine halbe Stunde vor der ersten Sendung denn gestern gemacht?“. Und dann habe ich am kam der Christian Törslef rein und ich habe wieder Ende der Woche, als die ersten Briefe kamen aus Englisch mit ihm gesprochen. Er sagte zu mir: Kairo, Stockholm und von überall – Mittelwelle „Aber vergiss nicht, Du musst Deutsch reden für ging viel weiter als heutzutage UKW – langsam die Sendung.“ Da habe ich gesagt: „Ja, ich werd’s begriffen, dass ich irgend etwas verbrochen habe. versuchen.“ Dann wurde ihm klar, dass ich kein Ich habe gelesen, dass es ungefähr 1500 Hörerbrie- Deutsch sprechen konnte. fe allein auf die erste Sendung gab. Haben Sie Ihren Text auf Englisch geschrieben und Das kann sein. Ich weiß nur, dass die in Säcken übersetzen lassen? kamen später. Wir konnten nicht alle aufmachen, so Ja, und dann habe ich das den Abend vorher geübt. viele waren das. Mag wohl sein, dass das so viele Aber ich habe versucht, die deutschen Worte richtig waren für die erste Sendung. Aber ich konnte die zu buchstabieren. Ich hätte das phonetisch alles sowieso nicht lesen. schreiben können, doch da dachte ich mir, das ist Sie konnten kein Deutsch. falsch, wenn man so anfängt. Deswegen habe ich Ja, die zwanzig Mark, die ich bekommen hatte, dann gelernt, das richtig buchstabierte Deutsch habe ich der Sekretärin gegeben für die Überset- richtig auszusprechen – soweit ich das schaffen zung. konnte. Die andere Sache, bei der ich von Anfang an mich versprochen habe, war dieses „r“. Das Man muss es noch mal betonen: Englischsprachige deutsche „r“, was irgendwo hinten passiert im Popmusik in einem deutschen Sender war damals Mund. Ich habe das nie richtig geschafft, deswegen absolut ungewöhnlich. habe ich mir gedacht, kämpfe nicht damit, mache Das war das Problem. Ich glaube, das war für viele, dein englisches „r“. Alles andere habe ich versucht, viele Jahre das Problem. Nicht nur mit mir, sondern richtig auszusprechen, auch grammatisch korrekt. allgemein. Wir haben deutsche Künstler, wir haben Na ja, sehr weit bin ich nicht gekommen, aber ich deutsche Musiker, warum sollen wir dann die aus- muss ehrlich sagen, wenn ich heute nach England ländische Musik spielen? Ich war natürlich kon- gehe und Deutsch spreche, die Engländer sind zentriert auf gerade diese ausländische Musik, weil begeistert und die glauben: „Wow, der kann was.“ ich die deutsche Szene nicht kannte. Meine Ant- Aber damals habe ich nur gelesen. wort war: Punkt eins, es ist nur eine Stunde in der

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Woche. Punkt zwei: Warum haben wir so viele einer Million Leute. Ich rede nur mit einer Person deutsche Hörer für BFN, wo nur diese Musik ge- und jede einzelne Person hat das Gefühl, sie wird spielt wird? Für wen arbeiten wir? Wir arbeiten für persönlich angesprochen. Das ist, was wir gelernt das Publikum. Und wenn ihr Publikum diese Musik haben: „to project yourself“. Selbst wenn man in hören möchte, dann ist es ihr Job, das zu spielen, eine Fernsehkamera guckt, darf man nicht an die weil die zahlen. Millionen denken. Es ist genau das gleiche Prinzip. Sie haben das damalige Mittelwellenprogramm des Wir sind lauter Einzelpersonen. NWDR als „Funk im Smoking“ bezeichnet. Was Diese Art zu moderieren und die Musiktitel, die Sie meint das? spielten, waren wahrscheinlich das Geheimnis Eine der ersten Sachen, die wir gelernt haben, ist, Ihres Erfolges. Wie haben Sie die Musiktitel aus- wie man mit einem Mikrofon umgeht, wie man gewählt? psychologisch denkt, wenn man in ein Mikrofon Das ist auch eine interessante Sache. Ich habe die spricht. Hier machen wir Fernsehen.1 Wir reden neuesten Platten immer bekommen, von Amerika miteinander, ich weiß, dass die Kamera da ist, aber und auch von England. Sehr viele. im Grunde genommen reden wir miteinander. Wenn man in einem Studio sitzt ohne Gesprächs- partner und redet nur in dieses Mikrofon, dann muss man eine bestimmte Einstellung haben. Man muss mit dem Ding umgehen können – in der Hoff- nung, dass es am anderen Ende so aus dem Laut- sprecher rauskommt, wie man es reinspricht. Man darf nicht durchsprechen, so dass es nur in einer Dimension rauskommt. Wenn man dasitzt mit Smoking und Schlips und sagt: „Meine Damen und Herren ...“ ist das steif. Das haben meines Erach- tens damals die Leute gemacht. Die waren nicht ausgebildet, um selbst in das kleine Ding von Mik- rofon zu kommen. Man kriecht hier rein und man kommt da raus, auf der anderen Seite. Die wurden so nicht ausgebildet. Deswegen habe ich das Gefühl gehabt, das alles so steif war. Das Mikrofon war nicht der Freund, das war der Feind.

„Funk in Jeans und Pulli“ Das, was Sie gemacht haben, nannten Sie „Funk in Jeans und Pulli“. Sie sagten, dass Sie bei Ihrer Arbeit immer den konkreten Hörer zu Hause am Ende dieser Mikrofonschnur gesehen haben. Ich habe nur einen Hörer, genauer eine Hörerin, Howland 1957 eine ältere Dame, die etwas schwerhörig ist und die genauso weit auf der anderen Seite von diesem Man musste eine Methode haben, eine Platte Mikro sitzt wie ich auf dieser Seite. Ich rede zu schnell zu hören. Ich konnte eine Platte für unge- dieser Dame und weil es eine ältere Dame ist, des- fähr 15 bis 20 Sekunden hören und wusste sofort: wegen habe ich Respekt, erzähle keine schmutzigen Ja, das ist es oder das ist es nicht. So habe ich das Witze und sage nicht irgend etwas, was sie nicht gemacht. Es steckt vielleicht in meinen Genen: Ich versteht und rede langsam und freundlich. höre eine Platte und sage, das ist gut. Meine Frau kann das Gleiche tun. Ich bin nicht der einzige. Aber Ihre Programme waren vor allen Dingen bei Dann habe ich lauter Platten von diesen ausgesucht den Jugendlichen populär. Ich muss das wissen, und gespielt. weil ich damals dazugehörte. Sie haben nicht nur für ältere Damen Programm gemacht. Lag Ihr Geheimnis des Erfolges daran, dass Sie ein Gespür dafür hatten, welche neuen Titel auf dem In der Art schon, ja. Man muss selber eine Fantasie Markt populär werden? Kann man das lernen? haben, zu wem man spricht. Jeder Hörer ist ein Einzelhörer. Man darf nicht denken, ich rede mit Nein, ich habe es nicht gelernt. Das ist angeboren, das ist eine Begabung, die ich habe. Das hat mit Arbeit nichts zu tun. Mancher kann es, mancher kann es nicht. 1 Das Gespräch wurde bimedial aufgezeichnet.

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Mag das vielleicht auch ein bisschen an Ihrer mu- tan, eingeschaltet, und – poff – alles ins Gesicht sikalischen Ausbildung liegen? bekommen. Am Ende der Sendung war ich total Ich glaube nicht, nein. Ich bin musikalisch, ich bin nass und die Ärmel waren abgerissen von der Ja- sogar sehr musikalisch. Komischerweise – ich bin cke. Ich habe eine halbe Stunde geschafft. In die- musikalisch, aber mit Mathe bin ich furchtbar. Man sem Bunker war das erst mal furchtbar hell und wir sagt nie, dass eine Person mathematisch ist, aber wurden gelb geschminkt. Das sah alles aus, als ob das sollte man sagen. Man sagt mathematisch be- wir was mit der Leber zu tun gehabt haben. Furcht- gabt. Ich finde, mathematisch zu sein, ist auch eine bares Gelb. Das Studio war relativ klein. In einer Begabung, genau wie musikalisch, doch das steht Ecke saß Irene Koss, die Ansagerin, und da war auf einem andern Blatt. Ich bin musikalisch, ja, und irgendjemand neben ihr in der anderen Ecke, der nicht mathematisch. hat geredet, ich weiß nicht, über was, weil ich konnte kein Deutsch. In der dritten Ecke war ich mit einem Tisch, Multimix, Plattenteller etc. Da Zur Kombination von Musik und Bild war nur eine Kamera und dann ging es live los mit Sie haben beim NWDR nicht nur Hörfunkgeschich- totaler Idiotie. Aber nach der Sendung klingelte im te geschrieben, sondern auch relativ früh schon für Korridor draußen das Telefon, das war Dr. Pleister, das Fernsehen gearbeitet, nämlich in einer Zeit, in er war der Intendant für das Fernsehen und hat der dieses Fernsehprogramm etwa fünfhundert gesagt: „Es war super, mehr davon.“ Die nächsten Zuschauer hatte. Das war im Jahre 1953, kurz Sendungen waren etwas komplizierter und besser nach Beginn des regelmäßigen Programmbetriebs, vorbereitet, insgesamt habe ich vielleicht acht Sen- als Sie Ihre erste Fernsehsendung produziert aus dungen über acht Wochen gemacht. Dann musste dem Studio im Bunker auf dem Heiligengeistfeld ich auf Tournee gehen. sendeten. Was war das für eine Sendung? Sie hatten also in dieser Zeit die wöchentliche Ra- Die haben mich um 15.00 Uhr angerufen und ge- diosendung und haben auch Fernsehen gemacht. fragt, ob ich bereit wäre, Fernsehen zu machen. Dann kam es relativ schnell zu einem Ende, denn Selbstverständlich habe ich ja gesagt. Diesmal war Ihre Kooperation mit dem NWDR in Hamburg ich ohne Gin Tonic. „Was soll es denn sein?“ wurde beendet. „Können Sie eine halbe Stunde machen?“ „Ja. Nachdem ich meinen Job aufgegeben habe beim Wann soll das sein?“ „Um 21.00 Uhr heute A- BFN, weil der NWDR hat zu mir gesagt: „Kommen bend.“ Es war schon 15.00 Uhr. Ich habe ja gesagt. Sie zu uns als freier Mitarbeiter, dann können wir Wie ein Irrer bin ich dann durch die Gegend ge- Ihnen eine richtige Gage bezahlen.“ Anstatt dieser gangen: Das Problem war, was macht der Discjo- zwanzig Mark, die ich akzeptieren durfte. Aber ckey während er die Platte spielt? Die Musik aus- dann hat die britische Armee mir Schwierigkeiten zusuchen, das war kein Problem. Halbe Stunde – gemacht, dass ich außerhalb arbeitete. Deswegen acht Platten. Wenn die Platte spielt im Funk, dreht habe ich mir gedacht: „Okay, das ist eine Entschei- man das Mikro aus und kann dann alles machen. dung im Leben, eine große Entscheidung.“ Da habe Aber was macht man auf der Bildfläche? ich mich entschieden: Weg! Dann habe ich diese Ja. Man kann nicht zweieinhalb Minuten oder drei Tournee mit Heinz Erhardt gemacht, das steht auf Minuten nur eine drehende Platte zeigen. einem ganz anderen Blatt. Als ich zurückkam, habe ich weder Funk noch Fernsehen gehabt. Sie haben eigentlich Ihre Erfahrungen aus dem Radio auf das Fernsehen übertragen: Sie wollten Sie waren arbeitslos. im Fernsehen auch eine Plattensendung machen Ja. und hatten jetzt das Problem, was auf der Bildebe- Gab es eine Begründung dafür, dass man die Sen- ne passieren sollte? dungen nicht weiterführte? Ja, das musste ich dann lösen in einer kurzen Zeit. Nein, bis heute nicht. Jahre später habe ich jeman- Deswegen habe ich mir ganz schnell visuelle Gags den von der Musikabteilung bei einer Party kennen ausgedacht. Einer war mit einem Schneider: Wenn gelernt und der sagte: „Es tut mir wahnsinnig leid, man einen neuen Anzug macht, geht man zu einem aber ich hatte keine andere Wahl. Ich musste das Schneider und er kommt und reißt die Ärmel ab machen.“ Warum das war, weiß ich nicht. und näht das wieder an. Der Schneider musste alles von mir abreißen, dann haut er ab und da war ich in Wechsel nach Köln Unterwäsche. Bei einer Küchenmaschine habe ich zu Hause festgestellt, dass, wenn die Kappe nicht Sie bleiben im System des NWDR und versuchten oben drauf war, schoss alles raus. Habe ich mir Ihr Glück in Köln. Dort gab es auch ein Funkhaus gedacht, das kannst du benutzen. Da habe ich in der des NWDR und da haben Sie 1954 angefangen, Sendung eine Mischung von Wasser und Milch und diesen Typus der Schlagersendung, den Sie in Obst und allen möglichen Dingen in das Ding ge-

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Hamburg entwickelt hatten, in Köln weiterzufüh- Ja, die haben ein Studio für mich gebaut. Dafür ren. haben sie die gleiche Firma benutzt, die das Studio Ja. BFN, meine damalige Firma, für die arbeitete BFN in Marienburg gebaut hatte. Das einzig andere ich nicht mehr offiziell, aber immer inoffiziell und war, ich habe die Regler andersrum eingebaut. umsonst, ist nach Köln verlegt worden. Das war Einige Leute waren sauer, dass ich die Regler, statt irgendwie taktisch mit Kaltem Krieg und Pipapo. sie von mir aus aufzumachen, zu mir zog, wenn ich Die wollten das auf der anderen Rhein-Seite oder das Mikro aufgemacht habe. Da habe ich auch eine so und die sind nach Köln-Marienburg gegangen. Person gehabt, die für mich übersetzt hat. Ich krieg- Wie gesagt, ich hatte keine Arbeit, bin auch dann te hundertzwanzig Mark pro Sendung. Zwanzig nach Köln gekommen und zum NWDR am Wall- Mark waren Reisekosten von Hamburg, weil ich rafplatz gegangen. Diesmal habe ich Günther Krenz lebte am Anfang noch in Hamburg. So habe ich in gesehen, er war von Anfang wirklich super zu mir. Köln – wenn man will – im Rollkragenpulli Musik Er sagte: „Vielleicht kriege ich dann Schwierigkei- gemacht. Was viele nicht wissen, ist, dass nach ten mit Hamburg, aber warum nicht? Das ist Köln.“ diesen hundertvierundvierzig Briefen Publikum im Da habe ich zwölf Sendungen bekommen. Studio war. Aber die mussten mäusestill bleiben. Der Portier beim WDR hat Verbindungen mit Schulen und so weiter gehabt, und da hatte ich dann jede Woche zwanzig, dreißig Leute im Studio, die da gesessen haben. Die haben das miterlebt. Sie haben bis 1958 in Köln Sendungen gemacht. Zunächst noch beim NWDR und dann beim WDR. Sie waren in dieser Zeit sehr populär vor allem bei den Schülern und Schülerinnen. „Kinderlord“ haben die mich genannt.

Zurück nach England 1959 verließen Sie Deutschland und gingen zurück nach England. Warum ging der erfolgreiche, popu- läre Chris Howland zurück nach England? Kölner Funkhaus am Wallrafplatz 1953 Ich glaube, meine damalige Frau hat ungern hier Das war in einer Zeit, in der der NWDR schon zwei gelebt. Nur durch Zufall habe ich einen Manager UKW-Programme hatte: UKW-Nord und UKW- bekommen in England. Es ist ein komisches Ge- West. Das UKW-West-Programm kam aus Köln fühl, weil ich bin Engländer, ich wollte immer den und war eigentlich ein Programm für Nordrhein- Engländern zeigen, was ich hier gemacht habe. Das Westfalen. Für dieses Programm machten Sie Ihre ist vielleicht dumm. Ich versuche es immer noch. Sendung und anfangs hatten Sie fast keine Hörer. Ich versuche jetzt, ein Buch zu schreiben, was in England ankommt. Nix, gar nix. Die Hörer haben die UKW- Empfänger nicht gehabt. Die Philips-Philetta war Sie hatten den Ehrgeiz, auch in England populär zu die erste. BFN, der englische Rundfunk, ist auf sein. UKW gegangen, aber die Soldaten haben alle kos- Prophet im eigenen Land, ja. Ich habe eigentlich in tenlos die Radios bekommen. Es hat ein Jahr ge- der kurzen Zeit, den zwei Jahren, die ich in Eng- dauert in Köln, bis ich mehr als vielleicht einen land war, habe ich bewiesen, dass ich das auch in Brief in der Woche bekommen habe. Und dann Englisch machen konnte. Da habe ich vierhundert plötzlich nach ungefähr einem Jahr, habe ich – die Fernsehsendungen gemacht. Talkshows. Zahl vergesse ich nie – 144 Briefe bekommen. Eine Talkshow war bei „Granada TV“. Sie konnten an Ihrer Hörerpost merken, wie sich Genau, ja, das war meine Fernsehschule. Das ging die UKW-Endgeräte ausbreiteten? bis Ende 1960, dann bin ich zurück nach Deutsch- Genau! Aber der Sprung war von eins auf hundert- land gekommen, weil ich so viele Filme gedreht vierundvierzig. Das war für mich sensationell. Und habe. Ich habe in den fünfziger Jahren, als ich hier dann ging es immer noch weiter, bis ich dann vier- in Köln gearbeitet habe, meine ersten Filme ge- zig-, fünfzigtausend Briefe in der Woche bekom- macht, als Komiker, Schauspieler. Dann habe ich men habe. Das war allerhand. angefangen zu singen. An alle Dinge, an die ich War dieses UKW-West-Programm schon etwas mich rantastete im ganzen Showgeschäft, fragte ich näher an einem „Funk im Rollkragenpullover“? mich: Wo kann ich hin, was kann ich machen? Das alles war ein Experiment. Und als ich in England

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gearbeitet habe: Erstens, dieser Manager hat einen Nein, ich bin rübergeflogen. Ich habe meine Fern- anderen Posten bekommen und sein Nachfolger seharbeit von Montag bis Freitag in England ge- war nicht so sehr gut für mich. Zweitens, ich habe macht und am Samstag bin ich nach Deutschland diese Filmangebote, diese Musikfilme, die in Ju- geflogen, zum Funkhaus. Da habe ich dann die goslawien gedreht wurden – zum Beispiel „Ich zwei, drei Sendungen auf Band gemacht. Am Sonn- träume von Liebe in südlicher Nacht“ mit Fred tag bin ich zurück nach England und Montag war Bertelsmann und „Der lachende Vagabund“ – quasi ich wieder in Manchester im Fernsehen. Es war einen nach dem anderen von diesen Filmen gedreht. eine harte Zeit. Aber meine Fans hier habe ich nicht Einige zeigen die noch heute. Als ich zurück nach vergessen. Deutschland kam, da fing es an mit „Vorsicht Ka- mera“ und „Musik aus Studio B“. Rückkehr nach Deutschland und zum Das waren Ihre ersten großen Serien im deutschen Fernsehen Fernsehen. 1961 gehen Sie wieder zurück nach Deutschland Richtig, ja. und starten zwei Fernsehserien: „Musik aus Studio Der Hörfunkmann Chris Howland hat sich das B“ und „Vorsicht Kamera“. Eine Popmusiksen- Fernsehen erarbeiten müssen. Ist Ihnen das dung im Fernsehen und „Vorsicht Kamera“ mit der schwergefallen? versteckten Kamera. Das waren Neuerungen im Nein, das ist genau das gleiche Prinzip. Man arbei- damaligen Fernsehprogramm. Was waren Ihre tet anstatt mit einem Mikrofon mit einer Kamera. Überlegungen? Haben Sie sich überlegt, das Pop- Und die gleiche Person sitzt hinter dieser Kamera, musikkonzept, was im Radio so erfolgreich ist, das immer noch die gleiche ältere Dame, zu der ich müsste im Fernsehen auch funktionieren? immer spreche. Ich kann sie nicht sehen, aber ich Die Überlegung kam nicht von mir, sondern komi- weiß, dass sie mich sehen kann. Der Sprung von scherweise vom Norddeutschen Rundfunk. Ich Funk zu Fernsehen ist nicht so groß. Wir sagen in habe eine Sendung gemacht, die Auswahl für das England einen Spruch: Kinder sollten gesehen Baden-Baden-Schlagerfestival. Das war etwas wie werden, aber nicht gehört – „Children should be der Grand Prix de la Chanson d’Eurovision, aber seen and not heard.“ Ich habe früher gesagt: Rund- klein und innerhalb Deutschlands. Ich habe die funkansager sollen gehört werden, aber nie gese- Vorauswahl für Hamburg gemacht und irgendeiner hen. Das gilt für mich auch. Ich war überrascht, hat das gesehen und gesagt: „Oh, das wäre viel- dass die Leute auch mein Gesicht akzeptiert haben. leicht was für eine Sendung.“ Ich habe mit der Meine Stimme war einigermaßen okay dressiert, NDR-Unterhaltungsabteilung gesprochen und dar- aber mein Gesicht? aus ist die Idee „Studio B“ entstanden. Wir wussten Hat der erfahrene Hörfunkmann Chris Howland keinen Titel und weil in Köln meine Funksendung 1953, als er zum ersten Mal in diesem kleinen hieß „Spielereien mit Schallplatten“ – das war für Fernsehstudio mit einer Kamera im Bunker war, einen Ausländer schwer genug – habe ich das im- geahnt, was aus diesem Medium werden würde? mer „Spiegelei mit Schallplatten“ oder „Studio Acht“ genannt. Das habe ich, weil eine Acht ist ein Das war immer ganz klar, dass das Fernsehen ein halbes B oder ein B ist eine halbe Acht. Wir nah- wichtiges Medium war. Meines Erachtens nach ist men das, weil das von Studio B in Lokstedt kam, Funk ein besseres Medium, aber das ist nur für dem noch nicht fertigen Gebäude in Lokstedt. Die mich. Ich sage immer – es ist keine Erfindung von Form der Sendung war etwas anders, als was ich mir -, dass Funk besser ist, weil die Bilder besser bis dahin gemacht habe, weil es war deutsch. Alles sind. In anderen Worten, wenn man eine Funksen- war deutsch. Ob das amerikanische Musik war oder dung hört, dann muss die eigene Fantasie arbeiten. aus England. Gesungen wurde in Deutsch. Im Fernsehen hat man alles, da bleibt nichts übrig für die Fantasie. Die Fantasie kann schlafen gehen, Es waren deutsche Künstler, die aufgetreten sind? alles wird serviert. Deswegen wurde mir klar, dass Meistens deutsche Künstler. Aber wir haben natür- Fernsehen eine Sache der Zukunft würde, aber die lich, als die Popularität der Sendung größer wurde, Richtung, in die Fernsehen gegangen ist, konnte haben wir natürlich auch internationale Leute ge- kein Mensch ahnen damals. Was Fernsehen heute habt, aber die haben deutsch gesungen. bringt, hat Funk auch in seinen besten Zeiten nicht gebracht. „Vorsicht Kamera“ Ihre Popularität in Deutschland hat in der Zeit, in Woher kam das Vorbild für die Fernsehreihe „Vor- der Sie in Großbritannien gearbeitet haben, nicht sicht Kamera“? gelitten. Sie haben weiter für den WDR Sendungen gemacht. Wurden die in London produziert? Von einem Mann namens Allen Funt. Er hatte diese Idee für eine Funksendung, Leute in eine unge-

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wöhnliche Situation reinzubringen und ihre Reakti- War es der Vorwurf, dass Sie arglose, einfache on – damals mit einem Mikrofon – aufzunehmen. Menschen für das Fernsehen reinlegen und ausbeu- Als ich 1961 zurück nach Deutschland kam, hatte ten? ich eine LP – das ist eine Langspielplatte, man hat Ja, ja, das war praktisch der Grund. Okay, wir ha- das vergessen – von dieser Sendung „Candid Mi- ben ein paar Leute reingelegt, aber wir haben sie ke“. Der Lockvogel für diese Funksendung war nie in eine Situation gebracht, wo sie in Gefahr Jonathan Routh, sein Sohn ist übrigens Fernsehka- waren oder wo sie verletzt wurden. Alle haben meramann beim Hessischen Rundfunk. Jonathan später ihre Unterschrift gegeben, sonst hätten wir Routh war hervorragend gut und ich brachte diese das nie senden können. Ich glaube, eine Person Platte zurück nach Deutschland. Der Bruder meiner oder zwei haben in den zwei Jahren, die wir „Vor- damaligen Freundin, Helli Pagel, den hat die ganze sicht Kamera“ gemacht haben, aus guten Gründen Idee fasziniert. Ich habe gesagt: „Das ist auch eine verweigert. Einer war Geschäftsführer von einer Fernsehsendung.“ Wir haben die Sendung nie ge- Riesenfirma und er sagte: „Wenn das gesehen wird, sehen. Wir dachten, wir könnten vielleicht hier kann ich die Koffer packen.“ etwas ähnliches tun. Helli und ich. Später dann kam Das kann man verstehen. ein Produzent dazu und wir sind zum Westdeut- schen Rundfunk gegangen und die haben gesagt: Absolut, wir haben es nicht gesendet. Wir haben „Machen Sie eine Pilotsendung.“ Wir sind auch den Film an Ort und Stelle aus der Kamera geholt reingestolpert, weil wir haben die Sendung prak- und ihm gegeben. Die Sendung war wieder eine tisch nie gesehen, deswegen tapsten wir ein biss- Sensation. Aber zwei Jahre – zack, aus! chen im Dunkeln herum. Dann später haben wir Sie sind in der Reihe „Musik aus Studio B“ wirk- Ideen von England bekommen und die haben Ideen lich mit einem Rollkragen aufgetreten. Sie haben von uns übernommen. also nicht nur vom „Rollkragenfernsehen“ gespro- chen, sondern haben es tatsächlich gemacht. Taten Sie das aus ästhetischen Gründen? Ich kriegte Schwellungen am Hals, die mussten weggeschnitten werden. Der Arzt hat zu mir gesagt: „Sie dürfen keinen Kragen tragen, weil das reibt.“ Deswegen habe ich dann diese Pullis aus England geholt, die konnte man in Deutschland überhaupt nicht kaufen. Das waren die fünfziger Jahre. Un- bewusst wurde das wieder eine Showbusiness- Mode. Andere fingen an, Rollkragen zu tragen. Ich glaube, ich besitze ein paar Hemden, aber es ist selten, dass ich ein Hemd trage. Im Sommer, ja klar. Aber das ist kein Markenzeichen, ich finde Rollkragen bequemer. Das Team von „Vorsicht Kamera“ 1962 Probleme mit dem deutschen Dresscode Aber die Sendereihe „Vorsicht Kamera“ ist nicht Bei der Produktion von „Musik aus Studio B“ lange gelaufen. Es gab Schwierigkeiten im West- haben Sie im Hotel Atlantik oder im Hotel Vier deutschen Rundfunk mit einem Gremienmitglied, Jahreszeiten gewohnt. War es schwer, dort ein mit Erich Mende, der damals Vizekanzler dieser Zimmer zu kriegen, wenn man keine Krawatte hat- Republik war. te? Ja, wenn der Vizekanzler irgend etwas sagt, das hat Die haben mich aus der Bar rausgeschmissen. Das ein Gewicht. war ein Ding. Zuerst war der Barkeeper da und hat Was hatte Herr Mende gegen die Sendung? gesagt: „Ich kann Ihnen nicht servieren.“ „Ich will Die Sendung ginge zuviel auf die Privatsphäre von nur ein Bier.“ „Nein, können Sie hier nicht trin- Leuten. Die hat irgendwie ihr Privatleben, ihre ken.“ „Wo kann ich das trinken?“ „Draußen in den Privatrechte verletzt. Wenn man eine Sendung Korridor können Sie gehen.“ Dann bin ich draußen loswerden will, dann findet man einen Grund. Ich in den Korridor gegangen und habe mein Bier glaube aber nicht, dass Erich Mende persönlich das getrunken und bin zu dem Geschäftsführer getan hat. Ich habe viele Jahre später mit ihm – nur gegangen und habe mich beschwert. Der hat gesagt: telefonisch – gesprochen und er sagte, das wäre „Gut, dann haben wir beide einen Fehler gemacht. schade. Er konnte nichts anderes machen. Ich war Wir sind quitt.“ Ich habe den Fehler gemacht, dass vor meiner Zeit. ich in die Bar gegangen bin und der Barkeeper hat einen Fehler gemacht insofern, dass seine Art und

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Weise mit mir zu reden, nicht so gut war. Und da Ja, man kriegt irgendetwas auf den Deckel für eine haben sie sich dann gerechtfertigt. Aber dann spä- Sache, das man eigentlich nicht gemacht hat. ter, der gleiche Mann hat die Esther Ofarim rausge- Sie haben dann versucht, mit dem ZDF in Kontakt schmissen, weil sie in einem Hosenanzug reinging. zu kommen. Ich glaube, das war eins zuviel. Ich glaube, dann ist Das war vorher. Vorher habe ich versucht, mit dem er weg. ZDF in Kontakt zu kommen. Ich habe bis jetzt kein Daran kann man sehen, wie viel sich verändert hat. Wort über Sigmar Börner gesagt. Sigmar Börner Ja, ich habe als Künstler da auftreten müssen in war der Regisseur von „Studio B“. Er war ein bril- einem von diesen zwei Hotels in Hamburg. Ich lanter Regisseur und Redakteur. Er hat die Musik habe eine weiße Smokingjacke und alles ganz nor- ausgesucht. Jede Sendung hat ein Thema gehabt, mal und dann einen schwarzen Pulli. Ich war sei es Weihnachten, sei es Sommerfest, sei es dies Künstler, das war mein Künstleroutfit. Durfte aber und das und das. Er hat nette Themen ausgesucht nicht ins Restaurant gehen. Die haben gesagt: „Ja, und jedes Lied ist irgendwie ineinander gegangen, wir werden Ihnen gerne servieren in der Rezeption das war sehr lieb und nett. Wir beide haben die vom Hotel. Aber Sie dürfen nicht ins Restaurant gleichen Schwierigkeiten gehabt. In anderen Wor- gehen ohne Schlips.“ Ich habe andere Dinge erlebt ten: Man kann nicht arbeiten, wenn man unter ei- mit Doppelzimmern. Ein amerikanischer Star hat nem Druck ist, wenn dauernd erzählt wird: „Ihr versucht, ein Doppelzimmer mit einem anderen seid so schlecht.“ Wir sind zum ZDF gegangen, amerikanischen Star zu haben und ich stand hinter aber das hat nicht geklappt. Ich weiß auch nicht den beiden. Und der an der Rezeption hat gesagt: warum, vielleicht ging das auf einer Ebene, ein "Sind Sie verheiratet?“ Und er sagte: „Is that neces- öffentlich-rechtlicher Sender wollte nicht den ande- sary?“ Und da sagte der Rezeptionist: „We`re in ren ... Wer weiß? Alles, was hinter den Kulissen , not America.“ Die mussten zwei Einzel- passiert, kriegen wir nie zu hören. Das hat nicht zimmer nehmen und durch die Korridore laufen. geklappt. Wir haben weitergemacht in Hamburg, Blöd! bis ich von mir aus gesagt habe: „Jetzt habe ich Die NDR-Fernsehsendung „Musik aus Studio B“ genug.“ Und Sigmar hat weitergemacht mit Peter lief neun Jahre und wurde 1970 eingestellt. Woran Fröhlich, der war der Schauspieler, Österreicher, lag das aus Ihrer Sicht? Hatte das Konzept sich ganz netter Kerl, aber der ist auch irgendwie, ir- überlebt? gendwann ausgestiegen. Die Sache ist irgendwie im Sande gelaufen. Das hat man weitergemacht. Ich habe ein Privat- problem gehabt mit dem damaligen Unterhaltungs- chef, der mittlerweile gestorben ist. Er kann nicht Das vorläufige Ende einer Karriere antworten und deswegen werde ich keine Attacke Wie wird man mit so einer Situation fertig? jetzt gegen ihn machen. Na ja, das ist das Ende der Welt. Ich war unten auf Das ist fair. Mallorca, habe ein Hotel gebaut und da ist genug Das ist fairer, als er zu mir war. Auf jeden Fall. Das Gelegenheit bei schlechtem Wetter in eine Kneipe ging nach meinem Prinzip: Ich kann Leute nicht zu gehen und zu versuchen, die Sorgen wegzutrin- unterhalten, wenn ich selber nicht innerlich heiter ken. Es müssen sehr viele Leute Sorgen gehabt bin. Wenn man down ist, dann hat man keine Lust haben, denn da fand ich immer genug Leute. Ich mehr, das zu tun. So war es mit „Studio B“, dass muss sagen, das war nicht schlecht, die Zeit. Da ich gesagt habe, ich möchte meinen Vertrag nicht hatte ich nichts außer dem Hotel und später dann verlängern, wenn es zu Ende kommt. Das war, ich ging das auch in Schwierigkeiten. Nicht finanzielle glaube 1969. Die haben das akzeptiert. Dann hieß Schwierigkeiten, aber für mich Schwierigkeiten. es: „Ach, machen Sie es bitte.“ Ich habe gesagt: Ich habe die Endstation erreicht. In anderen Wor- „Ja, vielleicht.“ Aber dann kam das Ende. Ich bin ten: Da war ich derartig am Boden, dass weiter nach Mallorca gegangen und war sehr enttäuscht. runter ging es nicht. Ich glaube, der Louis Arm- Das war ein Höhepunkt, das Publikum wünschte strong hat ein Lied darüber gesungen: „When nicht, dass die Sendung zu Ende ging. Es ist wei- you´re down, the only way´s up“. Wenn man ganz tergelaufen die Sendung. Fünf Jahre weiter. unten ist, man hat kein Geld und lauter Leute Aber nicht mit Ihnen. kommen und sagen: „Du schuldest mir das und das und das.“ Was manchmal nicht der Fall war, aber Ohne mich. die haben es gesagt und ich konnte nur einfach Welche Gründe dafür auch immer verantwortlich sagen. „Okay, was willst du denn haben? Die Jacke waren, Herr Howland, ich ahne, dass es für einen verkaufe ich dir.“ Wenn du nichts hast und du gehst Menschen schwierig ist, so populär zu sein und die Straße entlang, guckst in die Schaufenster, was keine Sendung mehr zu haben, nicht mehr auf dem du nicht kaufen kannst, das ist ein schönes Gefühl. Schirm zu sein.

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Das hat mir gut getan. Ich habe sechs Monate viel- war dieser Erfolg nicht so groß. Wie erklären Sie leicht gelebt mit fünf Mark pro Tag, inklusive Un- Ihren ungeheuren Erfolg hier in diesem Lande? terkunft: Für mein Zimmer, für Hamburger, Rasier- Ich bin nicht die Person, das zu analysieren, finde klingen. Das Zimmer hatte überhaupt keine Möbel ich. Sagen wir, dieser „Rollkragen-Approach“, drin, ich hatte eine Schaumzeugmatratze als Bett diese lockere Art, alles zu verkaufen, egal was. auf dem Boden. Ich hatte Null. Und das war nicht Diese lockere Art kommt gut an und besonders, schlecht. Mir wurde klar, dass es keine Lösung für wenn man Dinge in Funk oder Fernsehen tut. Wenn immer war. Aber in der Zeit habe ich sehr viel eine Schellackplatte mir nicht gut gefallen hat im gelernt. Ich habe nicht getrunken, weil ich kein Fernsehen, habe ich das Ding von dem Plattenteller Geld hatte. Plötzlich, eines Tages habe ich gedacht: genommen und – zack – auf meinem Kopf kaputt- „Stop. Genug. Du gehst zurück nach Deutschland.“ geschlagen. Ich meine die Platte, nicht den Kopf. Mit Mühe und Not habe ich den Flug bekommen All diese Dinge, die ich mich gewagt habe, was und bin zurück nach Deutschland gekommen und eigentlich jede normale Person tut zu Hause. Viel- die Leute haben mich empfangen, als ob ich nie leicht war es diese Art. Ich habe England keine gute weg gewesen wäre. Das war wieder ein Schock, Chance gegeben, ich hätte länger dableiben sollen, aber ein positiver. Mein Fuß guckte durch die wenn ich da meine Zukunft sah. Aber hier habe ich Schuhe, das ist kein Witz. Ich habe alles erlebt. Ich Filme gemacht und da wollte ich nach Hollywood. sage es nur so, wie es war. Ich will kein Mitleid, Mein Wunsch war Hollywoodstar. Komiker, nicht um Gottes willen. Deswegen habe ich gesagt, die Liebhaber. Deutschland ist leider eine Einbahnstra- Zeit war nicht schlecht. Dann ging es bergauf, ich ße: Alles kann reinkommen, inklusive mich, aber habe meine Frau kennen gelernt. Und langsam ging wenig kommt raus. Ich rede nicht von der klassi- alles prima und besser als je. Ich habe alles im schen Musik, da hat Deutschland ein absolutes Showbusiness entweder gelernt oder mitgemacht. Monopol, mit Beethoven, Bach etc. Aber mit dieser Popmusik, mit Fernsehen und auch mit Büchern, Der Moderator als Sänger sehe ich jetzt, das alles reinkommt, aber von hier ins Ausland zu kommen – klick – aus! Sie waren auch als Schlagersänger populär. War das schon damals der Versuch, eine populäre Ra- Aber einen Teil des Erfolgs kann man doch sicher dio- und Fernsehfigur auch auf Schallplatte zu auch darauf zurückführen, dass diese Radiostimme vermarkten? Oder wie sind Sie zu diesen Schlager- von Chris Howland mit diesem leichten britischen erfolgen gekommen? Akzent, mit der Lebhaftigkeit und der direkten An- sprache etwas war, was es sonst nicht gab. Ich war Discjockey und die meisten Leute, die erfolgreiche Platten gemacht haben, konnten nicht Wenn ich das nicht getan hätte, hätte jemand anders singen. Die Zeit des schönen Singens war Kokolo- das gemacht. Dass meine Stimme einen Wiederer- res, war vorbei. Ich dachte: „Ich bin musikalisch, kennungswert hat, ist natürlich ein Vorteil. Ich habe ich kann mindestens ein Lied singen.“ Wenn ich nichts damit zu tun. Mit anderen Worten: Ich rede ein ‚e’ singen muss, dann singe ich ein ‚e’. Ich kann nur und Leute erkennen mich sofort. Das ist natür- den Ton treffen. Wer einen Ton treffen kann, mei- lich ein Plus, aber ich bin der Meinung, dass es nes Erachtens nach, ist in der Lage, eine Hit-Platte nicht wichtig ist, wie man etwas sagt. Die Stimme zu machen, so lange das Lied in Ordnung ist. Und ist nur eine Visitenkarte, aber was draufsteht oder das habe ich mir gedacht, wenn die anderen das was diese Stimme sagt, ist auch wichtig. Zum Bei- machen können, kann ich das auch. Ich habe ver- spiel man trifft eine Frau, sie sieht so herrlich aus, sucht und versucht und versucht und alle haben so wunderhübsch und sie macht ihren Mund auf gelacht und gesagt: „Nein, nein, nein“. Endlich hat und redet so mit einem Dialekt … Mit anderen Electrola hier in Köln, der Hans Bertram, hat mir Worten: Schönheit oder Wiedererkennungswert ist meine erste Chance mit „Fraulein“ gegeben. „Frau- nur für die ersten paar Sekunden wichtig. Auf die lein“, das war ein Country- und Western-Hit in Dauer muss man was bringen. Amerika. Ich habe die deutsche Version gemacht. Nach dieser Karriere in Hörfunk und Fernsehen Das wurde ein großer Erfolg, ich habe das nur und auf Schallplatte leben Sie nach wie vor in der getan als, um zu sehen, ob das klappt oder nicht. Es Nähe von Köln. Fühlen Sie sich in Deutschland zu hat geklappt. Ich singe immer noch heute und im- Hause? Um es mit einem altmodischen Begriff zu mer noch über dieses „Fraulein“. Ich würde sagen, fragen: Wo ist Ihre Heimat? In Deutschland oder ich habe mehr gearbeitet als Sänger, als alles ande- in Großbritannien? re. Die Frage ist gut. Ich habe mir selber die gleiche Sie haben in Deutschland enormen Erfolg gehabt Frage gestellt. Ich muss ohne weiteres sagen, dass als Radiomoderator und als Fernsehmoderator. Sie meine Heimat Deutschland ist. Ich bin hier zu Hau- haben Fernsehsendungen entwickelt auf der Basis se. England, wie ich England kenne, ist nicht mehr. von Hörfunkkonzepten. In Großbritannien selber Das existiert nicht mehr.

