Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr

Schwarzbuch

Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr Seit am Jahresende 2013 das Amt der Verteidigungsministerin übernahm hat sich die Frequenz, mit der neue Auslandseinsätze beschlossen oder bestehende Mandate erweitert worden sind, spürbar erhöht. Glaubt man den Beteu- erungen der Verteidigungsministerin, dann geht es dabei stets um „Terrorabwehr“, „Stabilisierung“ oder „Friedenssicherung“. Die infl ationäre Ausdehnung der Einsätze selbst zeigt, dass sie damit nicht besonders erfolgreich ist.

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheits- konferenz, räumte 2016 ein: „Krisenprävention hat in den letzten Jahren leider nicht so funktioniert, wie Einleitung man sich das nach Lehrbuch gerne vorstellen möch- te.“4 Und tatsächlich: Zwischen 2013 und 2016 entglitt den intervenierenden Groß- und Regionalmächten in weiten Teilen Afghanistans, in Irak und Syrien, in Heute steht die Bundeswehr „einer nie da gewesenen Somalia, Libyen sowie Jemen und zunehmend auch Parallelität und Größenordnung von Krisen und Kon- in Mali die Kontrolle. Die militärischen Interventi- fl ikten gegenüber“, formuliert das im Juli 2016 erschie- onen haben eine Eigendynamik angenommen: Die nene Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft fortwährende Verlängerung des Bundeswehreinsat- der Bundeswehr.1 Der Befund klingt dramatisch. Der zes in Afghanistan, die überstürzte Beteiligung am Kunstgriff in der Formulierung: Die Bundesregierung Bombenkrieg über Syrien und Irak sowie die jüngste tut so, als handele es sich um einen der Bundeswehr Ausweitung des deutschen Einsatzgebietes in Mali in von außen aufgezwungenen Sachverhalt. Tatsächlich den umkämpften Norden des Landes sind Ausdruck haben sich Kriege und Krisenherde der deutschen dieses Kontrollverlustes. Armee nicht aufgezwungen. Seit rund 25 Jahren wer- den deutsche Soldaten systematisch in Kriege und Kri- Die Herrschenden und ihre Strategen ziehen daraus sengebiete entsandt. Das Weißbuch hat die Aufgabe, nicht den Schluss, dass die militärische Eskalation diesen Kurs als alternativlos darzustellen.2 selbst Teil des Problems ist. Ischinger meint: „Wir ha- ben manche Krisen nicht nur unterschätzt, wir haben Es entstand unter Federführung des Bundesministeri- zum Teil absichtlich oder unabsichtlich weggeguckt. ums für Verteidigung. Laut Eigendarstellung stellt es Jetzt sind die Krisen direkt bei uns vor der Haustür „das oberste sicherheits- und verteidigungspolitische angekommen.“5 Grundlagendokument der Bundesregierung“ dar und formuliert „das sicherheitspolitische Programm für die Sie erzeugen den Eindruck, militärische Passivität und nächsten Jahre“.3 Zurückhaltung seien das Problem. Tatsächlich verhält 2 es sich umgekehrt: Dort, wo die Groß- und Mittel- Führungsanspruch sowie unser Engagement in NATO mächte, und mit ihnen Deutschland, militärisch einge- und EU erfordern die kontinuierliche Aktualisierung griffen haben, wurden Krisen verschärft, oft auch erst und Anpassung des Aufgabenspektrums der Bundes- geschaffen. Die vermeintliche Medizin ist maßgebliche wehr.“7 Das bedeutet, dass die Bundeswehreinsätze Mitverursacherin des Leidens: oft jahrelanges mili- nicht nur einer höchst fragwürdigen Bedrohungsvor- tärisches Eingreifen von außen haben den Zerfall Af- stellung folgen, sondern auch der Logik einer neuen ghanistans, Iraks, Syriens und Libyens ausgelöst oder deutschen Machtentfaltung in der internationalen befördert. Politik, hier als „Gestaltungs- und Führungsanspruch“ umschrieben, entspringen. Die neue deutsche Rolle in Dies wird im Weißbuch verschwiegen. Es ist auffällig, der Welt soll nicht nur eine wirtschaftliche, sondern dass kein einziger der zahlreichen Auslandseinsätze auch eine militärisch-politische Grundlage haben. der Bundeswehr bilanziert wird. Was wurde 2001 versprochen, als die Armeen zahlreicher Länder unter Ähnlich problematisch ist das Verhältnis zu den Atom- Führung der USA nach Afghanistan geschickt worden waffen. Der neue nukleare Rüstungswettlauf wird nicht sind? Wie viele Opfer hat der Krieg gefordert, was thematisiert; es fällt kein kritisches Wort zur Moderni- hat er gekostet, wie hat der Afghanistaneinsatz die sierung der US-amerikanischen Atomwaffen in Büchel. Bundeswehr verändert? Nicht eine dieser Fragen wird Nur das Bekenntnis zur Nato als „nukleares Bündnis“ im Weißbuch, dem „obersten sicherheits- und vertei- soll auch künftig bedeuten, dass Deutschland – Atom- digungspolitischen Grundlagendokument“, gestellt, waffensperrvertrag hin oder her – „über die nukleare geschweige denn beantwortet. Teilhabe in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der Allianz eingebunden“ bleibe.8 Dieselbe Sprachlosigkeit gilt für alle anderen Ausland- seinsätze, wie etwa dem längsten aller Einsätze im Ko- Die Aussagen zu Aufstellung und Ausrichtung der Teil- sovo. An einer einzigen Stelle heißt es: „Die Stabilisie- streitkräfte Marine, Heer und Luftwaffe bleiben wolkig. rungseinsätze der [Nato], zum Beispiel in Afghanistan Alles, was Stein des Anstoßes sein könnte, wird im und auf dem Balkan, zeigen, dass Eindämmung und Weißbuch ausgeblendet oder in Watte gepackt. Das Bewältigung von Konfl ikten in einem komplexen Si- Kommando Spezialkräfte (KSK) existiert in dem Papier cherheitsumfeld ein langfristiges und verlässliches En- nicht. Konkrete Aufrüstungsprojekte werden nicht gagement erfordern, um Stabilisierungsfortschritte zu diskutiert. erhalten und zu verstetigen.“6 Soll heißen: Wenn der Auslandseinsatz nicht zu dem vorgegebenen Ziel führt, Stattdessen entwerfen die Autoren des Weißbuchs sollen im Zweifelsfall Endloskriege geführt werden, umfassende aber vage Bedrohungsszenarien. Die um die eigene „Verlässlichkeit“ und militärische Glaub- internationale Ordnung, so heißt es, befi nde sich „im würdigkeit unter Beweis zu stellen. Ja mehr noch: „Die Umbruch“. Globalisierung und Digitalisierung werden Bundeswehr muss in der Lage sein, ihren Beitrag zur als „Treiber des Umbruchs“ defi niert. Sie beförderten Umsetzung der strategischen Prioritäten der deut- die „Verbreitung von Risiken“; diese reichten „von Epi- schen Sicherheitspolitik zu leisten. Das sich dyna- demien über die Möglichkeit von Cyberangriffen und misch verändernde Umfeld, unser Gestaltungs- und Informationsoperationen bis hin zum transnationalen 3 Terrorismus.“9 Die Bedrohungen, der Terror und seine so eine Begründung für die Ausdehnung der Aufga- ideologische Rechtfertigung fallen im Weißbuch wie benzuweisung und der Zuständigkeiten der Bundes- vom Himmel. Am Ende der Argumentationskette steht wehr zu liefern. der Zerfall von Staaten, der von den Weißbuch-Auto- ren wesentlich als das Ergebnis fi nsterer Ideologien Neben dem vermeintlich nicht erklärbaren „Terroris- dargestellt wird. Schuld seien ein „introvertierter und mus“ und „Fanatismus“ ist es vor allem Russland, das oft radikaler Nationalismus, gewalttätiger Extremis- als Bedrohung für Deutschland dargestellt wird. Wört- mus und religiöser Fanatismus“.10 lich heißt es: „Russland wendet sich dabei von einer engen Partnerschaft mit dem Westen ab und betont Tatsächlich verhält es sich anders herum. So wurde strategische Rivalität. International präsentiert sich der Irak in 25 Jahren dreimal durch US-geführte, inter- Russland als eigenständiges Gravitationszentrum mit nationale Kriegskoalitionen angegriffen und fl ächen- globalem Anspruch. Hierzu gehört auch eine Erhöhung deckend bombardiert. Das Land wurde in den 1990er russischer militärischer Aktivitäten an den Außengren- Jahren durch ein UN-Embargo ausgehungert und zen von Europäischer Union (EU) und Nordatlantischer nach 2003 über Jahre fremdbestimmt. In den letzten Allianz (NATO).“11 zwei Jahren intervenierten nach den USA nahezu alle anderen Groß-, Mittel und Regionalmächte der Welt Heeresinspekteur Jörg Vollmer formulierte diesen ebenfalls in den Konfl ikt und beteiligten sich an der Gedanken so: Russland dränge als fl ächenmäßig Bombardierung der Infrastruktur im Irak und im be- größter Staat der Erde nun mit Macht in die Rolle des nachbarten Syrien. Millionen Menschen sind auf der einstigen weltpolitischen Großakteurs. Es wolle seine Flucht, Hunderttausende wurden ermordet, die Gesell- Weltmachtrolle „militärisch hinterlegen“.12 schaften wurden und werden weiter zerstört. Dies ist der Nährboden, auf dem der „Islamische Staat“ (IS) Hier handelt es sich um eine Art Projektion, eine spie- entstanden ist. Erst kamen die Invasoren, dann die gelbildliche Negativfolie der eigenen Strategie. So for- Zerrüttung bestehender Gesellschaften und erst viel muliert das Weißbuch für Deutschland den Anspruch, später der IS. „aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung […] die globale Ordnung aktiv Es ist so, die Welt befi ndet sich in einem Umbruch. mitzugestalten.“13 Was im Hinblick auf Russland als Hintergrund dafür ist der Wettlauf der großen und internationale Bedrohung dargestellt wird, erscheint mittleren Mächte um Rohstoffe, um Märkte und politi- im Weißbuch für Deutschland als internationale „Ver- schen Einfl uss. Dies stand hinter den Entscheidungen, antwortung“. die zu den jahrelangen Militärinterventionen im Mitt- leren Osten, Zentralasien und Afrika geführt haben. Die Bundesregierung versucht im Weißbuch die Spu- Doch obgleich im Weißbuch eingangs die Legitimität ren zu verwischen, dass der Westen die neue Ost- der Wahrung der eigenen „Interessen“ benannt wird, West-Konfrontation aktiv herbeigeführt hat. Es war die erscheinen „Interessen“ im weiteren Text nirgends als EU, die der Ukraine ein Assoziierungsabkommen vor- „Treiber des Umbruchs“. Im Weißbuch geht es nicht legte, das den Bruch mit Russland zur Bedingung hat- um Analyse. Es geht darum, Angst zu verbreiten, um te – nachdem die NATO sich über zwanzig Jahre kon- 4 sequent bis an die Grenze zu Russland vorgeschoben in verschiedenen Einsatzgebieten erfüllen zu können hat. Dies trug maßgeblich zur Schaffung einer Lage (Mehrrollenfähigkeit).“16 Das meint: „Die Befähigung bei, in dem der Konfl ikt um den jeweiligen „Einfl uss“ zum bundeswehrgemeinsamen Wirken in allen Dimen- als militärischer Konfl ikt auf dem Gebiet der heutigen sionen – Land, Luft, See, Cyber- und Informations- so- Ukraine geführt wird – von beiden Seiten. wie Weltraum – ist der übergeordnete Maßstab. Gera- de in den Dimensionen Land, Luft und See bleibt die Um im Konfl ikt mit Russland den Gegner als unheim- Befähigung zum Kampf Wesensmerkmal. Sie stellt den lich erscheinen zu lassen, wurde ein neuer Begriff höchsten Anspruch an Mensch und Material.“17 Auch erfunden. Moskau wende Methoden der „hybriden in den neuen Kriegen wird wieder gestorben. Das wird Kriegsführung“ an. Wörtlich heißt es: „Der zuneh- aber so offen nicht gesagt. mende Einsatz hybrider Instrumente zur gezielten Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden Die Entwicklung der heimischen Rüstungsindustrie, schafft Unsicherheit in Bezug auf russische Ziele.“14 In durch die Unterstützung von Exportmaßnahmen oder Deutschland könnten „alle Bereiche gesellschaftlichen bei der Vergabe von Aufträgen, wird als ein strate- Lebens zum Ziel hybrider Angriffe werden“.15 Soll hei- gisches Ziel defi niert. Der Verband der deutschen ßen: Der Kreml agiert heimtückisch, verfolgt undurch- Rüstungsindustrie weiß das zu schätzen. In einer sichtige Interessen und bedroht uns alle. Der Westen Pressemitteilung lobte er die Verteidigungsministerin: hingegen erscheint stets als transparent, defensiv, Das Weißbuch habe herausgestellt, „dass die Zeiten werteorientiert. der ‚Friedensdividende‘ […] vorbei sind.“ Es stelle diesbezüglich „eine deutliche Weiterentwicklung im Tatsächlich gleichen sich die Methoden im aktuellen Vergleich zu vorangegangenen Weißbüchern“ dar.18 Ost-West-Konfl ikt. Und sie sind auch keineswegs neu. Am Ende geht es auf beiden Seiten um sehr greifbare Das Weißbuch ist Teil der psychologischen Kriegsfüh- Dinge: um politischen Einfl uss oder Kontrolle über rung des Verteidigungsministeriums. Von der Leyen Territorien oder Regierungen, um militärische Stärke, führt einen Kampf um die Köpfe. Das vorliegende Waffen, Manöver, Militärhaushalte. Geheimdienstope- Schwarzbuch hat sich zur Aufgabe gestellt, dahinter rationen und Propaganda sind Teil dieser Auseinan- stehende Motive und Interessen offenzulegen, und da- dersetzung, wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges von ausgehend die Strategien und Rüstungsvorhaben vor 1990. Der Konfl ikt drückt sich in einem neuen, der Regierung darzustellen. Schließlich soll anhand beängstigenden Rüstungswettlauf aus. historischer wie aktueller Beispiele deutlich gemacht werden, wie wir uns gegen einen neuen Militarismus Das Weißbuch hält sich indes bei solch konkreten wehren können. Fragen nicht auf. Am Ende soll eines durchgesetzt werden: Mehr Geld für mehr Rüstung, mehr Soldaten, mehr Auslandseinsätze. Christine Buchholz Mario Candeias Sprecherin für Direktor des Instituts der Wörtlich heißt es: „Die Ausstattung der Bundeswehr Verteidigungspolitik der für Gesellschaftsanalyse muss dazu geeignet sein, unterschiedliche Aufgaben Fraktion DIE LINKE Rosa-Luxemburg-Stiftung 5 Inhalt

Einleitung 2

1990 – 2001: Umbau zur „Armee im Einsatz“ 7

2001 – 2016: Vom Kampfeinsatz in Afghanistan zum „Krieg gegen den Terror“ 21

Bundeswehr: Armee im Wandel 43

Die Bundeswehr in Deutschland 71

Kampf um die Köpfe 81

Aktiv gegen den Krieg 95

Glossar 106

Impressum 120

6 1990 – 2001: Umbau zur „Armee im Einsatz“

7 zähneknirschend, allen voran Franz-Josef Strauß, der in den 1950er und 1960er Jahren als Verteidigungs- minister gegen breiten Widerstand in der Bevölkerung den Aufbau und die Aufrüstung der Bundeswehr vorantrieb. Strauß beklagte, die Bundesrepublik sei ein wirtschaftlicher Riese, müsse sich aber in der europäischen Nachkriegsordnung mit der Rolle eines politischen Zwerges begnügen. Er forderte wie andere Konservative fortwährend die Revision dieses Zustan- des.19

Dazu gehörte vor allem die Forderung nach atomarer 1990 – 2001: Bewaffnung der Bundeswehr. Die machtpolitischen Umbau zur Realitäten, das heißt die Einbindung der beiden deut- „Armee im Einsatz“ schen Staaten in die Blockkonfrontation zwischen den nuklearen Supermächten USA und Sowjetunion, setzten diesen Vorstößen allerdings enge Grenzen. Die Bundesrepublik verzichtete schließlich auf die 1991: Wende in Richtung Einsatzarmee atomare Bewaffnung der Bundeswehr und vereinbarte stattdessen die „Teilhabe“ an den im eigenen Land la- Zu Zeiten der deutschen Teilung zwischen 1949 und gernden US-amerikanischen Nuklearwaffen. Das heißt, 1990 bestand in der Bundesrepublik Deutschland ein Washington allein konnte über ihren Einsatz entschei- Konsens unter den Parteien, dass ein Einsatz der Bun- den. Die Bundeswehr hielt technische Voraussetzun- deswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebietes eine gen bereit, zum Beispiel Flugzeuge als Trägersysteme. Verfassungsänderung erfordere. Dies stand in Gegen- Ansonsten blieb sie im Wesen eine auf Wehrpfl icht satz zu anderen Mittelmächten in Westeuropa. Frank- gestützte Massenarmee zur Landesverteidigung. Ihre reich und Großbritannien waren als Siegermächte des Truppenstärke umfasste in den 1980er Jahren fast Zweiten Weltkriegs nicht nur im UN-Sicherheitsrat als eine halbe Million Soldaten, die auf dem Bundesgebiet Vetomächte vertreten. Sie setzten in eigenem Inter- kaserniert und in kürzester Frist mobilisierbar waren, esse das Militär auch außerhalb der NATO-Strukturen für den Fall eines Krieges zwischen der US-geführten ein, so zum Beispiel beim gemeinsamen Angriff gegen NATO und dem sowjetisch geführten Warschauer Pakt. Ägypten im Herbst 1956 oder zur Niederwerfung von Aufständen in bestehenden oder vormaligen Kolonien. Die „deutsche Wiedervereinigung“ 1990 und der Zusammenbruch erst des Warschauer Paktes und Die Herrschenden der Bundesrepublik mussten schließlich der Sowjetunion selbst bedeuteten das nach der deutschen Niederlage im Weltkrieg und Ende der Blockkonfrontation. Dies brachte zwei grund- der darauffolgenden Teilung des Landes eine ande- legende Veränderungen mit sich. Die Frage der ato- re, passivere Rolle akzeptieren. Viele taten dies nur maren Bewaffnung verlor an strategischer Bedeutung. 8 Zugleich wurden militärische Interventionen außerhalb im Süden der Türkei nahe der irakischen Grenze stieß des NATO-Raums denkbar. Es war eine Zeit des Über- auf ein Problem, das in den Lehrbüchern der Militär- gangs, in der internationale Einfl usssphären neu auf- strategen und Diplomaten nicht vorgesehen ist. Die geteilt wurden. meisten Menschen in Deutschland hofften nach dem Ende des Ost-West-Konfl ikts die Gefahr eines Krieges Führende Kreise in der Bundesrepublik sahen die Zeit endgültig los zu sein. Eine deutsche Beteiligung an gekommen, die eigene wirtschaftliche Macht auch einem offenkundig aus strategischen und wirtschaft- politisch und militärisch zu untersetzen. Die damals lichen Gründen geführten Krieg im Mittleren Osten regierende konservativ-liberale Regierung unter CDU- war für breite Teile der Bevölkerung ein unerträglicher Bundeskanzler Helmut Kohl war gewillt, die Bundes- Gedanke, ein Tabubruch vor dem Hintergrund des wehr des vereinigten Deutschlands auch außerhalb Zweiten Weltkriegs. des NATO-Bündnisgebietes zum Einsatz zu bringen. Im Januar 1991 demonstrierten Hunderttausende Die Bewährungsprobe kam schneller als gedacht. unter dem Motto „Kein Blut für Öl“ auf den Straßen Als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Besetzung unzähliger deutscher Städte und Gemeinden gegen Kuwaits durch den Irak im August 1990 wurde unter den Irak-Krieg. Die Friedensbewegung strahlte bis in US-Führung in Saudi-Arabien, dem Persischen Golf die Truppe hinein. Die Bundeswehr war mit einer nie und der Türkei eine monströse internationale Invasi- dagewesenen Welle von Kriegsdienstverweigerungen onsarmee aufgebaut. Ab Januar 1991 griffen die USA konfrontiert. Unter den Verweigerern waren viele, die und ihre Verbündeten den Irak unter dem Namen Ope- sich bereits aktiv im Dienst befanden. Auch unter den ration Desert Storm an. Wochenlang wurde der Irak 400 Soldaten des damals in Bremervörde stationier- aus der Luft bombardiert, bevor im März US-amerika- ten Flugabwehrraketengeschwaders 36, das zu Teilen nische und britische Streitkräfte die südlichen Teile in die Türkei verlegt werden sollte, reichten einige des Landes in einem Blitzkrieg besetzten. Über das Dutzend Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ein. Es Siedlungsgebiet der Kurden im Norden wurde eine gab Soldatenversammlungen, in denen gegen die Ent- Flugverbotszone verhängt. Ziel war es, das irakische sendung abgestimmt wurde.20 Regime unter Saddam Hussein außenpolitisch zur Be- wegungsunfähigkeit zu verdammen und so die Rolle Der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Ad- Washingtons als dominierende Ordnungsmacht im miral Dieter Wellershoff, beklagte auf einer Komman- Mittleren Osten zu festigen, als ersten Schritt zur He- deurstagung vor 480 ranghohen Offi zieren: „Nicht die rausbildung einer sogenannten „neuen Weltordnung“. Überwindung von Angst, sondern das Ausleben von Fast alle Staaten der Welt unterstützten das Bündnis Angst ist zur Nationaltugend erhoben worden [...]. Es militärisch oder politisch, in der Hoffnung, anerkann- ist zu fragen, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod ter Teil dieser neuen Ordnung zu sein. und Verwundung zu weit in den Hintergrund gescho- ben haben.“21 Die Bundesregierung beabsichtigte, die Bundeswehr an dem Krieg zu beteiligen. Doch die geplante Verle- Die Unzufriedenheit über den Irak-Krieg beschränkte gung von Luftwaffeneinheiten auf Militärstützpunkte sich in den führenden Kreisen von Bundesregierung 9 und Bundeswehr nicht auf diese Erfahrung. Am Ende auf solche militärischen Ausfl üge vorbereitet“ seien, bestand das deutsche Engagement vor allem in einer antwortete Rühe: „Das ist ja meine These. Deswe- bedeutsamen fi nanziellen Beteiligung in Höhe von gen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht knapp 17 Milliarden D-Mark, ohne dass die Bundes- auch nicht nur darum, die Soldaten, sondern die wehr aktiv an den Kampfhandlungen teilgenommen ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzu- hätte. Deutschland war „wiedervereinigt“, aber aus bereiten.“23 Sicht der Herrschenden nicht kriegstauglich, militä- risch „nicht glaubwürdig“. Das von Rühe angekündigte Vorgehen nach Art der Salamitaktik, das heißt, sich „Schritt für Schritt“ in Richtung Kampfeinsätze zu bewegen, wurde in den 1990er Jahre: Salamitaktik in Richtung folgenden Jahren systematisch umgesetzt. Der 1992 Kampfeinsatz begonnene Einsatz zur Durchsetzung eines gegen das serbisch dominierte Rest-Jugoslawien gerichteten An der Entschlossenheit der damals regierenden Embargos ging im folgenden Jahr in die von der NATO konservativ-liberalen Regierung, die Bundeswehr in in- geführte Operation Sharp Guard über, in deren Rah- ternationale Einsätze bringen zu wollen, änderte sich men die deutsche Marine mit je zwei Kriegsschiffen nichts. Nur ging sie nach der Erfahrung mit dem Irak- beteiligt war. Daneben wurden Bundeswehrsoldaten Krieg 1991 behutsam vor, um nicht durch übereiltes im gleichen Zeitraum im Rahmen der Operation Deny Vorpreschen zu großen Widerstand hervorzurufen. Flight zur Durchsetzung einer Flugverbotszone über Zunächst kamen ausschließlich Auslandseinsätze mit Bosnien-Herzegowina in AWACS-Aufklärungsfl ug- UN-Mandat in Frage – und auch nur solche, in denen zeugen der NATO eingesetzt. Neben der Aufklärung deutsche Soldaten nicht kämpfen (und sterben) wür- des Luftraums hatte die Mission zur Aufgabe, die den. Es ging darum, die öffentliche Meinung zu gewin- US-Luftwaffe bei der Durchführung von Angriffen auf nen, indem die Entsendung deutscher Soldaten als serbisch-jugoslawische Ziele zu unterstützen. Da- rein humanitäres Anliegen verkauft wurde. bei kam es zum Abschuss mehrerer jugoslawischer Kampffl ugzeuge. Als während des beginnenden Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien im Jahr 1992 die Marine an Die Einsätze in der Adria und über dem Luftraum Patrouilleneinsätzen der NATO zur Durchsetzung eines Bosniens liefen bis 1996. Sie hatten aus Sicht der Embargos gegen Serbien in der Adria beteiligt wurde, Bundesregierung mehrere Vorteile. Sie waren mit betonte der damalige Verteidigungsminister Volker UN-Mandat ausgestattet und ließen überdies kaum Rühe: „Niemand setzt in diesem Konfl ikt in erster die unmittelbare Beteiligung von Bundeswehrsolda- Linie auf militärische Maßnahmen. […] Wir sind uns ten an bewaffneten Auseinandersetzungen erwarten. international einig, dass ein Einsatz von Kampftruppen Die Bundesregierung griff im Rahmen der NATO- in Jugoslawien nicht in Frage kommt.“22 Operationen de facto als Konfl iktpartei auf Seiten der kroatisch-muslimischen Kräfte in den bosnischen Auf den Hinweis des Nachrichtenmagazins Der Spie- Bürgerkrieg ein, konnte dies aber nach außen als Frie- gel, dass „weder die Bürger noch die Bundeswehr denssicherung darstellen. 10 Der bosnische Bürgerkrieg

