Ich Will Keinem Mann Nachtreten. Sophie Von La Roche Und Bettine
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Ich will keinem Mann nachtreten. Einleitende Überlegungen Sophie von La Roche hat in der Literaturgeschichte drei Orte: Sie ist die Freundin Christoph Martin Wielands1, sie ist die „Großmutter der Brentanos“2 und sie ist die erste deutsche Frauenschriftstellerin. Alle drei Zuordnungen sind wichtig und beschreiben je eine Facette von Sophie von La Roches Schrift- stellerinnenleben, sie stellen aber jeweils einen Aspekt in den Fokus und verein- fachen damit nicht nur, sondern entwickeln zugleich eine Hierarchie, die La Roches Schreiben immer nur als zweitrangiges Phänomen sieht. Bettine von Arnim lässt sich weitaus schwieriger kategorisieren und dennoch hat es auch in ihrem Fall Einschreibungen ins kollektive Gedächtnis gegeben, die ihrem Werk nicht gerecht werden. Sie wird gerne als Vorzeigeromantikerin angesehen, da diese literaturgeschichtliche Verortung das Zusammendenken der Heterogenität ihres Werkes scheinbar anbietet.3 Wie leicht und unreflektiert sich literaturge- schichtliche Wertungen tradieren, zeigt eine Einschätzung von Joseph von Eichendorff im Rahmen seiner Abhandlung Der deutsche Roman (1851), die als Stimmungsbild aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gelesen werden kann: Seltsam, während die Laroche die geistige Ahnfrau jener süßlichen Frauenge- schichten geworden, ist sie, wie zur Buße, zugleich die leibliche Großmutter eines völlig andern genialen Geschlechts, und nimmt sich dabei wie eine Henne aus, die unverhofft Schwäne ausgebrütet hat, und nun verwundert und ängstlich das ihr ganz 4 fremde Element umkreist, auf welchem diese sich wiegen und zu Hause sind. Das Bild der Großmutter-Enkel-Beziehung hat er damit entscheidend geprägt. In kaum einem literaturwissenschaftlichen Beitrag zu diesem Generationenver- hältnis fehlt dieses Zitat.5 Dass hingegen auch die Enkelin Bettine von Arnim in 1 Ludmilla Assing: Sophie von La Roche, die Freundin Wieland’s. Berlin 1859. 2 Werner Milch: Sophie La Roche. Die Grossmutter der Brentanos. Frankfurt a.M. 1935. 3 Vgl. z.B. Gert Mattenklott: Romantische Frauenkultur. Bettina von Arnim zum Beispiel. In: Frauen. Literatur. Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegen- wart. Hrsg. von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart 1985, S. 123-143; Barbara Becker-Cantarino: Schriftstellerinnen der Romantik. Epoche – Werke – Wirkung. München 2000, S. 226-258. 4 Joseph von Eichendorff: Der deutsche Roman. In: ders.: Sämtliche Werke des Freiherrn von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe begründet von Wilhelm Kosch und August Sauer, hrsg. von Hermann Kunisch. Bd. 8.2 Abhandlungen zur Literatur. Auf- grund von Vorarbeiten von Franz Ranegger hrsg. von Wolfram Mauser. Regensburg 1965, S. 1-245, hier S. 91. 5 Barbara Becker-Cantarino: Meine Liebe zu Büchern. Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin. Heidelberg 2008, S. 223; Walter Schmitz: Kommentar zu Clemens Brentano’s Frühlingskranz und Die Günderode. In: Bettine von Arnim: Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Walter Schmitz und Sibylle von Steinsdorff. Bd. 2: Clemens Brentano’s Frühlingskranz. Die Günderode. Hrsg. von Walter Schmitz. Frank- 8 Miriam Seidler & Mara Stuhlfauth der Wertung Eichendorffs nicht die hier anklingende positive Würdigung erfährt, wird in der Forschungsliteratur selten erwähnt. Im Rahmen der Kritik der weiblichen Poesie, die sich durch „bloße Repräsentation“, durch „den Schein des Seins, die glänzende Oberfläche des Lebens streifend, mit geistreichen Ueberhinfahren seiner Tiefen“6 auszeichne, stellt Eichendorff Leben und Werk von Großmutter und Enkelin ein weiteres Mal gegenüber: Sophie von Laroche sodann sitzt ein halbes Jahrhundert lang unverrückt auf dem Throne conventioneller Grazie und hält mitten in dem schrecklichen Tosen und Getümmel der Kraftgenies zarten Minnehof der Sentimentalität mit reisenden Lite- raten, die liebeselig ihre langweiligen Correspondenzen vorlesen. Und wenn endlich Rousseau einmal sagt: ›Nicht Einem Weibe, aber den Weibern spreche ich die Talente der Männer ab‹, so erinnert uns dies Eine Weib hier unwillkürlich an Sophi- ens Enkelin Bettina. Bettina ist in neuerer Zeit eine so anomale Erscheinung, daß sie allerdings als Ausnahme nur die den Frauen gestellte Regel bestätigen würde, wenn sie nicht, genauer betrachtet, dennoch eben dieser Regel selbst anheimfiele. Denn wo sie in ernsten, und namentlich in religiösen oder politischen Dingen, den Männern ins Handwerk pfuscht, ist sie durchaus ungenügend, weil unklar und phantastisch. Die Wurzel auch ihrer Poesie ist doch wieder nur das Gefühl; sie ist wie eine wunderbar gestimmte Aeolsharfe, welche von den oft entgegengesetztesten 7 Winden der neuern Bildung wie von unsichtbarer Hand gespielt wird. In einem vernichtenden Rundumschlag wird hier sowohl Sophie von La Roches kulturpolitische Wirkung8 als auch Bettine von Arnims Eindringen in die Sphäre der männlichen Literatur kritisiert. Wird einerseits die Frauenliteratur als gefühlsselige Eintagsfliege abgetan, wird andererseits Bettines eigenwillige Suche nach einer eigenen Formsprache nicht anerkannt.9 Dem Etikett ›Frauen- literatur‹ scheinen beide Autorinnen auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht entkommen zu können. furt a.M. (Bibliothek deutscher Klassiker 12), S. 749-977, hier S. 760; Gerhard Sauder: Ansichten der Empfindsamkeit im Werk Sophie von La Roches. In: „Ach, wie wünschte ich mir Geld genug, um eine Professur zu stiften.