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Sie haben mal gesagt: „Ich bin ein Engländer von che, die ich machen muss. Ich bin jetzt dreiund- damals.“ siebzig. Ich habe immer noch ein bisschen Zeit, Ja, das ist wahr. Meine Vorstellung von England ist diese Sache zu erobern. höchstwahrscheinlich alt. Wenn ich nach England gehen würde, dann würden die Leute sagen, der Kontinuität im deutschen Rundfunk? lebt in einer anderen Welt. Der lebt von gestern, Sie haben freundlicherweise Ihr Alter genannt. Ihre irgendwie „back to the roots“. Ich habe immer noch erste Radiosendung in einem deutschen Sender ist das Gefühl, möchte gerne doch ein kleines Cottage 1952 ausgestrahlt worden, Ihre erste Fernsehsen- irgendwo im Grünen haben, mit einem Hund und dung 1953, in einer Zeit, in der es nur ein Mittel- Obstgarten und einem Pub in der Nähe und all wellenradioprogramm gab in Nord- und West- diese Dinge. Aber bis ich das gefunden habe, glau- deutschland. UKW war erst ganz langsam in der be ich, bin ich nicht mehr in der Wiese, sondern Entwicklung. Die einzigen Konkurrenten waren unter der Wiese. BFN und AFN. Als Sie anfingen, Fernsehen zu machen, hatten Sie fünfhundert Zuschauer. Es gab „Happy Days“ in der Zeit „Musik aus Studio B“ nur dieses eine Sie haben 1995 ein Buch veröffentlicht mit dem Fernsehprogramm der ARD, das ZDF kam einige Titel „Happy Days“. Ein autobiographischer Text, Jahre später dazu. Heute gibt es dreißig Radiopro- keine Autobiographie, mit nachdenklichen und gramme auf UKW, über dreißig Fernsehprogram- kurzweiligen Texten. Außerdem arbeiten Sie an me im Kabel. Sehnen Sie sich nach der guten alten zwei Büchern. Im Privatleben sprechen Sie eng- Zeit zurück, wo Sie mit Ihren Programmen konkur- lisch. Arbeiten Sie an zwei Büchern in englischer renzlos waren, weil es nichts anderes gab? Hat sich Sprache für den englischen Markt? aus Ihrer Sicht etwas verändert in diesen fünfzig Jahren? Eins war für den deutschen Markt. Das war so eine Detektiv-James-Bond-Persiflage. Die haben zu mir Ja, wir haben uns beide verändert. Das heißt, die gesagt: „James Bond ist nicht mehr aktuell.“ Aber Entwicklung von einem Programm zu vielen, und letzte Woche fingen die an zu drehen, den zwan- ich habe mich auch entwickelt, vielleicht in eine zigsten Film von James Bond. Das Buch ist in einer andere Richtung. Ich weiß, dass überall, wo ich Schublade. Das andere ist für den englischen heute hingehe, Leute „Studio B“ rufen. Ich finde es Markt, wir haben schon diskutiert, warum ich das für meine rein persönliche Meinung schade, dass tue. Das ist irgendwie ein Hang, den ich habe. Ich ich so wenig Geld bekommen habe, damals für kann kein Deutsch schreiben, meine Frau muss jede dieses „Studio B“ und auch für „Vorsicht Kamera“, Zeile korrigieren. Dem, die, dessen und all diese wenn man sieht im Vergleich, was Leute heute Dinge, die ich leider nicht beherrsche. Ich lerne verdienen, die ungefähr tun, was ich früher ge- jetzt, wie arrogant meine Landsleute sind, weil ich macht habe. Ich sage nicht besser oder weniger kriege arrogante Antworten. Die wissen nicht, besser. Das steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich erstens, dass ich ein alter Herr bin, die glauben bin kein Millionär – okay, ich bin dreimal geschie- vielleicht, dass ich Mitte dreißig bin. Aber diese den, das hilft auch nicht, aber selbst dann, selbst derartige Arroganz. Die sagen: „Wir haben genug ohne das – diese astronomischen Zahlen, die die Autoren.“ Und meine Antwort wäre: „Aber haben heute bekommen. Das ist das einzige, wo ich sagen Sie genug gute Autoren?“ Das ist ein Unterschied. kann, vielleicht war ich, wie Erich Mende gesagt Das ist das erste Mal, dass ich einen sehr starken hat, doch vor meiner Zeit. Aber sonst … Man kann Widerstand finde. Aber, je mehr Widerstand, desto jeden Tag Fernsehen machen und es gibt Tausende, mehr schiebe ich von meiner Seite. Mit meinem wenn nicht Millionen Leute, die das nicht gesehen Buch „Happy Days“ wollte ich keine Autobiogra- haben. phie schreiben, sondern mehr Geschichten mit Das hat sich verändert. starkem autobiographischen Einfluss. Das Buch ist Früher war es anders: Man ist im Fernsehen und okay gegangen, aber meines Erachtens nach heute oder morgen sagen alle: „Das war schön“. braucht das Publikum mehr Fleisch. Ich muss Heutzutage ein großer Star zu werden, ist viel höchstwahrscheinlich lernen, ein bisschen eckiger schwerer, weil man viel länger braucht. Ich glaube zu sein, nicht so glatt schreiben. Vielleicht muss ich Thomas Gottschalk und Günther Jauch, die zwei lernen, irgendetwas zu schreiben, was nicht hun- sind höchstwahrscheinlich die letzten Stars auf dertprozentig von mir kommt, aber das ist Showbu- diese Art und Weise. Alles andere sind Eintagsflie- siness. Vielleicht muss man dann wieder irgendet- gen. Selbst die jungen Damen – ich nenne keine was sein, das man nicht ist, um die erste Namen – die großen Erfolg jetzt haben und auf dem Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann kann man Titelblatt aller Zeitungen sind. In zehn Jahren wer- später sanft übergehen zu dem, was man in Wirk- den sie Schwierigkeiten haben. Das tut mir leid. lichkeit schreiben will. Das ist meine nächste Sa-

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Hoffentlich haben die genug Geld heute verdient, das die kleine Kunstwerke sind. Da gibt es eine um, sagen wir, in eine andere Richtung zu gehen. Food-Sendung jetzt, von morgens bis abends wird Die ganze Szene hat sich verändert. Aber ich glau- gekocht. Das ist enorm. Das ist ein Teil von BBC. be auch, dass, wer irgendetwas geben kann zu sei- Die Entwicklung ist anders geworden. Alles wird nem Publikum – und was das Publikum braucht, getestet. ich glaube, ist Menschlichkeit und eine gewisse Die entscheidende Gruppe sind die Vierzehn- bis Wärme – dann ist es egal, wie viele Sender es gibt. Neunundvierzigjährigen, weil die für die Werbe- Es wird länger dauern, aber die werden auch länger wirtschaft interessant sind. bleiben. Was für mich heute quasi unbezahlbar ist, Ja, das ist aber furchtbar und alle halten sich dran. ich habe keine Hitplatte, ich habe keine Fernseh- Auch die, die von der Werbung eigentlich nicht sendungen, eigentlich tue ich nichts, aber die Leute beeinflusst werden sollen, d.h. die ARD. Wir zah- freuen sich immer, wenn sie mich sehen, und die len Rundfunkgebühren, wir müssen. Und ARD und rufen „Pumpernickel“. Als ob ich eine große Figur ZDF, meines Erachtens nach, sollen die dann eine bin im Fernsehen. Und das bin ich nicht. Alternative bringen zu dem, was die anderen brin- Aber Sie waren es. gen. Ich sage immer, wenn wir das Private diskutie- Okay. Das Publikum ist immer noch so lieb und ren, wenn der Werbeleiter einer Waschpulverfirma höflich zu mir, obwohl, wie gesagt, ich in der letz- zu dem Fernsehsender sagt: „Ihre Sendung gefällt ten Zeit nichts Besonderes gemacht habe. Das ist mir nicht. Ich nehme meine Waschpulverwerbung ein Beweis, dass ich irgendetwas Gutes gemacht weg.“ Ist dieser Werbeleiter von der Waschpulver- habe. Deswegen ist mein deutsches Publikum für firma eigentlich indirekt der Unterhaltungschef von mich ein irrsinnig treues Publikum. Ob die Englän- diesem Sender. Er ist der Programmdirektor des der so sind oder nicht, weiß ich nicht. Aber in Senders. Er bestimmt, was gesendet wird. Und die Deutschland – auf jeden Fall – Kompliment! grauen Panther wie ich werden draußen gelassen. Fünfzig Jahre Rundfunk- und Fernsehgeschichte – Das ist eine Entwicklung, die ich in England nicht programmgeschichtliche Anstöße sind mit Ihrem sehen kann. Ich sage, das ist nicht amtlich, bis jetzt Namen verbunden. Sie haben beim NWDR ange- habe ich das nicht gesehen. fangen, dem Sender in der britischen Besatzungs- Aber der „graue Panther“ Chris Howland hat doch zone, der nach dem Vorbild der BBC konzipiert einen kleinen Ausflug zu einem kommerziellen wurde. Aus diesem NWDR sind NDR, WDR und der Radioveranstalter gemacht. Sie waren bei Radio Sender Freies Berlin hervorgegangen. Haben Sie Schleswig-Holstein. eine Meinung zu diesen fünfzig Jahren Entwick- Ja, da habe ich wieder ein Experiment gemacht im lung, wenn Sie das mit der Entwicklung der BBC Funk, weil ich so viele böse Briefe bekommen vergleichen? War das eine parallele Entwicklung? habe, dass ich mich wegen meinem Deutsch in den Gibt es eine Tradition der BBC, die Sie heute noch Keller verbannt habe. Und ich habe so zusammen im deutschen Rundfunk- und Fernsehsystem erken- mit der Jingle-Core im Keller gelebt in der Fantasie nen? und da habe ich Fantasiefunk gemacht. Das ist gut Da tapse ich ein bisschen im Dunkeln, weil ich höre angekommen. Ja, ich habe das gemacht und das nur die BBC. Jeden Tag, das ist ein wichtiger Teil würde ich gerne machen. Ich habe überlegt, ob ich dieser Stunde, die ich jeden Tag im Bett liege mit nicht in das Internet gehen würde nächstes Jahr mit einer Tasse Tee und ich höre dann alles, was in meiner eigenen Sendung. Eine Stunde pro Tag England passiert und auch in der Welt, durch die Quatsch machen – oder nicht Quatsch. Wenn es BBC serviert in einer fantastischen Art und Weise. soweit ist mit dem Internet, dass es nicht zu teuer Ob das auch mit deutschem Rundfunk das gleiche wird, so etwas zu machen, das werde ich dann in ist, darauf kann ich keine Antwort geben. Oder zum Englisch machen und dann weltweit. Beispiel das Fernsehen: Wenn wir deutsches Fern- Herr Howland, ich danke Ihnen herzlich für dieses sehen anschauen, ob die BBC besser ist – das kann Gespräch. ich nicht sagen. Es gibt manchen Sender in Eng- land, nicht BBC, die hervorragende Sendungen Peter von Rüden führte das Interview am 24. bringen, besonders Comedy-Sendungen und die Januar 2002. Soaps. Manche sind so gut und so clever gemacht,

NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR 37 Zur Person: Heinz Werner Hübner

geboren am 18. April 1921 in Potsdam von 1927 bis 1939 Schulbesuch in Potsdam, Abitur danach bis 1945 Arbeitsdienst und Wehrmacht nach Kriegsende im Lazarett, danach freiberuflicher Journalist in Hamburg wird am 15. Oktober 1946 Nachrichtenredakteur beim NWDR in Hamburg ab April 1949 Dienstleiter Nachrichten im NWDR, zusätzlich Mitarbeiter bei verschiedenen Tageszeitungen und den Sendungen „Echo des Tages“ und „Umschau am Abend“ des NWDR 1954 erscheint sein Roman „Das Floß der Vertriebenen“ über das Kriegsen- de in Ostpreußen nach der Auflösung des NWDR als Dienstleiter Nachrichten beim WDR in Köln tätig wechselt 1963 zur Deutschen Welle (Ressort Außenpolitik), beteiligt an zeitgeschichtlichen Fernsehdokumentationen („Der Erste Weltkrieg“, „Reichswehr und Wehrmacht“, „1932 – ein deutsches Jahr“) ab Mai 1966 stellvertretender Leiter des WDR-Fernsehstudios in Bonn zwischen 1967 und 1972 stellvertretender Chefredakteur Fernsehen des WDR (unter anderem verantwortlich für „Weltspiegel“) danach Koordinator Politik, Gesellschaft und Kultur in der Programmdirek- tion Deutsches Fernsehen der ARD tritt 1977 die Nachfolge Werner Höfers als Programmdirektor des WDR- Fernsehens an Heinz Werner Hübner ist seit 1985 pensioniert

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„Man muss in einem Programm darauf achten, dass es nicht nur eine Meinung gibt.“

Heinz Werner Hübner über die Notwendigkeit fundierter Geschichtskenntnis und die Gefahr der Nachrichtenverwässerung im Gespräch mit Peter von Rüden

(Peter von Rüden) Herr Hübner, Sie wurden am 18. Gab es eine innere Verbin- April 1921 in Potsdam geboren, sind also eigent- dung? lich Preuße. Das Ende der Weimarer Republik und Ja. Andere hingegen guckten den Beginn des Nationalsozialismus erlebten Sie weg. So etwas registrierte man als Schüler. Welche persönlichen Erinnerungen als Junge. Außerdem wurde in haben Sie an diese Phase der deutschen Geschich- den Familien natürlich viel über te? Politik gesprochen. Ich erinnere (Heinz Werner Hübner) 1933 war ich zwölf Jahre mich noch an eine Geschichte, alt. Schon damals interessierte ich mich für Politik. die sich allerdings nach 1933 Ich las sehr viel Zeitung und eine meiner frühesten zutrug: Meine Eltern waren mit Erinnerungen ist, wie mein Vater im Wohnzimmer einem Redakteur der damaligen an dem Radioempfangsgerät mit Kopfhörer saß und Potsdamer Tageszeitung be- der Beerdigung Stresemanns zuhörte. Das war kannt. Es fand wieder eine 1929. Aber direkte Erfahrungen mit dem politi- Wahl statt und meine Eltern schen Geschehen der Weimarer Republik habe ich saßen, das haben sie mir später als Zehn- oder Zwölfjähriger nicht gemacht. erzählt, unter anderem mit Haben Sie als Zwölfjähriger diesen Übergang ins diesem Redakteur zusammen in Dritte Reich bewusst miterlebt? einem Restaurant. Er sagte dann, dass er noch einmal in die Ja natürlich. Auch das ganze Jahr 1932 habe ich Redaktion müsse. „Ich möchte schon sehr bewusst erlebt. Es fanden drei Wahlen wissen, wie viel Prozent wir statt, die in Berlin und in vielen Großstädten – zum haben, ob es 93 oder 94 sind“. Teil auch auf dem Lande – ja auch auf der Straße Einen Tag vor der Wahl schon. ausgetragen wurden: Zwischen den Kommunisten auf der einen und den Nationalsozialisten auf der Die Wahlergebnisse waren anderen Seite. Ich kann mich in diesem Zusam- gefälscht. War denn Ihr Eltern- menhang an ein anderes Ereignis erinnern: In den haus politisch geprägt? großen Ferien war ich bei Verwandten in der Nähe Nein, nicht sehr. Mein Vater war sicherlich von Hamburg zu Besuch, als der so genannte Alto- deutsch-national. Er war in der frühen Phase der naer Blutsonntag stattfand. Diese Begebenheit Weimarer Republik sicherlich ein Sympathisant der erregte natürlich viele Menschen in meinem Um- DVP, also Deutsche Volkspartei. feld, also die erwachsenen Freunde und Bekannten Eher national-liberal? meiner Tanten und Onkels redeten darüber. Auch So ist es. Aber er war nie in einer Partei und nicht als Junge bekam ich also schon mit, dass da etwas politisch engagiert. im Gange war. An den Wahlabenden haben wir immer Radio gehört: Es wurde stundenlang berich- Sie waren bis 1933 in einer bündischen Jugendor- tet, wie viel Prozent und wie viele Stimmen diese ganisation. Was war das für eine Organisation? und jene Partei hatte. Man war schon politisch Es gab unendlich viele. Ich war in der „Freischar involviert, möchte ich mal sagen. Man konnte dar- junger Nation“. In meiner Klasse im Realgymnasi- an gar nicht vorbeigehen. Dann erinnere ich mich, um waren wir 35 oder 36 Jungs. Vor 1933 waren dass das Infanterie-Regiment 9 im August 1932 davon zwei Drittel „organisiert“. In der Regel han- vom Manöver zurück nach Potsdam kam. Meine delte es sich um nationale Vereine oder Bünde für Eltern wohnten damals am Jägertor und an der die Jugend eben. Dann gab es eine Scharnhorst- Kaiser-Wilhelm-Straße war das SA-Lokal. Die Jugend, das war die Jugendorganisation der Mannschaften und Offiziere, zum Teil beritten, Deutsch-Nationalen, die auch damals schon Uni- rückten wieder in die Kasernen ein. Die SA-Leute formen trugen. Die waren militärähnlich. In der brachten andauernd ein Hoch auf die Reichswehr Hitler-Jugend waren vor 1933 nur drei oder vier aus. Einige jüngere Offiziere grüßten wohlwollend von uns. Ich bin da eigentlich nur eingetreten, weil zurück. ein Freund von mir in der Freischar war. Ein ande-

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rer Schulkamerad war im Verein „Marine Jugend wäre. Viele sind eingetreten, um den Schein zu Vaterland“. wahren oder den Benachteiligungen auszuweichen, Klingt auch deutsch-national. die vielleicht zu erwarten waren, wenn man nicht organisiert war. In bestimmten Positionen war eine Sehr national war das. Die trafen sich im kaiserli- Mitgliedschaft wahrscheinlich unausbleiblich, wie chen Yachtclub. Da ich immer schon marinebegeis- zum Beispiel beim Lehrerberuf. Aber mir blieb das tert war und sehr viel auf der Havel mit dem Boot alles erspart. Ich wurde Soldat. unterwegs war, wollte ich eigentlich da eintreten. Aber der andere Freund hatte mich überzeugen Sie haben während des Krieges auf den Treffen der können. Hitler-Jugend englische Schallplatten gehört. Das war doch nicht normal? Gab es ein politisches Profil dieser Jugendorgani- sation, in der Sie vor 1933 waren? Einer der Jungs aus der Hitler-Jugend war etwas älter als ich. Er hatte Verwandte in England und Na ja, ein nationales Profil. fuhr in den Ferien in die Nähe von London, von wo Nach 1933 sind Sie in die Hitler-Jugend gekom- er Schallplatten mitbrachte. Damals hörte man men. Henry Hall, das war BBC. Eine Sendung war der Wir sind alle geschlossen in die Hitler-Jugend ge- Fünf-Uhr-Tee, den man im Radio hören konnte. kommen. Die Hitler-Jugend teilte sich: Bis 14 Jahre Auf diese Weise versuchten wir anders zu sein. war man im Jungvolk und über 14 kam man in die Swing hörten wir natürlich auch. Man rauchte – Hitler-Jugend. Ich kam also in das Jungvolk und wobei ich nicht rauchte – und legte die Schachteln die Älteren aus der bündischen Jugend gingen in in der Eisdiele auf den Tisch. Man trug auch lange die Hitler-Jugend. Als ich 14 wurde, ging ich in die Haare. Wir waren nicht politisch motiviert, sondern Marine-Hitler-Jugend. Das war in Potsdam eigent- wollten anders sein. lich eher ein Verein. Ja, und die Marine-Hitler- Sie haben BBC gehört, haben Sie auch den deut- Jugend verblasste, wenn die Tanzstunde begann. schen Dienst der BBC schon gehört? Dann ließ das Interesse an der Hitler-Jugend bei Nein. Und nachher war es im Krieg praktisch un- vielen – nicht bei allen – nach. Ich kann an dieser möglich. Stelle vorgreifen: Seit 1946 war ich im Hamburger Funkhaus tätig und dort fand auch eine Entnazifi- Das waren die so genannten „Radioverbrecher“, zierung statt. die das taten. Viele von ihnen wurden dafür auch mit dem Tode bestraft. Da sind Sie befragt worden? Sie waren von 1941 bis 1945 Soldat. Erinnern Sie Ja, in Gegenwart eines britischen Colonel, glaube sich noch an das Kriegsende im Mai 1945? Haben ich. Ich weiß nicht, ob er Emigrant war. Man wurde Sie das als Befreiung oder als Niederlage erlebt? einzeln befragt, auch Hugh Carleton Greene war dabei. Ich habe einen Roman geschrieben, der das letzte halbe Jahr des Krieges in Ostpreußen beschreibt: Der britische Chefkontrolleur für den Rundfunk. „Das Floß der Vertriebenen“. Als Soldat habe ich Ja. Der britische Offizier fragte mich, warum ich den Rückzug der deutschen Armee in Ostpreußen denn im Verein für das Deutschtum im Ausland, mitgemacht. Dort wurde ich verwundet und darauf- VDA, war. Da waren alle drin, bereits vor 1933. Es hin Ende März 1945 von Pillau aus mit einem gab vom VDA Heftchen, in die man Marken kleben Schiff nach Danzig auf die Reede gebracht, wo ich konnte, die man jeden Monat für fünf Pfennig kau- auf ein großes Hapag-Schiff umgeladen wurde, das fen konnte. Das erklärte ich also. Dann fragte der uns bis in die Nähe von Kopenhagen brachte. Von Offizier nach meinem Grund für den Eintritt in die Kopenhagen wurden wir in einen Lazarettzug nach HJ. „Wir sind alle eingetreten“, erklärte ich und er Deutschland gebracht. Die Reise endete dann in fragte nach politischen Impulsen oder Interessen, einem Lazarett in einer Schule in Hamburg- die man damit gehabt hätte. Ich sagte ihm, dass ich Farmsen, wo auch eine Tante von mir wohnte. damals 12 Jahre alt war. Daraufhin sagte Hugh Farmsen war damals noch ein Dorf, heute ist es ein Carleton Greene: „Nun ist es gut, nun ist es gut.“ Stadtteil von Hamburg. So war ich gleichzeitig im Damit war meine Entnazifizierung beendet. Lazarett und bei meiner Tante zuhause. Obwohl Herr Hübner, Sie waren nie Mitglied der NSDAP. mein Bein eiterte, fuhr ich per Anhalter nach War das Zufall oder steckte dahinter eine bewusste Schleswig, weil ich hoffte, dass aus meiner Batterie Entscheidung Ihrerseits? auch noch andere gerettet worden waren. Das war Ich wurde Soldat und hatte nie den Gedanken, in aber nicht der Fall. die Partei einzutreten, obwohl sich in den Jahren 1937, 1938 schon deutlich bemerkbar machte, dass man wahrscheinlich gewisse Vorteile hätte, wenn man in welcher Organisation auch immer Mitglied

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Kapitulation 1945 meinen Wohnsitz bei meiner Tante. Dann zog ich von der einen Tante in Farmsen zu einer anderen Wollen Sie damit sagen, dass aus Ihrer Batterie Tante nach Wellingsbüttel. Das war im Juli. So niemand überlebt hat? wurde ich plötzlich Hamburger und musste nicht Es haben etliche überlebt, gerieten aber in Gefan- um die damals übliche Zuzugsgenehmigung nach genschaft und kamen nach und nach zurück. Ich Hamburg bitten. Hamburger zu sein war wichtig, wurde nach meiner Entlassung aus dem Lazarett in um dort wohnen zu können und auch Lebensmittel- die Kaserne nach Rendsburg verlegt, wo ich am 5. karten und dergleichen zu bekommen. Mai 1945 die Kapitulation von Nordwestdeutsch- Das war das Jahr 1945. 1946 begannen Sie beim land erlebte. In dieser Kaserne waren alle mögli- Nordwestdeutschen Rundfunk. Ab wann war Ihnen chen Soldaten: Luftwaffe, Marine, Heer. Es waren klar, dass Sie Journalist werden wollten bezie- „vielfach Genesene“, wie es damals hieß. Unsere hungsweise werden mussten? Kapitulation spielte sich so ab, dass ein englischer Jeep mit vier Mann Besetzung kam. Wir mussten Ach, schreiben wollte ich eigentlich immer schon, dann auf dem Hof antreten. Dort befahl der briti- auch als ich noch Schüler war. Ich hatte auch wäh- sche Offizier dem Offizier, der das Kommando in rend des Krieges Zeitung gelesen. Es gab die der Kaserne hatte, dass er alle Waffen einsammeln „Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Das Reich“. und lagern solle. Die vier Mann fuhren wieder weg Diese Zeitungen bekam man auch während des und die Befehle wurden ausgeführt. Krieges mit der Feldpost. Aus dem „Reich“ war mir ein Wirtschaftsredakteur in Erinnerung geblie- Wissen Sie noch, was Sie fühlten, als die Nachricht ben, der damals aus Hamburg berichtete. Dieser der Kapitulation kam? Mann hieß Frankenfeld. Später wurde er Redakteur Das war zunächst einmal eine innere Befreiung, beim „Hamburger Anzeiger“, wenn ich mich recht weil zum Beispiel die Luftangriffe aufhörten. Ich erinnere. Dessen Nummer habe ich mir jedenfalls möchte hinzufügen, dass ich 1943 nach Stalingrad aus dem Telefonbuch herausgesucht und als ich ihn in einer – ich möchte mal sagen – sehr intelligent anrief, sagte er mir, dass die Berufsvereinigung zusammengesetzten Batterie war: sehr viele Berli- Hamburger Journalisten gegründet würde. Außer ner und etliche Intellektuelle, die meisten waren dem britischen Militärblättchen gab es noch keine älter als ich. Viele hatten also die Weimarer Zeit in Zeitungen in Hamburg. Bei dieser Gründung trafen Berlin miterlebt. Richtige Nazis hatten wir in der sich etwa 50 oder 60 Menschen, darunter waren Batterie so gut wie keine. Ich kann mich jedenfalls Erich Klabunde, der spätere Bundestagsabgeordne- an keine erinnern. Bei mir und auch bei einigen te. Kurz und gut: Diese Hamburger Berufsvereini- späteren Freunden hatte sich die Idee festgesetzt, gung wurde gegründet und wir trafen uns parallel irgendwie zu überleben. Das war die Hauptsache dazu in einem Büro der „Kölnischen Illustrierten“ geworden. Doch von diesem Gedanken bis zum in der Poststraße. Hans Schmidt, der vor dem Krie- Kriegsende waren es noch nahezu zwei Jahre, also ge im „Fremdenblatt“ Wirtschaftsredakteur war, eine lange Zeit. Und es war keine lustige Zeit. Ich war auch dabei. war Artilleriebeobachter, also immer bei der Infan- Der arbeitete schon beim NWDR? terie. Es kann also nicht von Enthusiasmus oder ähnlichem gesprochen werden. Der arbeitete schon beim NWDR. Er war es dann auch, der mich eines Tages fragte, ob ich nicht auch In Ihrer Batterie gab es nach Stalingrad keine zu Radio Hamburg kommen wolle. Kriegsbegeisterung mehr? Sie waren auch Schatzmeister des „Clubs junger Überwiegend nicht, nein. Journalisten“. Was war das für eine Vereinigung? Sie haben sich nach Kriegsende einen Stempel Der „Club junger Journalisten“ hatte zehn oder besorgt und haben sich selbst aus der deutschen zwölf Mitglieder. Wir machten mit diesem Club Armee entlassen. War das so? zwei Veranstaltungen: eine im ehemaligen Kasino Im Lazarett lag ich zusammen mit einem Ober- der Luftwaffe und eine auf der „Jan Molsen“, ei- wachtmeister, der Berufssoldat war. Er war in der nem Passagierschiff, das damals zwischen Ham- Artillerieabteilung, der ich auch angehörte und er burg und Cuxhaven verkehrte. Dazu hatten wir alle hatte einen Feldpoststempel. Wo er den her hatte, möglichen Leute eingeladen. Unter anderem waren weiß ich auch nicht. Eine Schreibmaschine gab es Ernst Rowohlt und Gregor von Rezzori dabei. Rez- auch und wir schrieben uns dann eine Entlassung zori war auch schon beim NWDR. und beglaubigten sie mit dem Feldpoststempel. Mit Ihr erster Artikel wurde 1947 im „Heideboten“ dieser Entlassung bin ich dann zu meiner Tante gedruckt. Diese Zeitschrift kam aber nicht über nach Farmsen gegangen. Sie wohnte in der Nähe eine Nullnummer hinaus. Über was haben Sie da der Polizeistation, in der es einen alten Polizei- geschrieben? wachtmeister gab, den meine Tante natürlich kann- te. Wie gesagt, es war ein Dorf. Er beglaubigte

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Es handelte sich nahezu um eine Reisereportage. mer eine Viertelstunde vor den Nachrichten der Im Mai 1946 ging ich schwarz über die Grenze der BBC. Wenn in London irgendetwas missfiel, kam SBZ und schlug mich bis Berlin durch, wo ich auch sofort ein Anruf. Dazu habe ich ein sehr schönes Bekannte hatte. Also schrieb ich eine Reportage Beispiel zu einer Abendsendung um 21.45 Uhr. Die über die Erlebnisse meiner Schwarzfahrt von Ham- Geschichte spielt allerdings etwas später: Damals burg nach Berlin und schilderte auch, was ich in gab es noch das so genannte „press release“, also Berlin sah und erlebte. Diese Reportage wurde in Meldungen, die von der britischen Militärregierung dem Journal auf Hochglanzpapier gedruckt. Der herausgegeben wurden. Der damalige Finanzkom- Herausgeber muss irgendwelche Vorräte aufgetan missar der britischen Militärregierung in Deutsch- haben. Aber es war eine Nullnummer und dabei land besuchte das Ruhrgebiet und ließ verlauten, blieb es denn auch. dass für den Wiederaufbau mindestens drei Milliar- den Pfund gebraucht würden. Die Sendung lief also Die Anfänge beim NWDR schon und ich formulierte schnell vier oder fünf Zeilen, in denen es hieß, dass der Finanzkommissar Wie begann Ihre Arbeit beim Hamburger Sender? versprach, für den Aufbau des Ruhrgebiets etwa Hans Schmidt, der später Leiter der Nachrichtenre- 300 Millionen Pfund zur Verfügung zu stellen. daktion wurde, sagte, dass ich doch mal vorbei- Mister Fletcher war an diesem Abend nicht im kommen solle. Im Sender traf ich dann einen deut- Sender, sondern im Anglo-German-Club und wurde schen Leiter, Dr. Jenisch, und einen britischen natürlich informiert. Die Folge waren wütende Controller namens Fletcher. Fletcher war ein engli- Proteste aus dem englischen Deutschland- scher Zeitungsredakteur, der fließend deutsch Ministerium. Flechter kam dann direkt vom Club sprach. Die erste Meldung, die mir aufgetragen zum Rothenbaum und war sehr erregt. Er wurde wurde, war eine Vier-Zeilen-Meldung, in der es aus den Reihen des Deutschland-Ministeriums darum ging, dass in einem Haus in einer Parallel- ziemlich angepfiffen und fragte mich, warum ich straße der Baker Street in London eine Plakette das getan hatte. Ich antwortete: „Das tut mir leid, angebracht wurde, weil Franklin D. Roosevelt in ich habe das überlesen, es war englisch und die diesem Haus wohnte, als er in London studierte. Ich Sendung lief schon.“ Mit einem „Ja, ist gut“ been- tippte meine Meldung auf die Rückseite von be- dete er diese Situation. Er hat deswegen mit Si- drucktem Papier. Das war damals üblich. Mit der cherheit sehr viel Ärger gehabt. Damals fiel mir Meldung musste ich dann zu Fletcher, dem engli- aber noch etwas Bewundernswertes auf: Ein deut- schen Controller. Er schüttelte den Kopf und strich scher Vorgesetzter hätte diesen Patzer sicher immer an meinen Zeilen herum. Ich habe diese Meldung, wieder zitiert, aber Fletcher hat nie wieder ein Wort glaube ich, vier- oder fünfmal schreiben müssen. darüber verloren. Das war der Beginn meiner Ausbildung, wenn Sie Trotzdem war diese Zeit nicht sehr einfach für Sie, so wollen. Fletcher war sehr streng, sehr diskussi- Herr Hübner. Im Juni 1977 in der „Süddeutschen onsfreudig und man lernte eben die englische Art Zeitung“ sagten Sie über diese Zeit: „Ich habe dort des Nachrichtenjournalismus, in dem Fakten zu schwer Fuß gefasst“. berichten sind, ohne Meinung, ohne Adjektive. Ja, anfangs war es recht und schlecht. Also, die Die Prinzipien des britischen Journalismus wurden ersten vier Monate bin ich vor allem Dank Dr. also anhand von Meldungen, die Sie geschrieben Jenisch, dem deutschen Chef, gut zurecht gekom- hatten, erläutert? Gab es auch theoretische Einfüh- men. Er ging dann aber nach Stockholm, weil seine rungen in den Journalismus? Familie noch in Schweden wohnte. Nach ihm über- Nein, das gab es nicht. nahm Hans Schmidt die kommissarische Leitung. Sie sagten bereits, dass dieser Kontrolloffizier Nach diesen ersten schwierigen Monaten begriff Fletcher darauf achtete, dass Sie wenig werthaltige ich langsam und wurde dann auch bald so genann- Adjektive verwendeten, dass Sie Meinung und ter Dienstleiter. Kommentar auseinander hielten. Ist das auch am konkreten Beispiel erläutert worden? Der NWDR als verwaltungsfreie Zone? Es wurde nicht direkt erläutert, man hat es erfahren. Wie muss ich mir denn 1946/1947 die soziale Situa- Eine andere Art zu schreiben wurde nicht akzep- tion vorstellen? War es ein Privileg, beim NWDR tiert, kam also nicht in die Sendung. zu arbeiten? War die Vorbildfunktion der BBC und die Tradition Das glaube ich schon. Schon allein deshalb, weil des angelsächsischen Journalismus auch Gegens- man dort Bons für eine Mahlzeit bekam. Diese tand der Gespräche mit Fletcher? Mahlzeit konnte man mittags oder abends essen, Natürlich. Die BBC hörte uns auch ab, wenn Sie so wegen des Schichtdienstes. Besonders in dem wollen. Unsere Nachrichtensendungen liefen im- schlimmen Winter 1946/47 war das ein Privileg.

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Zum anderen war die Tatsache, überhaupt Arbeit logisch. Doch mit dem geringen Verwaltungsauf- und Beschäftigung zu haben, auch etwas Besonde- wand könnte man einen heutigen Westdeutschen res. Auch mit Hinblick auf dem Sektor der Nach- Rundfunk oder einen anderen Sender gar nicht richten, denn Zeitungen wurden schließlich gerade mehr betreiben. Das wäre unmöglich. erst gegründet. Welche Nachrichtenquellen hatten Sie als Jungre- Und wenn es welche gab, erschienen sie nur drei- dakteur, aus denen Sie Nachrichten machen muss- mal in der Woche und waren dünn. ten? Das auch. Nachmittags und vormittags gab es auch Es gab zwei deutsche Nachrichtenagenturen: Den noch Stromsperren, der NWDR hatte dann Sende- German News Service (GNS) und später gab es die pause. Es wäre schließlich sinnlos zu senden, wenn Deutsche Nachrichtenagentur (DENA) in der briti- niemand zuhören konnte. Vielleicht noch eine Epi- schen Zone und in der amerikanischen Zone. 1949 sode: Nachdem ich drei Monate beim NWDR gear- schlossen beide sich dann zusammen und wurden beitet hatte, fragte ich nach Weihnachten den Ver- mit der Süddeutschen Nachrichtenagentur zur waltungschef Carl Thielbeer nach einem Gehalt. Deutschen Presse-Agentur (dpa). 1946 wurde der Ich traf ihn abends in der Kantine und sagte: „Hö- Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) in ren Sie mal, Herr Thielbeer, ich bin nun schon drei der SBZ gegründet und in der UdSSR gab es die Monate hier und habe noch kein Gehalt bekom- Telegrafnoje Agentswo Sowjetskowo Sojusa men.“ Er zog dann ein dickes Notizbuch aus der (TASS). Dann gab es noch Reuter’s Ltd. in London Tasche und sagte: „Ja, wenn Sie hier nicht drin und die Agence France-Presse (AFP). Außerdem stehen, kriegen Sie auch kein Geld.“ Er trug mich gab es die beiden amerikanischen Dienste der Uni- ein und ich bekam dann mein Gehalt von 300 ted Press International (UPI) und Associated Press Reichsmark. Ja, so einfach war das damals. (AP), über eine Art Monitoring bekamen wir sogar Sie haben im August 1985 über diese frühe Zeit im Telegrafska Agencija Nova Jugoslavija (Tanjug). NWDR in der „Zeit“ folgendes geschrieben: „In Reuters brachte zunächst nur englische Nachrichten jener Zeit bestand die Verwaltung in Hamburg aus und AFP hatte schon sehr früh einen deutschen ihrem Leiter und einem Mann an der Kasse. War Dienst. Aber die Hauptnachrichtenquellen waren der Name nicht im Notizbuch des Verwaltungslei- GNS und DENA, später die dpa, dann Reuters, ters, das er in der Gesäßtasche bei sich trug, bekam AFP und die beiden Amerikaner UPI und AP. man kein Gehalt.“ Waren das tatsächlich goldene Mit dem Amtsantritt des ersten deutschen General- Zeiten? War dieser NWDR eine verwaltungsfreie direktors Adolf Grimme 1948 wurde die Nachrich- Zone? tenabteilung, in der auch Sie tätig waren, dem Na ja, es handelte sich um einen Sender im Aufbau, Generaldirektor des Senders direkt unterstellt. Das wie man heute sagt. Das änderte sich natürlich auch war ungewöhnlich. Was war der Grund dafür? sehr bald. Schon 1947/48 gab es einen so genann- Ich glaube, dass Herr Grimme beziehungsweise die ten Apparat. Später kam der Verwaltungsdirektor Generaldirektion auch einen Apparat haben wollte. hinzu, dann ein Technischer Direktor. Die Verwal- Die Nachrichtenabteilung war eine zentrale tung entwickelte sich relativ zügig. 1948, als Adolf Nachrichtenredaktion. Für mich hatte das einen Grimme kam, war der NWDR schon ein richtiger sehr positiven Effekt. Ich fing damals an, für das Apparat. „Echo des Tages“ und für „Zwischen Hamburg und Zu der Zeit war der Nordwestdeutsche Rundfunk Haiti“ zu arbeiten und nebenbei schrieb ich mit dem Sendegebiet von Flensburg bis Köln, 1948 Kommentare und für die „Welt der Arbeit“. Ich sogar noch Berlin, die drittgrößte Rundfunkanstalt schrieb also auch für andere Redaktionen im Hause, des Kontinents. Dass dieses große Unternehmen nicht nur für die Nachrichtenredaktion. Und die nicht ohne Verwaltung funktionieren konnte, ist Informationen für diese Texte kamen aus der klar. Der NWDR wird oft in dem Sinne beschrie- Generaldirektion. So bekam ich zu meinem Gehalt ben, dass es zu Beginn des Senders noch keine auch noch Honorare für die Kommentare. Verwaltung, keine Bürokratie gab. Ist das Verklä- rung oder war das wirklich so? Demokratischer Anschauungsunterricht Anfangs war es so, wobei das nicht nur für den Zusammen mit Wolfgang Menge, der später in der Rundfunk galt, sondern auch für öffentliche Ver- Fernsehgeschichte eine wichtige Rolle spielte, und waltungen und sogar den ersten Bundestag. Der dem späteren Vorsitzenden der CDU Nordrhein- war im Vergleich zu dem heutigen noch über- Westfalens, Heinrich Köppler, waren Sie – das schaubar. Die Abgeordneten hatten noch keine muss wohl 1948 gewesen sein – in Großbritannien, Referenten und noch keine eigenen Büros. Dass es in Wilton Park. Dort fanden Kurse über Politik, einen gewissen Verklärungseffekt hat, wenn man Verfassungsgeschichte und ähnliches statt. Darf ich wie ich diese frühen Zeiten miterlebt hat, ist ganz sagen, dass das Programm sich an dem Satz „Wie