Der fatale Weg vom Zerfall Jugosla- nach sich ziehen könnte.“24 De Cuellar Führung serbischer, kroatischer oder wiens in den jahrelangen bosnischen sollte Recht behalten: Die internatio- bosnisch-muslimischer Nationalisten. Bürgerkrieg wurde eingeleitet, nach- nale Anerkennung der Unabhängig- Der Bosnienkrieg war der bru- dem die Kohl-Regierung im Dezem- keit Kroatiens setzte eine Logik in talste Krieg auf europäischem Boden ber 1991 einseitig die Unabhängigkeit Gang, in der serbische und kroatische seit 1945. Das Dokumentationszent- der jugoslawischen Bundesstaaten Nationalisten um die Herausbildung rum für Kriegsopfer in Sarajevo hat Slowenien und Kroatien anerkannte. eines möglichst großen, möglichst 1997 eine sehr detaillierte Schätzung Sie kam so ihren „Partnern“ in der ethnisch-homogenen Territoriums veröffentlicht, wonach insgesamt Europäischen Gemeinschaft und den unter eigener Kontrolle kämpften. über 97.000 Personen getötet wurden USA zuvor. Mit dem Schritt wollte die Aufgrund des multiethnischen Cha- oder als verschollen gelten. Danach Bundesregierung auf diplomatischem rakters Jugoslawiens wuchs der Kon- handelte es sich bei den Opfern zu Feld ihre neue Stärke zu beweisen. Zu fl ikt um Kroatien ab 1992 direkt in rund 66 Prozent um muslimische diesem Zeitpunkt befand sich Kroati- den Bürgerkrieg im benachbarten Bosnier, 26 Prozent um Serben und 8 en im Sezessionskrieg mit der serbisch Bosnien-Herzegowina hinüber, an Prozent um Kroaten.25 NATO und Bun- dominierten jugoslawischen Armee. dem sich auch bosnisch-muslimische desregierung beurteilten die Kriegs- Der damalige UN-Generalsekretär Pe- Nationalisten beteiligten. Die Euro- verbrechen nach unterschiedlichen rez de Cuellar zeigte sich zurecht „tief päische Gemeinschaft und die USA Maßstäben. Verbrechen der serbi- besorgt, dass jede überstürzte und heizten diesen Prozess mit Vorschlä- schen Nationalisten, so das Massaker selektive Anerkennung den gegen- gen an, die auf die internationale An- von Srebrenica im Juli 1995, wurden wärtigen Konfl ikt auszuweiten droht, erkennung der ethnischen Aufteilung zu Recht als Kriegsverbrechen ge- die explosive Situation in Bosnien- Bosnien-Herzegowinas hinausliefen. brandmarkt. Vertreibungen von bis Herzegowina und auch Mazedonien Der Lissabon-Plan von 1992 sah drei, zu 200.000 serbischen Zivilisten bei anheizt, und am Ende tiefgreifende der Vance-Owen-Plan von 1993 gleich der Militäroffensive durch kroatische Konsequenzen für den ganzen Balkan zehn Kantone vor, jeweils unter der Truppen nicht.26 11 Unter US-amerikanischem Druck wurde 1996 ein sich nach Artikel 24 „zur Wahrung des Friedens einem Frieden auf dem Balkan vereinbart, der die militärisch System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“ erzwungenen ethnischen Vertreibungen in Bosnien- darf, um „eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Herzegowina institutionalisierte. Eine nachhaltige Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeifüh- Aussöhnung war auf dieser Grundlage nicht möglich. ren und sichern“ zu helfen. Um den Frieden zu bewahren, ist das innerlich zerris- sene Land unter die Kontrolle eines Internationalen Die verfassungsrechtlichen Festlegungen stellten Hochkommissariats gestellt worden, abgesichert durch nach der Vereinigung 1990 ein Hindernis bei der Umo- eine NATO-geführte Implementation Force, kurz IFOR. rientierung der Bundeswehr auf den Einsatz in inter- Dessen Truppenkontingente wurden in Bosnien als nationalen Kriegsgebieten dar. Mit einem Angriff auf vermeintlich neutrale Friedenswächter stationiert. Das Deutschland war nicht zu rechnen. Insofern hätte der IFOR-Hauptquartier wurde indessen im benachbarten bestehende Verfassungsrahmen verändert werden Kroatien eingerichtet, dem Verbündeten der NATO im müssen, um die Streitkräfte in den Einsatz zu bringen. Bosnienkrieg. Ein Jahr später ging IFOR in die Stabili- An eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament für eine sation Force (SFOR) über. An beiden Einsätzen war die Grundgesetzänderung war aber angesichts der Hal- Bundeswehr mit Tausenden Soldaten beteiligt, vorwie- tung der damals oppositionellen SPD nicht zu denken. gend im Bereich Lufttransport und Luftaufklärung, als Um die verfassungsrechtliche Fessel loszuwerden, Pioniere oder Sanitäter. So sollte der Eindruck geschaf- ging die Regierung unter Kanzler Kohl einen anderen fen werden, die Bundeswehr im Ausland sichert den Weg. Ihre Strategie bestand darin, Fakten zu schaffen Frieden, baut auf, pfl egt – eine Zwischenetappe, um und die Grenze für Auslandseinsätze der Bundeswehr sie schließlich in den Kampfeinsatz bringen zu können. stückchenweise immer weiter zu verschieben.

Die Entsendung von Kampffl ugzeugen an die türkische Der Somalia-Einsatz und das Urteil des Südgrenze während des Irak-Krieges von 1991 wurde Bundesverfassungsgerichtes von 1994 notdürftig mit Verweis auf Artikel 6 des Nato-Vertra- ges gerechtfertigt, der den Bündnisfall auch für einen Das Grundgesetz defi niert die Rolle der Bundeswehr Angriff auf die Türkei vorsieht. Der Irak hatte zwar in Artikel 87a: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Vertei- nicht die Türkei angegriffen, aber immerhin bewegte digung auf.“ Die Feststellung des Verteidigungsfalls sich die deutsche Luftwaffe noch nicht out-of-area, und seine Folgen sind in den Artikeln 115a-l geregelt. das heißt außerhalb des NATO-Bündnisgebietes. Die Im Übrigen heißt es nach Artikel 26: „Handlungen, die deutsche Luftwaffe beteiligte sich nicht selbst an den geeignet sind und in der Absicht vorgenommen wer- Bombardierungen. Die Entsendung blieb ein symboli- den, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stö- scher Akt. ren, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.“ 1992 folgte der oben beschriebene Adria-Einsatz, dem ebenfalls kein Angriff vorausgegangen war, der aber Diese Aussagen sind eindeutig und werden auch da- am Rande des NATO-Gebiets stattfand. Auch dieser durch nicht in ihr Gegenteil verkehrt, dass der Bund Einsatz war vor allem symbolisch. 12 Im selben Jahr konfrontierte die Kohl-Regierung die in Somalia an. Als Verlegenheitslösung ließ das Bun- Opposition auch mit dem ersten Einsatz weit außer- desverteidigungsministerium die deutschen Soldaten halb Europas. Ein Sanitätsverband der Bundeswehr Brunnen bohren. Ein langfristiges Konzept und eine wurde zur Unterstützung der Blauhelmmission UNTAC politische Perspektive für diese Tätigkeit waren nicht nach Kambodscha geschickt. Dieser Einsatz war so vorhanden. niedrigschwellig, dass er keinen nennenswerten Wi- derstand hervorrief. Gut sechs Monate, nachdem die deutschen Soldaten in Belet Huen ihre Einsatzbereitschaft hergestellt hat- In den beiden folgenden Jahren folgte schließlich die ten, zogen sie auch schon wieder ab. Gesamtkosten entscheidende Kraftprobe. Im August 1993 erhielt die laut Verteidigungsminister Rühe: 310 Millionen DM.29 Bundeswehr den Auftrag, im Rahmen von UNOSOM Davon waren „knapp drei Millionen Mark für humani- II die US-geführte internationale Militärintervention täre Leistungen ausgegeben worden. Der Rest war für in Somalia zu unterstützen. Dieser Auslandseinsatz die 1.700 Soldaten draufgegangen. Militär verursacht war wesentlich umfangreicher als die vorhergehenden. seine eigenen Kosten. Das Deutsche Rote Kreuz brach- Der deutsche Unterstützungsverband bestand aus te in einem Jahr mit knapp zehn ausländischen Helfern einem Nachschub- und Transportbataillon. Es wurden und 100 somalischen Mitarbeitern dagegen Hilfe für Fernmelder, Pioniere und Sanitäter entsandt. Insge- fast zehn Millionen Mark, baute in der Region einen samt waren in neun Monaten rund 4.000 deutsche Gesundheitsdienst auf, machte Brunnen wieder nutz- Soldaten im Einsatz. 1700 wurden dauerhaft in Belet bar, half Schulen und unterstützte Frauengruppen.“30 Huen stationiert, einer abgeschiedenen Kleinstadt im Landesinnern. Der Einsatzort war gewählt worden, Der Bundeswehr-Einsatz war vor allem innenpolitisch weil es sich um eine befriedete Gegend handelte. Die motiviert. Es ging darum, den Widerstand aus den Rei- Kohl-Regierung wollte keine Toten riskieren, um den hen der SPD gegen die Entsendung deutscher Truppen Widerstand in Deutschland kleinzuhalten. außerhalb des NATO-Bündnisgebietes zu brechen. So trieb die CDU/CSU die SPD vor sich her. Diese organi- Somalia und seine Hauptstadt Mogadischu waren sierte keinen Widerstand, sondern zog gemeinsam mit vom Bürgerkrieg zerrissen. Seit 1992 grassierte eine der FDP nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungs- Hungersnot im Land. Dies gab den Vorwand für das gericht (BVG), um die Rechtmäßigkeit der Out-of-area- militärische Eingreifen. Der Militäreinsatz wurde als Einsätze zu prüfen. Das BVG urteilte im Juli 1994. Es notwendige Begleitung zum Schutz ziviler humanitärer erklärte, die Einsätze auf dem Balkan und in Somalia Aktivitäten dargestellt. seien verfassungskonform. Begründung: Out-of-area- Einsätze der Bundeswehr seien ohne weiteres mög- Während die US-Truppen und ihre Verbündeten in lich, solange diese unter dem Dach „eines Systems der Hauptstadt Mogadischu in den innersomalischen kollektiver Sicherheit“ stattfänden. Es kann sich dabei Machtkampf eingriffen und sich schwere Kämpfe um die UNO handeln, aber auch um „Bündnisse kol- lieferten, blieb die genaue Aufgabe der deutschen lektiver Selbstverteidigung“ wie der NATO. Keine Rolle Soldaten unklar. Der Verband, dessen Nachschub sie spielt, ob diese Bündnisse tatsächlich angegriffen sichern sollten, eine indische Kampfbrigade, kam nie worden sind. 13 Der UN-Einsatz in Somalia

Nach dem schnellen Sieg der US- einem anderen War Lord, Ali Mahdi. vid Stockwell damit: „Die Frauen und geführten Koalition über den Irak Im Juni 1993 brach offener Krieg zwi- Kinder waren Kampfteilnehmer“.28 1991 suchte Washington ein neues schen den internationalen Truppen Das US-Engagement endete mit einem Land, um seine überwältigende Mili- und Aidids Miliz aus, UN-Truppen Debakel. Im urbanen Krieg gegen Ai- tärmacht zu demonstrieren und die begingen Gräueltaten an Gefangenen. dids Miliz wurden am 3. Oktober zwei „neue Weltordnung“ herzustellen. Es tauchten Fotos auf, die zeigten, Kampfhubschrauber abgeschossen Im Dezember 1992 startete die „Ope- wie belgische UN-Soldaten Somalier und 18 Elitesoldaten getötet. Rund ration Restore Hope“ in dem von Hun- erschossen, auf das Gesicht eines to- 1.000 Somalis starben in der unglei- ger und Armut gezeichneten Somalia. ten Somaliers urinierten und einen chen Schlacht, und doch fühlten sich Offi zielles Ziel dieser internationalen Jugendlichen über ein Lagerfeuer Aidids Anhänger als Sieger. Zivilisten Militäroperation unter US-amerika- hielten.27 Am 12. Juli feuerten US- zogen vor den Kameras der Welt- nischer Führung war es, die Milizen Kampfhubschrauber zehn Raketen presse die Leichname von US-Piloten der verschiedenen War Lords ausein- auf ein Haus ab, in dem sich die Äl- durch die staubigen Straßen Mogadi- anderzuhalten und so das Land zu be- testen des Klans von Aidid versam- schus. Nach dieser Demütigung ent- frieden. Tatsächlich suchte Washing- melten. 50 von ihnen kamen dabei schloss sich der demokratische US- ton unter den War Lords nach einem ums Leben. Fast täglich kam es da- Präsident Bill Clinton zum Rückzug. Führer, der als geeigneter Verbünde- raufhin zu wütenden Protesten in Um das Gesicht zu wahren, wurde im ter aufgebaut und zum Herrn über Mogadischu gegen die internationa- November der Haftbefehl gegen Aidid ganz Somalia gemacht werden konn- le Militärmission. Am 9. September aufgehoben und eine Verhandlungs- te. Die Wahl fi el zunächst auf den Füh- schossen US-Kampfhubschrauber auf lösung mit ihm gesucht. Die Entschei- rer der somalischen Nationalallianz, Anforderung der UN in eine Men- dung zum Abzug der Bundeswehr General Aidid. Doch die Beziehungen schenmenge und töten mehr als 100 folgte einen Monat später. verschlechterten sich rasch. Washing- Demonstranten. Das Vorgehen recht- ton verbündete sich daraufhin mit fertigte UN-Militärsprecher Major Da- 14 Es handelte sich um ein politisches Urteil, das die von benen Jugoslawiens eskalierte ein Konfl ikt zwischen der Bundesregierung geschaffenen Fakten nachträg- der jugoslawischen Zentralregierung unter Slobodan lich legitimierte. Das oberste deutsche Gericht engte Milosevic und der sezessionistischen Befreiungsar- in seinem Urteil noch nicht einmal den geografi schen mee des Kosovo (UCK). Doch der NATO-Krieg war Rahmen ein, in dem das deutsche Militär in Zukunft in keiner Weise geeignet, das Morden zu beenden. operieren dürfe. Einzig die verstärkte Einbeziehung Vielmehr verschlimmerte er die Lage. Nach Beginn des Parlaments wurde angemahnt, was zur Schaffung der Luftangriffe ergriffen laut UNHCR über 850.000 des so genannten Parlamentsvorbehaltes führte.31 Kosovo-Albaner die Flucht. Die Verbrechen von ser- bisch-paramilitärischen Kräften, die der NATO-Angriff vorgeblich unterbinden sollte, nahmen dramatisch NATO führt Krieg in Europa: Jugoslawien 1999 zu. NATO-Befehlshaber General Wesley Clark räumte später ein, dass die Forcierung der ethnischen Vertrei- Das Urteil von 1994 war ein Dammbruch. Seitdem bungen eine „vollkommen vorhersehbare“ Folge der hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion NATO-Luftangriffe gewesen sei. jedem neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr mit großer Mehrheit zugestimmt. Als 1998 die erste rot- Dabei hätte es Möglichkeiten gegeben, eine friedliche grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Lösung zu fi nden. Dem Krieg waren Verhandlungen im Schröder (SPD) und Außenminister Joseph („Joschka“) Schloss Rambouillet bei Paris zwischen Jugoslawien Fischer (Grüne) gebildet wurde, da war auch der Weg und einer „Kontaktgruppe“ aus USA, EU und Russland der Grünen zur Interventionspartei vorgezeichnet. Der vorausgegangen. Wenige Wochen nach Beginn der nächste Krieg auf dem Balkan warf seine Schatten vo- Bombardements kam heraus, dass der jugoslawische raus. Für den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen Präsident Slobodan Milosevic durchaus bereit war, der NATO-Mission ALLIED FORCE über dem Gebiet sich auf substanzielle Zugeständnisse einzulassen. Jugoslawiens hatte der bereits vor Bildung Doch die Kontaktgruppe bestand bei den Verhand- der neuen Regierung einen Vorratsbeschluss gefällt. lungen auf die Unterzeichnung eines Abkommens, Als die NATO am 24. März 1999 begann, Jugoslawien das einen bislang unbekannten „Anhang B“ enthielt. zu bombardieren, beteiligte sich die Bundeswehr mit Dieser sah die völlige Bewegungsfreiheit der NATO in Aufklärungsfähigkeiten, Lufttransportkräften, Marine ganz Jugoslawien vor, inklusive des Rechts auf Durch- und Stabspersonal und stellte darüber hinaus Kräfte führung militärischer Manöver zu Lande, zu Wasser im Rahmen von AWACS-Flügen bereit, die als fl iegende und in der Luft, sowie die völlige Immunität des NATO- Gefechtsstände fungierten. Daneben wurden Einheiten Personals gegenüber jugoslawischen Behörden und des Heeres nahe der Grenze in den Nachbarstaaten die kostenlose Nutzung der gesamten Infrastruktur Mazedonien und Albanien stationiert, um die Option des Landes. eines Einsatzes von Bodentruppen offenzuhalten. So hatten die Verhandlungen nur den Zweck, den Der Krieg sollte dazu dienen, so die offi zielle Version, Vorwand zum Krieg zu liefern. Für Deutschland war die Verfolgung ethnischer Albaner in Kosovo zu be- Außenminister Fischer beteiligt, der die Existenz eines enden. In dieser Provinz im südlichen Teil des verblie- Anhangs B offenbar selbst engen Mitarbeitern vorent- 15 Der Parlamentsvorbehalt

Der Parlamentsvorbehalt bedeutet, gungsdruck gegenüber der Bevölke- nen Soldaten zwar Waffen zur Selbst- dass jeder bewaffnete Einsatz der Bun- rung, die Auslandseinsätze der Bun- verteidigung tragen, aber nicht ernst- deswehr im Ausland durch den Bun- deswehr mehrheitlich ablehnt. Nach haft mit der Verwicklung in Kämpfe destag vorab genehmigt (mandatiert) dem Willen mancher Politikerinnen rechnen müssen, sollen künftig von werden muss. Diese Mandatierung und Politikern soll der Parlamentsvor- der vorherigen Zustimmung des Bun- wird in der Regel einmal im Jahr im behalt abgeschafft oder zumindest auf- destages ausgenommen sein. Dassel- Bundestag durch zwei parlamentari- geweicht werden. Das Hauptargument: be soll für den Einsatz von Bundes- sche Debatten und eine anschließen- der Parlamentsvorbehalt blockiere wehrsoldatinnen und -soldaten in Stä- de Abstimmung erneuert. Aus diesem bzw. verzögere NATO- oder EU-Einsät- ben und Hauptquartieren der NATO, Grund wird die Bundeswehr auch als ze in unverhältnismäßiger Weise. Eine der EU und anderen Organisationen „Parlamentsarmee“ bezeichnet. Der im März 2014 vom Bundestag auf Vor- der kollektiven Sicherheit gelten) (sie- Begriff führt jedoch in die Irre. Nicht schlag der Bundesregierung eingesetz- he Drucksache 18/5000, S. 5). Anstelle das Parlament, sondern die jeweiligen te „Kommission zur Überprüfung und einer Aufweichung will DIE LINKE un- Bundesregierungen haben alle Manda- Sicherung der Parlamentsrechte bei geachtet ihrer grundsätzlichen Ableh- te für Auslandseinsätze entworfen, ein- der Mandatierung von Auslandseinsät- nung von Auslandseinsätzen der Bun- gebracht und mittels ihrer parlamen- zen der Bundeswehr“ verneinte in ih- deswehr, eine Stärkung der parlamen- tarischen Stimmenmehrheit durch- rem Abschlussbericht eine solche Blo- tarischen Beteiligung und fordert des- gesetzt. Das Parlament dient insofern ckade, schlug aber trotzdem vor, den halb, dass alle Auslandseinsätze der vor allem der Legitimierung von Re- Parlamentsvorbehalt aufzuweichen, Bundeswehr unter den Parlamentsvor- gierungsentscheidungen. Allerdings indem bestimmte Einsatztypen aus behalt fallen. sorgen die parlamentarischen Debat- der Zustimmungspfl icht ausgenom- ten für Öffentlichkeit und Rechtferti- men werden sollen. Einsätze, bei de- 16 hielt. Nach dessen Bekanntwerden erklärten Staats- ger wurde in den Hintergrundsendungen des Fernse- minister und Staatssekretäre im Auswärtigen Amt hens, in den TV-Talks und in den Expertenrunden der der Presse, ihnen sei der Anhang B völlig unbekannt Sinn des Krieges angezweifelt. […] Die totgeglaubte gewesen.32 Ostermarsch-Bewegung meldete sich zurück: Über 100 Aktionen und Demos gegen den Krieg hat sie Das Bombardement dauerte 74 Tage. Nach eigenen bundesweit angekündigt. Die 49jährige Ilona Rothe Angaben fl og die NATO insgesamt 31.529 Angriffe. aus Erfurt, Mutter eines 24jährigen im mazedonischen Zunächst waren Einrichtungen und Fahrzeuge der ju- Tetovo stationierten Soldaten, machte im Fernsehen goslawischen Armee das Angriffsziel. Danach ging das mit der Erklärung Furore, sie habe ‘meinen Sohn nicht Bündnis dazu über, gezielt Brücken, Straßen, Flughä- zum Sterben geboren, sondern zum Leben‘.“35 fen, Industrieanlagen, Rundfunkstationen und Raffi ne- rien zu zerstören. Selbst die chinesische Botschaft in Um den Widerstand gegen den Krieg in den eigenen Belgrad wurde getroffen. Die Bombardements wurden Reihen zu brechen, bemühten Grüne und SPD schrille als „chirurgische Schläge“ oder „Eingriffe“ verharm- historische Vergleiche. Die Herrschaft des serbischen lost, die zivilen Opfer als „Kollateralschäden“ bagatelli- Präsidenten Milosevic wurde mit dem deutschen siert. NATO-Bomber warfen schätzungsweise 300.000 Nationalsozialismus gleichgesetzt. Der grüne Außen- Streubomben ab, die völkerrechtlich geächtet sind.33 minister Fischer verteidigte den Einsatz im Kosovo in folgenden Worten: „Natürlich steckt da auch bei Unmittelbar nach dem Ende des Krieges schätzte die mir immer die Erinnerung an unsere Geschichte […]. NATO die Anzahl der getöteten oder verletzten jugo- Und ich frage mich, wenn wir innenpolitisch dieses slawischen Soldaten auf 10.000. Die jugoslawischen Argument immer gemeinsam verwandt haben, warum Behörden sprachen von 1.500 getöteten und 5.000 verwenden wir es dann nicht, wenn Vertreibung, eth- verletzten Zivilisten. Die NATO hatte in dem unglei- nische Kriegsführung in Europa wieder Einzug halten. chen Krieg hingegen fast keine eigenen Todesopfer […] Ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg, zu beklagen. Zwei US-amerikanische Piloten kamen nie wieder Auschwitz, nie wieder Faschismus.“36 während eines Übungsfl uges in Albanien beim Absturz ihres Hubschraubers ums Leben, ein deutscher Soldat Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Schar- verunglückte, ebenfalls in Albanien, tödlich beim Sturz ping erklärte, beim NATO-Krieg ginge es um die Ver- eines Panzers von einer Brücke.34 hinderung von „Völkermord“. Die serbischen Truppen würden planmäßig in Formation eines Hufeisens vor- Der NATO-Krieg war unter den Anhängern und Wäh- gehen, um die gesamte albanische Bevölkerung aus lern von SPD und Grünen umstritten. Es gingen dem Kosovo zu vertreiben. Diesen „Hufeisenplan“ hat Tausende auf die Straße. Das waren weniger, als zu es nie gegeben. Dies belegte die Dokumentation „Es Zeiten des Golfkriegs 1991. Aber die Bundesregierung begann mit einer Lüge“, die der Westdeutsche Rund- befürchtete ständig, dass mit der zunehmenden Zahl funk (WDR) zwei Jahre später ausstrahlte.37 Darin wur- von Angriffen gegen zivile Ziele die Stimmung deutlich den auch weitere Fälschungen und Übertreibungen umschlagen könnte. Der Spiegel berichtete zwei Wo- beschrieben, die die Zustimmung zum Kosovo-Krieg in chen nach Beginn der Bombardements: „Immer häufi - der Bevölkerung erhöhen sollten. 17 Am Ende musste Milosevic nachgeben, der Kosovo und Ungarn der NATO bei – allesamt Staaten, die noch wurde unabhängig. Es entstand ein korruptes Gebilde, zehn Jahre zuvor Teil des Warschauer Paktes gewesen das, wie schon Bosnien zuvor, unter die Kontrolle ei- waren. Auf dem NATO-Gipfel im April 1999 bildeten nes UN-Hochkommissars gestellt wurde. Um die Lage die ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Ukraine, zu „stabilisieren“, wurde eine internationale Truppe Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien eine lose im Land unter Beteiligung der Bundeswehr stationiert, „Sicherheitsallianz“ (GUUAM), die sie dichter an die die Kosovo Force (KFOR). NATO heranführen sollten.

