Geburtshilfe ∕ Frauen-Heilkunde ∕ Strahlen-Heilkunde ∕ Forschung ∕ Konsequenzen

Lehne J, Husslein P, Kohlberger P

Die Frauenheilkunde in Wien von ihren Anfängen bis in die Jetztzeit

Speculum - Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe 2019; 37 (3) (Ausgabe für Österreich), 3-23

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37. Jahrgang, 3/2019

Die Frauenheilkunde in Wien von ihren Anfängen bis in die Jetztzeit*)

J. Lehne, P. Husslein, P. Kohlberger

Geburtshilfe und Gynäkologie bis 1900 geren waren nicht nur die sogenannten „Narren“ in Käfigen angekettet (!), sondern auch Patienten mit Die Verschriftlichung des Wissens um die Geburts- teils hochinfektiösen Krankheiten untergebracht. hilfe nahm ihren Beginn im 16. Jahrhundert. Doch Die Heilungschancen in St. Marx waren allgemein zu diesem Zeitpunkt, wie auch in den folgenden gering, weil, wie ein Beobachter noch fast siebzig Jahrzehnten, spielte Wien als Wissenschaftsstand- Jahre später festhielt, „im S. Marx Hospital lauter ort fast gar keine Rolle. Im 17. Jahrhundert über- Kranke liegen, die ohnedem an der Luftseuche, nahmen die Jesuiten die Universität und besonders dem Aussatze und anderen langwierigen Übeln be- der medizinische Bereich war von Stillstand ge- haftet sind.“ Ein deutscher Augenzeuge beschrieb kennzeichnet. Die großen Innovationen der Ge- St. Marx damals gar als „trauriges Denkmal des burtshilfe kamen zu dieser Zeit aus Frankreich. menschlichen Elends“. Die berühmten Geburtshelfer Ambroise Paré, aus dessen Schule zahl- und einflussreiche Hebammen Maria Theresia versuchte, solchen Zuständen, hervorgingen, und Mauriceau, dessen „Traité des die auch auf eine mangelhafte Ausbildung zurück- maladies des femmes grosses“ in unzählige Spra- zuführen waren, durch institutionelle Veränderun- chen übersetzt wurde, gaben die Impulse für ganz gen und Internationalisierung entgegenzuwirken. Europa. Mauriceau, der heute noch immer über Zu den Habsburgischen Landen zählten mit Nord- den „Mauriceau-Veit-Smellie-Handgriff“­ bekannt italien und den Niederlanden Gebiete, in denen die ist, dürfte in seinem Werk auch als erster eine Ver- medizinische Entwicklung weit fortgeschritten nähung des Perineums beschrieben haben, wobei war, und die Kaiserin ließ den Boerhaave-Schüler er lange vor der Lehre der Antisepsis empfahl, ein van Swieten von Leyden nach Wien holen, um grö- paar Tropfen Wein zu applizieren. In Wien lehrte ßere Reformen zu unternehmen. Diese betrafen zu diesem Zeitpunkt der aus Belgien stammende auch die Geburtshilfe. 1748 wurde unter seiner Paul de Sorbait, der mit seiner Schrift Examen Ägide ein streng geregelter Hebammenunterricht ­Obstetricum versuchte, die Wiener Geburtshilfe eingeführt. Der aus Trient stammende Molinari und die ärztliche Ausbildung internationalen Stan- wurde als offizieller Hebammenlehrer eingesetzt dards anzupassen. Doch Sorbaits Bemühungen und der Besuch seiner theoretischen Vorlesungen konnten am katastrophalen Zustand der Wiener über die Geburtshilfe war den auszubildenden Heb- Medizin nichts ändern. Im Jahre 1703 musste auf- ammen in Wien ab diesem Zeitpunkt vorgeschrie- grund der Unzulänglichkeit des Unterrichts sogar ben. Alle größeren Städte des Reiches sollten in den auf die Vergabe von medizinischen Diplomen ver- kommenden Jahren nach ähnlichem Muster orga- zichtet werden. nisiert werden, um eine Erweiterung der geburts- hilflichen Institutionalisierung zu ­garantieren. Die Zustände waren allerdings nicht nur im uni- versitären Bereich katastrophal, sondern auch in Noch weitreichendere Reformen folgten sechs dem für die Geburtshilfe wichtigsten Spital. In St. Jahre später und diesmal waren nicht nur Heb- Marx, das sich trotz oftmaliger Zerstörung (z. B. ammen betroffen. Seit 1754 mussten sich in Ös- zur Zeit der Türkenbelagerungen) als Spital halten terreich auch männliche Heilkundige, wollten sie konnte, waren seit dem frühen 18. Jahrhundert geburtshilflichen Tätigkeiten nachgehen, einer Wöchnerinnen und Schwangere in einem eigens Prüfung unterziehen, verpflichtende Vorlesungen eingerichteten Hof, dem „Schwangerhof“, in Be- und Kurse waren allerdings nicht vorgesehen. Im handlung. Die Zustände waren gelinde gesagt sub- selben Jahr wurde auch die traditionelle Ausbil- optimal, denn in unmittelbarer Nähe der Schwan- dung von neuen Hebammen durch ältere Standes- genossinnen verboten. Doch damit nicht genug: *) Kurzversion für Speculum 3/2019 Auf Urgenz van Swietens wurde im Zuge dieser 3 37. Jahrgang, 3/2019

Reformen auch der erste Lehrstuhl für Geburtshil- Verschiedene Modelle der Zange (und andere fe in Wien inauguriert und mit dem Balneologen Instrumente) waren schon im 17. Jahrhundert von Johann Nepomuk Crantz besetzt. Dieses Bündel an einem Mitglied der aus Frankreich nach England Maßnahmen war ein Versuch, wie es die Histori- emigrierten hugenottischen Familie Chambrelen/ kerin Stollberg-Rillinger ausdrückt, „das gesamte Chamberlen entwickelt worden, die sie allerdings Geburtsgeschehen unter ärztliche Kontrolle zu aus Angst vor Kopien als großes Geheimnis hüte- bringen und die Konkurrenz der ungelehrten Hei- ten. Die Chamberlens, deren Zangen selbst heuti- ler, Feldscherer, Chirurgen und Hebammen in die gen Modellen verblüffend ähneln, reisten stets mit Schranken zu weisen“. einem versiegelten Koffer und ihren Patientinnen mussten die Augen verbunden werden, bevor das Crantz war der erste von vielen Geburtshelfern, Instrument zur Verwendung kam. die von Maria Theresia und später ihrem Sohn Joseph II. auf eine lange Auslandsreise geschickt Verschiedene Zangenarten bzw. Innovationen wurden. Er kam nach Paris und lernte dort von den sollten in den kommenden Jahren die Geburtshilfe führenden Geburtshelfern der Mitte des achtzehn- prägen. Der englische Geburtshelfer Smellie fügte ten Jahrhunderts, allen voran Puzet und Levret, der Zange bald ein so genanntes englisches Schloss und konnte ihre Lehren nach seiner Rückkehr in hinzu, das es ermöglichte die beiden Blätter un- Wien weiterverbreiten. Doch unter Maria Theresia abhängig voneinander einzuführen. Levret und und ihrem Sohn Joseph II. begann auch eine groß- seine französischen Kollegen verbesserten und angelegte Übersetzungsinitiative, bei der nicht nur erweiterten sowohl die Formen wie auch die An- Texte aus dem europäischen Ausland ins Deutsche, wendungen der Geburtszangen, sodass schon Mitte sondern auch in Österreich auf Latein oder Deutsch des 18. Jahrhunderts ausführliche Lehrbücher publizierte Texte in die unterschiedlichen Verna- über die zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten kularsprachen der Monarchie übersetzt wurden. berichteten. Dies garantierte eine weitere Universalisierung und In­stitutionalisierung der österreichischen Me- Maria Theresias Nachfolger Joseph II. war schon dizin, da nunmehr auch klare Vorgaben über die vor dem Tod seiner Mutter an einer Neuordnung Lehrmittel in den unterschiedlichen Provinzen ge- der medizinischen Ausbildung im militärischen macht werden konnten. wie auch im zivilen Bereich interessiert gewesen. Pläne, die er nun in den 1780er Jahren so rasch Parallel zu dieser ausgedehnten Übersetzungs- wie möglich umzusetzen suchte und die sich auf initiative kam es im gesamten deutschen Sprach- zwei Institutionen konzentrieren sollten: das All­ raum zu einer deutlichen Steigerung der Publika- gemeine Krankenhaus und das Josephinum. Das tionstätigkeit. Es wurden erste Fachzeitschriften, erste Allgemeine Krankenhaus, das nach dem Vor- sogenannte „Archive“ gegründet, in denen sich bild des Hôtel de Dieu in Paris ausgestaltet werden Geburtshelfer über außergewöhnliche Fälle aus- sollte, entstand auf dem Areal des von Leopold I. tauschen konnten und ihre Theorien miteinander errichteten Armenhauses, welches Joseph II. kur- verglichen. Die gesteigerte Forschungs- und Pub- zerhand aufgelöst hatte. Es war eine Anstalt von für likationstätigkeit war zweifellos auf die veränder- Wien gänzlich neuen Dimensionen, mit über 2000 ten Rahmenbedingungen zurückzuführen und Betten und moderner medizinischer Versorgung wurde von zeitgenössischen Beobachtern auch so für die Zivilbevölkerung. Das Josephinum oder die interpretiert: „Der gute Unterricht und die Zulas- „Josephacademie“ wiederum ging aus dem zu klein sung aller geprüften Ärzte in das öffentliche Ge- gewordenen Gumpendorfer Militärspital hervor, burtshaus zu Wien bildete nach und nach viele wurde in einem klassizistischen Neubau unterge- Geburtshelfer, welche ihre daselbst gesammelten bracht und sollte ausschließlich der Ausbildung Kenntnisse wetteifernd in Schriften zu zeigen sich von Wundärzten dienen. An beiden Institutionen bemühten.“ war eine geburtshilfliche Ausbildung vorgesehen. Dass auch an einer militärischen Einrichtung eine Die größte Revolution der Geburtshilfe des 18. Prüfung aus der Geburtshilfe verpflichtend war, Jahrhunderts allerdings war keine institutionelle, war ein Novum, das sich aber ganz klar in Josephs sondern eine materielle, genauer gesagt die (lang- Vision neuer umfangreich gebildeter Ärzte und same) Verbreitung eines Instruments: der Zange. Wundärzte einfügte. So ist es auch schlüssig, dass Schon Joseph Jakob Plenk, einer der führenden im selben Jahr ein Gesetz erging, das klar festlegte: österreichischen Geburtshelfer des 18. Jahrhun- „Nirgends ist den Wundärzten die Ausübung ihrer derts, war sich der enormen Innovation bewusst: Kunst zu gestatten, wenn sie die Geburtshilfe nicht „Die wichtigste Erfindung in der Geburtshilfe ist erlernt haben.“ unstreitig die Kopfzange, womit man, gleichsam mit eisernen Händen den Kopf des Kindes ohne Das Allgemeine Krankenhaus setzte im Bereich 4 Verletzung aus der Beckenhöhle ziehen kann.“ der Hygiene und der medizinischen Ausstattung 37. Jahrgang, 3/2019

