D GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE

DGB Beneluxländer

Luxemburg

1934 - 1944

Nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik

13-1 Die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik im Großherzogtum Luxemburg 1934 - 1944 / Catherine Lorent. - : Kliomedia, 2012. - 412 S. : Ill. ; 24 cm. - Künstlerbiogra- phien S. 338 - 380. - Zugl.: Heidelberg, Univ.; , Univ., Diss., 2010. - ISBN 978-3-89890-173-4 : EUR 49.90 [#2779]

Am Morgen des 10. Mai 1940 besetzten deutsche Truppen das neutrale Großherzogtum Luxemburg. Bis Ende Juli unterstand das Land der deut- schen Militärverwaltung, die dann von Gustav Simon, dem Gauleiter des NSDAP-Gaus Koblenz-Trier, als Chef der Zivilverwaltung (CdZ) abgelöst wurde. Sein Bestreben bestand darin, Luxemburg zu „entwelschen“ und zu einem festen Bestandteil des Großdeutschen Reichs zu machen. Diese Vorgänge sind zwar im einzelnen bekannt, 1 aber welcher Mittel sich die Germanisierungspolitik bediente, um ihr Ziel möglichst schnell zu erreichen, ist bisher nur in Umrissen erforscht. Die Verfasserin der vorliegenden kunsthistorischen Doktorarbeit, die am 17. September 2010 an der Universität Heidelberg (Prof. Dr. Raphael Rosen- berg, jetzt Wien) in cotutelle mit der Université du Luxembourg (Prof. Dr. Michel Pauly) verteidigt wurde, lebt und arbeitet z.Zt. als bildende Künstle- rin, Musikerin und Kunsthistorikerin in und vertritt das Großherzogtum Luxemburg 2013 auf der Biennale in Venedig. 2 Sie leistet mit ihrer Untersuchung Basisarbeit und hat vor allem in luxem- burgischen Archiven (Archives Nationales de Luxembourg, Archives de la Ville de Luxembourg; vgl. die Übersicht S. 402 - 403) recherchiert. Luxem- burg, lange Zeit von den Habsburgern im Wechsel mit den Franzosen ver- waltet, wurde 1815 Großherzogtum und war bis 1866 deutscher Bundes- staat (von 1843 bis 1919 bestand Zollunion 3 mit dem Deutschen Reich),

