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Materialien für Lehrerinnen und Lehrer 2

Verbündete, Weggefährten, Seelenverwandte

Freundschaften im Kontext der Weimarer Klassik ca. 9km

Schloss und Park Tiefurt ca. 3km S. 15, 16

Jakobstraße ca. 10km Roll- platz Schwanseestraße Tiefurter Allee Wielandgut

Karl-Liebknecht-Straße Oßmannstedt S. 20, 21, 22 Graben

Coudraystraße Jenaer Straße

Goetheplatz Stadtschloss Herder- platz

Goethe-Schiller-Denkmal S. 10 Leibnizallee

Herzogin Anna Wittumspalais Markt S. 14 Amalia Bibliothek (Studienzentrum) S. 9 Schillerstraße

Am Horn

Steubenstraße

Ackerwand Goethe-Nationalmuseum Wieland- platz (Ausstellung und Wohnhaus) S. 8

Trierer Straße Marienstraße

Humboldtstraße

Amalienstraße Park an der Ilm

Am Poseckschen Garten

Rudolf-Breitscheid-Straße Historischer Friedhof

Fürstengruft Belvederer Allee

Berkaer Straße

N

Schillermuseum Rudolstadt

100 m Verbündete, Weggefährten, Seelenverwandte Freundschaften im Kontext der Weimarer Klassik

2 Einleitung

7 Literarisches Arbeitsbündnis Johann Wolfgang Goethe und 8 Gemeinsam gegen Kritiker Manuskript der im Goethe-Nationalmuseum 9 Nähe auf Distanz Briefwechsel von Goethe und Schiller in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 10 Freundschaft auf den Sockel gehoben Das Goethe-Schiller-Denkmal auf dem Theaterplatz

13 Hö sche Lebensgemeinschaft Anna Amalia und Louise von Göchhausen 14 Unterhaltung für die Herzogin Porzellantasse mit Kartenspielern im Wittumspalais 15 Tiefurter Geselligkeit Naturbühne des Liebhabertheaters im Tiefurter Park 16 Auf der Suche nach Arkadien Aquarell der italienischen Reisegesellschaft Anna Amalias im Schloss Tiefurt

19 »Lieber Vater« und »Seelentochter« Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano 20 Zu ucht bei Freunden Gutshof und Parkanlage des Wielandguts Oßmannstedt 21 Vertraute Gespräche über Literatur Manuskript des Aristipp im Wielandgut Oßmannstedt 22 Freundschaft über den Tod hinaus Grabmal im Park des Wielandguts Oßmannstedt

24 Literaturverzeichnis Einleitung

»Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Johann Wolfgang Goethe und nicht zuletzt Friedrich Schiller. Und liefert sich aus dem Tyrannen« Das Thema »Freundschaft« war in vielen ihrer Werke präsent. Ob reale Freundschaften in Weimar um 1800 als Vorbilder Diese Verse stammen aus der Bürgschaft, jener berühmten dienten, lässt sich heute nicht mehr zuverlässig ermitteln. Ballade von Friedrich Schiller, in der nicht einmal die Angst Auf jeden Fall gab es aber in der Residenzstadt des Herzog- vor dem Tod die Freundschaft zwischen zwei Männern tums Sachsen-Weimar- vielfältige Formen freund- erschüttern kann. Ihre bedingungslose Aufrichtigkeit und schaftlicher Zusammenschlüsse: sei es das produktive Schaf- Treue rettet den beiden Freunden am Ende das Leben – und fensbündnis zwischen Goethe und Schiller, sei es die von bekehrt zudem den rücksichtslosen Tyrannen. hö schen Konventionen bestimmte Gemeinschaft zwischen Geschrieben wurde die Ballade 1798 in Jena; ein Jahr spä- Herzogin Anna Amalia und ihrer Hofdame Louise von Göch- ter zog Schiller in das benachbarte Weimar, eine kleine Resi- hausen, sei es die »Seelenfreundschaft« zwischen Wieland denzstadt, die sich in jenen Jahren zu einem kulturellen und Sophie Brentano. Aus den Zeugnissen dieser Beziehun- Zentrum in Deutschland entwickelte. Seine zunehmende Be- gen, vornehmlich aus Briefen und Bildnissen, können wir deutung verdankte Weimar vor allem vier berühmten Auto- noch heute viel über die Epoche um 1800 und die Freund- ren: Christoph Martin Wieland, , schafts ideale dieser Zeit erfahren.

Freundschaft im 18. Jahrhundert Chr. D. Rauch: Entwurf des Goethe-Schiller-Denkmals, 1849 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestimmte der aufkläreri- sche Rationalismus die Freundschaft als eine »vernünftige«, für eine funktionierende Gesellschaft zentrale Grundeinstel- lung, die gegenüber jedermann zu gelten habe. Freundschaft war eine P icht für jeden Menschen, individuelle Gefühle spielten dabei eine untergeordnete Rolle. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hingegen wurde die Emotiona- lität im Zuge von Emp ndsamkeit und Pietismus aufgewer- tet; Freundschaft galt nunmehr als eine der tiefsten mensch- lichen Beziehungen überhaupt. Diese »Seelenfreundschaft« wurde zu einem Leitwert vor allem für das Bürgertum, das sich vom herrschenden Adel abgrenzen wollte: Den Adligen am Hof warf man vor, nur Zweckbündnisse einzugehen und aufgrund eines nüchternen Kalküls vorgebliche Freund- schaften zu schließen. Das Bürgertum beanspruchte für sich, anders als der Adel echter Gefühle fähig zu sein und damit wahre Freundschaften schließen zu können – ein Zeichen moralischer Überlegenheit. Das neue bürgerliche Freundschaftsverständnis machte für eine gelingende Freundschaft zwei Voraussetzungen geltend, die bereits seit der Antike in verschiedenen Freund- schaftskonzepten immer wieder eine Rolle gespielt hatten: Uneigennützigkeit (womit man sich etwa vom Adel ab- grenzte) und Gleichberechtigung. Sofern zwei Menschen nicht gleichberechtigt, sondern in irgendeiner Form vonein- ander abhängig seien, könne sich, so die Annahme, keine wahre Freundschaft zwischen ihnen entwickeln. Insbeson- dere der Abhängige sei gezwungen, ständig zu gefallen, da er andernfalls Nachteile befürchten müsse. Die geforderte

2 Einleitung G. M. Kraus: Abendgesellschaft (»Tafelrunde«) bei Anna Amalia, um 1795

Gleichberechtigung war ein Grund dafür, dass Freundschaf- Zwar galten für o zielle Briefe auch weiterhin zahlreiche ten zwischen Männern und Frauen im 18. Jahrhundert – von Vorschriften, doch bildete sich nun eine neue Briefgattung einigen Ausnahmen abgesehen – undenkbar waren. heraus, die es in diesem Sinne bislang nicht gegeben hatte: Freundschaft war im 18. Jahrhundert auch ein geselliges der Privatbrief, in dem sich Freunde wechselseitig von ihren Phänomen. So entstanden zahlreiche Freundschaftszirkel Gefühlen, Erlebnissen, Wünschen und Sorgen berichteten. und Freundschaftskulte. Der Schriftsteller und Begründer Dies ist heute nicht nur in den überlieferten Briefen selbst, des Halberstädter Dichterkreises Johann Wilhelm Ludwig sondern vor allem in den sogenannten Briefstellern nach- Gleim knüpfte etwa als äußerst emsiger Briefeschreiber ein zuvollziehen, die Anleitungen zum Verfassen von Briefen regelrechtes Freundschaftsnetz. Auch an anderen Orten gaben. Mit seinem Werk Briefe, nebst einer Praktischen Ab- wurden exklusive, meist literarische Freundschaftsbünde handlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751) hat geschlossen. Ein Beispiel ist der Göttinger Hainbund, ge- etwa Christian Fürchtegott Gellert den Briefstil des 18. Jahr- gründet von Studenten, die sich auf Friedrich Gottlieb hunderts maßgeblich beein usst. Er erhob die »Natürlich- Klopstock und dessen Lobpreis der Freundschaft beriefen. keit« zum neuen Ideal. So sollte sich die Briefsprache an der Heutzutage können soziale Netzwerke wie Facebook als mündlichen Sprache orientieren, um einen unverstellten veränderte Formen dieser geselligen Freundschaften gelten. Gefühlsausdruck zu übermitteln. Gellert propagierte den Brief als »eine freie Nachahmung des guten Gesprächs« und Freundschaft im Medium des Briefes gab in seinem Briefsteller zahlreiche Beispiele für gelungene Der Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts ist ohne die Brief- Freundschaftsbriefe. kultur nicht denkbar. Nicht umsonst wird das »Jahrhundert Die Emp ndsamkeit radikalisierte diese angestrebte der Freundschaft« häu g auch das »Jahrhundert des Briefes« Natürlichkeit. Durch einen übermäßigen Einsatz von Ausru- genannt. Zunächst sorgten äußere Faktoren wie die Auswei- fungszeichen und Gedankenstrichen oder durch bruchstück- tung des Postwesens und eine deutliche Verbilligung des hafte Sätze versuchte man, in den Briefen Spontaneität und Portos für eine Zunahme des Briefverkehrs. Doch auch der Gefühle möglichst authentisch zum Ausdruck zu bringen: Brief selbst veränderte sich grundlegend und konnte so von »Ach Gustgen! Welcher Anblick! so viel von deiner Hand! – einem bloßen Übermittler von Informationen zum Medium der ersehnten, er ehten – noch heut Abend! – du Liebe nur der Freundschaft schlechthin werden. Insbesondere ließ dies! eh ich anfange zu lesen«. Diese Zeilen richtete der man die starren formalen und sprachlichen Regelungen der 26-jährige Goethe am 16. Mai 1776 an Auguste Grä n zu Barockzeit hinter sich, welche die (zumeist hö sche) Brief- Stolberg, eine Frau, die er – durchaus mit Absicht – nie ge- kultur bis dahin geprägt hatten. tro en hat. Solche Seelenverwandtschaften, die ihren Ort