Die Bundeswehr ist an KFOR führend beteiligt. Da- Für die Bundeswehr ging es um „Normalisierung“. Der durch ist Deutschland zu einer militärischen Ord- Krieg gegen Jugoslawien war der erste gegen ein Land, nungsmacht auf dem Balkan geworden. Ursprünglich das die Wehrmacht im zweiten Weltkrieg überfallen lag die Mandatsobergrenze bei 8.500 Soldaten. 2016 hatte. General Bernd Müller, damals Kommandeur liegt sie bei 1.850. einer auf den Balkan entsandten Luftlandebrigade, erklärte dazu: „Was jetzt passiert, ist für uns doch Ein Ende dieser Truppenpräsenz ist auch nach fast nichts Neues.“ Er müsse sich „heitere Nachsicht“ zwei Jahrzehnten nicht abzusehen, ebenso wenig wie abverlangen, um die Debatten „draußen in der deut- eine Verbesserung der sozialen Lage. Perspektiven schen Öffentlichkeit“ nachvollziehen zu können. Er bietet die neue Ordnung für die Wenigsten. Kosovo ist sagte: „Ein Angriff auf einen souveränen Staat ist von nach wie vor Armenhaus Europas Unter den Augen Zeit zu Zeit notwendig.“38 der internationalen Militärpräsenz ist rassistische Ge- walt ebenso aufgeblüht wie die Kriminalität. Dessen ungeachtet wurde der Kosovo im Oktober 2015 durch Der Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee die Bundesregierung zu einem „sicheren Herkunfts- staat“ erklärt, d.h. zu einem Staat, dessen Bewohne- Die schrittweise Umorientierung von einer Armee zur rinnen und Bewohner kein Asylrecht genießen und in Landesverteidigung zu einer Armee im Einsatz wurde in den Menschen legal abgeschoben werden können. den 1990er Jahren politisch erfolgreich vollzogen. Am Ende des Jahrzehnts waren alle im Bundestag vertre- Das Schicksal der Kosovarinnen und Kosovaren tenen Parteien, mit Ausnahme der LINKE-Vorgängerin spielte und spielt im Kalkül von Bundesregierung und PDS, zu Interventionsbefürwortern geworden. Doch der NATO keine Rolle. Sie hatten es 1999 lediglich instru- politische Wille genügte nicht. Die Armee selbst musste mentalisiert, um ihre Kriegsziele zu erreichen. Für die völlig umgebaut werden, um den neuen Anforderungen NATO ging es darum, Jugoslawien als eigenständigen gerecht zu werden. Hinzu kam, dass auch im Krieg internationalen Akteur und letzten Bündnispartner gegen Jugoslawien 1999 die Bundeswehr nie selbst im Russlands auf dem Balkan zu schwächen. Es ging Gefecht stand, sondern nur unterstützend tätig war. um eine Machtdemonstration zur Festigung der geo- Die politische Transformation hin zu einer „Armee im strategischen Kontrolle über Osteuropa. Aus dieser Einsatz“ war jedoch Voraussetzung für die militärische Perspektive war der Krieg ein Erfolg. Im selben Monat, Transformation. Der Umbau der Bundeswehr selbst da er begann, traten die Tschechische Republik, Polen stand aber zu diesem Zeitpunkt noch ganz am Anfang. 18 Die Grundlage für diesen Umbau legte CDU-Verteidi- wurden aufgelöst. Demgegenüber erforderten die gungsminister Volker Rühe bereits mit dem Erlass der beabsichtigten Einsätze in Übersee gänzlich neue Verteidigungspolitischen Richtlinien 1992. Darin heißt Kapazitäten. So gab das Verteidigungsministerium in es, Sicherheitspolitik müsse unter den neuen Verhält- den 1990er Jahren den Bau zwei moderner Einsatz- nissen „risiko- und chancenorientiert angelegt sein“. gruppenversorger (EGV) der „Berlin“-Klasse in Auftrag. Sie lasse sich „weder inhaltlich noch geografi sch ein- Sie wurden 2001 und 2002 in Dienst gestellt; 2013 grenzen“.39 Entsprechend werde die Bundeswehr in kam ein dritter EGV hinzu. Dabei handelt es sich um ihrer Struktur künftig aufgeteilt: neben die Hauptver- die größten Schiffe der Bundeswehr. Sie sind ausge- teidigungskräfte und Grundorganisation treten Krisen- stattet mit Hubschraubern und können Kampfschiffe reaktionskräfte. Diese „Krisenreaktionskräfte müssen einer Marine-Einsatzgruppe auf See bis zu 45 Tage befähigt werden, nach Art, Intensität sowie Warnzeit, unabhängig von einem Hafen mit dem erforderlichen Dauer und Ort unterschiedliche Krisen und Konfl ikte Nachschub versorgen, mit Kraftstoff und Öl, Frisch- im Bündnis und anderen internationalen Kooperati- wasser, Proviant, Munition und Verbrauchsgütern . So onsformen erfolgreich zu bewältigen. Sie müssen den sind landunabhängige Transits von Flotten-Einheiten daraus resultierenden neuen Anforderungen an Aus- bis zu 30.000 Kilometer möglich geworden.42 bildung, Ausrüstung, Flexibilität und Mobilität gerecht werden. Dazu gehört auch eine ständige, zentrale, Die Bundesregierung hat in den 1990er Jahren quanti- teilstreitkraftübergreifende Planungs- und Führungsfä- tativ abgerüstet, um qualitativ aufzurüsten. Allerdings higkeit.“40 stieß sie dabei auf ein Problem. Rüstungsprojekte ha- ben eine lange Laufzeit. Zahlreiche und teure Beschaf- Die Bundeswehr war als Erbe des Kalten Krieges völ- fungsvorhaben aus der Zeit des Kalten Krieges liefen lig überdimensioniert. Überdies nahm sie 1990 auch weiter. Dies führte dazu, dass Militärgerät ausrangiert noch die Nationale Volksarmee der DDR in sich auf. wurde, aber die Gesamtausgaben kaum sanken. Auch Das machte sie angesichts der neuen Ambitionen deshalb, weil einige der Projekte fortgeführt wurden, keineswegs handlungsfähiger. Um rasch verlegbare, aber vor dem Hintergrund der neuen strategischen kampffähige „Krisenreaktionskräfte“ aufzustellen, Ausrichtung umgerüstet wurden. Dies blähte die Kos- fehlte es ihr an Material wie an Soldaten. Alle Mittel ten einiger Projekte wie des Kampffl ugzeugs Eurofi gh- sollten nun darauf konzentriert werden. In den Richtli- ter massiv auf. Laut Bundesrechnungshof wird das nien hieß es explizit: „Wo Investitionen auf absehbare Rüstungsvorhaben Eurofi ghter bis zu seinem Laufzei- Zeit nicht unabdingbar erforderlich sind, muss Ver- tende den deutschen Steuerzahler 60 Milliarden Euro zicht geübt werden, um künftig vorrangige Aufgaben- gekostet haben. bereiche ausgestalten zu können.“41 Was das Personal betrifft, so ging es dem Verteidi- Es folgte eine tiefgreifende und nachhaltige Umstruk- gungsministerium darum, die Bundeswehr zu professi- turierung der Bundeswehr. Bis 2014 wurden rund 90 onalisieren. Mit 18-jährigen Wehrpfl ichtigen war kein Prozent der Kampfpanzer verschrottet oder verkauft, Kampfeinsatz in Afrika oder Zentralasien zu gewin- die mit Blick auf einen möglichen Landkrieg in Europa nen. Die Truppenstärke der Bundeswehr wurde von angeschafft worden waren. Ganze Panzerbrigaden 495.000 Militärangehörigen während des Kalten Krie- 19 ges auf zunächst 370.000 gesenkt, gemäß „Zwei-plus- Die Bundesregierung informiert das Parlament nur un- Vier-Vertrag“ von 1990 mit den vier vormaligen Besat- zureichend oder gar nicht über die Tätigkeit des KSK. zungsmächten. Bis 2010 sank die Personalstärke auf Klar ist: Es führte Spezialoperationen an der Seite US- etwa 250.000 Soldaten und 75.000 zivile Mitarbeiter. amerikanischer Kräfte im Rahmen des Kampfeinsat- Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch etwa 20 Prozent zes in Afghanistan durch. Der aus Bremen stammende der Soldaten Wehrpfl ichtige, die übrigen waren bereits Murat Kurnaz beschuldigte das KSK, er sei nach seiner Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit. 2011 wurde die Verhaftung 2001 in Pakistan von zwei seiner Soldaten Wehrpfl icht schließlich ausgesetzt, die Sollstärke der in einem US-Gefangenenlager im afghanischen Kan- Bundeswehr bis Anfang 2016 auf 185.000 Soldaten dahar misshandelt worden, bevor er von ins amerika- fi xiert, darunter 170.000 Zeit- und Berufssoldaten, nische Folterlager Guantanamo auf Kuba verschleppt 2.500 Reservisten sowie aus 5.000 bis 12.500 freiwil- wurde. Der Fall Kurnaz war im Bundestag Gegenstand lig Wehrdienstleistende. eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, in dessen Verlauf seine Aussagen erhärtet wurden.44 Im Gegenzug zum Abbau der Massenarmee wurde der Aufbau spezialisierter Truppenteile vorangetrie- Die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 1992 ben. 1992 fällte das Verteidigungsministerium die eingeforderte „ständige, zentrale, teilstreitkraftüber- Entscheidung zur Aufstellung eines Kommandos greifende Planungs- und Führungsfähigkeit“ wurde Luftbewegliche Kräfte (in Regensburg) innerhalb des nach Ende des Kosovo-Krieges durch die Einrichtung Heeres. Daraus ging ab 2001 die Division Spezielle des Einsatzführungskommandos umgesetzt. Seit dem Operationen hervor, und 2014 die Division Schnelle 1. Juli 2001 plant und führt das in Geltow bei Potsdam Kräfte mit Sitz im hessischen Stadtallendorf. Als Spe- ansässige Einsatzführungskommando alle Einsät- zialkräfte des Heeres unter dem Motto „Einsatzbereit. ze deutscher Streitkräfte – ob im nationalen oder Jederzeit. Weltweit.“ wurde die Division in zahlreiche multinationalen Rahmen. Es ist damit die operative Auslandseinsätze und Manöver geschickt. Heute un- Führungsebene der Bundeswehr und gibt als einzige tersteht ihr der gesamte Flugbetrieb des Heeres.43 Teil Dienststelle nationale Weisungen an die Führer der der Division Schnelle Kräfte ist das 1996 aufgestellte Kontingente in den Einsatzgebieten. Kommando Spezialkräfte (KSK). Dies wird seitdem systematisch aufgerüstet. 2016 fi el die Entscheidung, dem KSK für rund 200 Millionen Euro eine eigene Hubschrauberfl otte zur Verfügung zu stellen, die das Einsatzspektrum der deutschen Spezialkräfte erwei- tert und die Abhängigkeit von den US-amerikanischen Verbündeten senkt. Die Hubschrauber erhalten neben modernster Bordelektronik und einem drehbaren Bordmaschinengewehr auch ein spezielles Abseilsys- tem, das Spezialoperationen hinter feindlichen Linien, nachts oder in dichtem Nebel ermöglichen.

20 2001 – 2016: Vom Kampfeinsatz in Afghanistan zum „Krieg gegen den Terror“

21 Krieges. Der internationale Militäreinsatz in Afgha- nistan, und mit ihm der Bundeswehreinsatz, hat sich längst seine eigene Logik geschaffen.

Das war nicht die Perspektive, mit der die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schrö- der (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Bünd- nis 90/Die Grünen) im Herbst 2001 die umstrittene Beteiligung am Krieg durchsetzten. Die Entsendung deutscher Soldaten wurde mit der Unterdrückung 2001 – 2016: der afghanischen Bevölkerung gerechtfertigt. Im Vor- Vom Kampfeinsatz dergrund stand das Versprechen, mit dem Sturz der in Afghanistan zum Taliban würden ein unterdrückerisches Regime besei- „Krieg gegen den tigt und insbesondere die Rechte von Frauen wieder Terror“ durchgesetzt. Im Übrigen ginge es darum, Osama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al-Qa‘ida zu besiegen und so die Terrorgefahr insgesamt zu beseitigen. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Die Bundeswehr im Endloskrieg in Afghanistan Struck behauptete, Deutschlands Sicherheit werde „am Hindukusch verteidigt“.46 Das neue Einsatzführungskommando sollte schon bald Verwendung fi nden. Ein halbes Jahr nach seiner Fünfzehn Jahre nach Beginn des Krieges in Afghanis- Einrichtung wurde die Bundeswehr in den Krieg nach tan ist von all den Versprechungen nichts geblieben. Afghanistan geschickt. Zwischen 2002 und 2014 führ- Weder wurde die afghanische Wirtschaft entwickelt, te sie im Rahmen der NATO-geführten International noch eine Demokratie aufgebaut; weder machte die Security Assistance Force (ISAF) ihren ersten Kampf- Frauenbefreiung Fortschritte, noch können alle Kinder einsatz durch.45 Seit Beendung des ISAF-Einsatzes in die Schule gehen. Vielmehr versank das Land in sind deutsche Soldaten weiterhin im Rahmen der einem Endloskrieg und verschärftem wirtschaftlichen Beratungs- und Ausbildungsmission Resolute Support Niedergang, der es von Auslandsfi nanzierung fast (RSM) in Afghanistan aktiv. Die anvisierten Termine vollständig abhängig gemacht hat. Die Dynamik des für einen vollständigen Abzug aus Afghanistan wurden Endloskriegs liegt dabei in seiner Ausgangskonstellati- immer wieder revidiert. Der internationale Afghanis- on begründet. taneinsatz ist im Laufe von fünfzehn Jahren zu einem Besatzungskrieg geworden, dessen Ende nicht abzu- Am 7. Oktober 2001 begannen die US-Streitkräfte sehen ist. Er wird heute im Wesentlichen damit ge- Afghanistan aus der Luft anzugreifen. Die Stadt Kan- rechtfertigt, dass ein Abzug zur Machtübernahme der dahar und viele ländliche Gebiete wurden massiv bom- aufständischen, islamistischen Taliban führen würde. bardiert. Washington entsandte auch Sondereinsatz- Deren Sturz war allerdings das ursprüngliche Ziel des kräfte und Fallschirmjäger. Das Bundestagsmandat 22 Warum führt der Westen Krieg in Afghanistan?

Am 11. September 2001 entführten ordnung der Welt unter US-Führung. minanz erfolgreich abgeschlossen zu Terroristen über dem Luftraum der Sie scharten sich um das „Projekt für haben. Unter Federführung des stell- USA mehrere Passagierfl ugzeuge. Sie ein neues amerikanisches Jahrhun- vertretenden Verteidigungsministers steuerten die Maschinen direkt in das dert“. Ihre Strategie beruhte im Kern Paul Wolfowitz entstand die neue „Na- als Pentagon bezeichnete US-Vertei- auf der Invasion des Iraks, die Erobe- tionale Sicherheitsstrategie“ der US- digungsministerium in Washington, rung Afghanistans diente als vorbe- Regierung. Darin wurden „Schurken- sowie das World Trade Center in New reitende Phase. Tatsächlich berichtete staaten“ und „Terroristen“ als globale York. Etwa 3.000 Menschen kamen der damalige Anti-Terrorismus-Berater Herausforderung defi niert, die „Prä- bei den Anschlägen ums Leben. Un- im Nationalen Sicherheitsrat der USA, ventivkriege“ rechtfertigten. Die Liste ter den Attentätern befand sich kein Richard A. Clarke, später in seinem dieser Schurkenstaaten war lang. Ganz einziger Afghane. Als Drahtzieher der 2004 erschienenen Buch „Against All oben standen der Irak, Iran und Nord- Anschläge galt Osama bin Laden, Sohn Enemies: Inside America’s War on Korea, die George Bush als „Achse des einer saudischen Milliardärsfamilie, Terror“, dass die Bush-Regierung ihn Bösen“ bezeichnete, sowie Libyen. der zunächst als Freiwilliger mit den schon am Tag nach den Anschlägen Was aber hat die Bundesregierung von den USA unterstützen Mudscha- vom 11. September 2001 dazu gedrängt dazu bewegt, sich an dem Krieg in Af- heddin in Afghanistan gegen die sow- habe, einen Zusammenhang zwischen ghanistan zu beteiligen? Zum einen hat jetische Armee gekämpft hatte, sich Saddam Hussein und dem Terroran- auch die deutsche Regierung ein Inte- später gegen die „Ungläubigen“ im schlag zu fi ngieren, um so einen unmit- resse, in einer Region von zentraler Westen wandte und sich zu jener Zeit telbaren Angriff auf den Irak vorberei- geopolitischer Bedeutung militärisch in dem Land versteckt hielt. Die US- ten zu können. Das Kalkül hinter dem präsent zu sein. Aber nicht nur das. Regierung nahm das zum Anlass, um „Projekt für ein neues amerikanisches Wer nicht mitkämpft, hat auf der Welt- Afghanistan den Krieg zu erklären. Jahrhundert“ war dabei: Über die Kon- bühne nichts mitzureden, lautet das Erstmalig in der Geschichte der NATO trolle der ölreichen Regionen des Mitt- Motto, das uns auch Joschka Fischer wurde der Bündnisfall ausgerufen. leren Ostens und Zentralasiens ließe nahelegt: „Die Entscheidung `Deutsch- Die Anschläge des 11. September 2001 sich die militärische Überlegenheit der land nimmt nicht teil` würde auch waren Anlass, aber nicht Ursache des USA zu einem Hebel machen, um auch eine Schwächung Europas bedeuten Krieges. Es ging auch nur am Rande die Weltwirtschaftsordnung nachhal- und würde letztendlich bedeuten, dass um Afghanistan selbst. Ein Angriff auf tig zum eigenen Vorteil zu gestalten. wir keinen Einfl uss auf die Gestaltung das unterentwickelte und völlig ver- Unter Präsident George W. Bush hat- einer multilateralen Verantwortungs- armte Land versprach aus Sicht der ten die Neokonservativen 2001 füh- politik hätten. Genau darum wird es in US-Außenpolitik einen schnellen Sieg, rende Positionen in der US-Außen-und den kommenden Jahren gehen. [...] Das der ihr das nötige Moment für weiter- Sicherheitspolitik übernommen. Nach Maß der Mitbestimmung richtet sich gehende Ziele geben sollte. Seit Ende dem raschen Sturz der Taliban im De- nach dem Maß des Mitwirkens.“47 der 1990er Jahre argumentierten soge- zember 2001 glaubten sie, den ersten nannte Neokonservative für die Neu- Schritt auf dem Weg zur totalen US-Do- 23 zur Unterstützung des Anti-Terror-Einsatzes Operation über die Grenzen der Hauptstadt Kabul hinaus reichte. Enduring Freedom (OEF) erteilte der Bundestag am 16. Afghanistan wurde unter den Führern der ehemaligen November 2001. Nordallianz in verschiedene Machtbereiche aufgeteilt. Sie stützen ihre Macht genauso auf Unterdrückung Aber die eigentlichen Kräfte am Boden waren die Ver- und Waffengewalt wie die Taliban vor ihnen. bündeten der USA von der sogenannten Nordallianz – ein auf ethnischer Grundlage gebildetes Bündnis, das Als Unterstützung für die eingesetzte neue Regierung sich seit Jahren im Bürgerkrieg mit der Kabuler Re- unter Karsai, beschloss der UN-Sicherheitsrat am 20. gierung und den Taliban befand. Die Anführer dieses Dezember 2001 die internationale Schutztruppe Inter- Bündnisses konnten jeweils eigene Gebiete für sich national Security Assistance Force (ISAF) einzurich- sichern. Zugleich waren sie keineswegs allein von den ten. Zwei Tage später beschloss der Bundestag das USA abhängig. Afghanistan-Mandat.