neue Maßstäbe. Der älteste Teil des riesigen Areals darstellten. Diese Sammlung ermöglichte auch wurde zum „Gebärhaus“ umfunktioniert, wo nun mit deutlich geringerem „menschlichen Material“ die Schwangeren und Wöchnerinnen, die vorher einen guten, auf realistischen Vorlagen beruhen- nach St. Marx gekommen waren, untergebracht den medizinischen Unterricht. wurden. Doch nicht nur die Schwangeren, auch ein Teil der Belegschaft, allen voran Johann Lukas Joseph II. erlebte die positiven Effekte seiner Boer und Simon Zeller, die in St. Marx von Rech- Reformen nicht mehr, doch Wien sollte um 1800 berger gelernt hatten, übersiedelten ins neue All- als eine der führenden Städte in der Geburtshilfe gemeine Krankenhaus, wo beide eine Abteilung gelten, die auch stark in den internationalen Dis- übernahmen. kurs eingebunden war. Im späten 18. Jahrhundert wurde die Geburtshilfe europaweit grob in zwei Im Gebärhaus des Allgemeinen Krankenhauses Ansätze unterteilt: einen konservativ-expektati- wurden unterschiedliche Zahlklassen festgelegt. ven „englischen“ und einen interventionistischen Doch das war nicht die einzige Neuerung. Es war „französischen“. Die Wiener Geburtshelfer be- von nun an möglich, ein Kind gegen Bezahlung in kannten sich fast ausschließlich zur englischen völliger Anonymität zur Welt zur bringen. Hierfür Schule und vor allem Johann Lukas Boer, der wurde ein eigener Eingang geschaffen, es wurden am Allgemeinen Krankenhaus den Lehrstuhl für keine offiziellen Aufzeichnungen gemacht und theoretische Geburtshilfe inne hatte, wurde für Mütter konnten ihre Kinder schon nach wenigen seine radikalen Lehren der „natürlichen Geburt“ Stunden dem im selben Gebäude befindlichen Fin- bekannt, die jedoch nicht unumstritten waren delhaus übergeben. Wer in einer niedrigen Zahl- und teils heftig kritisiert wurden. Vor allem der klasse oder gratis im Allgemeinen Krankenhaus Göttinger Geburtshelfer Osiander, der sich durch entbinden wollte, musste sich zu Ausbildungszwe- sein überaus interventionistisches Vorgehen, das cken bzw. als Milchamme zur Disposition halten. sogar französische Kollegen in den Schatten stell- te, einen Namen gemacht hatte, lieferte sich mit Diese Neuerungen und die schiere Größe der Boer einen jahrelangen Disput, vor allem über die Einrichtung machte das Allgemeine Krankenhaus Verwendung der Zange. rasch zu einer der größten geburtshilflichen Ins- titutionen Europas, das auch von vielen Ärzten auf Boer und seine Methoden waren in Wien jahr- Forschungsreisen besucht wurde. Das „Material“, zehntelang das Maß aller Dinge, doch mit der Zeit wie die Patientinnen oft genannt wurden, war so fielen den Behörden seine Idiosynkrasien in nega- umfangreich, dass es den Wiener Medizinern bis tiver Weise auf. Er weigerte sich, die seit 1810 im ins späte neunzehnte Jahrhundert einen nicht zu Lehrplan vorgesehenen Übungen an der Leiche in unterschätzenden Forschungsvorteil gewährte, seinen Unterricht zu integrieren und übte stets den man mit allen Mitteln zu verteidigen suchte. nur am Phantom. Er erlaubte es sich auch, sich Die peinlich genaue Geburtsstatistik, die seit dem in seinen Vorlesungen weit vom vorgeschriebenen Jahr 1784 lückenlos geführt wurde und die auch Material zu entfernen, ja dieses teilweise in Fra- die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern ge zu stellen und er publizierte, entgegen seinen enthielt, erlaubte eine Analyse verschiedener Verpflichtungen, kein umfassendes geburtshilf- ­Geburtsverläufe und sollte später auch die Grund- liches Lehrbuch. Diese drei Faktoren, wie auch lage für die Entdeckung des Kindbettfiebers dar- die Tatsache, dass er einigen Kollegen negativ stellen. aufgefallen war, führten 1822 zu einer Disziplinar- untersuchung, die eine „ganz besondere Wider- Im Josephinum waren die Dinge naturgemäß spenstigkeit“ feststellte. Nachdem seine Methoden anders gelagert. Die 116 Geburten, die hier in den jahrzehntelang Schule gemacht hatten, er europa- ersten beiden Jahren der Statistik festgehalten weite Berühmtheit erlangt hatte und zahlreiche wurden, konnten niemals mit den Zahlen des na- ausländische Geburtshelfer sich zu seinen Lehren hegelegenen Krankenhauses mithalten, doch hatte bekannten, wurde Boer, dem Disziplinarbericht fol- das Josephinum seine eigenen Stärken. Der Bruder gend, im Jahre 1822 in den Ruhestand versetzt und des Kaisers, Leopold, hatte als Großherzog der Tos- sein Posten an seinen Assistenten Klein vergeben. kana eine umfangreiche anatomische Wachsfigu- rensammlung in Auftrag gegeben, von der Joseph Kurz nach seiner Übernahme der Klinik führte so begeistert war, dass er die gleichen Modelle für Klein die schon zur Zeit von Boer vorgesehenen Wien bestellte. Zu den für die Residenzstadt be- Übungen an der Leiche ein. Als Resultat stiegen die stimmten Sammlungen gehörten auch zahlreiche Opferzahlen durch das Kindbettfieber rasant an. geburtshilfliche Wachspräparate, die neben unter- Hatte Boer das Krankenhaus mit einer Mortalitäts- schiedlichen anatomischen Aspekten, Malformatio- rate von unter 1 % verlassen, so musste Klein schon nen, Lageanomalien auch den Geburtsverlauf (teil- 1824/1825 bei 1825 Geburten 127 mütterliche To- weise unter der Verwendung von Instrumenten) desfälle (also fast 7 %) verzeichnen. Die Zahlen wa- 5 37. 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ren schlimm genug, doch wirklich schwerwiegend gium zugestimmt, und beschnitt auch die Rechte war Kleins fehlender Wille oder seine Unfähigkeit, der letzten Stelle, die Semmelweis zugestanden etwas gegen die sprunghaft ansteigenden Todesfäl- wurde, auf Demonstrationen am Phantom. Nach le zu unternehmen. Er versuchte die Verschlech- Jahren des Streits verließ Semmelweis Wien, um terung der Situation mit dem Genius Epidemicus nach Pest zu ziehen, wo er 1861 seine Forschun- zu erklären, wobei er selbst in unmittelbarer Nähe gen zum Puerperalfieber veröffentlichte. Er starb der Geburtshilflichen Abteilung eine Privatpraxis 1865 in Wien in geistiger Umnachtung unter nicht führte, bei der sich die Sterblichkeitsrate unter 1 % vollständig geklärten Umständen. Es ist Semmel- gehalten hatte. weis‘ rein statistische Vorgangsweise, die ihn unter seinen Zeitgenossen hervorhebt und seine Analyse Der Erklärungsnotstand verschärfte sich im Jah- darf zu Recht als ein Vorläufermodell der heute als re 1834 weiter, als aus Kleins Institut die I. und II. „evidence-based medicine“ bezeichneten Methoden Gebärklinik hervorgingen, in der sich die Puerpe- betrachtet werden. ralfieberzahlen höchst unterschiedlich entwickel- ten. Während an Kleins Klinik, die der Ausbildung Am Anfang der zweiten Hälfte des neunzehnten von Ärzten diente, die Zahlen weiterhin katastro- Jahrhunderts kam es an der Spitze der Wiener phal waren (in den vorhergehenden Jahren hatte Geburtshilfe zu einer Wachablöse, die zu großen sich Wien als erstes „Forschungsgebiet“ für inter- institutionellen und fachlichen Umstrukturierun- nationale Puerperalfieberexperten etabliert), gab es gen beitrug. Diese langsame Revolution wurde von in der zweiten Gebärklinik, an der ausschließlich einer neuen, sehr jungen Generation von Ärzten Hebammen ausgebildet wurden, deutlich weniger getragen, die sich in vielen Bereichen von ihren Todesfälle. Diese institutionelle Konstellation, die Lehrern distanzierten und versuchten ihr Fach- im Übrigen fast nur in Wien vorkam, ermöglichte gebiet in jeder Hinsicht zu erweitern. Schon seit nun eine genauere Analyse des Problems, der sich dem Jahr 1809 hatten einzelne Wiener Geburtshel- ein Assistent Kleins, Ignaz Semmelweis, annahm. fer auch zum Thema der Gynäkologie gelehrt, aber Semmelweis verwarf die Theorien des Miasmas, erst durch eine Initiative Eduard Mikschiks wurde vom Genius Epidemicus und andere zeitgenös- im Jahr 1843 eine eigene Abteilung zur „Behand- sische Interpretationen. Der Todesfall eines be- lung der Weiberkrankheiten“ eröffnet. Vor allem freundeten Anatomen, Jakob Kolletschka, der bei junge Ärzte, allen voran die Schüler Kleins Chiari, einer Leichensektion geschnitten wurde und mit Späth sowie die Brüder Braun (später v. Braun bzw. puerperal­fieberähnlichen Symptomen ­zugrunde Braun v. Fernwald) versuchten, sich in diesem neu gegangen war, sowie eine akribische Analyse der entstandenen Fach zu profilieren. Im Jahr 1855 ga- Statistiken ließ Semmelweis feststellen, dass es ben die drei ein klinisches Lehrbuch ihres Faches sich beim Kindbettfieber zweifellos um eine ­Pyamie heraus, das in vielerlei Hinsicht bemerkenswert handelte, die von sezierten Leichen auf die Gebä- war. Erstens nahm die Publikation schon im Titel renden übertragen wurde. Dies erklärte, warum­ die Bezug auf das gerade entstehende Fach der Gynä- Hebammenklinik, an der keine Leichensektionen kologie, das die Autoren als von der Geburtshilfe durchgeführt wurden, von diesem Problem ver- untrennbar betrachteten und dem sie auch einen schont geblieben war. großen Teil des Werkes widmeten. Es war darüber hinaus das seit langem erste systematische Lehr- Semmelweis regte zwei Vorgangsweisen an: re- buch, das zu diesem Thema in Wien publiziert gelmäßiges Händewaschen in Chlorlösung und wurde und eines, das auf eine neue Phase der Inter- ein größeres Forschungsprojekt, um eine genaue nationalisierung der Medizin hinwies. Erklärung zu finden. War die erste Maßnahme ein durchschlagender Erfolg, so kann dasselbe In diese Zeit fällt auch die größte institutionelle nicht von der zweiten behauptet werden. Semmel- Veränderung der Gynäkologie und Geburtshilfe in weis dürfte sich zwar durch seinen anmaßenden, Wien im späten 19. Jahrhundert: die Gründung manchmal nicht ganz diplomatischen Stil keine einer zweiten Klinik (für Ärzte) und die daraus Vorteile verschafft haben, doch es war die Obstina­ hervorgehenden I. und II. Geburtshilflich-gynäko- tion Kleins, die diese Initiative im Keim erstickte. logischen Kliniken. Wie in vielen anderen Städten Im Professorenkollegium, das Semmelweis’ Vor- litten die Spitäler Wiens unter einem enormen schlag unterstützte, war Klein in der Minderheit, Andrang der Mittelklasse, bei denen die Entbin- aber seine ausgezeichneten Kontakte ins Ministe- dung zu Hause durch die als moderner und sicher rium, denen er bösen Zungen zufolge seine Posi- geltende Spitalsgeburt abgelöst wurde. Die Ent- tion verdankte, ermöglichten es ihm mehrmals, bindungszahlen an den Wiener Instituten stiegen genauere Untersuchungen von seiner Klinik fern- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts massiv zuhalten. Ja, damit nicht genug: Klein verhinderte an. Dies machte eine größere Umstrukturierung eine Verlängerung von Semmelweis’ Assistenten- notwendig, die auch durch andere institutionel- 6 stelle, auch dieser hatte das Professorenkolle- le Veränderungen vorangetrieben wurde. Schon 37. Jahrgang, 3/2019

1870 hatte das Josephinum keine neuen Studenten unverändert sind. Wertheim führte im November mehr zugelassen und die geburtshilfliche Kanzel 1898 in der Krankenanstalt Bettina-Stiftung die aufgelöst, wie das Josephinum als Ganzes im Jahre erste abdominale Radikaloperation bei Gebärmut- 1874, nach neunzig Jahren, endgültig als medizini- terhalskrebs durch, Schauta sollte drei Jahre später sche Ausbildungsstätte ausgemustert wurde. mit der ersten vaginalen Radikaloperation folgen. In den Jahren darauf entwickelte sich eine heftige Nur ein paar Jahre vor diesen institutionellen Auseinandersetzung der beiden, die sich neben der Veränderungen war ein junger preußischer Chir- Frage, welcher Zugangsweg der geeignetere sei, urg, der sein Fach revolutionär verändern würde, vor allem auf die (damals so genannte) „Drüsenfra- einem Ruf nach Wien gefolgt: Theodor Billroth. ge“ bezog: die Frage, ob und wieviel des regionären Der schöngeistige Chirurg, der auch ausgezeichnet Lymphgewebes zu entfernen sei. Die Mortalitätsra- Klavier spielte und in Wien ein enger Freund von te der Wertheim’schen Operationstechnik war da- Johannes Brahms werden sollte, war aber nicht nur bei weit höher, auf der anderen Seite hatte Schauta von Wiens kulturellem Charme begeistert. In den mit höheren Rezidivraten zu kämpfen. letzten Jahrzehnten und durch den Einfluss der Ärzte, die man später als „Zweite Wiener Medizi- nische Schule“ bezeichnen würde, hatte sich Wien Gynäkologie und Geburtshilfe von erneut einen Ruf als Weltstadt der Medizin ge- 1900 bis 1945 macht und Billroth sollte diesen weiter verstärken. Die Erkenntnisse Semmelweis’ waren in der Zwi- Waren die letzten Jahrzehnte (und im Besonderen schenzeit von Pasteur und Lister weiterentwickelt die letzten Jahre) des neunzehnten Jahrhunderts worden und Billroth gehörte der ersten Generation durch bahnbrechende chirurgische Erneuerungen von Chirurgen an, die die Vorteile der Asepsis und gekennzeichnet, so kann das frühe zwanzigste Antisepsis in vollen Zügen genießen durften und Jahrhundert, aus rein wissenschaftlicher Sicht, als sich an immer schwierigere Operationen wagten. Ausgangspunkt der gynäkologischen Endokrino- logie und Histopathologie sowie der Radium- und Während auf Billroth keine eigenen gynäkolo- Röntgenbehandlungen bezeichnet werden. Ange- gischen Operationen zurück gehen, so prägte er stoßen wurden diese Forschungen durch Rudolf dieses Fach durch seine enge Zusammenarbeit mit Chrobak, der jedoch viele seiner Vermutungen, Gynäkologen und der Erkenntnis der „Notwendig- wie dass das Endometrium einem „fortwährenden keit gynäkologische Erkrankungen konsequent Wechsel unterworfen“ sei, nie stichhaltig beweisen operativ zu behandeln“. Schlussendlich allerdings konnte. Doch obwohl er selbst in diese Richtung war Billroth davon überzeugt, dass eines Tages das keine tiefergehenden Forschungen anstellte, er- Fach der operativen Gynäkologie ganz der Gynä- mutigte er seine Schüler, dem Zusammenspiel kologie zugeordnet sein sollte. So sah das auch des und der Ovarien sowie ihrer Wirkung der Leiter der I. Gynäkologisch-geburtshilflichen auf den gesamten Organismus auf den Grund zu Klinik, Carl Braun v. Fernwald, der schlussendlich gehen. Zu diesem Zweck setzte er sich dafür ein, einer solchen Zuordnung zustimmte. Natürlich in der II. Frauenklinik ein eigenes Laboratorium war Billroth nicht der Einzige, der sich Ende des einzurichten. Dies war ein absolutes Novum und 19. Jahrhunderts für eine operative Gynäkologie ein revolutionärer Schritt auf noch völlig neuem einsetzte, aber selbst , der schon Terrain. vor Billroths Ankunft, also seit 1871, Kurse über operative Gynäkologie unterrichtet hatte, wollte Es ist aus heutiger Perspektive schwer, diese ers- zeitlebens als Schüler Billroths betrachtet werde. ten Innovationen und Erkenntnisse im Bereich der Und er verabschiedete Billroth bei seiner Totenrede Hormonlehre richtig einzuordnen und die Fanta- mit dem oft zitierten Satz: „Er hat die große ope- siebegabung der frühen Forscher entsprechend zu rative Richtung in der Gynäkologie inauguriert. würdigen. An den Wiener Kliniken postulierten Ich sage es mit Stolz: Wir Gynäkologen sind seine Halban und Knauer Existenz und Wirkung inner- direktesten Schüler.“ sekretorischer Vorgänge lange vor der Entdeckung der eigentlich dafür verantwortlichen Substanzen, Dank solch reger medizinischer Entwicklungen was von einem unglaublich intuitiven Verständnis ist es auch nicht verwunderlich, dass Wien als der der menschlichen Physiologie zeugt. Beide sollten Ursprungsort der zwei wichtigsten Operationstech- jedoch ihre Aktivitäten, nach frühen bahnbrechen- niken der radikalen Hysterektomie gelten darf, die den Errungenschaften, in andere Bereiche verle- ebenfalls von zwei Billroth-Schülern inauguriert gen. Knauer war als strenger Ordinarius in wurden. und Friedrich­ Schauta zwar Lehrer von Forschern wie Knaus oder Zacherl, legten Ende des 19. Jahrhunderts die Grundsteine die sich in verwandten Gebieten einen eigenen Na- für zwei Operationsmethoden, die im Grunde – men machten, doch genau wie Halban, der mit der mit laporoskopischen Verbesserungen – bis heute „Biologie und Pathologie des Weibes“ (zusammen 7 37. Jahrgang, 3/2019