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werde ich Demokrat“ orientierte? Oder ist das zu manchmal ein paar Worte. Der engere Kontakt einfach? bestand natürlich insbesondere mit Schnabel, von Es war, wenn Sie so wollen, demokratischer An- Zahn und Hilpert. schauungsunterricht. Wir hatten Tutoren, die über alle möglichen Dinge referierten. Später diskutier- „Echo des Tages“ ten wir darüber. An den Veranstaltungen nahm eine Waren diese genannten Personen Vorbilder für etwa 30 bis 35 Mann starke zivile Gruppe teil, die Sie? für zwei Monate eingeladen wurde und in Baracken wohnten. Einige Veranstaltungen fanden zusam- Ja, schon. Zu der frühen „Echo des Tages“- men mit deutschen Kriegsgefangenen statt, die in Redaktion gehörten unter anderem Bruno E. Wer- der Nähe von Wilton Park in einem Kriegsgefange- ner, der den erwähnenswerten Nachkriegsroman nenlager untergebracht waren. Die deutschen „Die Galeere“ schrieb, Gregor von Rezzori, Elef Kriegsgefangenen waren besonders daran interes- Sossidi und Peter Bamm. Das war natürlich schon siert, wie es zu der Zeit in Deutschland aussah. Es zur damaligen Zeit eine bedeutende Redaktion. war eine sehr, sehr interessante Zeit. Das Pendant Bamm und Rezzori machten später etwas anderes von Hugh Carleton Greene, Lindlay Fraser, der als Nachrichten: Peter Bamm hatte seinen großen während des Krieges das deutsche Programm der Erfolg mit seinen Kriegserinnerungen „Die un- BBC gemacht hatte, hielt Vorträge, britische Minis- sichtbare Flagge“. Einmal im Monat kam er aus ter kamen zu uns und wir fuhren nach London und Bayern, wo er wohnte, nach Hamburg und machte Oxford. Es gab also auch ein Besichtigungspro- seine Sendungen, aus denen später auch Bücher gramm, wenn Sie so wollen. Über Ostern waren wurden, wie zum Beispiel „An den Küsten des Wolfgang Menge und ich dann bei dem späteren Lichts“. Er sprach seine Sendungen live und die Labour-Minister Crossman eingeladen, der in der paar Notizen, die er brauchte, hatte er sich auf seine Nähe von Oxford eine Farm hatte. Besonders stolz Zigarettenschachtel gemacht. Er sprach eine Stunde war Crossman, der linke Labour-Politiker, auf seine lang. Eines Morgens traf ich Bamm beim Frühstü- Buchsbaumhecke, von der er behauptete, dass noch cken in der Kantine und er sagte zu mir: „Es ist nicht einmal die Königin eine solche Hecke habe. doch sehr viel schöner, Bücher zu schreiben, als den Quatsch hier zu machen.“ War es ein Spezialkurs für Rundfunkmitarbeiter aus Deutschland? Sie nannten bereits das „Echo des Tages“. Diese Sendereihe, diesen Sendetypus gibt es auch heute Nein, auch Gewerkschaftler, Lehrer und Studenten noch mit demselben Sendetitel. Das muss doch fuhren nach Wilton Park. Vom NWDR waren nach damals eine andere Sendung gewesen sein. War meiner Erinnerung nur vier Mitarbeiter in dieser das damalige „Echo des Tages“ vielfältiger und Reihenfolge da: Peter von Zahn, Ernst Schnabel, bunter und keine reine politische Abendsendung? Gregor von Rezzori und ich. Es war eben das „Echo des Tages“, eine Zusam- Wurde in all diesen Kursen auch über den Rund- menfassung, die auf den damaligen technischen funk gesprochen? Möglichkeiten fußte. Überspielungen und Auf- Ja, natürlich. zeichnungen kamen erst später, man musste also Hugh Carleton Greene war der britische Chief mit dem Reporterwagen rausfahren und berichten. Controller und ab 1.1.1948 der erste Generaldirek- Ob das nun ausdrücklich eine politische Veranstal- tor des NWDR. Während des Krieges war er der tung war, vermag ich nicht zu sagen. Chef des BBC-German-Service. Er kannte Deutsch- Gab es auch Kultur in der Sendung? land gut, auch weil er Korrespondent in Deutsch- Ja, natürlich gab es auch Kultur, zum Beispiel Be- land war. Hatten Sie häufiger Kontakt mit ihm? richte über Theateraufführungen. Es war gewisser- Haben Sie sich ein Bild von dem Menschen machen maßen eine Mischung zwischen Reportage und können? Kommentar, über politische Vorgänge in England Während des Sonntagsdienstes kam Hugh Carleton oder im Ausland überhaupt. Greene so gegen 10.00 Uhr in die Nachrichtenre- Wie kamen damals Auslandsberichte in das „Echo daktion und fragte, ob die Sonntagszeitungen schon des Tages“? Feste Korrespondenten des NWDR da seien. Er meinte die „Times“, den „Observer“ gab es noch nicht. und die „Sunday Times“. Diese Zeitungen wurden offenbar mit britischen Militärflugzeugen nach Nein, deswegen haben wir aus den Nachrichten, die Hamburg gebracht. Ein engerer Kontakt zwischen wir in der Redaktion zur Verfügung hatten, einen den Nachrichtenredakteuren und Hugh Carleton Bericht geschrieben. Ich erinnere mich, dass ich Greene ergab sich jedoch nicht. Und doch war er mal aus einem Skiurlaub in Österreich über eine im Hause präsent. Wir begegneten uns häufiger im dortige Präsidentenwahl berichtete. Dann habe ich Gebäude, grüßten uns und wechselten auch telefonisch nach Hamburg darüber berichtet. Meine

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Informationen wurden dort in die Aufnahme gege- In der ersten Stunde nach dem Schließen der ben, abgeschrieben und von einem Sprecher verle- Wahllokale hatten wir vielleicht 30 Wahlergebnisse sen. Ich berichtete also nicht direkt in die Sendung. aus kleinen Bezirken mit etwa jeweils 300 Es gab wenige Live-Übertragung, denn die waren Stimmen. Von diesen 30 ersten Auszählungen mit großem Aufwand verbunden. waren zwölf aus Bremen. Weil Bremen damals eine Auf Hugh Carleton Greene folgte der erste deut- SPD-Hochburg war, war der überwiegende Teil der sche Generaldirektor Adolf Grimme. Er war der Stimmen für die SPD. Daraufhin rief mich Dovifat letzte legal gewählte Kultusminister in Preußen und aus Berlin an und brüllte in die Hörermuschel, dass erster Kultusminister in Niedersachsen nach dem das eine Beeinflussung sei. Ich wagte darauf hin- Krieg. Grimme war Sozialdemokrat und, wie er zuweisen, dass die Wahllokale schon geschlossen selber sagte, „religiöser Sozialist“. Ein Politiker seien und dass eben die meisten Ergebnisse jetzt in wurde Generaldirektor des Nordwestdeutschen der ersten Stunde aus Bremen kamen. Na ja, das Rundfunks. War das schon programmatisch zu war eine gewisse Nervosität und eine, ich möchte verstehen? mal sagen, Anmaßung. Der NWDR politisierte sich. Soweit ich mich erin- Dass Emil Dovifat, Professor der Publizistik, als nere, hat Hugh Carleton Greene das bei der Über- Verwaltungsratsmitglied in eine laufende Sendung gabe des Amtes an Generaldirektor Grimme auch hinein mit einem Redakteur telefoniert, das ist aus bedauert. heutiger Sicht ein ungewöhnlicher Vorgang. War das ein übliches Verhalten, oder anders gefragt: Welches Rollenverständnis eines Gremienmitglie- Einfluss der Parteien auf die des haben wir hier? Berichterstattung Das kann ich Ihnen natürlich nicht beantworten. Ja, bei der Übergabe versuchte Greene noch ein- mal, den NWDR auf den unabhängigen Rundfunk einzuschwören. Max Brauer soll daraufhin gesagt haben: „Das schaffen Sie nie.“ Haben Sie diese Politisierung in der alltäglichen Arbeit bemerkt? Nein, es betraf nicht die Nachrichtenredaktion. Aber es war wohl so, dass in den damaligen Ver- waltungsgremien schon eine Konfrontation zwi- schen Dufues hier in Köln und Emil Dovifat statt- fand. Schnabel und Hilpert wehrten sich gegen den Versuch der Politisierung. Das war später auch der Grund für Schnabels Rücktritt als Intendant des NWDR-Funkhauses in Hamburg. Genau an dem Tag, an dem er zurücktrat, kam er zu mir ins Zim- mer, setzte sich auf die Schreibtischkante und sag- te: „Ich mache jetzt nicht mehr mit. Ich habe jetzt zwei Tage mit der Orchestervereinigung verhan- delt. Ich habe nun zwei Jahre als Intendant gearbei- tet und habe das Haus um eineinhalb Millimeter verschoben.“ Er war resigniert und wollte wieder als freier Schriftsteller tätig sein. Zum Verwal- tungsratsmitglied Dovifat fällt mir die folgende Geschichte ein: Bei der ersten Bundestagswahl 1949 hatte ich Dienst, ich war Dienstleiter. Es gab noch keine Hochrechnungen, sondern wir hatten Korrespondenten in Bremen und Flensburg etc., Karl Arnold deren Wahlergebnisse telefonisch entgegen ge- nommen wurden, um dann aufgenommen zu wer- Kam so etwas häufiger vor? Haben Kollegen von den. In Bremen hatten wir einen sehr agilen Mitar- ähnlichen Vorkommnissen berichtet? beiter, Lothar Bagemiel, der wohl eng mit Kaisen, Nein, das war wohl eine besondere Nervosität an dem damaligen Bremer Bürgermeister, liiert war. diesem Tage. Ich kann mich an ähnliche Beispiele Es dauerte Stunden, ehe ein Wahlkreis ausgezählt nicht erinnern, außer im Zusammenhang mit dem war, also gab es zunächst Einzelergebnisse aus den damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein- Wahlbezirken. Das erste Wahlergebnis kam immer Westfalen Karl Arnold: Der rief mich einmal an von der Hallig Gröde: Da gab es nur drei Wähler. und beschwerte sich über eine Meldung eines Kol-

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legen über die Polizei in Nordrhein-Westfalen. Ich Daraus schrieben Sie die Auslandsberichte für die habe den angeblichen Fehler oder die Missdeutung „Welt am Sonntag“. in dieser Meldung nicht gesehen oder entdeckt, Ja, Kommentare, wenn Sie so wollen, also Leitarti- aber Arnold pöbelte geradezu herum und uns wurde kel oder Glossen. Beeinflussung unterstellt – linkslastige Darstellung beziehungsweise Auslegung. Das sind aber die Beginn des UKW-Programms einzigen Fälle, die mir aus der Zeit in Erinnerung geblieben sind. Sicher sind in der Leitung der Im Jahre 1950/1951 entstanden die neuen Ultra- Nachrichtenredaktion gelegentlich Beschwerden kurzwellen-Programme. UKW-West und UKW- auch von Gremienmitgliedern eingegangen, aber Nord bekommen sehr schnell das Schild „Welle der eine ständige Beeinflussung gab es nicht. Freude“ aufgedrückt, das war auch ein "Hörzu"- Gilt das auch für den Generaldirektor Grimme? Titel. Sie arbeiteten zunächst in Hamburg und dann Hat er gelegentlich in die Nachrichtenredaktion auch in Köln für diese neuen UKW-Programme. eingegriffen? Was bedeutete dieses zweite Programm? Nein, nach meiner Erinnerung nicht. Im Grunde genommen war es so etwas wie ein Befreiungsschlag. Das Mittelwellenprogramm, also Aber Sie haben in der „Zeit“ vom August 1985 Köln und Hamburg, oder umgekehrt Hamburg und folgendes geschrieben: „Auf Verlangen von Grim- Köln, hatte nur 14 oder 16 Sendestunden am Tag. me und Dovifat mussten nach der Wahl zum ersten Nachts schalteten wir in der ersten Zeit noch ab. In Bundestag 1949 in der zentralen Nachrichtenre- dieser Zeit konnte man gar nicht soviel Programm daktion über einen Zeitraum von sechs Wochen die unterbringen, wie man produzieren konnte und Zeilen der Meldungen ausgezählt werden, in denen wollte. Und dann kam wie gesagt die „Welle der über die SPD oder über die CDU berichtet wurde.“ Freude“, ein leichteres Programm mit viel Unter- Ja, das stimmt. haltung. Auch war damit in den politischen Sen- War das die Reaktion auf die angesprochene Wahl- dungen beziehungsweise in den allgemeinen sendung? Wortsendungen viel mehr Raum für die einzelnen Ja. Und diese Methode galt noch bis in die Fern- Regionen, also für Schleswig-Holstein, Niedersach- sehzeit hinein. sen, Hamburg. Allerdings habe ich regional oder lokal praktisch nie gearbeitet, sondern stets überre- Das hat offensichtlich Schule gemacht: Das Aus- gional. Meine Arbeit entfernte sich dann von der zählen von Zeilen zur Kontrolle der Ausgewogen- Außenpolitik und ging zu innenpolitischen Themen heit. Können Sie das bestätigen? über und ich fuhr zu Parteitagen aller Parteien und Ja. auch zu Gewerkschafts-Kongressen. Ich erinnere Im August 1948 erschien die „Welt am Sonntag“ mich noch an den ersten DGB-Kongress im Deut- zum ersten Mal. Sie arbeiteten bereits von der drit- schen Museum in München. Dort war zum ersten ten Ausgabe an als freier Mitarbeiter für diese Mal ein Bundespräsident, nämlich Theodor Heuss, Wochenzeitung. Wollten Sie ein zweites Standbein auf einem Gewerkschaftskongress. Hindenburg haben oder hat es Sie gereizt, auch für ein Print- hätte sicherlich nie auf einem Gewerkschaftskon- Medium zu arbeiten? gress gesprochen. Die Berichte wurden dem Sen- Es hat mich gereizt. Und ich schrieb nicht nur für der, wie gesagt, telefonisch durchgegeben und so die „Welt am Sonntag“, sondern hatte in meiner lernte ich eben auch die aktuelle Berichterstattung – Hamburger Zeit einen ganzen Bauchladen Zeitun- allerdings nicht mit dem Mikrofon in der Hand, gen, wie man sagt. Ich schrieb für die „Westfäli- weil es das damals noch nicht in so großem Maße schen Nachrichten“, für die „NRZ“ und später auch gab. Die reinen Reporter waren damals in Hamburg unregelmäßig, aber häufig für die „Frankfurter Hermann Rockmann und Max Helmuth Rehbein. Neue Presse“. In der „Welt am Sonntag“ war ich Jürgen Roland auch? praktisch ständiger Mitarbeiter für Politik, für Au- Ja, der machte schon sehr bald Fernsehen. ßenpolitik in der Hauptsache. Kurt Becker, der Sie haben auch bei der Sendung „Zwischen Ham- spätere „Zeit“-Redakteur und Pressesprecher der burg und Haiti“ mitgearbeitet. Wie entstanden die Schmidt-Regierung, machte Innenpolitik. Manch- Beiträge? mal saßen wir zusammen in dem alten Haus des Hamburger Fremdenblattes und jeder pinselte an Das ist mit heute überhaupt nicht vergleichbar. irgendeinem Artikelchen herum. Heute fliegt man für zwei oder drei Wochen ein- fach in die Dominikanische Republik. Man ent- Und die Basis für diese Tätigkeit bei der „Welt am deckte damals erst die Welt. Ich hatte einen Freund, Sonntag“ war im Grunde genommen das Agentur- der im Vorläufer des Auswärtigen Amts tätig war, material des NWDR? also in der Zelle, die im Justizministerium angesie- So ist es. delt war. Er fuhr jedenfalls zu einer Konferenz nach

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Nizza und erzählte mir dann von Nizza. Daraus aus dem Buch mit der Schreibmaschine ab. Weil machte ich dann einen Bericht für „Zwischen Ham- ich ihm gesagt hatte, dass ich nur noch zwei Ex- burg und Haiti“ und einen Zweispalter mit einem emplare hätte, schrieb er ein weiteres für mich. So Foto für die „Welt am Sonntag“. Man war begierig etwas ist doch rührend. etwas von außerhalb der Grenzen zu erfahren. Das Wie in den Klöstern des Mittelalters. Sie haben sich erklärt auch den großen Erfolg der Hör- in der „Zeit“ vom August 1985 auch über den funksendungen „Aus der alten Welt“ beziehungs- Schulfunk des NWDR geäußert: „Der Schulfunk, weise „Aus der neuen Welt“ von Paul Anderson dem Vorbild der BBC nachempfunden, wurde eine und Peter von Zahn. Man hat die Hörerzahlen zwar der erfolgreichsten Sendungen und blieb es über nicht in Prozenten messen können, aber das waren Jahrzehnte“. Das schreiben Sie über Ihre frühen Sendungen, auf die wartete man. Jahre beim NWDR. Welche besondere Aufgabe Lief diese Sendung deswegen sonntags am Nach- hatte der Schulfunk nach dem Krieg? mittag, also zu einer sehr guten Radiosendezeit? Eine ähnliche Aufgabe wie die, die ich in Bezug Ja, und abends lief noch eine Wiederholung. auf Auslandsberichterstattung bereits zu beschrei- ben versuchte. Es gab einen Wissensdurst, da die Programm und Proporz Lehrbücher entweder infiziert oder nicht brauchbar waren. Deswegen schlossen die Engländer die In Ihrer Zeit beim NWDR gab es in der politischen Geschichtsfakultät der Hamburger Universität Abteilung den Redaktionsleiter H.F.G. Starke. Sein zunächst, weil die deutsche Geschichte „umge- Vertreter wurde nach einiger Zeit Rüdiger Proske. schrieben“ oder „neu geschrieben“ werden musste. Starke stand eher der CDU nahe und Proske war Der Schulfunk war eine Art Volkshochschule, Mitglied der SPD. War das schon eine Proporzbe- wenn Sie so wollen. Ich weiß, dass viele damals setzung? den Schulfunk am Vormittag hörten, hauptsächlich Ja. Starke war für die Kommentare zuständig, von waren es Hausfrauen. denen ich viele schrieb. Gleichzeitig arbeitete ich aber auch für Rüdiger Proske, also für die Abtei- Das neue Medium lung „Aktuelles – Echo des Tages“, „Umschau am Abend“ und „Welt der Arbeit“ – und mir war nicht Wir verlassen jetzt das Radio und kommen zum klar, dass Schnabel Proske wohl versprochen hatte, Fernsehen. Am Weihnachtsabend 1952 begann der Chefredakteur zu werden. Das klappte allerdings NWDR mit dem regelmäßigen Programmbetrieb nicht. Die Gründe dafür kenne ich nicht. Dann des Fernsehens. Vorausgegangen war eine Ver- hörte meine Tätigkeit für die Kommentarspalte suchsphase. Haben Sie diese Entwicklung begleitet sukzessive auf, Starke beschäftigte mich nicht beziehungsweise haben Sie überhaupt gemerkt, mehr. Das ist mir erst später klar geworden, dass er dass da ein ganz wichtiges neues Medium entstan- dafür der Grund war, dass man einsortiert wurde. den war? Sie waren ein „Proske-Mann“? Nein, in den ersten Jahren sicherlich nicht. Ja, für Starke war ich ein "Proske-Mann". Ich habe Gab es so etwas wie eine Arroganz der Hörfunk- mich nie als ein solcher empfunden, aber das war mitarbeiter gegenüber diesem Winzling Fernsehen? nun so. Es gibt das berühmte Beispiel von Hanns Hart- Sie erwähnten Ihren Kriegsroman „Das Floß der mann, der später Intendant des WDR wurde. Das Vertriebenen“ aus dem Jahre 1954. Sie haben sich Fernsehen wurde etwas bedeutender und Werner in diesem Buch mit dem Elend und der Situation Höfer, der die Sendung „Hier und Heute“ machte, der deutschen Flüchtlinge am Ende des Krieges bekam dafür im Funkhaus am Wallrafplatz fünf beschäftigt. War das damals ein heikles Thema? oder sechs Zimmer. Hartmann meinte, dass das für die ersten zehn Jahre mindestens reichen würde. Er Nein. Im Gegenteil, innerhalb eines Jahres war das konnte sich nicht vorstellen, dass Menschen vor Buch vergriffen. Vor etwa drei Jahren schrieb mir diesem Kasten säßen. Das war eine Unterschät- ein älterer Herr aus Hamburg, dass er mein Buch zung. gelesen habe. Er fragte mich, ob ich noch Exempla- re hätte, die er verschenken könne. Ich musste ihn Der spätere Hörfunkdirektor des NDR, Wolfgang enttäuschen, weil ich selber nur noch zwei Exemp- Jäger, berichtete mir, dass in den Hörfunkredaktio- lare hatte. Ich empfahl ihm aber ein Antiquariat, nen der Spruch kursierte: „Lass dich nicht zum von dem ich dachte, dass es vielleicht noch einige Fernsehen abschieben!“ Drückt das die Stimmung meiner Bücher habe. Kurzum: Ein halbes Jahr aus? später kriegte ich einen von vier dicken Umschlä- Das kann ich nicht nachvollziehen. Als „Hier und gen von diesem Herrn, der inzwischen auf Helgo- Heute“ 1957 begann, war ich gerade im Kranken- land wohnte. Er schrieb mir jedes Jahr ein Kapitel haus, wo mich ein Kollege besuchte und sagte, dass

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etwas ganz Großes kommen würde und ich gehöre gelesen hatten, weiß ich nicht, doch diese Tendenz auch dazu. Als ich aus dem Krankenhaus kam, kommt daher. Und dann vielleicht auch, ich wage hatte der Chefredakteur Brühl uns einen fünf Minu- es mal zu unterstellen, bei nicht wenigen eine Art ten langen Nachrichtenblock in der 30-Minuten- Minderwertigkeitskomplex. Es heißt, dass die Ka- Sendung „Hier und Heute“ zugeteilt. Mit der Bear- tholiken aus dem Rheinland sich noch aus der Bis- beitung wurden Redakteure aus der Nachrichtenre- marck-Zeit benachteiligt, überspielt oder bevor- daktion beauftragt: Hanisch, Casdorff, Behrends mundet fühlen. und Hübner. Auch die Moderatoren der anderen 25 Es waren also Reflexe des Kulturkampfes des 19. Minuten kamen aus dem Hörfunk: Franz Wörde- Jahrhunderts? mann und Werner Höfer. Die Ausnahme war Char- Das nehme ich an. Denn sonst wären die heftigen ly Weiss, der vom „Stadtanzeiger“ kam. Ab 1957 Äußerungen gegenüber den Norddeutschen nicht zu wurde mir langsam klar, dass dieses junge Fernse- verstehen, wenn es diesen Komplex – bewusst oder hen eine Zukunft haben könnte. unbewusst – nicht bei vielen gegeben hätte. Heute wird auch wieder von Lagerwahlkampf und ähnli- chem gesprochen. Es gibt jedenfalls diese Gegen- sätze, die immer wieder in Wahlkämpfen kon- struiert werden. Als schlösse das eine das andere aus. Das ist natürlich Unsinn, das ist Show. Damals war es – glaube ich – ernster gemeint. Kann diese besondere Aufmerksamkeit der Politik auf den NWDR auch daran gelegen haben, dass das Programm des Senders zunächst von Flensburg bis Köln und in Berlin zu empfangen war? Die UKW-Programme entwickelten sich erst langsam. Die Bedeutung des NWDR-Programms war doch

ungleich höher als die Bedeutung eines Radiopro- Logo der Sendung „Hier und Heute“ 1957 gramms heute. Wenn man die 10 Jahre betrachtet, in denen der Ja, ganz sicher. Es gab nichts anderes als das Radio NWDR bestand, so fällt auf, dass die Berichterstat- und nur wenige Tageszeitungen. Ganz abgesehen tung und besonders die Kommentare schon sehr davon, dass viele Menschen nicht das Geld hatten, früh von beiden großen Parteien kritisiert wurden. sich eine Tageszeitung zu kaufen. So hohe Hörer- Die schärfsten Angriffe fuhr die Deutsche Partei, zahlen wie zwischen 1945 und etwa 1952 erreichte aber auch die SPD war nicht zimperlich. Diese war der Hörfunk nie wieder. Das lag auch daran, dass es auch mit der Amtsführung von Grimme nicht zu- immer mehr Radioprogramme gab und also viele frieden. Besonders harsch war die Kritik der CDU Möglichkeiten, sich zu informieren. Auch die Zei- und der Regierung Adenauer. Dem NWDR wurde tungen erschienen wieder täglich und später kam vorgeworfen, linkslastig, protestantisch und nord- noch das Fernsehen. Die Rolle des Radios als Kul- deutsch zu sein. Also, eine Zumutung für einen turträger und als Anbieter von Aktualität hat sich Rheinländer. War diese Kritik aus Ihrer Sicht be- sehr verändert, es ist ein Medium neben anderen rechtigt? Oder war sie nur inszeniert, um eine geworden. Die Vorwürfe des Indoktrinierens gibt CDU-nahe Anstalt in Köln einzurichten? es gelegentlich heute noch. Die halte ich für Un- sinn, denn ich bin ja nicht gezwungen, dieses oder Ich glaube, sie war inszeniert. Berechtigt war sie jenes Programm zu hören. über weite Strecken jedenfalls nicht. Aber Sie müs- sen ja auch mal zurückgehen. Die damaligen Politi- ker kamen überwiegend aus der Weimarer Zeit und Die Trennung des NWDR in NDR und WDR deren Mentalität war offenbar bei vielen durch ein Spätestens ab 1955 war klar, dass der NWDR als Freund-Feind-Denken geprägt. Wir nannten Starke, große Anstalt nicht weiter bestehen würde. Der Proske und Dovifat bereits. Ob alle Carl Schmitt1 Landtag in Nordrhein-Westfalen verabschiedete 1954 das Gesetz über den WDR. Erinnern Sie sich 1 Carl Schmitt (1888-1985) war Rechtslehrer und Rechts- noch an die Diskussionen, die im NWDR über die theoretiker. In der 1932 veröffentlichten Schrift "Der Trennung geführt wurden? Gab es prononcierte Begriff des Politischen" entwickelt Schmitt seine umstrit- Meinungen im Sender, die vielleicht in Köln anders tene Staatsrechtslehre, die – von den Nationalsozialisten waren als in Hamburg? ideologisch ausgewertet – ihm später den Vorwurf ein- Ja, mit Sicherheit gab es unterschiedliche oder gar bringt, den "Führerstaat" vorweggenommen und rechts- gegensätzliche Meinungen. Nordrhein-Westfalen philosophisch legitimiert zu haben. argumentierte, dass man als größtes Bundesland

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einen eigenen Sender haben müsse. In Hamburg hat Auslandsberichterstattung man das nicht verstanden und auch nicht wahrha- Wir machen jetzt einen kleinen Zeitsprung. Sie ben wollen. Dadurch wurden manche Auseinander- waren ab 1967 stellvertretender Leiter der Haupt- setzungen künstlich aufgebauscht. Andererseits ist abteilung Zeitgeschehen beim WDR und Leiter der es nicht zu übersehen, dass Hamburg auch mit einer Abteilung Allgemeine Politik. In dieser Funktion gewissen Arroganz auf die Funkhäuser in Köln und haben Sie viele Jahre den „Weltspiegel“ der ARD, Berlin blickte. das Auslandsmagazin, moderiert und Sie haben Sie gingen zum jungen WDR. Gab es das Gefühl, Auslandsthemen bei der „Welt am Sonntag“ bear- der Arroganz der Hamburger etwas entgegensetzen beitet und kommentiert. Lag Ihnen an der Aus- zu wollen, ihnen also aus Köln zu zeigen, wie man landsberichterstattung immer besonders viel? Radio oder Fernsehen macht? Ja. Man entwickelt sich und wächst in etwas hinein, Das kann man nicht ganz ausschließen. Aber der ohne dass man das bestimmte Ziel hatte. Ich hatte Grund, weshalb ich nach Köln ging, war ein ande- es jedenfalls damals nicht. Bevor ich übrigens stell- rer: Die Nachrichtenredaktion wurde aufgeteilt. In vertretender Chefredakteur in Köln wurde, war ich der ersten Zeit nach der Trennung kamen die Nach- drei Jahre bei der Deutschen Welle. Von der Deut- richten für den NDR und WDR jeweils in einer schen Welle ging ich als Stellvertreter von Günter Woche aus Hamburg und aus Köln. Das wechselte Müggenburg, also als stellvertretender Leiter, ins sich also ab. Sieben Kollegen von vierzehn aus der Studio Bonn. Das war von Juli 1967 bis Ende 1967. Hamburger Redaktion sollten nach Köln gehen. Dann ging Gütt als Koordinator nach München und Unsere Redaktion wurde also nacheinander in das ich wurde gefragt, ob ich die Nachfolge von Dieter alte Intendantenzimmer geholt und von Fritz Brühl, Gütt antreten wolle. Ein halbes Jahr machte ich dem Hörfunkdirektor, Eckehard Gentz, dem Nach- beides: Bonn und Köln. richtenchef der Deutschen Welle, und dem ersten Auslandsberichterstattung hat es nicht leicht. Wenn WDR-Intendanten Hanns Hartmann befragt. Es war man sich die Fernsehprogramme, und besonders so eine Art Viehmarkt. Die Herren guckten, wen sie die Privaten, anguckt, gibt es so gut wie keine Aus- abwerben könnten. Die Redaktion musste geteilt landsmagazine. ARD und ZDF leisten sie sich. werden – sieben mussten gegen. Und wenn sie Warum hat die Auslandsberichterstattung es so nicht freiwillig wollten, dann mussten sie gezwun- schwer? gen werden. Meine Befragung war abends. Am nächsten Vormittag begegnete ich Starke in der Das hat sich geändert. In der Zeit ab 1967 war die Redaktion und er sagte ganz empört: „Es ist be- Auslandsberichterstattung in der ARD eine große schlossen worden, dass Sie nach Köln müssen.“ Säule. Nun dürfen Sie nicht vergessen, dass es Eine halbe Stunde später traf ich Hilpert auf dem damals nur ARD, ZDF und später die Dritten Pro- Gang und er sagte zu mir: „Wir müssen noch ein- gramme gab, die gewissermaßen zu der Zeit entwi- mal reden, wer nach Köln gehen soll.“ Ich sagte: ckelt wurden. Und wir hatten nicht nur den „Welt- „Herr Hilpert, wir brauchen nicht mehr zu reden. spiegel“, sondern auch eine große Zahl von Herr Starke, mein Chefredakteur, hat gesagt, es sei Auslandskorrespondenten in Washington, London, beschlossen, das ich ...“ Hilpert brauste auf und Paris, Moskau, Brüssel, Rom, Tel Aviv und Japan. sagte: „Es ist eine Unverschämtheit! Wie kommt In meiner Zeit als stellvertretender Chefredakteur der dazu? Nein, das ist überhaupt noch nicht be- hatte ich etwa 60 Feature-Termine im Jahr. Davon schlossen.“ Ich erwiderte: „Lassen Sie es, wie es waren mindestens 20 Auslandsthemen. Von Scholl- ist, ich gehe nach Köln. Was soll ich hier in Ham- Latour aus Paris bis Kronzucker aus Südamerika. burg mit einem Chefredakteur, der mich nicht Die Gewichtung war damals ganz anders als heute. mag?“ Das war das Ergebnis. Nun muss ich noch Die Ursache für die Tendenz, dass heute die Innen- hinzufügen, dass meine Frau auch in der Nachrich- politik überwiegt, kann ich mir nicht erklären. tenredaktion war und wir beide nach Köln gingen. Bleiben wir bei einem anderen Beispiel: Ich sprach mit Fritz Pleitgen über den Presseclub und er sagte Beim WDR wurden Sie Mitarbeiter der regionalen mir, dass in dem Moment, in dem Auslandsthemen Fernsehsendung „Hier und Heute“. Die Regionali- behandelt werden, das Interesse der Zuschauer um sierung war von großer programmgeschichtlicher zwei Drittel sinke. Die Zuschauer wollen Berichte Bedeutung. über Renten, Gesundheitspolitik oder was weiß ich, Sicherlich. Aber den Block, den wir machten, war weil es sie angeht. Und früher war jede Palme, die der so genannte Nachrichtenblock und das waren wir im Fernsehen zeigten, eine Information. Das Weltnachrichten, also keine regionalen Nachrich- hat sich alles sehr geändert. Bedauerlicherweise, ten. Die restlichen 25 Minuten waren regionale sage ich. Vernünftige Auslandsberichterstattung, Berichte. auch im Fernsehen, wäre von Nöten.

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Die Serie „Holocaust“ Mehrheit für das erste Programm. Dort sollte auf dem Fernsehspieltermin vier Wochen hintereinan- Es gibt eine Entscheidung, die Sie als Programmdi- der gesendet werden. Abich, der Programmdirektor rektor Fernsehen des WDR trafen, die heftig disku- der ARD, hatte sich der Stimme enthalten, weil es tiert wurde: Der Ankauf der amerikanischen Serie auch um Geld ging. Wobei die anderen Anstalten „Holocaust“, die 1981 ausgestrahlt wurde. Es nicht beteiligt waren, finanziell war es eine reine wurde immer wieder die Frage gestellt: Kann man WDR-Angelegenheit. In der Sitzung sagte ich dann ein so ernstes Kapitel der deutschen Geschichte mit schließlich: „Ich will hier niemanden vergewalti- den Mitteln einer attraktiven und quotenträchtigen gen. Fünf zu vier ist eine knappe Mehrheit, ich Serie angemessen darstellen? War die Entschei- mache folgenden Vorschlag: Wir senden es im dung aus Ihrer heutigen Sicht richtig? dritten Programm, aber alle schalten sich zusam- Ja, natürlich war die richtig, aber sie war sehr um- men und senden es am gleichen Tag und zwar an stritten. Wir wurden mit zum Teil abstrusen Argu- vier Tagen der Woche, Montag, Dienstag und Don- menten nicht nur von außen angefeindet. Auch nerstag, Freitag.“ Da stimmten alle zu mit Aus- innerhalb der ARD und innerhalb des WDR, hielt nahme des Kollegen Oeller vom Bayerischen man die Ausstrahlung der vierteiligen Serie für Rundfunk, der später aber doch sein Okay gab. Es fragwürdig. Nun muss ich hinzufügen, das niemand war das erste Mal, dass alle Dritten Programme von uns den Film „Holocaust“ gesehen hatte. Dann zusammengeschaltet wurden. Es war ein Durch- lief das Epos in Europa, unter anderem in England bruch für die Dritten Programme, wir hatten nach- und später auf der Fernsehmesse in Cannes. Der her 30 Prozent Zuschauerbeteiligung. Bei den letz- Fernsehspiel-Chef Rohrbach rief mich von Cannes ten Folgen sogar noch mehr. Wir bekamen etwa aus an und fragte, ob wir den Film kaufen sollten. 30.000 Briefe, die teilweise bis zu 30 Seiten lang Er war eher dagegen. Ich sagte ihm am Telefon: waren, in denen Einzelschicksale sich erklärten. „Lieber Günther Rohrbach, es ist soviel darüber Fünf Prozent etwa war der übliche Nazisumpf. geredet worden, wir können gar nicht mehr ausstei- Viele schilderten ihre Erlebnisse noch einmal und gen, ist völlig ausgeschlossen. Dann wird uns vor- andere – wir bekamen auch über 100.000 Anrufe – geworfen, dass wir zu feige sind.“ Daraufhin haben waren mehr oder weniger zustimmend bis scho- wir die Serie gekauft und lippensynchron synchro- ckiert. Schockiert über das, was damals möglich nisiert, was ziemlich lange dauerte. Kritik kam war. Der Film hat sicherlich auch seine Schwächen. insbesondere von dem damaligen Feuilleton-Chef Eine der Kritiken bezog sich auf eine Szene mit in der „Welt“, Herrn Günther Zehm, der noch vor einer SS-Familie unterm Weihnachtsbaum, bei der der ersten Ausstrahlung einen großen Artikel im der Hitlerjunge eine Sommeruniform anhatte und Feuilleton der „Welt“ veröffentlichte, in dem es keine Winteruniform. Insgesamt war die Sendung hieß, dass die Ausstrahlung eine Unverschämtheit eine richtige Entscheidung, wie ich finde. Was sei und dass ich die 1,1 Millionen DM, die die mich heute irritiert, dass schon seit drei oder vier Serie gekostet hatte, aus meiner Tasche bezahlen Jahren so getan wird, als wäre dieses Thema nie im müsse. In England hätte eine ältere jüdische Frau deutschen Fernsehen behandelt worden. Das ist einen Herzschlag bekommen, als sie die Sendung völliger Unsinn. Zum einen liegt die Ausstrahlung sah. Darauf berief Zehm sich, um die Ausstrahlung von „Holocaust“ nun über 20 Jahre zurück und wir zu verhindern. Wir haben trotzdem gesendet und haben unendlich viele Filme und Reportagen ge- nach jeder Sendung eine eineinhalbstündige Dis- sendet mit Zeitzeugen, wie man heute sagt. Dieses kussion angeschlossen. Die erste Diskussion leitete Thema ist nie im deutschen Fernsehen vernachläs- Robert Leicht, der damals noch bei der „Süddeut- sigt worden. Wenn ich an ein anderes Thema, zum schen Zeitung“ war. Er machte das sehr intellektu- Beispiel an die Vertriebenen denke, tun viele so, als ell. Ich war an dieser Diskussionsrunde beteiligt ob Günter Grass mit dem „Krebsgang“ zum ersten und übernahm die Leitung für den zweiten und den Mal das Vertriebenenthema aufgegriffen hat. Das vierten Teil der Sendung. Wir hatten unterschiedli- sei 50 Jahre verdrängt worden. Das ist falsch. che Diskussionsteilnehmer, unter anderem einen Wenn Sie gestatten, würde ich nicht nur Heinz Herren, der sich in den Rangabzeichen der SS und Werner Hübner nennen, sondern auch Siegfried solchen Dingen auskannte. Wir hatten sicher mit Lenz. einem starken Echo gerechnet, aber nicht mit einem so starken. Ja, das „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz hat der WDR verfilmt. Auch Manfred Bielers „Mäd- Die Reaktion war überwältigend. chenkrieg“. Aber es gibt offenbar eine Menge jün- Ja, nun muss ich aber noch erwähnen, dass es auch gerer Redakteure, die, nicht aus Geringschätzung, in der ARD Diskussionen gab. Wir Direktoren sondern aus Faulheit, die Archive zu durchforsten, hielten eine Programmkonferenz ab. Es ging um die Sendungen von vor 30 oder 40 Jahren vernachläs- Frage, wo wir die Serie sendeten, wenn wir sie schon gekauft hatten. Es gab eine fünf zu vier

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sigen. Dabei ist das heute über das Internet ganz Satz ist dann: „Was sich beweisen sollte.“ Wir leicht. hatten damals auch die Schwierigkeit, an Material Ich denke, es gibt kaum ein Kapitel der deutschen aus der Sowjetunion oder der DDR zu kommen. Geschichte, das so häufig und so intensiv im Fern- Das Reichskriegsarchiv lag in Potsdam. sehen, aber auch im Hörfunk behandelt wurde wie das Dritte Reich und der Nationalsozialismus. Vor Koordination innerhalb der ARD der Serie „Holocaust“ hatte es Dokumentationen Ab 1972 waren Sie ARD-Koordinator für Politik, und Fernsehspiele gegeben und danach wurde das Gesellschaft und Kultur in München. Sie haben Thema immer wieder aufgegriffen, aber die deut- nicht nur als Fernsehdirektor, als stellvertretender schen Journalisten oder Dramaturgen haben sich Chefredakteur, sondern auch als Koordinator für nicht getraut, es in so einer klaren und trivialen Politik agiert. Dann waren Sie ARD-Koordinator Erzählstruktur anzubieten. Warum sind diese frü- Fernsehspiel, als Sie Programmdirektor Fernsehen hen Sendungen nicht wirklich wahrgenommen des WDR waren. Sie haben dadurch die inneren worden oder in das Bewusstsein von Zeitungsjour- Mechanismen dieser Arbeitsgemeinschaft der nalisten gelangt? Rundfunkanstalten Deutschlands sehr gut kennen Wir müssen weit zurückgehen, also in die 1960er gelernt. Wenn Sie Ihre Erfahrungen bewerten, Jahre. Wie Sie sagen, haben wir dieses Thema x- halten Sie dieses Modell mit seinen Abstimmungs- mal behandelt. Auch im WDR. Ich erinnere daran, schwierigkeiten, mit der Schwerfälligkeit für zu- dass Joachim Fest 1977 beim WDR zusammen mit kunftsfähig? Christian Herrendorfer, als ich noch stellvertreten- Es ist natürlich schwierig für mich, darüber jetzt ein der Chefredakteur war, bei mir den Hitlerfilm Urteil abzugeben. machte. Nachher schrieb er auch ein Buch und aus dem wurde dann ein Kinofilm. Damals hatte ich Gab es nicht mal Situationen in Ihrer Arbeit als vor, die Gegner von Hitler in der Weimarer Zeit zu Koordinator der ARD, in denen Sie mit dieser Ras- zeigen und suchte Material. Zum Beispiel von dem selbande nichts mehr zu tun haben wollten? Haben damaligen Fraktionsvorsitzenden der Kommunisti- Sie sich als WDR-Fernsehdirektor über Ihre Kolle- schen Partei Deutschlands im Reichstag, Herrn gen geärgert, weil Sie zu 25 Prozent Anteil an der Ernst Torgler, gibt es kein einziges Stück Film. Gesellschaft hatten und ständig überstimmt wur- Jedenfalls gab es das damals nicht, vielleicht ist den? inzwischen irgendwo etwas aufgetaucht. Von Brü- Sicherlich hat man sich manchmal über die ning gab es nur eine Rede zum Völkerbund in Schwerfälligkeit oder Sturheit des einen oder ande- Genf. Kurzum, über die damaligen agierenden ren geärgert. Die Chefredakteurskonferenz, also die Personen der Nicht-Nazi-Parteien, also der Nicht- entscheidende Konferenz für das politische Pro- Nazis, konnte man keinen Film machen. Ich habe gramm in der ARD, bestand anfangs noch aus den es trotzdem gemacht, und so entstand meine – wie Chefredakteuren: Joachim Fest in Hamburg, Hans ich finde – beste Dokumentation: Eine 60-Minuten- Heigert in München, Emil Obermann in Stuttgart, Sendung mit dem Titel „Ein deutsches Jahr – Peter Merseburger, Nachfolger von Fest in Ham- 1932“. Ich habe also einzelne Episoden des damali- burg, Peter Pechel in Berlin, Julia Dingwort- gen Lebens zusammengeschnitten und habe nur, Nusseck in Köln. Wissen Sie, das war, ohne dass das war das Neue daran, Material aus dem Jahr ich den heute amtierenden Kollegen zu nahe treten 1932 verwendet. Sonst ist es bei Dokumentationen will, schon eine Versammlung von einigem Ge- üblich, dass man zu einer Person Material über wicht. Manchmal hat es aber auch geknirscht. Viel- zehn, fünfzehn Jahre zusammenschneidet und dar- leicht ist es etwas eitel, was ich jetzt erzähle: Der aus Stücke entnimmt. Nur der Schluss behandelt Koordinator, heute Chefredakteur der ARD, war ein Zitat aus dem Jahre 1933. Damals kam der Film derjenige, der die Beschlüsse der Chefredakteurs- „Morgenrot“ mit Rudolf Forster in die Kinos. Darin konferenz in der Programmkonferenz vortragen geht es um ein deutsches U-Boot im Ersten Welt- musste. Unsere Programmvorstellungen und Pro- krieg. Es sind neun Personen, aber nur acht grammpläne für die nächsten sechs, acht Wochen Schwimmwesten an Bord. Als die Mannschaft das oder das nächste Vierteljahr musste ich vortragen. Boot verlassen muss, ist eine Weste zu wenig. Die Einmal sagte Peter Merseburger zu mir: „Wissen Besatzung entschließt sich auf deutsche Art: Ent- Sie, ich habe manchmal den Eindruck, Sie erzählen weder alle oder keiner. Weil ersteres nicht geht, oder berichten da nicht das, was wir beschlossen bleiben alle Mann an Bord. Rudolf Forster ist der haben, sondern was Sie für richtig halten.“ Ich U-Boot-Kommandant und er sagt diesen schönen antwortete: „Peter, es ist in der Tat so, das meine Satz: „Zu leben wissen wir Deutschen nicht, aber Überlegungen manchmal sehr viel besser sind als zu sterben, das wissen wir!“ Dieser Satz ist der das, was wir hier beschließen.“ Na ja, das war eine vorletzte Satz meiner Dokumentation, mein letzter kollegiale Geschichte. Die kommerziellen Pro-