1 Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe : die deutsche Besatzungspolitik und die Volksdeutsche Bewegung 1940 - 1945 / Paul Dostert. - Luxembourg : Imprimerie Saint-Paul, 1985. - 267, 309 S. - Zugl. Freiburg (Breisgau), Univ. Diss. 1984. 2 http://artnews.org/catherinelorent/?s=4 [2013-03-17]. 3 Luxemburg . // In: Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums / hrsg. Carl Petersen ; Paul Hermann Ruth ; Hans Schwalm. - Breslau : Hirt, 1938. - Hier, S. 409 - 453. Diesem nicht zu Ende geführten Nachschlagewerk kann man gut stand aber in Personalunion mit den Niederlanden. Die Westhälfte um Arlon (dt. Arel) kam 1839 an Belgien. Nach Angliederungsversuchen Napoleons III. wurde das Land durch den Londoner Vertrag 1867 neutralisiert. Nach dem Erlöschen des Mannesstammes des niederländischen Königshauses kam 1890 das Haus Weilburg-Nassau auf den Thron. Die Großherzogin Ma- rie-Adelheid mußte 1919 wegen angeblich allzu großer Deutschfreundlich- keit zugunsten ihrer Schwester Charlotte abdanken. Der französische Ein- fluß im Land wurde nach Abschluß des Versailler Vertrages immer stärker, auch wenn Luxemburg 1921 eine Wirtschaftsunion mit Belgien einging und Mitglied des Völkerbundes wurde. Diese Fakten sind für das bessere Verständnis des deutschen Vorgehens wichtig, das nicht nur erst nach 1933 auf Revision drängte und die alten Bindungen Luxemburgs an das Deutsche Reich (über)betonte, wohingegen die Luxemburger auf ihre Unabhängigkeit pochten, aber gleichermaßen deutsche wie französische Bildungs- und Fortbildungseinrichtungen nutzten, um sich zu qualifizieren. Dies gilt auch für den Bereich der bildenden Kunst, mit dem sich die Verfasserin der hier anzuzeigenden Studie besonders be- faßt: „Im Fokus dieser Studie stehen die Kunst und Geschichte in Luxem- burg während der Jahre 1934 bis 1944. […] Insbesondere die Jahre wäh- rend deutscher Besatzung, die bis heute ein Tabu der Kunstgeschichts- schreibung darstellen, sollen einer kritischen Betrachtung unterzogen wer- den“ (S. 11). „Die Erörterung des kunst- und kulturpolitischen Einflusses des neuen Deutschlands auf Luxemburg beginnt mit der Darstellung der pro- deutschen Propaganda der Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst (GEDELIT) 4 in ihrem Gründungsjahr 1934 und endet mit der Präsentation der letzten ausstellungspolitischen Aktion […] im Frühjahr 1944“ (S. 12). „Weder die Darstellung von Einzelschicksalen noch die Ermittlung in Fragen der Kollaboration oder des Widerstandes sind das Ziel dieser Studie. Viel- mehr soll die Instrumentalisierung der bildenden Künste durch die National- sozialisten untersucht werden. Im Vordergrund der Untersuchung werden dabei die Erschließung von Bildinhalten, die Verbildlichung von Machtan- sprüchen sowie die Vervielfältigung und Verbreitung bestimmter Bildinhalte stehen“ (S. 18). Das untersuchte Material, das in vorzüglicher Bildqualität reproduziert wird, besteht „aus Presseausschnitten, kulturpolitischen Zeit- schriften, Ausstellungskatalogen, Plakaten und anderen Propagandaschrif- ten“ (S. 19). Insbesondere die Tageszeitung Nationalblatt , aber auch der Kulturteil der weitgehend gleichgeschalteten Zeitungen Luxemburger Wort bzw. Escher Tageblatt wurden ausgewertet, nicht zu vergessen die Zeit- schrift Moselland - Kulturpolitische Monatshefte , die während des Krie- ges mit dem Titelzusatz „Kulturpolitische Blätter“ vierteljährlich erschien. Lorent gliedert ihre Arbeit in sechs Teile (1. Einleitung ; 2. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges ; 3. Nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik wäh- den betont nationalistischen deutschen Standpunkt der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der NS-Zeit bis zum Kriegsausbruch entnehmen. 4 In diesem Kontext mögen die folgenden Zahlen interessant sein: Im Jahr 1935 hatte Luxemburg 296.776 Einwohner, von denen 17.256 Reichsdeutsche waren (5,8 %). 1930 waren es von 299.993 noch 24.354 (8,1 %) gewesen. rend der deutschen Besatzung 1940 - 1944 ; 4. Zwischen Widerstand und Kollaboration: Reaktionen in der Luxemburger Kunstszene ; 5. Schluß ; 6. Anhang ), die durch zwölf Exkurse ergänzt werden (Französische Propagan- da in Luxemburg?; Anmerkung zur Theaterfrage; Unmittelbare Zerstörung von Kulturgut - Gleichschaltung des luxemburgischen Kulturlebens; Anmer- kung zur Museumsfrage; Die Kulturpresse; Volkskunst und Kunsthandwerk; Kampfansage an den Kitsch; Der Kunst - Dienst Berlin, der Künstlerbund Norden und die Rolle des Schlosses Schönhausen als Ausstellungsort der sogenannten „Gauausstellungen“; Blick auf die nationalsozialistische Aus- stellungspolitik in Trier und Koblenz; Arel (Arlon); Inkompetenzen der natio- nalsozialistischen Kulturpolitik; Schaffenszwang jenseits der Mosel). Durch diese Exkurse wird zwar der Gang der Darstellung durchbrochen, doch ge- winnt Lorents Dissertation dadurch Handbuchcharakter (vgl. auch die nützli- che Zeittafel zur deutschen bzw. luxemburgischen Geschichte S. 333 - 337; die Auflistung von acht Kunstausstellungen in den Jahren 1941 - 1944, an denen luxemburgische gemeinsam mit reichsdeutschen Künstlern teilnah- men und mit 448 von 1525 gezeigten Exponaten fast 30 % stellten; S. 381 - 386; Wiedergabe des Wortlauts des Reichskulturkammergesetzes bzw. der Verordnung über die Errichtung einer Landeskulturkammer in Luxemburg vom 7. Juni 1941; Statuten der GEDELIT, S. 386 - 392; Berichte zu den moselländischen Kulturtagen in Berlin 1941 bzw. zur Ausstellung mosellän- discher Künstler im Kunsthaus Luxemburg, Winter 1942 - 1943, S. 392 - 401). Besonders aufschlußreich sind die Kurzbiographien von 71 luxembur- gischen bildenden Künstlern (S. 338 - 380), von denen sich keiner in dem umfassenden Handbuch von Mortimer G. Davidson findet, 5 das die Verfas- serin offenbar nicht benutzt hat. Hier hätte sie genügend Anschauungsma- terial gefunden, um die Themen der luxemburgischen Maler (Landschafts- darstellungen, Arbeitsszenen) mit denen ihrer reichsdeutschen Kollegen abzugleichen. Die Überschneidungen sind unübersehbar. Die genannten Kurzbiographien belegen, wie zuvor angedeutet, daß die Mehrzahl der por- trätierten Künstler entweder in Frankreich und / oder in Deutschland aus- oder fortgebildet worden waren. Wollten sie nach der deutschen Besatzung weiterhin ausgestellt werden, blieb ihnen nur ein Einschwenken auf den jetzt in Deutschland angesagten Kunstgeschmack. 6 Dies zeigt besonders