Im Nordosten bestand die wichtigste Kraft aus Ta- Das Land verharrt in Armut. Unter der Kontrolle der dschiken, die von Russland und Indien unterstützt Regierungen Karsai und nachfolgend Ashraf Ghani wurden. Im zentralen Norden wurde die wichtigste blühte lediglich der Anbau von Schlafmohn auf, der Miliz von dem Usbeken Abdul Raschid Dostum geführt, Grundlage für Heroin. Zwischen 2001 und 2002 ist der der als General in der früheren pro-sowjetischen af- Anteil Afghanistans am Weltopiummarkt von 11 auf 75 ghanischen Armee gedient hatte, mit Verbindungen Prozent angestiegen, bis 2008 auf 95 Prozent. 2014 zu Russland und Usbekistan. Im Westen war der be- gab es einen Höchststand an Schlafmohnanbau.49 deutsamste Führer ebenfalls ein ehemaliger Offi zier der nationalen afghanischen Armee, Ismael Kahn, der In den Jahren nach der Stationierung der ISAF entwi- vom Iran unterstützt wurde. Als die Taliban aus Kabul ckelte sich ein neuer Aufstand. Dessen Ausmaß lässt fl ohen, eroberten tadschikische Kräfte von Norden sich am Umfang der im Land stationierten Truppen kommend die Hauptstadt, bevor die US-Kräfte dort erahnen, mit der die USA und ihre Verbündeten ihm Positionen bezogen. Die Taliban selbst sollten sich zu begegnen versuchten. Die Mission ISAF wurde von in den paschtunischen Gebieten im Süden bald neu Kabul auf das ganze Land ausgeweitet und verlagerte gruppieren, um den Aufstand erneut zu beginnen ab 2008 seinen Schwerpunkt auf Aufstandsbekämp- bzw. den Krieg fortzusetzen. Bis heute unterhalten sie fung. Beziehungen nach Pakistan, wo sie unter Zutun des pakistanischen Geheimdienstes ursprünglich auch Die Aufständischen waren keine homogene Gruppe. gegründet wurden. Die Taliban gewannen an Unterstützung, weil sie den Widerstand gegen die Besatzung organisierten. Seth Auf der Afghanistan-Konferenz der Vereinten Natio- Jones von der armeenahen US-Denkfabrik RAND nen auf dem Bonner Petersberg im Dezember 2001 Corporation analysierte: „Der Hauptteil der Taliban wurde der Favorit der USA, Hamid Karsai, zum neuen besteht aus Tausenden lokalen Kämpfern und ihren afghanischen Präsidenten gekürt.48 Vor Ort waren sie Unterstützernetzwerken. Die meisten kämpfen nicht indessen damit konfrontiert, dass sein Einfl uss kaum für den Dschihad. Vielmehr motiviert sie ihre Arbeits- 24 NATO-Truppenstärke in Afghanistan (ISAF) Nichtuniformierte konfrontiert. Aus Perspektive der Besatzungsmächte macht das Einheimische per se verdächtig.

In diesem von den Militärstrategen als „asymme- trischer Konfl ikt“ bezeichneten Krieg übernahm August 2003: 5.581 Deutschland eine immer größere Rolle. Zugleich be- mühte sich die Bundesregierung, den eskalierenden August 2004: 8.465 Konfl ikt herunterzuspielen. In Stellungnahmen wurde darauf geachtet, das Wort „Krieg“ zu vermeiden. Seit Juli 2005: 9.685 2003 führte die Bundeswehr das sogenannte „Pro- vincial Reconstruction Team“ (PRT) im nordafghani- September 2006: 19.597 schen Kundus, seit 2004 auch das PRT in Faisabad. Der Name ‚Wiederaufbauteam‘ sollte den Eindruck Juli 2007: 33.000 erwecken, als würden hier zivile Hilfsorganisationen unter dem Dach militärischen Schutzes ihre Tätigkeit Juni 2008: 52.900 aufnehmen.

Juli 2009: 64.500 Die Wahrheit sah anders aus. Das PRT ist ein Militärla- ger. Zu Beginn des Jahres 2010 befanden sich dort ne- Juni 2010: 119.500 ben den stationierten 1.300 Soldatinnen und Soldaten, darunter der Kommandostab und die Sondereinheit September 2011: 130.670 Taskforce 47, ganze 20 Mitarbeiter der sogenannten „Zivilmilitärischen Zusammenarbeit“, kurz CIMIC.

Die Bundesregierung weitete den Bundeswehreinsatz parallel zum eskalierenden Aufstand aus. Deutschland übernahm ab 2006 das Regionalkommando für den losigkeit, die Enttäuschung über das Ausbleiben von gesamten Norden Afghanistans. Die Bundeswehr rich- Veränderungen seit 2001 oder ihre Wut über einen tete zu diesem Zweck bei Masar e-Scharif mit Camp von den afghanischen, US- oder NATO-Armeen getöte- Marmal ein mehr als drei Quadratkilometer umfassen- ten oder verwundeten Nachbarn oder Verwandten.“50 des Feldlager ein, das mitsamt einem Flughafen meh- rere Tausend Soldaten der ISAF beherbergte. 2007 Die Mehrheit der Bevölkerung in Afghanistan empfand entsandte die Bundesregierung Aufklärungstornados die ausländischen Truppen in Afghanistan als eine der Luftwaffe, die Informationen für die Planung und Fremdmacht. Wie in früheren Kolonialkriegen ist die Durchführung militärischer Operationen liefern. Im Fremdmacht in Afghanistan nicht mit Soldaten und Folgejahr stellte die Bundeswehr die so genannten klaren Fronten, sondern mit Guerilla-Aktionen durch Quick Reaction Forces, die Kampfoperationen am Bo- 25 Zivil-Militärische Zusammenarbeit (CIMIC)

Soldaten in Afghanistan reparieren inmitten der Bevölkerung erfüllen in Afghanistan „Die bewusste Vermi- Schuldächer oder bohren Brunnen. zu können. Die Bundeswehr schreibt schung von humanitärer Hilfe mit mili- Dieses Bild verbreitet die Bundesregie- selbst „CIMIC ist keine Entwicklungs- tärischen Zielen zerstört den eigentli- rung gerne über die Auslandseinsätze hilfe, sondern Bestandteil der militäri- chen Sinn der humanitären Hilfe. Dies der Bundeswehr. Zivil-militärische Zu- schen Operationsführung.“51 wird letztlich nur dazu führen, dass sammenarbeit sei das. Hilfsorganisationen wie „Ärzte dringend benötigte Hilfe denjenigen in Was wie selbstlose Hilfe aussieht ohne Grenzen“ kritisierten die zivil- Afghanistan versagt bleiben wird, die ist hingegen militärisches Kalkül. Die militärische Zusammenarbeit scharf. sie am dringendsten brauchen. Gleich- Bundeswehr braucht ein „ziviles Lage- So erklärte die ehemalige Projektko- zeitig werden diejenigen, die Hilfe be- bild“, um ihren militärischen Auftrag ordinatorin von Ärzte ohne Grenzen reitstellen, zur Zielscheibe.“52

den durchführen. 2009 stimmte der Bundestag mehr- rack Obama entstanden, später von Afghanistan auf heitlich für die Entsendung von AWACS-Flugzeugen Pakistan ausgeweitet worden, und wird auch nach nach Afghanistan, deren Einsatz aufgrund diploma- Ende von ISAF weitergeführt. tischer Verwerfungen erst 2011 zustande kam. Zum Höhepunkt der Intervention im März 2011 umfasste Der NATO-Krieg basierte auf der Terrorisierung der das deutsche Kontingent in Afghanistan 5.300 Solda- afghanischen Bevölkerung. Von den Details erfährt tinnen und Soldaten. die Öffentlichkeit im Westen fast nichts. Das Maga- zin Stern berichtete im Jahr 2010, wie sich die Bun- Der Krieg der internationalen Truppen verstärkte den deswehr am Krieg beteiligt: „Die NATO-Truppen in Unmut in der Bevölkerung. US-Streitkräfte traten Afghanistan benutzen geheime Todeslisten im Kampf nachts Türen ein, verhörten „Verdächtige“ vor Ort gegen die Taliban, um deren Kommandeure auf hoher oder verschleppten sie, um sie zu foltern. und mittlerer Ebene aufzuspüren, gefangen zu neh- men oder zu töten. Bei diesen Operationen ist neben Sie setzten Kampfdrohnen ein und ermordeten mit amerikanischen Spezialeinheiten das Kommando vermeintlich „gezielten Tötungen“ Zivilisten in großer Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr beteiligt.“ Im Zahl. Dieses Mordprogramm ist unter Präsident Ba- Einsatzführungskommando bei Potsdam wird darüber 26 Mitglieder der Fraktion DIE LINKE zeigen am 26.2.2010 im Plenum des Bundestages die Namen der Opfer des Militäreisatzes von Kundus.

27 Das Kundus-Massaker

In der Nacht vom 3. auf den 4. Sep- benabwürfe durchführen lassen zu tages beschäftigte sich mit dem Ver- tember 2009 forderte Oberst Georg können. Er schlug den Vorschlag der brechen. DIE LINKE schlussfolger- Klein einen amerikanischen Luftan- US-Piloten in den Wind, die Zivilisten te in ihrem Sondervotum: „Oberst griff gegen zwei Tanklaster an, die zunächst durch Tieffl üge zu warnen. Klein fühlte sich offenbar durch Vor- von Aufständischen entführt worden Das Ziel der Bomben sollten die Men- gaben seiner militärischen Vorgesetz- waren, bevor sie im Kundus-Fluss ste- schen am Boden sein. ten, aber auch der Politik, in seinem cken blieben. Als das Kampffl ugzeug Als in den Medien erste Meldun- rechtswidrigen Verhalten legitimiert, seine Bomben abwarf, befanden sich gen von dem Massaker erschienen, wenn nicht gar dazu aufgefordert.“54 zahlreiche Zivilisten bei den Lastern, versuchte die Bundesregierung das Die Bundesregierung hat sich nie die Benzin abzapfen wollten. Bei die- Verbrechen zu vertuschen. Verteidi- bei den Angehörigen der Opfer ent- sem Angriff wurden mehr als 100 Zi- gungsminister (CDU) schuldigt und keine ordentliche Ent- vilisten getötet, darunter viele Kinder. leugnete zunächst, dass es überhaupt schädigung gezahlt. Von den Verant- Das jüngste Opfer war ein Jahr alt. zivile Opfer gegeben haben könnte. wortlichen musste sich niemand vor Oberst Klein meldete wahrheitswid- Doch nach und nach kamen immer Gericht verantworten. 2013 wurde rig eine akute Feindberührung mit mehr Details ans Tageslicht. Ein Un- Oberst Georg Klein zum Brigadegene- den eigenen Truppen, um die Bom- tersuchungsausschuss des Bundes- ral befördert. 28 entschieden, „wen die Deutschen auf sogenannte Tote Zivilpersonen und Kombattanten JPEL-Listen (Joint Priority Effects List / Gemeinsame in Afghanistan, 2001 – Ende 2013 Wirkungsvorrangliste) setzen. Die endgültige Geneh- migung erteilt dann das ISAF-Hauptquartier in Kabul. Die Personen auf diesen Listen werden in den Kate- gorien „c“ und „c/k“ geführt – „c“ steht für „capture“ Afghanische Zivilpersonen 106.000 – 170.000 (ergreifen), „k“ für kill (töten). Dokumente und Aussa- gen von Beteiligten belegen die Existenz dieser Listen Journalisten 20 und ihre Verwendung in Afghanistan.“53 Mitarbeiter von NGOs 281 Selbst reguläre Kampfoperationen der Bundeswehr wurden nahezu vollständig vor der deutschen Bevöl- Afghanische Sicherheitskräfte 15.000 kerung verborgen. Wie sehr die afghanische Zivilbe- völkerung dabei in Mitleidenschaft gezogen wird, kam Private US-Sicherheitskräfte 3.000 einmal ans Licht der Öffentlichkeit, infolge einer vom deutschen Oberst Georg Klein angeforderten nächtli- ISAF- und OEF-Soldaten 3.409 chen Bombardierung von zwei Tanklastern im Septem- ber 2009 bei Kundus. Zivile Mitarbeiter der US-Regierung 1.700

Je länger der Krieg dauerte, desto unpopulärer wur- „Taliban“ 55.000 de er in Deutschland. Das Kundus-Massaker lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf Afghanistan. Es Summe: 184.412 bis 248.412 machte für breite Bevölkerungsteile deutlich, dass der Bundeswehreinsatz keines der Versprechen Schätzung nach der IPPNW Body-Count-Studie: http://www.ippnw. de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_Aufl age_ einlösen konnte, mit denen er gestartet war. Die deutsch_2015.pdf, Seite 88 Bundesregierung sah sich mit einem Untersuchungs- ausschuss zu Kundus im Bundestag konfrontiert, der während des Bombardements verantwortliche Ver- teidigungsminister Jung musste zurücktreten. Unter dem Druck der Ereignisse sprach sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im März 2010 Aus Sicht der Bundesregierung war es Zeit, den Afgha- zum ersten Mal davon, dass man in Afghanistan nistaneinsatz zu beenden. Nur wie? Ein Rückzug zu „umgangssprachlich von Krieg“ reden könne. Auch einem Zeitpunkt, da der Aufstand sich immer weiter Verluste auf deutscher Seite wurden Thema. Als der ausdehnte, hätte nach Niederlage ausgesehen. Das ISAF Einsatz am 31.12.2014 endete, waren 55 Bun- kam und kommt weder für die Bundesregierung, noch deswehrsoldaten in Afghanistan gestorben. Allein für die NATO in Frage. Das Bündnis schlug daher eine zwischen 2007 und 2011 verloren 33 deutsche Sol- Strategie ein, die die US-Armee bereits am Ende des daten in Afghanistan ihr Leben. Vietnam-Krieges in den 1970er Jahren versucht hatte: 29 Der Krieg der ISAF sollte Stück für Stück in die Verant- 2001 und 2014 über 20.000 afghanische Sicherheits- wortung von einheimischen Verbündeten gelegt wer- kräfte getötet worden, das heißt im Schnitt zwischen den. Begleitend würden NATO-Truppen als Berater und 1000 und 2000 pro Jahr. In den ersten sieben Mona- Ausbilder im Land bleiben, um sich dann allmählich ten des Jahres 2015 wurden demgegenüber 4.302 zurückzuziehen. Daneben lässt Washington bis heute afghanische Soldaten und Polizisten getötet, 8.009 weiterhin Spezialkräfte an der Seite der afghanischen verwundet. Im September 2015 gelang es den Taliban Armee kämpfen. sogar, das nordafghanische Kundus für einige Tage zu erobern. Die Übernahme dieser strategisch wichtigen So endete 2014 der Kampfeinsatz ISAF und ging in die Stadt mit 300.000 Einwohnern, hunderte Kilometer Beratungs- und Ausbildungsmission Resolute Support von ihren Hochburgen im Süden des Landes entfernt, (RSM) über. Doch auch dieser Einsatz zieht sich hin. stellte den größten militärischen Erfolg der Taliban Und er birgt die Gefahr der Eskalation in sich. Seit seit 2001 dar. 2015 sieht das entsprechende Bundestagsmandat vor, dass Bundeswehrsoldaten afghanische Truppen im Wie konnten einige hundert Taliban handstreichartig Einsatz begleiten. Damit steigt das Risiko, wieder in eine Großstadt übernehmen, in der Tausende Solda- Kampfhandlungen hineingezogen zu werden. ten der afghanischen Streitkräfte stationiert waren? Alle Berichte deuten darauf hin, dass diese Soldaten Während sich wichtige Verbündete wie Frankreich und gar nicht gekämpft haben. Lediglich Polizeikräfte Kanada bereits vollständig aus Afghanistan zurückge- hätten sich den Taliban in den Weg gestellt. Im Sep- zogen haben, trägt Deutschland im Rahmen von RSM tember 2015, als Kundus vorübergehend fi el, gaben nach wie vor die militärische Verantwortung im Nor- Quellen aus der Führung der RSM an, dass die afgha- den des Landes. 2016 lag die Mandatsobergrenze bei nischen Sicherheitskräfte pro Woche 200 Mann verlie- 980 Soldaten. ren, sei es durch Tod oder Desertion.

Die Bedingungen für die Bevölkerung haben sich Die mangelnde Kampfmoral lässt sich auch nicht durch den Übergang von ISAF zu RSM nicht verbes- durch mehr Ausbildung beseitigen. Denn sie wird aus sert, weder sozial, noch politisch.55 Vielmehr sehen politischen und sozialen Motiven gespeist. Die Solda- wir eine Militarisierung des Staatsapparates. Die ten der regulären Armee sind unterbezahlt und ohne afghanischen Streitkräfte sind in den letzten Jahren Perspektive. Für die Bevölkerungsmehrheit, aus der enorm aufgebläht worden. Ihre Kriegsführung ist sich die Masse der afghanischen Sicherheitskräfte genauso von zahllosen Verbrechen geprägt, wie die rekrutiert, hat der NATO-Einsatz vor allem die Ver- der ausländischen Truppen. Ohne die fi nanzielle und tiefung ihres Elends gebracht. Der neue afghanische militärische Unterstützung durch die USA würde die Präsident Aschraf Ghani räumte ein: „Die menschliche afghanische Zentralregierung zusammenbrechen. Tragödie der vergangenen 15 Jahre in Afghanistan war, dass mehrere Milliarden Dollar hereingeströmt sind, So eskaliert auch der Aufstand weiter. Ablesbar ist aber sie wurden nicht dafür verwendet, das Leben das an den Opferzahlen unter den afghanischen Si- der Armen zu verbessern. Wir haben eine räuberische cherheitskräften. Schätzungen zufolge sind zwischen Elite.“56 30 Aus der Sicht der deutschen Strategen, die die Bun- Immer mehr Einsätze deswehr um jeden Preis zu einem globalen Akteur machen wollen, sieht die Bilanz anders aus. Für das Parallel zum Einsatz in Afghanistan wurde die Bundes- Verteidigungsministerium ist Afghanistan das Testfeld, wehr in zahlreiche andere Militärmissionen geschickt, auf dem die Bundeswehr an der Seite der amerika- unter anderem in den Kongo, in den Sudan oder die nischen Streitkräfte aus der verhältnismäßig ruhigen Zentralafrikanische Republik, vor die Küste Libanons nördlichen Zone des Landes heraus den Krieg gelernt und in den Indischen Ozean, schließlich nach Mali und hat. In ihm wuchsen die deutschen Streitkräfte in in den Irak. In der ersten Jahreshälfte 2016 befanden neue Aufgaben hinein, vom aktiven Gefecht über die sich mehr als 3350 Soldatinnen und Soldaten in 16 Aus- Beteiligung an der systematischen Ermordung führen- landseinsätzen, seit 1992 wurden insgesamt 39 Einsät- der Kommandanten des Gegners bis zur Steuerung ze abgeschlossen. Addiert man die Kontingentsstärken ferngesteuerter Drohnen. Der Einsatz war auch eine auf, waren bislang rein rechnerisch mehr als 385.000 enorme logistische Herausforderung. Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz.58

All das ließ sich die Bundesregierung etwas kosten. Die Motivation hinter dieser Vielzahl an militärischen Die Ausgaben im Rahmen des deutschen ISAF-Ein- Interventionen lässt sich nicht immer aus ihrem Ein- satzes für Personal, Material, Infrastruktur und den satzgebiet ableiten. Manche Einsätze wie die Entsen- deutschen Beitrag zu den gemeinsamen NATO-Kosten dung von Stabsoffi zieren in die Hauptquartiere der betrugen rund 8,8 Milliarden Euro. Im Gegensatz dazu UN-Missionen in Darfur oder Südsudan sind so klein, brachte die Bundesregierung im selben Zeitraum nur dass eine unmittelbare Wirkung praktisch nicht nach- rund 290 Millionen Euro für humanitäre Hilfe im Rah- zuvollziehen ist. Es geht um die Vielzahl an Einsätzen. men des Afghanistan-Krieges auf.57 Es geht der Bundesregierung darum, an möglichst vielen Orten der Welt einen militärischen Fuß in der Der Afghanistaneinsatz hat auch die deutsche Gesell- Tür zu haben und Handlungsfähigkeit zu beweisen. Im schaft verändert. Zum ersten Mal seit 1945 kehrten Falle der Beteiligung an UN-Missionen wie im Sudan deutsche Soldaten nach Kampfhandlungen in Särgen geht es darum, das eigene Gewicht innerhalb interna- zurück. Viele, die lebend zurückkehrten, leiden unter tionaler Institutionen wie den Vereinten Nationen zu kriegsbedingten Traumatisierungen. All das hat den Af- stärken. Der Regierungsnahe Think-Tank Stiftung Wis- ghanistaneinsatz alles andere als populär gemacht. Zahl- senschaft und Politik (SWP) rät z.B. für Deutschland reiche Umfragen zeigten, dass er von Beginn an gegen einen Sitz im UN-Sicherheitsrat anzustreben.59 die Ablehnung einer Mehrheit der Bevölkerung durch- geführt worden ist. Die übergroße Koalition aus CDU/ An manchen Orten geht es auch darum, die eigenen CSU, SPD, Grünen und FDP hat den Krieg durchgesetzt, Streitkräfte zu trainieren. Einsätze fern der Heimat ungeachtet des Willens ihrer Wählerinnen und Wähler. mit ihrer Infrastruktur lassen sich nicht nach Plan Sie haben dazu beigetragen, die Bevölkerung, wie es Ge- am Reißbrett durchführen. Sie müssen geprobt wer- neralinspekteur Dieter Wellershoff zehn Jahre vor Beginn den, das Personal muss trainiert und erfahren sein, des Einsatzes am Hindukusch eingefordert hatte, wieder schließlich muss das Material angepasst werden. an „Krieg, Tod und Verwundung“ zu gewöhnen. Zu dieser Art von Einsätzen gehört der Einsatz der 31 Deutschen Marine im Indischen Ozean im Rahmen einiger hundert Dschihadisten aus dem Norden in der europäischen Mission ATALANTA, der 2008 zur Richtung der Hauptstadt Bamako gestoppt werden. Bekämpfung von Piraten begonnen wurde. Die An- Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch den Un- zahl der Piratenangriffe am Horn von Afrika ist in den abhängigkeitskampf aufständischer Tuareg, die im vergangenen Jahren massiv zurückgegangen, was vor Jahr zuvor die Kontrolle über den größtenteils in der allem auf die Selbstbewaffnung von Handelsschiffen Sahara liegenden Norden des Landes gewannen und zurückzuführen ist. Dennoch läuft ATALANTA weiter, sich für unabhängig erklärten. Deren Auftreten war quasi als eine Dauerübung unter einsatzähnlichen zudem eine Folge des Staatszerfalls in Libyen, den der Bedingungen für seegestützte Operationen, tausende Krieg des Westens gegen dieses Land 2011 verursacht Kilometer von den Heimathäfen entfernt. hat. Westliche Geostrategen warnten, Mali drohe zum Rückzugsgebiet für „Terroristen“ zu werden. Zwei Einsätze der jüngsten Vergangenheit haben eine Bedeutung, die sich aus der geostrategischen Lage des Die Wirtschaftswoche ließ sich davon nicht über die Einsatzgebietes und den potenziellen wirtschaftlichen Motivation der französischen Regierung hinwegtäu- Interessen des deutschen Kapitals in der Region ergibt. schen. Als der Feldzug begann, titelte das ökonomi- Es handelt sich um die Operationen in Mali und im sche Fachblatt: „Der Rohstoffkrieg in Mali“. Das Land Mittleren Osten. In beiden Fällen handelt es sich um war bis 1960 Teil des französischen Kolonialreichs. Einsätze, die seit Amtsantritt der Großen Koalition aus Französische Interessen dominierten auch danach CDU/CSU und SPD im Jahr Herbst 2013 begonnen die Wirtschaft. Überdies waren in den letzten Jahren oder massiv ausgeweitet wurden. Hier zahlt sich aus zehn transnationale Konzerne in der Goldförderung Sicht der militärischen Führung die Erfahrung aus den aktiv. Unter dem Boden Malis lagern neben Gold gro- vielen vorhergehenden Einsätzen aus. Mit Blick auf ße Öl- und Gasvorkommen, sowie zahlreiche andere Mali stellte Heeresinspekteur Generalleutnant Jörg Ressourcen wie Uran, Bauxit oder Phosphat. Die Wirt- Vollmer fest, dass die deutschen Landstreitkräfte nach schaftswoche fasste zusammen: „Den Militäreinsatz zwei Jahrzehnten Erfahrungsschatz in vergleichbaren in Mali mit Sicherheitsinteressen zu begründen ist zy- Operationen gut aufgestellt seien, auch weil man für nisch.“ Die „strategisch wichtigen europäischen Inter- diese Zwecke über „einsatzerprobtes wie kampfbe- essen in der Region sind die Uran- und Ölvorkommen währtes Personal und über missionsadäquates, weil in Mali und die französischen Uranminen im angren- modernes Gerät“ verfüge. Die Truppe sei angesichts zenden Niger. Frankreich hängt als Atommacht und „virulenter Bedrohungslagen“ in den unterschiedlichen Atomstromland stark von der Versorgung mit Uran ab. Einsatzregionen „fl exibel und reaktionsfähig im Han- Ein Drittel seines Uranbedarfs bezieht Frankreich aus deln, vor allem aber durchsetzungsfähig aufgestellt.“60 dem Niger. Um die weitere Destabilisierung des Lan- des zu verhindern greift Frankreich jetzt in Mali ein.“61