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gramme kamen langsam, als ich schon in der End- Aufsatz „Blick zurück nach vorn“ ein Resümee phase war. Die Abstimmung in der ARD war nicht Ihrer Arbeit. Sie monieren unter anderem, dass immer leicht. Dennoch ist, wie ich glaube, damals Kameras und Mikrofone viel zu oft Politikern zur immerhin noch ansehbares und auch kulturell und Verfügung gestellt werden, ohne dass die Sendun- politisch zu akzeptierendes Programm produziert gen journalistisch, kritisch gestaltet werden. Sie worden. Von allen neun Sendern sicherlich in un- sprechen von inhaltslosen Statements, überflüssi- terschiedlicher Art und in unterschiedlicher Quali- gen, nichtssagenden Interviews und Diskussions- tät. Es war ein Programm für Deutschland, das sich runden, die an Gebetsmühlen erinnern. Und diese sehen lassen konnte. Dass es nun durch die Kom- Programme stopfen, so haben Sie es damals formu- merzialisierung und durch die Vielzahl der Pro- liert, ein Teil des aktuellen politischen Programms grammangebote im Fernsehen schwieriger gewor- voll. Fernsehen hat an Glaubwürdigkeit verloren, den ist, und dass der Publikumsgeschmack sich weil es zu oft mangelhaft recherchierte Sendungen geändert hat und dass eine große Veränderung mit gibt, weil andererseits mehr Meinungen als Sach- dem Zappen kam, mit der Tatsache, dass man zum verhalte angeboten wurden. Waren das bittere Umschalten nicht mehr aufstehen musste, das muss Worte? man alles berücksichtigen. Sich nur in frühere Zei- Sicherlich. Aber sie sind zum Teil aus zeitlichen ten zurück zu träumen und zu wünschen, dass sie Gründen missverstanden worden. Ich bin Ende Juli wiederkommen, ist unsinnig. Die Qualität des heu- 1985 ausgestiegen. Der etwa 15 Seiten lange Arti- tigen Programmangebots der ARD sollte, wie ich kel erschien im Oktober desselben Jahres im ARD- meine, anders sein. Insbesondere in Bezug auf das Jahrbuch. Da hat natürlich die Kritik in der Presse Fernsehspiel. Gestern Abend erfuhr ich in der Vor- gedacht: Nun ist er weg und rechnet er ab. Das war schau vor der „Tagesschau“, dass am Freitag drei nicht der Fall. Ursprünglich sollte mein Vertrag von Tatorte in der ARD im Programm sind. Ich halte Ende Juli bis März 1986 verlängert werden. Der das für Schwachsinn. Unterhaltung ist doch nicht Intendant von Sell und ich wollten gleichzeitig nur Kriminalität. Richtige Literatur verfilmt so gut ausscheiden, denn sein Vertrag lief auch aus. Das wie keiner mehr. war auch, soweit ich weiß, im damaligen Verwal- Es wird andere Literatur verfilmt und nicht mehr tungsrat mehr oder weniger akzeptiert. Dann gab es die klassische Moderne. Diese Phase der Adaptie- aber Querelen zwischen Intendant und Verwal- rung solcher Stoffe scheint vorbei zu sein. tungsrat – kurzum, Herr von Sell schied noch vor Ja, aber warum? mir aus, ich glaube im Ende Mai 1985. Ich würde ketzerisch sagen, dass es ein Produkt Das war also ein zufälliges Zusammentreffen, dass gibt, das durch Wettbewerb und Markt nicht besser dieser Artikel zu Ihrer Entlassung erschien? wird: Fernsehprogramme. Ja, es war nicht beabsichtigt. Wenn ich einen Ja, das ist richtig. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Rückblick über meine Zeit hätte schreiben sollen Sie haben Recht. Aber davor haben wir gewarnt. oder wollen, hätte ich den ganz anders geschrieben. Also, wir, die damalige Chefredakteurskonferenz Das war nicht meine Absicht, so etwas wie eine und Programmkonferenz. Aber das ist eine politi- Abrechnung zu machen. Dass sie als solche aufge- sche Entscheidung, und wenn sich eine bestimmte nommen worden ist, dagegen kann man sich nicht politische Gruppe davon versprochen hat, dass sie wehren. Das, was ich damals geschrieben habe, ist nun gerechter beurteilt werde in allen Fernsehpro- bedauerlicherweise eingetroffen beziehungsweise grammen, einschließlich der Kommerziellen, muss hat sich verstärkt. Insbesondere meine Kritik an ich feststellen, dass in vielen kommerziellen Pro- dem politisch-aktuellen Programm – besser gewor- grammen überhaupt nicht mehr beurteilt wird. den ist es nicht. Im Gegenteil. Das liegt auch am Trend zur Talkshow. Die hatten wir damals so gut Ich war vor zwei Jahren von der FDP zu einer wie gar nicht. Heute ist es bekannt, dass der Bun- Konferenz eingeladen, auf der über den Kulturver- destag im Grunde genommen nur noch eine Neben- fall in den Fernsehprogrammen debattiert wurde. rolle spielt. Jeden Politiker können sie unentwegt in Da habe ich ihnen ihre medienpolitischen Papiere Talkshows im Fernsehen sehen und dort sagen sie aus den 1970er Jahren vorgelesen, also aus der immer dasselbe. Das ist nicht verwunderlich, son- Zeit des Einstiegs in den privaten Rundfunk. dern vielmehr, dass da nun die politische Diskussi- Jeder, der mal in Amerika war damals, der wusste, on oder Auseinandersetzung stattfindet. Dabei ist was auf uns zukommt. das keine Auseinandersetzung mehr, sondern eine Absonderung von Statements. Richtig befragt wer- „Blick zurück nach vorn“ den die Politiker meistens nicht. Ihre Dienstzeit beim WDR als Programmdirektor Fernsehen endete am 31. Juli 1985. Im ARD- Jahrbuch des gleichen Jahres ziehen Sie mit dem

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Die West-Journalisten und die Stasi Wunschdenken war. Noch eine hübsche Episode dazu: Meine Stasi-Akte habe ich auch auf Russisch. Was Sie in diesem Artikel 1985 im ARD-Jahrbuch, einer offiziellen Veröffentlichung der ARD, ge- Sie haben einmal im Zusammenhang mit Fernseh- schrieben haben, konnte insofern nicht verwundern, programmen formuliert: „Aus Neutralität wird da Sie gelegentlich mit dem parteipolitisch moti- Langeweile.“ Damit haben Sie sich gegen einen zu vierten Proporzdenken kritisch ins Gericht gingen. objektiven oder meinungslosen Journalismus aus- Sie bestanden auf journalistische Unabhängigkeit gesprochen und forderten einen prononcierten, von den Mächtigen. Sie sind zum einen als SPD- meinungsorientierten Journalismus. Gab es einen nah eingestuft worden, in Ihrer Stasi-Akte gelten Anlass für eine solche Warnung? Sie als eingefleischter Rechter, werden der CDU zu Ja sicher. Aus welchem genauen Anlass ich das geordnet. Sind diese Etikettierungen völlig falsch? gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Im langen Leben Darf man Menschen in dieser Weise etikettieren? vergisst man ja viel. Es wurde sicher wieder einmal Man darf es schon, aber ob es stimmt, ist natürlich ein Feature, eine Reportage oder eine Diskussion eine andere Frage. Ich bin als linkslastig bezeichnet gesendet, die von der Art war, dass wir sie eine worden und dann wieder konservativ und später „Wischi-Waschi-Sendung“ nannten. Natürlich wieder liberal. Wissen Sie, ich finde das eigentlich muss man meinungsfreudig sein und eine Meinung ganz gut, wenn diese Etikettierungen wechseln oder haben. Man muss in einem Programm darauf ach- vielfältig sind. ten, das es nicht nur eine Meinung gibt. Das ist das, was ich damit sagen will. Sie haben das als Bestätigung Ihrer Unabhängig- keit aufgefasst? Geschichtsbewusstsein Ja. Meine Stasi-Akte habe ich in der „Zeit“ veröf- fentlicht. Das habe ich nur deshalb gemacht, weil Sie waren 1962 der deutsche Co-Autor einer schon mein Vorname nicht stimmte: Statt Heinz deutsch-französischen Gemeinschaftsproduktion Werner schrieben sie Hans Werner. Aber meine über den Ersten Weltkrieg. Ich entdecke in Ihrer Telefonnummern stimmten, obwohl sie nicht im Rundfunk- und Fernseharbeit immer wieder zwei Telefonbuch standen. Was die Stasi hingegen über Bereiche: Auslandsberichterstattung und Geschich- „Monitor“ schrieb, zum Beispiel über die Berufung te. Das zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Lothar Loewes als ersten Fernseh-Korrespondenten Arbeit. Was bedeutet Geschichte für Sie? in Ost-Berlin, das ist Quatsch. Nicht ich habe Lo- Als politischer Journalist, der ich – wie ich meine – thar Loewe durchgedrückt oder vorgeschlagen, das war, kommt man ohne fundierte Geschichtskennt- war ein Beschluss der Intendantenkonferenz. Ich nis, nicht aus. Es gibt ganze Gebiete, für die ich war in der Kommission zur Gründung des ersten mich historisch gesehen überhaupt nicht interessier- Fernsehstudios in Ost-Berlin. Der damalige ARD- te: Der ganze spanisch-sprechende Raum oder Vorsitzende Hammerschmidt schlug Loewe vor. Italien. Ich habe mich immer für Skandinavien Weitere Mitglieder der Kommission waren Peter interessiert, für England, Frankreich und Russland, Pechel vom SFB, Helmut Reinhardt aus Hannover, insbesondere für russische Literatur. Eins muss das Gerhard Schröder, damals noch Bremen, und ich andere ergänzen. Um russische Literatur zu verste- als Koordinator. Wir haben eineinhalb Jahre ver- hen, muss man auch etwas über russische handelt. Es ging immer wieder hin und her. Als ich Geschichte wissen. Aber es gibt natürlich auch die mich einmal allein mit Meier, dem damaligen Mit- Kombination beider, wie in Tolstois „Krieg und arbeiter des DDR-Außenministeriums und späteren Frieden“. Wer liest denn diesen 1.600 Seiten langen Botschafter in Bulgarien, im Hotel Berlin traf, war Roman heute noch?! In diesem Roman finden Sie natürlich alles mit Wanzen bestückt. Auch da ging an Personen gebunden die ganze napoleonische es um Personalfragen. Da habe ich denen das ARD- Zeit wieder. In dem Epilog setzt Tolstoi sich bei- Korrespondentennetz-System erklärt, nämlich dass spielsweise mit dem Wahnsinn auseinander, dass in jedem ARD-Jahrbuch nachzulesen sei, dass jeder Völker von Westen nach Osten marschieren und Sender seine eigenen Berichtsgebiete habe. Das ist später – 1813/14 – findet die Umkehrwelle statt. in meiner Stasi-Akte richtig dargestellt. Das können Sie bezogen auf heute genauso veröf- Sie hatten also Erfolg. Sie veröffentlichten Ihre fentlichen. Das, was Tolstoi Mitte des vorvorheri- Stasi-Akte in der „Zeit“, weil Sie eine Warnung gen Jahrhunderts geschrieben hat, gilt ebenso für aussprechen wollten. Sie wollten sagen, dass man die Zeit von 1939 bis 1945. diesen Stasiunterlagen nicht trauen solle. Das heißt doch, dass Geschichte für die Behand- So ist es. Das wurde Mitte der 1990er Jahre veröf- lung der Fragen der Gegenwart und der Zukunft fentlicht und ich wollte damit nur zeigen, dass in wichtig ist. Das muss doch auch in öffentlich- diesen Akten – das kann ich nicht generell behaup- rechtlichen Programmen einen Reflex haben? ten – in vielen Fällen nur Quatsch steht oder

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Ja, der Meinung bin ich, aber Dokumentationen Ja, obgleich sie in der „Tagesschau“ natürlich auch gibt es so gut wie keine mehr. mehr und mehr zur Verwässerung neigen. Die Es gibt Geschichtstermine in Dritten Programmen, Nachrichten werden je nach dem vorliegenden Serien bei ARD und ZDF. Bildmaterial konzipiert und das wirklich Wichtige, was oft sehr spröde ist, erscheint, wenn überhaupt, Es kommt auch darauf an, wie Themen aufbereitet an dritter, vierter oder achter Stelle. Ich will Ihnen werden. Ein gutes Beispiel dafür war die Thomas ein Beispiel nennen, das sich zu einer Zeit ereigne- Mann-Verfilmung von Heinrich Breloer. So etwas te, als Hartwig von Mouillard noch „Tagesschau“- könnte man natürlich auch zum Beispiel mit Wil- Chef war. Damals wurde in einer „Tagesschau“ in helm II. machen, was gerade auch aktuell wäre, großer Aufmachung ein Bericht über drei Hotel- weil John C.G. Röhl 2001 gerade den zweiten Band brände im ersten Drittel der Sendung platziert: „Wilhelm II. – Aufbau der persönlichen Monar- Einer in Australien, einer in Deutschland und dann chie“ veröffentlichte. Die Schauplätze sind alle noch einer in Amerika. In dem Filmmaterial des vorhanden und ließen sich ebenso nachstellen wie Dritten sprangen Menschen aus den Fenstern und die Mann-Familie. Eine reine Dokumentation wäre ich sagte zu Hartwig: „Hör mal zu, Ihr spinnt doch aufgrund nicht vorhandenen Filmmaterials vor wohl. Das ist reiner Sensationsquatsch, den ihr da 1914 schließlich nicht möglich. Auch Fotos gab es macht. Eine alte Frau, die jetzt vor dem Fernseher erst ab etwa 1860 an. So muss man sich etwas ein- sitzt, geht nie mehr in ein Hotel, weil sie denkt, fallen lassen. Ich bin der Meinung, dass man die dass die alle brennen.“ Wenn wir die Überspiel- Geschichte nicht ins Abseits stellen oder sich nur möglichkeit aus anderen Ländern nicht hätten, wäre mit bestimmten Aspekten beschäftigen darf. die Nachricht nach 14 Tagen hier gewesen. Wenn Zum Abschluss würde ich gerne zwei Fragen stel- überhaupt. So werden heute Nachrichten produ- len. Das, was Sie und andere Journalisten im ziert, zwar nicht generell, aber vielfach. Das halte NWDR an journalistischen Maßstäben lernten, war ich für abwegig. Leider ist auch die „Tagesschau“ weitgehend von der angelsächsischen Tradition, nicht ganz frei davon, sich – ich überspitze das – also von der BBC, beeinflusst. Welche Elemente mehr und mehr „Bild“ zu nähern. sind davon unverzichtbar? Gibt es etwas, von dem Sie sagen würden, dass etwas verloren ginge, wenn Föderalismus im Rundfunk wir das aufgäben? Würde ich schon meinen, aber es ist weitgehend Das ist sicher sehr zugespitzt. Die letzte Frage: Wir aufgehoben worden. Das begann aber nicht erst im wissen aus der Forschung, die sich mit Ablauf von Jahre 2000, sondern schon in den 1960er Jahren. Kriegen beschäftigt, dass kein Krieg endete, wie er Zumindest in den Zeitungen der britischen Zone, geplant wurde. Die Trennung und Auflösung des insbesondere in der „Welt“ als überregionale Zei- NWDR in SFB, WDR und NDR hatte zumindest für tung, wurden Nachricht und Meinung nach engli- die Trennung von NDR und WDR auch parteipoliti- schem und amerikanischem Vorbild getrennt. Das sche Motive. Die CDU-geführte Landesregierung ist dann sicher verwässert in einer Art, die ich Nordrhein-Westfalens wollte einen Sender, der ihr mitteleuropäischen Journalismus nenne: Heute gibt etwas näher stand als der große NWDR. Diese es in den großen, überregionalen Zeitungen viele Rechnung ist nicht aufgegangen, denn aus dem Berichte, in denen die Nachricht schon bewertet WDR ist kein lammfrommer CDU-naher Regie- wird. rungssender geworden, wie er jetzt unter anderen politischen Verhältnissen auch kein lammfrommer Also, dass werthaltige Adjektive sehr häufig vor- regierungsnaher SPD-Sender wurde. Das ist doch kommen? überraschend und positiv. So ist es. Das kann man bedauern. Man kann es Ja, würde ich auch so sehen. Aber das hat natürlich auch so formulieren, dass der angelsächsische mit zwei Dingen zu tun: Einmal mit dem Födera- Journalismus beim deutschen Publikum nicht ange- lismus, dass also jedes Land oder jeder Landesvater nommen wurde. Für uns, also die erste Generation, seinen eigenen Sender hat. Deshalb sind Fusionen die Mitte der 1940er Jahres anfing, Journalismus zu so schwer, wie wir es gerade mit Berlin- machen, hatten die Alten, die Deutsch-Nationalen, Brandenburg erleben. Zum Zweiten hat das auch wenig Verständnis. Heute ist es offenbar so, dass mit den Finanzen zu tun. Der WDR als finanz- viele Jüngere sich zwar für Amerika interessieren, stärkster Sender hatte natürlich viel mehr Möglich- aber eben nicht für das, was wir versuchten – den keiten als zum Beispiel Radio Bremen. Das ist ganz Prinzipien des guten Journalismus zu folgen. klar. Im Augenblick trauert man im Rheinisch- Nach meinem Eindruck ist diese Tradition, über die Westfälischen Bonn nach, was ich auf der einen wir sprachen, am klarsten noch in der „Tages- Seite verstehen kann. Auf der anderen ist es natür- schau“ erkennbar. lich töricht. Ich bin kein Zentralist, sondern halte das föderalistische Prinzip für ganz vernünftig. Ob

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es auf allen Feldern vernünftig ist, wie zum Bei- ler so bei einem Umzug aus der vorletzten Klasse spiel in den Kultusministerien, glaube ich nicht. Ob in Nordrhein-Westfalen in einer bayerischen Schule neun oder elf Sender sein müssen, frage ich mich noch zwei Jahre nachholen müssen – das halte ich auch. Wir können nicht auf der einen Seite von für reform- und verbesserungsbedürftig. Die Globalisierung schwärmen und auf der anderen Grundsatzfrage nach Föderalismus oder Zentralis- kleinste Zellen bewahren wollen. Das wird sich mus muss mit einer gesunden Mischung beantwor- nicht in Einklang bringen lassen. Also, irgendwann tet werden. Was für Bundesländer gilt, sollte auch steht hier, und dann kommen wir wieder aufs Fi- für Sender gelten: Sie müssen lebensfähig sein. Das nanzielle, auch die folgende Frage zur Diskussion: Saarland zum Beispiel ist nicht lebensfähig und Können wir uns ein solches System noch erlauben? Bremen auch nicht. Aber das müssen Politiker Oder muss man Föderalismus, gerade weil er so entscheiden. wichtig ist, nicht frühzeitig reformieren, um ihn zu Herr Hübner, ich danke ganz herzlich für das Ge- erhalten? spräch. Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ich halte 16 Schulsysteme in Deutschland für absurd. Dass in Peter von Rüden führte das Interview am 13. Bayern ein anderes Abitur gemacht wird und Schü- Juni 2002.

NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR 55 Zur Person: Hilde Stallmach-Schwarzkopf

geboren am 3. Dezember 1923 in Jägerweil/Pommern 1942 Abitur an der Luisen-Oberschule in Anklam 1943-1945 Studium der Fächer Deutsch, Theaterwissenschaft, Geschichte und Zeitungswissenschaft in Hamburg, und München Arbeit in der Schriftleitung der „Danziger Neuesten Nachrichten“ 1946-1947 Tätigkeit im Monitoring Department für den German News Ser- vice in Hamburg

1947 Teilnahme an einem Lehrgang der NWDR-Rundfunkschule in Ham- burg danach Tätigkeit als redaktionelle Assistentin von Axel Eggebrecht 1947 wechselt Hilde Stallmach nach Köln; dort redaktionelle und Moderati- ons-Tätigkeit für die „Sendung für den Bergmann“ und „Der Hörer hat das Wort“ 1953 Tätigkeit für die „Deutsche Welle“ in den Bereichen Radio und Fern- sehen; Aufbau der Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit (1963) September 1966: Wechsel nach Hamburg, wo sie ein Ressort für die nicht- kommerzielle Verwertung von Fernsehproduktionen innerhalb des Studio Hamburgs aufbaut Hilde Stallmach-Schwarzkopf lebt in der Nähe von München

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„Es war ein faszinierendes Experiment.“

Hilde Stallmach-Schwarzkopf über Kohlenklau und die Schwierigkeit, als Frau im Hörfunk aufzusteigen, im Gespräch mit Peter von Rüden

Frau Stallmach, erinnern Sie sich noch an das unter anderem Christa Rot- Kriegsende 1945, an die Stimmung damals und wie zoll im Feuilleton – die gefiel Sie die Situation erlebten? mir sehr gut – und Irene Na und ob. Ich war bei Kriegsende zu Hause in Seligo, von der ich nicht Vorpommern, einer kleinen Stadt, Anklam. Von genau sagen kann, ob sie für dort bin ich sehr bald, es war die sowjetisch besetz- die „Frankfurter Zeitung“ te Zone, nach Hamburg gegangen. Warum? Ja Gott, schrieb. Sie schrieb jedenfalls weil ich schon die ersten Schwierigkeiten kriegte aus Portugal. Da habe ich mit den „neuen Herrschern“. gedacht: Das mache ich auch. Dann ist es eigentlich ziem- Sie kamen von einer Diktatur in die nächste. lich gradlinig gegangen, das So ist es. Ich habe auch damals aus dieser Empfin- ist das Erstaunliche. dung keinen Hehl gemacht. Innerhalb von vier Wie kamen Sie denn zum Wochen wollten uns die neuen Machthaber in ei- German News Service? nem Crash-Kurs zu Schullehrern machen. Da gab es auch jemanden, der sich für einen Geschichtsleh- Das war ziemlich einfach. rer hielt und uns sein Verständnis von Geschichte Der Vater meiner Freundin beibringen wollte. Mit ihm geriet ich heftig anein- kannte den Chef dieses Moni- ander. Mir schien es dann geraten zu gehen. Meine toring Service und dann hat Familie war einverstanden. Schließlich war sie er mich da hin geschickt. schon daran gewöhnt, dass ich weg war, denn ich Monitoring Service, das war schon während des Krieges auf der Universität. müssen wir erklären. So bin ich nach Hamburg gekommen – auf man- Das bedeutet als erstes Auf- chen Umwegen. nahme, Nachrichtenaufnah- Auf Umwegen – wie ist das zu verstehen? me. Da liefen die Meldungen So viele Umwege waren es auch nicht. Ich habe der englischen und französi- schlicht und einfach Glück gehabt. Ich habe Men- schen Nachrichtenagenturen schen getroffen, die mir halfen in Situationen, in ein. Ich wurde gefragt, ob ich Englisch und Franzö- denen ich alleine nicht weitergekommen wäre. In sisch könne. Französisch konnte ich damals besser Hamburg fand ich eine Behausung. Die Eltern einer als Englisch, aber ich habe schlicht ja gesagt. Und Freundin nahmen mich auf. Dann fand ich eine irgendwie habe ich es dann auch gelernt – sozusa- Arbeit. Die brauchte ich, um leben zu können. Das gen „learning by doing“. war der German News Service, die erste deutsche Wie lange waren Sie dort? Nachrichtenagentur in der britischen Zone. Dort Knapp ein Jahr. Von Anfang 1946 bis die Rund- habe ich im Monitoring Service gearbeitet. Wir funkschule anfing, also bis zum Januar 1947. nahmen englische und französische Nachrichten Für die Rundfunkschule des Nordwestdeutschen auf, von Reuters und Agence France Presse, und Rundfunks musste man sich bewerben. Warum haben sie dann in der britischen Zone verbreitet. haben Sie sich dort beworben? Kannten Sie das Hörfunkprogramm des Nordwestdeutschen Rund- German News Service funks schon? Wollten Sie zu diesem Sender? Was Wie sind Sie Journalistin geworden? Man kommt war die Motivation, sich für diese Rundfunkschule nicht automatisch zum German News Service, zur zu bewerben? ersten Nachrichtenagentur nach dem Krieg. Ich wollte nicht unbedingt zum Rundfunk. Ich Nein, das ist wohl wahr. Ich hatte schon ziemlich wollte nur weg vom German News Service, weil früh die Vorstellung, dass das ein schöner Beruf für wir dort Schichtdienst hatten. Der fing früh um mich sein würde. Und ich hatte journalistische sechs an, ging bis mittags um zwölf, die nächste Vorbilder: „Das Reich“, die damalige Wochenzei- Schicht war von zwölf bis 18.00 Uhr, dann 18.00 tung, hatte bemerkenswerte Journalisten. Da gab es Uhr bis Mitternacht und dann kam die Nacht- schicht, also von 24.00 Uhr bis morgens um 6.00

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Uhr. Und dann hatte man eben nur diesen Tag frei Vierhundert werden zu einem Gespräch eingeladen. und das strapazierte damals doch ungeheuer, zumal Wie viele Plätze gab es denn? wir ja nicht sonderlich gut ernährt waren. Nach meiner Erinnerung zwanzig. Vielleicht waren Zu der damaligen Situation müssen wir noch ein- es dreißig. mal zurückkommen. Wie sah Hamburg zu dieser Sie haben sich für den ersten Kurs beworben. Zeit aus? Ja. Zunächst einmal war auch kein weiterer außer Es war ziemlich zerstört. Aber rund um die Alster dem ersten Kursus vorgesehen. und an der Rothenbaumchaussee war sehr viel Und nun wird die Hilde Stallmach, wie sie damals stehen geblieben. Das meiste eigentlich. Erstaunli- hieß, angenommen. cherweise war auch das Funkhaus erhalten. Nein, da noch nicht. Also, aus diesen Vierhundert Das war sozusagen der Glücksfall, dass der Nord- wurden dann noch einmal einige, ich weiß nicht westdeutsche Rundfunk oder zunächst Radio Ham- wie viele, herausgesucht. Die Übriggebliebenen burg wieder senden konnte. waren es dann, die antreten durften. Und dazu ge- Ja. Unsere Nachrichtenagentur lag direkt gegenüber hörte ich. Es war auch schlicht Glück. vom Funkhaus. Von diesem Radio wurde schließ- Ein bisschen Glück gehört immer dazu. Wurde man lich mitgeteilt, dass eine Rundfunkschule eingerich- denn, bevor man in die Rundfunkschule aufgenom- tet werden solle und sie nach jungen Leute suche, men wurde, schon gefragt, ob man irgendeine Ver- die sich dort bewerben sollten. gangenheit im Dritten Reich hatte? Oder spielte das keine Rolle? NWDR Rundfunkschule Fragebogen mussten wir ausfüllen. Beim German Es war die erste professionelle Ausbildungsstätte News Service hatte ich auch schon einen ausgefüllt. für Rundfunkjournalisten – da haben sich doch Dann kam eben dieser zweite Fragebogen. Befragt Tausende beworben, zumindest Hunderte? wurde ich jedoch nicht noch einmal. Es sollen an die Zweitausend gewesen sein. Aus Wenn der Fragebogen in Ordnung war, also keine diesen Zweitausend wurden Vierhundert herausge- wesentliche Vorbelastung vorlag, wurde das ab- sucht, zunächst mal nach ihren Papieren, die sie gehakt? eingereicht hatten. Dann wurde man „besichtigt“. Ja. Die Vierhundert wurden zu Gesprächen eingela- Und dann kamen Sie in diese Rundfunkschule. Wie den? lange dauerte die Ausbildung? Ja. Vier Monate. Musste man auch kleine Tests machen? Und das war eine richtige Schule, mit Unterricht Nein. Es wurde nur mit uns geredet. Da saßen dann am Vormittag und Nachmittag? aber acht bis zehn Leute und denen war man ausge- Ja. Es waren jeden Tag acht Stunden. Es war ganz liefert. Die fragten und fragten, fragten einem ein schön strapaziös. Loch in den Bauch – vor allem nach Allgemeinbil- dung. Axel Eggebrecht war damals auch dabei. Dozenten der Rundfunkschule Axel Eggebrecht hat Sie befragt? Wer waren denn die Dozenten? Wer hat dort unter- Wie die anderen auch. richtet? Wer war denn da noch dabei? Ich muss gestehen, dass ich mich nur an einige Alexander Maass, der Leiter der Rundfunkschule. erinnere. Das müssen die sein, die mir großen Ein- Dann war der spätere Kölner Intendant, Hartmann, druck gemacht haben. Das war zunächst natürlich der damals noch Mansfeld hieß, dabei. Und einige Axel Eggebrecht, der schon für die „Weltbühne“ von den künftigen Lehrern: Axel Eggebrecht bei- geschrieben hatte. Ernst Schnabel und Karl-Eduard spielsweise. von Schnitzler waren auch dabei. Waren die Lehrer Journalisten, die schon einen Dieser Karl-Eduard von Schnitzler, der dann spä- Namen hatten? ter beim DDR-Fernsehen den „Schwarzen Kanal“ Axel Eggebrecht kannte man natürlich. Aber Mans- machte, war also Journalist beim Nordwestdeut- feld war kein Journalist. Mansfeld, also Hartmann, schen Rundfunk? war Intendant des Metropol-Theaters in Berlin Ja. Zeitweilig sogar – aber das war noch vor meiner gewesen – sein letzter Job, wenn ich das richtig in Zeit – Leiter der politischen Abteilung in Köln. Erinnerung habe. Und Alexander Maass war Re- Ich habe einen Namen gefunden, der mich sehr migrant. verwundert hat: Da taucht ein Dozent namens Axel Springer auf.

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Ja. In der Tat. Ja. Der Großverleger Axel Springer war damals noch Heinz Erhard – das „Noch ein Gedicht“ kennen nicht der Großverleger? wir. Nein, das war er noch nicht. Aber offenbar auf dem Wie er da über das Kabarett plaudert ... besten Wege dahin. Erinnern Sie sich an Axel Springer? Vielseitiger Unterricht Nein. Wenn ich das richtig gesehen habe, hat er Also, Kabarett gehörte sozusagen zum Unterrichts- einmal eine Vorlesung über Verlagswesen gehalten. programm? Ich traf dort auch Kurt Wagenführ wieder, der im Gott, alles gehörte dazu! Dritten Reich schon über Fernsehen geschrieben hatte und bei dem ich auch in Leipzig schon ein Von heute aus gesehen ist das ja nicht selbstver- Seminar hatte. ständlich. Was machte denn Walther von Hollan- der? Wagenführ hat zum ersten Mal an einer Universität über Fernsehen unterrichtet, nicht wahr? Der machte so etwas, was er später als „Frau Irene“ in der „Hörzu“ machte. Ja. In Leipzig. Das heißt, die „Frau Irene“, die in der „Hörzu“ Und was hat Wagenführ unterrichtet? Öffentlich- Lebensberatung gab, soll Walther von Hollander keitsarbeit? Pressearbeit? gewesen sein? Nein, über das Fernsehen hat er geredet. Ich fürch- Ja, das ist wahr. te, ich habe ihn dann, als ich ihn traf, gekränkt. Es wirkte jedenfalls so. Sie hatten doch auch Deutsch als Fach. Welche Inhalte wurden noch angeboten? Wie haben Sie Kurt Wagenführ gekränkt? Das Ganze war im Grunde zunächst eher ein Crash- Wenn man jung ist, neigt man doch zu schnellen Kurs im Handwerklichen. Dass Inhalte dazu gehö- Urteilen. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht auch ren, das verstand sich eigentlich. Bei Eggebrecht fände, dass wir seinerzeit in Leipzig wie die Blin- war es weitgehend Allgemeinbildung, wenn man so den von der Farbe vom Fernsehen gesprochen hät- will, die ja auch nicht bei allen Leuten vorausge- ten. setzt werden konnte, jedenfalls nicht bei so jungen. Sie haben an der Universität Leipzig einen Kurs Es waren auch ein paar Ältere in diesem Kursus, über Fernsehen belegt und wussten gar nicht, was aber die meisten waren doch eben so knapp über das war? Zwanzig. So ist es. Aber das hat er weit von sich gewiesen. Ein Herr Stephan unterrichtete über die Propagan- Er sei von Anfang an beim Fernsehen gewesen. da, die braune Propaganda – das war die Propa- 1936 in Berlin, die Fernsehstuben, in die man hin- ganda im Dritten Reich. ein gehen konnte wie heute ins Kino – das habe es Ja, aber ich muss gestehen, dass ich mich an diesen doch alles schon gegeben. Und es sei auch zu dem Herrn Stephan überhaupt nicht erinnere, nicht ein- Zeitpunkt, als wir darüber geredet hätten, schon mal an den Namen. Das ist offenbar nicht sehr gewesen. Wie auch immer: Er fand es nicht sehr eindrucksvoll gewesen, was er da geliefert hat. Ich schön, dass ich das gesagt habe. weiß es schlicht und einfach nicht. Ich habe einen weiteren Namen einer Dozentin Ich vermute mal, dass es der Stephan war, der gefunden: Julia Nusseck, die später dann Chefre- schon aus seiner Tätigkeit im Reichspropaganda- dakteurin des WDR-Fernsehens wurde und die ministerium selber ganz gut die braune Propagan- auch Chef der Norddeutschen Landesbank war. da kannte. Ihre richtige Karriere fing an, als sie raus war aus Das würde ich nicht für ausgeschlossen halten. dem Betrieb. Elef Sossidi unterrichtete. Was hat sie an der Rundfunkschule unterrichtet? Ja. Er arbeitete schon für das „Echo des Tages“. Da Wirtschaft. Auch in ihrer Sendung hat sie über war auch Peter von Zahn tätig. Wirtschaft gesprochen. Aber Peter von Zahn hat nicht unterrichtet? Sie machte also schon eine Sendung beim Nord- westdeutschen Rundfunk über Wirtschaft? Doch. Eigentlich haben sie alle unterrichtet, alle die damals im NWDR in Hamburg arbeiteten. Werfen Ja. Heitmüller war ihr Chef. Das war der Wirt- wir doch mal einen Blick auf die Dozenten-Liste, schaftsmann, und sie war seine Mitarbeiterin. Die die ich noch habe: Bodenstedt. Bodenstedt war beiden machten sozusagen Wirtschaft. Landfunk, wenn mich nicht alles täuscht. Ludwig Und dann gab es einen Dozenten namens Heinz Cremer war Hörspiel. Deutschmann – das erinnere Erhard? ich nicht mehr, Döring auch nicht. Heinz Erhard

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nannten wir ja schon. Flemming war Kunst, und ich, auch nicht gesendet worden. Denn das war ja Forsthoff war kein fester Mitarbeiter des NWDR. wohl mit das Erste, was wir da alle gemacht haben. Eigentlich war er ein Verwaltungsrechtler, ein sehr bekannter. Die Rundfunkschule im Rückblick Das zeigt die Breite der Ausbildung. Literatur wur- Also, vier Monate konzentrierte Ausbildung, Vorbe- de auch unterrichtet? reitung auf den Beruf der Journalistin/des Journa- Ja, das machte Eggebrecht. listen. Wie wichtig war denn dieser Kurs für Sie, Was muss ich mir darunter vorstellen, Literaturun- wenn Sie das von heute aus betrachten? terricht an der Rundfunkschule des Nordwestdeut- Er war die Basis. Und es hat mich eben auch für schen Rundfunks? Was stand im Mittelpunkt? Eine Rundfunk sehr eingenommen. Bis dahin wusste ich Literatur, die man nicht kannte, weil sie im Dritten ja nicht einmal, wie Radio funktioniert. Ich wusste Reich verfemt war? nur, da kommt ein Ton raus. Man hört zu oder eben Eggebrecht ist sehr weit zurückgegangen. Catull auch nicht. Aber was da im Einzelnen los war, das kam beispielsweise auch vor. Es fing also praktisch war mir völlig unklar. Ich hatte nicht die geringste mit der Antike an. Er hat das sehr gründlich ge- Ahnung, was da auf mich zukommt. Die haben mir macht. Es ging bis in die 20er Jahre. Also, das, was beigebracht, was Rundfunk ist. Zunächst war ich wir auf der Universität noch nicht gehört hatten. voller Bewunderung für alle Leute, die da auftraten. Es war eigentlich ein Grundkurs in Literaturge- Das legte sich dann in dem Maße, in dem ich selbst schichte. lernte, was zu tun ist und was man tun kann. Wir mussten dann jeweils nach einem Monat aufschrei- So ist es. Ja, kann man so sagen. ben, was wir von der Ausbildung hielten. Wenn ich das richtig verstehe: Das Ausbildungs- Was hielten Sie denn von der Ausbildung? programm umfasste Verwaltungsrecht, Deutsche Sprache, auch Spracherziehung, Aussprache von Auswendig weiß ich das nicht mehr, denn das liegt Fremdsprachen – wie spricht man Englisch aus, alles über 50 Jahre zurück. In dem, was ich damals Französisch, auch Russisch -, dazu Literatur und aufgeschrieben habe, habe ich alles sehr im Einzel- handfeste, handwerkliche Ausbildung? nen beurteilt. Aber ich kann einen kurzen Auszug vorlesen: „Der erste Monat des Kurses liegt fast So ist es. hinter uns. Wochen ausgefüllt mit vielen neuen, manchmal sich fast überstürzenden Eindrücken und Praktische Rundfunkarbeit konzentrierter Arbeit. Als Lehrer standen uns Men- Und innerhalb dieses Kurses musste man auch ein schen gegenüber, deren Namen fast jedem durch Radio-Feature, eine Reportage machen unter An- den Rundfunk geläufig sind. Eine Tatsache, die leitung? mich zunächst mit Skepsis erfüllte. Ich fürchtete, einen Schulbetrieb im wahrsten Sinne des Wortes Es wurde eine Redaktion gebildet und diese Redak- anzutreffen: Auf der einen Seite die Lehrer, auf ihre tion machte ein Feature. Es war ein Feature über Autorität pochend, auf der anderen wir, die Schüler, einen Eisenbahnwaggon und darüber, was der so Versuchsmaterial. Ich war ausgesprochen froh, dass alles erlebt hat. sich meine Befürchtungen nicht bewahrheiteten. Also, ein Eisenbahnwaggon, der seine Erlebnisse Die Schule war ein Experiment, an dem Schüler erzählt? und Lehrer gleichermaßen beteiligt waren.“ Das Ja. Der Eisenbahnwaggon war in Frankreich, in war es in der Tat. Paris, hergestellt worden und fuhr dort auch zu- Würde man von heute aus sagen, das war schon nächst hin und her, zwischen Paris und Lyon. Als eine moderne Pädagogik, das war kein Frontalun- die Deutschen dann kamen, hat er Waffen und terricht, das war Gruppenunterricht? Soldaten befördert. Kurz gefasst: Es war die Ge- Das könnte man durchaus sagen. Dazu habe ich schichte des letzten Krieges. damals auch etwas gesagt. Hier in dem Text steht: Es war eigentlich ein Geschichtsstück, nicht? „Ein Zustand, der meiner Ansicht nach der Arbeit In gewisser Weise ja. sehr zuträglich war. Sich etwas erarbeiten zu kön- Wurde das auch produziert? nen und müssen, wird immer fruchtbarer sein als bloßes Zuhören. Ein Blick in den Lehrplan der Nein, wenn ich mich richtig erinnere, haben wir das ersten vier Wochen beweist, wie viel Raum man selber sprechen müssen. der eigenen gedanklichen Arbeit der Schüler einge- Es gehörte auch zur Ausbildung, dass man die räumt hat, Diskussionen und immer wieder Diskus- Texte dann selber sprechen sollte oder musste? sionen. Abgesehen davon, dass diese Gelegenheit Ich glaube, es wäre zu teuer geworden, wenn man nicht immer voll genutzt wurde,“ – das war offen- das regelrecht produziert hätte. Aber es ist, glaube

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bar selbstkritisch – „hätte ich mir mitunter mehr Holstein, Hamburg, und Berlin gehörten dazu. Es von einer Diskussion versprochen.“ hatte also eine ganz zentrale Bedeutung. Es gab aber BFN. Das war zwar nicht für deutsche Grundkurs in Rundfunktechnik Hörer gemacht, sondern für die britischen Truppen in englischer Sprache, aber sie konnten es hören. Wurde denn auch Technik gelehrt? Aber das waren die beiden Programme. Warum Ja, alle handwerklichen Grundfragen wurden be- hatte denn dieses Hörfunkprogramm eine so große handelt, wie man mit dem Mikrofon umgeht zum Bedeutung? Weil es das Einzige war? Beispiel. Weil es zunächst informierte über das, was gerade Haben sie auch mit Tonbandgeräten gearbeitet? lief: Zuteilungen, Sonderzuteilungen oder wann Die Nagra, dieses kleine Tonbandgerät, gab es man wo Lebensmittelkarten abzuholen hatte. Gott, damals noch nicht? ich vergesse einfach darüber zu reden, weil ich das Das man selbst schleppen konnte? Nein, das gab es für so selbstverständlich hielt. noch nicht. Ich weiß nicht mehr, wie diese Dinger Wir müssen uns zurückversetzen: Die Städte waren hießen, die es damals schon gab, aber sie waren Trümmerfelder. dann doch so groß, dass man jemanden brauchte, der das transportierte, und vor allem auch damit Und wie, Köln war eigentlich am schlimmsten. umgehen konnte. Als ich übrigens den Ü-Wagen Es gab Kohlemangel im Winter, es wurde gefroren. hier draußen sah, fiel mir der erste Ü-Wagen ein, Das war die Lage. mit dem ich in Köln unterwegs war. Das war noch In Hamburg hatte ich dann schließlich, wenn ich einer mit Holzgas. darauf noch einmal zurückkommen darf, ein möb- Holzgas – was ist das? liertes Zimmerchen gefunden, das nicht allzu weit Wie das im einzelnen funktionierte, weiß ich auch vom German News Service war. Ich konnte es zu nicht, aber es war hinten auf dem Auto eine Art Fuß schaffen, es war nicht allzu weit vom NWDR großer Zylinder. Hierin wurde das Holzgas herge- entfernt. Ich hatte keine Heizung. Die hätte sowieso stellt, vielleicht aber auch nur nach dem Tanken nichts gebracht, aber ein anderer Untermieter hatte aufbewahrt – ich weiß es nicht mehr genau. Jeden- im Radio gehört, wo man Kanonenöfen kriegen falls fuhren wir damit. Wenn wir unterwegs waren, könnte. Dann sind wir da hin und haben einen Ka- dann sammelten wir Holz, aber das nicht für diesen nonenofen erworben, einen für mich, einen für ihn. Holzgasmotor, sondern wir hatten einen Toningeni- Er konnte ihn auch einbauen. Dafür muss man ein eur, dessen Mutter lebte im Bergischen Land. Und Rohr aus dem Fenster legen. Irgendwie kam man wenn wir da unterwegs waren, was häufig vorkam, auch an Briketts, an einige jedenfalls. Besser war sammelten wir das Holz, das sie dann für ihren natürlich Holz, weil das schneller brannte, dann kleinen Kanonenofen brauchte, um für uns eine wurde es eben auch schneller warm. Aber immer- Kleinigkeit zu Essen zu machen. So ging das da- hin war ich die Einzige in unserem Kursus, die ein mals. solches Zimmer mit Kanonenofen hatte. Demzufol- ge haben wir uns da manchmal auch versammelt, Das, glaube ich, können die heutigen Hörfunk- und wenn die anderen Briketts mitbrachten, und gere- Fernsehjournalisten kaum mehr nachvollziehen ... det. Nein, wie sollten sie auch?! Heißt das, dass die anderen Teilnehmerinnen und Der erste Reportagewagen des Nordwestdeutschen Teilnehmer des ersten Lehrgangs der NWDR- Rundfunks in Hamburg muss ein umgebauter Lei- Rundfunkschule kein geheiztes Zimmer hatten? chenwagen gewesen sein, erzählte Jürgen Roland. Manche nicht. Ob es alle waren, weiß ich nicht. Der Da wäre nur notdürftig der Name des Leichenbe- Eine oder Andere wohnte vielleicht noch zu Hause statters überpinselt worden, und man habe „Nord- und hatte dort einen Ofen. Es war kalt und es gab “ darauf geschrieben. Das wenig zu essen. Wir lebten eigentlich von einer waren doch Anfänge unter Bedingungen, die mit Mahlzeit, die die Besatzungsmacht den Angestell- den heutigen nicht zu vergleichen sind. ten des NWDR gab. Das war ein Mittagessen. Na, das muss man wohl sagen! Das war doch schon ein Privileg, dass man dort beköstigt wurde? Bedeutung des NWDR nach 1945 Aber ganz entschieden. Das war ganz ungemein Aber gleichwohl war dieses NWDR Hörfunkpro- wichtig. gramm das einzige Hörfunkprogramm in der Briti- Dieses Hörfunkprogramm des NWDR war wahr- schen Zone, in einem relativ großen Gebiet – Nord- scheinlich selbst ein Lebensmittel, also zum Über- rhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig- leben notwendig? Stimmt.