5 Kunst in Deutschland 1933 - 1945 : eine wissenschaftliche Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich / Mortimer G. Davidson. [Übers.: Claude Michel und Steven P. Smith]. - Tübingen : Grabert. - 34 cm. - Bd. 2. Malerei. - 1. A - P. - 1991. - [496] S. : überwiegend Ill. - ISBN 3-87847-095-9 . - 2. R - Z. - 1992. - 488 S. : überwiegend Ill. - ISBN 3-87847-096-7. 6 Wer wissen möchte, ob luxemburgischen Künstler an den Großen Deutschen Kunstausstellungen (GDK) in München zwischen 1937 und 1944 teilgenommen haben, kann das jetzt leicht mit Hilfe der folgenden Datenbank feststellen: http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete [2013-03-17]. - Zur GDK vgl. Große Deutsche Kunstausstellung München 1937 - 1944 : Verzeichnis der Künstler in zwei Bänden = The artists in the Great German Art Exhibition 1937 to 1944 = Les artistes de la Grande Exposition de l'Art Allemand à Munich 1937 à 1944 / Robert Thoms. - Berlin : Neuhaus. - 24 cm [#2286]. - Bd. 1. Maler und Gra- eindringlich Théo Kerg (1909 - 1993), der in Esch / Alzette, Paris, München und Düsseldorf (Schüler von Paul Klee und Oskar Moll) studiert hatte, von 1934 bis 1936 Mitglied der Künstlergruppe Abstraction - Création war, im Cercle Artistique de Luxembourg ausstellte, wegen seiner antinazistischen und prokommunistischen Einstellung von der Düsseldorfer Akademie ver- wiesen wurde, 1937 auf der Pariser Weltausstellung vertreten war, 1939 bei der New Yorker Weltausstellung an der Gestaltung des luxemburgischen Pavillons mitwirkte, während der nationalsozialistischen Besatzung Luxem- burgs in mehreren Ausstellungen mit figurativen Werken vertreten war, sei- ne Lehrerstelle 1943 aus antideutschem Protest niederlegte, in der letzten NS-Ausstellung im Kunsthaus Luxemburg 1944 zunächst gezeigt, dann „abgehängt“ wurde, nach der Befreiung von der Miliz in Vianden verhaftet und inhaftiert, 1948 als Kollaborateur zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wie zu einer hohen Geldbuße verurteilt und für zwölf Jahre mit künstlerischem Berufsverbot belegt wurde. Erst 1955 wurde er amnestiert, arbeitete wieder nicht-bildlich (Taktilist), so daß ihm 1989 in Schriesheim auf der Grundlage der Stiftung seiner Werke ein eigenes Museum eingerichtet wurde (S. 354 - 346). Die vorliegende Untersuchung ist sehr sorgfältig gemacht, enthält zahlrei- che wichtige Informationen und Hinweise (z.B. über die „Künstlerfahrten“, zu denen auch luxemburgische Maler „ins Reich“ aufbrachen) und besticht durch ihr differenziertes Gesamturteil: Die Naziherrscher hätten zwar eine bewußte Kunstpolitik mit dem Ziel der Germanisierung des Landes auch gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung betrieben, doch habe die Kunstwelt auch davon profitiert, da Luxemburg großen Nachholbedarf gehabt habe: 7 „Zugleich erfuhren Künstler und ihre Werke eine nie zuvor da gewesene Mobilisierung: Sie wurden nicht nur in großen und kleinen Orten phiker. - 2010. - 191 S. - ISBN 978-3-937294-01-8 : EUR 39.90. - Bd. 2. Bildhauer. - 2011. - 129 S. - ISBN 978-3-937294-02-5 : EUR 39.90. - Rez.: IFB 13-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz 343437104rez-1.pdf [KS]. 7 In gewissem Widerspruch dazu steht die Aussage von Hermann Ruth in dem in Anm. 3 zitierten Handbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums : „Das 19. Jh. hat auch hier die Malerei in den Vordergrund des bildenden Kunstschaffens gerückt, doch fehlen noch Werke, die ein allgemeineres Interesse beanspruchen könnten. Goethes Wunsch angesichts des heroisch-idyllischen Anblicks der L.er Festungsfelsen, daß ein Poussin sein Talent an solchen Räumen betätigt haben möchte, hat auch jetzt noch keine ebenbürtige Erfüllung gefunden. Die Anfänge einer einheimischen Malerei begründeten J.B. Fresez, Nik. Liez, Jakob Sturm, Mi- chel Engels, Ferdinand d’Huart u. Franz Seimetz. Die jüngeren Maler der Gegen- wart stehen zumeist unter dem Einfluß der durch Paris vermittelten internationalen Moderichtungen. Zu nennen sind Gustav [richtig: Auguste] Trémont, Joseph Kut- ter, Johann Schaak, , Josef Probst [er fehlt als einziger in den von Lorent mitgeteilten Kurzbiographien ] u. Nico Klopp u. der Bildhauer Claus Cito. Ein 1894 gegründeter u. 1906 als reine Künstlerorganisation umgebildeter Kunstverein fand zunächst mit seinen Darstellungen nur wenig Interesse. Eine expressionisti- sche Ausstellung 1922 erregte leidenschaftliche öffentliche Auseinandersetzungen u. führte zur Abspaltung einer Sezession, der die Mehrzahl der genannten jungen Maler u. Bildhauer angehörten“ (S. 447). Luxemburgs gezeigt, sondern auch einem größeren Publikum in Städten des Reichs vorgeführt. Die Aufwertung der bildenden Künste durch die Na- tionalsozialisten fand ihren Niederschlag nicht zuletzt auch im Bereich der Bildungspolitik, mit der Einführung der Kunsterziehung als Pflichtfach“ (S. 330). Frank-Rutger Hausmann

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