Einleitung 3 Eintrag im Freundschaftsbuch eines Weimarer Bürgers, um 1780

ausschließlich im Medium des Briefes hatten, sind eine Auch die erfolgreichste Dichterin des ausgehenden 18. Jahr- Besonderheit der Emp ndsamkeit. Die außergewöhnliche hunderts, , begründete ihren Ruhm mit Intimität, die viele emp ndsame Briefe erkennen lassen, einem Roman in Briefform: Ihre Geschichte des Fräuleins muss jedoch in Teilen relativiert werden. Denn anders als von Sternheim, ein Loblied auf die Freundschaft, erschien heute wurden im 18. Jahrhundert Briefe häu g vorgelesen 1771 und wurde binnen weniger Jahre zu einem regelrechten oder an Freunde und Verwandte weitergereicht. Den Schrei- Bestseller. benden war also durchaus bewusst, dass mehrere Personen ihre Zeilen lesen würden. Und auch wenn dies die sprachli- Was bleibt: Zeugnisse der Freundschaft che Gestaltung der Briefe suggeriert, wurden wohl doch nicht Briefe sind heute die mit Abstand wichtigsten Zeugnisse für immer die geheimsten Gefühle und Gedanken o enbart. den vielfältigen Freundschaftsdiskurs im 18. Jahrhundert. Besonders die Frauen, die zum damaligen Zeitpunkt Sie erlauben Einblicke in die Entwicklung von Freundschaf- noch sehr viel stärker auf ihr häusliches Umfeld beschränkt ten, sie geben Aufschluss über gemeinsame Aktivitäten und waren als Männer, machten sich die neue Freiheit des Briefe- diskutierte Themen. Aber auch Tagebücher, sogenannte schreibens zu eigen. Die briefliche Kommunikation ermög- Stamm- oder Freundschaftsbücher (Vorläufer heutiger Poesie- lichte es ihnen, Freundschaften über große Entfernungen alben) oder Geschenke, die man sich gegenseitig machte, hinweg zu p egen und auch mit Männern in einen vertrau- erzählen von vergangenen Freundschaften. Als »körperliches« lichen Austausch zu treten. Zu den bekanntesten Briefschrei- Erinnerungsstück wurden beispielsweise gern Haarlocken berinnen des 18. Jahrhunderts gehören Anna Luisa Karsch, verschenkt, die es ermöglichten, die Freundin oder den Luise Gottsched und Rahel Varnhagen. Freund stets bei sich zu tragen. Bis in die heutige Zeit erhal- Die neue Brief- und Freundschaftskultur spiegelt sich ten haben sich viele Porträts, mit denen die Erinnerung an auch in der Literatur der Zeit: Es entstanden zahlreiche (entfernte) Freunde aufrechterhalten werden sollte. Besitzt Romane in Briefform, etwa Goethes Die Leiden des jungen man heute meist Fotogra en, waren es damals Silhouetten, Werthers von 1774. Diese Werke gri en mit dem Brief nicht Gemälde und auch Porträtbüsten. Besonders die Scheren- nur das Freundschaftsmedium schlechthin auf, sie machten schnitte, die einfach und preiswert anzufertigen waren und Freundschaft auch meist direkt zum Thema. Auffällig häu g zudem leicht per Post verschickt werden konnten, waren im wurden emp ndsame Briefromane von Frauen verfasst. 18. und frühen 19. Jahrhundert sehr beliebt.

4 Einleitung Freundschaften in Weimar Die Entwicklung der Weimarer Klassik gründete auf zahl- reichen, sehr unterschiedlichen Freundschaften. So war Goethe schon bald nach seiner Ankunft in Weimar im Jahr 1775 maßgeblich daran beteiligt, dass sein Freund aus Studien tagen, Johann Gottfried Herder, in das Amt des höchsten Geistlichen, des Generalsuperintendenten, nach Weimar berufen wurde. Die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller bildete schließlich das »klassische Jahrzehnt« selbst: die Jahre enger Zusammenarbeit vom ersten einge- henden Gespräch in Jena 1794 bis zu Schillers Tod 1805. In Weimar gab es um 1800 eine Vielzahl von freund- schaftlichen Verhältnissen. Allerdings weiß man – wie auch andernorts – über Freundschaften der einfachen Stadtbe- völkerung nur sehr wenig, da kaum Zeugnisse erhalten sind: Sie wurden nicht als wichtig genug angesehen, um aufbe- wahrt zu werden. Dagegen sind die Freundschaften zwi- schen den zentralen Akteuren gut belegt. So war Silhouette von Charlotte von Stein, undatiert etwa Schillers Frau Charlotte eng mit ihrer Patentante Charlotte von Stein befreundet, diese wiederum verband eine intensive Freundschaft mit Goethe. Und für Herzog kannte, kritische Äußerungen weniger häu g zu nden Carl August war sein Minister Goethe nicht nur ein Ange- sind. Schiller etwa schreibt seinem Freund Christian Gott- stellter und politischer Berater, sondern auch ein Freund. fried Körner in Dresden sehr o en und oft auch kritisch Die Bedeutung der überlieferten Briefe, die auch heute noch über die Weimarer Zustände und Personen. Aufschluss über diese Freundschaften im bürgerlichen und hö schen Umfeld geben, hatte bereits Goethe erkannt. Er Freundschaftsmedien damals und heute publizierte schon bald nach Schillers Tod die Briefe, die er Im 18. Jahrhundert wurde der private Brief zu dem Kommu- und Schiller sich über die Jahre geschrieben hatten. Dieser nikationsmedium der Freundschaft schlechthin, heute hat er Briefwechsel gehört heute zu den berühmtesten deutsch- seine Bedeutung weitgehend verloren. Seine Funktion über- sprachigen Briefwechseln überhaupt. nehmen inzwischen verschiedene elektronische Kommuni- Emp ndsame Freundschaftskulte im engeren Sinne gab kationsmedien, die es erlauben, jederzeit Freunde in aller es in Weimar nicht, jedoch spielte die Geselligkeit eine große Welt zu kontaktieren. Und so wie sich im 18. Jahrhundert mit Rolle. Man traf sich regelmäßig in größerer Runde, ob im dem Brief auch der Schreibstil gewandelt hat, entwickeln Wittumspalais bei Anna Amalia, am Hof von Carl August sich heute ebenfalls ständig neue Formen, etwa die »Sprache« oder in diversen Zirkeln wie der von Goethe initiierten Frei- der Abkürzungen in SMS. Auch soziale Netzwerke im Inter- tagsgesellschaft. Inwieweit sich die Teilnahme an diesen net verändern die Formen der Kommunikation, möglicher- immer auch hö sch beein ussten Geselligkeiten einem per- weise aber auch die Freundschaftsverhältnisse selbst: Was sönlichen Interesse oder eher sozialem Kalkül verdankte, bedeutet es, wenn man auf Facebook mit Hunderten anderer lässt sich nicht eindeutig bestimmen, da die meisten Perso- Nutzer »befreundet« ist? nen doch von der Gunst der Herzogsfamilie abhängig waren. Darüber hinaus bleibt o en, wie sich die heutige Kom- Es bestanden auch zahlreiche, ebenfalls brieflich belegte munikation zwischen Freunden langfristig erhalten lässt. Kontakte über die Grenzen Weimars hinaus, beispielsweise Vieles, was wir über Freundschaften des 18. Jahrhunderts entwickelte sich zwischen Goethe und dem Berliner Kom- wissen, verdanken wir den Briefen der Zeitgenossen. Aber ponisten Carl Friedrich Zelter eine enge Freundschaft. Diese wird man in hundert Jahren noch die E-Mails von heute Briefwechsel geben mitunter besonders interessante Einbli- lesen können, um etwas über die Freundschaften in unserer cke, da innerhalb Weimars, wo gewissermaßen jeder jeden Zeit zu erfahren?

Einleitung 5

Literarisches Arbeitsbündnis Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller

Im Juli 1787 traf Friedrich Schiller in Weimar ein. Johann Dramen Wallenstein und Wilhelm Tell. Goethe und Schiller Wolfgang Goethe, dessen Bekanntschaft er vor allem zu wandten sich zudem neuen Gattungen zu: 1796 schrieben machen ho te, hielt sich zu dieser Zeit allerdings in Italien sie gemeinsam mehrere hundert kleine Spottgedichte, die auf. Als Goethe 1788 schließlich in die Residenzstadt zurück- sogenannten Xenien. Im Folgejahr widmeten sich beide ein- kehrte, kam es zwar zu  üchtigen Begegnungen zwischen gehend der Gattung der Ballade; in regem Austausch ent- beiden Dichtern, einen näheren Kontakt vermied Goethe standen zahlreiche Balladen, darunter so bekannte wie Der jedoch. Dessen ungeachtet verhalf er Schiller zu einer Pro- Zauberlehrling von Goethe und von fessur für Geschichte an der Universität im nahen Jena. Schiller. Eine weitere Intensivierung erlebte die Beziehung Neben den ersten persönlichen, eher ungünstigen Ein- der beiden Autoren schließlich nach 1799, als Schiller mit drücken waren auch die unterschiedlichen sozialen Verhält- seiner Familie von Jena wieder zurück nach Weimar zog; nisse der beiden Autoren keine guten Voraussetzungen für jetzt waren persönliche Gespräche noch häu ger möglich. eine freundschaftliche Beziehung: Goethe stammte aus einer Für die Einschätzung der Beziehung zwischen Goethe vermögenden Frankfurter Familie, er war inzwischen Minis- und Schiller ist aufschlussreich, dass die beiden Dichter trotz ter am Weimarer Hof und nanziell sehr gut gestellt. Schiller des engen Austauschs stets beim höflich-formellen »Sie« hingegen kam aus einfachen Verhältnissen und musste als blieben und nicht zum vertraulichen »Du« übergingen. Ein freischa ender Schriftsteller, anders als Goethe, sehr genau nicht unwesentliches Kon iktpotential barg Schillers kriti- auf die Einkünfte aus der Verö entlichung seiner Werke sche Haltung gegenüber Goethes Lebensgefährtin Christiane achten, sie hatten für ihn eine existentielle Bedeutung. Diese Vulpius, die dieser erst 1806, also nach Schillers Tod, heiratete. soziale Di erenz hat Schiller wiederholt re ektiert: Goethe Christiane wurde aufgrund ihres niedrigen sozialen Standes »erinnert mich so oft, dass das Schicksal mich hart behandelt vom Ehepaar Schiller, wie allerdings auch von der übrigen hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getra- Weimarer Gesellschaft, nicht akzeptiert und bezeichnender- gen, und wie muss ich bis auf diese Minute noch kämpfen!« weise in den Briefen Schillers mit keinem Wort erwähnt. (Brief an Christian Gottfried Körner, 9. März 1789). Doch wenn auch eine gewisse Distanz stets gewahrt blieb: Die Beziehung zwischen beiden Dichtern verbesserte sich Der Bedeutung ihrer Freundschaft waren sich beide immer erst, als Schiller am 13. Juni 1794 Goethe in einem Brief zur bewusst. Dementsprechend war Goethe von Schillers Tod im Mitarbeit an seinem neuen Zeitschriftenprojekt Mai 1805 tief erschüttert. Er realisierte sehr rasch, dass die einlud und Goethe die Einladung annahm. Im Juli kam es vielleicht wichtigste und produktivste Phase seines Lebens dann bei der Naturforschenden Gesellschaft in Jena zu einem nun unwiderruflich zu Ende ging: »Seit der Zeit, dass ich Gespräch der beiden über die »Urp anze«, das Goethe rück- Ihnen nicht geschrieben habe, sind mir wenig gute Tage gewor- blickend im Text Glückliches Ereignis als Beginn ihres Bünd- den. Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun nisses beschrieben hat. Die im Jenaer Gespräch zutage tre- einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins« tenden Di erenzen zwischen den »Ideen« des Kantianers (Brief an Carl Friedrich Zelter, 1. Juni 1805). Schiller und dem »Realismus« Goethes gri Schiller im August in seinem berühmten »Geburtstagsbrief« an Goethe wieder auf. Er gab ihnen jetzt jedoch eine versöhnliche Wendung und legte damit den Grundstein für die künftige Zusammenarbeit. Nach Jahren des skeptischen Abwartens intensivierte sich das Verhältnis zwischen Goethe und Schiller ab 1794 sehr rasch. Bereits im September lud Goethe Schiller ein, einige Zeit bei ihm in seinem Weimarer Haus zu verbrin- gen. Dort bat er ihn um Mithilfe bei seinem neuesten Romanprojekt Wilhelm Meisters Lehrjahre. Er gab Schiller das Manuskript zu lesen, das dieser ausführlich kommen- tierte. Auch bei vielen weiteren Werken entwickelte sich fortan eine enge Zusammenarbeit, etwa bei Schillers ∂ A. Toller: Goethe den Schädel Schillers suchend, 1859

