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T D L O G N A M

Frisch 1973 auf dem Balkon N O V

seiner Berliner Wohnung E T A N E R

AUTOREN „So spät ist es schon?“ Das „Berliner Journal“ des Schweizer Schriftstellers lag 20 Jahre lang im Safe einer Zürcher Bank. Die jetzt veröffentlichten Auszüge aus dem Tagebuch zeigen ihn als genialen Beobachter – auch seiner selbst. Von Volker Hage

ax Frisch war Anfang siebzig, An diesem Tag in Zürich erzählte wo es seither gut gesichert verwahrt wird. als wir uns in Zürich trafen, im Frisch auch von einem „Journal intime Die Auswahl mit dem Titel „Aus dem Ber - MSpätsommer 1982. Wir standen aus der Berliner Zeit“, in dem er über liner Journal“ umfasst die ersten beiden damals im gerade entstehenden Max- Politisches, aber auch sehr Privates ge - von insgesamt fünf Ringbüchern – aller - Frisch-Archiv in der Eidgenössischen schrieben habe, „meist in Krisenzeiten, dings mit etlichen Auslassungen*. Tech nischen Hochschule, an der er einst dann wieder über Monate gar nichts“. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in Architektur studiert hatte. Frisch war in Tagebuch-Aufzeichnungen aus den Jah - den Persönlichkeitsrechten der damali - Scherzlaune . ren von 1973 bis 1980, die vorerst gesperrt gen, 28 Jahre jüngeren Ehefrau Marianne Das Archiv sollte natürlich nicht „wie seien. Das „Berliner Journal“, wie er es Frisch. Die beiden waren von 1968 bis im Selbstbedienungsladen zur Verfügung“ nannte, dürfe erst 20 Jahre nach seinem 1979 verheiratet, und die Ehe war, wie stehen. Da müsse man schon ein speziel - Tod geöffnet werden. man aus Frischs 1975 publizierter auto - les Interesse angeben. Es solle kein Ehe - In dieser Woche nun wird zumindest ein biografischer Erzählung „Montauk“ weiß, mann „mal eben schauen können, ob et - Teil jenes geheimnisumwitterten Manu - was war zwischen seiner Frau und mir – skripts der Öffentlichkeit zugänglich, das * Max Frisch: „Aus dem Berliner Journal“. Herausge - und enttäuscht von dannen ziehen, weil bis April 2011 im Safe einer Zürcher Bank geben von Thomas Strässle unter Mitarbeit von Margit sie da nirgendwo erwähnt wird“. lag und von dort aus direkt ins Archiv kam, Unser. Suhrkamp Verlag, Berlin; 236 Seiten; 20 Euro.