mit Seitz) und der Gynäkologischen Operations- eingesetzt wurde, um andere, teurere Bauten zu lehre Fixsterne des Faches in anderen Gebieten errichten, während man beim Allgemeinen Kran- schuf, trat er nie wieder als Wissenschaftler in dem kenhaus sparte. von ihm geprägten Gebiet in Erscheinung. Das frühe 20. Jahrhundert sah dann die ersten Nur kurz nach den Erkenntnissen Halbans und seriösen Pläne für einen Neubau der unterschiedli- Knauers mischte ein zweites Wiener Forschungs- chen Kliniken in einem Pavillonstil, die sich jedoch duo die internationale Gynäkologie auf. Die ur- aufgrund des Ausbruchs des ersten Weltkriegs nur sprünglichen Impulse der endokrinologischen teilweise verwirklichen ließen. Die I. und II. Frau- Forschung waren aus Chrobaks Klinik gekommen, enkliniken, die schon in einer frühen Bauphase nun unternahmen Schautas Schüler die nächs- fertiggestellt wurden, waren als spiegelbildliche ten Schritte. Der aus Böhmen stammende Fritz Zwillingsgebäude konzipiert. Nur der Operations- ­Hitschmann trat 1898, nach längerer Arbeit am pa- aal beider Gebäude war jeweils nach Norden orien- thologisch-anatomischen Institut Anton Weichsel- tiert. Hinter den Fassaden, die heute als Gipfel- baums, als Operationszögling in die I. Frauenkli- punkt des funktionalen Jugendstils gelten, fand nik ein. Besonders im Bereich der laboratorischen man das damalige Non-plus-Ultra der modernen Arbeiten tat sich Hitschmann hervor, sodass ihm Heilkunde. Die zwei Frauenkliniken waren als die wenig später eine bis dahin nicht existente – für größten Klinikbauten der gesamten Anlage, für je ihn geschaffene – Position gewährt wurde. Schauta 296 Betten, zusammen somit für 592 Betten kon- schätzte Hitschmanns Laborkünste so hoch ein, zipiert und jede der beiden Kliniken beherbergte dass er dessen Begehren nach klinischer Arbeit mit vier Stationen. den Worten: „Klinische Assistenten kann ich haben, so viel ich will, aber für das Laboratorium finde ich Die Einrichtung eines histopathologischen niemanden“ quittierte. Zu Hitschmann, der in den Laboratoriums, wie es von Chrobak gewünscht ersten Jahren des 20. Jahrhunderts schon weitläu- worden war, war nicht einfach gewesen und nur fig geforscht hatte, stieß 1904 ein junger Assistent durch dessen unermüdliche Bemühungen zustan- namens Ludwig ­Adler, mit dem ihn zahlreiche In- de gekommen. In den neu eingerichteten Räum- teressen verbanden. Adler war wie Hitschmann am lichkeiten sollten aber bald revolutionäre Arbeiten pathologisch-anatomischen Institut gewesen und diesen Einsatz mehr als rechtfertigten. 1908 war beide interessierten sich für das – Ende des neun- Alfons v. Rosthorn aus Heidelberg nach Wien ge- zehnten Jahrhunderts schon als gänzlich erforscht rufen worden und nahm von dort zwei Assistenten geltende – Endometrium. Adler und Hitschmann mit: Julius Schottländer und Ernst Kermauner. konnten durch lange Versuchsreihen beweisen, Die Berufung Rosthorns nach Wien, wo besonders dass es sich bei den als krankhaft eingestuften Er- dem schon seit Jahren an der Histopathologie in- scheinungsbildern des Endometriums um normale teressierten Schottländer ein neues Laboratorium zyklische Veränderung handelte – eine Erkenntnis, versprochen wurde, verhieß nicht nur großartige die eine gänzlich neue Perspektive auf den weib- Forschungsmöglichkeiten, sondern auch neues lichen Zyklus eröffnete. Die Ergebnisse der bei- Material, das die schon in Graz und Heidelberg ge- den Wiener Ärzte wurden kurz darauf von Robert sammelten Proben ergänzen sollte. Schröder erweitert und bestätigt und dürfen seit- her als Meilenstein der gynäkologischen Entwick- Der tragisch-frühe Tod Rosthorns schien diese lung des 20. Jahrhunderts gelten. Pläne zu vereiteln, doch seine Assistenten führ- ten die Arbeit fort und publizierten nur wenige Die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Jahre später ein epochemachendes Werk: Zur hatte in vielen Regionen des Habsburgerreiches zu Kenntnis des Uteruskarzinoms. Kermauner und einer Landflucht und einer Bevölkerungsexplosion Schottländer­ hatten wirklich alle Register gezogen in den Städten geführt, die einen Ausbau der Spi- und nicht nur die in Graz und Heidelberg gesam- täler notwendig machte. Diese großen Struktur- melten Gewebeproben analysiert, sondern auch das änderungen betrafen aber nicht alle medizinischen neue Laboratorium, in dem sogar Großschnitte Bereiche in gleichem Maße. Die Gynäkologie und ganzer Uteri gemacht werden konnten (zu dieser Geburtshilfe war besonders stark betroffen. Aus Zeit ein absolutes Novum), zur Gänze ausgereizt. den oben erwähnten Gründen wurde seit den Das in Berlin bei Karger erschienene Buch machte 1870er Jahren konkret über eine Neuordnung der in Österreich, Deutschland, aber auch in anderen Frauenkliniken nachgedacht – Pläne, die aber aus Ländern Furore und katapultierte die beiden in unterschiedlichen Gründen verworfen bzw. nie neue wissenschaftliche Sphären. Vor allem ihre verwirklicht wurden, sehr zum Ärger der in der Analysen der Vor- und Frühstadien des Uteruskar- Klinik Beschäftigten. Hauptkritikpunkt der Beleg- zinoms bewegten die damalige Wissenschaft und schaft war dabei nicht nur, dass Wien der Verlust läuteten einen Generationswechsel ein. Auch zahl- 8 seiner großen Reputation drohe, sondern dass Geld reiche Einteilungen und Bezeichnungen, die Ker- 37. Jahrgang, 3/2019

mauner und Schottländer in ihrem Buch erstmals reichische Physiker können in diesem Bereiche als verwendeten, wie das „Carcinoma in situ“, wurden Pioniere gelten. Vorsichtig näherte man sich dem nach ihrer Publikation nicht nur in Europa, son- noch relativ unbekannten Stoff und die Ergebnisse dern auch in den USA zum Standard. waren zuerst zweifelhaft. Deutsche Kollegen, die auf Kongressen von scheinbaren Wunderheilungen Zur Jahrhundertwende sorgten nicht nur die berichteten, meinten den Österreichern auch erklä- großen Entwicklungen im Bereich der Histo- ren zu können, warum ihre vorsichtigen Versuche pathologie und Endokrinologie für Schlagzeilen, nur mäßigen Erfolg hatten. Der ganze Prozess der sondern auch die Entdeckung zweier neuer Phä- Radiumbehandlung, meinte man, würde in Öster- nomene, die die Medizin in den kommenden Jahr- reich zu konservativ betrieben. Die Dosen sollten zehnten prägen sollten und deren wissenschaftli- um ein Vielfaches erhöht werden, dann würden che Analyse, Verwendung, aber auch publizistische sich auch in Wien Erfolge einstellen. Schauta setz- Verbreitung zu nicht geringen Teilen in Wien te diese, wie er es nannte, „von sehr maßgebender stattfand. 1895 entdeckte Wilhelm Carl Röntgen Seite“ geäußerten Ratschläge in die Tat um – mit im knapp 500 Kilometer­ entfernten Würzburg, von weitreichenden Folgen: In der ersten Versuchsreihe ihm sogenannte „besondere Strahlen“. Röntgen starben alle Patientinnen, die nicht freiwillig aus schickte seinen ersten Bericht an verschiedene, der Behandlung ausschieden. Zwar konnte man in besonders namhafte Vertreter im Ausland, wie den den nächsten Durchgängen die Todeszahlen um österreichischen Forscher Franz-Serafin Exner. In einiges reduzieren, doch die Wunderqualitäten des einer kleinen Präsentation in Wien, der auch der Radiums wurden von da an skeptischer beäugt. Mit Sohn eines namhaften Redakteurs beiwohnte, wur- der grausamen, von Schauta­ gemachten Erfahrung den die Bilder herumgereicht und fanden sich am sah auch Wertheim seine Operation, die durch die nächsten Morgen in der Presse wieder, die einen neuen Entwicklungen als überholt gegolten hatte, großen Artikel publizierte, aus dem vielfach ge- rehabilitiert. Es sei – so argumentierte er damals – schlossen wurde, dass die Entdeckung der „beson- nicht hinreichend bewiesen, dass eine vollständige deren Strahlen“ aus Wien kommen müsste. Heilung eingetreten sei und die hohe Mortalitätsrate der Behandlung ließe eine Weiterführung der opera- War die Entdeckung dieser Strahlen fälschlicher- tiven Eingriffe, vielleicht in Kombination mit einer weise in Wien vermutet worden, so fand ihre erste verringerten Bestrahlung, sinnvoll erscheinen. klinische Verwendung und tiefere Analyse tatsäch- lich hier statt. Es war das Verdienst des Wiener ■■ Gynäkologie und Geburtshilfe Arztes Leopold Freund, die erste, richtig dokumen- im ersten Weltkrieg tierte Röntgenbestrahlung durchgeführt zu ha- ben. Kurz darauf veröffentliche Robert Kienböck, Der Ausbruch des ersten Weltkriegs traf das Fach der später die erste Röntgenabteilung Österreichs der Gynäkologie und Geburtshilfe zu einem Zeit- eröffnen sollte, das bis dahin einzige deutsch- punkt radikaler Veränderung, die nun ebenso bru- sprachige Lehrbuch zur Strahlenbehandlung mit tal abbrach. Ein Großteil der jüngeren Wiener Ärz- Röntgenstrahlen. Auf dem Gebiet der Gynäkolo- te fand militärische Verwendung, viele von ihnen gie allerdings war diese Art der Behandlung noch außerhalb von Wien. nicht sehr weit entwickelt. Nur ein Mann setzte sich damals, in seiner Position als Klinikvorstand, Doch abgesehen von dem starken Einfluss, den in besonderem Maße und auf teils illegalen Wegen der Krieg auf das Personal der Kliniken hatte, für eine breitangelegte und dauerhafte Integration wurden auch die Folgen des Krieges für die Zivilbe- der Röntgentherapie in die Gynäkologie ein: Ernst völkerung, besonders im Bereich der Geburtshilfe, Wertheim. Mit weit ausschauendem Blick verfolgte aber auch in der Gynäkologie analysiert. David und er die Fortschritte in der Röntgen-Tiefentherapie. Ebert haben eine beeindruckende Liste der im ers- Die Klinik verfügte 1910 über keinen einzigen ten Weltkrieg publizierten Artikel, die sich mit dem vollwertigen Therapieapparat. Rasch entschlossen Einfluss des Krieges beschäftigten, erstellt. Darin schaffte Wertheim mit Umgehung der Behörden finden sich einige äußerst interessante Beiträge mehrere moderne Apparate an. (…) [Weibel]. namhafter österreichischer Gynäkologen, wie Josef Schiffmann, der einen Artikel über „Die Zunahme Beim Radium, der zweiten Entdeckung, die die der Prolapse als Kriegsschädigung der Frau“ ver- Medizin der damaligen Zeit prägte, verhielt es sich fasste oder Isidor Fischer, der über die damals heiß- genau umgekehrt – alle waren begeistert, doch diskutierte „Kriegsamenorrhöe“ berichtete. Wertheim war skeptisch. Was das wissenschaftliche Interesse an Radium anging, war Wien eine euro- ■■ Die Zwischenkriegszeit päische Vorreiterrolle beschieden. 1910 wurde hier mit dem Institut für Radiumforschung weltweit die In der politisch wie auch wirtschaftlich schwieri- erste derartige Institution geschaffen und öster- gen Zwischenkriegszeit verbesserten und perfek- 9 37. Jahrgang, 3/2019