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Anleitung zum Kohlenklau? Der NWDR und die SBZ Man hörte den Sender auch, weil man so wusste, Hatten Sie unmittelbar nach 1945 das Gefühl, so wo es Zuteilungen gibt, es wurde bekannt gegeben, wieder Anschluss an die Welt zu gewinnen? wie die Kohlenzüge verkehrten. Man musste ja erst mal sehen, dass man über die Richtig. nächsten Wochen und Monate kam. Dann konnte Das war fast eine Einladung zum Kohlenklauen. man anfangen, sich darüber zu freuen, dass die Welt sich öffnete. Aber sie öffnete sich nur für die Das war in Köln so. Da hieß das Fringsen. Westzonen. Man kam auch nur mit Schwierigkeiten Ja, den Begriff kenne ich: Fringsen geht zurück auf aus der Sowjetzone da hin, um dort jemanden zu eine Äußerung des Kardinals Frings, der gesagt besuchen. Aus dem Osten herauszukommen, war hat, Kohlenklauen ist keine Sünde, oder? für jemanden, der dort wohnte, unmöglich, wenn er Richtig. Kohlenklau ist kein Diebstahl. nicht floh. War Kohlenklau denn üblich in der damaligen Das Hörfunkprogramm des NWDR, ausgestrahlt in Zeit? den ersten Jahren auch in Berlin, war auch für die Ja, sicher. Wenn die Züge langsam fuhren, dann Sowjetische Besatzungszone, für die Leute die dort kletterte da jemand rauf und warf Kohlen runter wohnten, wichtig. Hatte man da Rückmeldungen? und unten sammelten die anderen diese auf. Meine Mutter, die in Anklam lebte, hatte Rückmel- Ja. Das ist erstaunlich. Es war eigentlich doch ein dungen von Nachbarn oder Freunden, die mich Hinweis, wie man auf nicht ganz legale Art und gehört hatten. Also hörten sie den Nordwestdeut- Weise an Kohlen kommen kann. schen Rundfunk. Post gab es manchmal. Das waren Briefe, die mitgegeben wurden, und die dann in Ja, aber es war einfach nötig, denn dieser Winter Westdeutschland in den Briefkasten gesteckt wur- von 1947 auf 1948 war der kälteste. Und das war den. Die gab es. Aber naturgemäß nicht sehr viele. schlimm. An Hunger gewöhnt man sich in gewisser Weise, aber die Kälte war wirklich scheußlich. War das im Kopf der Macherinnen und Macher, dass man sagt: Wir werden auch in der Sowjetzone Das Radio war das einzige Medium? Gab es Ta- gehört, wir haben eine ganz wichtige Funktion. geszeitungen? Wie informierte man sich? Ja. Es gab auch einmal eine Sendereihe, die mor- Durch das Radio. Zeitungen gab es zwar schon, gens lief – in welchem Jahr das war, weiß ich nicht aber die musste man bezahlen und sehr viel Geld mehr. Sie hieß „Gruß an die Zone“. Das waren fünf hatten wir nicht. Soweit es mich also betrifft: Mei- Minuten, jedes Mal mit einem Thema, das wir zum ne Informationen kamen aus dem Radio. Und so Beispiel aus dem „Neuen Deutschland“ hatten und lange ich bei der Nachrichtenagentur war, kamen das die Leute in der Ostzone beschäftigen musste. sie aus dem, was ich da schrieb. Verschiedene Leute, unter anderem auch ich, Sie waren dann nach dem Kurs in der Rundfunk- schrieben für diese Sendereihe, aber wir schrieben schule kurzzeitig Assistentin von Axel Eggebrecht. alle unter einem Namen: Das war Irene Kersten. Axel Eggebrecht – ein Name, der immer wieder Und es sprach ein Sprecher, ein Mann, weil auch genannt wird in Zusammenhang mit dem hohen Männer für diese Reihe schrieben, da konnten wir journalistischen Profil dieses NWDR- nicht gut eine Frauenstimme nehmen. Das war als Hörfunkprogramms. Wie haben Sie Axel Egge- gezielte Sendung aus Köln, glaube ich, die einzige. brecht erlebt? Ich erinnere mich meiner Jugend, als die Kaba- Zum einen habe ich ihn, wie gesagt, als ungemein rettsendungen aus Berlin – also Günther Neumann gebildeten und kenntnisreichen Mann kennen ge- und seine Insulaner, Politik, Zeitgeschichte, Kritik lernt – und als jemanden, der fabelhaft formulieren – damals etwas ganz Wichtiges waren. konnte, der einfach ein angenehmer Mensch war Ja, vor allem waren sie sehr gut: Der Neumann mit und junge Leute zu begeistern verstand für das, was seinen Insulanern. Dass die gehört wurden – ich er tat. denke, das versteht sich – soweit sich die Leute Begeisterung für die Radioarbeit – war das eine trauten, ihre Radios darauf einzustellen und nicht Grundstimmung der NWDR-Mitarbeiter? Angst hatten. Sagen wir mal: Es war eine Art Aufbruchsstim- Gab es nach Ihrer Erinnerung so etwas wie ein mung: Der Krieg war vorbei und wir hatten über- Sendungsbewusstsein? Wollte man etwas mitteilen lebt. Darüber konnte man eigentlich nur glücklich von dem, was man wusste? Hatte man den Wunsch, sein. Und das waren wir auch. Dann hatten wir über das Radio den Leuten etwas zu sagen, was sie dieses Gefühl: Nun fangen wir an, nun fangen wir noch nicht wussten, aber von dem man dachte, dass neu an. Und – wir sind dabei. sie es unbedingt wissen müssen nach dem Krieg?

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Sicher gab es Leute mit Sendungsbewusstsein. Ich dann später auch. Dann gab es noch eine Kinder- hatte keines. Wie sollte ich Leuten das mitteilen funkfrau, auf deren Name komme ich aber nicht wollen, was sie nach meiner Ansicht wissen müs- mehr. sen? Das kann ich gar nicht beurteilen. Wer kann Jedenfalls gab es nicht viele Frauen im Nordwest- das beurteilen? Ich habe mir immer Themen ge- deutschen Rundfunk. sucht, die mich selbst interessierten, und von denen Nein, das waren sie alle. Und es kamen keine hinzu ich nicht genug wusste, so dass ich es mir erarbei- – das wollte ich eigentlich sagen. Als ich zum ten musste. NWDR kam, war es noch möglich, reinzukommen, Sie haben unterstellt, wenn Sie das interessiert, da nahm man uns gerne, und dann kam nichts mehr interessiert es auch die Hörer? – lange Zeit. So ist es. Dann muss es andere Leute geben, die das Das sagen andere Frauen, die beim NWDR ange- auch interessiert. fangen haben, auch. Die Aufstiegsmöglichkeiten Was waren das für Programme? waren offenbar begrenzt. Da ich bei Eggebrecht angefangen habe, waren das Ja. Ich habe es im Laufe der Jahre bis zur Hauptab- zunächst literarische Programme. Das lag auch in teilungsleiterin gebracht. Das war 1963. Mehr war meiner Studienrichtung. Die erste Sendung, die ich aber damals auch nicht drin. Ich hatte auch nicht für eine Sendereihe von Eggebrecht gemacht habe, den Ehrgeiz, Programmdirektor werden zu wollen, hieß zum Beispiel „Die Geburt der Novelle“. Das das wäre nicht meine Sache gewesen, aber es wäre war also Boccaccio oder etwa „Lutz und Peter“, auch unmöglich gewesen. Auch Hauptabteilungs- eine Geschichte von Romain Rolland. Furchtbar leiterinnen gab es wohl nicht viel mehr als zwei. viel fällt mir nicht mehr ein, was ich gemacht habe, Es war also eine Ausnahme, wenn eine Frau eine höchstens eines: ein Porträt des Verlegers Ernst solche Leitungsposition im Rundfunk bekam. Rowohlt. Da war ich wirklich sehr stolz, dass der Ja, es war eine Ausnahme. Eggebrecht mir das als Aufgabe gegeben hat. Das zeugte ja doch von einem ganz beachtlichen Ver- trauen, das er in mich setzte. Von Hamburg nach Köln Sie wechseln vom Nordwestdeutschen Rundfunk Frauen im NWDR Hamburg nach Köln. Wann war das? Wenn man sich ansieht, welche Frauen damals im Das war 1947. Ich war vier Monate auf der Rund- NWDR gearbeitet haben, die Mitarbeiterinnen der funkschule, dann noch ein paar Monate bei Egge- ersten Stunde, fallen immer wieder folgende Na- brecht als Assistentin. Ich war sein Lehrling und es men: Rosemarie Schwerin ... war sehr gut, dass ich die Zeit bei ihm hatte. Und dann gerüchtelte es, dass Entlassungen bevorstün- Ja, Kinderfunk, das machte sie sehr gut! den. ... Helga Norden, später Helga Diercks-Norden, In Hamburg? Julia Nusseck, spätere Dingwort-Nusseck, Helga Boddin, Hansi Eggeling, Hilde Stallmach. Nach Ja. Da kriegte ich es mit der Angst. Ich dachte mir, den heutigen Maßstäben wirklich Karriere gemacht dass eben die, die zuletzt gekommen sind, zuerst haben wenige. Woran lag das? gehen müssen. Da habe ich mich mal umgehört, in Richtung Köln, wo Hartmann inzwischen saß. Zunächst war es so, dass Frauen eine große Chance hatten, reinzukommen. Die Männer waren noch Er war Intendant des Funkhauses Köln. nicht zurück, viele waren noch in Gefangenschaft. Ja, er empfahl mich an Werner Höfer. Höfer hat Andere waren politisch belastet und die konnte man mich dann kommen lassen. Zunächst war ich eine nicht nehmen. Da waren Frauen eigentlich ganz Art Notnagel. willkommen. Das legte sich dann sehr bald, glaube Wie haben Sie denn den Wechsel von Hamburg ich. Danach ging ich ja nach Köln. nach Köln erlebt, aus diesem Funkhaus in der Ro- Zum NWDR ins Funkhaus Köln. thenbaumchaussee in das Funkhaus in Köln? Dort waren drei Frauen vorhanden im Programm. Zunächst hat es mich erschreckt, weil die Stadt ein Das war die Friedel Hömke, die war damals in einziger Trümmerhaufen war. Köln war in der einer Abteilung, an deren Namen ich mich nicht Mitte so grässlich zerstört, um den Dom herum, erinnere. nicht einmal Straßen waren mehr zu erkennen. Das, Kulturelles Wort. was heute die Hohe Straße ist, war damals ein Trampelpfad über Trümmer. Und so sah es rund- So ähnlich, aber das war es auch nicht. Und dann herum aus! Es kam dann irgendein Jubiläum, aus die Obendorfer, die in der Abteilung Politik ange- dessen Anlass dann endlich die Straßen richtig siedelt war, die alles mögliche machte, wie ich

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geräumt wurden. Bis dahin sah alles eigentlich Aber das war nicht genug. Die Landespolitik wollte noch richtig nach Krieg aus. mehr. Sie wollte das Funkhaus als eigene Anstalt Ende 1947 gab es in der Kölner Innenstadt noch haben. keine Straßen im heutigen Sinne, sondern nur eine Ja, richtig. Das war dann 1956. Trümmerwüste? Ja. Und der NWDR saß in dem alten Funkhaus in Politisierung des Rundfunks der Dagobertstraße – es war kein sehr gutes Viertel. 1956 war es mit dem NWDR endgültig zu Ende. Und dort haben wir dann Programm gemacht. Erinnern Sie sich an Konflikte über den NWDR? Gab es denn, als Sie nach Köln kamen, irgendet- Der ist als Rotfunk verschrieen worden. Diese was, was ihnen dort auffiel? Wie man die Zentrale Polarisierung in der Bewertung des NWDR jeweils in Hamburg betrachtete? Gab es schon die ersten nach parteipolitischem Standort kann man schon Anzeichen dafür, dass man sagte, wir wollen weg sehr früh feststellen. Erinnern Sie sich daran? aus dem Nordwestdeutschen Rundfunk, wir wollen Nein. unseren eigenen Rundfunk? Hat das in der Arbeit eine Rolle gespielt? So weit es die Mitarbeiter anging, glaube ich nein. Wie es in der Spitze aussah, kann ich nicht beurtei- In meiner Zeit nicht. len. Hartmann war immer sehr darauf erpicht, die- Das war auch nicht wichtig, wo man politisch sen Sender als westdeutschen Sender zu sehen. stand? Immerhin gab es ja in den 20er Jahren einen Kölner Für uns nicht. Sender – Ernst Hardt war der Leiter. Während des Das hört man immer wieder, dass das in der dama- Krieges, während der Nazizeit war das natürlich ligen Zeit keine Rolle spielte. auch ein Sender gewesen, der Reichssender Köln. Und nun war der Kölner Sender Teil des Nord- Meine einzige Erfahrung in dieser Hinsicht war mit westdeutschen Rundfunks. Dass Hartmann das Heinz Kühn, dem späteren Ministerpräsidenten von gerne anders haben wollte, lag eigentlich ziemlich Nordrhein-Westfalen, den ich gelegentlich als In- klar auf der Hand. Was er allerdings unternommen terviewpartner im Jugendfunk gehabt habe. Er hat, weiß ich nicht. schien großen Wert darauf zu legen, mich für die Jungsozialisten anzuwerben. Die nordrhein-westfälische Landesregierung be- trieb in den 50er Jahren schon, und schließlich mit Da hatte er aber wenig Chancen bei Ihnen? Erfolg, die Auflösung des Nordwestdeutschen Ja, in der Tat, weil ich, egal welche politische Rich- Rundfunks in den späteren NDR und WDR. Das tung es war, keiner Organisation mehr angehören Argument, was vorgetragen wurde, war, ein wenig wollte, die mir vorschreibt, was ich zu denken habe vergröbert zusammengefasst: Dieses Hamburger und in welche Richtung ich zu argumentieren habe. Programm aus dem Norden, aus dem protestanti- Da war es bei mir zappenduster. schen Norden, aus dem vielleicht sogar sozialde- War diese Ferne zur politischen Partei oder zu mokratischen Norden, das passt nicht zu den rhein- politischen Parteien auch ein Reflex auf die Erfah- ländischen Katholiken. Das ist eine andere rung im Dritten Reich? Mentalität. Davon gehe ich aus, dass es so war. Ich wüsste Ist es auch, ja. nicht, was es sonst gewesen sein könnte. Da braucht man für diese andere Mentalität auch Man wollte frei sein im Denken? ein eigenes Programm, ein eigenes Radio, eine Ja. Man wollte vor allem auch frei sein, sagen zu eigene Anstalt. War das die Stimmung in Köln? können, das finde ich richtig, selbst wenn es von Nein, das kam eigentlich erst mit dem UKW- einer Seite kommt, die mir unsympathisch ist oder Rundfunk. Das war dann das eigene Programm. die ich unerfreulich finde. Aber solche Leute kön- Das war ausschließlich auf Nordrhein-Westfalen nen ja auch eine gute Idee haben und dann möchte eingerichtet. ich sagen können: „Die Idee ist gut.“ Im Nordwestdeutschen Rundfunk entstehen neben Konnten Sie das realisieren? Waren Sie da ganz dem Mittelwellenprogramm zwei UKW- frei? Sie haben eine Sendung gemacht, die hieß Programme. Heute würde man sagen, es waren „Die Sendung für den Bergmann“, heute würde erste Schritte zur Regionalisierung: ein UKW- man modern sagen, eine Zielgruppensendung. Sie Nord- und ein UKW-West-Programm. Und das haben eine Sendereihe gemacht „Der Hörer hat UKW-West-Programm war ein Programm für das Wort“. Nordrhein-Westfalen? Ja, das war eigentlich eine Sendung von Hans-Otto Richtig. Wesemann, aber ich habe sie vorbereitet und dann

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auch gelegentlich selbst gemacht – wenn er nicht da ... im Ruhrgebiet und, ich glaube auch im Saarland, war. Kohle förderten, damit man diese Winter nach dem Krieg überstehen konnte. „Der Hörer hat das Wort“ So ist es. „Der Hörer hat das Wort“, das klingt modern, so Und da gab es dann diese Sendung für die Bergleu- dass man sagt, der Hörer selber macht Programm te. oder er kommt im Programm vor. Ja. Sie war zur Hälfte sozusagen sachlich. Es wurde Nein, es war so, dass die Hörer Briefe zu Themen mitgeteilt, wann die Züge mit den Care-Paketen schrieben, die vorgegeben waren. Mitunter konnten fällig waren oder eben wie viele Tonnen wieder wir auch die Themen wieder aus Hörerbriefen neh- mehr gefördert worden waren. Also eigentlich eher men, in denen Leute zum Beispiel schrieben, dass Nachrichtliches. Die andere Hälfte bestand aus sie sich über Halbstarke geärgert haben. Literatur, Bergmannsliteratur, Bergmannslieder – so was alles. Ich will nicht gerade sagen folkloris- Es gab immer ein konkretes Thema? tisch war die andere Hälfte der Sendung, aber nah Es war immer ein konkretes Thema. Dann, wie dran war es schon. gesagt, äußerten sich die Leute dazu, mehr oder Auch Musik? minder vernünftig, mehr oder minder emotional. Wir haben die Briefe natürlich gekürzt, ohne die Ja. Die Bergmänner haben ja ihre Chöre. Inhalte zu verändern, denn mehr als zehn, zwölf War das eine 30-Minuten-Sendung? Briefe konnte man in einer halben Stunde nicht Ja, auch am Sonntag. verhackstücken. Ich habe hier einmal ein paar Titel Gab es da Reaktionen der Bergleute? War das eine aufgeschrieben, die wir behandelt haben: Einmal wichtige Sendung? war es „Genügen Dorfschulen den heutigen An- sprüchen an die jungen Leute?“, dann „Halbstarke“ Ich weiß nicht, ob sie wichtig war – vielleicht. Es und „Jugendkriminalität“, Verbraucherfragen hat- war die erste Sendung, die ich in Köln gemacht ten wir auch, beispielsweise „Können Verbraucher habe. Als ich dorthin kam, hatte ich hatte noch Preise bestimmen?“ oder „Ist der Fahrunterricht nichts vom Bergbau gehört. In Pommern wusste ausreichend für den immer dichter werdenden Ver- man zwar, dass irgendwo Kohle herkommt, aber kehr?“ wie die nach oben kommt, das wussten wir nicht. Dann bin ich im Ruhrgebiet herumgefahren, habe Also alles Themen, die in der Zeit sicher von gro- überall meinen Antrittsbesuch gemacht und eine ßer Bedeutung waren. Zeche angeguckt. Ich musste erst einmal wissen, Ja, sie beschäftigten die Leute. Das Thema „Wie- um was es sich eigentlich handelt. Die Zusammen- derbewaffnung“ zum Beispiel lief über mehrere arbeit – wenn man das so bezeichnen kann, aber Sonntage. Das war sehr heiß diskutiert. das sollte man ruhig – hat ganz gut funktioniert Diese Programme „Der Hörer hat das Wort“ wur- zwischen den Bergwerken und uns. Sie teilten uns den im gesamten NWDR-Sendegebiet, also von mit, was bei ihnen gerade anlag und was wichtig Flensburg bis Köln, Düsseldorf, ausgestrahlt? wäre zu sagen. Ja. Gab es denn auch Reportagen über den Arbeitsall- tag der Bergleute? „Sendung für den Bergmann“ Ja, das gab es ganz gewiss. Und was war „Die Sendung für den Bergmann“? Richtete sich die Sendung auch an ein allgemeines Publikum, damit dieses wusste, was im Bergbau los Das war eine Halbstunden-Sendung. Sie lief aber ist? nicht sehr lange. Bergleute sind sehr eigene Leute, immer gewesen, sie sehen sich auch als ganz be- Also, zunächst richtete es sich natürlich an die sonderen Berufsstand. Sind sie auch. Bergleute. Mit einer besonderen Tradition. Die Bergleute waren die erste Zielgruppe? Ja und ob sie die haben. Und die mussten auch Ja. Aber dann natürlich auch alle anderen Hörer. Da gepflegt werden, denn sie waren damals ganz un- ist es wieder der Fall: Das, was man sich selbst erst geheuer wichtig. Wir haben dann auch jede Tonne einmal erarbeiten muss und wovon man annehmen Kohle, die mehr gefördert wurde, in dieser Sendung kann, dass andere Leute es ebenso gerne wissen gefeiert. möchten. Das war unglaublich wichtig, dass die Bergleute, Diese Sendereihe wurde dann eingestellt? dass die Zechen ... Ich kann nicht mehr genau sagen, wann es war. Wir ... bei Laune blieben. brauchten die zusätzlichen Tonnen Kohle nicht

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mehr zu feiern – also war es im Zweifel nach der finden. Das war das Ende des Jugendfunks. Wir Währungsreform. haben da Themen behandelt, die andere Alters- gruppen auch interessierten. Also, warum sollte „Die erste Stunde“ man das Jugendfunk nennen? Es gibt eine Sendereihe des Nordwesdeutschen Hörerpost Rundfunks, die, glaube ich, abwechselnd aus Ham- burg und aus Köln kam, „Die erste Stunde“. Das Wie wichtig waren denn Briefe, Telefonate von war eine Frühsendung, eine Frühform, heute würde Hörerinnen und Hörern für die Arbeit im Sender? man sagen, ein Morgenmagazin. Was war das für Eine Medienforschung stand ja erst in den Anfän- eine Sendung? Wann wurde die ausgestrahlt? gen. Wie erfuhr man überhaupt, ob eine Sendung Ich bin nicht mehr ganz sicher: Vielleicht um fünf, angekommen war, was die Hörerinnen und Hörer vielleicht um sechs – oder doch um fünf bis sechs? davon dachten? Aber was war das für eine Sendung? Nur durch die Hörerpost. Also, die Sendung „Der Hörer hat das Wort“ lebte ja von Hörerbriefen. Da Es war eine Art Magazin-Sendung. Es waren Nach- wurden die Hörer auch animiert zu schreiben. Es ist richten dabei, fünf Minuten. Dazu der Leitartikel, immer so: Briefe, in denen sich Leute aufregen, der an diesem Morgen mit der Zeitung auf dem werden eher geschrieben als Briefe, in denen Leute Frühstückstisch liegen würde. Außerdem gab es sich bedanken. Es kommt vor, aber sehr viel selte- Musik, Geschichten, irgendetwas, was komisch ner. Und deshalb kann man eigentlich von einem oder lustig oder einfach auch nur interessant war. Einfluss der Hörerbriefe auf das Programm kaum Aber es war nicht die politische Frühsendung oder reden. Man kann sich nicht nach dem Bösen rich- das politische Frühmagazin, unterbrochen durch ten, denn man muss davon ausgehen, dass eben populäre Musik? diese Sendung, über die sich die einen aufregen, Nein. Es war eher eine unterhaltende Sendung mit andere gerne und mit Interesse gehört haben. einigen Informationsteilen, also Nachrichten und dieser Leitartikel. Aber das genügte damals auch. Im Grunde sollte es die Leute morgens etwas ver- söhnlicher stimmen dafür, dass sie so früh aufste- hen mussten. Wenn man auf die Sendepläne sieht, stellt man fest, dass in der damaligen Zeit nicht wie heute stünd- lich Nachrichten gab. Nein, nicht stündlich, aber da können wir auch nachsehen: Hier habe ich eine alte Funkzeitung, in der steht: „Mittwoch: ‚Die erste Stunde’, Mikrofon, Werner Höfer.“ Um 5.45 Uhr war Schluss, Nach- richten. Also fing es doch um fünf an, nicht um sechs. Nachrichten, dann Frühmusik, Gartenfunk. Um 7.45 Uhr Nachrichten, 7.50 Uhr Nachrichten aus Norddeutschland. 8.45 Uhr Nachrichten. Im Jahre 1949 gab es doch schon ein dichteres Nachrichtenangebot. Ja. Es geht auch so weiter: „8.50 Uhr Nachrichten aus Westdeutschland, 12.45 Uhr Nachrichten“. Das ist ja doch erstaunlich viel! Und abends gab es immer das „Echo des Tages“, was es ja bis heute gibt. Ja. Hilde Stallmach 1954 Wie wichtig war der Jugendfunk? Jugendfunk wurde in Köln nicht wahnsinnig wich- Aber jeder, der Radio oder Fernsehen macht, hat tig genommen. Hartmann hat ihn auch sehr bald doch ein großes Interesse daran, zu erfahren: Wie abgesetzt, weil er fand – womit er auch gar nicht so sind wir angekommen? unrecht hatte -, für einzelne Altersgruppen Pro- Natürlich. gramme zu machen, abgesehen vom Kinderfunk, Das ist ja auch ein gewisses Motiv der Eitelkeit. sei unsinnig. Dann würde man überhaupt kein Ende

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Na ja. Der Autor oder Produzent oder Sprecher kamen. Eine 50-Minuten-Sendung haben wir ge- einer Sendung hat natürlich gerne einen Brief, der macht. Das war die erste Fernsehsendung für mich. bestätigt, dass er gut war. Der jeweilige Mann oder Damals gab es also nicht wie heute eine strikte die jeweilige Frau, die diese Sendung gemacht hat, Trennung zwischen Hörfunk und Fernsehen? die kriegte den Brief und beantwortete ihn. Oder Nein. Zunächst machten die Leute weiter, die bis beantwortete ihn auch nicht, wenn sie zu faul war dahin Rundfunk gemacht hatten. Das verstand sich oder es ihr einfach nicht passte. eigentlich. Schließlich kamen dann zusätzlich Leute. Gab es denn Situationen, in denen sich Hörerinnen Aber zunächst waren wir es, die da vorhanden waren. und Hörer beschwert haben über eine bestimmte In Nordrhein-Westfalen gab es in den nächsten Sendung oder Sendereihe, so dass Sie sagten, der Jahren relativ viele Fernsehgeräte. hat nicht unrecht und darüber müssen wir reden? Wenn man über die Bundesrepublik guckte, war Das müsste dann aber schon sehr massiv gekom- Nordrhein-Westfalen das Land mit den meisten men sein. Das durften dann nicht ein oder zwei Zuschauern, mit den höchsten Zuschauerzahlen. Briefe gewesen sein, sondern das musste eine Wel- Das waren wieder die Bergleute, die ja gut verdien- le von Briefen gewesen sein. Das habe ich aber nie ten. Und ich erinnere mich noch: Wenn wir mit erlebt. dem Hörfunk-Ü-Wagen rauskamen, um mit irgend Das war in der Anfangszeit wohl auch selten der jemandem ein Interview zu machen oder um über Fall, oder? irgendetwas zu berichten, dann guckten die Leute Ja, das würde ich doch meinen. Wichtig war Hörer- zunächst etwas irritiert und sagten: „Wo sind denn post dann für die Deutsche Welle. die Kameras?“ Das hat uns geärgert, dass diese Den Auslandsrundfunk? Zuschauer, die von uns bis dahin als dankbare Hö- rer angenommenen Leute, sich so schnell auf das Ja. Denn dort gab es keine andere Möglichkeit Fernsehen eingestellt hatten. überhaupt zu erfahren, ob dieser Sender ankommt. Und damit meine ich nicht, ob er akzeptiert wird, Es ist bekannt, dass in der Anfangsphase das neue sondern ob er technisch ankommt, ob er überhaupt Fernsehen von den Hörfunk-Journalistinnen und - empfangen werden kann. Journalisten nicht nur kritisch betrachtet, sondern auch nicht ernst genommen wurde. Plötzlich stellte man fest, die Menschen nehmen das ernst und fra- Die Anfänge des Fernsehens gen: „Wieso ist das Fernsehen nicht da, wieso 1952 fing der Nordwestdeutsche Rundfunk an mit kommt ihr ‚nur’ mit dem Hörfunkwagen?“ seinem regelmäßigen Fernseh-Programmbetrieb. So war es. Das fanden wir nicht schön. Zu diesem Zeitpunkt sind Sie in Köln. Wie hat man im Kölner Funkhaus darauf reagiert, wie haben Sie reagiert? Wollte man mit dabei sein? Hartmann mochte das Fernsehen nicht. In Köln wurde zunächst gar nichts gemacht. Es fing ganz langsam an, mit der Übertragung von der Krönung der Königin Elisabeth. Da musste man sich dann auch in Köln um das Fernsehen kümmern. Aber es geschah immer noch nicht sehr viel. Die Krönung der britischen Königin war eine der ersten Eurovisions-Sendungen, eine Live- Übertragung aus Großbritannien. Das war schon ein Ereignis. Der Reporter – ich erinnere mich noch an ihn in Das Kölner Funkhaus am Wallrafplatz Cut und grauem Zylinder, so mussten die damals Sie hatten nie die Idee zu sagen: „Ich möchte zum auftreten! Im Kölner Funkhaus befreundete man Fernsehen“? sich langsam mit der Idee, dass irgendwann auch Köln richtig Fernesehen machen müsste. Ich erin- Nein, eigentlich nicht. Es gab einmal eine Situation, nere mich noch an die erste Sendung, die ich ge- da war ich beim Fernsehen. Ich habe Fernsehsen- macht habe, mit Hans Jesse. Jesse war der Chefre- dungen bei der Deutschen Welle gemacht. Das war porter in Köln. Wir beide haben eine Live-Sendung nebenher, wie ich ja auch im Westdeutschen Rund- gemacht aus einem Kinderkrankenhaus in Wupper- funk weiter Sendungen gemacht habe. So habe ich tal. Er war oben, irgendwo auf einem Stockwerk, dann eben auch in der regelmäßigen Fernseh- ich war unten, und es war technisch für uns schon Sendung „Hier und Heute“ mitgemacht. eine gewaltige Leistung, dass wir damit zurecht

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Es klingt vielleicht etwas seltsam, wenn ich das Ländern war. Als Prinzip: Was denken andere über sage, aber ich ging einmal über den Wallrafplatz, das, was bei uns vorgeht? Oder: Wir unterhalten kam aus dem Funkhaus und da spricht mich ein uns gemeinsam darüber, was in der Welt vorgeht. älterer Herr an. Er sagt: „Wie schön, dass ich Sie Das könnte man so sehen, das würde ich auch mei- treffe, meine Frau und ich sehen Sie so gerne“. Er nen. erzählte mir auch, wo er herkam und dass er und seine Frau ihren Sohn in Köln besuchten, der dort Medizin studierte. Und seine Frau habe gestern den Werner Höfer gesehen, der sei gerade aus dem Haus gekommen. Sie habe sich aber nicht getraut, ihn anzusprechen. Da habe er gesagt: „Warum denn nicht, wofür zahlen wir denn unsere fünf Mark?“ Fünf Mark war die Fernsehgebühr? Ja. Ich muss sagen, sich für die fünf Mark von allen Leuten, aber nun wirklich allen Leuten ansprechen – sagen wir mal anquatschen – zu lassen, das war nicht so ganz mein Bier. Man war nicht mehr anonym? Nein. Ganz und gar nicht. „Presseclub“ 1989 Aus dieser Sendung entwickelte sich der jetzige „Frühschoppen“ Presseclub im ARD-Fernsehen. Stichwort Werner Höfer, Stichwort Hajo Friedrichs Ja. Nur inzwischen gibt es so viele Programme, dass – zwei Namen, die später bekannt geworden sind. es gar nicht mehr – egal wie dieser Stammtisch heißt Höfer vor allem mit dem „Frühschoppen“. – darauf ankommt, wie gut er ist: Er kann einfach Ja, mit dem Frühschoppen, mit dem Walter nicht mehr die Wirkung haben, die er früher hatte, Steigner im Hörfunk angefangen hatte. als es eben nur dieses eine Programm gab. Steigner, der spätere Intendant der Deutschen Hörfunk und Fernsehen: Sie haben beides gemacht. Welle, hat mit diesem Journalistenstammtisch an- Gab es irgendwann eine Situation, in der Sie oder gefangen, der dann ins Fernsehen wanderte und die Kolleginnen und Kollegen dachten: Wenn das gleichzeitig noch eine Hörfunksendung blieb. so weitergeht mit der Entwicklung des Fernsehens, dann wird der Hörfunk an Bedeutung verlieren? Ja. Dann wurde er auch von der Deutschen Welle Oder hat man darüber gar nicht nachgedacht? international verbreitet. Zunächst einmal haben wir nicht darüber nachge- Haben Sie daran noch Erinnerungen? Wie kam das dacht. In gewisser Weise ist es doch so gekommen. an? Wie wichtig war es am Anfang? Der Hörfunk ist in Krisensituationen wichtig. Dann Ich glaube, das wurde ziemlich wichtig genommen. ist er unverzichtbar. Das NWDR-Programm Die Leute richteten sich mit ihrer Mittagessen-Zeit 1946/47 und die heutige Situation – das kann man nach dem „Frühschoppen“. Es war ja auch interessant. nicht vergleichen. Journalisten aus anderen Ländern prägten jeweils Erst nur ein Mittelwellenprogramm, dann kommt das Prinzip. ein UKW-Kanal dazu, und heute – ob das München Es waren immer sechs Journalisten aus fünf Län- ist oder Köln oder Hamburg oder Berlin – 30 Hör- dern. Zwei kamen aus Deutschland. funkprogramme. Digital sind es noch mehr. Es ist Der Moderierende und ein deutscher Gast sowie doch eigentlich eine ganz andere Situation. fünf internationale Journalisten – man könnte also Ja, das kann man wohl sagen. Aber ich muss sagen, sagen: „Fenster zur Welt“? dass ich eigentlich sehr froh bin, dass ich damals Ja, das kann man so sagen. Denn es waren in der beim Anfang, für uns war es ja ein Anfang, dabei Regel Leute, die politisch versiert waren, die sich in war. Es hat richtig Freude gemacht. den deutschen Verhältnissen sehr gut auskannten, Was war Ursache für diese Freude? die sich in ihrem eigenen Land natürlich sehr gut Dabei sein zu können. Es war für uns ein faszinie- auskannten. Es war eigentlich immer interessant. rendes Experiment. Ich will Ihnen meine Meinung dazu sagen: Ich Frau Schwarzkopf, ich danke Ihnen sehr herzlich glaube, dass man diesen „Frühschoppen“, diese für dieses Gespräch. Anfänge, sehr wichtig nehmen muss, weil es wirk- lich, auch vom Konzept her, die Öffnung dieses Peter von Rüden führte das Gespräch am 8. Hörfunkprogramms für Meinungen aus anderen Februar 2001.

