Nr 93 2010 EDITORIAL
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Nr 93 2010 EDITORIAL Freischaffender Künstler in einem kleinen Land? Luxemburg ist ein solides Land. Was hier in der Regel geschafft, nicht geschaffen wird, dient vor allem Handel und Wirtschaft, dem Häuserbau, dem Eigenheim, dem Auto, der Ferienreise. Hier ist man dass man gewisse Vorlieben hat, gewisse Sachen Europa- oder Staatsbeamter, Banker, Lehrer oder man gerne macht, aber vor allem hat Kunst etwas mit Mut arbeitet in der Privatwirtschaft. zu tun. Man muss den Mut haben, die Bilder und Von der großen Masse wird Kunst als Hobby Landschaften, die man im Kopf hat, ausdrücken zu betrachtet, das man zum Beispiel alljährlich in der wollen. Das ist der erste, der wichtigste Schritt. Wenn Sommerakademie erlernen kann. Zeitgenossen, die es du erst einmal versucht hast, das, was dir oben liegt, sich leisten können, investieren in Kunstwerke wie in in ein Bild oder eine Skulptur zu verwandeln, dann Aktienpakete und Immobilien. Dabei geht es vor allem merkst du natürlich, dass du dazu die Technik und das um Geldanlage und Rendite. Handwerk brauchst. Und das kann man dann lernen.“ Wo aber bleiben die Künstler, besonders die Aber diese Aussage ist dreißig Jahre alt. Für Freischaffenden, in Luxemburg? einheimische Künstler der jungen Generation ist Sicher, es gibt sie. Aber sie sind fast so rar wie die Lage heute viel schwieriger geworden. Es gibt weiße Wale. Lucien Wercollier hat von seinen immer weniger Galeristen, dafür aber Tempel der Skulpturen leben können, aber seine Frau war eine zeitgenössischen Kunst wie etwa das Mudam oder das gut verdienende Zahnärztin. Der geachtete Surrealist Casino Luxemburg. Und die sind eher international Foni Tissen musste sich bis zu seiner Pensionierung als orientiert oder sie rekrutieren für ihre Ausstellungen Zeichenlehrer im Escher Knabenlyzeum abmühen. Künstler aus der Großregion. Eine Generation später schien es bereits ein klein Auch eine Einladung auf die Biennale von Venedig oder bisschen einfacher: Robert Brandy, Wil Lofy, Patricia auf die Kasseler documenta ist für einen Luxemburger Lippert, Moritz Ney, Charly Reinertz und ein gutes Kreativen längst kein Freifahrschein mehr in eine Dutzend Kolleginnen und Kollegen haben es geschafft, selbständige Zukunft als Kunstschaffender. sich als Berufskünstler durchzuschlagen. Auch in dieser ons stad-Nummer, die der „Kunst“, hat Moritz Ney 1981 einmal gesagt, „hat Kunstgeschichte in der Stadt Luxemburg gewidmet ist, für mich eigentlich wenig mit Talent zu tun. Vielleicht, gibt es mehr Fragen als Antworten. r.cl. Titelbild: imedia SOMMAIRE 4 57 Die Stadt im Bild und weitere Sie sind jung und An- und Aussichten brauchen das Geld... Statt einer lexikalischen Reihung Jung sein und Künstler spielen ist einige persönliche Überlegungen nicht gar nicht so einfach. Überle- zur Geschichte der Kunst in gungen von Luc Caregari Luxemburg. Von Paul Bertemes 58 11 Kill your Idols Nikolaus Hein: Luxemburg par Vincent Artuso Ahnung und Gegenwart Eine bisher unveröffentlichte lite- rarische Trouvaille, entdeckt von 62 Professor Joseph Groben. Gore war gestern Die Wandlung der Anne Lindner 12 von Claire Barthelemy Vamos a la Villa Das zweite