tionierten Wiener Gynäkologen die hier Ende des betätigte: Ludwig Haberlandt. Schon 1919 hatte 19. Jahrhunderts erfundenen Radikaloperationen. Haberlandt die ursprüngliche Idee einer nicht Wilhelm Latzko gelang es in enger Kooperation dauernden Sterilisation durch die Einnahme von mit Josef Schiffmann schon in den frühen 1920er Hormonen gehabt – ein Thema, dem er sich fast Jahren, die Wertheim’sche Operation noch näher die ganzen 1920er Jahre widmete. Die Arbeit des an die Beckenwand heranzutragen, als dies ihr Mannes, den Carl Djerassi mehrere Jahrzehn- Erfinder vermochte. Der ungeheure Einfluss der te später als „Großvater der Pille“ bezeichnen Latzko’schen Operationsmethoden, die sich nicht würde, geriet allerdings völlig in Vergessenheit. in dieser einen Operation erschöpften, lässt sich an ­Halberlandt und das von ihm erfundene „Infecun- ihrer Prominenz in dem zum damaligen Zeitpunkt din“ hätten der Geschichte der Verhütungsmetho- maßgeblichen Buch „Gynäkologische Operations- den fast einen komplett anderen Weg gezeichnet, lehre“ ablesen. Das vom Vorstand der I. Frauen- doch die klinische Prüfung seines Präparates, die klinik Heinrich Peham und von Isidor Amreich schon ­begonnen hatte, wurde aus unbekannten herausgebrachte Werk widmete Latzko fast dreißig Gründen unterbrochen. Haberlandt publizierte Seiten, während Wertheims „Original“ auf unter noch ein ebenfalls völlig in Vergessenheit gerate- zehn abgehandelt wurde. Während Latzko „den nes Buch mit dem Titel „Die hormonale Sterili- Wertheim“ verbesserte, hatte sich Amreich der sierung des weiblichen Organismus“, das die Ent- Schauta’schen Operation gewidmet, die er im Jahr wicklungen der nächsten 30 Jahre vorwegnehmen 1924 weiter radikalisierte. Doch obwohl Amreich sollte. Kurz darauf wählte Haberlandt den Frei- an einer gänzlich anderen Operation arbeitete sah tod und die Wirren der dreißiger Jahre und der er sich ebenfalls durch Latzko inspiriert. Das legt Kriegsausbruch ließen seine Spuren fast gänzlich jedenfalls sein oft zitierter Ausspruch: „Ich habe verschwinden. mir angeschaut, was Latzko von oben gemacht hat und habe nur dasselbe von unten nachgemacht“ Bei einer solchen Masse an Erfindungen und nahe. Fortschritten, die in der Zwischenkriegszeit aus Wien zu vermelden waren, nimmt es nicht Wun- Dem Klinikvorstand Peham lagen allerdings der, dass sich die Stadt wie auch die dort beheima- nicht nur die großen Operationen am Herzen, son- tete Fakultät über einen Zustrom internationaler dern er investierte, trotz der finanziell zweifellos Studenten freuen durfte. Wer in dem kleinen schwierigen Lage, enorm in die Entwicklung von Nachfolgestaat des Habsburgerreiches Provinziali- Krebsdiagnosemethoden, wie auch in die Behand- tät erwartete, der irrte. Der internationale Ruf der lung der Syphilis und urologischer Probleme, für Universität Wien war in den frühen 1930er Jahren die er jeweils eine eigene Ambulanz schuf. Walter sehr gut und Studenten aus den USA und dem Schiller, der Schottländer am Laboratorium der arabischen Raum fanden hier großartige For- II. Frauenklinik nachgefolgt war, beschrieb hier schungsstätten vor. Die Moderne war hier überall zum ersten Mal das später sogenannte Spray-Car- zu spüren und Zeitzeugen betonen auch einen cinoma und entwickelte zur selben Zeit auch die hohen Anteil internationaler Studentinnen. Die nach ihm benannte Jodprobe, mit dem sich der American Medical Association (AMA) organisierte Glykogengehalt der Epithelzellen darstellen lässt. Austauschprogramme und in zahlreichen Be- Schiller arbeitete zu diesem Zeitpunkt auch schon richten amerikanischer Medizinstudenten wird in an einer Zervixkarzinomdiagnosemethode durch höchsten Tönen von der österreichischen Medi- Zellabstrich, die er aber in Wien nicht durchsetzen zinausbildung geschwärmt. Auch österreichische konnte und die er nach seiner Emigration in die Forscher profitierten von der Internationalität der USA schon von Papanicolaou erfunden fand. 1920er und 1930er Jahre, besonders durch Auf- enthalte in den USA und in England. Hermann Neben den zahlreichen Fortschritten im operati- Knaus und Ludwig Halberlandt wurden durch ven Bereich sowie den eben genannten Errungen- Rockefeller Grants unterstützt, wobei erster zu schaften kommt in der Geschichte der Zwischen- Forschungsaufenthalten an pharmakologischen kriegszeit der weiteren Erforschung des Zyklus Instituten in Cambridge und London sowie an eine und seiner Manipulation eine besondere Rolle zu. Stelle bei F. H. A. Marshall in Cambridge aufbrach. Hinlänglich bekannt sind die Beiträge von Knaus, Doch auch Kliniker reisten. So beschloss Ludwig die er unabhängig von dem, mit ihm fast immer in Kraul 1930 zur Erweiterung seiner Ausbildung einem Atemzug genannten, japanischen Forscher ans Johns-Hopkins-Spital zu gehen, während ein Ogino gemachte hatte und die seit dem Jahr 1934 Stipendium der Chrobak-Stiftung Wilhelm Weibel einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff waren. einen längeren Aufenthalt in München und Erlan- gen ermöglichte. Den zur damaligen Zeit vielleicht Viel weniger wurde über einen anderen großen ungewöhnlichsten Karriereweg schlug Wilhelm österreichischen Forscher geschrieben, der sich Latzko ein, der 1927 für einige Zeit (auf Spanisch!) 10 in einem von Knaus gänzlich abgelehnten Gebiet in Buenos Aires unterrichten durfte. 37. Jahrgang, 3/2019

Doch diese Internationalität konnte nicht lange nach oben gespült wurden. Heinrich Kahr wurde über die politischen und wirtschaftlichen Proble- aus rassischen Gründen als Klinikchef entlassen, me hinweg täuschen, die sich in Österreich in den Hans Zacherl in Graz aus politischen Gründen in späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren ent- den Ruhestand versetzt. Josef Schiffmann wurde wickelten. Im Oktober 1934 wurde, wie es in der wie Ludwig Adler, Oskar Frankl, Emanuel Klaften, offiziellen „ständestaatlichen“ Diktion hieß, „zur Robert Joachimovits und Bernhard Aschner die ve- Durchführung unvermeidlicher Sparmaßnahmen“ nia legendi entzogen. Fast alle jedoch überlebten die I. Universitätsfrauenklinik aufgelassen. 1936 als Flüchtlinge auf dem amerikanischen Konti- wurde sie zwar wiedereröffnet und Heinrich Kahr nent. Das tragischste Schicksal ist zweifellos jenes mit der Leitung betraut, doch der Rahmen war Oskar Frankls, der knapp eine Woche nach dem äußerst klein und Kahr, der zum damaligen Zeit- „Anschluss“ mit Veronal Selbstmord beging. Diese punkt noch a.o. Professor war, wurde auch kein schrecklichen Ereignisse wurden von ehemaligen eigenes Ordinariat zugestanden. Kollegen und Befürwortern des Regimes, wie Paul Werner, der innerhalb kürzester Zeit zum Vorstand In der Zwischenzeit brodelte es überall an der des Kaiser-Franz-Joseph-Spitals avancierte, in der Universität. Die antisemitische Hetzpolitik – das Öffentlichkeit verharmlost. Der wahrscheinlich am wird heute leider oft vergessen – hatte schon lange tiefsten mit dem Nationalsozialismus assoziierte vor dem Anschluss eingesetzt. 1930 und nochmals und der NSDAP, der SS und der SA angehörende 1932 hatte man versucht, einen Numerus clausus Isidor Amreich profitierte ebenfalls von den neuen für jüdische Studenten einzuführen. Die Fakultät Verhältnissen. Er wurde 1939 von Innsbruck nach litt unter diesen Umtrieben und es darf zumindest Wien gerufen und übernahm die Lehrkanzel des vermutet werden, dass die antisemitischen An- zuvor entlassenen Heinrich Kahr. feindungen bei Walther Schillers Entscheidung, der Universität Wien den Rücken zu kehren, eine Nicht alle österreichischen Gynäkologen und große Rolle spielten. Geburtshelfer, die im „deutschen Reich“ oder den „Protektoraten“ blieben, waren Anhänger des Re- ■■ Der „Anschluss“ 1938 und die Kriegsjahre gimes. Einer der ersten großen Kritiker des 1934 verabschiedeten „Gesetzes zur Verhütung erbkran- Der Medizinhistoriker Michael Hubenstorf argu- ken Nachwuchses“ (GzVeN), das durch die darin mentiert, dass man den Einfluss der NS-Zeit auf vorgesehenen Zwangssterilisierungen Gynäkolo- die medizinische Fakultät in drei Etappen einteilen gen in besonderem Maße betraf, war der in Bres- könne: die extreme Umgestaltung 1938/1939, eine lau ordinierende, aber aus Wien stammende Albert Stabilisierung in den frühen vierziger Jahren und Niedermeyer. Niedermeyer weigerte sich, eugeni- die Kriegsjahre 1941–1945. sche Sterilisierungen durchzuführen und trug sei- ne auf katholischen Grundsätzen beruhende Kri- In der Tat waren die Wochen und Monate nach tik des Gesetzes auf dem Kongress der deutschen dem „Anschluss“ eine an Radikalität und Brutalität Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) vor. Konse- schwer zu übertreffende Zeit. Mit sofortiger Wir- quenzen folgten jedoch rasch. Nach dem Eklat kung wurde der eng mit dem austrofaschistischen und dem Verlust der Kassenzulassung entschloss Regime verbundene Leopold Arzt seines Amtes sich Niedermeyer zur Flucht nach Wien, wo ihm als Dekan enthoben und am 15. März übernahm die österreichische Staatsbürgerschaft wieder ver- der mittlerweile berüchtigte Eduard Pernkopf die liehen wurde. Niedermeyers Kritik an dem GzVeN Führung und verlangte von allen an der Fakultät wurde auch nach dem Anschluss nicht leiser, bis Beschäftigten einen bis Ende April einzugehenden er schließlich verhaftet und nach Sachsenhausen „Ariernachweis“. Verschiedenen Angaben zufolge deportiert wurde. Nach zahlreichen Interventionen wurden bis zu drei Viertel des Personals entlassen. wieder entlassen, überlebte er den Krieg in Wien Was in deutschen Städten teils Jahre gedauert hat- und konnte sich dort 1945 sogar habilitieren und te, war in Wien innerhalb weniger Wochen abge- wurde Professor für Pastoralmedizin. schlossen und die Fakultät bezeichnete sich bald als „judenfrei“. Doch nicht nur die medizinische Solch aktiver Widerstand war zugegebenerma- Fakultät, sondern die gesamte Wiener Gesundheits- ßen selten, doch auch jene, die es „nur“ ablehnten, versorgung war von den nationalsozialistischen­ Mitglied der NSDAP zu werden, mussten mit Kon- Maßnahmen betroffen. Alles in allem verließen sequenzen rechnen. Obwohl eine Karriere ohne 1938 über 3000 jüdische Ärzte die Hauptstadt des NSDAP-Mitgliedschaft an der Fakultät Wien theo- „angeschlossenen“ Österreichs. retisch möglich war – knapp 75 % der Lehrenden waren Mitglied der Partei – wurde z. B. Hugo Huss- Auch unter den Gynäkologen und Geburtshel- lein ein Ortswechsel nahegelegt. Husslein wechsel- fern wütete das Regime und teilte die Ärzteschaft te auf Einladung von Hermann Knaus, der selbst in jene, die alles verloren hatten und andere, die ein äußerst zwiespältiges Verhältnis zur NS-Poly- 11 37. Jahrgang, 3/2019