Souvenirs im Gepäck 7 Xenien | Goethe-Nationalmuseum, Schreibkabinett in der ständigen Ausstellung Manuskript von Goethe, Schiller und Schreiberhand, 1796 (Faksimile)

Gemeinsam gegen Kritiker

Goethe und Schiller tauschten sich Projekt überzeugt: »Der Gedanke mit den jeweiligen Verfasser anzugeben. zwischen 1795 und 1805 intensiv über den Xenien ist prächtig und muss ausge- Auch wenn sich bei einem Teil der viele ihrer eigenen Werke, aber auch führt werden. Die Sie mir heute schick- Xenien aufgrund der Thematik die über die Arbeiten anderer Autoren aus. ten haben uns sehr ergötzt […] Ich denke Autorschaft vermuten ließ, rätselten Das Zeugnis einer besonders engen aber, wenn wir das hundert voll machen die Leser, welches Xenion von welchem Zusammenarbeit lässt sich im Schreib- wollen, werden wir auch über einzelne Dichter stamme. Genau dies war auch kabinett der Ausstellung Lebens uten – Werke herfallen müssen, und welcher die Absicht: Die Kritik konnte sich so Tatensturm betrachten: Es handelt sich reichliche Sto  ndet sich da!« (Brief nicht an einen der beiden allein rich- um zwei Blätter aus der Handschrift an Goethe, 29. Dezember 1795). ten, sondern nur an beide gemeinsam. der Xenien, einer von Goethe und Schil- Die Gedichte entstanden im ständi- Mit diesem literaturpolitischen Schach- ler gemeinsam verfassten Epigramm- gen Austausch: Sie wurden in Briefen zug erreichten Goethe und Schiller, Sammlung. und beiliegenden Heften zwischen zum ersten Mal in der literarischen Weimar und Jena, wo Schiller zu dieser Ö entlichkeit als Einheit wahrgenom- Zeit wohnte, hin- und hergeschickt, men zu werden. überarbeitet und kommentiert. Diese Noch Jahrzehnte nach dem Entste- gemeinsame Arbeit lässt sich am aus- hen der Xenien, in einem Gespräch mit gestellten Manuskript ablesen: Das Eckermann, distanzierte sich Goethe »wandernde Exemplar«, wie Schiller von dem Versuch, die Verfasserschaft es in einem Brief vom 7. Februar 1796 der einzelnen Gedichte festzulegen: nannte, enthält Gedichte von der Hand »Wir haben viele Distichen gemein- Goethes und Schillers sowie von den schaftlich gemacht, oft hatte ich den für die beiden Dichter tätigen Schrei- Gedanken und Schiller machte die Verse, , zudem diverse Korrekturen. oft war das Umgekehrte der Fall, und Aus dem konkreten Anlass der Kri- oft machte Schiller den einen Vers und tik an den Horen heraus entstanden, ich den andern. Wie kann nun da von wurden die Xenien zu einer Abrech- Mein und Dein die Rede sein!« nung mit der als mittelmäßig empfun- (16. Dezember 1828). Ganz in diesem denen zeitgenössischen Literatur. Sinne sind die Xenien heute sowohl Besonders viele Verse richteten sich in den Werkausgaben Goethes wie gegen den Schriftsteller und Verleger Schillers vollständig abgedruckt. Friedrich Nicolai. Dieser hatte Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen, die 1795 in den Horen erschienen waren, ausführlich kritisiert. Mehrere hundert dieser Kurzgedichte, Nun traf ihn und seine mehrbändige deren ironischer Titel, übersetzt »Gast- Beschreibung einer Reise durch Deutsch- geschenke«, auf den römischen Dichter land und die Schweiz selbst der Spott: Martial verweist, entstanden im Jahr Nicolai 1796. Anlass war die vielstimmige Nicolai reiset noch immer, noch lang’ Kritik an der Zeitschrift Die Horen, wird er reisen, die Schiller herausgab und in der auch Aber ins Land der Vernunft  ndet er Goethe publizierte. Die Idee, sich mit nimmer den Weg. Spottgedichten gegen die Kritiker zu Goethe und Schiller druckten ihre wehren, stammte von Goethe. Nach- Xenien im Musenalmanach für das Jahr dem er Schiller einige Xenien zuge- 1797, einer von Schiller herausgege- sandt hatte, war auch dieser von dem benen literarischen Zeitschrift, ohne

8 Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe | Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Studienzentrum Erstausgabe 1828/29, erschienen bei Cotta

Nähe auf Distanz

Wie eng Goethe und Schiller zeitweilig zusammengearbeitet haben, lässt sich besonders gut am umfangreichen Brief- wechsel zwischen den beiden Dichtern ablesen. Er erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren und umfasst mehr als tausend Briefe. Die Korrespondenz wurde eingeläutet durch ein Schreiben Schillers, in dem er Goethe zur Mitarbeit an seiner Zeit- schrift Die Horen einlud, und endete 1805 mit Schillers Tod. Aufschlussreich für das Verhältnis der beiden Autoren ist der Wandel der Gruß- und Schlussformeln im Verlauf der Freundschaft. In seinem ersten Brief an Goethe unterzeichnete Schiller ganz o ziell mit »Euer Hochwohlgebo- ren gehorsamster Diener und aufrichtigs- ter Verehrer F. Schiller« (13. Juni 1794). Auch im sogenannten Geburtstagsbrief vom 23. August 1794 benutzte er noch eine ähnliche Formel: »ich verharre hochachtungsvoll Ihr gehorsamster Sie mir vielleicht gestern in der Oper 1) der Kraniche sollten, als Zugvögel, ein D[iene]r FSchiller«. Doch schon im anmerkten. Der neue Gast wird wohl ganzer Schwarm sein […] 2) Dann würde nächsten Brief heißt es weniger förm- schwerlich lange verweilen und die ich nach dem 14. Verse, wo die Erinnyen lich: »ich bin mit der herzlichsten Ver- Mutter, so gefasst sie sonst ist, leidet an sich zurückgezogen haben, noch einen ehrung der Ihrige Schiller«. Körper und Gemüt. Sie emp ehlt sich Vers einrücken, um die Gemütsstim- Auch wenn Privates stets hinter Ihnen bestens und fühlt den Wert Ihres mung des Volkes […] darzustellen«. der fachlichen Auseinandersetzung Anteils. Heute Abend ho e ich doch zu Im Jahr 1823, und damit 18 Jahre zurückstand, wurden die Briefe im kommen, um die Lücken meines Wesens nach Schillers Tod, begann Goethe, die Laufe der Zeit zunehmend vertrauli- durch die Gegenwart der Freunde aus- Herausgabe des Briefwechsels vorzu- cher. Die wechselseitige Anteilnahme zufüllen« (19. Dezember 1802). bereiten. Am 11. Juni 1823 bezeichnete bestimmte immer deutlicher auch den Den Großteil der Briefe machten er Schillers Briefe gegenüber seinem Briefwechsel. So schrieb Goethe an Diskussionen über ästhetische Fragen Verleger Johann Friedrich Cotta als Schiller anlässlich einer schweren Er- und die Besprechung neuer literari- »den größten Schatz, den ich vielleicht krankung von dessen Frau: »Ihr Brief, scher Werke aus. Beide Autoren hatten besitze«. Mit der Publikation der Briefe wertester Freund, hat mich auf das entscheidenden Anteil am Entstehen in den Jahren 1828 und 1829 setzte er unangenehmste überrascht. Unsere der Werke des jeweils anderen. Und sie seinem Freund Schiller und der mehr Zustände sind so innig verwebt dass sprachen keineswegs nur allgemeine als zehnjährigen Zusammenarbeit ein ich das, was Ihnen begegnet, an mir Einschätzungen aus, sondern machten bleibendes Denkmal. selbst fühle« (26. Oktober 1799). ganz konkrete Überarbeitungsvorschlä- Selbst Persönlichstes teilte Goethe ge. Am 22. August 1797 etwa übermit- seinem Briefpartner Schiller mit, etwa telte Goethe Schiller seine Anmerkun- als seine neugeborene Tochter im Ster- gen zu dessen Ballade Die Kraniche des ben lag: »Bei uns geht es nicht gut, wie Ibykus: »Nun auch einige Bemerkungen:

Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller 9 Goethe-Schiller-Denkmal | Theaterplatz 1857 aufgestellt, Entwurf von Ernst Rietschel, Bronzeguss