122 " #!  3/2014 Kultur schon lange vor der endgültigen Tren - sen, um zu wissen, dass alles unbrauchbar nung großen Zerreißproben ausgesetzt. ist.“ Er hat ein Bild für seine Situation, Marianne Frisch, inzwischen auch über schlicht, schön und schonungslos: „Der siebzig, wurden die zur Publikation an - Wärter in einem Leuchtturm, der nicht stehenden Teile im Frühjahr 2013 in Zü - mehr in Betrieb ist; er notiert sich die rich in den Räumen des Max-Frisch-Ar - durchfahrenden Schiffe, da er nicht weiss, chivs vorgelegt. „Nachdem ich es gelesen was sonst er tun soll.“ hatte, war ich sehr erleichtert“, sagte sie Sorgen bereitet ihm besonders sein vergangene Woche am Telefon, „einfach, Kurzzeitgedächtnis. Er empfindet Unsi - weil es mir literarisch gefiel.“ Sie habe cherheit, vor allem in Gesellschaft. „Ich keine Silbe moniert. habe neulich oder sogar gestern etwas ge - Dazu besteht auch kaum Anlass. Im lesen, das Gespräch kommt darauf, und Tagebuch-Fragment, wie es jetzt vorliegt, es fehlen mir Daten, Namen etc., sogar tritt Marianne Frisch – oft unter dem Kür - die Erinnerung an meinen Gedanken zel M. – zwar regelmäßig auf, aber ohne dazu; ich weiss im Augenblick nur, dass jede Ranküne. Wenn es um die Probleme ich es gelesen habe.“ des Ehepaars geht, so ist es eher Frisch Und er beschreibt die Situation, wenn selbst, der sich nicht gut dabei wegkom - jemand behauptet, er, Frisch, habe doch men lässt. Man ahnt freilich, dass sich kürzlich dies oder das gesagt: „Und ich hinter den Auslassungspunkten auch Wut, kann mich nicht daran erinnern; ich habe Streit und Empörung verbergen. es zu glauben, auch wenn es eine Unter - Keine Indiskretionen also. Vielmehr stellung ist, mein Gedächtnis kann es we - Porträts von Schriftstellerkollegen in West der bestätigen noch widerlegen.“ Auch Enzensberger 1972 und Ost und Einsichten in das Innenleben hat er das beklemmende Gefühl, er kön - der DDR und das Verhalten der Men - ne sich für nichts mehr verbürgen: „Man schen dort. Dazu Skizzen aus dem West- wird sich selber unglaubwürdig und tut Berliner Alltag, Beobachtungen, Träume besser daran, zu schweigen. Nachher und Visionen – wie es vom versierten Ta - weiss ich aber nicht einmal, was ich ver - gebuch-Autor Frisch nicht anders zu er - schwiegen habe.“ warten ist. Auch Selbstzweifel, Versagens - In Wahrheit ist Frisch in seinem ersten ängste und Depressionen fehlen nicht. Jahr in Berlin alles andere als unproduk - Im Februar 1973 zieht das Ehepaar tiv. Gerade erst ist das umfangreiche „Ta - Frisch in die neuerworbene Wohnung in gebuch 1966 – 1971“ erschienen. Im Herbst Berlin-Friedenau, Sarrazinstraße. Der 1973 schreibt er das kritische „Dienstbüch - Umzug ist für Frisch ein erneuter Versuch, lein“ über seinen Dienst bei der Schwei - Abstand zur Heimat Schweiz zu gewin - zer Armee. Außerdem bereitet er die pro - nen. Außerdem leben Kollegen in unmit - vozierende Rede „Die Schweiz als Hei - telbarer Nähe, Günter Grass, Uwe John - mat?“ vor. Und er arbeitet beharrlich an son, auch . jener Erzählung, die später „Der Mensch Und im Ostteil der Stadt , erscheint im Holozän“ heißen wird – und Wolf Biermann und . Über - von der er immer wieder neue Fassungen haupt interessiert ihn alles, was sich im anfertigt. Osten abspielt. Das schwache Kurzzeitgedächtnis hin - Wolf 1974 Gleich am ersten Abend ist das Ehe - dert ihn übrigens nicht daran, Menschen paar bei Grass eingeladen, es gibt Nieren. mit beneidenswerter Beobachtungsgabe Anna Grass leiht den beiden in den nächs - und Wachsamkeit zu schildern. Es sind ten Tagen Betten für die noch weitgehend ausgefeilte Porträtskizzen voller Empa - leere Wohnung, Johnson sorgt für einen thie. Und nicht ohne Widerhaken. Arbeitstisch. Mit ihm und seiner Frau Eli - Fasziniert und befremdet ist er immer sabeth geht man italienisch essen. Frisch wieder von Günter Grass, mit dem es ) . U ( notiert: „Es stimmt nicht, dass im Alter zu einer freundschaftlichen Beziehung G N A L

keine neue Freundschaft mehr entstehe.“ kommt. Grass sei im privaten Umgang D I D

Er fühlt sich willkommen in Berlin. Es auf natürliche Art bescheiden, „bedürftig N A C

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überrascht ihn, dass er auch hier von nach Sympathie, auch fähig zur Anteil - ) . M ( Fremden erkannt wird, in Geschäften, in nahme“. Jedenfalls solange man unter M U A

der Bank, von einem Handwerker. Er sich bleibt: „Wenn der Kreis grösser ist, B L H O schreibt: „Gelegentlich wundere ich mich, wenn Fremde zugegen sind, kann er nicht E D L

dass ich 62 werde. Kein körperliches Ge - umhin, redet als Instanz.“ O S I

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fühl davon, dass es in wenigen Jahren zu Sie sprechen auch darüber, was Grass . O (

Ende ist. Wie bei einem Blick auf die Uhr: der Auftritt als „politisch-öffentliche S U C O

So spät ist es schon?“ Figur“ an literarischer Potenz gekostet F

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Doch er weiß nicht, was er Neues be - haben mag. Frisch warnt vor einer Kastra - T N E G

ginnen könnte. Dabei arbeitet er täglich tion der Phantasie durch den Trend zum A