68 NwdHzR 3: Vom NWDR zum WDR Zur Person: Dieter Thoma geboren am 11. April 1927 in Paderborn aufgewachsen in einem nach eigenen Angaben „deutsch-nationalen“, „ka- tholisch geprägten“ Elternhaus Trotz seines Widerwillens Eintritt in die Hitler-Jugend; dort Aufstieg zum Jungzugführer März 1945 Rekrutierung Dieter Thomas für den „Volkssturm“ nach dem Abitur Aufnahme des Studiums der Fächer Deutsch, Latein und Griechisch an der Universität Münster, später Wechsel zum Hauptfach „Zei- tungswissenschaft“ und den Nebenfächern Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte seit der Studienzeit Tätigkeit als Kabarettist dreimonatiges Ferienvolontariat bei der „Aachener Volkszeitung“ Gründung des Kabaretts „Die Schießbude“ in Aachen 1952 Lokalredakteur bei der „Aachener Volkszeitung“ 1955 Wechsel von der „Aachener Volkszeitung“ zum „Kölner Stadtanzei- ger“ 1955-1956 Feuilletonchef beim „Kölner Stadtanzeiger“ 1956-1963 Chefreporter beim „Kölner Stadtanzeiger Gründungsmitglied des „Club Republikanischer Publizisten“ 1963 Wechsel zum WDR-Hörfunk; Tätigkeit als „Reporter der Windrose“ für Peter von Zahn im WDR-Hörfunk 1965 Entwicklung und Einführung des Hörfunk-Formates „Mittagsmagazin“ 1977 bis 1983 Moderation der Talk-Show „Kölner Treff“ 1978 bis zu seiner Pensionierung 1992 Chefredakteur des WDR-Hörfunks 1988 bis 1993 Leiter und Moderator des „Presseclubs“ im Ersten Deutschen Fernsehen 1997 erscheinen seine autobiografischen Geschichten „Salto rückwärts und andere Geschichten aus meinem Leben“ seither Autorentätigkeit; mit dem Buch „Ganz Deutschland lacht“ (1999), in dem Thoma 50 Jahre deutsche Witz-Kultur Revue passieren lässt, gelingt Thoma ein Bestseller 2003 erscheint die Fortsetzung „Kennen Sie den schon ...? Die Lieblingswit- ze der Deutschen“

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„Das Wichtige sollte so interessant gemacht werden, dass es von allen gerne konsumiert wird.“

Dieter Thoma über Aktualität der Nachrichten und die Kombination von Information und Unterhaltung im Gespräch mit Peter von Rüden

Zeugen der Rundfunk- und Zeit- und begrüßte insofern den Nationalsozialismus. geschichte, ich begrüße Dieter Würden Sie das für Ihren Vater auch so beschrei- Thoma. Herr Thoma, Sie waren ben können? bis 1992 Chefredakteur beim In einer vergröberten Form. Ihm hat sicherlich nicht Hörfunk des Westdeutschen alles gefallen, aber er war – wie so viele – der Mei- Rundfunks. Sie haben die Radio- nung, dass sich das schon regele, dass sich die sendung „Mittagsmagazin“ mit Elemente, die Missfallen hervorriefen, abschwä- erfunden und damit einen wesent- chen würden. lichen Beitrag zur Renaissance Sie waren am Kriegsende achtzehn Jahre alt. Ihre des Hörfunks geleistet. Sie haben Schulzeit erlebten Sie also in Arnsberg während aber auch mit dem „Kölner des Nationalsozialismus. Treff“ eine Fernsehtalkshow gestaltet. Sie waren Moderator In der Kleinstadt nahm man vieles nicht so ernst. des „Presseclubs“ im ARD- Eine gewisse Zeit konnte ich mich der Hitlerjugend Fernsehen. Sie waren ein pro- entziehen. Ich hegte einen gewissen Widerwillen grammprägender Mitarbeiter des gegen dies Jungvolk und wollte anfangs nicht in die WDR. Herr Thoma, bevor wir Hitlerjugend und dann wurde ich also doch gewor- über Ihre Hörfunk- und Fernseh- ben – geworben mit einer rot-weißen Kordel, die arbeit sprechen, wollen wir über mich zum Jungenschaftsführer machte. den Schüler und Studenten reden. Wie kam das zustande? Können Sie die Familie beschrei- Der Sohn eines hohen Beamten, Rudolf, versuchte ben, in die Sie hineingeboren mich zu werben. Er sagte, dass ich in die Hitlerju- wurden? gend müsse, weil ich der Sohn meines Vaters war – Mein Vater war Gymnasiallehrer dem Direktor des Gymnasiums. In einem meiner und 1927, als ich geboren wurde, Bücher nannte ich diesen Vorgang „die Versu- war mein Vater Studienrat in chung“. Die war plötzlich sehr groß, wenn man Paderborn. So wurde ich dort herausgehoben wurde und plötzlich Jungenschafts- geboren, obwohl mein Elternhaus eigentlich in führer war. Eigentlich bedeutete der Titel ja gar Münster stand. Die Pädagogen wurden damals noch nichts. Trotzdem mussten andere einen grüßen. sehr viel versetzt. Im zarten Alter von sechs Jahren Man war sozusagen im Schutz dieser Allmacht der habe ich die Stadt wieder verlassen. Die nächste Partei. Das war eine große Versuchung. Dieser Station nach Paderborn war Arnsberg im Sauer- verfiel ich auch eine Weile lang, was dazu führte, land. dass ich eine so genannte Führernachwuchsmann- Ihre geografische Herkunft lässt ein katholisch schaft zu leiten hatte – das war wie Räuber und geprägtes Elternhaus vermuten. Gendarm-Spielen im Wald. Mit der Ideologie hat- ten wir eigentlich nicht viel am Hut. Ja. Nicht streng katholisch, aber schon katholisch geprägt. Der Nationalsozialismus in den Augen War Ihre Familie politisch geprägt? eines Kindes Politisch geprägt kann man nicht sagen. Mein Vater war von der Gesinnung her ein Deutschnationaler, Der neunjährige Dieter Thoma hat doch die so also rechts. Aber eigentlich nicht das, was man genannte Reichskristallnacht, nennen wir es lieber unter einem Nazi versteht. Und doch war ihm si- Reichspogromnacht, erlebt. Als Sie die Judenver- cher die Entwicklung, die nach 1933 einsetzte, folgung an diesem Tag gesehen haben, sollen Sie nicht zuwider. Ihren Vater gefragt haben: „Warum hilft denn keiner?“ Haben Sie damals schon politisch ge- Die von Ihnen beschriebene Position gab es in der dacht? Anfangsphase des Dritten Reiches sehr häufig: Man machte bestimmte nationale Strömungen mit

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Nein. Das waren aber schreckliche Eindrücke: Ab 1939 waren Sie in der Hitlerjugend und 1943 Leute wurden misshandelt, die am Tag zuvor noch sagte Ihnen Ihr großer Bruder, dass die National- normale Mitbürger waren. Ich konnte nicht einse- sozialisten Verbrecher seien. hen, warum das geschah. Eine solche Brutalität Das war der Schock 1943. Der Zweifel am politi- hatte ich vorher nie erlebt: Man trat Wehrlose in schen System entstand durch das Kriegsgeschehen den Bauch und zog Frauen an den Haaren eine in Russland, durch Stalingrad. Er war schon sehr Treppe herunter. In dieser Stimmung wollte mein verbreitet und blieb auch am häuslichen Gesprächs- Vater aber nun diese Antwort nicht geben und hat tisch nicht verborgen. Die gefährliche Zeit war die mich auf später vertröstet. Wirklich ernsthaft wurde der deutschen Kriegserfolge 1939/40. Da meinten dann über die beschriebenen Ereignisse aber doch alle: „Donnerwetter! Dieser Staat leistet ja etwas.“ nicht gesprochen. In allen Häusern, auch in dem Das Verbrecherische daran war, dass die Tatsache, meinen, hatten die Eltern Angst, dass die Kinder sie dass man andere ohne Kriegserklärung überfallen unwissentlich verraten könnten und also zu Denun- hatte, entweder übersehen wurde oder nicht in zianten würden. dieser Form bekannt gemacht wurde. Vielleicht Sie hatten in Arnsberg einen Nachbarn, der katho- wollte man das auch nicht so wahrnehmen. Das war lischer Priester war. Auch er verschwand in einem die gefährliche Zeit, in der man zum Nazi hätte Konzentrationslager. werden können. Ja, er hatte gegen bestimmte Maßnahmen der Nati- Ab 1942 verstärken sich die Bombenangriffe der onalsozialisten gepredigt. Das habe ich miterlebt Alliierten. Sie haben einen Bombenangriff auf und auch gehört, was darüber geredet wurde. Auch Arnsberg nicht nur miterlebt, sondern ein Teil Ihrer bei uns zuhause wurde geredet. Das Wort Konzent- Familie kam dabei ums Leben. rationslager war da. Keiner wusste Genaueres oder Das war erst 1945, also sehr spät. Da kamen meine konnte sich etwas darunter vorstellen. Aber dass es Mutter und die Tochter meiner Schwester um. etwas ganz Schlimmes war, das war allen klar. Und Sie formulierten ihre Situation so: „Ich war in die als dann nach einer Weile, vielleicht nach 8 oder 12 Verantwortung gebombt worden.“ Wochen die Nachricht kam, dass dieser Priester angeblich an Herzversagen verstorben sei, da war Ja, ich war der Jüngste, so ein Nachkömmling. In auch klar, dass das niemand glaubte. Zeiten der Pille hätte es mich gar nicht gegeben. Meine Schwester ist dreizehn Jahre, mein Bruder In Ihrer Kindheit und Jugend war Ihr älterer Bru- war neun Jahre älter als ich. Ich war so das berühm- der Ihr großes Vorbild. Und der hat Ihnen 1943 te Nesthäkchen und der verwöhnte kleine Junge. über die Verbrechen gegen die Juden berichtet, Und plötzlich, nachdem mein Bruder gefallen war denn er hatte als Soldat das Warschauer Ghetto und ich meine Schwester ausgegraben hatte und gesehen. Wie haben Sie als Fünfzehnjähriger dar- schwer verletzt ins Krankenhaus brachte, wurde auf reagiert? mein Vater schwermütig darüber, dass nach seinem Erschrocken. Wie gesagt, mein Bruder war das Sohn nun auch seine Frau im Krieg gestorben war. große Vorbild und als er in seinem Fronturlaub Ich war mit meinen siebzehn Jahren jetzt plötzlich nach Hause kam, da habe ich dann erlebt, dass er der Einzige, der noch handeln konnte. Und deswe- weinte. Für mich war er jemand, der auf dem Weg gen sage ich „in die Verantwortung gebombt“, weil zum Helden war. Die anderen sagten, dass er das ich aus dem, für den alles gemacht wurde, plötzlich Ritterkreuz bald bekäme. Dass der weinte, hat mich zu dem wurde, der alles machen musste. erschreckt. Ich habe dann zufällig gehört, wie er Ihr Vater ging mit Ihnen in eine Messe in die Lam- von dem erzählte, was er erlebt hatte. Er sagte zu bertikirche in Münster, in der Clemens August Graf seinem Vater: „Was soll ich tun. Für diese Leute von Galen predigte. Über was hat der gepredigt? kann ich doch nicht mehr kämpfen.“ Er sollte für die SS angeworben werden und erlebte zuvor das Über Euthanasie, also die Tötung von Geisteskran- Warschauer Ghetto. Eines Tages auf einem Spa- ken. In dieser Predigt, die ich hörte, verglich er die ziergang nahm er mich beiseite und erzählte mir in damalige Vernichtung von so genanntem „lebens- Teilen, was er erlebt hatte. Aus dem Ghetto erzählte unwerten Leben“ in einem fast demagogischen er nichts. Schließlich sagte er: „Ich komme nicht Trick mit den verwundeten Soldaten, die zurück- wieder. Sieh zu, dass Du übrig bleibst, damit die kamen. Er fragte, wie viel Lebenswert die denn Eltern wenigstens noch einen Sohn haben.“ Das noch hätten. Damals begegnete mir zum ersten Mal konnte ich nicht verstehen. Mein Bruder kam tat- in meinem Leben eine Opposition. Ich meine, diese sächlich nicht wieder. Wie seine Freunde erzählt Predigt war wie eine Wahlversammlung. Die Leute haben, ist er auf die russischen Linien zu gelaufen riefen „Pfui“ und ich stand als kleiner Junge dazwi- und hat sich abschießen lassen. schen. Sehen konnte ich nichts, weil die alle größer waren als ich, aber die Stimme dieses Bischofs, der Opposition predigte, habe ich bis heute im Ohr. Er

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griff die Machthaber an und das konnte er im Ver- schossen würde. Aber ich war ein Siebzehnjähriger. trauen darauf, dass die Bürger des Münsterlandes, Ich hatte noch nie auf einen Menschen geschossen, seine Anhänger, die Katholiken ihn tragen würden. ich war unfähig, das zu tun. Das war kein Helden- Und das war ja wohl auch so. mut. Die Situation ging schließlich dadurch gut aus, Hatten Sie den Eindruck, dass die Menschen, die dass ich vor ein Kriegsgericht gestellt werden soll- dort in dieser Messe waren in ihrer Stimmung auch te, was im März 1945 jedoch eine Fiktion war. Zu so mitgegangen sind? Dass der Prediger wirklich einem Prozess ist es dann, wie Sie sehen, auch getragen wurde von der Gemeinde? nicht gekommen. Ich sitze jetzt ja hier. Ich weiß nicht mal, wer den Russen dann erschossen hat, Ja. Die Kirche war randvoll und die Leute standen aber ich habe den Schuss gehört. Später sah ich ihn bis nach draußen. Es gab einen Riesenzulauf und beinahe friedlich auf der Wiese liegen und in den wir standen eng gedrängt in der Kirche. Diese Pre- Himmel gucken. Da wurde mir zum ersten Mal digt war also ein ungeheures Ereignis. bewusst, wie irrwitzig Krieg ist. Der Mann hatte Konnten Sie mit Ihrem Vater darüber sprechen, gedacht, dass der Krieg zu Ende sei und er nach oder gab es auch da wieder das Problem, dass man Hause könne – und so ein Verrückter schießt ihn nicht so gerne offen redete? dann noch über den Haufen. Ich hatte den Eindruck, es genügte ihm, mir das Nach dem erwähnten Major war für diese Volks- vorgeführt zu haben. Er wollte seine Meinung dazu sturmgruppe ein Hauptmann zuständig, der wohl nicht direkt kundtun. Ja, es gab immer die Beden- ein ganz anderer Typ war. Er fragte Sie: „Herr ken, dass etwas weitererzählt werden könne. Thoma, haben Sie Zivilkleider?“ und schickte Sie nach Hause. Volkssturm Ja. Er humpelte, weil er verwundet war, und bekam Herr Thoma, im März 1945 sind Sie nicht mal 18 dieses Kommando. Er kümmerte sich auch um die Jahre alt und sollten jetzt im letzten Aufgebot, also einzelnen, wie es ihnen ging. Er wusste, dass ich in im Volkssturm, mitkämpfen. Da gab es einen Ma- der Nähe unseres Standortes zu Hause war und jor, der wollte Sie zum Helden machen – das klingt sagte: „Zieh Dir Zivil an und hau ab! Der Krieg ist ein bisschen absurd. Der Krieg war inzwischen zu Ende.“ erkennbar verloren und man wollte da noch Sieb- zehnjährige zur Rettung des Vaterlandes einsetzen. Kriegsende Ja, das war ja das Absurde. Der Volkssturm bestand Ist diese ganze Gruppe so aufgelöst worden? aus älteren Herren über 65 und aus Jugendlichen. Ich weiß es nicht. Ich war der Erste, der ging. Der Wenn man diese Truppe sah, wusste man auch, Hauptmann gab mir dann einen Auftrag mit, damit dass da nichts zu gewinnen war, sondern dass alles ich mich ausweisen konnte, falls er oder ich von eigentlich nur der Verzögerung diente. Ich war Deutschen angehalten würde. So war ich mit einem vorher im Arbeitsdienst und hatte mir dort den Fuß Auftrag unterwegs und konnte nicht als Deserteur kaputt gemacht. Das ist auch eine Lesebuchge- behandelt werden. Außerdem gab er mir noch ein schichte. So kam ich jedenfalls nicht in die Wehr- paar Konservendosen mit nach Hause. Das war fast machtseinheit, in die ich eigentlich sollte, weil ich ein Fehler, denn die Amerikaner schnappten mich im Krankenhaus war. Dieser Umstand gehört zu und kombinierten: Wehrmachtszelt und Konser- den Glücksfällen in meinem Leben, weil diese vendosen. „Du, Soldat“, sagten sie dann. Ich war Einheit total aufgerieben worden ist und keiner auch in dem Alter, in dem man bei uns Soldat wur- zurückkam. Auf diese Weise kam ich aber in den de. Ich sollte in Gefangenschaft kommen und dafür Volkssturm. in einem Arnsberger Hotel registriert werden. Da In diesem Zusammenhang gerieten Sie in eine ganz hatte ich abermals Glück, denn in diesem Hotel furchtbare Situation: Ein russischer Zwangsarbei- hatten mein Vater und ich nach dem Bombentreffer ter, der geflohen war, wurde von Ihrer Volkssturm- auf unser Wohnhaus eine Weile gelebt. Als Ober- einheit gefasst – Ihnen wurde befohlen, ihn zu er- kellner arbeitete dort ein Tscheche namens Franz. schießen. Als er mich dort stehen sah, schlug er mir links und Dieser Mann war offenbar aus einem Arbeitslager rechts was um die Ohren. Es entstand eine große geflohen. Er dachte, der Krieg sei zu Ende. Zu Aufregung und er sagte: „Das ist mein Küchenjun- seinem Unglück hatte er ein halbes Kommissbrot ge, der ist mir heute morgen ausgerissen.“ So kam bei sich, so dass er als Plünderer eingestuft wurde. ich nicht in Gefangenschaft, sondern in die Küche. Dieser Major, der mich aus irgendwelchen Gründen Wo machten Sie Abitur? nicht mochte, verlangte von mir, dass ich diesen In Arnsberg. Allerdings bin ich aus dem Hotel, in Mann erschießen sollte. Ich sagte: „Das kann ich dem ich als Küchenjunge war, verschwunden, als nicht.“ Mir wurde dann gedroht, dass ich mit er- dort die erste amerikanische Kampfmannschaft

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abgelöst wurde durch die zweite Gruppe. Damals Medienhochschule hier in Köln. Ich ging mit ihm sagte mein Freund Franz, der Tscheche: „Jetzt in das Institut für Zeitungswissenschaft und war mache Dich davon, denn die werden jetzt anfangen fasziniert von dem, was ich da vorfand. zu überprüfen, wer hier ist und wer eigentlich Sol- Michael Lentz muss Ihnen gesagt haben, dass Lu- dat gewesen ist und wer nicht.“ Und dann habe ich ther und auch Homer eigentlich Publizisten waren, mich mit dem Fahrrad ins Münsterland aufgemacht, dass Publizistikwissenschaft eigentlich wichtiger wo ich in einem Dorf eine Tante hatte, die Lehrerin sei als Germanistik. Ist das so grob zusammenge- war. Dort arbeitete ich fast ein Jahr bei einem Bau- fasst richtig? ern und dann wurde in Arnsberg ein so genannter Ja, selbst Homer war eigentlich Journalist. Ich Förderkurs eingerichtet, in dem diejenigen mit wechselte das Fach, weil ich so fasziniert von die- Notabitur ihr Abitur nachmachen konnten. Ein ser ganzen Gruppe war. Ich war der Jüngste, meine knappes Jahr dauerte das und da habe ich dann das Kommilitonen waren teilweise zwölf Jahre älter als Abitur gemacht. In Arnsberg war ich eine Sensation ich. Die hatten den Krieg und die Gefangenschaft wie der große Gulliver, denn ich hatte ein breites hinter sich und beaufsichtigte uns Junge eigentlich Kreuz und konnte Zweizentnersäcke stemmen, weil beinahe mit. Wenn man etwas schrieb, legte man es ich schwer gearbeitet und gut gegessen hatte. Alle vor und es wurde allgemein beurteilt. Ähnlich wie anderen hatten gehungert und waren schmalbrüstig. später in der Gruppe 47. Das Lob von den Kommi- Ich war gut genährt, denn ich hatte kein Geld für litonen war eigentlich viel mehr wert als vom Pro- meine Arbeit auf dem Land bekommen, sondern fessor. Ich blieb bei der Germanistik, aber ließ die Essen. Altphilologie weg und nahm noch Geschichte und Kunstgeschichte dazu. Und die Zeitungswissen- Von der Germanistik zur schaft eben, wie es damals hieß. Zeitungswissenschaft Ja, heute würde man Publizistik sagen, aber da- Sie begannen dann in Münster ein Studium und mals hieß es noch Zeitungswissenschaft. Sie waren fügten sich dem Wunsch Ihres Vaters, denn sie aber in Münster, wenn ich das sagen darf, Herr belegten Griechisch, Latein und Deutsch. Dabei ist Thoma, auch, mit welchem Erfolg weiß ich nicht, es aber nicht geblieben. als Schwarzmarkthändler tätig. Dabei ist es nicht geblieben, denn es war so eine Ja. Schwarzmarkthändler ist zuviel, aber ich bin Zeit, in der keiner die Frage „Was kann ich wer- herumgefahren und habe geguckt, wo die Zigaret- den?“ beantworten konnte. Es fügte sich alles erst ten billig sind. Das bedeutet damals, dass man sie neu und es brauchte seine Zeit, das Nachkriegs- zum Beispiel in Bremen für sieben Mark das Stück deutschland als Anfang zu begreifen und nicht als bekam und in Münster für elf Mark das Stück ver- Ende. Ich ging nach Münster und begann, da ich kaufen konnte. Wir haben uns ein gutes Jahr lang nichts Besseres wusste, mit dem Studium der Alt- mit Zigaretten ernährt. Auf irgendeine Weise muss- philologie. ten wir auch unser Studium finanzieren. Mein Vater Sie haben bei Benno von Wiese gehört, dem be- konnte das damals noch nicht bezahlen. Ein Semes- rühmten Germanisten. Hat er Sie geprägt, war er ter haben wir auch vom Billardspielen gelebt. eine prägende Gestalt? Sie müssen ja ganz wehmütige Erinnerungen an die Benno von Wiese hat einen Einfluss gehabt, der Einführung der D-Mark haben, denn damit war das ganz entscheidend war, weil er mochte, was ich Schwarzhandeln vorbei? schrieb. Ich gehörte immer zu denen, deren Refera- Damit war es vorbei, ja. Ich wohnte dann inzwi- te oder Aufsätze meistens vorgelesen wurden. Das schen mit Michael Lentz zusammen und da fing war schon in der Schule so. Es war neu für mich, langsam die Zeit an, in der wir Kurzgeschichten ausgezeichnet zu werden für das, was ich verfasste. schrieben. Damals brachten die Tageszeitungen Das hat mir damals sicherlich sehr viel Mut ge- noch mindestens am Wochenende ein oder zwei macht. In diesem Seminar saß ich neben einem Seiten mit Kurzgeschichten. Die besten Geschich- Kommilitonen, der für damalige Zeiten außerge- ten habe ich dann bis zu fünfzig Mal verkauft. wöhnlich bunt gekleidet war. Wir kamen ins Ge- Sie haben aber auch Sportberichte geschrieben. spräch und er sagte: „Um Gottes Willen, willst Du Ja, für die „Essener Allgemeine“, die es heute nicht Studienrat werden, guck doch mal bei uns rein! Wir mehr gibt. Wenn die Essener in Münster spielten, sind im Institut für Zeitungswissenschaft.“ Das war stand ich also auf dem Sportplatz und schrieb Fuß- Leo, also in Wahrheit war er ein Mann namens ballberichte. Das ging aber nicht lange so, denn Michael Lentz, den ich in meinen 1997 veröffent- eines Tages kam ich zu spät auf den Platz und frag- lichten Erinnerungen „Salto rückwärts und andere te einen Kollegen nach der Mannschaftsaufstellung. Geschichten aus meinem Leben“ Leo nannte. Er Offensichtlich handelte es sich um einen bösartigen starb kürzlich und war zuletzt Professor an der Kollegen, denn er gab mir eine falsche Aufstellung

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und so ließ ich eine Essener Mannschaft spielen, lichkeiten. Zum Beispiel jetzt endlich alles sagen zu die gar nicht aufgelaufen war. Das war das Ende können. Das war ein tolles Gefühl, über alles läs- dieser Sportberichterstattung. Dann habe ich für tern zu können. Kurt Tucholsky zum Beispiel war andere Zeitungen über Sechs-Tage-Rennen ge- 1945 ein neuer Autor für uns. schrieben in Münster. Meine Karriere als Sportbe- Den haben Sie sicher mit Begeisterung gelesen. richterstatter war nicht sehr lang. Aber ich wollte Eben. Und diesen Leuten und auch schon dem Journalist werden. Kabarett der zwanziger Jahre nachzueifern, das versuchten wir. Eine Vorstellung, die hatte nichts Perspektiven für Deutschland mit Botschaft zu tun hatte, sondern war der Aus- Hatte das auch politische Motive, dass Sie Journa- druck für ein neues Lebensgefühl. Das wollten wir list werden wollten. Wollten Sie etwas erreichen in ausprobieren. Wir sind von Münster nach Düssel- der Gesellschaft, wollten Sie etwas verändern? dorf gefahren, um Lore und Kay Lorentz im Kom(m)ödchen zu sehen. Ich habe wirklich fast Vorhin sagte ich, dass man in Arnsberg noch nicht Tränen in den Augen gehabt, als ich jetzt vor vier wusste, ob 1945 ein Ende oder ein Anfang war. Monaten noch mal selber im Kom(m)ödchen aufge- Mein Eintritt in dieses publizistische Studium be- treten bin und mich in der Garderobe von Lore deutete, dass wir wussten, dass dies ein Anfang Lorenz fertig gemacht habe für die Bühne. war. Jetzt wollten wir aufbauen. Deutschland war ein neues Land und wir machten daraus das, was wir wollten: Das freieste, das fairste, das lebens- Erste Erfahrungen im praktischen werteste Land, das es geben kann. Diese Utopien Journalismus entstanden zusammen mit noch etwas pubertären Herr Thoma, nach dem Studium werden Sie Fe- Gefühlen. Alles fing an und wir eroberten das hier. rienvolontär bei der „Aachener Volkszeitung“. Das Das war eine tolle Zeit! Wir haben 1947 hinter den hat auch etwas zu tun mit Ihrem akademischen mit Pappe vernagelten Fenstern gesessen, weil es Lehrer in Münster, Professor Hagemann. Der noch keine Fensterscheiben wieder gab, bei Ker- machte den Versuch, bei vielen Zeitungen in Nord- zenlicht, weil es noch keine Elektrizität gab und rhein-Westfalen die Publizistikstudenten aus Müns- haben also diesen Staat entworfen. Er ist natürlich ter unterzubringen. Wie sind Sie zu einem Ferien- völlig anders geworden, als wir ihn entworfen ha- volontariat bei der „Aachener Volkszeitung“ ben. Doch diese Utopien, die wir da entwickelt gekommen? haben, wirken bis heute nach. Für mich bedeutet Also, Professor Hagemann schrieb an die Zeitun- dieses demokratische Deutschland, das hier ent- gen und fragte, wer für drei Monate, also für die standen ist, ungeheuer viel. Und schon Kollegen, Semesterferien, Volontäre nähme. Und diejenigen, die zehn Jahre jünger waren als ich, haben eigent- die positiv antworteten, was nicht viele taten, be- lich nie verstanden, mit welcher Inbrunst beinahe kamen natürlich zunächst die Älteren. Da ich, wie wir an diesem neuen Staat hingen. gesagt, der Jüngste war, fiel ich da durch die Ritze. Aber, Herr Thoma, die – wie Sie sagten – etwas Zwei angeschriebene Zeitungen hatten nicht ge- pubertären Entwürfe, die Sie so in dieser frühen antwortet, weder abgesagt noch zugesagt. Zu der Zeit gemacht haben, sind nicht verwirklicht wor- einen, der „Aachener Volkszeitung“, ging ich ein- den. Was waren das für Utopien? fach hin und sagte: „Hier bin ich! Ich bin hier Vo- Das waren Utopien, die eigentlich Leute zu allen lontär.“ Und die sagten: „Wir wollten doch gar Zeiten haben: Die heile Welt, in der jeder Bürger keinen haben.“ seine Chance hat, in der es keine Ungerechtigkeit Mutig, mutig. mehr gibt. Eine heile Welt, die es nicht geben kann, Da kam der Verleger, er war das, was der frühe wie der Konflikt zwischen Israel und Palästina deutsche Dichter eine Seele von Mensch genannt zeigt: Wie soll es Gerechtigkeit geben, wenn beide hätte, der den schönen rheinischen Namen Schmitz Seiten Recht haben? Die Palästinenser, die ihr Land trug und sagte: „Na ja gut, wenn Sie jetzt schon mal verloren haben, und die Israelis, die es seit mehr als hier sind, dann sollen Sie auch bleiben.“ Und dann 50 Jahren bewohnen. Wie will man einen solchen wäre meine Tätigkeit beinahe am nächsten Tag Konflikt anders lösen, ohne dass beide verzichten schon wieder beendet gewesen, als der Lokalredak- müssen. Aber die für mich wesentliche Vorausset- teur fragte, ob ich was von Musik verstünde. Da zung ist nach 1945 in der Bundesrepublik erfüllt habe ich gesagt, dass ich selber Musik gemacht worden, nämlich endlich angstfrei leben zu können. habe und eine Kapelle hatte. „Gut“, sagte er, „heute Sie haben in Ihrer Studentenzeit auch Kabarett Abend ist in der Bastei in Aachen – das war so ein gemacht. Ebenfalls, weil Sie eine Botschaft hatten? Vergnügungslokal – eine neue Band. Morgen müs- Ach, Botschaft. Ich weiß nicht, ob das so großartig sen wir zehn Zeilen in der Zeitung haben. Gehen war. Das war vielmehr das Ausnutzen der Mög- Sie mal hin und geben um 10.00 Uhr heute Abend

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diese zehn Zeilen durch.“ Das tat ich dann. Ich war Schießbude“ nannten wir es und hatten eigentlich vom Kabarett in Münster auf Gag getrimmt, wollte auf Anhieb eine Menge Erfolg, so dass wir zeitwei- witzig kritisch sein. So schrieb ich dann: „Bastei, se sogar der Illusion anhingen, daraus ein Kabarett abends 10.00 Uhr. Auf bequemen Stühlen sitzen zu machen, das sich wie das „Kom(m)ödchen“, die zehn Musiker, acht Ober und vier Gäste.“ Der „Lach- und Schießgesellschaft“ auf Dauer etablie- Schlussredakteur war gewohnt, dass da etwas kam, ren könnte und wir vom Journalismus Abschied was man nicht mehr überlesen musste und setzte nähmen und Kabarettisten würden. Bis dann bei meine Zeilen ins Blatt. Am nächsten Tag gab es einem Gastspiel in Borkum die Leute lieber in der dann Aufruhr, weil der Chef der Bastei sofort die Sonne lagen, als zu uns zu kommen, das ganze Anzeigen für das nächste halbe Jahr stornierte. Unternehmen sich doch wieder als fragil und frag- Da haben Sie zumindest die Grenzen des kritischen würdig erwies. Vor allem die Raucher hatten Lokaljournalismus sehr frühzeitig kennen gelernt. Schwierigkeiten, weil für Zigaretten kein Geld mehr da war. Wer nicht rauchte, hatte mehr Geld Der Verleger kam und fragte: „Welcher Trottel hat und konnte grad davon leben. Außerdem war die denn das geschrieben?“ Die Antwort lautete: „Das Fluktuation in diesem Ensemble so groß, so dass war unser Volontär, den wir gar nicht haben woll- ich dann doch, als die „Aachener Volkszeitung“ ten.“ Er war dann der Meinung, dass ich nicht so anfragte, ob ich dort eine Anstellung haben wolle, viel Schuld habe wie der, der mich da unvorbereitet das Kabarett aufgab. hingeschickt hatte. So konnte meine Karriere dann fortgesetzt werden. Dort bekommen Sie dann 400 DM Gehalt im Monat als Redakteur. 400 Mark, war das damals viel Aber Sie haben noch mehr gemacht in diesen drei Geld? Monaten bei der „Aachener Volkszeitung“. War das eine richtige Ausbildung? Ja, das war viel Geld. Jedenfalls für die Ansprüche, die wir hatten. Ich hatte in der ersten Zeit nach der Nein. Ich wurde in den Betrieb hineingeworfen. Währungsreform wirklich von 75 Pfennigen pro Das heißt, ich habe von morgens bis abends einen Tag gelebt. Mehr hatte ich nicht, das war mein Etat. Zwölf-Stunden-Tag-Journalismus in dieser Stadt Das heißt, im wesentlichen kaufte ich für 20 oder gemacht und hatte das Glück, dass das bei den 30 Pfennige Knochen, kochte die aus und warf Leuten ankam. Nach drei Monaten war eigentlich dann Nudeln dazu. Das war das, was wir aßen. unbestritten, dass ich jederzeit zu einem Volontariat Unsere Ansprüche waren sehr gering. Ich schrieb wiederkommen könne. Nachdem ich mit dem Stu- dann, ein halbes Jahr später, als ich 700 Mark ver- dium fertig war, hat mir die Zeitung dann auch eine diente, dass ich es mir nicht mehr leisten könne, Stelle als Lokalredakteur angeboten. teuer essen zu gehen, was ich bei 400 Mark noch Aber Sie gehen vorher noch wieder zurück nach konnte. Da hatten sich die Ansprüche schon geän- Münster und studieren zuende: Das sind ungefähr dert. anderthalb Jahre. In dieser Zeit machen Sie auch wieder Kabarett? „Kölner Stadtanzeiger“ Ja. In dieser Zeit in Aachen, da gab es einen Mann namens Jacques Königstein, der auch mit der Ge- Sie bleiben jedoch nicht lange bei der „Aachener schichte des WDR zu tun hat, weil der damals eine Volkszeitung“. Als der „Kölner Stadtanzeiger“ Sendereihe namens „Das ideale Brautpaar“ machte. 1954 eine Wochenendbeilage einführt, macht man Er war Unterhaltungsmoderator, würde man heute Ihnen das Angebot zum „Stadtanzeiger“ zu kom- sagen. Jacques Königstein war bei einer Versiche- men. Das Angebot haben Sie genutzt und sind im rung und machte ein Kabarett in Aachen, zum Teil Alter von 28 Jahren dort 1955 Feuilletonchef ge- auch mit Studenten von der Technischen worden. Wie fühlt man sich denn als 28jähriger Hochschule. Wir kamen irgendwie zusammen und Feuilletonchef in einer vermutlich größeren Redak- er fragte: „Können Sie nicht mal was für uns tion mit Menschen, die alle älter sind? schreiben?“ Ich schrieb einen Text, den er gleich Ja, ich habe ein Jahr diese gute Beilage gemacht, nahm. Ich solle mehr schreiben und könne auch und dann gab es einen neuen Chefredakteur, Gün- mitspielen, sagte er. So kam ich in dieses Aachener ther Sawatzki. Er war mit dem Feuilleton nicht Kabarett, was Pünktchen hieß, habe mitgespielt und zufrieden, weil das eine Ansammlung von Kritiken für das nächste Programm schon die Hälfte aller war, aber kein journalistisch gemachter Teil. Ich Texte geschrieben. Dann hatte ich so viel Spaß solle das beheben, sagte er dann zu mir. „Ich ver- daran, dass ich nicht gleich nach Münster zurück steh davon doch weniger, als die Leute, die da ging, sondern ein Semester überschlug, und blieb sind,“ antwortete ich. Es war zum Beispiel ein ein Dreivierteljahr in Aachen. Dort machte ich dann 62jähriger Redakteur darunter, dessen Chef ich mit meinen alten Freunden, zu denen Michael werden sollte. Da sagte Sawatzki: „Das mag ja sein, Lentz auch zugehörte, ein Kabarett auf. „Die dass Sie weniger davon verstehen, aber Sie verste-

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hen mehr von Journalismus.“ Und so war ich dann Allgemein hieß es, dort seien noch richtige Nazi- ein Jahr lang Feuilletonchef und bin das eigentlich bünde, dort hätten die sich zusammen gezogen. sehr hemdsärmelig angegangen. Aber es hat Spaß Man vermutete auch, dass Bohrmann und andere gemacht. Ich habe damals Kontakt aufgenommen sich dort niedergelassen hätten, dorthin geflüchtet zu all den Leuten, die hier waren, also zu Heinrich seien. Jetzt fuhr ich also runter im Auftrag von Böll und Paul Schallück. mehreren Zeitungen, weil der „Stadtanzeiger“ das Sie haben Texte von Heinrich Böll redigiert? allein nicht finanzieren konnte oder wollte. Fünf waren das glaube ich. Ich sollte jedenfalls schrei- Ja. Mit dem Übermut der jungen Jahre. Damals ben, wie die Nazis sich in Argentinien aufführen. fragte man noch nicht immer die Autoren, ob man Und ich habe dann geschrieben, was wahr ist, näm- etwas ändern dürfe. Ich habe das wacker geändert. lich dass ich keine getroffen habe. Wohl Leute, die Heinrich Böll hat sich nie beschwert, wenn Sie in noch ein Hitlerbild an der Wand hatten, aber das seinen Texten schrieben? hatten die beim Umzug mitgenommen und dann Nein, nein. Wir kannten uns gut. Und insofern war wieder aufgehängt. Diese Negativ-Reportage führte das auf freundschaftlicher Basis. Er machte auch dann dazu, dass die fünf Fortsetzungen, die vorge- immer alles mit. Ich habe zum Beispiel einmal in sehen waren nur vom „Kölner Stadtanzeiger“ ge- einer Silvesterausgabe eine Geschichte angeschrie- druckt wurden. Die anderen waren früher ausge- ben und dann fünf Autoren, darunter Böll, gebeten, stiegen und behaupteten: „Er hat ja nicht das sie zu Ende zu schreiben. Die steht heute unter geliefert, was wir erwartet haben.“ Bölls gesammelten Werken. Good news are bad news. Einschließlich Ihres Anfangs. Ja. Dies hat aber dann etwas anderes bewirkt, dass Einschließlich, ja, aber ohne, dass ich dabei er- damals Fritz Brühl, Programmdirektor des WDR, wähnt werde. sagte: „Das ist offenbar ein Journalist, der sich der Aber, gab es in dieser Zeit beim „Kölner Stadtan- Wahrheit verpflichtet fühlt, solche Leute können zeiger“ Themen, bei denen der Feuilletonchef und wir brauchen.“ So begannen die Gespräche des dann der Chefreporter sagte: „Das mache ich WDR mit mir über einen Eintritt dort. selber.“ Hatten Sie Neigungsthemen oder Über- Herr Thoma, dazu kommen wir noch, aber Sie zeugungsthemen? haben auch über den Eichmann-Prozess selber Nein. Bei Filmen gab es das. Ich war damals auf berichtet. Film spezialisiert, weil ich ursprünglich vorgehabt Ja. hatte, meine Dissertation über Film zu schreiben. Können Sie sich daran noch erinnern? Das scheiterte dann aber daran, dass der Professor Daran kann ich mich gut erinnern, weil ich mehrere Hagemann immer neue Ansprüche stellte. Die Wochen, fast zweieinhalb Monate, in Jerusalem Zeitungswissenschaft war ja als Wissenschaft noch war. sehr umstritten. Da gab es diesen Ehrgeiz, dass die Publikationen allen Ansprüchen standhalten sollten. Verzeihen Sie die etwas merkwürdige Frage: Ha- Und so gehörte plötzlich zu dieser Dissertation über ben Sie im Verlauf des Eichmann-Prozesses noch Film, dass ich ein halbes Jahr in London hätte ar- wesentlich Neues erfahren über das Dritte Reich? beiten müssen. Ja. Und zwar das, was man die Schreibtischtäter Und das konnten Sie sich nicht leisten. genannt hat. Das war für mich eine neue Dimensi- on. Diese Leute, die Tugenden hatten, die man von Das konnte ich mir nicht leisten. Also, jeden Sams- Beamten oder Angestellten erwartet und plötzlich tag hatte ich eine Filmglosse. Sonst war es eigent- mit diesen Tugenden Verbrechen organisierten. lich so, dass ich sagte, das möchte ich machen, da Dieser Eichmann, der nach eigenen Aussagen kein und da möchte ich hin. Wenn es nicht gerade Ar- Blut sehen konnte, unterschrieb das Todesurteil für gentinien war, wie im Falle der Eichmann- Hunderttausende und war eigentlich, wenn man ihn Entführung, stimmte der Verlag eigentlich sofort da sitzen sah, ein armes Würstchen. Dass so also zu. Ich konnte innerhalb Deutschlands also machen, diejenigen aussahen, die bei den Nazis Massen- was ich wollte, und hatte somit eine sehr schöne morde organisierten, hatte ich mir auch nicht vor- Position. Einmal in der Woche lieferte ich irgend- gestellt. Ich war vorher hier in vielen KZ-Prozessen was, wo alle anerkennend nickten, das war ausrei- gewesen, weil ich schon immer dieses Gefühl hatte, chend. Es war eigentlich ein schönes Leben darüber müsse man schreiben. Die Leute wollten manchmal. darüber zwar nichts wissen, aber sie sollten es wis- Stichwort Eichmann. Nach der Eichmann- sen. Ich habe mit Hilfe von Einzelschicksalen ver- Entführung waren Sie in Argentinien, um dort zu sucht, diese Prozesse interessant zu machen. Ich recherchieren, ob es dort alte Nazis gibt. habe nicht darüber geschrieben, dass Zehntausend ermordet wurden, sondern ich habe mir einen raus-

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gepickt, dessen Schicksal passierte. Das fand Auf- 200 Leute die Zeitung abbestellt, weil sie fanden, merksamkeit. Alle merkten, dass das gelesen wird, dass man so mit Sport nicht umgehen dürfe. Den und so wurde ich dann eine Art Spezialist für KZ- Verleger rührte das gar nicht, weil wir damals die Prozesse. So kam ich auch zum Eichmann-Prozess. höchste Auflagensteigerung aller deutschen Zeitun- gen hatten. Eine solche Zeit, in der lange Zeit in Der Aktualitätsbegriff einem Team zusammengearbeitet wird, ohne dass nach Überstunden gefragt wird, habe ich eigentlich Ich erlebe hier in dieser Fragestellung den Journa- nur beim „Mittagsmagazin“ im WDR wieder erlebt. listen Thoma: Wie kann ich, Dieter Thoma, Men- Wir haben uns an allem gefreut, was wir tun konn- schen für etwas interessieren, die sich nicht dafür ten. Das war Aufbruchstimmung. interessieren. Diese Fragestellung hat Sie doch eigentlich Ihr weiteres Berufsleben stets begleitet. Rundfunk in den Augen eines Hier merke ich zum ersten Mal ganz deutlich, dass Zeitungsjournalisten Sie nach Mitteln suchen, mit denen Sie etwas ver- mitteln können, was der von Ihnen angenommene Als Schüler, Student und auch als Reporter des Leser möglicherweise gar nicht hören will. „Stadtanzeigers“ haben Sie auch den Nordwest- Ich wollte etwas so bringen, dass der Leser es deutschen Rundfunk gehört, den Sender in der wahrnehmen will, ohne dass er indoktriniert wird. britischen Besatzungszone, aus dem dann später Das Wichtige sollte so interessant gemacht werden, SFB, NDR und WDR hervorgingen. Haben Sie dass es von allen auch gerne konsumiert wird. In noch Erinnerungen an die Programme? Was hat diesem Sinne habe ich auch den Aktualitätsbegriff der Sender für Sie bedeutet? immer definiert: Es ist nicht nur das aktuell, was Der Sender hatte damals noch nicht die Bedeutung, passiert, sondern auch das, was man dazu wissen die Radio später für mich hatte. Ich war eigentlich muss. zu sehr mit der Zeitung beschäftigt. Ich erinnere Ihre Zeit beim „Stadtanzeiger“ dauerte etwa zwei- mich eher noch an den einen oder anderen negati- einhalb Jahre. In dieser Zeit arbeiteten Sie mit ven Eindruck, zum Beispiel, dass ein namhafter einer hochkarätigen Redaktionsmannschaft zu- Reporter des WDR zu einer Veranstaltung kam, sammen. Ich zähle jetzt nur die auf, die später bei sich und das Mikrofon in Position brachte, ein ARD oder ZDF eine wesentliche journalistische Interview mit dem Veranstalter machte und wieder Rolle spielten: Rudolf Rohlinger, Karl „Charly“ wegfuhr. Weiss, Rolf Becker, Ludwig Dohmen, Klaus Bres- Das war nicht ihre Vorstellung von Journalismus. ser. Ich fand, dass es nicht angehen könne, dass man Ich erinnere mich, dass in meiner Zeit beim „Stadt- den Veranstalter eine Art Klappentext reden lässt anzeiger“ jemand schrieb – ich weiß nicht mehr, und ihn sich selber rühmen lässt, um das dann tat- wer es war – hier entstünde ein deutscher „Man- sächlich zu senden. Ich schrieb acht Stunden an chester Guardian“. Der „Stadtanzeiger“ hatte einen einer Reportage – in der konnten dann aber eben ehrgeizigen jungen Verleger, Alfred Neven Du auch die kritischen Punkte mit aufgegriffen werden. Mont, der übrigens immer noch Verleger ist, der Man hat aber doch über diesen Sender nach dem stets junge Journalisten warb und so eine tolle Re- langen Krieg den Anschluss an die Musik wieder daktion aufbaute. Wolfgang Ebert, Ludwig Doh- bekommen. An die internationale Musik, an Swing men und Martin Dürbaum gehörten auch dazu. Wir und Jazz? alle hockten eigentlich jeden Tag zusammen. So Ja, natürlich. Ich hörte viele Swing-Sendungen. etwas habe ich nie wieder so erlebt – obwohl das Auch Hörspiele hörte ich mir oft an. Aber es ist auch nicht ganz stimmt. Aber das ressortübergrei- nicht so, dass ich eine Sendung regelmäßig gehört fende war das Besondere: Wir kümmerten uns auch hätte. Mir imponierte, dass dieser Sender NWDR um den Sport und die Sportleute redeten bei der so ungeheuer von Intellektuellen geprägt wurde. Politik mit. Jede einzelne Überschrift wurde in der Also, von Ernst Schnabel oder Axel Eggebrecht Gesamtheit überlegt. Bei den Olympischen Spielen und Peter Bamm. Viele von denen haben hinterher in Rom 1960 schrieb ich eine Glosse über die Ge- Zeitschriften übernommen – Radio war damals eine her. Ich habe den Führenden beim Geherwettbe- intellektuelle Bühne. Und auch noch, als ich in den werb gefragt: „Wie geht`s?“ Er antwortete: „Es WDR kam, war es so. Paul Botta, mein Vorgänger, geht so.“. Ich fragte: „Seit wann üben Sie gehen.“ zog sich vier Tage zurück, um zehn Minuten zu „Seit meinem ersten Lebensjahr.“ „Na, dann ist es formulieren, wenn der den Kommentar am Sams- ja kein Wunder, dass Sie so weit vorne sind“, ant- tagabend sprach. wortete ich und sagte zum Schluss „Na ja, ich gehe schon mal vor.“ Jede andere Redaktion hätte das Das kann man sich heutzutage nicht mehr vorstel- wahrscheinlich aufgeregt und es haben tatsächlich len.