kratie hatte, nach Prag. Knaus galt schon seit 1938 me des sich konstituierenden Universitätssenats als politisch „unzuverlässig“ und fiel, trotz seiner die Wiedereinsetzung des 1938 entlassenen Lehr- NSDAP-Mitgliedschaft, auch während des Krieges personals. Bei den Gynäkologen und Geburtshel- durch offene Kritik an und negative Gutachten fern wurde Heinrich Kahr mit sofortiger Wirkung über politisch hochstehende Parteimitglieder wie wiedereingesetzt und übernahm am 11.05.1945 Kurt Strauß auf. Knaus wurde allerdings während die Leitung der II. Frauenklinik. Am 26. Mai 1945 dieser ganzen Zeit von anderen hochstehenden beschloss man darüber hinaus die Entfernung „il- NS-Funktionären gedeckt, weshalb er Hussleins legaler“ NSDAP-Mitglieder und die Ungültigkeit Schicksal von der Gestapo, wenngleich nur kurz- der in der NS-Zeit erworbenen Professuren etc. fristig, verhaftet zu werden, entging. Interessant ist Bis Juni 1946 wurden 134 Professoren, Dozenten auch das Schicksal des schon im Austrofaschismus und wissenschaftliche Assistenten ihrer Ämter ent- als aufmüpfig geltenden Wilhelm Weibel, der zwar hoben. seit 1938 förderndes Mitglied der SS war, aber 1942 „aus Altersgründen“ entlassen wurde, was auf eine Doch während die Entfernung inkriminierten mögliche politische Differenz schließen lässt. Personals eine schwierige, aber mögliche Auf- gabe war, gestaltete sich der vielfach geäußerte Der große Teil der damaligen Führungsriege je- Wunsch nach Rückholung entlassener Personen doch fand sich im Lager der Freunde des Regimes als deutlich schwieriger. Jene, die das NS-Regime und der Vollstrecker der GzVeN. Dieses wurde zwar im ­Ausland überlebt hatten, wollten oftmals aus in Österreich nur langsam eingeführt und kam ­naheliegenden Gründen nicht nach Wien zurück- auch kriegsbedingt nur in minderem Ausmaß zum kehren. Der einzig dokumentierte Fall, in dem in Einsatz, doch österreichische Gynäkologen wirk- späteren Jahren eine Repatriierung von beiden ten an prominenter Stelle an ihrer Umsetzung mit. Seiten ernsthaft angestrebt wurde, war Emanuel Die Hauptbeteiligten waren Isidor Amreich, Lud- Klaften, der 1947 im Vorschlag für die Neubeset- wig Kraul, Otto Planner-Plann, der ungefähr zum zung des Klinikvorstandes an der II. Frauenklinik selben Zeitpunkt als Obmann der neugegründeten war. „Wiener Medizinischen Gesellschaft“ eingesetzt wurde. Auch Hermann Siegmund und Hans Tasch Die eingesetzte Entnazifizierungskommission wurden im Rahmen einer Kommission mit der ließ zahlreiche Gynäkologen und Geburtshelfer, Feststellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähig- die während der NS-Zeit hohe Positionen inne keit von Frauen, deren Zwangssterilisierung über- hatten, ohne große Probleme ihre Arbeit fort- legt wurde, beauftragt. Die vorbereitende Arbeit setzen – ein Prozess, der an den meisten wissen- der Kommission musste an zugelassenen Spitälern schaftlich oder wirtschaftlich wichtigen Kliniken durchgeführt werden. In den Listen, die die damals in ähnlicher Weise vollzogen wurde. So überprüfte für diese „Arbeit“ vorgesehenen Spitäler enthalten, die sogenannte „Sonderkommission 1“, an der finden sich auch die Namen berühmter Gynäkolo- auch Heinrich Kahr beteiligt war, zwar unzählige gen. So waren neben Isidor Amreich auch Tassilo Personen, gab sich aber in vielen, vielleicht den Antoine und Paul Werner in leitenden Positionen meisten, Fällen mit positiven Charakterzeugnis- an Kliniken, in denen chirurgische Unfruchtbar- sen unverdächtiger Bekannter oder anderer Indi- machungen von Frauen durchgeführt werden zien zufrieden. Es wurde zwar ein relativ konkre- durften. Die konkrete Durchführung von Schwan- ter, im Einzelfall aber doch sehr breit auslegbarer gerschaftsabbrüchen und Zwangssterilisationen in Katalog von regimekritischen Handlungen für Wien und vor allem, wer an der Klinik diese genau eine Bewertung herangezogen. Wie Arias schreibt: durchführte, ist aufgrund der Quellenlage und „Als positiv wurden von der Kommission die me- der bis jetzt sehr dünnen Forschungsliteratur in dizinische Behandlung von politisch Andersden- diesem Bereich schwer einzuschätzen. Sicher ist kenden oder rassisch verfolgten, die Ausstellung jedoch, dass österreichische Gynäkologen sich in von Befreiungsattesten von Wehr- oder Arbeits- unterschiedlicher Weise während der Zeit des Na- dienst, oder negative Äußerungen über die NSDAP tionalsozialismus schuldig machten und dass bei gewertet.“ Dies war auch bei Tassilo Antoine der weitem nicht alle durch die nach 1945 einsetzende Fall, bei dem vermerkt wurde: „Für die Operation Entnazifizierung auch nur teilweise zur Rechen- der Frau eines Konzentrationslagerhäftlings lehn- schaft gezogen wurden. te er jedes Honorar mit dem Bemerken ab, seine Handlungsweise möge als bescheidener Beitrag zur Linderung der seelischen und materiellen Not Die Nachkriegszeit – von der Ent­ eines Kämpfers für die Freiheit und Selbständig- nazifizierung zur Internationalisierung keit Österreichs gewertet werden.“ Die Kommis- sion bescheinigte Antoine daraufhin, „tragbar“ zu Nach dem Fall des NS-Regimes und dem Ende der sein und dieser durfte seine Stelle als Klinikchef 12 Kampfhandlungen in Wien war die erste Maßnah- bald wieder antreten. 37. 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Einige wenige bekamen in der Nachkriegszeit die Ausweitung der Wiener geburtshilflich-gynä­ aber weder die Milde der Kommission noch die kologischen Gesellschaft auf ganz Österreich die ebenso oft ergehenden „Ausnahmen“ oder positiv OEGGG zu gründen. beantworteten „Nachsichtsgesuche“ zu spüren. So wurden bei Hermann Siegmund und Isidor Amreich­ Doch trotz dieser Fortschritte waren die höchs- zahlreiche Anträge, die für eine gewisse Rehabilitie- ten akademischen Ebenen von konservativer, rung gesorgt hätten, abgelehnt und beiden wurde manchmal fast nach innen gekehrter Haltung ein Dienst an der Universität verweigert. Hermann gekennzeichnet. Jüngere Forscher hatten jedoch Siegmund wurde zwar nach eineinhalbjähriger schon längst begonnen, internationale Kontakte zu Haft in Glasenbach die Lehrbefugnis wieder er- knüpfen und an den neuen Entwicklungen der Gy- teilt, doch keine Universität oder Klinik wünschte näkologie und Geburtshilfe teilzuhaben, wiewohl seine Dienste. Amreich war am 10. Mai 1945 vom die Verhältnisse in Wien alles andere als einfach Dekanat suspendiert, beurlaubt und kurz darauf waren. Die Zahl der jungen Mediziner war nach verhaftet nach Wolfsberg gebracht worden. Ende dem Krieg rückläufig, doch aufgrund der schwieri- Jänner 1946 wurde er auch als Universitätsprofes- gen wirtschaftlichen Situation mussten sich viele, sor entlassen. Es folgte eine teilweise Ausnahme auch äußerst talentierte Ärzte lange Zeit mit Gast- der Sühnefolgen, die das Führen einer ärztlichen und Hilfsarzttätigkeiten über Wasser halten. Praxis und eine Publikationstätigkeit erlaubten. Auch in den kommenden Jahren gab es zahlreiche Doch es gab auch eine andere Seite der Wie- Versuche, Amreich durch „Ausnahmeanträge“ oder ner Nachkriegsmedizin. Von großzügigen inter- „Nachsichtsgesuche“ zu entlasten, wieder einzuset- nationalen Geldgebern wie dem British Council, zen oder ihm eine höhere Pension zukommen zu der UNRRA, der WHO und der UNESCO wurden lassen, doch alle diese Versuche scheiterten im Un- zahlreiche Programme gefördert, und auch die terrichtsministerium, in dem zu Recht festgestellt Fulbright- und Rockefeller-Stiftungen knüpften wurde, dass Amreich schon aus den Sühnefolgen an die Investitionen der Zwischenkriegszeit an und ausgenommen sei und durch seine Praxis über aus- ermöglichten durch eine Reihe von Grants erste reichende Einnahmequellen verfüge, die eine „Be- ausgiebige Auslandserfahrungen. Diese Möglich- willigung des Ruhegenusses“ nicht nötig machten. keiten betrafen auch den Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe und eine junge Generation von In der Zwischenzeit ging man an den Frauen- Ärzten nahm in den 1950er Jahren an den großen kliniken wieder der gewohnten Arbeit nach und Entwicklungen des Faches in Großbritannien, es war, wie zu dieser Zeit in vielen anderen Be- den USA und Schweden teil. Die Erfindung des reichen, eine gewisse Kontinuität, ohne revolu- Apgar-Scores, die Entschlüsselung der Struktur tionäre Entwicklungen zu spüren. Dies mag nach des Oxytocin und die Reetablierung der Radium- dem großen politischen Schnitt, den die Jahre behandlung fanden im Beisein, unter Mitwirkung von 1938–1945 darstellen, einigermaßen überra- oder sogar unter der Leitung einer jungen Gene- schend klingen. Doch vielleicht war es gerade der ration von in Wien beschäftigten Forschern statt, radikale Charakter des vergangenen Jahrzehntes, die begannen, das große Netzwerk der österreichi- der in den Beteiligten den Wunsch nach stiller, schen Medizin nach dem Krieg aufzubauen. konservativer Arbeit und der Restauration be- kannter Verhältnisse geweckt hatte. Auch was Im Dezember 1955 reiste der in Cornell lehren- die Führungspositionen der zwei Frauenkliniken de Vincent du Vigneaud nach Stockholm. Es war anging, war man keine Experimente eingegangen ein erhebendes Ereignis, denn du Vigneaud wur- und hatte auf ältere, erfahrene Persönlichkei- de für die Entschlüsselung und künstliche Her- ten gesetzt. An der I. Frauenklinik war der noch stellung des für die Geburtshilfe einschlägigen im 19. Jahrhundert geborene und in den frühen Hormons Oxytocin der Nobelpreis verliehen. Stolz zwanziger Jahren promovierte Tassilo Antoine und ausführlich berichtete er bei der dazu veran- Ordinarius und sollte es bis in die 1960er Jahre stalteten Vorlesung über die lange und mühsame bleiben. Die II. Frauenklinik war zwar kurzfristig, Entschlüsselung, die ihm gemeinsam mit einem nach dem Tod Kahrs, von dem damals noch nicht Team gelungen war. Doch du Vigneaud war ein einmal 40 Jahre alten Hugo Husslein supplierend ehrlicher Gentleman und so erwähnte er, vor den geleitet worden, doch auch diese Stelle wurde versammelten Gästen, auch den Namen eines jun- schlussendlich mit Zacherl, einem schon arri- gen Wissenschaftlers, der ohne großes Team und vierten Professor, besetzt. Antoine und Zacherl vor allem mit viel weniger Geld zum selben Ergeb- waren als ausgezeichnete Operateure bekannt nis gekommen war: „it is of considerable interest“, und setzten in den ihnen bekannten Bereichen führte du Vigneaud aus, „that Tuppy on the basis of auch nach dem zweiten Weltkrieg die Maßstäbe. data we had ­published along with some data of his Antoine gelang es außerdem 1961 den berühmten own, arrived at the same structure independently“­ . FIGO-Kongress nach Wien zu holen und durch Wer Hans Tuppy war, wusste wahrscheinlich da- 13 37. Jahrgang, 3/2019

mals kaum jemand, dass er diese Forschungen in Wien und die Entwicklung Wien durchgeführt hatte, vielleicht niemand. Da- des Ultraschalls bei hatte Hans Tuppy, der später auch als Wissen- schaftsminister amtieren sollte, schon jahrelange Für Pioniere dieser Technologie, wie Emil Reinold, Erfahrung auf der höchsten Stufe der Biochemie der mithalf den Ultraschall an der I. Frauenklinik gesammelt. Tuppy hatte die Ergebnisse des kleinen zu installieren, vor allem aber Alfred Kratochwil, und schlecht ausgestatteten Labors in Wien schon der von der II. Frauenklinik die internationale For- vor du Vigneauds Team publiziert und war, obwohl schungsentwicklung maßgeblich mitgestaltete, ihm der Nobelpreis Zeit seines Lebens entging, ein waren diese neuen Geräte nur die logische Erwei- leuchtendes Beispiel dafür, wie schnell eine junge terung schon existierender Techniken. Beide publi- Wiener Generation von Forschern den Anschluss zierten zur Geschichte der Medizin und Kratochwil­ an die Weltspitze gefunden hatte. versuchte, im Besonderen, die Geschichte des Ultra­schalls einer breiten Öffentlichkeit zu vermit- Auch in anderen Bereichen setzten junge Wie- teln. Es war der Grazer Arzt, Johann Leopold von ner Ärzte wie Karl Weghaupt neue Maßstäbe. Von Auen­brugger, der, angeblich inspiriert von einer Tassilo Antoine zur Radiumforschung ermutigt Klopftechnik, die sein Vater an den Fässern seines und viel seiner Karriere unterordnend, verbrachte Weinkellers verwendete, als erster die Perkussion er schon in den später 1940er Jahren große Teile als Untersuchungsmethode anwandte. Kratochwil seines Urlaubes von der I. Frauenklinik in Schwe- sah sich zwei Jahrhundert später explizit noch den oder im näher gelegenen Lainz, wo ihm der immer mit denselben Mitteln arbeiten. Der Ultra- dort arbeitende Emil Maier als Experte zur Seite schall sei, so argumentierte er, „nichts anderes als stand. In Stockholm lernte er die unter demselben die Perkussion unter Zuhilfenahme mechanischer Namen bekannte Methode der Bestrahlung näher und elektronischer Hilfsmittel.“ kennen und führte sie kurz darauf an der I. Frau- enklinik ein. 1950 wurde an der I. Frauenklinik die In Österreich konnte man sich im 20. Jahr- Radiumstation eröffnet und der noch nicht einmal hundert aber nicht nur stolz auf Auenbrugger dreißigjährige Weghaupt als Chef eingesetzt. Erst berufen, denn zahlreiche Entdeckungen, die die 1954 gelang es, eine größere Menge Radiums für moderne Entwicklung des Ultraschalls erst mög- die Klinik zu sichern und Weghaupt begann die lich machten, hatten in den Habsburgerlanden Station auf eine, zu diesem Zeitpunkt als „Neue stattgefunden. So war der damals noch in Modena Stockholmer Methode“ bekannte Therapieform arbeitende Lazzaro Spallanzani nach seinen revo- umzustellen. Zahlreiche weitere ­Adaptionen folg- lutionären Versuchen mit Fledermäusen, die die ten und durch die später stattfindende Zusammen- Grundlage für die Analyse des Ultraschalls im Tier- legung der Strahlenstation der I. und II. Frauen- reich legten, von Maria Theresia persönlich an die klinik sollte die nun von beiden Kliniken geteilte Universität Pavia gerufen worden und hatte dort Station die größte Europas ­werden. nicht nur den Lehrstuhl für Naturwissenschaften, sondern auch die Direktion des angeschlossenen Diese Entwicklung sollte Antoine nicht mehr Museums inne. Spallanzani profitierte direkt von als Klinikchef erleben, denn der große Ausbau der den Forschungsinvestitionen der Habsburger, die Frauenkliniken, vor allem im technologischen Be- Österreich auch im neunzehnten Jahrhundert an reich, war auch mit einem Wechsel an der Spitze der Spitze Europas hielten. Der in Prag und Graz verbunden. Es ist aus historischer Perspektive lehrende ­Christian Doppler sollte dieser Erfolgs- vielleicht auch nicht überraschend, dass dieser geschichte 1842 ein weiteres Kapitel hinzufügen. Wechsel in die auch wirtschaftlich und politisch Die von Doppler postulierte Frequenzänderung, revolutionären sechziger Jahre fiel. 1964 über- die durch unterschiedliche Geschwindigkeiten nahm Hugo Husslein die II. Frauenklinik und vier ausgelöst wird, machte sich der japanische Arzt Jahre später folgte Eduard Gitsch, der mit Weg- Satomura zu Nutze, um Durchflussgeschwindig- haupt nicht nur das Geburts-, sondern auch das keiten mit Ultraschall zu messen, einer Technik, Promotionsjahr teilte, als Chef der I. Frauenklinik die bis heute zu Recht als „Doppler-Ultraschall“ nach. Unter den beiden fand eine weitere Öffnung bekannt ist. und Internationalisierung der Wiener Gynäkologie und Geburtshilfe statt und sie verstanden es auch, ■■ Die rasante Entwicklung des Ultraschalls die großen technologischen Revolutionen des nach 1945 Jahrzehntes in den Klinikalltag einzubinden. Mit Kratochwil, Baumgarten und anderen hatten die Ian Donald, der in Schottland das vielleicht be- beiden aber auch eine äußerst kreative Gruppe von rühmteste Zentrum für Ultraschalldiagnose auf- Forschern um sich geschart, die die beiden Haupt- bauen sollte, erinnerte sich später an den Einfluss bereiche dieser Revolution, den Ultraschall und die seiner bei der Royal Air Force verbrachten Kriegs- 14 Perinatologie, mitverändern sollten. jahre: „In the last war I had become familiar with 37. Jahrgang, 3/2019

