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3. Cervantes’ Moriske Ricote – eine Spur in die spanische Islamgeschichte?

„Freund Sancho“ und „Bruder Ricote“

Eigentlich liest sich die Szene wie so viele eingefügte Novellen im Don Quijote. Eines Tages taucht da im Zweiten Teil des Romans in Sancho Pansas Heimatdorf eine Gruppe deutscher Pilger auf. Sie sind auf dem „französischen Weg“, der zur Grabkirche des Apostels Jakob in Santiago de Compostela führt. Seit dem 10. Jahr- hundert wurde er als „Maurentöter“ und Schutzpatron der Reconquista gerühmt. Eine solche „Wiedereroberung“ nannten die geistlichen Ideologen jene jahrhun- dertelangen Kriege, die die nördlichen Christenreiche der Iberischen Halbinsel gegen die angeblich widerrechtlichen muslimischen Besetzer von al-Andalus ge- führt hatten. Plötzlich tritt einer von ihnen hervor und ruft in „reinem Kastilisch“: „Ist es möglich, Freund Sancho Pansa, daß du deinen Nachbar nicht kennst, den Morisken Ricote, den Gewürzkrämer aus deinem Dorfe?“ Wer da in „närrischer Verkleidung“ steht, war heimlich aus Augsburg nach Spanien zurückgekehrt. Die Ausweisung der getauften Muslime aus Spanien hatte 1609 begonnen. Sechs Jahre danach verö entlichte Cervantes die Fortsetzung des Don Quijote. Der verblü te Sancho freut sich nicht allein herzlich über das Wiedersehen, er teilt mit dem „Bru- der Ricote“ und seinen deutschen Gefährten ein üppiges Mal aus Schinken und Wein, was mit den Speisegeboten eines ehemaligen Moslems eigentlich unverein- bar ist. Dabei berichtet der Moriske über seine Wanderschaften in Frankreich, Ita- lien bis nach Augsburg:

„[…] und hier, schien es mir, könne man mit mehr Freiheit leben, denn die Einwoh- ner nehmen es nicht genau: jeder lebt da, wie es ihm gut dünkte, denn an den meisten Orten kann man mit aller Gewissensfreiheit wohnen.“197

Das Stichwort „Gewissensfreiheit“ fällt allerdings erst, nachdem Ricote sein ganzes Unglück als Ausgewiesener beschrieben hat: „Wo wir auch sind, beweinen wir Spa- nien, denn hier wurden wir geboren, und es ist unser wahres Vaterland […]“ Nun o enbart er dem Gevatter Sancho seine Absicht, einen Schatz auszugraben, den er vor seiner Abreise außerhalb des Dorfes versteckt hatte. Das Geld braucht er jetzt dringend, um zu seiner Frau und Tochter nach Algier zu reisen. Beide möchte er über „einen französischen Hafen […] nach Deutschland bringen.“ Und er fügt hinzu, dass er sehr gut weiß, daß die Ricota und Anna Felix „gute katholische

197 , (Anm. 22), Bd. 2, S. 462, 465f. 70 CERVANTES’ MORISKE RICOTE

Christen sind, und wenn ich es nicht ganz so bin, so bin ich doch immer mehr ein Christ als ein Mohr […]“198 Als Belohnung für seine Mithilfe bietet er Sancho „zweihundert Taler“ an. Er, der sich immer gleichermaßen als freundlicher Nachbar wie als „alter Christ“ ver- standen hat, wehrt indessen ab: „Ich könnte es tun, aber ich bin gar nicht geldgie- rig.“ Ein paar Kapitel später tre en sie wieder in Barcelona zusammen. Der Anlass ist spektakulär: Eine korsarische Brigantine war gesichtet und von königlichen Ga- leeren in den Hafen geleitet worden. Dem algerischen Schi entsteigt ein schöner Jüngling, der sich rasch als „ein christliches Mädchen“ erweist. Dem anwesenden Vizekönig erzählt sie ihre Abenteuergeschichte als vertriebene Moriskin in Algier. Dort erfuhr der Korsarenkönig bald von ihrer Schönheit und befahl ihr, in sein Haus zu kommen. Um sich zu retten, gaukelte sie ihm vergrabene Reichtümer vor, deren heimatlichen Fundort nur sie kannte. Gerade hatte sie seine Habgier ge- weckt, als die Nachricht von einem „der edelsten und schönsten Jünglinge“ die Runde machte, den man in diesem Augenblick als Christensklaven an Land ge- bracht hatte. Ana Felix wusste sofort, wer er war. Denn vor ihrer Vertreibung hatte sich ein „vornehmer Majoratsherr“ in sie verliebt und wollte selbst bei der Über- fahrt nicht von ihr lassen: „Er mischte sich unter die Morisken, die von anderen Orten kamen, weil er ihre Sprache sehr gut zu reden wusste, und auf dem Wege ward er der Freund von meinen beiden Oheimen.“199 Jetzt gelang ihr ein heimli- ches Tre en mit dem Geliebten. Sie besorgte ihm Kleider einer „Mohrin“, und stieg selbst in Männerkluft auf ein Schi , mit dem sie ein „spanischer Renegat“ zu den spanischen Schätzen bringen sollte. Während Ana „ihre betrübte Pilgerschaft“ erzählt, löst sich ein „alter Pilgrim“ aus der Menge und ruft aus: „O Anna Felix, meine unglückselige Tochter, ich bin dein Vater Ricote […]“ Sancho, der seinem Herrn Don Quijote nach Barcelona gefolgt war, erkennt sofort seinen Nachbarn wieder und bürgt jetzt für ihn: „Ich kenne den Ricote sehr gut und weiß, daß er darin die Wahrheit sagt […]“ Darauf sinnen der Vizekönig von Barcelona und sein Gefolge, „wie man den Don Grego- rio aus der Gefahr befreien“ könne: „Ricote bot für ihn mehr als zweitausend Du- katen, welche er in Perlen und Juwelen bei sich hatte.“200 Schließlich bietet sich der Renegat an, der eigentlich ein „heimlicher Christ“ geblieben ist, mit diesem Auf- trag noch einmal nach Algier zurückzukehren. Die Befreiung glückte, und „der Renegat vereinigte und versöhnte sich wieder mit der Kirche und wurde wieder aus einem faulenden Gliede ein reines und gesundes, durch Buße und Reue.“201 Der Vizekönig und sein Freund Don Antonio sprechen nun „über die Art und Weise, wie man es einrichten könne“, daß „[…] Anna Felix und ihr Vater in Spa- nien blieben, da es ihnen nichts Unerlaubtes schien, daß eine so christliche Tochter

198 Ebd., S. 466. 199 Ebd., S. 548. 200 Ebd.. S. 550, 551, 552. 201 Ebd., S. 562.