Freundschaft auf den Sockel gehoben

Goethe und Schiller trugen selbst dazu andererseits auch bemüht, die Unter- bei, dass sie in der Ö entlichkeit als schiede und individuellen Charakter- »Dichterpaar« wahrgenommen wur- züge deutlich zu machen. So trägt den. Von entscheidender Bedeutung Schiller einen zivilen Mantel, Goethe waren in diesem Zusammenhang das als Weimarer Minister hingegen einen Xenien-Projekt sowie der 1828 und aus dem hö schen Kontext stammen- 1829 verö entlichte Briefwechsel zwi- den »Staatsrock«. Auch ihre Körperhal- schen beiden Autoren. Wie erfolgreich tung unterscheidet sich: Goethe richtet Goethe und Schiller mit ihrer Selbst- seinen Blick geradeaus, seine Körper- stilisierung als »Dichterpaar« waren, haltung soll »selbstbewusste Größe und zeigt anschaulich das Denkmal auf dem klare Weltanschauung« ausdrücken, Weimarer Theaterplatz. Während Her- wie Rietschel in seinen Er läuterungen der und Wieland, den beiden anderen zum Denkmalsentwurf schrieb. Schiller »Weimarer Klassikern«, jeweils ein eige- dagegen hat den Kopf leicht erhoben nes Denkmal gewidmet wurde, stellte und blickt in eine unbekannte Ferne man Goethe und Schiller in einem und zeigt so seinen »kühnen, streben- Doppelstandbild dar. Eingeweiht wurde den idealen Geist«. dieses Denkmal am 4. September 1857 Da die Wirkung eines Denkmals im Rahmen der Feierlichkeiten zum immer auch durch den Ort seiner Auf- 100. Geburtstag des Herzogs Carl August stellung bestimmt wird, entschied man von Sachsen-Weimar und Eisenach. sich in Weimar, das Goethe-Schiller- Das Denkmal zeigt die beiden Auto- Denkmal vor dem Hoftheater, dem heu- ren nebeneinanderstehend auf einem tigen Nationaltheater, zu platzieren, Sockel. Goethe legt seine linke Hand also an einem zentralen Ort der gemein- auf Schillers Schulter, eine Schriftrolle samen Arbeit von Goethe und Schiller. und ein Lorbeerkranz weisen die beiden Goethe, von 1791 bis 1817 Leiter des Hof- als Dichter aus. Obwohl zur Zeit der theaters, war für die Zusammenstel- Entstehung bekannt war, dass Goethe lung des Programms verantwortlich, deutlich kleiner gewesen ist als Schiller, er brachte viele Stücke von Schiller mit wurden sie als gleich groß dargestellt. dessen Unterstützung zur Erstauffüh- So sollte eine Ebenbürtigkeit zwischen rung, darunter Wallenstein (1798/99), den beiden zum Ausdruck gebracht Maria Stuart (1802) und Wilhelm Tell werden. Diese Gleichberechtigung der (1804). Aber auch Schiller inszenierte beiden Dichter spielte auch in der Dis- am Hoftheater, unter anderem arbeitete kussion um die Gestaltung des Denk- er Goethes Iphigenie auf Tauris um und mals eine große Rolle. So kritisierte führte sie 1802 auf. Das Denkmal auf unter anderem König Ludwig II. von dem Theaterplatz hat wesentlichen An- Bayern, der das Denkmal mit nanzierte, teil daran, dass man Goethe und Schil- dass Goethe den Lorbeerkranz, das Em- ler bis heute oftmals in einem Atemzug blem des herausragenden Dichters, in nennt. Die Freunde und Arbeitskollegen der Hand halte, während Schiller nur behaupten sich bis heute als »Dichter- danach greife, ohne ihn zu berühren. paar« im kulturellen Gedächtnis (nicht Während einerseits etwa über die nur) der Deutschen. Körpergröße eine Ebenbürtigkeit der beiden Dichter abgebildet werden sol l- te, war der Bildhauer Ernst Rietschel

10 Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller Weiterführende Hinweise zu »Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller«

Themen für den Unterricht • Schillermuseum Rudolstadt Neben den Weimarer Wohnhäusern von Goethe und Goethes und Schillers Freundschaft lässt sich mit Schiller lohnt auch das Schillermuseum in Rudolstadt verschiedenen Themenbereichen verknüpfen: einen Besuch. Dort wird unter anderem das erste, • Rezeptionsgeschichte der Weimarer Klassik von Spannungen geprägte Tre en zwischen Schiller und Goethe thematisiert. • Kanonisierung als Nationaldichter • Balladendichtung Literaturhinweise • Theaterpraxis um 1800 • Der Briefwechsel von Goethe und Schiller ist in ver- • Denkmal- und Erinnerungskultur schiedenen Ausgaben und auch im Internet (Guten- berg-Projekt) zugänglich. Die erhaltenen Briefhand- • Künstlerische Konkurrenz und Gemeinschafts- schriften lassen sich zudem als Scans im Internet produktionen aufrufen: ora-web.swkk.de/archiv_online/gsa.entry. • Das Goethezeitportal enthält vielfältige Informatio- Weitere Exkursionstipps nen über Goethe und die Goethezeit. Besonders auf- • Goethe-Nationalmuseum schlussreich hinsichtlich der Freundschaft mit Schiller Die ständige Ausstellung Lebens uten – Tatensturm ist das Kapitel Goethes Allianz mit Schiller aus dem thematisiert die Freundschaft zwischen Goethe und Schnellkurs Goethe, der dort digital verfügbar ist (ver- Schiller anhand zahlreicher Exponate. Zu sehen ist fasst von Dieter Borchmeyer, als Buch erschienen unter anderem ein Entwurf für das Goethe-Schiller- 2005 im Kölner Dumont-Verlag): www.goethezeitpor- Denkmal von Christian Daniel Rauch, der beide Dich- tal.de/wissen/dichtung/schnellkurs-goethe/goethes- ter in antiker Pose zeigt. Dieser Entwurf wurde ab- allianz-mit-schiller.html. gelehnt und schließlich von Rauchs Schüler Ernst • Im Nekrolog Im ernsten Beinhaus war’s (1826) themati- Rietschel zum heutigen Denkmal umgearbeitet. siert Goethe das Erlebnis, den aus dem Kassengewölbe • Ildefonso-Gruppe geborgenen (angeblichen) Schädel Schillers das erste Für ihre Denkmalentwürfe diente den Bildhauern Mal in der Hand gehalten zu haben. In der Folge be- Rauch und Rietschel die sogenannte Ildefonso-Gruppe wahrte er den Schädel einige Zeit in seinem Arbeits- als Inspiration, eine antike Plastik, die zwei junge zimmer auf. Männer zeigt. Abgüsse der Skulptur nden sich in Goethes Wohnhaus, vor dem Studienzentrum der Her- zogin Anna Amalia Bibliothek (als Brunnenaufsatz) und im Festsaal des Stadtschlosses (als Ofenaufsatz). • Fürstengruft Symbolträchtig stehen auch die Särge von Goethe und Schiller nebeneinander in der Fürstengruft auf dem Historischen Friedhof. Schiller war zunächst im Kassengewölbe auf dem Jakobsfriedhof beigesetzt worden, erst nachträglich wurden seine Gebeine in die Fürstengruft überführt. DNA-Untersuchungen in den Jahren 2006–2008 ergaben, dass die bis dahin im Schiller-Sarg be ndlichen Knochen nicht vom Dichter stammen. Daher ist der Sarg heute leer.

Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller 11

Hö sche Lebensgemeinschaft Anna Amalia und Louise von Göchhausen

1775 war ein einschneidendes Jahr im Leben Anna Amalias Bald jedoch musste sich Louise nach einer neuen Wohnung von Sachsen-Weimar und Eisenach: Nachdem sie viele Jahre umsehen. Sie befürchtete, dass ihre kleine Pension dafür als Regentin die Geschicke des Herzogtums bestimmt hatte, nicht ausreichen würde. Zu einem Umzug kam es indessen übergab sie nun die Regierungsverantwortung an ihren nicht mehr, denn nur wenige Monate nach Anna Amalias 18jährigen Sohn Carl August. In das Jahr 1775 el indessen Tod, im September 1807, starb auch Louise im Alter von nicht nur das Ende ihrer Regentschaft, sondern zugleich 55 Jahren. Einen Zusammenhang zwischen dem Tod Anna auch der Beginn einer besonderen Lebensgemeinschaft: Amalias und dem Ableben Louises vermuteten bereits die Eine junge Frau aus niederem Adel trat in den Dienst Anna Zeitgenossen: »Eigentlich war sie schon seit dem 10. April tot, Amalias. Mit Louise von Göchhausen lebte fortan eine eben so sie war nur noch nicht gestorben. Amaliens Tod war auch der intelligente wie redegewandte junge Frau im engen Umfeld ihre. […] Sie kam mir vor wie ein Vogel, den man zeitlebens in der Herzogin. Da sie sehr klein gewachsen war und zudem einem Bauer gefüttert hat und dann spät im Alter wieder in die einen Buckel hatte, konnte sie sich als Frau ohne großes Ver- freie Natur aussetzt, wo er ungewohnt, Futter und Nest selbst mögen keine Ho nungen auf eine vorteilhafte Ehe machen, zu suchen, in der rauen Witterung verschmachtet« (Carl Lud- und die Aufnahme am Weimarer Hof bot ihr eine willkom- wig Fernow an Karl August Böttiger, 13. Sept. 1807). mene Zukunftsperspektive. Anfangs war Louise lediglich als Mit Anna Amalias Tod hatte Louise von Göchhausen Gesellschafterin Anna Amalias angestellt, die freie Kost und ihre wichtigste Vertraute verloren: Mit keiner zweiten Person Logis, jedoch keinen Lohn erhielt. 1783 wurde sie zur Ersten hat sie nach 1775 mehr Zeit verbracht als mit der Herzogin. Hofdame ernannt und erwarb damit auch Anspruch auf ein Ob die Beziehung zwischen Anna Amalia und Louise von jährliches Gehalt. Anders als die Kammerfrauen und Kam- Göchhausen jedoch als Freundschaft – im heutigen wie im merjungfern, die für alltägliche Arbeiten wie Ankleiden und damaligen Sinne – verstanden werden kann, muss o en blei- Frisieren zuständig waren, hatte Louise als Hofdame eine ben: Auch wenn beide Frauen dem Adel angehörten, war ihr höhere Stellung inne. Sie war für die Unterhaltung Anna Verhältnis von einem hierarchischen Gefälle bestimmt. Anna Amalias verantwortlich, stand als ihre Gesprächspartnerin Amalia hatte als Mutter des regierenden Herzogs Carl August bereit und begleitete sie auf Reisen. Da sie beständig verfüg- eine völlig andere soziale Stellung inne als Louise und war bar sein sollte, wohnte Louise im Wittumspalais, das Anna zugleich ihre Vorgesetzte. Auf Gleichberechtigung und Frei- Amalia nach ihrem Rückzug von den Regierungsgeschäften willigkeit basierte die Beziehung also nicht. Andererseits war bezogen hatte. Louise begleitete Anna Amalia zudem, wenn Louise auch keine »normale« Angestellte, Anna Amalia und diese das Wittumspalais verließ, um den Sommer auf einem sie haben buchstäblich ihr Leben miteinander geteilt. ihrer Sommersitze zu verbringen, zunächst in Ettersburg, ab 1781 dann in Tiefurt. Sie hatte auch Ein uss darauf, wer bei Anna Amalia vorgelassen wurde, und so bemühte sich jeder, der mit der Herzogin in Kontakt treten wollte, um ein gutes Verhältnis zur Hofdame. Da Louise von Göchhausen über Jahrzehnte hinweg ihr Leben fast vollständig an den Wünschen und dem Wohl- ergehen Anna Amalias ausgerichtet hatte, brachte deren Tod im April 1807 auch für Louise einschneidende Veränderungen mit sich. Zunächst wohnte sie weiterhin im Wittumspalais, wo sie »wie ein alter Burggeist über den Trümmern der Ver- gangenheit« saß (Louise von Göchhausen an Fürstin Louise Christine Reuß-Köstritz, 13. Juli 1807). Die ehemalige Hof- dame wurde von Erinnerungen an eine glücklichere Zeit geplagt: »Es scheint wohl, dass so lange ich in diesem Haus wohne, ich schwerlich ganz wieder hergestellt werden kann. –