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sechs bis acht Stunden, meistens ist er Pragmatischen und Didak tischen. „Er ist E U A B schon morgens um acht Uhr dabei, „ge - nicht einverstanden, teilt solche Beden - D E Biermann 1971 I waschen, gekleidet, ausgestattet mit der ken gar nicht, hört sie sich aber an; das R F L I ersten Pfeife“. Doch er hat den Eindruck, war vor einem Jahr noch nicht möglich.“ W dass ihm fast nichts gelingt: „Meistens Im Tagebuch aber schreibt er: „Anruf Berliner Nachbarn und Kollegen brauche ich es nicht einmal wiederzule - von einer Redaktion genügt, und er ver - „Man hat seine Freude an einander“

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sen? „Er bleibt an seinen Irrtümern nicht frei von Illusionen. Was er sieht: „Büro - kleben, sie lassen ihn frei. Ein angeneh - kratismus mit sozialistischer Phraseo- mer Mensch, der sich selber nichts nach - logie, Staatskapitalismus ohne die min - trägt.“ deste Mitbestimmung von der Basis her.“ Oft reichen wenige Worte zur Charak - Die Mauer betrachtet er mit kühlem terisierung. Über Johnson heißt es: „Ein Architektenblick, was das Monströse des Puritaner, alles andere als kleinkariert. Baus noch krasser hervortreten lässt. Er Ein Nordmann, der nichts auf die leichte sieht „Betonpfosten, dazwischen hori - Schulter nimmt. Hart und herzlich.“ Über zontale Platten aus Fertig-Beton“ und Jurek Becker: „Ein Geschichtenerzähler, „oben ein Betonrohr (wie Drainage- man mag ihn sofort; Selbstbewusstsein Rohre), dessen Rundung dem Flüchtling ohne Allüre.“ keinen Griff bietet“. Und dann ist da Wolf Biermann in Mit Anteilnahme beschreibt Frisch die der Chausseestraße, Ost-Berlin: „Poet, Verbiegungen der Menschen, die bei je - Kämpfer, Clown. Das Brecht-Erbe bleibt der falschen Äußerung um ihre Stellung unüberhörbar im Text wie in der Musik; und ihren Posten bangen. Es müsse des - der Vortrag hingegen ist ganz und gar wegen nicht jeder zum Spitzel werden, sein eigener, zwingend in seiner wilden „aber Vorsicht ist schon nötig: nichts ge - Komik.“ Interessiert beobachtet Frisch sagt haben, was die Obrigkeit, die Partei, die unterschiedlichen Strategien, gegen irritieren könnte“. die Mächtigen in der DDR aufzube- Eine Schlussszene: Im März 1974 be - gehren und sich doch in dem Staat gleitet ihn seine Frau Marianne beim Ein - einzurichten: „Biermann ist aus der Er- kauf. Passende Kleidung für eine anste - bit terung heraus, aber kein Achselzu - hende Reise in die USA muss besorgt N I L

R ckender, er schildert das Duckmäuser- werden, Hosen, Hemden, ein Mantel – E B

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T System mit einer rasanten Heiterkeit, auf dass er dort „anständig dastehe“. S N

Ü ohne Larmoyanz.“ Frisch fühlt sich unwohl im Laden, fragt K

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D Natürlich Christa Wolf und ihr Mann, sich, was die junge Verkäuferin wohl

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M die er beide schon von einer früheren Be - über das Paar denkt. Im Spiegel sieht er E D A

K gegnung her kennt: „Ihre neue Art, offen sich mit Entsetzen: „Dieser verfettete A

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A zu reden, ohne Zweifel loyal gegenüber Alte, der ich bin!“ Er empfindet seine M A R

dem System, kritisch-offen, ohne dass der „groteske Unzumutbarkeit für M.“, wie A I R

A Besucher dazu nötigt; aber bald ist die er es formuliert. M

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S DDR natürlich doch das Thema. Nicht Es ist auch eine Art Schlussszene für O T O