Mali Das Problem der Regierung in Paris waren die Kosten, die die Operation nach sich ziehen würde. Denn sie Die französische Armee begann im Januar 2013 eine dachte gar nicht daran, sich nach Zerschlagung der Kampfoperation in Mali. So sollte der Vormarsch dschihadistischen Gruppen zurückzuziehen. Vielmehr 32 ging sie dazu über, die in Mali und dessen Nachbar- aktuelle Personalobergrenze der deutschen Streitkräf- staaten stationierten Truppen nachhaltig zu verstärken te innerhalb der Mission EUTM MALI liegt bei 300. und in eine regionale Daueroperation zu überführen. Sie lud ihre europäischen Verbündeten ein, allen voran Im Rahmen von EUTM MALI werden malische Ge- Deutschland, einen Teil der Lasten zu übernehmen. fechtsverbände ausgebildet. Nach einem zwölfwö- chigen Lehrgang werden sie für neun Monate in den Das ließ sich die Regierung in Berlin nicht zweimal Norden verlegt, für den Krieg gegen Aufständische. sagen: Bislang war Westafrika vor allem der Hinterhof Als die ersten Ausbildungsgänge abgeschlossen wa- der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Anders als ren, fühlte sich im Mai 2014 der damalige malische Berlin verfügt Paris in Westafrika über enge politisch- Premierminister ermutigt, einen Angriff gegen die von wirtschaftliche Beziehungen, über Militärbasen, und Tuareg und Arabern gehaltene Wüstenstadt Kidal zu darüber hinaus über „afrikaerprobte“ Streitkräfte. Im starten. Das zerstörte nicht nur den Friedensprozess, französischen Windschatten eine deutsche Militär- sondern endete auch in einem Fiasko für die Armee. präsenz südlich der Sahara aufzubauen, stellte eine Der Angriff scheiterte. Über 80 malische Soldaten einmalige Gelegenheit dar. So bildet Mali heute für die ließen dabei ihr Leben. Bundesregierung den „Schwerpunkt des deutschen sicherheitspolitischen Engagements in Afrika.“62 Neben französischen Kampftruppen und europäischer Ausbildungsmission gibt es in Mali internationale Und so begann eine Arbeitsteilung in Mali: Die fran- Truppen im Rahmen der UN-Blauhelmmission MINUS- zösischen Truppen stellen die Speerspitze der Kampf- MA. Auch daran beteiligt sich die Bundeswehr. Dem operationen in eigener Regie, am 11. Januar 2013 mit ursprünglichen Mandat zufolge soll MINUSMA die der Opération Serval. Serval ging in die frankzösische Einhaltung eines Friedensabkommens überwachen, Anti-Terror-Mission Opération Barkhane über, die heu- das die malische Regierung mit loyalen und aufstän- te in mehreren Staaten der Sahel-Zone aktiv ist. dischen Tuareg-Gruppen aushandelte und das 2015 in Algier unterzeichnet wurde. Das Problem dabei: Es Die EU-Außenminister beschlossen am 17. Januar gibt gar keinen Frieden, der zu überwachen wäre. Zum 2013 die Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM einen haben bei weitem nicht alle Konfl iktparteien MALI zum Aufbau der malischen Streitkräfte. Die unterzeichnet. Zum anderen schleppt sich die Umset- Bundeswehr ist maßgeblich an dieser Mission be- zung des Abkommens über Monate und Jahre hin. Im- teiligt. Das Hauptquartier von EUTM MALI befi ndet mer wieder kommt es zwischen regierungstreuen und sich in Bamako, die Ausbildung selbst fand lange Zeit aufständischen Tuareg zu bewaffneten Spannungen. ausschließlich im 60 Kilometer entfernten Koulikoro statt, abseits aller Kampfhandlungen. Das Mandat der In deutschen Medien wird regelmäßig wiederholt, Bundeswehr, zunächst strikt auf den ruhigen Süden dass es sich bei MINUSMA um eine der gefährlichsten des Landes begrenzt, wurde 2015 ausgeweitet und UN-Missionen handele, dass bereits über 70 Blau- lässt seitdem grundsätzlich auch Beratungs- und helmsoldaten tödlichen Anschlägen durch bewaffnete Ausbildungstätigkeiten im spannungsreichen Norden Gruppen wie Ansar Din oder Al-Qa’ida im islamischen des Landes zu, zum Beispiel in Gao und Timbuktu. Die Maghreb (AQMI) zum Opfer gefallen sind. Was selten 33 erwähnt wird: MINUSMA ist auch in weiten Teilen der Mit der Stationierung der Bundeswehr in Nord-Mali malischen Bevölkerung verhasst, insbesondere bei wird der Einsatz noch unsicherer. Im Mai 2016 fuhr der Tuareg-Bevölkerung. So kommt es vor diesem Hin- der Sattelschlepper eines zivilen Vertragspartners tergrund immer wieder zu Übergriffen von Soldaten der Bundeswehr auf dem Weg nach Gao auf eine der vermeintlichen Friedenstruppe gegen Zivilisten. Sprengfalle. Im Juli wurde das erste Mal eine deutsche Im April 2016 gingen wütende Jugendliche in Kidal Patrouille nördlich der Stadt beschossen. Der Einsatz auf die Straße, um gegen das Vorgehen ausländischer im Rahmen von MINUSMA führt die deutschen Streit- Truppen zu demonstrieren. Die Proteste richteten sich kräfte Stück für Stück in einen bürgerkriegsähnlichen gegen Festnahmen durch französische Soldaten der Zustand am Rande der Sahara hinein. Opération Barkhane. „Wir haben genug von den wahl- losen Verhaftungen unserer Kinder“, hieß es auf den Ziel des Einsatzes der internationalen Truppen ist es, Transparenten der Demonstranten, zumeist Frauen den Staat Mali zu stabilisieren. Sie sind hierbei jedoch und Kinder. UN-Soldaten erschossen vier von ihnen.63 nicht sonderlich erfolgreich. Die Spannungen haben Das niederländische MINUSMA-Kontingent in Gao sich ausgebreitet, auch in den vormals ruhigen Süden wurde frühzeitig mit Apache-Kampfhubschraubern des Landes. Es ist auch zu mehreren Anschlägen in ausgestattet. Im Januar 2015 griffen niederländische der früher sicheren Hauptstadt Bamako gekommen, Blauhelmsoldaten aus einem der Hubschrauber ein unter anderem gegen ein Hotel, in dem das Haupt- Fahrzeug an und töteten „sieben Aufständische“, wie quartier von EUTM MALI sitzt. Die internationalen es hieß. Ein Sprecher der Tuareg-Rebellengruppe Truppen bringen keinen Frieden, weil sie nichts zur MNLA warf den Blauhelmen vor, sie hätten ohne Vor- Beseitigung der Wurzeln der vielen Konfl ikte beitragen. warnung gefeuert. Ein Woche später kam es in Gao zu Die Malier brauchen nicht mehr Waffen und ausgebil- Protesten. Polizisten der MINUSMA erschossen drei dete Soldaten. Sie brauchen Wasser, Jobs, Wohnun- der Demonstranten. gen, Schulen, Krankenhäuser.

Die Bundeswehr war von Beginn an an MINUSMA beteiligt. Im Rahmen ihrer Vorgängermission AFISMA „Krieg gegen den Terror“: Bundeswehr betankte die Luftwaffe 2013 französische Bomber im im Irak und in Syrien Einsatz. Auf Nachfragen behauptete die Bundesregie- rung beharrlich, sie wisse nicht, welche Ziele diese Geostrategisch von zentraler Bedeutung ist die Betei- Bomber getroffen hätten und wie viele Menschen ligung der Bundeswehr an militärischen Operationen dabei umgekommen seien. Im Rahmen von MINUSMA im Nahen Osten, die unter dem Banner des „Krieges wurden zunächst Lufttransportkapazitäten gestellt. gegen den Terror“ geführt werden. Die Bundesregie- Seit 2016 nimmt die Bundeswehr eine führende Rolle rung hat seit 2014 Deutschland in einen Nahostkrieg beim UN-Militäreinsatz ein. Ihre Hauptaufgabe ist es, verstrickt, dessen weiterer Verlauf unabsehbar ist. Aufklärungsfähigkeiten aufzubauen, unter anderem Der Einstieg in die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr mit Aufklärungsdrohnen. Die Personalobergrenze im Irak und in Syrien erfolgte in mehreren Etappen. wurde zu diesem Zweck auf 650 angehoben, und das Zunächst kündigte Verteidigungsministerin von der Einsatzgebiet auf Nord-Mali ausgeweitet. Leyen an, den Peschmerga – den Truppen der kur- 34 Veränderung kommt von innen, nicht von außen

Mali – Die Bundesregierung zeich- gibt Armut und Verzweifl ung in Mali, Die Organisation ARACEF unterstützt net zur Rechtfertigung ihres Militä- aber auch Menschen, die sich zusam- die Familien in der Gemeinde Falea reinsatzes das Bild eines zerfallenen menschließen und für ihre Interessen in ihrem Kampf gegen den Bau einer Staates, der militärisch von außen kämpfen, auch und gerade gegen die Uranmine durch einen kanadischen „stabilisiert“ werden müsse. Sie meint Regierung: Bergbaukonzern. Im August 2014 hat damit die Regierung unter Präsident „Mali ist nicht nur Elend, sondern es einen zweitägigen Generalstreik Ibrahim Boubacar Keïta. Doch die- auch Widerstand. Es gibt eine Vielzahl gegeben, in dessen Folge der Mindest- se ist selbst Teil des Problems. Mali an sozialen Initiativen und Netzwer- lohn um fast ein Drittel angehoben ist ein Land, das von zunehmender ken, die ihre Wurzeln in der Revoluti- und die Erhöhung der Strompreise Verarmung im Zuge der Strukturan- on von 1991 haben und durch die glo- zurückgenommen wurde. passungspolitik der internationalen balisierungskritische Bewegung der Auch die Streitkräfte sind nicht Finanzorganisationen seit den 1980er 2000er Jahre geprägt wurden. gegen Meutereien immun. Der erste Jahren geprägt ist. Nachdem eine Re- Auch gibt es in Mali eine tief im Rahmen von EUTM MALI ausgebil- volution im Jahr 1991 eine kurze Pha- verankerte Kultur zwischenmensch- dete Gefechtsverband weigerte sich se des politischen Aufbruchs einläute- licher Solidarität. So wurden in den während der Abschlusszeremonie, te, haben die folgenden Regierungen letzten zwei Jahren einige hunderttau- das Gelernte den anwesenden politi- weiter die Lebensgrundlagen der send Binnenfl üchtlinge aus dem Nor- schen Repräsentanten vorzuführen, Mehrheit der Bevölkerung zerstört. den von Verwandten und Bekannten da ihnen erwartete Gelder nicht aus- Damit ging die Zerrüttung staatlicher im Süden aufgenommen. Zahlreiche gezahlt wurden.“64 Strukturen einher, zum Beispiel im Netzwerke kämpfen um die Verbes- Gesundheits- und Bildungssektor. Es serung von Lebensbedingungen. […] 35 dischen Regionalregierung – „nicht-letale Hilfe“ zu- Kampf könne „weit über zehn Jahre andauern“. Be- kommen zu lassen, also Sanitätsmaterial, Funkgeräte reits im ersten Jahr wurden dafür 134 Millionen Euro etc. Später wurden dann Waffen und Rüstungsgüter bereitgestellt. geliefert. Dies zog die Entsendung von Soldaten, die die Peschmerga an den Waffen ausbilden sollen, nach Das eigentliche Ziel ist nicht der IS. Die Attentate von sich. 2016 folgte schließlich die Beteiligung der Bun- Paris dienten lediglich als Vorwand, um eine militä- deswehr an den Luftbombardements der US-geführ- rische Dauerpräsenz Deutschlands in der Region zu ten Luftkriegskoalition über Syrien und Irak. schaffen. Dies verdeutlichen die Details des Einsatzes. So wurden auch im Rahmen des Mandats Schiffe der Das Kalkül hinter diesem Vorgehen war, die Bevölke- Deutschen Marine in den Persischen Golf entsandt, rung allmählich an eine Kriegsbeteiligung der Bundes- obgleich der IS nicht über Seestreitkräfte verfügt. Das wehr auch in Syrien und im Irak zu gewöhnen. Ursula IS-Territorium grenzt noch nicht einmal an das Meer. von der Leyen gab dies unumwunden zu. Sie rechtfer- Zum anderen folgte auf die Entsendung der Aufklä- tigte die ersten Lieferungen von Rüstungsgütern mit rungstornados im Frühjahr 2016 die Entscheidung der folgenden Worten: „Wichtiger als die Frage, ob und Bundesregierung, im türkischen Incirlik auf Dauer eine welche Waffe wir am Ende liefern, ist die Bereitschaft, eigene Luftwaffenbasis einzurichten. Für 65 Millionen Tabus beiseitezulegen und offen zu diskutieren. An Euro wird dort in der Nähe zur syrischen Grenze ein dieser Stelle sind wir gerade. Es geht nicht mehr um Stützpunkt für die Bundeswehr aufgebaut, inklusive humanitäre Hilfe versus Ausrüstungshilfe, es geht um Gefechtsstand. Die Anlagen sind für doppelt so viele beides.“65 deutsche Soldaten ausgelegt als im Rahmen der US- geführten Luftkriegsallianz im Einsatz sind. Die Bundesregierung hat im Dezember 2015 die Ter- roranschläge von Paris genutzt, um im Parlament in Der von der Bundesregierung beschlossene Bundes- rekordverdächtigem Tempo den Einsatz der Luftwaffe wehreinsatz stellt den größten Kampfeinsatz seit dem in Irak und Syrien durchzusetzen. Das Mandat sieht Ende von ISAF in Afghanistan dar. Das Mandatsgebiet eine Personalobergrenze von 1.200 Soldaten vor. Die umfasst Syrien, den Irak und den Persischen Golf. In deutsche Luftwaffe greift nicht selbst an, sondern dem Gebiet sind bereits mehrere regionale und globa- führt die Luftbetankung US-amerikanischer, britischer le Mächte an einem Krieg beteiligt. Die Beteiligung der oder französischer Bomber im Einsatz durch. Dane- Bundeswehr daran stellt einen weiteren qualitativen ben liefern Aufklärungstornados Daten und Bilder zu Sprung auf dem Weg zu einer Armee im weltweiten möglichen Zielen dieser Bomber. Der Einsatz soll der Einsatz dar. Bekämpfung des „Islamischen Staates“ (IS) dienen. Ansonsten ist das Mandat reichlich unkonkret. So Offi ziell geht es den USA und ihren Verbündeten beim wird die entscheidende Frage nach den Bündnispart- Krieg in Syrien und im Irak um die Bekämpfung des nern am Boden nicht angesprochen. Es ist weder transnationalen Terrorismus. Er ist die Fortsetzung ein Ende des Einsatzes abzusehen, noch die damit des Krieges, der nach den Anschlägen vom 11. Sep- verbundenen Kosten. André Wüstner, Vorsitzender tember 2001 begonnen wurde. Doch den Terror hat des Deutschen Bundeswehrverbands, erwartet, der das nicht gestoppt. Ganz im Gegenteil. Im November 36 Waffenlieferungen in den Irak

Die Bundesregierung nutzte im Som- dem Sindschar-Gebirge freigekämpft Ersatzteilen und Ausrüstungsgegen- mer 2014 die Bilder der dramatischen hatten. Die Bundesregierung hono- stände wie militärische Bekleidung.66 Flucht der Jesiden vor den Kräften rierte dies nicht: die PKK ist nach Niemand weiß, ob die gelieferten Waf- des „Islamischen Staats“ im nordi- wie vor in Deutschland verboten. fen bei der Eroberung sunnitischer rakischen Sindschar-Gebirge, um Die Bundesregierung unterstützt Gebiete Verwendung fanden, in deren Waffenlieferungen an die kurdische die kurdische Regionalregierung Zusammenhang es immer wieder zu Regionalregierung im Nord-Irak zu im Norden Iraks und das Regime in Menschenrechtsverletzungen gekom- rechtfertigen. Kanzlerin Angela Mer- Bagdad. Geliefert wurden in den Jah- men ist. Das Nachrichtenmagazin Mo- kel sprach von einem „Völkermord“, ren 2014 und 2015 Waffen, Munition nitor berichtete, dass gelieferte Waf- den es abzuwenden gelte. Doch die und Ausrüstung aus Altbeständen fen aus Bundeswehrbeständen auf Jesiden hatten nichts davon. Die deut- der Bundeswehr im Umfang von Märkten im Nordirak zum Verkauf schen Waffen kamen erst Wochen über 1.800 Tonnen, darunter mehr angeboten würden.67 Auf Nachfrage nach dem Ende des Fluchtdramas als 20.000 Kleinwaffen und Sturm- verwies die Bundesregierung auf die an. Unterstützt wurden die Jesiden gewehre mit 15 Million Schuss Mu- von der Regierung der Region Kurdi- auch nicht von den Peschmerga, nition, Panzerabwehrwaffen vom stan-Irak abgegebene Endverbleibser- sondern von der Kurdischen Arbei- Typ MILAN und über 20.000 Hand- klärung und erklärte sich ansonsten terpartei (PKK) und deren Verbün- granaten. Hinzu kamen Transport- nicht mehr zuständig.68 deten, die einen Fluchtkorridor aus fahrzeuge vom Typ Dingo mitsamt 37 2015 gab das US-Außenministerium eine globale Rei- einen gemeinsamen Operationsraum eingerichtet. sewarnung heraus. US-Bürger sollen im Ausland bis Dennoch kommt es immer wieder zu Zusammenstö- auf weiteres größere Menschenansammlungen mei- ßen zwischen den beiden Kriegsparteien. Im Juli zur den und darauf achten, wer in ihrer Nähe steht. Diese Bombardierung einer geheimen Operationsbasis der Warnung gilt für jedes Land der Erde. Fünfzehn Jahre USA und Großbritanniens durch ein russisches Kampf- nach Beginn des vermeintlichen „Anti-Terror-Krieges“ fl ugzeug. in Afghanistan ist nun nach Einschätzung des US- Außenministeriums die ganze Welt unsicher geworden. Die internationale Intervention hat den Krieg nur Dies allein zeigt, dass der Anti-Terror-Krieg, der Hun- eskalieren lassen. Die Bevölkerung zahlt den Preis derttausende Menschen das Leben gekostet und Milli- dafür. Über dem Irak und Syrien warf die US-geführte onen vertrieben hat, nichts von dem erreicht hat, was Allianz im ersten Jahr der Luftangriffe mehr Bomben zu seinem Beginn verkündet wurde. ab, als in Afghanistan in den fünf Jahren zuvor. Die US-Luftangriffe auf das syrische Dorf Bir Mahli am Der IS kann nur dann nachhaltig geschwächt werden, 30. April 2015 haben laut der in London angesiedelten wenn sich politisch im Irak und in Syrien etwas ändert. Syrischen Beobachtungstelle für Menschenrechte Ungeachtet der Verheerungen durch Krieg und Un- allein 64 Zivilisten getötet, darunter 31 Kinder unter terdrückung gibt es in allen religiösen und nationalen 16 Jahren. Laut UN-Hilfsorganisation OCHA haben die Gemeinschaften in Syrien und im Irak politische Kräf- russischen Luftangriffe auf die von der bewaffneten te, die für einen demokratischen Wandel stehen. Ein syrischen Opposition gehaltenen Gebiete im Oktober Beispiel waren die sozialen Proteste in Basra, Bagdad 2015 etwa 120.000 Menschen vertrieben. Ein Dutzend und anderen südirakischen Städten im Jahr 2015, die Behelfskrankenhäuser seien getroffen worden. Haupt- sich – inmitten des Krieges – gegen die Korruption ziel der französischen Luftwaffe war nach den Attenta- und Inkompetenz der „eigenen“, schiitisch dominier- ten von Paris die vom IS kontrollierte Stadt Rakka. Die ten Regierung richteten. Zeitung Le Monde berichtete, am 18. November 2015 seien sechs Menschen, die Benzin verkauft hätten, Im benachbarten Syrien stehen sich derweil interna- infolge eines Angriffs verbrannt. Am 13. November tionale Mächte mit entgegengesetzten Interessen ge- schlug eine Bombe in der Gasse Hara Al-Hassoun ein genüber. Als im vergangenen Jahr das NATO-Mitglied und tötete 13 Anwohner. Türkei einen russischen Bomber abschoss, stand die Welt am Rand einer „sicherheitspolitischen Groß- Die Liste derartiger Verbrechen steigt mit jedem Tag, katastrophe“, wie Wolfgang Ischinger, Vorsitzender seit Ziele in Syrien und im Irak aus der Luft bombar- der Münchner Sicherheitskonferenz, einräumte. Er diert werden. In den Medien wird Rakka immer nur als resümiert: „Wir haben zu Beginn des Jahres 2016 „IS-Hochburg“ bezeichnet. Doch in der Stadt befi nden die gefährlichste Weltlage seit dem Ende des Kalten sich nicht nur Kämpfer des IS. Es leben dort auch ei- Kriegs.“69 nige Hunderttausend Zivilisten. Während der IS seine Waffen in Tunneln versteckt und keine militärischen Seit 2016 suchen die russischen und US-amerikani- Stellungen als Ziele anbietet, ist die Bevölkerung schen Regierungen enge Absprachen und haben sogar ohne Schutz. Über die zivilen Opfer schweigt sich die 38 Die Verbündeten des Westens