Die Erinnerung an verlorenes Glück stört zu oft und zu ∂ Herzogin Anna Amalia und Louise von Göchhausen beim Kartenspielen, schmerzlich jede Bemühung zur Resignation« (ebd.). Miniaturmalerei auf Porzellantasse, um 1800

Funktionen der Antikerezeption 13 Porzellantasse »Man spielt in Careau« | Wittumspalais Gothaer Manufaktur, um 1800

Unterhaltung für die Herzogin

Die elegante Porzellantasse trägt in gol- denem Rahmen die Aufschrift »Man spielt in Careau«. Sie ist verziert mit einem Goldrand und einer Bordüre aus Blättern. Der eigentliche Schmuck zeigt sich allerdings erst, wenn man die Tasse von ihrer Untertasse abhebt: Nun er- blickt man die Miniaturmalerei, die vier um einen Tisch versammelte Per- sonen präsentiert. Die beiden abgebil- deten Damen sind Anna Amalia und Louise von Göchhausen bei einer ihrer liebsten Beschäftigungen, dem Karten- spiel. Wie die Beschriftung des zuge- hörigen Etuis verrät, sieht man sie bei einer gemeinsamen Partie mit zwei Kammerherrn: Friedrich Hildebrand von Einsiedel und Christian Friedrich Carl von Wolfskeel. Worauf die Bezeich- nung »Careau« verweist, ist ungeklärt, möglicherweise auf das Spielen zu viert. Für die Unterhaltung der Herzogin zu sorgen, sei es durch das Kartenspiel oder andere Beschäftigungen, war die Amalia kleine Liebhaberkonzerte. Die schranken, die der damaligen Realität Hauptaufgabe der Ersten Hofdame Musik gab den beiden Frauen ein ge- nicht entsprach. Louise von Göchhausen. Sie leistete meinsames Thema, aber sie fanden So freundschaftlich Louise von Anna Amalia den Tag über Gesellschaft, auch weitere Möglichkeiten zum »gebil- Göchhausen Anna Amalia auch ver- sie war anwesend bei Mahlzeiten, Aus- deten Zeitvertreib«. Gemeinsam widme- bunden war, el es ihr doch schwer,  ügen und bei geselligen Runden. Anna ten sie sich beispielsweise dem Zeich- über ihre eigene Zeit nur sehr einge- Amalia zu beschäftigen und Langeweile nen und Malen, dem Theaterspielen schränkt selbst bestimmen zu können. zu verhindern, war ein umfassender und auch dem Lesen und Vorlesen von Ihr Tagesablauf war zum Großteil auf Auftrag, denn diese ging, nachdem sie Literatur, unter anderem der neuesten Anna Amalia ausgerichtet, längere die Regierungsgeschäfte an Carl August Werke der Weimarer Dichter. Meist Abwesenheiten waren nur in Ausnah- übergeben hatte, keiner »Arbeit« im ei- fand dies in größerer geselliger Runde mefällen möglich, und ausschließlich gentlichen Sinne des Wortes mehr nach. statt, in der auch Besucher von auswärts Krankheit galt als vertretbare Entschul- Anna Amalias größte Leidenschaft gerne gesehen waren, da sie Neuigkei- digung, der Gesellschaft fern zu bleiben. galt der Musik. Sie besuchte Konzerte ten aus der Welt nach Weimar brach- Diese Abhängigkeit empfand Louise und Opernaufführungen, natürlich ten. Die sogenannte Tafelrunde, wie sie durchaus als Belastung: »So sehr ich meist in Begleitung ihrer Hofdame, sie das berühmte Aquarell von Georg Mel- das Glück bei der Herzogin zu sein an- lud Musiker ein, musizierte und kom- chior Kraus zeigt, war nach heutigem erkenne, so brauche ich Ihnen auch die ponierte sogar selbst. Auch Louise von Forschungsstand allerdings eher ein Nachteile dieses Glücks nicht vorzuzäh- Göchhausen war musikalisch gebildet, idealer Entwurf der Geselligkeit im len. Einen ruhigen, mir eigenen Tag kann sie spielte Klavier und gab gemeinsam Umfeld Anna Amalias. So suggeriert mir nur Schnupfen, Zahn- oder Ohren- mit dem Kammerherrn von Einsiedel das Aquarell mit den zwanglos zusam- weh verscha en« (Brief an Karl Ludwig (Cello) und der Zweiten Hofdame Hen- mensitzenden Adligen und Bürgerli- von Knebel, 26. Febr. 1804). riette von Wolfskeel (Harfe) für Anna chen eine Aufhebung der Standes-

14 Anna Amalia und Louise von Göchhausen Naturbühne des Liebhabertheaters | Park Tiefurt Schauplatz der Uraufführung von Goethes »Die Fischerin« (1782)

Tiefurter Geselligkeit

Zwei kleine, mit Blüten verzierte Stein- teiligt, sie wirkten auch gelegentlich an. Louise von Göchhausen und Anna sockel und einige Stufen hinunter zur selbst als Schauspielerinnen mit. Anna Amalia steuerten aber auch selbst Texte Ilm – mehr erinnert nicht daran, dass an Amalia komponierte zudem die Musik bei: Anna Amalia übersetzte etwa mit dieser Stelle im Tiefurter Park im Jahr zu mehreren Stücken, so zu Goethes Wielands Hilfe das Märchen Amor und 1782 ein besonderes Ereignis stattgefun- Jahrmarktsfest zu Plundersweilern sowie Psyche aus dem Italienischen, Louise den hat: die Aufführung von Goethes zu Erwin und Elmire. Aufführungsorte von Göchhausen publizierte gleich Singspiel Die Fischerin, einem »Wald- waren die Wohnsitze von Anna Amalia mehrfach im Journal. und Wasser-Drama«, wie es Louise in und Louise von Göchhausen: das Wit- Die Arbeit am Journal war für einem Brief an den ehemaligen Prinzen- tumspalais, Schloss und Park Etters- Louise von Göchhausen, die für ihre erzieher Karl Ludwig von Knebel nennt. burg und nicht zuletzt der Park Tiefurt. geistreichen Briefe geschätzt wurde, Die erhaltenen Berichte lassen vermu- Ein weiteres geselliges Projekt, für eine willkommene Möglichkeit, sich ten, dass diese Freilichtaufführung für das sich Anna Amalia und Louise von schriftstellerisch zu betätigen. Zugleich Beteiligte wie Zuschauer ein eindrucks- Göchhausen gemeinsam engagierten, war ihre Mitarbeit aber immer auch »Ar- volles Erlebnis gewesen sein muss. Denn war das Journal von Tiefurt. Diese hand- beit« im engeren Sinne, die von ihr als man nutzte den Rasenplatz am Ufer schriftlich angelegte und daher nur in einer Gesellschafterin erwartet wur de. der Ilm als Naturbühne, die Bäume und wenigen Exemplaren zirkulierende Zeit- Darüber hinaus verband Louise mit Sträucher bildeten die Kulissen und schrift wurde von Anna Amalia in den Textpassagen, die sich als Lobrede auf auch kleine Boote auf dem Flüsschen Jahren 1781 bis 1784 herausgegeben. Anna Amalia zu erkennen geben (wie gehörten zur Szenerie. Da die Auffüh- Sie enthielt unter anderem Rätsel, Ge- der ktive Monolog Anna Amalias in rung nach Einbruch der Dunkelheit dichte und kürzere Abhandlungen. Der Ritter Eckbert von Tiefurt), die Ho - stattfand, tauchte der Schein aufgestell- Louise von Göchhausen war zusammen nung, von einer zunächst noch unbe- ter Fackeln die gesamte Umgebung in mit dem Kammerherrn von Einsiedel zahlten Gesellschafterin in den Rang ein mystisch anmutendes Licht. für die Redaktion zuständig; sie warben einer Hofdame aufzurücken – was ihr Die Fischerin wurde durch das soge- Beiträge ein und fertigten Abschriften 1783 dann auch tatsächlich gelang. nannte Liebhabertheater aufgeführt, das Anna Amalia und Louise von Göch- hausen gemeinsam ins Leben gerufen hatten. Das Liebhabertheater füllte eine Lücke aus, denn nach dem großen Schlossbrand im Jahr 1774 war das The- aterleben in Weimar zunächst zum Er- liegen gekommen: Das Hoftheater war den Flammen zum Opfer gefallen, eine professionelle Theatergruppe wurde aus nanziellen Gründen entlassen. Bald darauf fanden sich jedoch theater- begeisterte Laien aus dem Adel ebenso wie aus dem Bürgertum zusammen, um in einem Liebhabertheater selbst ver- schiedene Stücke aufzuführen. Die trei- bende Kraft in dieser Unternehmung war keine andere als Anna Amalia selbst – und mit ihr Louise von Göch- hausen und der restliche kleine Hof- staat. Beide Frauen waren nicht nur entscheidend an der Organisation be-

Anna Amalia und Louise von Göchhausen 15 Italienische Reisegesellschaft Anna Amalias | Schloss Tiefurt, Göchhausen-Zimmer Aquarell von Johann Georg Schütz, entstanden 1789 in Rom (Faksimile)