a variety of radar techniques and had developed a scheiden seien, sondern enthielt auch erste Be- hearty respect for what electronic science can do.” schreibungen von Schwangerschaften und eröffne- Diese eingehende Auseinandersetzung mit Radar- te damit dem Ultraschall ein völlig neues Gebiet. technologie und ihren physikalischen Grundlagen, die der des Ultraschalls nicht unähnlich waren, er- Zu diesem Zeitpunkt Ende der 1950er und An- möglichte zahlreichen Forschern, ihre Kenntnisse fang der 1960er Jahre war man auch in Österreich nach dem Krieg zu vertiefen und auch ein erstes, auf diese neue Technologie aufmerksam geworden. klares Vokabular ihres Feldes zu erstellen. Man war In der Ophthalmologie war der Ultraschall schon sich schnell einig, dass zwischen zwei möglichen früh bekannt und der Wiener Augenarzt Karl Verfahren, dem Amplitude-Scan (A-Scan), bei dem ­Ossoinig stellte seine Forschungen in diesem Be- durch die Charakteristik der reflektierten Wellen- reich einem größeren Publikum vor. So fand in länge Rückschlüsse auf die Gewebestruktur bzw. der Gesellschaft der Ärzte ein Vortrag über dieses -tiefe gezogen werden konnten, und dem Bright- Thema statt, bei dem auch der junge Gynäkologe ness-Scan (B-Scan), bei dem sich die mit unter- und Geburtshelfer Alfred Kratochwil zugegen sein schiedlicher Intensität reflektierten Strahlen in 2D sollte. Dieser erinnerte sich auch ein halbes Jahr- mit Graustufen darstellen ließen, unterschieden hundert später noch genau an die Veranstaltung, werden musste. die seine Karriere verändern sollte, wie auch an ihren weniger glorreichen Beginn. „Ich war ein Obwohl zahlreiche Gruppen an verschiedenen bisschen zu spät dran“ gestand Kratochwil später, diagnostischen Ultraschallmodellen arbeiteten, doch den Hauptteil der Veranstaltung und auch die war ein Großteil der Ärzte Ende der vierziger potenzielle Bedeutung für sein eigenes Fach hatte Jahre noch felsenfest davon überzeugt, dass – er nicht versäumt. Im Zuge der Präsentation sei es falls Ultraschall für etwas verwendet werden kön- ihm „wie Schuppen von den Augen gefallen“. Was ne – es die Therapie und nicht die Diagnose sei. Ossoinig da für die Ophthalmologie präsentier- Dies gründete sich auf der damaligen Annahme, te, könnte „ohne Weiteres“ auch in der Frauen- dass der Ultraschall eine viel nachhaltigere Wir- heilkunde eingesetzt werden. In einer Zeit, in der kung auf den menschlichen Körper habe, als sich der internationale Austausch oft noch schleppend später herausstellen sollte. Viele gingen damals war, scheint Kratochwil alleine und ohne die Pu- sogar noch davon aus, dass die Wirkung des Ultra- blikation Ian Donalds gekannt zu haben, auf das schalls auf Karzinomzellen größer sei als z. B. bei Potential des Ultraschalls in der Frauenheilkunde Röntgenstrahlen. Doch schon kurz darauf konnte aufmerksam geworden zu sein. Schon allein das ein Pionier des diagnostischen Ultraschalls einen rechtfertigt seinen Status als Pionier, doch in den ersten großen Durchbruch verkünden. Der lange kommenden Jahren sollte Kratochwil noch viel Zeit unter strengster militärischer Geheimhaltung mehr zur Ultraschallentwicklung beitragen. arbeitende George D. Ludwig machte 1949 seine Forschungen erstmals der Öffentlichkeit zugäng- Ossoinig vermittelte den jungen Gynäkologen lich und legte damit die Grundlage für spätere Ent- und Geburtshelfer an eine im oberösterreichischen wicklungen. Denn Ludwig lieferte nicht nur den Zipf gelegene Firma, die in diesem Bereich schon ersten Nachweis von Gallensteinen durch Ultra- über breite Expertise verfügte und wo Kratochwil schall, sondern, noch wichtiger, erste Details über auch einen genialen Partner für seine Forschun- das Verhalten von Ultraschallwellen im Kontakt gen fand. Die Firma Kretztechnik, die von Paul mit verschiedenen Gewebestrukturen. Kretz 1947 gegründet worden war, hatte sich in der Nachkriegszeit vor allem mit der zerstörungsfrei- Mit seinen Publikationen hatte Ludwig die For- en Werkstoffprüfung einen Namen gemacht hat- schung einen Riesenschritt weitergebracht, die te, doch nun erweiterte man das Programm auch Probleme der frühen Proponenten des diagnosti- um eine medizinische Sparte. Was jedoch gerade schen Ultraschalls aber nicht vollständig gelöst. ein Geburtshelfer mit dem Ultraschall wollte, war Ein Forschungsteam um Ian Donald setzte diesen vielen in der Firma am Anfang nicht klar. Doch Entwicklungen ein vorläufiges Ende. Denn Donald, schon mit den frühen Entwicklungen von A-Scans, unter tatkräftiger Unterstützung seines Ingenieurs die Kratochwil zur Plazentalokalisation und Herz- T. G. Brown, gelang es, nicht nur einen ersten, re- tonsuche verwenden sollte, stiegen die beiden lativ professionellen Scanner zu bauen, sondern rasch zu einem der führenden Forschungsduos in mit der Lancet-Publikation „Investigation of abdo- diesem Bereich auf. Der berühmte Geburtshelfer minal masses with pulsed ultrasound“ den Grund- und Ultraschallexperte Stuart Campbell zählt die stein für eine theoretische Diskussion im Feld der beiden zu den, wie er sie in einem Vortrag nannte, Ultraschalldiagnostik zu legen. Dieser kurze, aber wichtigsten Schulen der sechziger Jahre: „I sum- sehr gedrängte Artikel enthielt nicht nur eine ge- marise the main schools in the 1960’s during the naue Erklärung, wie verschiedene „masses“, z. B. early development of ultrasound diagnosis. These Myome oder Zysten, durch Ultraschall zu unter- schools were in Glasgow, Denver, Sydney, ­, 15 37. Jahrgang, 3/2019

Copenhagen, Lund and Tokyo.” Diese frühen Ex- sches Buch, das nicht nur anschaulich die verschie- perten waren alle untereinander bekannt, ja oft denen Verwendungsbereiche der Ultraschalldiag- freundschaftlich verbunden. nostik erklärte, sondern auch demonstrierte, wie firm Kratochwil im technischen Bereich war. Ein Das Team Kratochwil-Kretz setzte jedoch nicht ganzes Fünftel des Buches liefert eine detaillierte nur im technischen Bereich neue Maßstäbe, auch Erklärung physikalischer und technischer Aspekte. in Medizinerkreisen wurden ihre Arbeiten immer Ab dem Jahr 1968 unterrichtete ­Kratochwil auch bekannter. Der ursprüngliche Grund für Kratoch- regelmäßig auf dem Gebiet des Ultraschalls – er wils Interesse am Ultraschall war seine Unzufrie- war dabei wahrscheinlich einer der ersten – und denheit mit den Methoden der Plazentalokalisa- begann Wien, wie sich Stuart ­Campbell ausdrückt, tion gewesen. Es gab zum damaligen Zeitpunkt in ein „Mekka des Ultraschalls“ zu verwandeln. nur die Möglichkeit einer Isotopenuntersuchung, doch Kratochwil war überzeugt, dass eine genaue Zu diesem Zeitpunkt war Kratochwil schon nicht Lokalisation auch mit Ultraschall gelingen könne. mehr der einzige Ultraschallexperte an den Frau- Er begann damit, die Plazenta nach Geburten in enkliniken, die sich beide in den 1970er Jahren einem Wasserbad zu analysieren, um festzustellen besonders in diesem Bereich engagieren sollten. welche Signale diese reflektieren würde. Danach Schon 1969, beim ersten Kongress für diagnosti- wurde das Ganze vor Sectiones getestet und wie schen Ultraschall, der nicht zufälligerweise in Wien Kratochwil in einer späteren Studie festhielt, ge- stattfand, wurde Kratochwil bei einer seiner zahl- lang ihm eine genaue Lokalisation in 90 % der Fäl- reichen Präsentationen von einem Kollegen der le. Langsam wurden Kratochwils frühe Forschun- I. Frauenklinik Emil Reinold unterstützt. Reinold, gen auch in Wien bekannt und am 15. Dezember der sich besonders im Bereich der pränatalen Dia- 1965 gab es eine erste größere Präsentation bei der gnostik einsetzte, wurde 1970 Oberarzt und beide österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und drängten auf einen Ausbau des Ultraschalls an Geburtshilfe. Schon ein Jahr später gelang ihm mit ihren jeweiligen Kliniken. 1972 gelang Kratochwil mithilfe eines A-Scans der Nachweis der fetalen mit der Darstellung des Ovarialfollikels ein weite- Herzaktivität in der siebten Schwangerschaftswo- rer Meilenstein und kurz darauf sollte der Wunsch che. Durch Elektrokardiographie konnten lebende der beiden nach einer größeren Anerkennung des Föten zu diesem Zeitpunkt erst ab der zwölften Ultraschalls in Erfüllung gehen. Gitsch und Huss- Woche nachgewiesen werden. Abdominale Ultra- lein ließen dem Ultraschall an ihren Kliniken eine schallexperimente hatten gezeigt, dass ein Nach- besondere Rolle zukommen. An der I. Frauenklinik weis theoretisch ab der zehnten Woche möglich wurde eine Ultraschall- und Risikoschwangeren- sei. Durch Kratochwils unglaublich präzise Arbeit ambulanz eingerichtet und Kratochwil wurde Lei- schob sich dieser Zeitpunkt nun um weitere zwei ter des neu eingerichteten Ultraschalldiagnostik Wochen vor. Für Kratochwil kam erschwerend hin- und -ausbildungszentrums an der II. Frauenklinik. zu, dass die sogenannte „full-bladder-Technik“, die Mehr noch als für Reinold war dieses auf Kratoch- diese Art des Scans vereinfacht hätte, noch nicht wil zugeschnitten und bestand vom 15.12.1972 bis erfunden worden war und er Kretz daher bitten 31.05.1982, dem Jahr also, in dem Kratochwil die musste eine Reihe spezieller Vaginalsonden- und Frauenklinik verließ, um die Leitung der geburts- Transducer zu bauen, um bessere Ergebnisse zu er- hilflich-gynäkologischen Abteilung in Baden zu zielen. Kratochwil stand mit dieser zwar genialen, übernehmen. Die siebziger Jahre waren für beide aber schwierig zu handhabenden Erfindung relativ Pioniere eine äußerst fruchtbare Zeit. 1972 wurde allein da. Nur einige seiner engen Schüler, wie der Kratochwil mit dem prestigereichen Maternité-­ später zu eigenen Ehren gelangte Bernd-Joachim Preis der deutschen Gesellschaft für Perinatale Hackelöer erkannten die Vorteile: „Sein Vaginal- Medizin ausgezeichnet. Kurz darauf habilitierte scanner mit starrer Sonde montiert am gynäko- sich Reinold und 1973 waren beide Mitgründer der logischen Stuhl sah zwar wie ein mittelalterliches Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Folterinstrument aus, lieferte aber durch drehbare Medizin und organisierten kurz darauf das erste Sonden bereits verwertbare Bilder der Genitalor- Ultraschall-Dreiländertreffen in Wien 1977. gane“. Die Siebziger Jahre waren allerdings nicht nur Neben seinen Forschungen, die Mitte der sech- in der österreichischen Ultraschallforschung eine ziger Jahre auch neue Erkenntnisse über die ex- revolutionäre Zeit. Die größte Veränderung in trauterine Gravidität lieferten, widmete sich Kra- diesem Bereich sollte Mitte der Siebziger-Jahre tochwil der Erklärung und Popularisierung des mit der Verbesserung des „real-time-scanning“ Ultraschalls. 1968 veröffentlichte er eines der ersten aus Australien kommen. Schon Mitte der 1960er und sicher umfangreichsten Textbücher für Ultra­ Jahre hatten die Firma Siemens und der Ingenieur schalldiagnostik, das gleichzeitig als Habilitation Soldner einen ersten Real-Time-Scanner, den so- 16 fungierte. Es war ein für Kratochwil charakteristi- genannten Vidoson entwickelt. Der Vidoson war 37. Jahrgang, 3/2019