In den deutschen Medien wird fast zen in einem Klima völliger Strafl o- Doch die Bundesregierung hat das nie über die Bündnispartner berich- sigkeit Verbrechen begehen können, zu keinem Zeitpunkt zum Anlass ge- tet, mit denen die US-Allianz den IS die jenen des IS in nichts nachstehen. nommen, öffentlich Kritik zu äußern. angreift. Verteidigungsministerin Ur- Am 22 . August 2014 wurden in der Einige der schiitischen Milizen, wie sula von der Leyen hat ausdrücklich Provinz Diyala rund 70 sunnitische die Asaib Ahl al-Haqq, stehen auch darauf verwiesen, dass auch die Un- Gläubige in einer Moschee von Un- auf der Terrorliste der US-Regierung. terstützung der Regierung in Bagdad bekannten mit Maschinenpistolen Sie haben Ende November 2015 da- Teil der neuen Bundeswehrmission erschossen. Die irakische Zeitung mit begonnen, Kurden aus der Haupt- sein soll. Dabei ist diese Regierung As-Saman meldete am 9. September, stadt Bagdad zu vertreiben, als Ver- selbst Teil des Problems. Das iraki- dass schiitische Kräfte und Pesch- geltung für Angriffe von Peschmerga sche Regime kann sich nur mithilfe merga mit US-Luftunterstützung 50 auf schiitische Milizen im Norden des radikal-schiitischer Milizen halten, sunnitische Dörfer in der Umgebung Irak. Nicht nur in Syrien, auch in Irak die unter dem Dach der sogenannten der Stadt Amerli erobert hätten. Eine nimmt der Krieg zunehmend einen an Volksmobilisierung zusammengefasst schiitische Miliz hat sie dann nieder- vielen Fronten verlaufenden Kampf sind und den Kampf gegen den IS für gebrannt und achtzehn Sunniten hin- um die Kontrolle von Territorien an. ethnische Säuberungen nutzen. Der gerichtet. Es kam dabei zu Enthaup- Militärische Interventionen von au- Innenminister des Irak gehört selbst tungen. Die Liste der Gräueltaten der ßen, ob durch die USA, den Iran oder einer dieser Milizen an. Amnesty In- mit irakischen Regime verbundenen Deutschland, sind Teil dieses Konfl ik- ternational beklagt, dass diese Mili- Milizen ließe sich lange fortsetzen. tes und heizen ihn weiter an. 39 Öffentlichkeit derweil aus. In den deutschen Medien Diese Äußerung kostete Köhler sein Amt. Nicht, dass wird die Frage nach möglichen zivilen Opfern noch er etwas gänzlich Neues gesagt hätte. Bereits die Ver- nicht einmal gestellt. teidigungspolitischen Richtlinien von 1992 defi nieren die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und Während die Regierungen in Berlin, Paris, Washington, des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstof- Moskau und anderswo Milliarden ausgeben, um militä- fen in aller Welt“ als ein vitales Sicherheitsinteresse risch in Syrien und im Irak zu intervenieren, fehlt das Deutschlands, das Auslandseinsätze begründet.71 Geld für die Flüchtlinge in und aus diesen Ländern. Im Doch Aufgabe eines Bundespräsidenten ist es, die November 2015 klagte das UN-Kinderhilfswerk Unicef, Menschen um die Einsätze und die Armee zu scharen. dass 250 Millionen US-Dollar fehlen. Das Geld würde Das erreicht er nur, wenn er die tatsächlichen Motive reichen, um etwa 250.000 Mädchen und Jungen über hinter der Einsatzorientierung verwischt, nicht, wenn den Winter zu bringen. Versorgt werden müssten je- er sie ausplaudert. Der damalige Parlamentarische doch rund 1,1 Millionen Minderjährige, unter anderem Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas mit Decken, Winterkleidung und Heizmaterial. Oppermann fasste es damals so: Köhler schade „der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr“. Deutschland führe „keinen Krieg um Wirtschaftsinte- Resümee: Welche Interessen stehen hinter ressen, sondern es geht um unsere Sicherheit“. Wer der Einsatzorientierung? anderes behaupte oder fordere „redet der Linkspartei das Wort. Wir wollen keine Wirtschaftskriege“, so Op- Im Mai 2010 fragte ein Journalist den damaligen Bun- permann gegenüber Spiegel Online.72 despräsidenten Horst Köhler, ob das bestehende Af- ghanistan-Mandat noch ausreiche, nachdem aus dem Der seit 2012 im Amt befi ndliche Bundespräsident Jo- vermeintlichen Stabilisierungseinsatz ein Krieg ge- achim Gauck meint dasselbe wie Köhler, nur verpackt worden ist. Köhler antwortete, dass „ein Land unserer er es geschickter. Und er äußert sich im Gleichklang Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit mit CDU/CSU und SPD, die zusammen seit Ende auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, 2013 die Regierung bilden. Auf der Münchener Sicher- dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz heitskonferenz im Januar 2014 verkündeten der sozi- notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum aldemokratische Außenminister Steinmeier, die kon- Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regi- servative Verteidigungsministerin von der Leyen und onale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit Bundespräsident Gauck in drei offenbar aufeinander dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen nega- abgestimmten Reden ein offensiveres Verständnis von tiv durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles der Rolle Deutschlands. Steinmeier sagte, „Deutsch- das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf land ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der einem nicht so schlechten Weg. […] Es wird wieder Außenlinie zu kommentieren“. Verteidigungsministerin sozusagen Todesfälle geben. Nicht nur bei Soldaten, von der Leyen stimmte zu: „Wenn wir über die Mittel möglicherweise auch durch Unfall mal bei zivilen Auf- und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine bauhelfern. […] Man muss auch um diesen Preis sozu- Verantwortung, uns zu engagieren.“ Gauck formulierte, sagen seine am Ende Interessen wahren.“70 die Bundesrepublik sollte sich „früher, entschiedener 40 und substantieller einbringen“. Allen war klar, was das militärischen Einsätzen und wenn nötig auch an Krie- bedeutet: Mehr diplomatische Initiativen, aber auch gen beteiligen. mehr militärische Einmischung. Beides geht Hand in Hand. Im Weißbuch 2016 wird das Thema fortgesponnen und der Anspruch erhoben, „die globale Ordnung Dieser Kurs ist seither systematisch umgesetzt wor- aktiv mitzugestalten“, vor dem Hintergrund der „wirt- den. Dafür wurde jeder sich bietende Anlass durch schaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung“ die Bundesregierung genutzt. Die neue Doktrin, die Deutschlands. Hier besteht der Kniff darin, diesen von der Leyen als „Münchener Konsens“ bezeichnete, Anspruch als Verantwortung darzustellen, die von au- wurde im Januar 2014 vorgestellt. Damals gab es we- ßen an Deutschland herangetragen werde, anstatt aus der eine Massenfl ucht aus Syrien nach Europa, noch eigenem Interesse. wurde der IS als Gefahr defi niert. Auch die Krimkrise eskalierte erst ab dem 26. Februar 2014, also vier Es gibt einen globalen Wettlauf der großen und mitt- Wochen nach den Reden Gaucks, von der Leyens und leren Mächte um Rohstoffe, Märkte und politischen Steinmeiers in München. Doch die Flüchtlinge aus Einfl uss, der mit militärischen Mitteln unterfüttert dem „Krisenbogen“ in Europas Nachbarschaft, der wird. Die globale Staatenkonkurrenz setzt dafür den Terror des IS und die Bedrohung aus Russland sind die Rahmen. Die Aufrüstungsmaßnahmen in Deutschland Drohszenarien, mit denen in Deutschland in der Folge und der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsar- die Neuausrichtung und Aufrüstung der Bundeswehr mee, die im Weißbuch als von außen herangetragene gerechtfertigt wird. Mit anderen Worten: Zuerst wur- Erwartungen oder als Bündnisverpfl ichtungen gerecht- den die Zielsetzungen defi niert, die Bedrohungen wer- fertigt werden, sind Teil dieses Wettlaufs. Es geht um den dann anlassbezogen im Anschluss nachgereicht. wirtschaftliche Interessen. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei jedem Einsatz fi nanziell gegengerechnet wird, Der Anspruch, Deutschland solle zu einer „Gestal- was er einbringt. In diesem Fall würde es keine Aus- tungsmacht“ werden, die öfter und entschiedener landseinsätze geben, weil sie unmittelbar erst einmal militärisch eingreifen soll, klingt zu aggressiv. Be- zusätzliche Kosten darstellen. gründet wird dies daher nicht in erster Linie mit den eigenen Interessen, sondern mit der vermeintlichen Stattdessen geht es darum, dass Deutsche an mög- „Verantwortung“, die aus der eigenen Stärke erwachse. lichst vielen Orten mit am Tisch sitzen und Einfl uss Entwickelt wurde dieser Gedanke unter anderem in nehmen können, wenn etwa über Nachkriegsordnun- dem im November 2012 in Auftrag gegebenem und gen und die Neuaufteilung von Einfl usssphären ver- im September 2013 erschienenen Papier der Stiftung handelt wird. Ein Beispiel ist die Bonner Afghanistan- Wissenschaft und Politik mit dem Titel „Neue Macht, Konferenz im Dezember 2001d auf der Hamid Karzai Neue Verantwortung“. Es beginnt mit den Worten als Vertrauter der US-Ölindustrie zum Präsidenten der „Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher Übergangsregierung ernannt wurde. Wenn Deutsch- und so frei wie heute. Aus Macht und Einfl uss folgt land – im Interesse der eigenen Wirtschaft – bei aber auch Verantwortung.“ Um dieser Verantwortung solchen Entscheidungen mitreden will, muss es poli- gerecht zu werden, müsse sich Deutschland auch an tischen Einfl uss ausüben. Dies wiederum setzt militä- 41 rische „Glaubwürdigkeit“ voraus – die Fähigkeit, mit Mit der Beteiligung an immer mehr internationalen eigenen Truppen in Konfl ikte intervenieren zu können. Militäreinsätzen schafft die Bundesregierung Voraus- Militärische Potenz schafft politischen Einfl uss. Dieser setzungen, um in Zukunft selbst die Führung in Kriegs- ist die Voraussetzung, um wirtschaftliche Interessen einsätzen zu übernehmen. Verteidigungsministerin geltend zu machen. Es geht der Bundesregierung von der Leyen fasste diese Strategie auf der Konfe- darum, an möglichst vielen Orten der Welt einen mi- renz, mit der sie den Prozess zur Erstellung des neuen litärischen Fuß in der Tür zu haben und damit Hand- Weißbuchs im Februar 2015 eröffnete, zusammen: lungsfähigkeit zu beweisen. Es geht nicht darum, mit „Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, den USA, Russland oder China militärisch mithalten weder geografi sch noch qualitativ.“ Für das internati- zu wollen (dieser „deutsche Sonderweg“ ist seit 1945 onale Engagement Deutschlands müsse gelten: „Kein erledigt), sondern darum, im Verbund von NATO und Zugzwang, aber auch kein Tabu.“ EU bzw. unter dem Dach der UNO politischen Einfl uss auch militärisch untersetzt ausüben zu wollen und zu können.

Das deutsche Kapital ist wie kein zweites durch eine hohe Exportabhängigkeit und Transnationalisierung seiner Wertschöpfungsketten (über Auslandsinves- titionen) geprägt und auf den weltweiten Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten angewiesen. Es ist international verfl ochten und befürwortet deshalb eine interventionistische Außenpolitik. Das ist der Hintergrund für die infl ationäre Ausweitung der Aus- landseinsätze, nicht ein von anderen an Deutschland herangetragene Verantwortung.

Auch die aus Bündnissen entstehenden Verpfl ichtun- gen werden gern als Vorwand benutzt, um eigene Inte- ressen zu verschleiern. Die Frage ist doch, warum ein Bündnis überhaupt besteht, oder warum es gebildet wird. Im Weißbuch 2016 wird angekündigt, dass es künftig mehr „anlassbezogene Ad-hoc-Kooperationen“ geben werde, um die Bundeswehr international in den Einsatz zu bringen. Das heißt: Ob UN-Missionen, ob NATO, ob Ad-hoc-Kooperation – die Bundeswehr ope- riert nicht nach vorgegebenen Verpfl ichtungen, son- dern in den Bündnissen in dem Maße, das jeweils den eigenen anlassbezogenen Interessen entspricht. 42 Bundeswehr: Armee im Wandel

43 räts, sowie dem Grundbetrieb in Deutschland, übt die Neuausrichtung der Bundeswehr seit über zwei Jahrzehnten einen erheblichen Kostendruck auf den Bundeshaushalt aus.

Akut wurde das Problem mit Ausbruch der Weltwirt- schaftskrise im Jahr 2008. Die im Folgejahr gewählte Koalition aus CDU/CSU und FDP setzte ganz auf Ein- sparungen im Haushalt. An der Einsatzorientierung der Bundeswehr sollte sich indes nichts ändern; vielmehr wurde das deutsche Kontingent in Afghanistan zu dieser Zeit substanziell aufgestockt. Jedoch standen Bundeswehr: die Ausgaben für eine Armee im Dauereinsatz im Wi- Armee derspruch zur wirtschaftspolitischen Ausrichtung, die im Wandel ganz auf Kostensenkungen, nicht auf kreditfi nanzierte Ausgabeprogramme setzte.

Eine Bundeswehrreform sollte den wachsenden Wi- Bundeswehrreform: „Breite vor Tiefe“ derspruch zwischen globalen Ambitionen und selbst auferlegter fi skalischer Disziplin lösen. Unter Vorsitz Die Zunahme der militärischen Einsätze offenbarte des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für bald ein Problem: Die Ambitionen sind größer als Arbeit, Frank-Jürgen Weise, legte eine Strukturkom- die realen Mittel, die der Bundeswehr zur Verfügung mission Vorschläge zur Kostenreduzierung vor, auf stehen. Die Einsatzorientierung ist teuer. Es fallen deren Grundlage ab 2011 Veränderungen im Aufbau Kosten für die einzelnen Einsätze im Ausland an. der Armee vorgenommen wurden. Dazu gehörte Hinzu kommen die nicht unerheblichen Beiträge im die Zusammenlegung von Einheiten innerhalb der Rahmen gewollter multilateraler Verpfl ichtungen, sei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine, die Kon- es im Rahmen von UN-Missionen, sei es im Rahmen zentrierung von Abteilungen des Verteidigungsmi- von NATO und EU. Vor allem aber muss die militäri- nisteriums in Berlin sowie die Stärkung der Stellung sche Ausstattung selbst angepasst werden. Einsätze des Generalinspekteurs.73 Von 394 Bundeswehrs- in weit entfernten Gebieten erfordern den Aufbau von tandorten in Deutschland wurden 31 geschlossen Transportkapazitäten. Die neu geschaffenen mobilen und 91 verkleinert. Die tiefgreifendste Änderung Truppenteile brauchen angepasste Ausrüstung. Jedes bestand in der Aussetzung der Wehrpfl icht. Der neue Vorhaben erfordert rüstungsinvestive Ausgaben reduzierte Streitkräfteumfang wurde auf 185.000 über einen langen Zeitraum. Zugleich können laufen- Soldaten festgesetzt, darunter 170.000 Soldaten de, langjährige Beschaffungsvorhaben nicht einfach auf Zeit (SaZ) und Berufssoldaten, daneben bis zu abgebrochen werden. Aufaddiert mit der Instandhal- 12.500 freiwillig Wehrdienstleistende und 2.500 Re- tung und Modernisierung des verfügbaren Großge- servisten.74 44 Das Konzept wurde als „Neuausrichtung der Bundes- ein breites und fl exibles militärisches Fähigkeitsspek- wehr“ vorgestellt. Tatsächlich war es das Ziel, Ein- trum verfügen soll“. Diese verklausulierten Formeln sparungen zu erreichen, ohne an der strategischen wurden unter dem Schlagwort „Breite vor Tiefe“ popu- Ausrichtung der Bundeswehr etwas zu ändern. In den larisiert: Die Bundeswehr soll weiter alles machen wie Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 hieß es bisher, und auch das dafür notwendige Großgerät vor- in diesem Sinne: „Die Bundeswehr muss die notwen- rätig haben, im Zweifelsfall aber in geringerer Stück- digen fi nanziellen Mittel erhalten, um einsatzbereite zahl. Einheiten im Einsatz, insbesondere in Afghanis- und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem tan, haben Vorrang. Einheiten im Manöver müssen Stellenwert Deutschlands entsprechen. Gleichzeitig sich im Bedarfsfall bei anderen Fahrzeuge und Waffen leistet auch der Verteidigungshaushalt einen Beitrag ausleihen. zu der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, den Bun- deshaushalt zu konsolidieren“. Zur Gewährleistung Dieses von der Militärbürokratie als „dynamisches der Einsatzorientierung, so heißt es an anderer Stel- Verfügbarkeitsmanagement“ bezeichnete Vorgehen le, „müssen streitkräftegemeinsam, eskalations- und rief im Offi zierskorps und in der Rüstungsindustrie durchsetzungsfähige Kräfte gleichzeitig für Einsätze in massive Unzufriedenheit hervor. Insgesamt wurde unterschiedlichen Einsatzgebieten […] gestellt werden eine Senkung der Verteidigungsausgaben trotzdem können. Dafür sind zeitgleich rund 10.000 Soldatin- nicht erreicht. Laut Finanzplan sollten sie von 31,1 Mil- nen und Soldaten durchhaltefähig vorzuhalten.“75 liarden Euro im Haushaltsjahr 2010 binnen vier Jahre auf 27,6 Milliarden Euro gedrückt werden. Doch dazu DIE LINKE lehnte das Konzept zur Umstrukturierung kam es nicht. Der im Einzelplan 14 ausgewiesene Ver- der Bundeswehr ab. Es sah nicht die Abschaffung, teidigungshaushalt stieg bis 2014 sogar leicht an, auf sondern bloß eine „Aussetzung“ der Wehrpfl icht vor. 32,4 Milliarden Euro.76 Es bedeutete auch keineswegs eine Abrüstung. Mit der Bundeswehrreform hielt die Bundesregierung Die Bundeswehrreform war so oder so kein Kurswech- daran fest, eine mobilere, effektivere, kampffähigere sel. Die schwarz-gelbe Regierung führte die Politik Truppe zu schaffen. Die Aussetzung der Wehrpfl icht ihrer Vorgängerregierung im Wesentlichen fort. Ein war nur eine Begleiterscheinung dessen. Quantitative einziges Mal setzte sie das um, was sie in ihrem Koali- Abrüstung ging mit qualitativer Aufrüstung einher. tionsvertrag als „Kultur der Zurückhaltung“ bezeichnet hatte. Im Jahr 2011 verzichtete sie auf eine Beteiligung Es sollte sich zeigen, dass auch der grundlegende Wi- am Luftkrieg über Libyen, den eine internationale derspruch zwischen militärischer Einsatzorientierung Koalition unter Führung Frankreichs begonnen hatte. und fi nanzpolitischem Sparkurs so nicht zu lösen war. Das hatte nichts mit einer grundsätzlichen Abkehr Am Kostendruck im ausgabenintensiven Bereich der des nach 1991 eingeschlagenen Interventionskurses Ausrüstung und Beschaffung hat die Bundeswehrre- zu tun, sondern war das Ergebnis einer Abwägung form wenig geändert. Das Verteidigungsministerium strategischer Interessen in Zeiten selbstverordneter formulierte zwar „Zielvorgaben“ für den Umfang der Haushaltsdisziplin. Für die schwarz-gelbe Regierung bereitzustellenden Fähigkeiten. Indes hielt die Reform hatte der Aufwuchs des deutschen Kontingents in Af- daran fest, dass die Bundeswehr „auch künftig über ghanistan absolute Priorität. 45 Der neue Konfl ikt mit Russland und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen 2004 der NATO beitraten. Die offene Nach dem Ende des Kalten Krieges, zu Beginn der Frage war, wie weit dieser Prozess noch gehen würde. 1990er Jahre brachen erst der Warschauer Pakt, dann Wie viele der anderen wirtschaftlich und geostrate- die Sowjetunion auseinander. Aber die NATO, deren gisch schwachen Staaten, die aus dem Zerfall der So- Existenz stets mit der Drohung eines Einmarsches wjetunion hervorgegangen sind, würde der Westen in aus dem Osten begründet worden war, blieb erhalten. seine Einfl usssphäre zu ziehen suchen? Seit dem Sieg im Kalten Krieg ist es Schritt für Schritt zur Neuaufteilung in Europa gekommen. Die NATO Zum offenen Konfl ikt kam es über ökonomische und nutzte die Schwäche des russischen Rivalen aus, um geopolitische Interessen in der Ukraine. Diese ehe- in dessen vormaligen Einfl ussbereich nach Osten vor- malige Sowjetrepublik ist eines der ärmsten Länder zurücken. in Europa. Mit einer Fläche, die fast doppelt so groß ist wie die Deutschlands, verfügt es aber über ein Versüßt wurde diese imperiale Politik mit Angeboten enormes wirtschaftliches Potenzial. Überdies ist die an Russland. 1997 wurde die NATO-Russland-Grund- Ukraine als nördlicher Anrainerstaat des Schwarzen akte abgeschlossen. Danach streben beide Seiten Meeres strategisch bedeutsam. 2013 legte die EU der ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis an, um einen ukrainischen Regierung ein Assoziierungsabkommen „gemeinsamen Sicherheits- und Stabilitätsraum zu vor, das die Kappung der wirtschaftlichen Bindungen schaffen“. Übersetzt hieß dies nichts anderes als die an Russland zur Voraussetzung hatte. Dies musste zur Anerkennung der Neuaufteilung Osteuropas durch Zerreißprobe in der Ukraine führen, dessen Wirtschaft Russland; im Gegenzug versprach die NATO, keine mit EU-Europa und Russland gleichermaßen eng ver- weiteren unilateralen Schritte durchzuführen, die die woben war. Nachdem der Westen über Jahre militä- geostrategischen Interessen Russlands beeinträchti- risch immer weiter nach Osten vorgedrungen ist, nutz- gen würden. Dieses Versprechen kristallisierte sich te er nun seine wirtschaftliche Stärke, um russische in der Vereinbarung, dass es in den neuen osteuro- Interessen auch aus der Ukraine hinauszudrängen päischen NATO-Staaten zu keiner substanziellen Sta- – mit der Perspektive, das Land künftig auch enger an tionierung von Truppen anderer NATO-Staaten oder die NATO heranzuführen. Moskau reagierte militärisch, von Atomraketen kommen dürfe. Andere Schritte zur annektierte im März 2014 die Halbinsel Krim und un- Vertrauensbildung wurden vereinbart, insbesondere terstützt seitdem Sezessionsbestrebungen im Osten die Einrichtung eines Beratungsgremiums, den NATO- des Landes. Russland-Rat. Dieser soll über die Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle und zur Begrenzung von Manöver- Die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen West und tätigkeit wachen. Ost ist in militärische Konkurrenz umgeschlagen. Ein neuer Rüstungswettlauf ist die Folge. Beide Seiten Die zwischenstaatliche Konkurrenz lässt sich in der demonstrieren Stärke und provozieren sich durch kapitalistischen Weltordnung indes nicht dauerhaft eine seit den 1980er Jahren nicht mehr gekannte Ma- durch Verträge und Absichtserklärungen einhegen. növertätigkeit. Anders als von der Bundesregierung Moskau nahm es hin, dass die drei baltischen Staaten dargestellt, wurde und wird dieser Prozess durch 46 Osterweiterung der Nato seit 1990

1990 1999 2004 2009 Beitritts- Beitritt kandidaten beantragt

Belgien Polen Bulgarien Albanien Montenegro Georgien Dänemark Tschechien Estland Kroatien Bosnien- Ukraine Deutschland Ungarn Lettland Herzegowina Frankreich Litauen Mazedonien Griechenland Rumänien Großbritannien Slowakei Island Slowenien Italien Luxemburg Niederlande Norwegen Portugal Spanien Türkei