F aufdringlich, nur ebenso offen ist ihre das Ehepaar Frisch. Die in den zwei Jour - Autoren Frisch, Grass in Berlin 1975 Überzeugung, dass die Leute hier huma - nal-Teilen, wie sie jetzt veröffentlicht „Wie heilt man ihn?“ ner sind, Menschen. Dies ohne Polemik werden, allenfalls angedeuteten Krisen gegen den Westen. Unser Gespräch, auch und Querelen werden langfristig zu einer lautbart. Als könne er Aktualität ohne bei Sympathie, bleibt sorgsam, nicht ohne Trennung führen. Auf der USA-Reise, Grass nicht ertragen. Wie heilt man ihn? Scherz.“ die bevorsteht, wird Frisch nur wenige Einige behaupten, er höre auf mich wie Frisch ist oft in Ost-Berlin zu Besuch. Wochen später eine junge Amerikanerin sonst auf niemand. Mag sein; weil ich zu Er wird gebeten, aus seinem Werk zu le - kennenlernen. unscharf widerspreche.“ Es geht Frisch sen, meist in privatem Kreis unter Kolle - Trotz allem ist die Teilveröffentlichung ganz fürsorglich darum, „ihm die Sucht gen. Es gibt auch einen halböffentlichen jetzt eine zweischneidige Angelegenheit. zu lindern“. Grass, so nimmt Frisch es Auftritt. Und er verhandelt mit Verlags - Als wir zu Beginn der achtziger Jahre wahr, habe kein Gefühl dafür, wie er leuten über eine DDR-Ausgabe seines über sein gesperrtes Tagebuch sprachen, wirke: „Ich treffe kaum jemand, der mit 1972 veröffentlichten Tagebuchs und ei - war er entschieden der Meinung, dass das Sympathie von ihm spricht, das Freund - niger Essays. Es ergeben sich dabei, wie Private vom Übrigen nicht zu trennen sei. lichste ist Bedauern.“ nicht anders zu erwarten, Probleme mit „Das Tagebuch hat sehr viel mit der Ehe Knapp und prägnant fällt das Psycho - kritischen Notizen über die Sowjetunion. zu tun, darum kann ich es nicht vorlegen, gramm eines anderen benachbarten Dich - Aber man sagt es ihm dezent, man möch - will es auch nicht“, sagte er damals. „Das ters aus, der ihm auch ein Stück weit te nicht wie ein verlängerter Arm der Ganze ist eine Einheit, alles geht ineinan - fremd bleibt, an dem er gleichwohl gro - Zensur erscheinen. Und er ist zwar wach - der über, ich kann da nicht einfach einen ßes Gefallen findet: Hans Magnus Enzens - sam, aber umgänglich, er möchte nieman - Teil herauslösen, und ich möchte auch berger. Vielleicht auch, weil der sich po - dem zu nahe treten oder gar überheblich nicht bearbeitend herangehen.“ litisch nicht festlegen lässt. Zumindest wirken. Es sei kein Sudelheft, betonte er da - verspürt Frisch keinen Drang, seinen Kol - „Viel Unsicherheit scheint dadurch ver - mals, sondern ein durchgeschriebenes legen auf frühere Deklarationen und ursacht“, hält er fest, „dass sie keine an - Buch: „Auch die privaten Sachen sind ins Positionen anzusprechen: „Kommt es im dern Länder kennenlernen können; das Reine geschrieben, ausformuliert, nicht heiteren Gespräch doch dazu, so weicht zehrt am Selbstvertrauen gegenüber dem einfach nur Notizen.“ Der Zwang zur For - er keineswegs aus, aber er wird auch nicht Ausländer.“ Und der Blick des Schwei - mulierung sei wichtig, „sonst wird es das aggressiv.“ zers, frei von deutschen Befangenheiten, pure Selbstmitleid“. Frisch beobachtet genau: „Er spricht ist es auch, der ihm Einsichten und Durch - Der Stiftungsrat der vom Schriftsteller von Phasen, und ich sehe, sie haben ihm blicke in das Getriebe der DDR erlaubt. selbst noch ins Leben gerufenen Max- nichts angetan; keine Narben. Wie kaum Heute wirken diese Passagen geradezu Frisch-Stiftung hat sich für eine auszugs - einer in der Gegend geht er auf Ironie je - wie ein vorausblickender Abgesang auf weise Publikation entschieden – und die den Grades ein, lacht sofort und unbeflis - den Staat. grundsätzliche Freiheit dazu, heißt es, sen, man hat seine Freude an einander.“ Frisch ist, im Gegensatz zu anderen habe Frisch ihm eingeräumt. So soll es Wie wäre dieser Mann besser zu erfas - westeuropäischen Linken aus jener Zeit, denn recht sein.

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