vor allem in Deutschland sehr beliebt und auch vation aus Zipf als richtungsweisend und mündete ­Reinold verwendete ihn an der I. Frauenklinik, nach Verbesserungen der Computerleistung in der doch die puristischen Pioniere des Ultraschalls wa- 4D-Technologie. Der große Erfolg hatte die Kretz- ren von der mangelnden Tiefenauflösung und der technik jedoch auch auf dem internationalen Markt entsprechend schlechten Qualität nicht begeistert äußerst interessant gemacht. 1996 war die Firma und verließen sich weiterhin auf schwer zu entzif- vom koreanischen Konkurrenten Medison über- fernde, aber genauere Hilfsmittel. Einem australi- nommen worden, um kurz darauf an die GE-Grup- schen Team gelang es schließlich, die Vorteile der pe zu fallen, die nun in Zipf mit 250 Mitarbeitern beiden Methoden zu verbinden. Innovationen im ihren Hauptstandort für Ultraschallgeräte hat. Bereich der Ultraschallforschung hatte es in den vorherigen Jahrzehnten wahrlich genug gegeben, aber die Veränderungen, die nun stattfanden, wa- Perinatologie, Psychosomatik, Mutter- ren deutlich weitreichender. Die neue Real-­Time- Kind-Pass Technik vereinfachte das Scannen selbst, wie auch die dia­gnostische Interpretation enorm. Schon Mitte der dreißiger Jahre hatte der gebür- tige Innsbrucker Meinhardt Pfaundler als erster Manchen der alten Garde mag diese Verän- das Wort „perinatal“ für die Zeit vor und nach der derung nicht gefallen haben, doch aus unter- Geburt verwendet. Der heutzutage hauptsächlich schiedlichen Gründen war die Verbesserung des für seine Forschungen über Stoffwechselerkran- Real-Time-Scanning sowohl für Kratochwil, wie kungen bekannte Kinderarzt versuchte in seiner auch die Kretztechnik eine äußerst willkommene 1936 publizierten Arbeit „Studien über Frühtod, Entwicklung. Denn durch die Verbesserung dieser Geschlechtsverhältnis und Selektion“ die erhöhte Technologie kam einer von Kratochwil schon seit prä- und postnatale Sterblichkeit in Kontext zu langem propagierten Erfindung immer größere setzten. Diese erste Beschreibung eines perina- Bedeutung zu. Hatten in den 60er- und 70er-Jah- talen Zeitraums wurde aber nicht sofort in ihrer ren die meisten noch lächelnd oder entgeistert auf Tragweite und Nützlichkeit erkannt. Zwar gelang Kratochwils Transvaginalsonde reagiert, so war die es Sigismund Peller, einem in Wien ausgebildeten Sinnhaftigkeit dieser Erfindung durch die neuen und während des Krieges emigrierten Kinderarzt, Entwicklungen der Real-Time-Technologie für alle den Begriff der „perinatalen Mortalität“ in den USA erkennbar. In den kommenden Jahren sollten sich einzuführen (und als seine ureigenste Erfindung zwar auch andere Forschungsgruppen in diesem auszugeben), aber von weitreichender Forschung Bereich einen Namen machen, doch in der Ultra- in diesem, als solchem definierten, Bereich war schallforschung ist der Name Kratochwil untrenn- man damals noch weit entfernt. bar mit der Transvaginalsonographie verbunden. In den USA suchte Orvan W. Hess nach besseren Während Kratochwil persönlich zufrieden sein Möglichkeiten der fetalen Herztonmessung, doch konnte, war die Entwicklung für die Kretztechnik Früchte zeigte erst seine Zusammenarbeit mit dem auch wirtschaftlich von großer Bedeutung. Auf- damals als Post-Doc engagierten ­Edward Hon, die grund der langen Erfahrung, die die oberösterrei- nach dem Krieg begann und 1957 in der Präsen- chische Firma in diesem Bereich gesammelt hatte, tation eines ersten, monumentalen Herztonmess- konnte man nun kurz darauf zahlreiche neue In- gerätes gipfelte. Genau zur selben Zeit begann ein novationen vorstellen, die nicht nur auf der weiter- uruguayisches Forschungsduo in Montevideo mit hin engen Zusammenarbeit mit Alfred Kratochwil intrauterinen Druckmessungen zu experimen- fußten, sondern auch von jüngeren Kollegen mit- tieren und auch hier war die Zuhilfenahme eines entwickelt wurden. In diesem Kontext sind vor al- jungen Studenten Schlüssel zum Erfolg. Roberto­ lem die 1985 auf den Markt gebrachten Zusatzteile ­Caldeyro-Barcia hatte sein Medizinstudium noch des COMBISON 310 zu nennen, die speziell für die nicht einmal abgeschlossen, als er Hermogenes IVF, unter Mithilfe der österreichischen Experten Alvarez nach einer Präsentation abpasste und ­Kemeter und Feichtinger, entwickelt wurden. ihm zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der verwendeten Technik machte. Gemeinsam entwi- Doch damit nicht genug, denn die Kretztech- ckelten sie die Druckmessung weiter, widerlegten nik, die zum damaligen Zeitpunkt zur wichtigsten zahlreiche Theorien der Uterusmotilität und ent- europäischen Ultraschallfirma aufgestiegen war, wickelten ein Messsystem, das sie in „Montevideo-­ sorgte bald mit einer weiteren Erfindung für Auf- Units“ einteilten, mit denen unter anderem die für ruhr. Der erste 3D-Scanner der Welt wurde 1989 eine erfolgreiche Geburt notwendige Wehenstärke auf einem Kongress für Radiologie präsentiert und gemessen werden konnte. Kurz danach, 1958, prä- sollte die Firma in den kommenden Jahren radikal sentierte Caldeyro-Barcia ein Gerät zur gemeinsa- verändern. Während einige der 3D-Technologie men Messung der Wehentätigkeit und der fetalen skeptisch gegenüberstanden, erwies sich die Inno- Herzfrequenz und leitete aus den damit gewonnen 17 37. Jahrgang, 3/2019

Daten eine erste systematische Unterscheidung 1954 hatte Erwin Ringel am AKH eine eigene Ab- zwischen regulären und abnormalen Herztonmus- teilung für Psychosomatik eingerichtet und bald tern, die von ihm als „dips“ bezeichnet wurden, ab. sollten ihm Kollegen aus anderen Bereichen fol- gen. Hugo Husslein war einer der ersten, der in Hugo Husslein, der die große Zukunft der Perina- Österreich die Wichtigkeit der psychischen Aspek- tologie rasch erkannte, machte Kurt Baumgarten, te in der Gynäkologie und Geburtshilfe erkannte. damals Assistent, auf das sich stetig vergrößernde Marianne Springer-Kremser, eine Pionierin in die- Feld der intrauterinen Druckmessung aufmerksam sem Bereich erinnerte sich später, wie sie auf einer und ermöglichte ihm erste, ausgedehnte Studien- Tagung von Gynäkologen einen Vortrag zum The- aufenthalte. Baumgarten war zuerst bei Caldeyro-­ ma der weiblichen Psychosexualität hielt: „… im Barcia in Montevideo tätig und im Anschluss bei Anschluss an diesen Vortrag kam eine Einladung dessen wichtigstem Schüler Hendricks, der an der von Professor Hugo Husslein, dem damaligen Kli- damals noch als Western Reserve University be- nikvorstand, also von einem Frauenarzt, an seiner zeichneten Universität in Cleveland arbeitete. Klinik eine psychosomatische Ambulanz einzu- richten. Mir ist wichtig festzuhalten, dass dies die Zurück in Österreich publizierte Baumgarten Idee eines Gynäkologen und damals in Österreich seine aus diesen Aufenthalten hervorgegangene eine Pionierleistung war, denn es gab zwar die psy- Habilitation, die sich mit dem Thema der Uterus- chosomatische Abteilung, die Professor Ringel im motilität beschäftigte und seine weiteren For- Rahmen der psychiatrischen Klinik führte, aber in schungen, wie auch die weitere Entwicklung der sonst keiner organmedizinischen Klinik auch nur Klinik beeinflussen sollte. Doch Baumgarten war eine Kooperation in Fragen der Psychosomatik.“ nicht nur im Bereich der intrauterinen Druckmes- sung äußerst umtriebig. Er engagierte sich in der Schaller berichtet, dass obwohl Husslein mög- Erforschung und Prophylaxe der Rhesusinkom- licherweise schon früh an der Psychosomatik patibilität, erarbeitete einen Tokolyseindex und interessiert war, die Einrichtung dieser psycho- auch die Errichtung des ersten Intensivkreißsaals somatischen Ambulanz seine erste nennenswerte darf zumindest teilweise mit ihm in Verbindung Unternehmung in diesem Bereich gewesen sei. gebracht werden. Tatkräftige, finanzielle und or- Das ist nur bedingt richtig. Es mag stimmen, dass ganisatorische Unterstützung erhielt er dabei stets sich Hussleins Interesse in Österreich nicht sofort von Husslein, der ihm die Anschaffung einiger sehr institutionell niederschlug, doch er war internatio- teurer Geräte ermöglichte – ein Faktum, auf das nal schon lange in diesem Bereich aktiv gewesen. Baumgarten stets hinwies. Das Beispiel machte Husslein war Gründungsmitglied der Interna- Schule und auch die stets in leichter Konkurrenz tional Society for Psychosomatic Obstetrics and befindliche I. Frauenklinik machte unter ihrem ­Gynecology – ISPOG und hatte damit schon früh neuen Chef Gitsch zahlreiche Investitionen in versucht, Österreich im internationalen Diskurs zu diesem Bereich. Aus dem vormaligen „normalen“ eta­blieren. Kreißsaal wurde, wie es ein ehemaliger Mitarbei- ter beschreibt, eine Entbindungsstation: „Für jede Die 1960er Jahre waren in allen Bereichen der Gebärende eine abgeschlossene Entbindungskoje, Medizin Startpunkt einer neuen Internationalisie- eine zentrale CTG-Überwachungsanlage, ein eige- rung und größerer fächerübergreifender Zusam- ner Sektio-Operationssaal sowie ein allen Anfor- menarbeit, doch im Besonderen trifft dies auf den derungen gerechter Neugeborenenreanimations- sich erst entwickelnden Bereich der Perinatologie tisch.“ zu, an dessen Entwicklung Wien von Anfang an beteiligt war. In Österreich setzte sich ein Trio be- Die Fetalblutanalyse, die Amnioskopie, die Am- stehend aus dem früh verstorbenen Physiologen niozentese, die transabdominale Bluttransfusion Wilhelm Auerswald, dem Toxoplasmoseexperten und die Kardiotokographie revolutionierten in Otto Thalhammer, der schon 1967 als erster einen enormem Ausmaß die Geburtshilfe, das Zeitalter umfangreicheren Band zur Perinatologie heraus- des Feten als Person und Patient hatte begonnen. gegeben hatte, und dem schon erwähnten Kurt Baumgarten für eine breitenwirksamere Perinato- Doch nicht nur der Status des Feten in der Ge- logie ein. Auf der Heimreise nach einem Kongress burtshilfe änderte sich zu diesem Zeitpunkt, auch für Perinatologie beschlossen Otto Thalhammer neue Behandlungsmöglichkeiten im Bereich der und Kurt Baumgarten, eine Österreichische Ge- Psychosomatik eröffneten in der Gynäkologie und sellschaft für Perinatologie zu gründen. Nach meh- Geburtshilfe neue Perspektiven auf die Frau. Sug- reren Sitzungen Ende des Jahres 1972 war es 1973 gestive Elemente in der Behandlung von Frauen endlich soweit und die Österreichische Gesell­ gab es in fast allen Epochen der Medizingeschichte schaft für Perinatologie wurde offiziell gegründe- und auch die Psychoanalyse hatte sich mit speziell te. Sie sollte ihren Sitz an der II. Frauenklinik ha- 18 Frauen betreffenden Problemen beschäftigt. Schon ben und hatte mit dem damaligen Klinikvorstand 37. Jahrgang, 3/2019

Husslein einen bedeutenden Fürsprecher, der Hör- ten sich in den Bundesländern schon für ähnliche säle und manchmal selbst Kreißsäle für Kurse und Programme eingesetzt. So hatte Hugo Husslein, Sitzungen zur Verfügung stellte. damals Leiter der Semmelweis-Klinik, in den frü- hen sechziger Jahren für eine Modernisierung der Mit der steigenden Prominenz der Perinatologie Schwangerenbetreuung plädiert und bei der Stadt und ihres unbestreitbaren Erfolgs wurden die Rufe Wien die Einführung des so genannten Schwan- nach einer generellen Umstrukturierung der Ge- gerenpasses erwirkt. Aber erst die im April 1970 burtshilfe lauter. Besonders der deutsche Geburts- angelobte SPÖ-Minderheitsregierung sollte sich helfer Erich Saling setzte sich in diesem Bereich auf nationaler Ebene intensiver mit der Thematik ein und legte mit einigen Publikationen die Grund- auseinandersetzen. Unter Ingrid Leodolter wurde lage für eine Neuorientierung der Geburtshilfe, ein beeindruckendes Bündel an Maßnahmen in die im letzten Abschnitt noch genauer besprochen die Wege geleitet, das neben der Einführung von wird. Vor vierzig Jahren jedoch, als Saling nach Vorsorgeuntersuchungen, der Einrichtung eines dem großen Erfolg von „Das Kind im Bereich der ärztlichen Funkdienstes und einer großangelegten Geburtshilfe“ einen Artikel mit dem Titel „Vor- Reform des Spitalwesens auch ein Maßnahmen- schläge zur Neuordnung der Geburtshilfe“ vor- programm gegen die Kindersterblichkeit ent- legte, war das Echo verhalten bis verärgert. Denn hielt. Zur Ausarbeitung verließ man sich auf ein die fünf Verbesserungsvorschläge, die er auflistete, hochprofiliertes Team, das aus unterschiedlichen waren zum damaligen Zeitpunkt mehr als revolu- Bereichen rekrutiert wurde. Der Kinderarzt und tionär. Erstens, so argumentierte Saling, sollten Sozialmediziner Hans Czermak war federführend, Patientinnen mit Risikoschwangerschaften in Spe- der Neonatologe Andreas Rett für das Abdecken der zialzentren, nicht in normalen Krankenhäusern Neugeborenenversorgung verantwortlich und Kurt behandelt werden. Zweitens, im logischen Um- Baumgarten für die Perinatologie. Das Resultat des kehrschluss, sollte man sich bemühen, Patientin- Abwägens verschiedener Möglichkeiten, anhand nen ohne hohes Risiko zu Hause oder an „norma- internationaler Beispiele und die Integration eini- len“ Kliniken zu entbinden. Innerhalb des Feldes ger österreichischer Spezifika, wie Thalhammers der Gynäkologie, so Salings dritter Vorschlag, soll- Toxoplasmosetest, in einen einheitlichen Mutter- ten mindestens drei unterschiedliche Departments Kind-Pass konnte sich sehen lassen. Hatte Öster- entstehen, die für unterschiedliche Aspekte der reich noch 1973 eine perinatale Mortalität von 24,8 Gynäkologie verantwortlich sein würden. Viertens, ‰, verringerte sich diese Rate in den ersten fünf (!) in jeder Region sollten speziell ausgestattete Kli- Jahren um fast 50 %. niken für Hochrisikopatientinnen­ geschaffen wer- den, die mit Spezialisten und vor allem auch den Doch der Mutter-Kind-Pass verbesserte nicht nötigen Laboreinrichtungen aufwarten könnten. nur die Raten der Kindersterblichkeit, auch die Um die wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen in mütterliche Sterblichkeit ging von 1974 bis 1978 der Geburtshilfe zu verbessern, sollte an Universi- um fast ein Drittel zurück. Einer der Gründe für tätsspitälern nur mehr postgraduale Geburtshilfe den großen Erfolg des Mutter-Kind-Pass waren unterrichtet werden, um damit die Forschung und die an seine Verwendung geknüpften finanziellen Lehre effizienter zu gestalten. Zuschüsse. Für die vier Untersuchungen wäh- rend der Schwangerschaft wurden wie für die Zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der Ge- ersten vier Untersuchungen des Kindes jeweils burtshilfe wurden auch von österreichischen Ex- 8000 Schilling ausgeschüttet. Der Mutter-Kind- perten gemacht, die im Bereich der Perinatologie Pass steigerte die Untersuchungsfrequenz und bald an der Weltspitze zu finden waren. Doch trotz verbesserte­ durch die Vereinheitlichung der Kri- dieses Inputs blieb die perinatale Mortalitätsrate in terien die Kommunikation der verschiedenen Österreich hoch und es ist das Verdienst der ersten ­Ebenen. SPÖ-Alleinregierung, die Expertise, die in Öster- reich vorhanden war, zu nutzen, um das gesund- heitspolitisch wahrscheinlich größte Projekt der Das erste österreichische IVF-Baby Nachkriegszeit auf die Beine zu stellen: den Mut- ter-Kind-Pass. Forschungen zu den Grundlagen der Reproduk- tion waren in den 1960er und 1970er Jahren nicht Bis in die frühen siebziger Jahre war Österreich nur in England, sondern weltweit en vogue. In in der perinatalen Mortalität fast Schlusslicht Österreich hatte sich Hugo Husslein spätestens Europas. Eine internationale Vorreiterrolle hatte seit seiner Übernahme der II. Frauenklinik für die Schweden inne, in dem schon 1937 ein Programm ­Reproduktionsforschung eingesetzt und es war zur Schwangerenbetreuung ins Leben gerufen ihm unter anderem gelungen, einen großen Grant worden war und von dessen Zahlen man nicht der Ford-Foundation dafür zu lukrieren. Diese ge- nur in Österreich träumte. Einzelpersonen hat- meinnützige Organisation war zu diesem Zeitpunkt 19 37. Jahrgang, 3/2019