Auf der Suche nach Arkadien

Im Schatten von Zypressen sitzen Anna Amalia im braunen Reisekleid und Loui se von Göchhausen, die ein kleines Schaf streichelt, inmitten einer lockeren Runde. Es ist die Reisegesell- schaft Anna Amalias bei ihrem Besuch der Villa d’Este in Tivoli bei Rom, die der Maler Johann Georg Schütz auf sei- nem Aquarell festgehalten hat. Den Wunsch, Italien zu besuchen, hatte Anna Amalia schon seit langem gehegt. Doch erst Goethes italienische Reise veranlasste sie, diesen Wunsch auch in die Tat umzusetzen. Bereits kurz nach Goethes Rückkehr im Juni 1788 machte sie sich mit ihren Reise- begleitern auf den Weg in den Süden. Während Goethe allein und nur mit Wissen des Herzogs nach Italien aufge- brochen war, reiste Anna Amalia stan- mehr genossen es Anna Amalia und Die Briefe, die Anna Amalia und Louise desgemäß mit ihrem kleinen Hofstaat: Louise von Göchhausen, sich den Kunst- von Göchhausen in die Heimat schick- Vor allem ihre Hofdame Louise von schätzen und dem geselligen Leben in ten, zeigen, wie glücklich die beiden in Göchhausen durfte nicht fehlen, aber Italien frei nach ihren Wünschen wid- Italien waren: »So viel ist gewiss, es mag auch der Kammerherr von Einsiedel, men zu können. Sie besichtigten Mu- aus mir werden, was da will, ich werde Kammerfrauen, ein Koch, ein Arzt und seen, Paläste und antike Ausgrabungs- nie vergessen, dass mir das Glück für ein italienischer Reiseführer waren mit stätten, besuchten Theater- und Opern- 1000ten wurde, die reinsten Freuden, von der Partie. Zusätzlich erweiterten vorstellungen, wurden zu festlichen die der Anblick der schönsten Natur verschiedene andere Personen zeitweise Abendessen und Bällen eingeladen und Kunst den Menschen gewähren die Reisegesellschaft, etwa Johann Gott- und gaben selbst Gesellschaften. Anna können, genossen zu haben; und mein fried Herder, der zur selben Zeit in Ita- Amalia wurde in Italien gut aufgenom- Dank dafür wird so lang dauern als lien unterwegs war und auf dem Aqua- men, und auch Louise als ihre Hofdame mein Leben« (Louise von Göchhausen rell neben Anna Amalia, auf einer Säule und Begleiterin pro tierte davon: »Da an Wieland, 11. Aug. 1789). Allerdings sitzend, dargestellt ist. Erst 1790 sollten man sich einer ganz außerordentlichen war Italien wohl auch der Ort einer Anna Amalia, Louise von Göchhausen […] Höflichkeit gegen die Herzogin be- zeitweiligen Verstimmung zwischen und die restlichen Reisegefährten wie- eißigt, so kommt par contre Coup [d. h. beiden Frauen: Goethe berichtet jeden- der nach Weimar zurückkehren: nach in der Folge] auch viel davon auf mich, falls in einem Brief an Knebel, Anna einem fast zweijährigen Aufenthalt in und ich kann mit Wahrheit sagen, dass Amalia sei »schon seit einem Jahr mit Italien, der die wohl eindrücklichste mir’s in meinem Leben so wohl noch der Göchhausen radicaliter brouillirt« Zeit im Leben der beiden Frauen dar- nicht gegangen ist« (Brief an Wieland, (17. Okt. 1790). Über den Anlass der stellte. Dez. 1788). Neben den gemeinsamen vorübergehenden Entzweiung schweigt Dass eine Frau überhaupt eine solch Unternehmungen und gesellschaftli- sich Goethe aus. Gravierend kann der lange Reise unternahm, und zwar weder, chen Verp ichtungen blieb freilich auch Streit indessen nicht gewesen sein, um Verwandte zu besuchen, noch, um Zeit, persönlichen Vorlieben nachzu- denn die beiden Frauen scheinen sich aus gesundheitlichen Gründen in einen gehen: So lernte Anna Amalia das alsbald wieder vertragen zu haben, so Kurort zu fahren, war Ende des 18. Jahr- Gitarrenspiel, und Louise nahm Sprach- dass Lou ise bis zum Tod Anna Amalias hunderts noch ungewöhnlich. Umso unterricht. deren Erste Hofdame blieb.

16 Anna Amalia und Louise von Göchhausen Weiterführende Hinweise zu »Anna Amalia und Louise von Göchhausen«

Themen für den Unterricht Literaturhinweise Die Freundschaft von Anna Amalia und Louise von • Werner Deetjen (Hrsg.) Göchhausen lässt sich mit verschiedenen Themenberei- Die Göchhausen. Briefe einer Hofdame aus dem chen verknüpfen: klassischen Weimar. Berlin 1923. • Ständegesellschaft • Juliane Brandsch (Hrsg.) »Es sind vortre liche italienische Sachen daselbst«. • Hofleben Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit • Italienreisen Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790. Göttingen 2008. • Geselligkeit • Das Journal von Tiefurt liegt in zwei Ausgaben vor: Das Journal von Tiefurt. Mit einer Einleitung von Bern- Weitere Exkursionstipps hard Suphan herausgegeben von Eduard von der Hel- • Wittumspalais len. Weimar 1892. Im Jahr 2011 erschien im Wallstein Im Stadtpalais der Herzogin Anna Amalia sind so- Verlag eine umfangreich kommentierte Ausgabe: wohl Anna Amalia als auch Louise von Göchhausen Jutta Heinz (Hrsg.): »Es ward als ein Wochenblatt in zahlreichen Gemälden und Büsten präsent. Zu se- zum Scherze angefangen«. Das Journal von Tiefurt. hen sind zudem verschiedene Zeugnisse der Italien- Göttingen 2011. begeisterung, darunter diverse aus Italien mitgebrachte Souvenirs. Das sogenannte Tafelrunden zimmer sowie der Festsaal, in dem Konzerte und Theateraufführun- gen stattfanden, vermitteln einen Eindruck von der geselligen Atmosphäre. Die Mansardenzimmer, in denen Louise von Göchhausen lebte, sind allerdings nicht zugänglich. • Goethe-Nationalmuseum In der ständigen Ausstellung Lebens uten – Taten- sturm ist das berühmte Aquarell von zu sehen, das eine (idealisierte) Abendgesell- schaft bei Anna Amalia, die sogenannte Tafelrunde, zeigt. • Schloss Tiefurt In Anna Amalias Sommerresidenz Tiefurt, einem ehe- maligen Gutspächterhaus, lässt sich die einfachere und gesellige Lebensweise auf dem Land nachvollziehen. Im sogenannten Göchhausen-Zimmer be ndet sich neben dem Aquarell von Anna Amalias italienischer Reisegesellschaft auch eine Porträtbüste der Hofdame. Im Goethezimmer wird ein Szenenbild der Tiefurter Liebhabertheater-Aufführung der Fischerin gezeigt, im Musikzimmer eines der Ettersburger Au ührung des Jahrmarktsfests zu Plundersweilern.

Anna Amalia und Louise von Göchhausen 17

»Lieber Vater« und »Seelentochter« Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano

Im Juli 1799 erhielt Christoph Martin Wieland Besuch von aber dann fehlen mir Worte, und ich fühle am Ende, dass ich einer alten Freundin, der Schriftstellerin Sophie von La nur Ihre Hand fassen, und Sie um Ihren Segen bitten möchte, Roche. Wieland, den Herzogin Anna Amalia einst als Prin- dann wäre mir wohl« (10. Okt. 1799). zenerzieher nach Weimar geholt hatte, lebte inzwischen mit Wie auch hier spricht Sophie Brentano Wieland in ihren seiner Frau Anna Dorothea und seinen (erwachsenen) Kin- Briefen als »Vater« an, Wieland dagegen nennt sie »Seelen- dern und Enkeln auf dem Gut Oßmannstedt, etwa zehn Kilo- tochter« oder auch »Tochter meines Herzens«. Beide beschwö- meter nordöstlich von Weimar. Wieland hatte sich mit dem ren immer wieder ihre »Seelenfreundschaft«. Am 27. No - Kauf des Anwesens seinen Traum von einem Leben in der v ember 1799 schreibt Wieland: »Denn ich schmeichle mir, Natur erfüllt. In Oßmannstedt konnte er der Enge der Klein- oder bin vielmehr gewiss, dass ich in den Grund Ihrer Seele stadt und dem hö schen Trubel entgehen. gesehen habe«, und in einem Brief vom 7. März 1800 bekennt Während Wieland Schwierigkeiten hatte, an die einstige Sophie Brentano: »Sie allein, mein Vater, o! gesegnet sei diese Freundschaft mit Sophie von La Roche wieder anzuknüpfen, Fügung! Sie allein sahen tiefer als Alle. Soll ich nicht jubeln?« verstand er sich mit ihrer Begleiterin umso besser: der 22-jäh- Der überschwängliche und gefühlsbetonte Stil der Briefe rigen Sophie Brentano, einer der zahlreichen Enkelinnen La darf dennoch nicht unkritisch als Zeichen völliger Vertraut- Roches. Zwischen Sophie Brentano und Wieland entwickelte heit verstanden werden. Er ist, wenigstens zum Teil, auch sich rasch eine enge Freundschaft. Wieland war von der jun- der emp ndsamen Briefkultur des späten 18. Jahrhunderts gen, literarisch gebildeten Frau beeindruckt, wie er an seine verp ichtet. Dass es bei aller Zuneigung auch gewisse Vor- Tochter Charlotte in der Schweiz schrieb: »Auch hatte ich behalte gab, zeigt sich daran, dass Sophie Brentano Wieland diesen Sommer einen Besuch von meiner alten Freundin La nicht in alle ihre Geheimnisse einweihte: So berichtete sie Roche u[nd] ihrer Enkelin Brentano, einem der liebenswürdigs- ihm zwar von ihrer heimlichen Verlobung mit Herberstein, ten und sogar, ungeachtet sie schon als Kind um ihr linkes jedoch zunächst nicht von ihren Ho nungen auf eine Ver- Auge gekommen, der schönsten Mädchen, die ich je gesehen bindung mit dem Frankfurter Bankier Moritz Bethmann. habe« (27. Sept. 1799). Und trotz der mehrfachen Einladungen Wielands erkun- Nachdem Sophie von La Roche und Sophie Brentano ab- digte sich Sophie Brentano im April bei Samuel Christoph gereist waren, setzte ein intensiver Briefwechsel zwischen Abraham Lütkemüller, dem ebenfalls in Oßmannstedt woh- dem 65-jährigen Dichter und der jungen Frau ein. Sie erzähl te nenden Sekretär Wielands, ob sie auch tatsächlich willkom- ihm von ihren Sorgen, gestand ihm o en ihr Dilemma, in das men wäre: »aber – doch, ich will Ihnen die Sache lieber ge- sie aufgrund ihrer heimlichen Verlobung mit dem österrei- rade heraussagen. Was meinen Sie, wenn ich bald wieder chischen Grafen Herberstein geraten war. Wieland versuchte käme, und einen ganzen Frühling und Sommer in Osmanti- sie zu trösten und lud sie mehrfach ein, wieder nach Oßmann- num verweilte? Würde ich und mein so langer Aufenthalt stedt zu kommen, um Abstand und Ruhe zu nden. Sophie auch in keiner Rücksicht unwillkommen sein?« Brentano nahm das Angebot im Frühjahr 1800 an, traf aber erst einige Monate später, im Juli, in Oßmannstedt ein. Ihr blieb nur noch wenig Zeit, denn bereits im September starb sie an einem heftigen Fieber. Die Freundschaft zwischen Wieland und Sophie Brentano beruhte auf einer spontanen, tiefen Zuneigung, die keinen längeren Zeitraum benötigte, um sich zu entwickeln. Bis heute sind die Briefe, die die beiden über mehrere Monate hinweg wechselten, das wichtigste Zeugnis ihrer Freund- schaft. Schon im ersten Brief von Sophie Brentano an Wie- land wird deutlich, dass es sich keineswegs um eine sach- liche Korrespondenz handelt, sondern dass in den Briefen vor allem von Gefühlen die Rede ist: »Lieber Vater! Zehnmal schon hab’ ich die Feder ergri en, weil mein Herz so voll ist, und weil mir deucht, bei Ihnen allein könnte ich es ergießen; ∂ G. M. Kraus: Wieland im Kreis seiner Familie, um 1774 (Ausschnitt)