47 die NATO massiv angeheizt. Auf ihrem Gipfel 2014 in Polen voran. Moskau hat bereits als Gegenreaktion Wales beschloss das westliche Bündnis einen „Akti- mit der Stationierung russischer Kurzstreckenraketen onsplan zur Reaktionsfähigkeit“ in Osteuropa. Dieser im Gebiet Kaliningrad an der Ostseeküste gedroht, die sieht die Vorverlegung von Tausenden Soldaten in Deutschland binnen Minuten erreichen würden. Dies Richtung russische Grenze vor – ein offener Bruch der alles bedeutet: Die NATO arbeitet daran, die alptraum- NATO-Russland-Grundakte. Weitere Maßnahmen des hafte nukleare Konfrontation des Kalten Krieges wie- Aktionsplans sehen die intensivierte Durchführung derherzustellen. militärischer Großübungen im Schwarzen Meer und im Ostseeraum sowie zu Lande in Osteuropa vor, die Das gefährliche Säbelrasseln zwischen NATO und Verstärkung der Luftraumüberwachung über dem Bal- Russland ist ein ungleicher Konfl ikt. Russland hat mit tikum in voller Kampfbereitschaft und schließlich den Weißrussland einen Verbündeten in der Region. Die Aufbau einer so genannten „Speerspitze“ innerhalb NATO stellt das Bündnis der Supermacht USA mit 27 der Nato Response Force. Bei dieser „Gemeinsamen anderen mittleren und kleineren Mächten da. Im Jahr Einsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“ – 2015 gaben sie zusammen rund 900 Milliarden US- englisch: Very High Readiness Joint Task Force – han- Dollar für ihre Streitkräfte aus, das ist deutlich mehr delt es sich um ein Landstreitkräftekontingent von als die Hälfte der globalen Militärausgaben. Russlands 5.000 Soldaten, das mit Unterstützung durch Kompo- Militärhaushalt betrug im selben Jahr umgerechnet nenten von Luft- und Seestreitkräften innerhalb von 58,3 Milliarden Dollar. Dies entspricht nicht mehr als zwei bis drei Tagen in Osteuropa kampfbereit sein soll. 6,5 Prozent der addierten NATO-Militärausgaben. Die Es ist Teil einer größeren Eingreiftruppe, der NATO US-Militärausgaben allein übersteigen den russischen Response Force, die von 13.000 auf 30.000 Soldaten Militärhaushalt um das Zehnfache.77 erweitert wurde. Seit 2016 ist die Speerspitze voll ein- satzfähig. Es wurden ständige logistische Stützpunkte in sechs osteuropäischen Staaten eingerichtet, um die Strategische Neuausrichtung der Bundeswehr Kräfte der Eingreiftruppe im Falle einer Entsendung aufzunehmen. Die neue Feindschaft zwischen NATO und Russland hat tiefgreifende Konsequenzen für die Bundeswehr. Diese Maßnahmen sind Teil einer gegen Russland Das deutsche Kapital steht in einem ambivalenten gerichteten Einkreisungspolitik, die ungeachtet der Verhältnis zu Russland. Das Land ist ein wichtiger steigenden Kriegsgefahr fortgesetzt wird. Im Vorfeld Gaslieferant für EU-Europa. Viele Unternehmen pfl e- des NATO-Gipfels 2016 in Warschau schlug der rumä- gen enge Geschäftsbeziehungen nach Russland. Sie nische Präsident Klaus Johannis eine regionale Initiati- sind an einem Einfrieren des Konfl ikts in der Ukraine ve zur militärischen Zusammenarbeit der NATO-Länder interessiert. Zugleich stoßen die Maßnahmen, die die Türkei, Bulgarien und Rumänien im Schwarzen Meer NATO im neuen Ost-West-Konfl ikt ergriffen hat, in den vor. Dies würde die Einbindung der ukrainischen Mari- herrschenden deutschen Kreisen nicht auf nennens- ne an der Südfl anke Russlands auf die Tagesordnung werten Widerstand. Das strategische Gesamtinteresse setzen. Daneben treibt die NATO den Aufbau eines so an einer Konfrontation mit Russland überwiegt offen- genannten Raketenabwehrschirms in Rumänien und sichtlich wirtschaftliche Einzelinteressen. 48 Kaum im Amt nutzte Verteidigungsministerin Ursula Mitglied geführt werden. Auch hier stellte sich die von der Leyen die Gelegenheit, um sich in der NATO Bundesregierung in die vorderste Reihe. Deutschland nach vorne zu drängen und „Verantwortung“ zu über- übernimmt in Litauen fortan die Rolle als „Rahmen- nehmen. Der Konfl ikt mit Russland bietet die Möglich- nation“ zusammen mit Norwegen, Belgien und den keit, als europäische Führungsmacht vor der eigenen Niederlanden. Die Bundeswehr wird in dem baltischen Haustür tätig zu werden –mit der Unterstützung der Staat an der russischen Grenze ein Bataillon mit rund USA im Rücken. Es handelt sich hier augenscheinlich 1.000 Soldaten führen. um eine strategische Neuausrichtung. An der Orientie- rung auf Auslandseinsätze außerhalb des Nato-Bünd- Auch die Luftwaffe ist im Rahmen des 2014 beschlos- nisgebietes wird festgehalten – von der Leyen hat senen NATO-„Aktionsplans zur Reaktionsfähigkeit“ im diesbezüglich die Frequenz noch einmal erhöht. Doch Baltikum aktiv. Zu diesem Zweck wurde das seit NATO- daneben treten verstärkt Anstrengungen zur „Landes- Beitritt der baltischen Staaten stattfi ndende regelmäßi- und Bündnisverteidigung“ in Europa. Das ist faktisch ge Air Policing verstärkt. Air Policing heißt sinngemäß: die Vorbereitung auf einen möglichen Krieg mit Russ- „auf Polizeistreife im Luftraum gehen“; „verstärktes“ Air land. Das Weißbuch 2016 refl ektiert diese Neuausrich- Policing bedeutet, dass die eingesetzten Jagdfl ugzeuge tung. Begonnen hat sie 2014. Alle Teilstreitkräfte der nicht nur Präsenz zeigen, sondern mit voller Waffenla- Bundeswehr sind daran beteiligt. dung ausgerüstet sind. Sie patrouillieren seit 2014 di- rekt an der Grenze zu Russland mit sofort einsetzbaren Das Heer übernahm eine Führungsrolle beim Aufbau Luft-Luft-Lenkfl ugkörpern. Seit Beginn des Air Policing der sogenannten Nato-Speerspitze. In der Testphase im im Baltikum zählt Deutschland neben Polen und den Jahr 2015 stellte die Bundeswehr rund 2.700 Soldaten USA zu den wichtigsten Truppenstellern. Im September bereit, das heißt mehr als die Hälfte des Gesamtkon- 2016 wird das Taktische Luftwaffengeschwader 74 aus tingents. Beteiligt waren vor allem das Panzergrena- Neuburg das achte Mal für vier Monate auf die Luft- dierbataillon 371 aus Marienberg (Sachsen) und das waffenbasis Ämari in Estland verlegt, um die Luftwaffe Deutsch-Niederländische Heereskorps aus Münster, anderer NATO-Staaten abzulösen. Beteiligt sind an wo zunächst auch der vorläufi ge Sitz der ultraschnel- diesen Drohmissionen jeweils rund 200 Soldaten aus len Eingreiftruppe eingerichtet wurde. Die deutschen Luftwaffe und Streitkräftebasis der Bundeswehr. Das Kräfte des Multinationalen Korps Nord-Ost in Stettin Oberkommando für das Verstärkte Air Policing hat der wurden aufgestockt, da die Speerspitze künftig von hier NATO-Führungsgefechtsstand am Luftwaffenstandort ausgeführt werden soll. Bei dem Korps handelt es sich Kalkar/Uedem inne, das Combined Air Operations um eines der schnell verlegbaren Hauptquartiere der Centre Uedem (CAOC Uedem). Von dort aus erfolgt die NATO, das vom deutschen Heer in Zusammenarbeit mit logistische und organisatorische Koordination, gegebe- polnischen und dänischen Streitkräften getragen wird.78 nenfalls auch die Entscheidung zu einem Waffeneinsatz.

Auf ihrem Gipfel in Warschau 2016 beschloss die Den Anspruch als europäische Führungsmacht un- NATO auch die Vorverlegung von 4.000 Soldaten nach terstreicht Deutschland seit Ausbruch des Konfl ikts Polen und in die drei baltischen Staaten. Sie sollen mit Russland auch im Rahmen multilateraler Marine- rotieren, aber in jedem Land von je einem NATO- Einsätze. Im April 2014 kündigte der damalige NATO- 49 Generalsekretär Fogh Rasmussen an, NATO-Schiffe bildlichen Maßnahmen Russlands werden indes als würden „in die Ostsee, in das östliche Mittelmeer und „Bedrohung“ defi niert. Um diesen Widerspruch zu nötigenfalls anderswohin“ in Marsch gesetzt.79 Sechs verwischen, wurde der russischen Seite eine qualitativ Wochen später leitete der Tender Elbe mit rund 45 andere Form von Konfl iktführung angedichtet. Die Soldaten Besatzung einen Minenräum-Verband der russischen Streitkräfte führten in der Ukraine einen Nato in der Ostsee. Seitdem hat die Deutsche Marine „hybriden Krieg“, von Moskau gingen „hybride Bedro- in dem Gewässer zahlreiche Schiffe im Rahmen von hungen“ aus. Was sich so unheimlich anhört, ist im Seemanövern bereitgestellt. Das ist keine vorüberge- Wesentlichen Propaganda. Die „hybride Bedrohung“ hende Verschiebung von Kräften, sondern eine grund- ist ein Kampfbegriff, der davon ablenken soll, dass legende strategische Umorientierung. Vizeadmiral nicht nur Russland, sondern auch die NATO-Staaten Andreas Krause, Inspekteur der Deutschen Marine, wie eh und je nicht nur mit offener militärischer Ge- defi nierte in einer Grundsatzrede im Februar 2016 drei walt drohen, sondern auch Mittel der Propaganda, der Operationsräume. Die Anstrengungen der Deutschen Spionage und zivil-militärischer Subversion anwenden. Marine müssten künftig „in drei Richtungen verlaufen: in den Nordfl ankenraum, insbesondere die Ostsee; in den Südfl ankenraum mit dem Mittelmeer; und globale „Trendwende“: Aufrüstung ohne Obergrenzen Kenntnis und angemessene Präsenz mit Schwerpunkt im Indischen Ozean.“ Die Hauptanstrengung bilde die Bundeskanzlerin hat vor dem NATO- Ostsee, „unserem unmittelbarem maritimen Umfeld“. Gipfel 2016 das Ziel bekräftigt, „auf mittlere und Die Deutsche Marine trage dort als „größte regionale längere Sicht“ zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts Marine mit dem breitesten Fähigkeitsspektrum eine (BIP) für den Verteidigungshaushalt bereitzustellen.82 besondere Verantwortung“, sie wolle im Sinne des Das Bekenntnis wurde auch früher regelmäßig abge- Rahmennationenkonzeptes „Anlehnung bieten“.80 Ins geben, ohne dass es beherzigt wurde. Seit Jahren liegt Konkrete übersetzt heißt das: Gegenüber der US Navy der deutsche Verteidigungshaushalt bei etwa 1,2 Pro- ist die Deutsche Marine klein, im Verhältnis zu Polen zent des BIP. Mit dem erneut eskalierenden Ost-West- oder den baltischen Staaten stellt sie eine Macht dar. Konfl ikt soll sich das ändern. Es droht eine massive Aufrüstung der Bundeswehr. Schließlich beteiligt sich Deutschland auch an Maß- nahmen im Zusammenhang mit dem neuen nuklearen Die ersten Schritte in diese Richtung wurden bereits Rüstungswettlauf. Die Gesamtkosten für den Aufbau eingeleitet. Im Februar 2015 distanzierte sich Vertei- von Basen des NATO-Raketenabwehrschirms in Rumä- digungsministerin von der Leyen in einem Interview nien und Polen betragen laut Bundesregierung 1,03 mit der hauseigenen Redaktion der Bundeswehr von Milliarden Euro. Deutschland wird sich daran laut dem Prinzip Breite vor Tiefe: „Wir brauchen dringend Nato-Vereinbarung mit 14,6 Prozent beteiligen, das bei einzelnen Schlüsselfähigkeiten mehr Durchhalte- entspricht rund 150 Millionen Euro.81 tiefe“, so die Ministerin. Das war nichts anderes als die Ankündigung, ausgesuchte Bereiche der Armee Alle diese Maßnahmen sollen, wie es heißt, „der mit zusätzlichem Großgerät aufzurüsten. Von der Abschreckung gegen Russland dienen“. Die spiegel- Leyen kündigte konkrete Maßnahmen an: „In einem 50 Kampfbegriff: hybride Kriegführung

Der Westen zeigt mit dem Finger auf der Resilienz der EU, ihrer Mitglied- le militärischer Gewalt beteiligen. Moskau, um von gleichgearteten Maß- staaten und Partnerländer und den Als konkrete Maßnahme soll in Brüs- nahmen abzulenken. Was im Falle Ausbau der Zusammenarbeit mit der sel innerhalb des EU-Geheimdienstes Russlands als „hybride Aggression“ NATO bei der Bekämpfung solcher Be- Intelligence and Situation Centre (IN- gegeißelt wird, bezeichnet die Bundes- drohungen“. Das Papier enthält Vor- TCEN) eine „Hybrid Fusion Cell“ ent- regierung mit Blick auf die eigenen schläge für 22 operative Maßnahmen. stehen. Die Zelle soll mit Europol und Aktivitäten als „Resilienz“. Das hört Sie dienen laut EU-Kommission dem der Grenzagentur Frontex zusammen- sich defensiv an. Die Bundesregierung Zweck, eine gemeinsame Antwort der arbeiten, mit dem Computersicher- hat ein Maßnahmenpaket auf europä- Mitgliedstaaten auf hybride Angriffe heits-Ereignis-und Reaktionsteam der ischer Ebene vorangetrieben. Am 6. zu erarbeiten und die Verknüpfung EU (CERT-EU), sowie mit der Abtei- April 2016 veröffentlichte die Europä- von innerer und äußerer Sicherheit lung gegen „hybride Bedrohungen“ ische Kommission ihre Initiative „Ge- zu intensivieren. Auch Geheimdiens- bei der NATO. Anvisiert sind unter an- meinsamer Rahmen für die Abwehr te sollen sich an der Abwehr von hyb- derem gemeinsame Übungen „auf po- hybrider Bedrohungen, die Stärkung riden Angriffen unterhalb der Schwel- litischer und technischer Ebene“. 51 ersten Schritt wollen wir zum Beispiel mit der Praxis Im Januar 2016 erklärte von der Leyen schließlich im Schluss machen, dass wir überschüssiges gutes Ma- Verteidigungsausschuss des Bundestages, dass die terial, beispielsweise Leopard 2, abgeben oder ver- im Zuge der Bundeswehrreform vorgesehene „zielvor- schrotten.“ Ein bisher weitgehend nur auf dem Papier gabenorientierte Ausrüstung“ mit festen planerischen bestehendes Bataillon im niedersächsischen Bergen Obergrenzen der Vergangenheit angehört. Sie werde soll aktiviert und mit Panzern und Personal aufgefüllt durch eine „aufgabenorientierte“ Ausstattung ersetzt. werden. Bereits im November 2015 hatte sich die Gro- Dieses Prinzip gilt fortan auch für die Truppenstärke. ße Koalition im Haushaltsausschuss überraschend in Die 2011 festgelegte Obergrenze von 185.000 Plan- den letzten Haushaltsberatungen für die Anschaffung stellen für Soldaten und 56.000 für zivile Mitarbeiter zusätzlicher Radpanzer vom Typ Boxer im Wert von wurde aufgehoben. Von der Leyen nennt das einen 620 Millionen Euro entschieden. „atmenden Personalkörper“.

Die Entscheidung, die fünf Jahre zuvor festgelegten Die Aufrüstung mit Panzern sollte, wie angekündigt, Vorgaben bei der Ausstattung im ersten Schritt bei nur der erste Schritt sein. Im März 2016 legte das Ver- den Panzern zu durchbrechen, ergab sich direkt aus teidigungsministerium eine Liste vor, die rund 1600 der strategischen Neuausrichtung. Nach 1991 wurden einzelne Bedarfe an Rüstungsinvestionsmaßnahmen 90 Prozent der Panzerwaffe abgeschmolzen. Die Bun- bis zum Jahr 2030 defi niert. Kein Bereich ist ausge- deswehr ging davon aus, dass Panzerschlachten auf nommen. In dem dazugehörigen Bericht heißt es, die dem europäischen Kontinent der Vergangenheit ange- aufgabenorientierte Ausstattung sei als „dynamische hören. Die Entscheidung für die Wiederaufrüstung mit Größe zu verstehen“, unterliege anlassbedingt auch Kampfpanzern vom Typ Leopard zeigt an, dass die Pla- kurzfristigen Änderungen. Alles folgt nun einer verän- ner der deutschen Streitkräfte sich erneut mit einem derten Prioritätensetzung: „Ein maßgeblicher Treiber möglichen Landkrieg gegen Russland beschäftigen. der Struktur und Ausstattung muss die Aufgabe der

Geplante Aufrüstungsprojekte des Heeres

Waffensystem Bisherige Obergrenze gemäß Zielvorgabe 2011 Neuer Bedarf laut BMVg (Stand März 2016) Kampfpanzer 225 Leopard-2 320 Leopard-2 Schützenpanzer 350 Puma 538 Puma (und Marder als Option) Transportpanzer 1.170 (Boxer und Fuchs) 1.300 (Boxer und Fuchs) Panzerspähwagen 217 Fennek 248 Fennek Panzerhaubitzen 89 PzH 2000 101 PzH 2000

52 Landes- und Bündnisverteidigung sein. Aus diesem digung müssen über die nächsten Jahre schrittweise ‚Single Set of Forces‘ heraus müssen auch alle ande- deutlich ansteigen und dann verstetigt werden.“84 Ziel ren Aufgaben erfüllt werden.“83 sei es, den Anteil der Rüstungsinvestitionen – also des Bereiches, der die Beschaffung und Modernisierung Die allumfassende Aufrüstung fällt in drei unterschied- von Waffen und Rüstungsgütern betrifft – von etwa 14 liche Kategorien. auf 20 Prozent der Gesamtausgaben für Verteidigung zu steigern. Der Bedarf allein für diesen Ausgabenbe- 1) Bei den Beschaffungen zusätzlichen Materials v.a. reich betrage 130 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. im Zusammenhang mit dem Konfl ikt mit Russland geht es um Kampfpanzer, Radpanzer, geschützte Der Boden für eine gestiegene Akzeptanz der Aufrüs- Fahrzeuge oder Ausstattungssätze der High-Tech- tungsbestrebungen wurde durch eine zwei Jahre wäh- Kampfrüstung „Infanterist der Zukunft“ (IdZ), so- rende, mitunter übernervös geführte Debatte um die wie „Ergänzungsbeschaffungen für eine breite Mu- vermeintlich mangelhafte Ausrüstung der deutschen nitionspalette, um die Bevorratung zu erhöhen“. Streitkräfte bereitet. Im September 2014 erklärte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald 2) Die Maßnahmen zur Modernisierung bereits vor- Kujat: „die Bundeswehr wird kaputt gespart“.85 Im Fe- handenen, aber technisch veralteten Materials bruar 2015 wurde ein interner Bericht aus der Bundes- betreffen die Ersetzung der Transporthubschrau- wehr über Ausstattungsmängel an die Öffentlichkeit ber vom Typ CH 53, die Ablösung der Flotten- gespielt. Medien erweckten auf Grundlage dessen den dienstboote, der Minenabwehreinheiten und der Eindruck, die Bundeswehr zöge regelmäßig mit Besen- Betriebsstofftanker, den aus den 1970er Jahren stielen anstelle von Waffenrohren ins Manöver.86 Der stammenden Fuhrpark, den Ersatz der Funkgeräte Journalist Christoph Prössl behauptete: „Seit 1990 und die Ersetzung von Brückenlege- und Pio- sinkt der Verteidigungshaushalt kontinuierlich. Die nierpanzern. Friedensdividende ist aufgebraucht, jetzt soll das Bud- get wieder steigen. Keine fehlenden Nachtsichtgeräte 3) Hinzu kommen Maßnahmen „zur qualitativen mehr oder Panzerbataillone ohne Panzer.“87 Erweiterung des Fähigkeitsspektrums der Bun- deswehr“ für die zukünftigen Auslandseinsätze. Das ist Unsinn. Der deutsche Militärhaushalt ist über Dies umfasst die Entwicklung einer europäischen Jahre aufgestockt worden, von umgerechnet 24,4 Mrd. Kampfdrohne, eines neuen Taktischen Luftvertei- Euro (1999) auf 32,4 Mrd. Euro (2014). Dies ungeach- digungssystem zum Abschuss feindlicher Raketen tet der Tatsache, dass der Sparbeschluss von 2010 die oder die laufende Beschaffung des Kampfhub- Absenkung des Etats binnen vier Jahre auf 27,6 Milliar- schraubers UH Tiger. den vorsah. 2016 stieg der Verteidigungshaushalt auf 34,3 Milliarden Euro, 2017 wächst er um weitere 6,8 Das alles ist nur umzusetzen, wenn der Verteidi- Prozent auf 36,6 Milliarden Euro. Gemäß Finanzplan gungshaushalt spürbar erhöht wird. Das Ministerium wird sich der Aufwuchs fortsetzen, bis 2020 auf 39,1 fordert in einem Schreiben an die Abgeordneten des Milliarden Euro. Hervorzuheben ist das überproportio- Verteidigungsausschusses: „Die Ausgaben für Vertei- nale Wachstum der rüstungsinvestiven Ausgaben, die 53 von 2016 auf 2017 um 636 Millionen Euro anwachsen der Leyen nüchtern ein: „Die Bundeswehr gehört trotz – ein Plus von zwölf Prozent. allem zu den stärksten Armeen dieser Welt.“90