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Das hat sich natürlich auch ganz drastisch gewan- wollten eine Art demokratische Feuerwehr sein. delt, weil die Intellektuellen woanders hin abge- Journalisten, die über die Grenzen der Bundesrepu- wandert sind. Danach war das Radio nicht mehr blik hinweg Alarm schreien sollten, wenn die Spiel- ganz so wichtig. Zwar nicht ausschließlich, aber regeln der neuen Demokratie verletzt wurden. Das auch weil dort nicht mehr so viele Intellektuelle zu hielten wir alle für notwendig. Es gab einige sehr Wort kamen. bemerkenswerte Kongresse, die wir veranstaltet Wie waren die Beziehungen Ihres Verlegers und haben. Die Wurzel dieses Clubs war die Sorge um Ihrer Zeitung, des „Kölner Stadtanzeiger“, bezie- diese junge Demokratie. hungsweise überhaupt das Verhältnis der Zeitun- Das war in der Zeit, als zum ersten Mal auf der gen zum NWDR oder WDR. Gab es da eine Koope- Frankfurter Buchmesse Verleger wieder rechtsra- ration oder eher ein Konkurrenzverhältnis? dikale Schriften vorstellten? Es herrschte zunehmend ein Konkurrenzgefühl, Ja. Adolf von Thadden war einer der bekannten denn der Verleger sah in dem WDR eigentlich ein Namen damals. Und einige rechte Parteien hatten Unternehmen, das ihm gute Leute abwarb. Diese durchaus nennenswerten Zulauf. Viel mehr als Sichtweise führte dann fast zu einer Phobie. Der heute. WDR kam natürlich auch zu mir und fragte mich, Und irgendwann lief dieser Club aus. ob ich was für ihn tun könnte. Mein Verleger lehnte Ja, denn es handelte sich um eine Feuerwehr, die das aber immer ab. nie zum Einsatz kommen musste. So bekamen wir Als freier Mitarbeiter für den WDR durften Sie also auch keinen Nachwuchs und die Gründungsmit- nicht arbeiten. glieder wurden älter, setzen sich zur Ruhe und so Nein. Eines Tages sollte ich aber in meiner Eigen- löste der Club sich auf. schaft als Filmkritiker im WDR auftreten, also als Ein ermutigendes Ende. Filmkritiker des „Kölner Stadtanzeigers“. Ja. Im Grunde genommen haben wir das erreicht, Sie sollten Werbung für das Blatt machen? was wir wollten. Ja. Ich sagte meinem Verleger, dass Filmkritiken mir lagen, dass ich den Auftrag gut machen würde Zur Einschätzung des Fernsehens 1952 und dass es ja fast Werbung für die Zeitung sei. Er lehnte wieder ab. Vielleicht hatte er sogar Recht, Herr Thoma, bevor wir jetzt zu Ihrer Fernseharbeit vielleicht wäre das mein Einstieg gewesen. Bei der kommen, noch mal eine Frage zur Geschichte des Zeitung bin ich aber erst ausgestiegen, als Peter von jungen Mediums Fernsehen. Weihnachten 1952 Zahn mit den Reportern der Windrose anfragte, ob begann das Fernsehen im Nachkriegsdeutschland ich zu ihm kommen wolle. Er bot mir nicht nur das beim NWDR. Haben Sie die Entwicklung des Fern- Doppelte an Einkommen, sondern fügte noch hin- sehens in Ihrer Studienzeit begleitet? Gab es Kurse zu: „Sie können so viele Sendereihen machen, wie in Münster im Institut für Zeitungswissenschaft? Sie wollen, so lange Ihre Filme gut sind und pünkt- Nein. lich vorliegen.“ Nach diesem Angebot bin ich sehr Hat die beschriebene Entwicklung im Lehrbetrieb schnell zu von Zahn gegangen. eine Rolle gespielt? Überhaupt keine. Fernsehen wurde damals noch Gegen wiederkehrende rechte Tendenzen nicht wahrgenommen. Ich selbst begann erst bei der Vom „Stadtanzeiger“ zur Windrose-Produktion. Fußballweltmeisterschaft 1954 das Fernsehen rich- Bevor Sie das gemacht haben, Herr Thoma, waren tig wahrzunehmen. Sie aber auch Mitglied im „Club Republikanischer Wo haben Sie die Spiele gesehen? Publizisten“. Sie waren im Vorstand u. a. mit Paul In einer Kneipe stand ein Apparat. Darauf konnte Botta und Jesko von Puttgammer. Einige unter man schemenhaft irgendwelche schwarz-weißen vielen Mitgliedern waren Axel Eggebrecht, Erich Gestalten laufen sehen und man bekam das Gefühl, Kuby, Rudolf Krämer-Badoni, Helmut Hammer- man sei dabei. schmidt, Hans-Werner Richter. Justitiar der Grup- Ahnten Sie da schon, wie wichtig das Medium mal pe war Hans-Jochen Vogel. Es handelte sich also werden würde? um namhafte Publizisten. Wie kam es zu dieser Gründung, was war die Absicht dahinter? Nein. Man stellt sich in jungen Jahren auch selten vor, wie man selber alt wird. Ich verschwendete Die Absicht war, dass zu jener Zeit extrem rechte daran damals keinen Gedanken. Das Radio war viel Tendenzen wesentlich stärker waren als heute. Wir interessanter. Der Torschrei von Herbert Zimmer- diskutierten darüber, denn keiner von uns glaubte mann war immer noch eindrucksvoller als alles, wirklich daran, dass diese Gefährdung schon vorbei was man auf dem Bildschirm sehen konnte. Ich war. Die Demokratie war noch nicht gesichert. Wir erinnere mich nicht genau, aber ich schätze, dass es

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vor 1954 ein paar Tausend Fernsehgeräte gab. Nach Sie haben in diesem Rahmen auch ein Porträt über 1954 stieg die Zahl auf Hunderttausend an. Mit der die „Neue Zürcher Zeitung“ gemacht. Fußballweltmeisterschaft wurde das Fernsehen Ja, das wollte von Zahn eigentlich selber machen, plötzlich populär. aber er hatte keine Zeit. Er liebäugelte mit Amerika Tatsächlich haben zwei Ereignisse zu der raschen und wollte lieber dort drehen. Deswegen trat er mir Popularität beigetragen: die Krönungszeremonie die Aufgabe ab, die „Neue Züricher Zeitung“ in 1953 von Elisabeth II., eine frühe Eurovisionssen- einem 45-Minuten-Film vorzustellen. dung, und die Fußballweltmeisterschaft 1954. Aber Herr Thoma, lassen Sie uns noch mal unter rund- Sie hat das überhaupt nicht beeindruckt? funkhistorischen beziehungsweise medienpoliti- Mich hat das noch nicht beeindruckt, nein. schen Aspekten über dieses Unternehmen „Repor- ter der Windrose“ sprechen. Peter von Zahn war „Reporter der Windrose“ NWDR/ARD-Korrespondent in den Vereinigten Staaten gewesen, also ein Gewächs des NWDR. Er Als Sie dann Anfang der 1960er Jahre zu Peter von hat auch mal das Studio Düsseldorf geleitet. Dann Zahns Windrose-Produktionsgesellschaft wechsel- gab er diese Positionen auf und gründete die Wind- ten, war aber doch klar, dass Sie Fernsehen Sen- rose-Produktionsgesellschaft, um Beiträge für das dungen machen sollten. von Adenauer geplante Deutschlandfernsehen zu Ja. Aber Peter von Zahn machte etwas, was ich machen. Zu dieser Art Fernsehen kam es dann aber später den öffentlich-rechtlichen Anstalten stets nicht. So lieferte die Windrose eigentlich für die vergeblich empfohlen habe: Er versammelte vier ARD, also für die Anstalten der ARD Programme. bis sechs Wochen alle, die neu waren zu einem Gab es da ein Problem? Kursus in Hamburg und lehrte sie Fernsehen. Ich Nein. Peter von Zahn nutzte diese Situation aus. Er habe also dort, bevor ich das erste Mal einen Film war ja damals weggelobt worden, wenn man so machen durfte, ad hoc Statements auf einer Wiese will. Das heißt, er hatte sich mit kritischen Ruhrge- zu Themen abgegeben, die erst morgens erfunden bietskommentaren und -berichterstattungen Ärger worden waren. Abends wurde das Ergebnis dem gemacht und ging dann nach Amerika. Dort hatte er gesamten Kreis vorgeführt und kritisiert. Wir übten als Amerikakorrespondent Erfolg und stellte wäh- auch Publikumsbefragungen – wir wurden richtig rend seiner Tätigkeit fest, dass es den Sendern an auf das Fernsehen getrimmt. Warum werden Rund- Auslandskorrespondenten fehlte. Heute ist es un- funk- und Zeitungsjournalisten heute nicht auf die vorstellbar, dass es damals noch kaum Auslands- Besonderheiten des jeweiligen Mediums hingewie- korrespondenten gab, auch der WDR und NDR sen? hatten kaum Korrespondenten draußen. Ich denke mal, in der Volontariatsausbildung der Es gab einige Hörfunkkorrespondenten, die freie Rundfunkanstalten ist das mittlerweile gängige Mitarbeiter waren. Die arbeiteten in der Regel für Praxis. Tageszeitungen. Ja, inzwischen ist das Praxis. Als ich dann mit Gerd Ruge war zum Beispiel einer der ersten Aus- meiner Arbeit beim Radio begann und Aktualitäts- landskorrespondenten. Von Zahn nutzte diese Lü- chef wurde, habe ich Bewerber auf das Dach des cke aus und bot an, aus verschiedenen Ländern Verkehrsamtes am Dom gestellt, ihnen ein Mikro- Berichte bereit zu stellen. So baute er ein Netz von fon in die Hand gegeben und gesagt: „Jetzt be- Auslandskorrespondenten auf, was ungeheuer teuer schreib mal, was Du siehst.“ Auf diese Weise ha- war. Später beschlossen die einzelnen Sender, dass ben wir so manches Reportertalent entdeckt. es billiger sei, wenn sie selbst ein Netzwerk aufbau- Schöne Übung. Welche Themen haben Sie für die ten. Windrose behandelt? Auslandsthemen? War die Arbeit der Windrose-Produktionen auch Auslands- und Inlandsthemen. Ich war für Europa ein Impuls, das Korrespondentennetz der ARD zuständig. Peter von Zahn war der großzügigste zügig auszubauen? Arbeitgeber, den ich je kennen gelernt habe. Ich Ich denke ja. Zunächst war dieses Unternehmen ein bekam Themen wie zum Beispiel „Die Eckkneipe“ Rechenexempel. Die Anstalten bekamen alles nur oder „Schwierigkeiten der Landwirtschaft“. In über die Zentrale, in der Peter von Zahn saß. Wir Hamburg wurde dann aus sechs oder sieben Einhei- Reporter lieferten nichts auf Bestellung. Zahn bot ten ein Film zusammengestellt. Wir Reporter liefer- thematische Sendungen an, die in den meisten ten das Rohmaterial von fünf bis sieben Minuten. Fällen unpolitisch waren oder – wie im Falle der Ich konnte frei entscheiden, an welcher Stelle Eu- „Neuen Zürcher Zeitung“ – ein Porträt waren. ropas ich den Film drehen wollte. Von Zahn sagt 1963, als ich zum WDR kam, war das „Echo des mir einmal, dass ich derjenige gewesen sei, der am Tages“ die abendliche Politiksendung. Die Berichte meisten auf das Geld geachtet hätte. wurden von vier freien Journalisten aus dpa-

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Meldungen und aus Informationen von Presseagen- der Hörfunk gegenüber dem Fernsehen wieder an turen zusammengestellt. Und diese Berichte klan- Boden gewann. Wie kam es denn zu dieser Entwick- gen dann wie Auslandsberichte. lung? Also war das „Echo des Tages“ 1963 eigentlich Obwohl ich als Zeitungsmann kam, kam ich mit noch keine politische Abendsendung mit Auslands- dem Gefühl, dass man Radio anders machen müsse. berichten von eigenen Korrespondenten? Ich hörte damals sehr viele Sendungen, hatte mich Nein, alles wurde in der Redaktion geschrieben. also auf meinen Job vorbereitet und kam mit der Später sollten die Informationen von den Leuten festen Absicht, etwas zu verändern. Ich wollte den am Ort kommen. Als die ARD ihr Korresponden- platten Textjournalismus abschaffen. Damals gab tennetz ausbaute, habe ich die Windrose- es zum Beispiel das Phänomen, dass am Tage sechs Produktionsgesellschaft verlassen. Es war klar, dass Reporter für drei Berichte hinausfuhren. Auch mit die Sender die horrenden Geldsummen, die sie dem dem so genannten Senden-vom-Band konnte ich Zahn zahlten, nicht mehr lange zahlen konnten. Ich mich nicht anfreunden. Ständig musste noch etwas suchte mir einen neuen Arbeitsplatz. herausgeschnitten werden – ungeliebte Aussage und alle Äh’s. Wir strebten eine Sendung an, in der Stuttgart oder Köln standen zur Auswahl. man ohne Netz und doppeltem Boden redete und Ja. Der Süddeutsche Rundfunk hatte mir so eine eben das gesendet wurde. Zusammen mit unter Art Chefreporter-Position beim Fernsehen angebo- anderem Walter Hahn, dem damaligen Chefreporter ten und der Westdeutsche Rundfunk fragte mich, in Bonn, haben wir dann das Konzept „Mittagsma- ob ich die aktuelle Abteilung beim WDR-Hörfunk gazin“ entworfen. Mittags lief es deswegen, weil übernehmen wolle, weil Gerd Ruge nach Amerika das die einzige Sendezeit war, die keiner haben ging. wollte.

Programmbetrieb im Rundfunk „Mittagsmagazin“ Jetzt hatten Sie die Wahl – ich formuliere das mal Warum wollte die keiner haben? pointiert -, zu dem Medium der Zukunft zu gehen, Weil da angeblich keiner Radio hörte. nämlich dem Fernsehen oder zum Radio, das da- mals in einer ganz schwierigen Position war. Dem Das heißt, Sie haben die denkbar schlechteste Sen- Radio liefen die Hörerinnen und Hörer davon, dezeit ausgewählt, weil Sie sonst keine Chance besonders ab 20.00 Uhr gingen die Hörerzahlen gehabt hätten? zurück. Sie entschieden sich trotzdem für den Hör- Ja. Denn eine tägliche Sendung konnten wir nur zu funk. einer Zeit machen, zu der sich keiner beklagen Ja, ich fand kaum jemanden, der mir zu Radio riet. konnte, dass wir ihm etwas wegnähmen. Und so Alle dachten, das sei vorbei. kam nur die Mittagszeit in Frage. Der damalige Hörfunkdirektor Fritz Brühl fragte mich, ob wir Da erkenne ich den störrischen Westfalen, der diese Sendung zunächst nicht einmal in der Woche macht, was er selber will? senden sollten. Ich antwortete: „Einmal in der Wo- Fernsehen war das Medium der Zukunft, aber ich che ist wie ein bisschen schwanger.“ Entweder hatte immer schon eine Neigung, das zu tun, was muss man voll einsteigen oder eben gar nicht. Dar- die anderen nicht taten. Dort wo alle hinfahren, aufhin ging ich zu Klaus von Bismarck, dem Inten- kann man wenig Honig saugen. Ich fahre stets danten des WDR, und hielt ihm einen rhetorisch dahin, wo keiner hinfährt. Ich hatte mit meiner gut vorbereiteten Vortrag. Ich sagte, dass wir die Entscheidung dann auch – Gott sei Dank – Erfolg. Hausfrauen vorbereiten müssten, damit sie abends Außerdem stellt sich auch heute noch die Frage, wüssten, worüber sie mit ihren Männern reden was interessanter ist: dem Trend zu folgen oder den sollten. Wir sollten sie politisch informieren. Ich Versuch zu machen, aus einem angeblich sterben- bekräftigte, dass wir uns nicht an die Leute wenden den Medium wieder etwas heraus zu holen. Ich sollten, die sich a priori für Politik interessieren, hatte das Gefühl, das müsste noch möglich sein. sondern an diejenigen, die noch nicht interessiert Hinzu kam auch die Tatsache, dass ich hier in Köln sind. Wir könnten ihr Interesse gewinnen, indem wohnte und auch gerne hier bleiben wollte. wir ihnen über das Telefon Prominente ins Haus Tatsächlich haben Sie dann zu der Renaissance des holen. Nach dieser Unterhaltung schrieb Bismarck Hörfunks Beiträge geleistet. Ab 1965 sendete der einen Brief an sämtliche Stellen im Haus und bat WDR in seinem zweiten Hörfunkprogramm das innerhalb von sechs Wochen um entscheidungsreife „Mittagsmagazin“, eine Mischung aus Popmusik, Vorschläge zu meiner Idee. Das war sonst gar nicht Politik und Korrespondentenbeiträgen. Also, ein seine Art. Nun ja, und dann wurde das „Mittagsma- bisschen Buntes mit viel Auslandsberichterstattung. gazin“ eingeführt. Diese Magazinform trug wesentlich dazu bei, dass

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Ich komme noch mal auf das Konzept zurück. Sie also am frühen Morgen nach amerikanischer Zeit. wollten internationale Musik spielen, die damals Dieses Gespräch wurde also an den damaligen noch nicht so populär war wie heute. Dazu politi- Moderator Herbert Koch durchgestellt, der darauf sche Beiträge und dies zu einer schlechten Sende- gar nicht vorbereitet war. Trotz unseres Abkom- zeit. Sie haben drei mutmaßliche Flops kombiniert. mens mit dem Fernamt war nie klar, ob die ge- Ja, damals sagten auch viele, ich sei verrückt. wünschte Verbindung tatsächlich zustande kam. Koch war jedenfalls auf Sendung, hob den Hörer ab Doch dieses Konzept war erfolgreich. Und nicht und sagte: „Hier Koch.“ Sagte der drüben: „Kiesin- nur im WDR: Es wurde kopiert und hat in fast allen ger.“ „Ach“, sagte der Koch dann, „Herr Kiesinger, Rundfunkanstalten prägende Wirkung gehabt. was kann ich für Sie tun?“ Das ging dann ganz schnell. Eines dürfen wir dabei Herr Thoma, ich habe in einer Veröffentlichung aber nicht übersehen: Telefonieren galt zu jener von Manfred Rexin über den RIAS Berlin gelesen, Zeit noch als hoher Luxus. Man wartete etwa zwei, dass diese Form des Magazins, also die Mischung drei Stunden, bis das Fräulein vom Amt einem ein Telefoninterview und Musik, nicht beim WDR ent- Ferngespräch vermittelte. Wir haben dann damals wickelt worden ist, sondern zunächst beim RIAS, das Fernamt in Köln auch nicht direkt bestochen, aber wohl nicht zur Mittagszeit. aber wir lieferten Kuchen, Kaffee und vereinzelte Bierkästen. Wir waren uns also einig: Wenn wir um Natürlich. Beim RIAS gab es eine Abendsendung, 11.00 Uhr morgens sagten, dass wir um 12.30 Uhr die Helmut Prinz machte, der später bei mir Leiter mit Paris oder Washington telefonieren wollten, des „Mittagsmagazins“ wurde. An zwei Abenden dann bekamen wir die Verbindung. der Woche wurde da also mit dem einen oder ande- ren Prominenten telefoniert. Das erregte Aufmerk- samkeit, weil es eben auch live gesendet wurde und nicht vom Band kam. Somit war der RIAS der erste Sender, der sich durch übertragene Telefongesprä- che Hörerinnen und Hörer sicherte. Und doch be- trieb der RIAS diese Idee nicht weltweit, wie wir es taten. Kannten Sie diese RIAS-Sendung, als Sie Ihr Kon- zept entwickelt haben? Die RIAS-Sendung kannte ich damals nicht, nein. Ich wurde auf sie aufmerksam gemacht, als wir über meine Idee redeten. Und dann haben Sie Helmut Prinz in Berlin einfach abgeworben. Thoma beim „Mittagsmagazin“ 1968 Er war inzwischen beim Saarländischen Rundfunk gelandet, war also schon aus Berlin weg. Ich fuhr Gab es auch Kritik von den Hörerinnen und Hö- dann zu ihm und fragte, ob er Lust hätte, mit uns zu rern, die sich in etwa so beschwerten: „Seid ihr arbeiten. Ich zeigte ihm das Konzept und bot ihm eigentlich verrückt, unser Geld rauszuschmeißen den Posten als Redaktionsleiter an. Er kam gleich für teure Ferngespräche mit Washington, New mit fliegenden Fahnen. York, Rio de Janeiro und rund um die Welt“? Das führte dann zu dem Stichwort „Renaissance Ganz selten. Außerdem konnten wir dieser Kritik des Hörfunks“. Diese setzte ab Mitte der 1960er ganz einfach den Wind aus den Segeln nehmen, Jahre ein. Das Radio hatte wieder steigende Hörer- denn ein Gespräch kostete uns vielleicht 120 Mark. zahlen. Auch wegen der Einführung der Magazine? Verglichen mit 54 Prozent Höreranteil, die wir mit 1965 begann das „Mittagsmagazin“ und war auf diesem Gespräch erreichten, war das ein geringer Anhieb einen Riesenerfolg. Wir hatten damals eine Betrag. Mit heutigen Unterhaltungssendungen lässt Monopolstellung. Gelegentlich kam Radio Luxem- sich das natürlich nicht mehr vergleichen. Wir burg über Mittelwelle rein, aber das war unsere nutzen diesen Aha-Effekt aus. Denn Telefonieren einzige Konkurrenz. Wir räumten dann richtig ab, war spannend und etwas, was man privat kaum tat hatten ungeheuer hohe Hörerzahlen. Das „Mor- – vor allem nicht ins Ausland. Wir lieferten den genmagazin“ kam zwei Jahre später. Der erste Hörerinnen und Hörern Prominente von überall her, Sender, der versuchte uns Hörer abzuwerben, war was manchmal auch zu komischen Situationen wohl der Südwestfunk. Das gelang auch in Teilen führte. So war zum Beispiel Kiesinger als Bundes- mit dem „Morgenmagazin“ auf SWF 3. Später kanzler in Washington und wir hatten vereinbart, übernahmen eigentlich alle das Konzept, allerdings dass wir ihn mittags im Hotel anrufen können – mit einem Unterschied: Wir hatten unsere politi-

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schen Sendungen nicht angeknabbert, die liefen feste Korrespondenten in aller Welt stationiert sein unverändert weiter. Das „Mittagsmagazin“ war eine sollten. War das die unmittelbare Folge aus dieser zusätzliche Informationssendung. Programmform „Mittagsmagazin“? Das Magazin lief also nicht anstatt der politischen Das war die Folge, ja. Wobei wir zunächst immer Sendungen? nach freien Mitarbeitern gesucht haben, die von Nein. Aber anderswo wurden politische Sendungen irgendwo berichten konnten. Das war zu jener Zeit, abgeschafft und stattdessen Magazinsendungen als freie Mitarbeit etwas noch ganz Selbstverständ- eingeführt. Das führte dann zu dem Vorwurf, wir liches war. Ich hatte damals die Kompetenz, die hätten zur Boulevardisierung des Hörfunks beige- heute noch nicht mal mehr der Intendant hat, zu tragen. Das ist indirekt sicher richtig, weil wir diese einem Menschen meiner Wahl zu gehen und zu Form entwickelten, aber in der Praxis des WDR sagen: „Du fängst morgen bei uns an und arbeitest stimmt es nicht. Unsere anderen Informationssen- jeden Tag auf Honorarbasis.“ So entstanden die dungen wurden durch das Magazin nicht einge- ganzen Redaktionen. In den ersten Jahren waren schränkt. das „Mittagsmagazin“ und das „Morgenmagazin“ eine Ansammlung von freien Mitarbeitern, für die es keine Planstellen gab. Das Magazin als Häppchenjournalismus?

Als Sie 1992 vom Chefredakteur des WDR in den Zur Rezeption des „Mittagsmagazins“ Ruhestand wechselten, bedauerten Sie den wach- senden Trend zum Häppchenjournalismus im 90- Da hat man noch nicht an arbeitsrechtliche Prob- Sekunden-Takt und forderten mehr beschreibende lematiken gedacht. Waren denn die Korresponden- Reportagen statt aneinandergereihter Interviews. ten, die freien Mitarbeiter oder die dpa- So jedenfalls ist das in der WAZ vom 25. April 1992 Korrespondenten, die Sie dann anriefen, auf diesem nachzulesen. Aber haben auch Sie nicht aufgrund Anruf vorbereitet? War das nicht eine neue Form des Drucks der Konkurrenz des Fernsehens Mitte von Radiojournalismus? der 1960er Jahre eben diesen Typus mit erfunden? Ja, das war eine neue Form. Zunächst verhielten Also, ob man das nun will, oder nicht, war nicht viele Reporter sich wie die Politiker und sagten: auch das „Mittagsmagazin“ ein Schritt in Richtung „Um Gottes willen, frei reden! Man muss das Ge- „Häppchenjournalismus“, weil man Hörerinnen sagte vor der Sendung doch einmal hören können.“ und Hörer erreichen wollte, weil man populär sein Einer von denen, die den Weg für unserer Form des wollte? Journalismus bereiteten, war Franz Josef Strauß. Nein, es war kein Häppchenjournalismus. Wir Tatsächlich? haben auch Beiträge von zwanzig Minuten Länge Ja. Der tat das gerne. Er vertrat den Standpunkt, gehabt und meistens war es dem Moderator über- dass bei dieser Methode niemand an seiner Rede lassen, wie lange er einen Beitrag machte. herumstreichen konnte – weder der Journalist, noch Also, es gab keine Vorschriften. der Sender. Und so gab es Politiker, die gerne mit Nicht direkt. Hinterher wurde auch behauptet, dass uns sprachen. Andere fühlten sich nach einer ge- manche Beiträge zu lang waren. Manche Moderato- wissen Laufzeit der Sendung auch gezwungen, mit rinnen und Moderatoren waren natürlich auch ver- uns zu sprechen. liebt in die eigenen Beiträge und fanden das rechte Weil Sie so viele Hörerinnen und Hörer hatten? Maß nicht. Wir hatten abgemacht, dass der Redak- Ja, unbedingt. In Bonn gab es ein geflügeltes Wort: teur von draußen ein Zeichen geben sollte, wenn Es gibt zwei Sendungen, zu denen man nicht alles gesagt war. Solange ich dabei war, gab es „Nein“ sagen darf: die „Tagesschau“ und das „Mit- zwar den Drang, gelegentlich kürzer zu sein, aber tagsmagazin“. es gab keine Begrenzung. Wenn jemand das Gefühl Bis 1965 war ein Korrespondent, egal in welcher hatte, ein Beitrag sollte zehn Minuten lang sein, Funktion, gewohnt, seinen Text vorgefertigt abzu- dann durfte er zehn Minuten sein. liefern, so dass man ihn im Studio vorlesen konnte. 1965 lief die erste Sendung des „Mittagsmaga- Guten Journalisten machte unsere Art des Journa- zins“. Wie sah das Korrespondentennetz der ARD lismus sofort Spaß. für den Hörfunk damals aus? Also, es gab keine Berührungsängste mit dem „Mit- Da gab es schon einige. Wir haben damals sehr viel tagsmagazin“? mit dpa-Korrespondenten gearbeitet, die – Gott sei Dank – mit uns zusammenarbeiten durften. Nein, das war so eine Aufbruchsstimmung. Und das ist doch das Schönste, was einem passieren Hat denn der Chefredakteur des WDR-Hörfunks kann im Leben. Für mich gab es die „Stadtanzei- Dieter Thoma aus diesem dünnen Netz der Korres- ger“-Zeit, die „Mittagsmagazin“-Zeit und die pondenten die Konsequenz gezogen, dass mehr „Morgenmagazin“-Zeit. Das waren neue Sendun-

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gen, die Erfolg hatten, an dem sich jeder vom Team ren die Leute misstrauisch. Mit Sendungen verhält freute. Nach der Sendung gingen wir oft noch einen es sich genau so. trinken. Mit den ersten Leuten des „Mittagsmaga- Neues in der Politik und Neues im Radio oder auch zins“ bin ich heute noch befreundet. im Fernsehen entsteht also nur durch eine Vision, die ich noch nicht durch Meinungs- oder Medien- forschung abfragen kann? Ich kann zum Beispiel fragen, ob die Hörer mehr Musik wollen. Und wenn sie wollen, woher weiß ich dann, welche Musik sie wollen? Wenn ich sage, dass mehr Wortsendungen gemacht werden sollen, dann wissen viele nicht, was diese Sendungen ent- halten sollen. Also werden Sie sich immer gegen diese Innovationen entscheiden. Kurz bevor ich vom WDR wegging, habe ich das „Abendmagazin“ noch eingeführt, mit einem Montagsinterview, das jetzt „Montalk“ heißt. In dieser Sendung sitzt ein Gast drei Stunden lang im Studio und wird befragt. Dieses Format enthält bewusst mehr Wort und

weniger Musik als normal, sie ist also gegen den Werner Höfer im Studio von „Hier und Heute“ 1957 Trend gerichtet. Damit haben wir am Abend unse- ren Marktanteil sehr erhöht. Das waren alles Männer, Herr Thoma. Die erste Frau, die das „Mittagsmagazin“ moderierte, war Das glaube ich sofort. Gerade am Abend. Ulrike Wöhning. Das war 1986. Wenn wir die Leute gefragt hätten, ob sie mehr Der Prinz wollte keine Frauen. Es gab damals so- Wort wollen, hätte die Mehrheit „Nein“ gesagt. wieso noch diese Abneigung. Als ich damals das Man kann immer erst nach dem Angebot entschei- „Morgenmagazin“ mit der Doppelmoderation, also den. Das heißt aber nicht, dass man nach der ersten ein Mann und eine Frau, einführte, rief Werner Sendung diese Entscheidung treffen kann. Wenn Höfer mich an und fragte, ob ich verrückt und le- Sendungen abgesetzt worden wären, die mit den bensmüde zugleich sei, eine Frau ans Mikrofon zu ersten zwei Versuchen keinen Erfolg hatten, gäbe lassen. es die beliebtesten Sendungen des Fernsehens und des Hörfunks nicht mehr. Das konnte er sich nicht vorstellen? Wenn man sich nur auf die vorhandenen Daten der Nein. Es sei immer wieder schief gegangen, sagte empirischen Medienforschung verlassen hätte, er. Wir hatten mit der Doppelmoderation beim gäbe es das „Mittagsmagazin“ nicht. „Morgenmagazin“ aber Erfolg, woraufhin ich diese Art der Moderation auch als ein Markenzeichen des Richtig. „Morgenmagazins“ hervorgehoben habe. Ich habe Die Sendezeit war unattraktiv, die Programmele- nicht darauf gedrängt, dass es im „Mittagsmagazin“ mente wahrscheinlich nicht erfolgreich. geändert wird, denn eine Alibi-Frau wollte ich auch Also, nach allem, was man bis dahin wusste, hätte nicht in die Sendung holen. Wenn, dann mussten es das „Mittagsmagazin“ nicht erfolgreich sein dürfen. gleich zwei oder drei sein – und für diesen Wechsel Es waren aber die neue Mischung und der Aha- waren die anderen Moderatoren einfach zu beliebt Effekt, die das Format attraktiv machten. Plötzlich und zu gut. Ich wollte diesen Erfolg nicht beein- konnten die Hörerinnen und Hörer fast mit Leuten trächtigen. Außerdem war es schwer genug, für das reden, die sonst unerreichbar waren. „Morgenmagazin“ genügend Frauen zu finden. Sie bewerteten den überraschenden Erfolg des Chefredaktion und Politik „Mittagsmagazins“ folgendermaßen: „Es lehrte mich Umfragen nach Hörerwünschen zu misstrau- Herr Thoma, 1978 wurden Sie Chefredakteur beim en, weil sie immer nur auf Vorhandenes reagieren. Hörfunk des Westdeutschen Rundfunks als Nach- Erst Geplantes können sie nicht bewerten.“ Was folger von Paul Botta. Vor Ihrer Berufung zum folgt daraus? Chefredakteur schrieb der „Kölner Stadtanzeiger“ am 26. April 1978: „Als neuer Chefredakteur bietet Daraus folgt, dass man eben mehr Mut haben sollte, sich, das ist die vorherrschende Meinung im Sen- Neues zu versuchen. Das trifft ja zum Beispiel auch der, Bottas bisheriger Stellvertreter Dieter Thoma auf die Politik zu: Umfragen in der Politik bewerten (51) an. Thoma, lange Chef der aktuellen Hör- immer nur das, was passiert ist. Wenn jemand sagt, funksendungen und bekannt durch seine Mittags- er wolle jetzt mal alles ganz anders machen, reagie- magazin-Moderation sowie seine Mitwirkung am

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„Kölner Treff“ ist parteilos. Thoma hätte allenfalls „Fixe Idee“ von einer Seite Einsprüche gegen seine Berufung Das alleine wäre rundfunkhistorisch völlig neben- zum Nachfolger des der CDU angehörenden Botta sächlich, doch soll dabei die Idee für eine Nonsens- zu befürchten: Die Union könnte diesen Wechsel Sendung entstanden sein mit dem Titel „Fixe Idee“. als Einbruch in ihre Proporzansprüche auslegen.“ Diese Sendereihe lief ab Oktober 1964 im WDR- Wie wir heute wissen, hat der „Kölner Stadtanzei- Hörfunk. In der ersten Sendung diskutierten zum ger“ mit seiner Sorge nicht recht behalten, Sie sind Beispiel fünf so genannte Experten das Thema Chefredakteur geworden. Aber hat die Frage Ihrer „Brauchen wir ein Telefon für Linkshänder?“ Gab persönlichen politischen Gesinnung dabei eine es irgendeinen Hintersinn hinter dieser Senderei- Rolle gespielt? he? Nicht was mich angeht. Niemand hatte mich gebe- Nein, das war der Einfluss des anglo- ten, irgendwo einzutreten oder mich zu äußern, ob amerikanischen Humors, der damals nach dem ich bestimmte Tendenzen verfolge. Aber diese Kriege neu war. Damals entdeckten wir Autoren Situation hat, wie mir später erzählt wurde, in Kol- wie James Thurber und andere. legenkreisen ernstes Nachdenken hervorgerufen. Es zeigte sich, dass es offenbar nicht mehr so wichtig In der zweiten Sendung mit Peter Frankenfeld als war, einer Partei anzugehören. Das war einer der Beteiligtem fragten Sie ihn, ob man Gewitter mo- ersten Fälle, dass ein Parteiloser in dieses Amt dernisieren könne und Peter Frankenfeld brachte gerufen wurde. ernsthaft das Problem auf, ob es Unzucht mit Ge- wittern geben könne. Sie diskutierten auch die Sie waren nie Mitglied einer politischen Partei. wichtige Frage: „Wie kann man Weihnachten im Aber ich glaube, das Karl-Herrmann Flach, der Auto feiern?“ Wollten Sie mit dieser Form, in der stellvertretende Chefredakteur der „Frankfurter Sie Unsinnsthemen auf einer Expertenebene disku- Rundschau“ und spätere FDP-Generalsekretär, Sie tierten, auch etwas entlarven, was im Alltag ständig fast überzeugt hätte. stattfindet? Mit Flach habe ich damals sehr viel geredet. Wir Ja, natürlich. Nämlich Worthülsen. Und Pathos. Im waren ein paar Abende zusammen und haben dis- wesentlichen war es aber Spaß am Nonsens. Leider kutiert. Er hat mir so imponiert, dass ich sagte: haben wir eine wesentliche Frage, die noch auf der „Wenn so ein Mann in der Politik ist, dann kann Liste stand, nicht mehr diskutieren können. Es man da vielleicht doch mitmachen.“ handelte sich um die Frage „Wie weit kann man im Aber Sie sind dann nicht FDP-Mitglied geworden? Liegewagen gehen?“. Nein, ich habe es dann trotzdem nicht getan. Ich Das Ende dieser Nonsensgespräche kam relativ war immer der Meinung, aber das ist jetzt sehr plötzlich. Es war so, dass Sie Redakteur der Abtei- persönlich, dass es mir leichter fällt, Journalist zu lung Politik waren und man konnte sich nicht so sein, wenn ich nicht auf diese Weise engagiert bin. richtig vorstellen, dass Sie auch für eine andere Eine zweite Politikerpersönlichkeit scheint Sie Abteilung des WDR, nämlich für die Unterhal- beeinflusst und beeindruckt zu haben, nämlich tungsabteilung, arbeiteten. Da stellt sich doch Heinz Kühn. Der war Gremienmitglied des Sen- schlicht die Frage, warum eigentlich nicht? ders, also Respekts- und Aufsichtsperson, und ab Ja, die habe ich mir auch gestellt. Ich halte die 1966 Ministerpräsident des Landes. Aussage auch für ein Hilfsargument. In jeder Sen- Und er leistete den Nazis Widerstand. dung, die über Jahre läuft, gibt es irgendwann Frik- Ja. Er war in der Emigration. tionen und die Frage des Redakteurs, wer das ei- gentlich verwaltet. Mitarbeiter fragten manchmal Ich war vor allem beeindruckt durch das, was an über die Redaktionsgrenzen hinweg, ob sie hier ihm noch der Journalist war. Er hatte diese Fähig- oder da helfen könnten. Später tauchte dann die keit, frei zu reden, als hätte er es sorgfältig aufge- Frage auf, was eigentlich einer aus der Politik in schrieben. der Unterhaltung macht. So entstehen die merk- Haben Sie niemals den Eindruck gehabt, dass würdigsten Situationen. Als ich nach Werner Höfer Heinz Kühn Gegenstände Ihrer Gespräche für seine den „Frühschoppen“ übernahm, den wir dann Tätigkeit in den Gremien des WDR missbraucht „Presseclub“ nannten, überlegten wir arglos, ob wir hat? aus der Hörfunksendung, die ins Fernsehen über- Nein, ich hatte den Eindruck, dass wir das beide nommen wurde, eine Fernsehsendung machen, die immer sorgfältig getrennt haben. auch im Hörfunk übernommen wird. Diese Ent- Herr Thoma, Sie haben mit Peter Frankenfeld scheidung hatte aber weitreichende Folgen, weil die Billard gespielt. Sendung dann plötzlich auf das Kontingent des WDR im ARD-Fernsehen angerechnet wurde. Ja. Plötzlich war sie im ARD-Schlüssel enthalten.