Kunstverständnis vor antikem Hintergrund 19 Gutshof und Parkanlage | Wielandgut Oßmannstedt 1797–1803 im Besitz der Familie Wieland

Zu ucht bei Freunden

Eine Freundschaft beruht, wenigstens Oßmannstedt lebte er mit seiner gro- berstein verlobt, der sich aber nicht öf- seit dem 18. Jahrhundert, vor allem auf ßen Familie umgeben von der Natur fentlich für sie entscheiden wollte, zum der gegenseitigen Zuneigung zwischen und konnte sich ganz auf seine Tätig- anderen liebte sie Moritz Bethmann, zwei Personen, insbesondere bei einer keit als Dichter, Übersetzer und Heraus- der ihre Liebe jedoch nicht erwiderte. als emp ndsam einzuschätzenden geber konzentrieren. Allerdings war er In Oßmannstedt erho te sie sich Ab- »Seelenfreundschaft« wie bei Christoph in der Bewirtschaftung des Gutes wenig stand: »Die kleine So e war krank zum Martin Wieland und Sophie Brentano. erfolgreich. So verkaufte er sein Anwe- Sterben, und ist unglücklich wie die Steine […] Ach! Ich komme, ich komme! Mit der ersten Nachtigall, wie Sie selbst einst sagten, ist die kleine So e an den Pforten des teuren Osmantinums, […] und ich ho e, mein Vater soll mich nie mehr daraus verweisen. – Wie wohltu- end lächelt mir diese Aussicht zu! – Dort wird keine Sorge, kein Reue, keine trau- rige Erinnerung mich mehr erreichen, ich werde zum ersten Mal! recht glück- lich sein. Lieber Vater! Wie herzlich freue ich mich darauf!« (Brief an Wieland, 18. Jan. 1800). In Oßmannstedt erwartete Sophie Brentano ein ruhiges Leben in der Natur, mit Spaziergängen durch den Park und Gesprächen mit Wieland und dessen Familie, die ihr ans Herz wuchs: »der Kreis seiner Familie, lauter natür liche, herzliche Menschen, machen mir mei- nen Aufenthalt dort über alles lieb« (Sophie Brentano an Henriette von Arnstein, 18. Juni 1800). Gleichzeitig Dennoch spielen etwa das familiäre sen bereits nach sechs Jahren wieder stand sie aber in regem Briefkontakt Umfeld und der Ort der Freundschaft aus nanziellen, aber auch aus persön- mit ihren Freunden und Verwandten. ebenfalls eine wichtige Rolle bei ihrem lichen Gründen, denn das Gut war nach Aus diesen Briefen geht hervor, dass Zustandekommen. dem Tod seiner geliebten Frau im Jahr sich ihre Probleme nicht einfach lösen Sophie Brentano lernte Wieland auf 1801 für ihn untrennbar mit diesem ließen, nur weil sie sich nicht mehr in Gut Oßmannstedt kennen, das dieser Verlust verknüpft: »Und nun ist das Frankfurt aufhielt. Auch in Oßmann- im Jahr 1797 gekauft hatte. Er nannte Einzige, wodurch dieses kleine Besitz- stedt war Sophie Brentano unglücklich, es sein »Osmantinum« nach dem Vor- tum [d. h. Gut Oßmannstedt] noch anzie- der Familie Wieland gegenüber wollte bild des antiken Landguts Sabinum, hend für mich ist – ihr Grab« (Brief an sie dies aber sicherlich nicht so o en zei- das der römische Dichter Horaz von seine Tochter Charlotte, 13. Dez. 1801). gen wie in den Briefen an ihre Freundin seinem adeligen Gönner Maecenas Für Sophie Brentano war Oßmann- Charlotte Servière und ihre Schwester geschenkt bekommen hatte. Wie Horaz, stedt ein Zu uchtsort in einer Zeit gro- Gunda: »Die ganze Welt ist mir fremd, der sich lieber in den Sabiner Bergen ßer persönlicher Schwierigkeiten. Sie ich bin losgerissen von allem; so arm, so aufhielt als in Rom,  oh auch Wieland war hin- und hergerissen zwischen zwei elend« (28. Juli 1800). vor dem hö schen Zeremoniell der unglücklichen Liebschaften: zum einen Residenzstadt Weimar aufs Land. In war sie heimlich mit dem Grafen Her-

20 Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano Aristipp und einige seiner Zeitgenossen | Wielandgut Oßmannstedt, Schreibtisch in der Bibliothek Eigenhändiger Entwurf, vor 1800 (Faksimile)

Vertraute Gespräche über Literatur

Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano teilten eine Leidenschaft, die wohl auch ihre Gespräche dominierte: die Begeisterung für Literatur. Während der Wochen, die Sophie Brentano in Oß- mannstedt verbrachte, arbeitete Wie- land gerade an einem umfangreichen, etwa tausend Seiten umfassenden Briefroman mit dem Titel Aristipp und einige seiner Zeitgenossen. Eine Seite des Manuskripts wird heute im Wie- landgut Oßmannstedt als Faksimile auf Wielands Schreibtisch gezeigt. Dieser Briefroman spielt im antiken Griechen- land, die Haupt gur ist der historisch belegte Philosoph Aristippos von Ky- rene. Wieland gab Sophie Brentano die bereits fertiggestellten Teile seines Ro- mans zu lesen, um mit ihr den Gang der Handlung zu diskutieren. sehr liebenswürdige Dame« bei ihm, der Die von Wieland angesprochenen »Ab- In Sophie Brentano fand Wieland er »die folgenden Briefe noch vorher vor- weichungen« beziehen sich auf die so- eine Gesprächspartnerin, die selbst lesen muss« (29. Juli 1800). ziale Stellung der Lais. Denn sie war zwar keine Autorin war, jedoch aus Eine zentrale Rolle in den Gesprä- eine Hetäre, also eine kultivierte Prosti- einem stark literarisch geprägten Um- chen zwischen Wieland und Sophie tuierte, und es war vorauszusehen, dass feld kam: Ihre Großmutter Sophie von Brentano über den Aristipp spielte die eine solche Roman gur zu Diskussio- La Roche, die den emp ndsamen Brief- Figur der Lais, eine Freundin des Aris- nen in der Leserschaft führen würde. roman Geschichte des Fräuleins von tipp und wie dieser eine historisch Die Lais in Wielands Buch ist eine ge- Sternheim verfasst hatte, war eine der belegte Person. Wieland verband die bildete, schöne Frau, die einen Kreis berühmtesten Dichterinnen ihrer Zeit. Einladung nach Oßmannstedt ganz von Männern um sich versammelt und Ihr Bruder war eben- explizit mit dem Wunsch, mit Sophie sich ihre Liebhaber selbst aussuchen falls Schriftsteller und gehörte zum Brentano über das weitere Schicksal kann. Sie hat sich ganz bewusst für die Kreis der Frühromantiker. Sophie Bren- der Figur sprechen zu können. Am »Freiheit«, wie sie es nennt, entschie- tano war für Wieland vor der Verö ent- 5. Februar etwa schrieb er: »Ich be nde den: für ein selbstbestimmtes Leben lichung des Romans eine erste Leserin, mich mit dieser wundervollen Laiska in und gegen eine Heirat, die eine voll- die ihm kritische Rückmeldungen zu einem Labyrinth, woraus Sie allein mich ständige Abhängigkeit vom Ehemann seinem neuen Werk gab. Ihre (positive) glücklich herausführen können«, und bedeuten würde. Wieland diskutiert in Reaktion auf den Roman gab Wieland am 16. April wiederholt er: »Die arme seinem Roman anhand der Lais grund- die Ho nung, bei der jüngeren Genera- Laiska erwartet ihr Schicksal aus Ihrer sätzliche Fragen zur Rolle der Frau in tion gut aufgenommen zu werden. Wie Hand; dabei bleibts« und fährt fort, der Gesellschaft und diese Bezüge des wichtig ihm Sophie Brentanos Kom- er glaube »mit ziemlicher Gewissheit, Romans zur zeitgenössischen Gegen- mentare zu seinem Werk waren, zeigt Sie werden sie, mit allen ihren Abwei- wart waren sicherlich auch in seinen ein Brief, den er während ihres Besuchs chungen von dem Kanon einer Ehr und Gesprächen mit Sophie Brentano ein an seinen Verleger Georg Joachim tugend samen Jungfrau und weisen wichtiges Thema. Göschen schrieb: Dieser müsse noch Matrone, noch immer würdig  nden, ein wenig auf den nächsten Teil des ein nicht ganz unbarmherziges Gericht Briefromans warten, denn es sei »eine über sie ergehen zu lassen«.

Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano 21 Grabmal | Wielandgut Oßmannstedt, Park 1807 eingeweiht, Entwurf von Carl Gottlob Weisser, Sandstein

Freundschaft über den Tod hinaus

Sophie Brentano war bereits seit meh- seine Tochter Charlotte, 13. Dez. 1801). ununterbrochen fortgedauert hat, neues reren Wochen bei der Familie Wieland Nach seinem Tod im Jahr 1813 wurde Leben; denn alle meine Spaziergänge in Oßmannstedt, als sie plötzlich über Wieland, wie von ihm gewünscht, zwi- führen zu ihrem Grabe, und meine liebs- Kopfschmerzen und Fieber zu klagen schen Sophie Brentano und seiner Frau ten Ruheplätze sind nur wenige Schritte begann. Der hinzugerufene Arzt konnte Anna Dorothea be stattet. davon entfernt« (24. Apr. 1801). ihr nicht helfen, so dass sie in der Nacht Dass Wieland Sophie Brentano in Mit der Errichtung eines Erinne- vom 19. auf den 20. September 1800 seinem eigenen Garten beerdigen ließ, rungsortes für seine verstorbene Freun- starb. Anstatt sie nach Frankfurt zu führt vor Augen, welche Bedeutung die din folgte Wieland auch einer Mode sei- ihrer Familie überführen oder sie auf junge Freundin für ihn besaß. Mit der ner Zeit. Bereits Johann Wilhelm Lud- dem örtlichen Friedhof bestatten zu Grabstelle in der Nähe seines Hauses wig Gleim, das Haupt eines emp ndsa- lassen, errichtete Wieland für Sophie schuf sich Wieland einen privaten Ort, men Freundschaftskreises, hatte in sei- nem Garten (leere) Gedenk urnen für seine verstorbenen Freunde aufstellen lassen und wollte auch selbst dort, sym- bolisch im Kreise seiner toten Freunde, begraben werden. Mit der Anlage von Landschaftsgärten nach englischem Vorbild, etwa in Wörlitz bei Dessau oder in Tiefurt bei Weimar, fand das Aufstellen von Gedenksteinen für Ver- storbene weitere Verbreitung. Im Ge- gensatz zu Sophie Brentanos Grab han- delt es sich dabei jedoch meist um reine Erinnerungsorte, nicht um echte Grab- stätten. Das Grab im Oßmannstedter Park wird heute von einem steinernen Obe- lisken markiert, in den die Namen und Lebensdaten von Sophie Brentano, Anna Dorothea und Christoph Martin Wieland eingemeißelt sind. Jeder Per- son ist ein Symbol zugeordnet, bei Sophie ist es ein Schmetterling: das anti- Brentano in seinem eigenen Garten, in den er regelmäßig besuchen und an ke Motiv für die Seele und Sinnbild der Nähe des Ilmufers, ein Grab. Als dem er sich in Ruhe an Sophie Bren- für die Auferstehung. Zwar wurde der ein Jahr später, am 8. November 1801, tano erinnern konnte. Und anders als Obelisk erst 1807 durch die Familie auch seine Ehefrau Anna Dorothea auf einem ö entlichen Friedhof befand Brentano aufgestellt, nachdem Wieland starb, ließ Wieland sie an derselben er sich dabei in eben jener Umgebung, das Gut bereits verkauft hatte, doch Stelle beerdigen – und äußerte den in der er viele Stunden mit ihr verbracht war der Dichter an der Gestaltung be- Wunsch, dort auch selbst seine letzte hatte. Wieland suchte das Grab häu g teiligt. So verfasste er eigens ein Disti- Ruhe zu nden: »Denn die Hülle des auf, wie ein Brief an Sophie Brentanos chon für den Grabstein: Engels [d. h. Wielands Frau Anna Doro- Großmutter Sophie von La Roche be- Liebe und Freundschaft umschlang thea] liegt neben Sophie Brentano in zeugt: »Die Wiederkehr der schönen die verwandten Seelen im Leben einem heiligen Plätzchen meines gro- Jahreszeit gibt nun auch der geistigen Und ihr Sterbliches deckt ßen Gartens, und da soll einst auch die Gemeinschaft, die bisher zwischen uns- dieser gemeinsame Stein. Meinige neben ihr liegen« (Brief an rer S[ophie] B[rentano] und mir ziemlich

22 Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano Weiterführende Hinweise zu »Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano«

Themen für den Unterricht Literaturhinweise Die Freundschaft von Christoph Martin Wieland und • Der Briefwechsel von Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano lässt sich mit verschiedenen Themen- Sophie Brentano ndet sich mit zahlreichen Erläute- bereichen verknüpfen: rungen in folgender Ausgabe: Otto Drude (Hrsg.): Christoph Martin Wieland. Sophie Brentano. Briefe • Emp ndsamkeit und Freundschaftskult und Begegnungen. Berlin 1989. • Briefkultur und Briefroman • Für eine eingehende Auseinandersetzung mit dem • Erinnerungskultur in der Parkgestaltung Briefstil des 18. Jahrhunderts lohnt ein Blick in Gel- lerts Briefsteller und seine Erläuterungen zu einer • Gender-Fragen »natürlichen« Sprache: Christian Fürchtegott Gellert: Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem Weitere Exkursionstipps guten Geschmacke in Briefen. Leipzig 1751. • Schlosspark Tiefurt • Für eine Beschäftigung mit Wielands Roman gur Der Mode des englischen Landschaftsgartens entspre- Lais, mit ihrer Meinung zur Stellung der Frau und chend ließ die Herzogin Anna Amalia bei der Neuge- ihrer Entscheidung für ein Leben in »Freiheit« emp- staltung des Tiefurter Parks mehrere Denkmäler zur ehlt sich insbesondere die Lektüre des 14. Briefes Erinnerung an Verstorbene errichten. Darunter sind (Aristipp an Kleonidas) aus dem ersten Band des Aris- ein Denkmal mit steinerner Urne für ihren Bruder tipp: Christoph Martin Wieland: Aristipp und einige Leopold von Braunschweig, der bei dem Versuch, seiner Zeitgenossen. Leipzig 1800/1801 (Text verfüg- Menschen aus dem Hochwasser der Oder zu retten, bar über Zeno.org sowie das Gutenberg-Projekt). ertrunken war, und ein sogenannter Kenotaph, ein Scheingrab in Form eines Sarkophags, für ihren Sohn Constantin, der während der Revolutionskriege gegen Frankreich an Typhus gestorben war. • Schlossmuseum Weimar Mit der Einrichtung von vier sogenannten Dichter- zimmern hatte die Großherzogin Maria Pawlowna den »Weimarer Klassikern« um 1840 ein Denkmal gesetzt. Das Wielandzimmer ist mit Illustrationen zu den Werken des Dichters von Friedrich Preller dem Älteren geschmückt. • Wittumspalais Im Stadtpalais der Herzogin Anna Amalia war der ehemalige Prinzenerzieher Wieland häu g zu Gast. Eine museale Präsentation aus dem 19. Jahrhundert erinnert an ihn und die drei anderen großen Weima- rer Dichter. Im Zweiten Roten Salon ließ Großherzog Carl Alexander um 1870 Bildnisse von Goethe, Schil- ler, Herder und Wieland um das Porträt seiner Ur- großmutter Anna Amalia gruppieren und stilisierte diese somit zum Mittelpunkt der »Weimarer Klassik«.

Christoph Martin Wieland und Sophie Brentano 23 Literatur Appelbaum, Dirk (Hrsg.) Mauser, Wolfram u. Das Denkmal. Goethe und Schiller als Doppel- Becker-Cantarino, Barbara (Hrsg.) standbild in Weimar. Tübingen 1993. Frauenfreundschaft – Männerfreundschaft. Literarische Diskurse im 18. Jahrhundert. Berger, Joachim Tübingen 1991. Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer Müller, Arnim; Nitschke, August; Seidel, Christa ›aufgeklärten‹ Herzogin. Heidelberg 2003. Freundschaft. In: Joachim Ritter (Hrsg.): Histori- sches Wörterbuch der Philosophie. Band 2: D–F. Brandes, Helga Basel, Stuttgart 1972, Sp. 1105–1114. Freundschaft. In: Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Perels, Christoph Europa. München 2001, S. 139–141. ›Emp ndsam‹ oder ›romantisch‹? Zu Sophie Brentanos Lebensspuren. In: Konrad Feilchen- Drude, Otto (Hrsg.) feldt u. Luciano Zagari (Hrsg.): Die Brentano. Eine Christoph Martin Wieland. Sophie Brentano. europäische Familie. Tübingen 1992, S. 172–182. Briefe und Begegnungen. Berlin 1989. Pott, Ute (Hrsg.) Fischer, Bernhard u. Oellers, Norbert (Hrsg.) Das Jahrhundert der Freundschaft. Johann Wil- Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. helm Ludwig Gleim und seine Zeitgenossen. Sonderheft der Zeitschrift für deutsche Philo- Katalog zur Ausstellung im Gleimhaus Halber- logie. Berlin 2011. stadt. Göttingen 2004.

Klassik Stiftung Weimar u. Sonderforschungs- Schuster, Gerhard u. Gille, Caroline (Hrsg.) bereich 482 »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um Wiederholte Spiegelungen. Weimarer Klassik 1800« der Universität Jena (Hrsg.) 1759–1832. Ständige Ausstellung des Goethe- Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und Nationalmuseums. München, Wien 1999. das Entstehen der Klassik 1757–1807. Katalog zur Ausstellung im Schlossmuseum Weimar. Leipzig Witte, Bernd u. a. (Hrsg.) 2007. Goethe-Handbuch in vier Bänden. Stuttgart 1996– 1999. (v.a. Einträge zu »Xenien«, »Freundschaft« Manger, Klaus u. Pott, Ute (Hrsg.) und »Schiller«) Rituale der Freundschaft. Heidelberg 2006. Zaremba, Michael Manger, Klaus u. Reemtsma, Jan Philipp (Hrsg.) Zur Geschichte des Wielandgrabes. Weimar 2007. Wielandgut Oßmannstedt. Weimar 2008 (Haus- monographie der Klassik Stiftung Weimar). Herausgeber Klassik Stiftung Weimar Referat Forschung und Bildung

Konzeption Elke Kollar

Texte Veronika Spinner

Fotografi en Alexander Burzik (S. 2), Jens Hauspurg (Cover, S. 14, 20, 22), Georg Seifert (S. 21), Klassik Stiftung Weimar, Fotothek.

Gestaltung Goldwiege | Visuelle Projekte, Weimar

© Klassik Stiftung Weimar 2012

Gefördert durch den Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. – AsKI aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Klassik Stiftung Weimar

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