Museum der Stadt Luxemburg, die Villa Vauban, 64 wird im Mai seine Pforten öffnen. Charly Reinertz: ons stad hat schon jetzt einen Der stille Perfektionist Blick hinter die Kulissen werfen können. Ein Porträt von René Clesse Eine Reportage von Christiane Walerich 66 Wil Lofy (1979) Bürger und ihre Stadt: Kunstschenkungen in Luxemburg Eine historische Recherche von 26 44 Stadtarchivarin Evamarie Bange Musée National d‘Histoire Patricia Lippert über ihren et d‘Art: Werdegang und den ihrer Das Allround-Museum Generation 69 Was bedeuten die Michel Polfer, Direktor des Mu- Ein Interview mit ihrem Straßennamen der Stadt? sée National d’Histoire et d’Art, Alter-ego Treppil Cirtap über die Aufgaben eines Natio- Eine Serie von Fanny Beck nalmuseums und den Bezug zur zeitgenössischen Kunst. 50 Im Interview Hände weg von der Malerei! 70 mit Christiane Walerich Eine strenge feuilletonistische Cité-Bibliothek Warnung von Michel Raus 31 74 Ein Foto und 52 Musée d’Histoire de seine Geschichte La photographie la Ville de Luxembourg: Noch eine hohe Dame, au Luxembourg Les années soixante... die für Luxemburg reiste… Une scène artistique prolifique Souvenez-vous ! Eine Rubrik von Simone Beck par Paul Di Felice Une visite guidée 16 par Georgette Bisdorff La villa Vauban: 32 56 Symbole de culture Musée d‘Art Moderne 78 et d’identité historique Grand-Duc Jean E Vernissage wéi aus dem Billerbuch Der Kulturpapst par Isabelle Yegles Vom Pei-Musée zum Mudam Eng Lëtzebuerger Short-Story Eine satirische Ballade Eine Retrospektive vum Josy Braun von Jacques Drescher 20 von Vesna Andonovic Künstler auf der Schläifmillen 37 Henri Fischbach unterhielt sich Casino Forum mit einigen ziemlich unkonventio- d‘art contemporain Laboratorium der nellen Zeitgenossen, die seit 1987 Gegenwartskunst ons stad avril 2010 auf einem alten Industriekomplex, N° 93 von Vesna Andonovic einer ehemaligen Tuchfabrik, ihre Recherche internet: onsstad.vdl.lu Conception: Georges Fondeur Kreativität ausleben. Périodique édité par Coordination: René Clesse l’administration communale Layout: Dieter Wagner 41 de la Ville de Luxembourg Illustrations: Pit Weyer 25 Manet, Van Gogh , paraissant trois fois par an Photos: imedia, Guy Hoffmann, Cézanne, Renoir, Photothèque de la Ville de Luxembourg Der Maler Pablo Picasso Matisse, Picasso & Co Fondé en 1979 par Henri Beck † schreibt an seinen Tirage: 54 000 exemplaires Kunsthändler Daniel-Henry Guy May erinnert an eine wahr- Distribution gratuite Photocomposition: haft historische Ausstellung im Dynamo s.à.r.l., Luxembourg Kahnweiler à tous les ménages hauptstädtischen Cercle aus dem de la Ville de Luxembourg Imprimé sur les presses de von Robert Gernhardt Jahr 1937. La revue ne peut être vendue I’lmprimerie St-Paul S.A., Luxembourg Die Stadt im Bild und weitere An- und Aussichten Statt einer lexikalischen Reihung einige persönliche Überlegungen zur Geschichte der Kunst in Luxemburg euilletonistisch soll der Beitrag sein, ge- Ftragen von vielen Namen, keine bloße lexikalische Anordnung, dafür ein lockerer, möglichst konziser Überblick. Kurz: die Quadratur des Kreises ohne akademisch geometrische Abstraktionen. Journalis- tische Auftraggeber huldigen auch in der Post-Spaßgesellschaft wohl