schon weitgehend aus dem Automobilkonzern aus- terungen waren äußerst sparsam und von einigen gegliederte und finanzierte eine Reihe von Arbeiten Seiten wurden Zweifel geäußert, ob den beiden zu verwandten Themen an Forschungsinstituten­ die In-Vitro-Befruchtung und Geburt wirklich auf auf der ganzen Welt. Für das von ­Husslein initi- diesem Wege gelungen waren. Anfang des Jahres ierte Projekt „Research on the time of ovulation“ 1979 sollten endlich alle Zweifel aus der Welt ge- flossen 40.000 Dollar, damals umgerechnet fünf schafft werden. Steptoe und Edwards würden bei Millionen Schilling, nach Wien. Husslein war die- einer Veranstaltung des Royal College of Obstetrici- ses – auch international ver­netzte – Projekt außer- ans and Gynecologists die Methoden präsentieren, ordentlich wichtig und er entband, auf Vorschlag die zu diesem Zeitpunkt schon zur Geburt eines des Endokrinologen­ Florian Friedrich den jungen weiblichen und eines männlichen Säuglings ge- Assistenten Peter Kemeter von allen klinischen führt hatten. Als Feichtinger von dem Kongress Arbeiten, um sich ganz der Organisation von Grant erfuhr, war er sofort „Feuer und Flamme“. Er bat Nr. 670- 0358, so das Chiffre der Ford-Foundation, Husslein, nach London fliegen zu dürfen, um, ohne zu widmen. Ein großer Teil des Geldes wurde für Einladung, am Kongress teilnehmen zu können. die Anstellung von Chemikern und Labormaterial Er erhielt die erhoffte Freistellung und am Kon- verwendet und es entstand ein kleines schlagkräf- gress angekommen, dokumentierte er nicht nur tiges Team, das zuerst aus Peter Kemeter, Florian die Forschungsergebnisse, um sie seinen Wiener Friedrich und Gerhard Breiten­ecker bestand. Kollegen zu berichten, sondern schoss auch einige Erinnerungsfotos, die er noch vierzig Jahre später In dieser Zeit waren beide Frauenkliniken in präsentieren konnte. diesem Bereich der Forschung höchst aktiv. An der I. Frauenklinik war unter Gitsch 1968 ein In den kommenden Monaten und Jahren sollte Hormonlabor entstanden, das von Spona geleitet viel Arbeit auf das Wiener Team warten, doch zuerst wurde und sich in den kommenden zwanzig Jah- waren die Beteiligten mit strukturellen Verände- ren in vielen Bereichen verdient machen sollte. So rungen beschäftigt. Fast genau einen Monat nach arbeitete man zum Beispiel an der Verbesserung dem Londoner Kongress, am 29. Februar 1979, schon bekannter Techniken zur Feststellung des emeritierte Hugo Husslein und am 31.10.1979 Eisprungs, die in einem weltweit adaptierten wurde Herbert Janisch als neuer Vorstand der II. Schnelltest mündeten. An der II. Frauenklinik Frauenklinik bestellt. Janisch, der von der I. Frau- unternahm Peter Kemeters Team zahlreiche enklinik in seine neue Position gewechselt war, Studien und publizierte in den 1970er Jahren eilte ein ausgezeichneter Ruf als Operateur voraus. ausgiebig und international. Die Resultate der II. In seiner bisherigen Karriere hatte er sich in drei Frauenklinik wurden auch auf damals noch viel Bereichen besonders hervorgetan: bei der Karzi- selteneren internationalen Konferenzen in den nombehandlung, der Beckenbodenrekonstruktion USA präsentiert, wobei das Jahr 1977, bei dem und der Sterilitätschirurgie. das Wiener Team in Detroit am C.S. Mott Center an der damals größten Konferenz unter dem Ti- Mit den Erkenntnissen der Londoner Konferenz tel „Human Ovulation: mechanisms, prediction, begann das Team um Kemeter, die Laparoskopien detection, and induction“ teilnahm, besonders zu zur Eizellentnahme besser und vor allem genauer nennen ist. Der Erfolg schien ihnen recht zu ge- zu planen, dennoch gestalteten sich die kommen- ben und so konnten auch neue Mitarbeiter für die den Jahre einigermaßen schwierig. Zwar waren Forschung rekrutiert werden, wie der damals am schon unter Husslein die Laboreinheiten der zwei- Beginn der Facharztausbildung stehende Wilfried ten Frauenklinik auf den neuesten Stand gebracht Feichtinger. worden, doch in diesem speziellen Bereich des Fa- ches gab es oft einfach kein Material. Feichtinger Kurz darauf machten Steptoe und Edwards in- erinnerte sich später an die Schwierigkeiten: „Aus ternationale Schlagzeilen. Es war den beiden nach Teflonschläuchen haben wir einen Embryotrans- zehnjähriger Forschung die Geburt eines schnell ferschlauch gemacht, für die Kulturmedien habe mit dem Zusatz „Retorten-“ versehenen Babys ge- ich Salze eingewogen und den pH-Wert eingestellt. lungen. Unter den zahlreichen, zwischen Euphorie Es gab damals nichts dafür.“ Die Eizellgewinnung und Apokalyptik schwankenden Zeitungsartikeln, wurde in Wien vorerst im Normalzyklus vorge- ging der epochemachende, aber vergleichsweise nommen, 24 bis 32 Stunden nach einem gemes- trocken betitelte Lancet-Bericht „Birth after the senen LH-Anstieg, das Ganze wurde durch eine reimplantation of a human embryo“ fast unter. Follikelmessung durch Ultraschall ergänzt. Es kam auch zu einer ersten Schwangerschaft, doch endete Der junge Wilfried Feichtinger hatte aus dem diese 1980 in einer Fehlgeburt. Kurier von der gelungenen IVF in England ge- hört und wollte bald mehr erfahren. Doch Steptoe Neben der Nährlösung gab es noch einen Be- 20 und Edwards machten sich rar. Die ersten Erläu- reich, in dem nicht nur das österreichische Team 37. Jahrgang, 3/2019

nach Verbesserungen suchte und das war die Zyk- ten „Ecke Spitalgasse-Lazarettgasse“ verließen und lusstimulation. Edwards und Steptoe hatten in den in das neue AKH einzogen, waren in den kommen- frühen 1970er Jahren mit stimulierten Zyklen ex- den Jahren mit einer Vielzahl struktureller Verän- perimentiert, waren aber von dieser Methode bald derungen konfrontiert. abgegangen und führten den Erfolg von 1978 unter anderem auf diese Veränderung zurück. Innerhalb der Klinik fand ein langer Entflech- tungsprozess statt, der die alten Strukturen der Anfang des Jahres 1982 waren die ersten wirk­ beiden Frauenkliniken nach und nach verschwin- lichen Erfolge zu vermelden. Am 05.08.1982 den ließ. Waren die fünf Abteilungen, die sich 1993 wurde in Wien der 3,65 Kilogramm schwere und konstituierten, noch mehr oder weniger stark an 52 cm große Zlatan Jovanovic geboren. Der „große ihren Vorgängern orientiert, folgte mit dem Jahr Bursche“, wie sich Feichtinger später ausdrückte, 2007 eine gänzlich neue Einteilung in drei klini- musste mit der Zange herausgeholt werden. Dem sche Abteilungen, die auch anhand der Empfehlun- Wiener Team war es damit gelungen, in Öster- gen ausländischer Fachgesellschaften geschaffen reich als sechstem Land weltweit eine erfolgreiche wurde. Übrig blieben damit die drei Abteilungen: IVF-Schwangerschaft mit anschließender Geburt Allgemeine Gynäkologie und gynäkologische On- zu erzielen. Kurz darauf folgte ein weitere Rekord, kologie, Geburtshilfe und feto-maternale Medizin denn die wenige Tage später zur Welt gekomme- und die Abteilung für Gynäkologische Endokrino- nen Zwillinge, die ebenfalls durch IVF gezeugt logie und Reproduktionsmedizin, die bis heute be- worden waren, waren die ersten in Europa. Doch stehen. hinter den Kulissen der Erfolgsmeldungen hatte es zu gären begonnen und in Wien passierte, was Die 2000er Jahre sahen aber noch weitreichen- sich in vielen anderen Ländern wiederholen sollte: dere Änderungen, die die Grundlagen der Universi- Ein Teil des Teams spaltete sich ab, um eine pri- tätsklinik massiv verändern sollten, wobei das Uni- vate Klinik aufzumachen. Der Markt der IVF ent- versitätsorganisationsgesetz von 2002 sicherlich wickelte sich vor allem dank der in Österreich nur die größte Rolle spielte. Neben der Neuordnung sehr langsam in Gang kommenden Regulierung akademischer Hierarchien ging durch das Gesetz, rasant und stellt bis heute ein höchst komplexes das 2004 in vollem Umfang umgesetzt wurde, aus Bild dar. der medizinischen Fakultät der Universität Wien die „Medizinische Universität Wien“ hervor. Diese sollte, wie alle anderen Universitäten des Bundes, Umbruch und Entwicklung seit den über Leistungsvereinbarungen finanziert werden – 1990er Jahren ein Steuerungsinstrument, das notwendigerweise auch den Kostendruck erhöhte. Dazu kamen auch In den letzten drei Jahrzehnten kam es in der Wie- große Veränderungen im Bereich der Lehre. Im ner Gynäkologie und Geburtshilfe zu einer großen neuen Curriculum übernahm die 2002 an der Uni- multifaktoriellen und noch nicht abgeschlosse- versitätsklinik für Frauenheilkunde eingerichtete nen Umstrukturierung, deren Auslöser teilweise Abteilung für Lehre und internationale postgra- in Österreich, teilweise in weitläufigeren, inter- duelle Fortbildung den seither besonders belieb- nationalen Veränderungen zu suchen sind. Mit ten Block 15 und trug auch mit zahlreichen Aus- dem Beginn des Baues des neuen AKHs zeichnete tausch- und Förderungsprogrammen maßgeblich sich im Gefüge der Wiener Frauenkliniken eine zur Entwicklung und internationalen Vernetzung epochale Veränderung ab. Aus den zwei Frauen- der Klinik bei. kliniken des zwanzigsten Jahrhunderts, die aus den drei Kliniken des neunzehnten Jahrhunderts Die vermutlich größte Revolution der kom- hervorgegangen waren, sollte eine einzige Klinik menden Jahre, die auch die Gynäkologie und Ge- für Frauenheilkunde entstehen. Das 1989 durch burtshilfe in großem Ausmaß betreffen wird, liegt eine Mehrheit des Fakultätskollegiums beschlos- allerdings in den sich durch die Fortschritte der sene Ende der I. und II. Frauenklinik fand unter Genetik kontinuierlich verändernden medizini- der Belegschaft zuerst nicht viele Freunde. Die da- schen Rahmenbedingungen. Durch die großen maligen Leiter, Gitsch und Janisch, lancierten eine Genomprojekte, wie die Fortschritte in der Labor- Petition, um die Integrität der beiden Frauenkli- medizin, verändern sich alle Bereiche der Medizin niken zu retten, die immerhin von 46 Professoren rasant. Hier kommen große gesellschaftspolitische des Kollegiums unterzeichnet wurde, jedoch keine Diskussionen auf die österreichische Medizin­ und Änderung der Pläne erwirken konnte. Mit der Über- die Bevölkerung zu. Es ist das Verdienst von Peter siedelung änderten sich nicht nur die physischen Husslein, die positiven und potenziell problema- Gegebenheiten, sondern auch die organisatorische tischen Entwicklungen in diesem Bereich sowohl Struktur. Die Gynäkologen und Geburtshelfer, die innerfachlich wie auch in den Medien öffentlich- nach und nach die Einrichtungen an der berühm- keitswirksam aufs Tapet gebracht zu haben. 21 37. Jahrgang, 3/2019

Die Universitätsklinik für Frauenheilkunde wird LITERATUR: beim Verfasser als Referenzzentrum, und mit der größten Exper- tise in diesem Bereich, eine Vorreiterrolle über- nehmen und ihre (derzeitigen und ehemaligen) Korrespondenzadresse: Mitarbeiter werden in den kommenden Jahren, wie Dr. Jakob Lehne, Historiker auch in den vergangenen Jahrhunderten, wichtige Josephinum Wien Beiträge zu den großen gesellschaftlichen Diskus- A-1090 Wien, Währinger Straße 25 sionen liefern. E-mail: [email protected]

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