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Und nun mussten die anderen Sender beteiligt wer- der sich über die Farbe der Wäsche von Kaiserin den. Soraya auskannte. Sie hatten auch die Playmate Ach, so ist die alternierende Moderation mit Fuchs des Monats aus dem Playboy in der Sendung und, zustande gekommen, weil die Fernsehsendung das finde ich besonders bemerkenswert, den Hund keine reine WDR-Angelegenheit mehr war? Heinrich aus der Unterhaltungsserie „Klimbim“. Sie haben sich auch nicht gescheut, einen großen Nee, nee. Solange es eine Hörfunksendung war, die braunen Bären in die Talkshow zu holen, der Ihnen das Fernsehen übernahm, war das kein Problem. das Bier austrinken wollte. Was war das Konzept Herr Thoma, wir haben schon im Zusammenhang dahinter? Oder gab es kein Konzept? mit dem „Mittagsmagazin“ gesehen, dass Sie über Die Idee war, eine gute Unterhaltungssendung zu Strategien nachgedacht haben, Politik an Men- machen, in der die Gespräche nicht flach sind. Die schen zu vermitteln, die sich zunächst einmal nicht Möglichkeit zu bieten, von Leuten etwas zu erfah- dafür interessieren. Sie haben also unterhaltsame ren. Also, bei den Politikern Wehner und Strauß Formen zur Politikvermittlung ausprobiert und mal hinter die Kulissen zu gucken, zu erfahren, was weiterentwickelt. War es für Sie eigentlich zwangs- sie in Interviews sonst nicht sagen. Als wir Herbert läufig, dass Sie sich dann auch für die neue Fern- Wehner zum Beispiel in der Sendung hatten, riefen sehform „Talkshow“ interessiert haben? die Leute wie wild an und sagten: „So haben wir Nein. Ich muss da auch sagen, dass das gar nicht Herbert Wehner noch nie erlebt.“ Das sagte ich mein Verdienst war. Ich habe mich nicht darum ihm. Er war sehr gerührt und antwortete: „Herr gekümmert, sondern es war Hans-Joachim Hütten- Thoma, ich habe auch noch nie so eine Chance rauch, ein ungeheuer begabter und ein sympathi- gehabt.“ scher Unterhaltungsredakteur. Er hatte die Idee, Sie hatten Wehner 25 Minuten in Ihrer Sendung diese in Amerika schon aufkommende Form hier in und haben es geschafft – man kann es nachlesen – Deutschland einzuführen. Er schlug Biolek vor, im die Person hinter dem Politiker deutlich werden zu „Kölner Senftöpfchen“, einer Kleinkunstbühne, lassen. eine Talkshow zu machen. Genau das war das Ziel, das wir allerdings nicht Der war aber noch keine bekannte Medienperson? immer erreichten. Zu meinem Erstaunen stellte sich Nein, den kannte man nur intern. Außerdem gab es zum Beispiel heraus, dass Hermann Höcherl, der diesen Thoma, der mit der „Fixen Idee“ Nonsens stets schlagfertig und brillant war, in der Sendung produzierte. Hüttenrauch fand, dass wir beide zu- vor lauter Aufregung nur Ja und Nein herausbrach- sammen eine Talkshow machen sollten, obwohl te. Gerd Fröbe war ungeheuer nervös – ich musste Biolek und ich uns gar nicht kannten. Doch wir ihn erst dazu bringen, gut zu sein, indem ich ihn auf besprachen die Idee und hatten Spaß an ihr, ver- eine Geschichte aufmerksam machte, von der ich suchten tatsächlich eine Sendung auf die Beine zu wusste, dass er sie gut erzählen konnte. stellen und hatten damit auch Erfolg. War die Radio-Bremen-Sendung „III nach neun“ ein Vorbild, oder war das etwas, was Sie sahen und sich fragten, wie man sich davon abgrenzen könne? Wir wollten schon eine eigene Form haben, ja. Wir wollten zwei Elemente kombinieren: Musik und Auftritte von jemandem, der nebenan wohnen kann, also der nicht prominent ist sondern einen ganz normalen Beruf hat und darüber Interessantes er- zählen kann.

„Kölner Treff“

Es ist kaum möglich, jetzt alle Gäste aufzuzählen. Thoma und Alfred Biolek beim „Kölner Treff“ 1977 Um zu zeigen, wie bunt die Mischung war, nenne ich einige Namen: Hermann Höcherl, Politiker der Dr. Alfred Biolek, promovierter Jurist, machte CSU, Gerd Fröbe, Schauspieler, Peter Ustinov, zunächst Kabarett, dann den „Kölner Treff“ und Schauspieler, Heinz Kühn, Ministerpräsident, startete nach seinem Abschied von dieser Sendung Franz Josef Strauss, Politiker, Rainer Werner im Jahre 1980 „Bios Bahnhof“. Das war der Be- Fassbinder, Filmemacher, Arnim Mueller-Stahl, ginn seiner großen Karriere in der ARD. Sie beka- Schauspieler, Lilli Palmer. Sie haben aber eben men dann neue Moderationspartner im „Kölner auch unbekannte, einfache Menschen vorgestellt, Treff“, es folgten Elke Heidenreich und Armin einer war zum Beispiel der Hausmeister Riesmeier,

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Halle. Aber die Qualität des Gespanns Tho- „Wir wurden an unseren früheren Glanzpunkten ma/Biolek haben Sie nicht wieder erreicht? gemessen.“ Und Sie sollen dann auch noch gesagt Nein. Die Kombination von Biolek und Thoma war haben, dass Sie ein bisschen resigniert sind, weil eben ein glücklicher Zufall. Wir sind beide so ver- immer mehr Showelemente in die Sendung kom- schieden, wodurch sich ein Gegensatz ergab, der an men, die Politiker unter den Talkgästen weniger sich komisch war. Und aus dieser Verschiedenheit und Dialoge über 26 Minuten wie zum Beispiel der heraus haben wir die Show entwickelt, dass wir uns mit Herbert Wehner kaum mehr möglich seien. War ständig gegenseitig anpflaumten. das so? Waren die Texte vorbereitet? Ja, das war so. Es gibt eine verhängnisvolle Ent- wicklung, die nicht nur unsere Sendung betraf: Die Die Texte waren vorbereitet, ja. Frei nach dem Sender betrachten erfolgreiche Sendungen oft als alten amerikanischen Satz: „Man muss nichts so Selbstläufer und kürzten die Investitionen. Und mit gut vorbereiten, wie das, was man improvisiert“. Investitionen meine ich jetzt nicht nur die finanziel- Aber es gab keine Ghostwriter, die Ihnen Texte len, sondern auch die redaktionellen, also geistige vorformuliert haben? Investitionen im Allgemeinen. Eigentlich sollte Nein, die gab es noch nicht. man den Etat einer erfolgreichen Sendung aufsto- Steckte hinter dem „Kölner Treff“ eine größere cken und die Zahl der Redakteure erhöhen, damit redaktionelle Mannschaft? sie erfolgreich bleiben kann. Schließlich werden die Sendungen immer an ihren Höhepunkten gemessen. Nein. Am Anfang waren das im wesentlichen nur Wenn wir zum Beispiel eine Blumenfrau hatten, die zwei Leute. Wir waren die Beteiligten und setzen also so lustig und spontan war, dass die Leute auf uns vor den Sendungen zusammen und überlegten, dem Fußboden lagen vor Lachen, dann wurde ich was wir machen wollten. Die Moderatoren wurden immer wieder gefragt, warum wir so einen Gast also mit in die Redaktion einbezogen. nicht wieder einluden. Würden Sie sagen, dass Elke Heidenreich und So einen Gast muss man erst einmal finden. Armin Halle Ihrem menschlichen Typus zu nahe waren? Genau. Und wir wussten ja auch vorher nicht, dass sie so gut sein würde. Beim „Kölner Treff“ war es Elke Heidenreich war ein Gegensatz zu mir, weil ja dann jedenfalls so, dass die Redaktion immer jün- schon Mann und Frau einen Gegensatz bilden. Die ger wurde und wir immer älter. Die Moderatoren Kombination war eigentlich ganz gut. Armin Halle kannten die Leute, die eingeladen wurden, gar nicht war mir allerdings zu ähnlich. Wir haben uns gut mehr. Und umgekehrt kannte die Redaktion die verstanden, aber in den Dialogen, die wir entwar- Leute nicht mehr, die wir haben wollten. fen, entstand einfach keine Spannung. Hatten Sie den Eindruck, dass der Marktanteil der Sendung noch einmal gesteigert werden sollte und deswegen weniger Politik hinein genommen wurde. Waren Sie deshalb der Meinung, das muss man abschaffen? Nein, nicht so direkt. Und doch lief der Trend eben gegen uns. Politiker waren nicht mehr so gefragt. Und damit fehlte für mich, der ich Jahre Chefredak- teur der Politik im Hause WDR war, ein wesentli- cher Impuls. Vielleicht sogar eine Art Alibi. Es blieb ja immer noch die Frage, ob ein politischer Chefredakteur in einer Unterhaltungssendung auf- treten sollte.

Elke Heidenreich und Thoma 1980 Der Einfluss des Rundfunkrats Herr Thoma, spielte beim Ende des „Kölner „III nach neun“ gibt es immer noch. Der „Kölner Treffs“ auch der Rundfunkrat des Westdeutschen Treff“ lief bis zum Dezember 1982. Im Dezember Rundfunks eine Rolle? 1982 ging die 94. und letzte Sendung über den Sender. Wenn die „Süddeutsche Zeitung“ Sie rich- Nein. Der Rundfunkrat hat sich, soviel ich weiß, tig zitiert hat, sollen Sie zum Ende dieser Talkshow zweimal mit der Sendung beschäftigt. Einmal als gesagt haben: „Die Sendung war auf dem besten Wolf Biermann den Bundespräsidenten Carl Kars- Wege einfach zu versickern.“ Was Sie damit mein- tens einen Nazi genannt hatte. Im Rundfunkrat ten, haben Sie dann auch gleich nachgeschoben: wurde dann die Frage diskutiert, ob ich angemessen reagiert hätte.

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Wie haben Sie reagiert? Aber das ist doch Verzicht auf eine Chance, Ver- Ich sagte damals, dass ich es mit Voltaire hielte. mittlungsstrategien auszuprobieren, die über das Der pflegte nämlich zu sagen: „Ich bin nicht Ihrer unmittelbare Feld des seriösen Journalismus hi- Meinung, aber ich lasse mich dafür totschlagen, nausgehen. dass Sie sie sagen dürfen.“ Das ist richtig. Also, ich habe immer versucht, über Und das war ausreichend für den Rundfunkrat? die unmittelbaren Grenzen des Journalismus hinaus zu kommen. Deswegen führte ich Nonsens- Nach langer Diskussion haben sie es schließlich für Gespräche. ausreichend gehalten. Ein zweites Mal griff der Rundfunkrat ein, nachdem wir uns einen Gag ge- Sie sind also ein Beleg für die Möglichkeiten, die in leistet hatten: Tim Leonhard war ein Elvis-Double diesen Versuchen stecken. und sein Auftritt in unserer Sendung war ein Rie- Ich bin auch der Meinung, dass Journalismus ohne senerfolg. Im Zuge dessen verkleidete ich mich bei Entertainment gar nicht geht. Er kann nicht auf die einer späteren Sendung als Elvis Presley, ich trat Überlegung verzichten, wie etwas interessant und auf die Bühne und machte eine Ansage mit Gitarre wichtig gemacht werden kann. Wie verkaufe ich und Elvis-Kopf. Ich redete ganz normal und ging die Inhalte, wobei ich verkaufen hier für eine nach der Moderation wieder raus. Das war ein schlechte Vokabel halte. Wie vermittele ich Inhalte großer Lacher. Später wurde wieder einmal die so, dass Leute, die sich a priori nicht dafür interes- Frage erörtert, ob ein politischer Chefredakteur sich sieren, interessiert werden? Das ist doch Journalis- zu solchen Dingen hergeben dürfe. mus. Kann also ein Chefredakteur, der solche Sendun- gen moderiert, noch den Außenminister intervie- „Internationaler Frühschoppen“ wen? Im Dezember 1987 entscheidet der WDR, den „In- Ja. Ich vertrat den Standpunkt, dass das eigentlich ternationalen Frühschoppen“, eine Sendung, die der Außenminister wissen müsse. Wenn er es nicht mit 1.874 Folgen fast 36 Jahre zunächst im Hör- für unter seiner Würde hält, mit mir zu reden, dann funk des NWDR, dann auch zusätzlich im Fernse- sollten wir vom Rundfunk diese Hemmungen nicht hen der ARD zu sehen war, einzustellen. Wir wol- wecken. len nicht auf Einzelheiten eingehen, aber Anlass Steckt dahinter die Missachtung des Erfolges der dafür waren Vorwürfe, die der „Spiegel“ gegen Unterhaltungssendung? den langjährigen Moderator der Reihe, Werner Die Missachtung des Erfolges wohl nicht, aber die Höfer, formulierte. Das Material gegen ihn war seit starke Neigung der Deutschen, in Kästchen zu langem auf dem Markt, aber in dieser Situation denken. Also, ich behaupte mal, dass so eine Figur kündigte Werner Höfer an, dass er den „Früh- wie Leonhard Bernstein in der Musik bei uns sicher schoppen“ nicht mehr moderieren werde. Jetzt sehr schwer denkbar wäre. Beruhend auf der Tatsa- stand der Sender vor der Frage, sofort mit einer che, dass er leichte Musik macht und gleichzeitig veränderten Konzeption und veränderten Modera- Generalmusikdirektor wäre. In Deutschland scheint toren weiter zu machen, oder die Sendereihe einzu- man sich entscheiden zu müssen: entweder ernst stellen. Sie waren als Chefredakteur für die Sen- oder lustig. Dass beides aber geht, haben Leute wie dung verantwortlich. Peter Ustinov bewiesen, aber das ist in Deutschland Ja, es gab eine Krisensitzung bei Friedrich Nowott- schwer. ny, dem damaligen Intendanten des WDR. Da wur- Man wird in ein bestimmtes Kästchen gepackt ... de dann entschieden, dass die Sendung am nächsten Sonntag weitergehen solle. Aber es wurde ein neuer …und in dem hat man eine gewisse Bewegungs- Titel gefunden, nämlich „Presseclub“, weil der freiheit, darf aber über Grenzen nicht hinausgehen. „Internationale Frühschoppen“ Höfers Eigentum war, wenn man so will. Raum für Doppelbegabungen? Jedenfalls waren die Rechtsverhältnisse unklar und Heißt das denn, dass in dieser Gesellschaft oder in man wollte eventuellen Streitigkeiten gleich aus diesem Rundfunksystem immer noch solche Dop- dem Weg gehen. Um eine schnelle Lösung zu fin- pelbegabungen, wie Sie eine sind – der politisch den, schlug jemand vor, ich weiß nicht mehr, ob es seriöse Journalist auf der einen Seite und der Ka- Nowottny war, dass die beiden Chefredakteure von barettist auf der anderen – sich irgendwann für das Fernsehen und Hörfunk gemeinsam und abwech- eine oder andere entscheiden müssen? selnd die Sendung übernehmen sollten. Ja, es ist wohl in der Gesellschaft noch so angelegt. Hier machten Sie auch wieder ohne Umwege und Wir Deutschen haben da nicht die Leichtigkeit, die ohne Schnörkel den Versuch, Politik zu erklären. die Franzosen schon eher haben und die Amerika- ner natürlich ganz und gar.

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Ja, das habe ich auch gern gemacht. Ich dachte Damals war Deutschland und die Welt noch ein auch, dass bei all der Routine, die ich inzwischen großes Problem, als Höfer anfing. Insofern war das erworben hatte, eine Kamera oder Mikrofon mich eine geniale Idee, diese Sendung zu machen. Als nicht mehr unsicher machen würde. In der ersten wir sie übernahmen, haben wir von dem Konzept Sendung aber, für die ich mich innerhalb von fünf sechs Journalisten aus fünf Ländern Abstand ge- Tagen fit gemacht hatte, als ich also auf Höfers nommen. Wir nahmen also, wenn zum Beispiel Platz saß, stellte ich überraschend fest, dass ich Frankreich dran war, zwei aus Frankreich und vier doch eine wackelige Stimme hatte. Deutsche. Sie haben diese starre Regel durchbrochen. Ja, es wurde auch nicht mehr nur Wein getrunken, sondern mehr Wasser… Nein, es gab im Prinzip kein neues Konzept. Wir haben halt über das, was wichtig war und was die Leute interessierte, gere- det.

Regionalisierung Herr Thoma, Ihr Name ist auch verbunden mit der verstärkten Regionalisierung der Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen. Die WAZ überschreibt einen Artikel am 22. August 1981 mit der Über- Logo „Internationaler Frühschoppen“ schrift „WDR will in die Provinz“. Sie waren Leiter der Projektgruppe Regionalisie- Da hatten Sie Lampenfieber? rung/Dezentralisierung, die im Auftrag des Inten- Ich hatte etwas Lampenfieber, ja. danten ein 120 Seiten langes Planungspapier für eine verstärkte regionale Berichterstattung vorge- Das glaube ich. Höfer hat diese Sendereihe immer legt hatte. In der Unterzeile titelte die WAZ: „Poli- moderiert. Einmal saß er wegen der Schneekatast- tiker aller Parteien kündigen Widerstand gegen rophe auf Sylt fest und moderierte den „Früh- Regionalisierungspläne an.“ Wenn man die Forde- schoppen“ über die Telefonleitung, weil er nie- rungen des Papiers, das da unter Ihrer Stabführung mand anders an seinen Platz lassen wollte. entstanden ist, liest, kann man sagen, dass fast alles Ja, er nahm kaum Urlaub. verwirklicht worden ist und es heute 36 Jahre keinen Urlaub. Ja, das ist auch spannend! selbstverständlich ist, dass auch die öffentlich- Die Übernahme der Sendung durch Sie war also rechtlichen Anstalten in Hörfunk und Fernsehen für zunächst nur als Notlösung gedacht. Diese „Notlö- die Regionen berichten. Was war an diesen Plänen sung“ dauerte dann fünf Jahre. der 1980er Jahre so anstößig, dass zunächst die Ja, zunächst war es nur als Übergang gedacht. Aber Politik äußerst skeptisch war? dieser Übergang bewährte sich dann und die Ein- Ja, da gab es schon den Blick auf das private Fern- schaltquoten waren nach wie vor gut. Die Resonanz sehen und den Widerstand der Verleger. Es war war gut. Und somit gab es keinen Grund, etwas zu auch so, dass das „Mittagsmagazin“ bei den Zei- ändern. tungen tiefes Misstrauen hervorrief, weil die immer Sie haben dann auch Lob vom Programmbeirat des glaubten, wir nähmen ihnen Leser weg. Bis die Deutschen Fernsehens bekommen. Gab es dafür WAZ, damals noch unter Siegfried Maruhn als einen Anlass? Chefredakteur, eigentlich einen befreienden Satz sagte. Der Maruhn sagte, dass es genau andersrum Nein. Ist mir jedenfalls nicht bekannt. Ich nehme sei: Themen, die im „Mittagsmagazin“ sind, müs- an, das Lob galt der Gesamtleistung. sen auch in unserer Zeitung vorkommen. Schließ- Wahrscheinlich. Betrachtet man die Geschichte des lich wollen die Leute das, was sie im „Mittagsma- „Frühschoppens“, war das schon in den fünfziger gazin“ interessiert hat, gern noch mal nachlesen – Jahren im NWDR auch von Höfer der Versuch, das kann das flüchtige Medium Radio bekanntlich über diese Konstruktion Auslandsthemen in die nicht leisten. Wenn die Menschen einmal Interesse Debatte zu bringen, oder den Blick auf unsere Re- bekommen, dann wollen sie mehr. Und so war das publik vom Ausland her zu fördern. Das war die dann bei der Regionalisierung auch. Öffnung zur Welt? Die Pläne für die Regionalisierung begannen also Ja. bevor die kommerziellen Stationen sendeten. Die Haben Sie das Konzept auch so gesehen? Sorge der Verleger gegen die Regionalisierung waren nicht ausgeräumt.

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Ja, mindestens erwartete man aber Einbrüche in das durch die Popularität im Fernsehen so verändert Grundgeschäft der Verleger. Sie glaubten, dass die haben, dass der Umgang mit ihnen sehr schwierig Lokalteile leiden könnten, wenn wir weiter unsere wurde. Berichterstattung auf Regionen ausdehnten. Heute Haben Sie sich verändert? mit dem so genannten Metropolenfernsehen, dem Wahrscheinlich auch, aber ich hoffe, nicht so sehr, Stadtfernsehen, ist es in Teilen ja auch so. Aber dass meine Freunde mich meiden. Ich kenne jeden- damals haben die Zeitungen eigentlich nicht unter falls keinen, der das tut. dem Regionalfernsehen gelitten. Es hat sich ge- zeigt, dass es sich nicht um Konkurrenz handelt, Wie merkt man das, was da mit einem vorgeht, dass sondern um einen Wettbewerb, bei dem beide exis- man plötzlich anders gesehen wird? tieren können. Einer meiner Wünsche wurde aller- Man merkt es an der Selbsteinschätzung. Es tritt dings nicht durchgesetzt: Ich wollte weniger große dieses Missverhältnis zwischen Popularität und Funkhäuser im Lande haben, wollte mehr mit Über- Bedeutung ein. Will sagen das, was ich im Fernse- tragungswagen im Lande unterwegs sein. Es sollten hen sage, ist ja nicht wichtiger als das, was ich in keine neuen Zentralen geschaffen werden, sondern der Zeitung schreibe oder was ich jetzt hier sage. mehr mobiles Radio gemacht werden. Ich wollte, Die Bedeutung liegt nicht in der Aussage selber, dass das Radio zum Hörer kommt. sondern eher in ihrer massenhaften Verbreitung. Wenn Sie das von heute aus betrachten, ist das, was Ja, wenn viele zuhören scheint die Bedeutung zu Sie damals mit anderen auf 120 Seiten zu Papier steigen. Aber das gesamte Publikum ist nicht mei- gebracht haben, verwirklicht worden? netwegen gekommen, sondern es ist da, weil das Ja, wie gesagt, in großen Teilen. Eben mit Aus- Medium so viele Zuhörer und Zuschauer hat. nahme der Tatsache, dass eben in Dortmund ein Es ist also eine geliehene Bedeutung. Riesenfunkhaus gebaut wurde, was nach meiner Ja. Und damit sind viele nicht fertig geworden. Ich Meinung etwas kleiner hätte ausfallen können. glaube, das Fernsehen verdirbt Menschen. Ich er- Dafür hätten ein paar Übertragungswagen mehr lebte das mit jemandem, der nun also bekannt war. angeschafft werden können. Wir gingen in ein Lokal und an fast allen Tischen Aber Sie werden doch als Chefredakteur und als wurden die Leute aufmerksam und sagten: „Guck Westfale, wenn ich das sagen darf, auch mitbe- mal!“ Nur an zwei Tischen unterhielten die Leute kommen haben, dass die Frage, ob der WDR die sich weiter, sie hatten nichts gemerkt, guckten nicht Hörer aus Köln optimal versorge, zumindest bei hoch. Der Betreffende blieb dort so lange stehen, einigen Menschen in Westfalen auch schon gestellt bis sie ihn erkannten. Ich habe Leute erlebt, mit wurde? denen ich durch die Hohe Straße ging, die eigent- Ja, das hat mich in meiner gesamten Amtszeit be- lich immer nur rechts und links registrierten, ob sie gleitet. Und da konnte ich immer nur darauf hin- auch erkannt wurden. Ich schrieb mal für ein Ra- weisen, wie viele Münsteraner oder Westfalen im diobuch, was sogar noch auf dem Markt ist, einen WDR an leitender Stelle sitzen. Beitrag der damit schließt: „Ein Journalist, der Aber die Frage wurde schon bei der Diskussion anfängt zu glauben, er sei gut, hat den ersten Schritt über den Nordwestdeutschen Rundfunk geführt. zu seinem Niedergang getan.“ Wenn man sich Versorgt der Nordwestdeutsche Rundfunk mit selber für so wichtig hält, nur weil man im Fernse- Hauptsitz in Hamburg das Rheinland optimal, hieß hen auftritt ... Für manche sollte die Erkenntnis es damals. Die Fragestellung war also nicht neu? heilsam sein, dass die Einschaltquoten nach Pro- grammschluss, den es ja früher noch gab, auch Nein. Aber der Karneval im WDR wird auch jetzt immer noch sehr hoch waren. Das waren all die noch von einem Westfalen gemacht. Leute, die eingeschlafen waren, während das Pro- Das finde ich ermutigend. gramm lief. Ja. Ist Peter Kottmann ein exemplarischer Fall? Ein Beispiel für das, was Sie meinen? Popularität Ja, das ist ein tragisches Beispiel. Peter Kottmann Herr Thoma, ich frage nicht allgemein, sondern war der erste Unterhaltungschef des WDR, aber bezogen auf Ihre Person: Verändert die Populari- auch schon im NWDR als Unterhaltungsmann tät, die man durch Hörfunk- und besonders durch tätig. Eine Karriere, wie sie nur in jener Zeit mög- Fernsehpräsenz bekommt den Menschen? lich war. Irgendwann kam er durch Köln, stieg auf dem Bahnhof aus, traf einen Bekannten, der ihn Ja, sehr. Also, ich habe früher große Angst davor fragte, ob er nicht ein paar Texte schreiben wolle. gehabt und mich sehr bemüht, nicht zu unterliegen. Das tat Kottmann dann und so wurde er der jüngste Ich kann nur hoffen, dass es mir gelungen ist. Aber Unterhaltungschef, den es gab. Er wurde so eine ich habe wirklich gute Freunde verloren, die sich

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Art Unterhaltungspapst der Bundesrepublik. Und er gut kenne, dass er überall mitmachen könne. Aber kündigte, als Hanns Hartmann als WDR-Intendant die ließen ihn nicht. Das dauerte dann zwei Jahre, nicht wieder gewählt wurde. er trat dann gelegentlich noch bei „Was bin ich?“ auf. Sein Freund Guido Baumann hatte ihn da gele- gentlich noch untergebracht. Dann wurde er Nacht- taxifahrer in München und dann hat er sich umge- bracht. 42 Jahre ist er alt geworden. Als ich zum Sender kam, war er also der große Mann der Unter- haltung in der Bundesrepublik. Geliehene Populari- tät, die man über ein Medium bekommt, geht auch ganz schnell verloren oder kann in das Gegenteil umschlagen. Wie Herbert Riehl-Heyse von der „Süddeutschen Zeitung“ das Geschick der Journa- listen beschrieb: Erst wird jemand aufgebaut und dann abgeschossen. Auch das Radio oder Fernse- hen baut jemanden auf, aber dann kommt er natür- lich auch in die Schusslinie. Ja, das kann man auch bei den Boulevardblättern sehen. Stars werden manchmal geradezu herbei geschrieben, wenn es der Auflage nützt und dann auch, wenn es der Auflage nützt, gnadenlos demon- tiert. Ja, das liegt schon in der Wortwahl. Jeder, der mal einen Mülleimer durch die „Lindenstraße“ getragen hat, ist dann ein Fernsehstar. Wer also wirklich ein Star ist, ist ein Megastar oder ein Superstar oder ein Super-Mega-Star. Hanns Hartmann 1954 Von galaktischer Bedeutung. Ganz neue Wörter werden erfunden. Das muss 1960 gewesen sein, als die CDU, die Herr Thoma, Sie haben zu Ihrer Verabschiedung damals hier noch die Mehrheitspartei in Nord- im Jahre 1992 eine Rede gehalten. Sie sagten: „Ich rhein-Westfalen war, einen Intendanten ihrer Wahl werde kein Vermächtnis ausbreiten bei dieser Ge- durchsetzen wollte. legenheit. Macchiavelli auf dem Sterbebett, be- Ja. Und er dachte, so kam es mir jedenfalls vor, drängt doch nun endlich dem Teufel abzuschwören, dass der WDR seine Kündigung nie zulassen wür- antwortete: ‚Werde ich mir denn bei dieser Gele- de. Er schien ja der ganz große Macher zu sein, genheit neue Feinde machen?’ Vermächtnisse nütz- ohne den nichts ging. Er war auch ein genialer ten sowieso nichts mehr, egal, was ich jetzt sagen Mensch, aber er hat es wohl falsch angepackt, denn könnte.“ Ich glaube Ihnen nicht, ich glaube, Sie er hatte das alles auch öffentlich gemacht. Höfer hatten schon etwas zu sagen, was Ihnen wichtig ist, war der andere, der gekündigt hatte. aber Sie haben nicht geglaubt, dass es eine Wir- Ja, aber Höfer hat im Gegensatz zu Kottmann noch kung hat? die Moderation des „Frühschoppens“ behalten. Ja, das mag schon sein, ja. Ja, Höfer hielt den Fuß drin. Außerdem hatte er auch schon ein Angebot bei einer Illustrierten als Gibt es ein Deutschland ohne öffentlich- Chef. Und Kottmann ging also raus und wir redeten rechtlichen Rundfunk? noch mal mit ihm, da sagte er: „Na, jetzt werde ich wieder Sendungen machen.“ Allerdings unter- Sie formulieren das dann auch indirekt: „Wenn ich schätzte er die Abneigung, die er sich inzwischen wünschte, die Suche nach Werbeeinnahmen sollte bei den anderen Unterhaltungschefs erworben hatte. nicht so intensiv betrieben werden, dass wir mögli- cherweise den Boden bröckeln lassen, auf dem wir Hat er nicht bemerkt, dass das, was ihm an Zunei- bisher öffentlich-rechtlich sicher gestanden haben, gung zufloss, was er als Bedeutung darstellte, mehr es klingt vielleicht alles schön, es bedeutet aber in seinem Amt, in seiner Funktion, in seiner Macht nichts mehr, es ist fürs Poesiealbum.“ Sie haben lag, Geld und Popularität zu verteilen, als in seiner selbst als Leiter des „Mittagsmagazins“ des WDR Substanz? Das ist vielleicht eine rhetorische Frage. immer darauf bestanden, dass es mit einer bunten Er hat es sicher falsch eingeschätzt. Er hat gedacht, Meldung eröffnet wird, weil Sie auch unterhaltsam glaube ich, dass er das Unterhaltungsgewerbe so sein wollten. Und Sie wussten, dass Sie in einer

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Konkurrenzsituation waren. Also, zum Schluss BBC gelernt, das war das Vorbild für den Nord- muss ich meine Was-wäre-wenn-Frage stellen: Was westdeutschen Rundfunk, das galt aber sicher für wäre, wenn es diesen öffentlich-rechtlichen Rund- die anderen Sender auch. Ist das etwas, was man funk nicht gäbe? unbedingt bewahren muss? Ist das der Kernbe- Wüste. stand? Ja, das müssen Sie ein bisschen erläutern. Ich meine ja. Ich weiß natürlich nicht, was nun alles noch verloren geht, weil die Maßstäbe ja ge- Nein, ich bin nach wie vor ein überzeugter Anhän- ändert werden. Wir hatten einen Menschen, der für ger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In Mainz die Beilage der „Süddeutschen Zeitung“ erfundene bei den Tagen der Fernsehkritik, hat mal ein kluger Interviews lieferte und sich anschließend nicht Mensch gesagt: „Fernsehen ist der einzige Bereich, entschuldigte, sondern sagte: „Das ist der Journa- der durch Konkurrenz schlechter geworden ist.“ lismus der Zukunft, dass ich mir vorstelle, was Hier wird das Niveau gesenkt, um höhere Quoten jemand gesagt haben könnte. Und wenn der jemand zu kriegen. Die Tatsache, dass die Zeiten, als Tos- nichts dagegen hat und sich nicht selber beschwert, canini in Amerika ein Rundfunkorchester dirigierte, dann muss es auch so gelten können.“ Ich denke, da lange vorbei sind, dass es solche Orchester hier kommt was ins Rutschen. Ebenso wenn ich mir aber noch gibt, halte ich für einen Wert. Ich glaube, angucke, was bei den Comedies läuft. Aber ich dass bestimmte Dinge, wie Kammermusik zum hoffe immer noch, dass es eine Wellenbewegung Beispiel, gar nicht mehr nennenswert da wären, ist, dass bestimmte seriöse Formen, wie sie im wenn es die Rundfunkanstalten nicht gäbe. Nehmen wesentlichen im öffentlich-rechtlichen Sender noch wir Autoren, die Gabriele Wohmann zum Beispiel, erhalten sind, dass eben die bestehen bleiben, über- die haben gesagt: „Ohne die Rundfunkanstalten leben und auch wieder Vorbild werden. hätte ich kein einziges Buch geschrieben.“ Na, so schlecht ist die Bilanz des öffentlich- Ja gut. Also, die deutsche Nachkriegsliteratur ist rechtlichen Rundfunks in der Konkurrenz mit den ohne die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Privaten nicht. Das gilt für Hörfunk und Fernse- nicht denkbar. Aber gilt das noch für die Jetztzeit? hen. Sie haben an dem Regionalisierungskonzept Ich denke ja, weil viele Autoren wirklich gar nicht des WDR mitgearbeitet. Die dritten Fernsehpro- leben könnten, ohne dass der Rundfunk, das Radio gramme der ARD sind weit mehr regionale Pro- im wesentlichen, ihnen die Honorare für Sendun- gramme, als sie es vor zwanzig Jahren waren. Ist gen bezahlt, die dann nur von 1 Prozent gehört das auch eine Strategie, sich in der Konkurrenz zu werden. Aber 1 Prozent sind, glaube ich, 65.000 behaupten? Hörerinnen und Hörer in Nordrhein-Westfalen. Ein Ja sicher. Denn je näher die Berichterstattung am Fußballstadion mit 65.000 Menschen ist schon Hörer ist, desto erfolgreicher ist es meistens. Der wieder eine große Menge. Diese Zahlen sind ja Autounfall, der zwei Strassen weiter passiert, inte- relativ, man kann das nicht in Prozenten ausdrü- ressiert mich eben mehr, als der in Stuttgart. Und cken, man muss die Zahlen absolut sehen. Ein passiert er in der Türkei, nehme ich ihn gar nicht Buch, das 65.000 Mal verkauft wird, ist schon fast mehr wahr. Das wird immer eine Rolle spielen. ein Bestseller. Also, man muss das anders sehen. Aber für ganz wichtig halte ich eben doch die Ver- Mir ist ganz wichtig, dass durch den öffentlich- lässlichkeit, von der ich hoffe, dass sie erhalten rechtlichen Rundfunk eine Konkurrenz zu den bleibt. Zu meiner Zeit war es in den Nachrichten Privaten mit ernsthaften und seriösen Angeboten noch geregelt, dass zum Beispiel eine Todesnach- noch aufrechterhalten wird. Und es gibt eine Ent- richt erst dann gebracht werden durfte, wenn drei wicklung, die zeigt, dass wenn die Zeiten schwierig Agenturen sie bestätigt hatten. Es war nämlich werden, wenn die Leute Angst haben, wenn Krisen einmal vorgekommen, dass wir einen Präsidenten auftreten, eine Rückkehr zu den öffentlich- tot gemeldet haben, der noch lebte. rechtlichen Anstalten stattfindet, weil man sie für glaubwürdiger hält. Ich glaube, wenn es uns ge- Haben Sie nicht auch im „Mittagsmagazin“ Ade- lingt, diese Glaubwürdigkeit zu erhalten, dann hat nauer durch eine merkwürdige Programmgestal- der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Beweis tung frühzeitig ableben lassen? seiner Überlebensfähigkeit und seiner Notwendig- Ja und nein. Wir ließen ihn nicht ableben, aber keit erbracht. taten alles, um es den Leuten zu suggerieren. Wir Dieses Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben es aber nicht gemeldet. und das, was Sie jetzt Glaubwürdigkeit nennen, Aber Sie haben die Musikfarbe unterbrochen ... also die Maßstäbe des journalistischen Arbeitens: Ja, da hatten wir eine traurige Nachricht aus Rhön- seriös, gut recherchiert, verlässlich in der Bericht- dorf und haben die Musik runtergezogen. Das war erstattung, das haben wir doch nach 1945 gelernt. allerdings ein Missverständnis und dann nach einer Das haben wir in diesem Sendegebiet hier von der Weile haben wir die Musik wieder hochgefahren.

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Und das hat dann eine Lawine ausgelöst, nicht? Mehrheitenprogramme gibt es eigentlich nicht Das hat eine Lawine ausgelöst, ja. Das war in der mehr. Traurigkeit eine sehr heitere Geschichte, weil die Nein. Außer bei einer Fußballweltmeisterschaft, Ankündigung einer traurigen Meldung mit dem einem Eröffnungsspiel, bei dem die Deutschen Runterziehen der Musik, mit dem Largo von Hän- beteiligt sind. Sonst gibt es keine Mehrheitensen- del und so, dazu führte, dass ein, ich glaube es war dungen mehr, da sich auch das Verhältnis zum der britische Verteidigungsminister, der gerade in Medium verändert hat. Früher redeten die Leute Bonn war, den Tod Adenauers sofort nach London über eine Sendung am nächsten Tag, weil alle sie meldete. Dort erhoben sich dann die Abgeordneten gehört oder gesehen hatten. Heute hat jeder was von den Plätzen und im Bayerischen Landtag be- anderes gehört oder gesehen und das Gespräch gann schon eine Art Trauerfeier. Adenauer starb darüber ist allgemeiner geworden. Also, es wird dann eine Woche später. auch diese Popularität, die Fernseh- oder Hörfunk- Das heißt, diese Veränderung der Musikfarbe im leute mal hatten, nie wieder geben, sie wird immer „Mittagsmagazin“, der Hinweis, dass man eine nur auf Teile beschränkt sein. Und insofern lohnt es traurige Nachricht aus Rhöndorf erwartete, ist sich aber schon, um große Minderheiten zu kämp- dann von einer Nachrichtenagentur als Todesmel- fen, wie die Amerikaner das tun, die also nun Wes- dung in die Welt gesetzt worden? tern-Musik-Anhänger bei einem Sender versam- meln. Und so könnte ich mir also vorstellen, dass Von Hörern. man also eine Sendung wie Bioleks „Boulevard Von Hörern? Bio“, die ich nach wie vor für eine sehenswerte Ja, ein Korrespondent des Bayerischen Rundfunks, Sendung halte, nicht erst abends ab 23.00 Uhr sen- mit dem wir gerade verbunden waren, kriegte das det, sondern zur Hauptsendezeit, dass sie da ver- mit und gab das sofort an seine Staatskanzlei in dienstvoll Zuschauer sammeln kann. München weiter und wie gesagt, die Nachricht Sie sehen also auch in der Vermehrung der Ange- drang rasch bis nach England durch. Und so war bote in Hörfunk und Fernsehen nicht nur eine Ge- plötzlich ein Domino-Effekt entstanden. Es gab fahr sondern auch eine Chance? eine Meldung, die wir gar nicht gebracht haben und Eine Chance, wenn man sie nicht so versteht, dass die uns dann aber zugeschrieben wurde. man unbedingt das Niveau des anderen noch unter- Das zeigt eigentlich ein bisschen die Problematik bieten will, um die eigene Quote zu erhöhen. Man der Aktualität, wenn man sie zu weit treibt, nicht? sollte einfach sagen, na gut, wir haben eben eine Ja, das heißt, dies war mehr eine Problematik der geringere Quote, aber eine sehr hohe Qualität. Ich internen Nachrichtenübermittlung, die wir dann bin immer der Meinung gewesen, dass es nicht nur sofort mit Aufwand geändert haben. Wir hatten auf den Erfolg ankommt, sondern dass die Frage, damals noch nicht die Möglichkeit, den Moderator mit was man Erfolg hat, genauso wichtig ist. am Mikrofon zu sprechen. Das heißt, der hatte Ja, und die Frage, was überhaupt Erfolg ist? keinen Kopfhörer oder so etwas, über den wir die Ja. Eben. Nachrichten übermitteln konnten. Das haben wir nach dieser Episode dann sofort geändert. Die Ver- Also, die alleinige Zahl ist noch nicht unbedingt ständigung ging mit Handzeichen. Und der damali- Erfolg. ge Moderator hatte ein Handzeichen missverstan- Nach einem „Presseclub“ ist es mir vorgekommen, den und daraufhin gesagt, dass wir eine traurige dass mir einer der höheren Herren im Hause begeg- Nachricht erwarteten. Später mussten wir das alles nete und fragte: „Herr Thoma, wie war die Quote?“ wieder revidieren. Da habe ich immer gesagt: „Weiß ich nicht. Wie Sie haben das Stichwort Glaubwürdigkeit genannt, war die Sendung?“ Sie haben festgestellt, dass in Krisenzeiten der Wie war die Antwort darauf? öffentlich-rechtliche Rundfunk großen Zulauf hat, Beleidigt. gerade in den aktuellen Nachrichtenprogrammen, Herr Thoma, ich danke Ihnen ganz herzlich für das weil man ihm mehr vertraut als anderen. Das muss Gespräch. man bewahren? Ja, das meine ich. Peter von Rüden führte das Gespräch am 2. Auch auf die Gefahr hin, dass man in einigen Be- März 2001. reichen des Programms auf Quote verzichtet? Ja. Ich glaube, dass wir bei dieser Vielzahl von Sendern ohnehin nur um große Minderheiten kämp- fen.

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Die Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland, ein Kooperationsprojekt von NDR, WDR, Universität Hamburg und Hans-Bredow-Institut, knüpft mit der vorliegenden Schriftenreihe an eine Tradition an. Von 1946 bis 1948 verantworteten Axel Eggebrecht und Peter von Zahn neben ihrer Rundfunktätigkeit eine Zeitschrift, die „Nordwestdeutschen Hefte”. Sie bot eine Auswahl der wichtigsten und interessantesten Beiträge, die für den NWDR geschrieben wur- den. Unter dem Titel „Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte” werden in unregelmäßigen Abständen Ergebnisse veröffentlicht, die aus der bisherigen Arbeit der Forschungsstelle hervorge- hen. Hierzu zählen die Edition von Dokumenten aus der Hörfunk- und Fernsehgeschichte des NWDR, kommentierte Ausgaben ausgewählter Zeitzeugen-Interviews sowie wissenschaftliche Untersuchungen zu speziellen Themen der NWDR-Geschichte. Herausgeber der Schriftenreihe sind die Projektbearbeiter Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner. Die „Nordwestdeutschen Hefte zur Rundfunkgeschichte” sind zum Download unter www.nwdr- geschichte.de über die Forschungsstelle erhältlich.

ISSN 1612-5304