noch gern dem Spruch Karl Valentins: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Es geht hier um Kunst und ihre Geschichte, um Künstler und ihr Schaf- fen in der Stadt, was im kleinen Luxemburg zwangsläufig auch außerhalb der Stadt meint. Gibraltar des Nordens wurde die Stadt genannt. Bastionen und Bollwerke auf schroffen, von Kasematten durchzoge- nen Sandsteinfelsen, die nicht vom Meer, sondern von dem kleinen Fluss Alzette und dem Bach Petruss umgeben sind. Melusina, die alte ewig junge Fischfrau wartet derweil im Schilf, die über tausendjährige traurige Konsequenz eines Blickes des neugierigen Gatten durch ein verbotenes Schlüsselloch. Erotische Verlockung. Die Festung prägt © MNHA die Landschaft und den Geist, auch nach Tobias Verhaeght, Vue du château de Mansfeld der Schleifung der militärischen Anlagen und trotz zunehmender kosmopolitischer Öffnung der neuen Stadt unter goldenen Münsterabtei ernannt und 1574, im Alter schreibt der Historiker und ehemalige Di- Sternen am blauen Europa-Himmel. Grä- von 30 Jahren, zum Abt gewählt. Später, rektor des Nationalarchivs Paul Spang in ben bleiben zu überwinden, auch im Kopf. 1595 dann, wird ihm die Leitung der Willi- der Einleitung seines im Jahre 1984 bei RTL- Versuchen wir es mit einigen persönlichen, brordus-Abtei von Echternach übertragen. Edition erschienenen Buchs Bertels Abbas eher subjektiven Betrachtungen und Über- Der Name von Johannes Bertels ist eng mit Delineavit 1544-1607. Die Zeichnungen legungen, ohne Anspruch auf Vollständig- der hiesigen Kunstgeschichte verbunden. von Abt Bertels, wohl die Bekanntschaft keit und exemplarische Parität. Das hängt auch damit zusammen, dass des Zeichners gemacht. „Vielleicht wohnte damals wichtige illustrierte geographische dieser sogar in der Münster-Abtei… Jo- Werke geschaffen wurden. Etwa die von hannes Bertels war der erste Nachbar des reifen wir also beherzt in die Schatz- Georg Braun und Franz Hogenberg in Köln Gouverneurs (Mansfeld, d.Red.) und ging Gkiste, in das Fach des 16. Jahrhunderts. herausgegebene Reihe Civitatis Orbis Ter- in dessen Clausener Palast, einem Wun- Wir stoßen auf den Benediktinermönch und rarum (1572-1617), in deren fünftem Band derwerk der Architektur der Renaissance späteren Abt Johannes Bertels. Im Jahre (1598) ein Kupferstich der Stadt Luxemburg ohne Schwierigkeiten ein und aus. Der 1561 kommt der 17-Jährige aus Löwen nach enthalten ist, dem Jahrhunderte hinweg Gouverneur pflegte ihm diskrete Aufträge Luxemburg, um ins Kloster Unserer Lieben Modellcharakter zukommt. Das Blatt zeigt anzuvertrauen. So könnte er ihn auch ge- Frau, die Münsterabtei, einzutreten. Johan- zudem das Schloss La Fontaine des Gou- beten haben, sich des fremden Zeichners nes Bertels macht eine schnelle Kloster- verneurs Graf Peter Ernst von Mansfeld und anzunehmen…“. Was den Herausgeber Karriere. 1566 wird er zum Verwalter der die Igeler Säule. Johannes Bertels habe, so des Buches, Nic Weber, zur Anmerkung 4 © MNHA La Ville de Luxembourg, Nicolas Liez (1870) verleitet: „Gerne möchte ich wissen, was et d’art im Jahre 2007, „war ein bedeu- des Schlosses von Mansfeld, die Tobias sie verband und was sie sagten – der Geist- tender Kunstkenner und Sammler“. Seine Verhaeght