“ Sophie von La Roche im literarischen und kulturpolitischen Feld von Aufklärung und Empfindsamkeit. Hrsg. von Gudrun Loster-Schneider und Barbara Becker-Cantarino unter Mitarbeit von Bettina Wild. Tübingen 2010, S. 11-26, hier S. 11. 6 Eichendorff, Der deutsche Roman, S. 224. 7 Ebd., S. 221f. 8 Vgl. zu La Roches gesellschaftlichen Wahrnehmung auch den Beitrag von Gesa Dane in diesem Band. 9 Für die Abwertung von Bettines literarischem Schaffen gibt es weitere zum Teil recht konträre Ansätze. Ein Beispiel findet sich in Friedrich Sengles umfangreicher Unter- suchung zur Biedermeierzeit aus dem Jahr 1972. Er kommt in Bezug auf den Stil von „Bettines Fälschungen“ zu dem Ergebnis, dass in Bettines Schreiben „die Stillagen schwanken sogar sehr stark zwischen ›naiver‹ Gegenständlichkeit oder Geschwätzigkeit und dithyrambischer Verklärung. Aber die Register werden bewußt gezogen, so daß ohne Zweifel von Kunst die Rede sein darf, in einem verhältnismäßig traditionellen Sinne sogar.“ Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. 3 Bde. Stuttgart 1972, S. 211. Einleitende Überlegungen 9 Und dennoch stellt sich noch immer die Frage: Hat Eichendorff Recht? Ist Sophie von La Roches in der Empfindsamkeit zu verortendes Werk als „süß- liche“ Frauenliteratur abzutun, während die Schriften der Enkel als Ergebnisse eines genialen Schaffensprozesses, der bei Bettine gefühlvoll das Ziel verfehlt, zu bewerten sind? Stand Sophie von La Roches Schaffen tatsächlich im Schatten von Christoph Martin Wieland (1733–1813), der als poeta doctus die Verlobte und Freundin zum Schreiben anregte? Bettine von Arnim hätte weder der Bewertung des eigenen Werks noch der Kritik am Werk der Großmutter zugestimmt, nimmt sie sie doch in der Günde- rode gegen ihre Kritiker in Schutz: Ei wie fein ist doch die Großmama, alle Menschen sehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute werfen ihr vor sie sei empfindsam, das stört mich nicht, im Gegenteil findet es Anklang in mir und obschon ich manchmal über gar zu Seltsames hab mit den andern lachen müssen, so fühl ich doch eine Wahrheit meistens in Allem.10 Der am gesellschaftlichen Auftreten wie an der Literatur der Großmutter geübten Kritik der ›Empfindsamkeit‹ folgt Bettine hier nicht. Selbst wenn man bedenkt, dass die Darstellung ihrer Beziehung zur Großmutter durch eine starke Tendenz zur Harmonisierung geprägt ist, entwirft sie ein Zusammengehörig- keitsgefühl der beiden Frauen, das darin besteht, dass die Enkelin die wahren Zusammenhänge in Wesen und Werk der Großmutter versteht. Da Bettine von Arnims Werk sich durch eine geschickte Form der „epistolaren Erinnerungs- politik“11 auszeichnet, die auch ihre eigene Person betrifft, kann hier von einer bewussten Beeinflussung des Bildes der Großmutter-Enkelin-Beziehung ausge- gangen werden. Barbara Becker-Cantarino hat die Beziehung von Großmutter und Enkelin in ihrer Studie Meine Liebe zu Büchern. Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin gewürdigt. Neben der Förderung der Karoline von Günderrode, Sophie Mereaus und des Enkels Clemens Brentano liegt ihr die Ausbildung ihrer Enkelinnen sehr am Herzen. Nicht nur die in Offenbach verbrachten Jugend- jahre, sondern auch das nicht immer einfache Verhältnis zur Großmama hat bei Bettine von Arnim zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Leben und Werk der berühmten Großmutter geführt. Parallelen in Leben und Werk sieht Becker- Cantarino vor allem im kommunikationsfreudigen und geselligen Wesen der 10 Bettine von Arnim: Die Günderode. In: dies.: Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Walter Schmitz und Sibylle von Steinsdorff. Bd. 1: Clemens Brentano’s Frühlings- kranz. Die Günderode. Hrsg. von Walter Schmitz. Frankfurt a.M. 1986 (Bibliothek deutscher Klassiker 12), S. 297-746, hier S. 461. Im Folgenden werden die einzelnen Bände der Werkausgabe zitiert mit der Sigle BvA und der Angabe der Bandzahl in römischen Zahlen. 11 Wolfgang Bunzel: Lippen auf Marmor. Bettine von Arnims epistolare Erinnerungs- politik. In: Adressat: Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung. Hrsg. von Detlev Schöttker. München 2008, S. 161-180. 10 Miriam Seidler & Mara Stuhlfauth beiden Frauen, in ihrer Neugier und ihrer „Lust an Erkundungen“12.