Ministerin von der Leyen sprach im Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt 2017 von einer „Trend- Agenda Rüstung – Verschwendung mit wende“.88 Tatsächlich ist lediglich der Aufwuchs System beschleunigt worden. Doch aus einer anderen Pers- pektive ergeben die Äußerungen Sinn. Die deutschen Die sogenannte Pannenserie bei der Bundeswehr in Interessen sind grenzenlos, wie Ursula von der Leyen den Jahren 2014 bis 2016 hat nicht gezeigt, dass die 2015 formulierte. Sie meint die Interessen des deut- Bundeswehr „kaputt gespart“ wurde. Sondern, dass schen Kapitals, das wie kein zweites in Europa expor- Steuermittel in gigantischem Ausmaß verschwendet torientiert und auf den Weltmärkten präsent ist. Ihr wurden – und weiter werden. Zu Beginn ihrer Amtszeit geht es darum, die Kluft zwischen wirtschaftlicher ließ die Verteidigungsministerin von Wirtschaftsbera- Größe einerseits und der im Vergleich dazu militä- tungsunternehmen eine „Umfassende Bestandsauf- rischen Mittelmäßigkeit andererseits zu verringern. nahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ Denn wenn auch die Militärausgaben in den letzten erstellen.91 Geprüft wurden neun Vorhaben mit einem Jahren gestiegen sind, so ist doch der in Deutschland Volumen von zusammen 56 Milliarden Euro. Im Kern produzierte Reichtum ungleich stärker gewachsen. kam das Gutachten zu dem Urteil, dass beinahe alle Das heißt in Zahlen: gemessen am Bruttosozialpro- Rüstungsbeschaffungen zu teuer geraten, zu spät und dukt ist der Anteil der Militärausgaben über die letzten mit Mängeln ausgeliefert werden. 25 Jahren von rund zwei auf gut 1,2 Prozent gefallen. Seitdem lieferte ein sogenanntes Rüstungsboard drei Hier ist aus Sicht der Geostrategen Luft nach oben. Berichte zu den 15 wichtigsten Großvorhaben, die den Wenn das NATO-Ziel von zwei Prozent erreicht werden Befund im Detail bestätigen. Der erste Bericht des so- würde, dann bedeutet dies nach aktuellen Zahlen ei- genannten Rüstungsboards kam im März 2015 zu dem nen Anstieg des Verteidigungshaushaltes von unter 35 Ergebnis, dass die 15 größten Beschaffungsprojekte Milliarden Euro auf rund 60 Milliarden Euro. 12,9 Milliarden mehr als ursprünglich veranschlagt kosteten. Seitdem steigt die Summe kontinuierlich. Abseits des Scheinwerferlichts räumen verantwortli- che Militärs ein, dass die Ausstattung der Bundeswehr Eines der strukturellen Grundprobleme liegt in dem nicht so schlecht ist, wie öffentlich herbeigeredet. So Einfl uss einiger weniger Rüstungslieferanten, die im betonte Heeresinspekteur Vollmer im Februar 2016: Regelfall von Beginn an in Beschaffungsvorhaben inte- Das Heer verfüge „über modernes Gerät, welches uns griert sind. Um ein neues Projekt politisch durchzuset- angesichts sehr unterschiedlicher Bedrohungslagen in zen, werden die erwarteten Kosten viel zu niedrig ange- den verschiedenen Einsatzgebieten fl exibel, reaktions- setzt. Ist das Projekt erst einmal im Gange, kommt es fähig, vor allem aber durchsetzungsfähig macht. Wir dann Schritt für Schritt zu Kostensteigerungen. Über- verfügen gerade hier über eine weitgehend bedarfsge- dies hat das Ministerium in der Vergangenheit offenbar rechte Ausstattung.“89 Im Sommer 2016, nachdem die Verträge abgeschlossen, die sehr vorteilhaft für die In- „Trendwende“ durchgesetzt war, räumte Ministerin von dustrie waren und zum Beispiel die Frage der Instand- 54 haltung nicht berücksichtigt haben. In den seltensten Trumpf angesehenen wird, werden deutsche Unter- Fällen sind Kompensationszahlungen bei Nichterfül- nehmen bedient, als hätten sie ein Monopol. In dem lung der Auftragsbedingungen vorgesehen. Der sorg- Bericht des Verteidigungsministeriums zur aufgaben- lose Umgang mit Steuergeldern ist skandalös. Beim orientierten Ausstattung heißt es, der Erwerb neuer Militärtransporter A400M wurde die Direktvergabe des Fähigkeiten der Bundeswehr „dient der Zukunftsfä- Rahmenvertrags nicht ausreichend begründet, beim higkeit der deutschen Streitkräfte – und indirekt auch Eurofi ghter gab es kein Vertragsüberwachungssystem. der deutschen wehrtechnischen Industrie, vor allem in Offenbar werden systematisch industriefreundliche den Bereichen der Schlüsseltechnologien.“92 Verträge vergeben. Der Lobbyismus der wenigen Rüs- tungshersteller und ihr enger Draht zum Verteidigungs- Dort, wo die Bundesregierung zum Zweck des Erhalts ministerium zahlen sich für die Unternehmen aus. einer eigenständigen deutschen Rüstungsindustrie europäische Entwicklungen vorzieht, anstatt sich Ein genauer Blick auf die Mängellisten zeigt, dass kostensparend auf dem Waffenmarkt auszustatten, nicht alle Bereiche der Bundeswehr in gleichem Maße kommen erhebliche Extrakosten auf die Steuerzahler betroffen sind, sondern insbesondere Luftfahrzeuge, zu. Allein die Beschaffung des Militärtransportfl ug- darunter die Hubschrauber von Marine und Heer, der zeuges A400M – ein strategisch bedeutsames Projekt Lufttransport und die Kampffl ugzeuge der Luftwaffe. angesichts der vielen Auslandseinsätze – schlägt mit Daneben U-Boote und Transportpanzer. Das heißt, es Gesamtkosten von insgesamt 9,5 Milliarden Euro zu geht um wartungsintensive Bereiche der Rüstungs- Buche (Stand 2016). Vergleichbare Summen wird die technik. Ministerin Ursula von der Leyen selbst erklär- Ersetzung des amerikanischen Luftverteidigungssys- te: Weil Deutschland sich stark auf Auslandseinsätze tems Patriot durch das ungleich teurere europäische konzentriert habe, seien für andere Aufgaben weniger System MEADS verschlingen, ebenso wie die Erset- Kapazitäten frei gewesen. So sei die Produktion von zung israelischer Kampfdrohnen vom Typ Heron TP Ersatzteilen gedrosselt worden und auch Wartung durch die Entwicklung einer europäischen Kampfdroh- und Inspektion verliefen schleppend. Die aktuellen ne unter deutscher Führung. Probleme sind mithin ein Ergebnis der Überdehnung der Bundeswehr. Seit 1999 wurde die Bundeswehr auf Biegen und Brechen in immer mehr Auslandseinsätze Einige Rüstungsvorhaben im Detail geschickt. Dies war eine bewusst vorgenommene, politische Prioritätensetzung. Wartung und Instandhal-  Puma tung des Materials, sowie der gesamte Grundbetrieb Der Schützenpanzer Puma soll das veraltete Modell wurden dem untergeordnet. Marder ablösen. Durch die geplante Integration des Panzerabwehrraketensystems MELLS wird der Im Übrigen nimmt das Ministerium die Kostenexplo- Puma zur Bekämpfung von Kampfpanzern, Bunkern sionen auch deshalb in Kauf, um so die heimische sowie Zielen hinter Deckungen befähigt. Er soll das Rüstungsindustrie verdeckt zu subventionieren. Da im dynamische Gefecht gemeinsam mit dem Kampf- internationalen Konkurrenzkampf die Existenz einer panzer Leopard 2 führen können. Es handelt sich um nationalen Rüstungsindustrie als ein strategischer ein 2002 begonnenes, rein national geführtes, auf 55 den Einsatz in entfernten Regionen ausgerichtetes Spanien bei Airbus sowie einem Konsortium europäi- Projekt. Besonderer Wert wurde auf die Fähigkeit scher Triebwerkhersteller in Auftrag gegeben worden, zum Lufttransport im künftigen Transportfl ugzeug um der US-amerikanischen Vorherrschaft im Bereich A400M gelegt. Der Stückpreis erhöhte sich von 6,5 der Kampfhubschrauber etwas entgegenzusetzen. Millionen Euro auf 9,9 Millionen Euro (2016). Damit Der Tiger kann auch bei Schlechtwetter und in der ist der Puma einer der teuersten Schützenpanzer der Nacht eingesetzt werden. Durch die zwischenzeitli- Welt. So kam es dazu, dass ungeachtet der um 55 che Umsteuerung des Projekts vom reinen Panzer- reduzierten Stückzahl die Gesamtkosten gegenüber abwehr- zum mehrrollenfähigen Unterstützungshub- der ursprünglichen Planung um 1,185 Milliarden schrauber kam es zu deutlichen Preissteigerungen. angestiegen sind. Das entspricht einem Plus von 36 Der UH Tiger ist sowohl in Auslandseinsätzen, z.B. in Prozent. Weitere zu erwartende Kostensteigerungen Mali, als auch in einem möglichen Krieg in Osteuropa sind laut Rüstungsboard „nicht näher quantifi zierbar“. gegen russische Panzer einsetzbar. Immer wieder Allein die beabsichtigte Integration von MELLS könnte gab es Lieferschwierigkeiten. Der Erstfl ug fand 1991 die Kosten um mehr als 50 Prozent erhöhen. Die statt, doch es sollte noch weitere zwölf Jahre bis zur endgültige Auslieferung der bei dem Panzerbauer Indienststellung dauern. Die Anzahl der bestellten KMW bestellten 350 Fahrzeuge verzögert sich nach Hubschrauber wurde von 80 auf 68 reduziert, den- jetzigem Stand um 54 Monate. Auch wenn daran der noch liegen die 2016 geschätzten Projektausgaben Hersteller Schuld ist, muss er nicht haften. Der Grund: um mehr als 980 Millionen Euro über den ursprüng- Vertragsstrafen wurden im Beschaffungsvertrag nicht lich veranschlagten Kosten. Das entspricht einem vereinbart, da sie „aufgrund der Monopolstellung des Plus von 24 Prozent. Auftragnehmers nicht durchsetzbar waren“, so das Verteidigungsministerium.  NH 90 Der NATO-Hubschrauber NH 90 ist ein Mehrzweck-  Boxer hubschrauber für Heer und Marine („Sea Lion“). Er hat Das Gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug Boxer ist vornehmlich Aufgaben für den taktischen Personen- ein Allradfahrzeug, das Gruppen von bis zu acht In- und Materialtransport. Das Projekt geht auf eine 1991 fanteristen im Einsatzgebiet transportieren kann. Das geschlossene Vereinbarung zwischen Deutschland, Verteidigungsministerium hat 272 Fahrzeuge über Frankreich, Italien und den Niederlanden zurück. 2010 die europäische Rüstungsagentur OCCAR bestellt – erhielt die Bundeswehr die ersten Helikopter, die von ursprünglich veranschlagte Kosten: 962 Mio. Euro, einer Expertengruppe eingehend getestet wurden. Ihr tatsächliche Kosten (2016): 1,347 Milliarden Euro, Urteil war vernichtend. Sie kamen zu dem Schluss, Abweichung: 36 Prozent. Der Zukauf von 131 weiteren dass, wann immer es möglich sei, alternative Luftfahr- Fahrzeugen ab 2017 ist veranlasst. zeuge zum Transport von Infanteriekräften zu nutzen seien. Die Mängelliste ist lang und skurril. Zum Bei-  Tiger spiel ermöglicht die geringe Bodenfreiheit Soldaten Der sogenannte Unterstützungshubschrauber Tiger nur auf befestigtem Boden den Ausstieg. Außerdem ist in Wirklichkeit ein Kampfhubschrauber. Er ist un- ist die Heckrampe nicht für den Ausstieg ausgerüs- ter der Kohl-Regierung zusammen mit Frankreich und teter Soldaten geeignet, da deren Konstruktion zu 56 schwach ist. Der Innenraum des NH90 ist derart eng bestimmten Einsatzgebieten wie in Nord-Mali nicht bemessen, dass eine Infanteriegruppe mit Gepäck vorhanden sind. Eine Maschine ist auf dem Jungfern- für 24 Stunden nur dann in den Hubschrauber passen fl ug bei Sevilla abgestürzt. Überdies verzögert sich die würde, wenn sie ihre Waffen und das Gepäck ohne Auslieferung fortwährend, da die unterschiedlichen Sicherungen auf den Boden legen. Diese Beengtheit Abnehmer unterschiedliche technische Anforderun- macht außerdem die Anbringung eines Bordgeschüt- gen stellen. Ursprünglich war die Beschaffung von zes praktisch unmöglich, weshalb der Helikopter 60 Stück geplant. Aktuell sollen nur noch 53 bestellt im Ernstfall mit anderen Mitteln verteidigt werden werden, von denen 40 bei der Bundeswehr verbleiben müsste. Zu guter Letzt können schwere Waffen auf- sollen. Trotzdem lagen 2016 die geschätzten Gesamt- grund fehlender Gurte nicht transportiert werden. Im kosten mit 9,5 Milliarden Euro bereits um 18 Prozent Dezember 1999 wurden für die Beschaffung von 134 über den ursprünglichen Planungen. Seitdem haben Hubraubern knapp 2,4 Milliarden Euro veranschlagt. sich die Aussichten auf eine rasche Auslieferung auf- Obgleich die bestellte Stückzahl massiv reduziert grund erheblicher technischer Schwierigkeiten weiter wurde, sind die Kosten bis 2014 auf 4,4 Milliarden verschlechtert. Seit 2016 denkt das Verteidigungsmi- Euro angewachsen. Verzögerungen entstanden ins- nisterium über eine kurzfristige Beschaffung US-ame- besondere durch widerstreitende Projektziele der rikanischer Lufttransporter vom Typ C130J Hercules beteiligten Staaten und langwierige Entscheidungs- des US-Herstellers Lockheed-Martin nach. Alternativ prozesse innerhalb der für die Projektorganisation kommt der gemeinsame Betrieb dieser Maschinen mit gegründeten multinationalen Struktur NAHEMO. Das Frankreich in Frage. Beides würde zusätzliche Kosten Rüstungsboard droht: Falls gemeinsame Lösungen bei nach sich ziehen. bestimmten Projektbereichen nicht gefunden werden, müssten „zusätzliche nationale Entwicklungen und  Luftverteidigungssystems MEADS Beschaffungen initiiert werden“. Dies würde weitere Bei der Einführung eines neuen Taktischen Luftver- Haushaltsmittel erfordern. teidigungssystems Medium Extended Air Defense System (MEADS) geht es um eines der größten  Lufttransportfl ugzeug A400M geplanten Rüstungsvorhaben des kommenden Jahr- Der Airbus A400M ist ein Transportfl ugzeug, das die zehnts. Eine Milliarde Euro hat Deutschland bereits C-160 Transall ablösen soll. Die Aufrüstung mit einem in die Entwicklung des hochmodernen Systems in- Großtransporter hat strategische Bedeutung für die vestiert. Das Rüstungsunternehmen MBDA verspricht, Einsatzorientierung der Bundeswehr. Der A400M kann das Vorhaben bis 2020 abschließen zu können. Die 32 Tonnen Nutzlast, darunter Hubschrauber oder Kosten dürften sich bis dahin auf rund vier Milliarden Panzer transportieren. Er kommt auf eine Reichweite Euro erhöhen. Das Problem: Die anfangs an der Ent- von maximal 6390 Kilometer. Der A400M soll im Tief- wicklung beteiligten US-Amerikaner sind mittlerweile fl ug Lasten, oder alternativ bis zu 116 ausgerüstete ausgestiegen und setzen auf eine Modernisierung der Fallschirmjäger im Kampfgebiet absetzen können. alten Patriot-Flugabwehrraketen. Deren Hersteller, die Zugleich soll er eine Luftbetankungsfähigkeit erhalten. US-Firma Raytheon, versprach Deutschland, ihr Sys- Das Projekt hat sich als überdimensioniert erwiesen. tem „in der Hälfte der Zeit und zu einem Drittel des So ist der A400M auf feste Pisten angewiesen, die in Preises“ von MEADS zu liefern. Raytheon konnte auch 57 darauf verweisen, dass die meisten NATO-Staaten auf in der Militärischen Luftfahrtstrategie von 2016 ers- Patriot setzen und Deutschland mit MEADS ziemlich te Überlegungen für ein Future Combat Air System allein dastehen würde. Auch das Beratergutachten angedeutet. Das ambitionierte Projekt soll nach von 2014 warnte, es „besteht die Gefahr, jetzt eine dem Wunsch von Luftwaffeninspekteur Karl Müllner Entscheidung auf unvollständiger Informationsba- sowohl bemannte als auch unbemannte Systemkom- sis zu treffen und eine Lösung zu wählen, die mehr ponenten zusammenführen und dabei den Eurofi ghter kostet, später als geplant einsatzfähig ist und/oder synergetisch sinnvoll integrieren können. weniger leistet als erwartet“. Doch die im bayerischen Schrobenhausen angesiedelte Firma MBDA verfügt im  U-Boot für Kommandoeinsätze Regierungsapparat und im Bundestag über starke in- Vom U-Boot 212 A hat die Marine derzeit 5 Stück im dustriepolitische Fürsprecher und konnte sich deshalb Dienst (U31 bis U35). Ausgestattet mit einem auf ei- durchsetzen. ner Brennstoffzelle basierender Hybridantrieb ist es dem Boot möglich, über sehr lange Zeiträume unterge-  Kampffl ugzeug Eurofi ghter taucht zu bleiben. Konventionelle U-Boote müssen in Die Anfänge des Kampffl ugzeugs Eurofi ghter gehen regelmäßigen Zeitabschnitten auftauchen, um erneut bis in die frühen 1980er Jahre zurück. Es sollte ein Sauerstoff für den Betrieb ihrer Motoren aufzunehmen eigenständiges europäisches Projekt sein, auf das und die Kabinen zu belüften. Beim Typ 212 A können sich die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens, diese Intervalle auf Zeiträume jenseits von zwei Wo- Italiens und Spaniens einigten. Als mit dem Zusam- chen verlängert werden, was bisher nur bei Atom-U- menbruch des Warschauer Paktes sich die strate- Booten möglich war, deren Betriebsenergie von einem gischen Voraussetzungen geändert hatten, konnte Reaktor bereitgestellt wurde. Die Antriebsanlage und Airbus in Verhandlungen mit den Staaten die Fort- die Schraube sind zudem darauf ausgelegt, nur mi- setzung des Projektes aushandeln. Handelte es sich nimale Vibrationen und Geräusche zu erzeugen, was ursprünglich um einen reinen Abfangjäger, der sowje- das Boot auch für modernere Ortungssysteme nahezu tische Kampfjets aufhalten sollte, sollen heute auch unsichtbar macht. Die im Vergleich zu den strategi- Einsätze gegen Bodenziele zum Einsatzspektrum schen Atom-U-Booten kleine Bauweise ermöglicht gehören. Die deutsche Regierung hat zwischenzeit- zudem eine Annäherung an die Küste, was das Abset- lich die Abnahme-Menge von 250 auf 143 reduziert. zen oder Aufnehmen von Kommandotrupps erleichtert. Trotzdem stieg der deutsche Anteil an den Gesamt- Trotz des hohen Stückpreises von etwa 400 Millionen kosten des Projekts von umgerechnet 14 Milliarden Euro hat das von einem deutschen Konsortium unter auf 26 Milliarden Euro (2014) an. Hintergrund waren Führung der HDW (Howaldtswerke-Deutsche Werft) unter anderem zahlreiche technische Probleme, de- gebaute U-Boot gute Exportchancen. Technologien, ren Behebungskosten auf den Steuerzahler abgewälzt die im Typ der 212 A-Klasse erstmals angewendet wurden. So stieg der Stückpreis einer Maschine von wurden, fi nden sich in den an Israel ausgelieferten rund 33 Millionen Euro (Preis von 1998) auf 138,5 Booten der Dolphin-Klasse wieder, ebenso wie in U- Millionen Euro (2014) in die Höhe. Neben dem Euro- Booten der Klassen 214 und 216, die Singapur, die fi ghter hält die Luftwaffe das Waffensystem Tornado Türkei, Portugal, Griechenland und Südkorea erhalten vor. Da dessen Zyklus sich dem Ende nähert, wurden haben. 58 Verfl echtung von Rüstungsindustrie und Politik

Die Vertreter der Rüstungsindust- Wirtschaftsminister Philipp Rösler zu Verhandlungsposition gegenüber der rie geben sich in den Ministerien die den Rüstungsbetrieben Deutschlands Rüstungsindustrie einnehmen. Tat- Klinke in die Hand. Dies erklärt, war- war. Das wirft Fragen auf. So wurde sächlich wurde 2015 mit dem „Stra- um im Verteidigungsministerium bei die Beratung des Änderungsvertrags tegiepapier der Bundesregierung zur Beschaffungsmaßnahmen stets die mit EADS über eine Stückzahlreduzie- Stärkung der Verteidigungsindustrie Interessen der Industrie mitgedacht rung des Militärtransportfl ugzeuges in Deutschland“ gemeinsam mit den werden. Das hat die Antwort auf eine A400M im Verteidigungsausschuss Unternehmen und ihrem Dachver- Kleine Anfrage der Bundestagsfrak- vom 15. Dezember 2010 auf den 26. band eine politische Rüstungsstrate- tion DIE LINKE von 2014 verdeut- Januar 2011 verschoben. Am 19. Janu- gie formuliert.94 Und noch eine gan- licht.93 Danach trafen sich der Vertei- ar fand ein Gespräch zwischen Rösler ze Branche profi tiert bereits kräftig digungsminister und seine Staatsse- und Manager Zoller von EADS statt. unter von der Leyen: die Unterneh- kretäre im Jahr 2013 im Wochentakt Am Ende stand ein Änderungsver- mensberater. So schrieb ihr Minis- mit verschiedenen Topmanagern der trag, der die Erhöhung des Stückprei- terium 2016 die Vergabe von Verträ- Rüstungsindustrie. Das sind Kontakte ses des A400M von 155 auf 175 Millio- gen an externe Berater in Höhe von auf höchster Ebene. Auf Arbeitsebene nen Euro vorsieht. Offenbar nutzt die 300 Millionen Euro aus, um sie dem waren die Kontakte so vielfältig und Industrie die Gespräche auf Leitungs- Beschaffungsamt der Bundeswehr in zahlreich, dass die Bundesregierung ebene, um vorteilhafte Konditionen Koblenz an die Seite zu stellen – der sie als nicht recherchierbar einstuft. gegenüber dem Staat durchzusetzen. wohl größte Beraterauftrag in der Ge- Auffällig ist, wie eng der Kontakt des Verteidigungsministerin von der schichte der Bundesrepublik. Wirtschaftsministeriums unter FDP- Leyen betont, sie würde eine härtere 59  Fregatte F-125 Module, die derzeit im Gespräch sind, umfassen U- Die Fregatte F-125 (Baden-Württemberg-Klasse) ist Boot-Jagd, Unterwasserminen-Bekämpfung, Taucher- auf Einsätze über längere Zeiträume in entfernten druckkammer und ein mögliches Modul, um Personen Gewässern ausgerichtet. Die Schiffe kommen mit in Gewahrsam nehmen zu können.96 Das MSK 180 reduzierten Mannschaften aus, die man im Rotati- soll Fähigkeiten abdecken, die sich über die Fregat- onsprinzip alle paar Monate komplett austauscht und ten F-125 und die großen Einsatzgruppenversorger damit kampffähig hält. Als Teil des Konzepts „Basis nicht abdecken lassen.97 Die fl exible Auslegung des See“ sind die Schiffe integrierbar in Kampfeinsätze MSK 180 ist Ausdruck einer gewissen strategischen und Missionen, die an Land ausgeführt werden sollen. Unsicherheit über die Zukunft der maritimen Kriegs- Von ihnen aus können Spezialtruppen abgesetzt oder führung. Welche Kosten dies nach sich ziehen wird, ist auch ganze Einsätze koordiniert werden. Ausgestattet völlig offen. mit moderner Spionagetechnologie ist es von den Schiffen aus möglich, bis weit ins Land hinein Überwa- chungsaufgaben auszuüben. Sie sind mit modernsten Krieg per Fernbedienung: Kampfdrohnen Geschützen ausgerüstet, die zielgenaue Granaten auf eine Entfernung von bis zu 70 Kilometer an Land feu- Wer im Fernsehen Berichte über Kriegsschauplätze ern können. Ergänzt werden sie durch Einsatzgruppen- verfolgt, wird vor allem mit der Zerstörungskraft versorger, die das notwendige Material in ausreichen- von Waffen und ihrer Munition konfrontiert. Die der Menge und auf weite Distanzen vorhalten können. Sprengkraft von Bomben, die Geschwindigkeit und Von der Fregatte werden vier Exemplare beschafft, die Reichweite von Raketen, die Schussfrequenz von Ma- mit drei Jahren Verspätung ausgeliefert werden. Allein schinengewehren ziehen aufgrund ihrer Sichtbarkeit das erste der vier Schiffe, die Baden-Württemberg, und fatalen Wirkung die Aufmerksamkeit auf sich. schlug mit 750 Millionen Euro zu Buche. Die Gesamt- Doch diese Waffen, im Militärjargon als „Wirkmittel“ kosten liegen damit um 40 Prozent über den ursprüng- umschrieben, bilden nur einen Teil der Kriegsführung. lich veranschlagten Ausgaben.95 Ihr zielgerichteter Einsatz ist ohne das Gewinnen von Informationen über den Feind nicht möglich. Der tech-  Das Mehrzweckkampfschiff MKS 180 nologische Fortschritt, insbesondere die Entwicklung Das Mehrzweckkampfschiff (MKS 180), das ab 2023 der Informationstechnologie, hat diesen Bereich – im der Marine zur Verfügung stehen soll, befi ndet sich Militärjargon „Aufklärung“ bezeichnet – immer wichti- noch in der Planung. Das Verteidigungsministerium ger werden lassen. hat das umfangreiche und teure Projekt europaweit ausgeschrieben und die Anbieter aufgefordert, eigene In den 2000er Jahren setzten die US-Streitkräfte in Vorschläge für das technische Profi l einzubringen. Es Afghanistan zum ersten Mal in großem Stil sogenann- soll ein breites Spektrum möglicher Fähigkeiten vor- te Unbemannte Fluggeräte (Unmanned Aerial Vehicle, halten. Das Zauberwort hierfür heißt Modularisierung: kurz: UAV) ein. Mit ihnen wurde eine neue Phase der Statt fest verbaut, sollen unterschiedliche Module zur Kriegsführung eingeläutet. Sie können von den USA Verfügung stehen, die je nach Einsatzprofi l schnell oder von Basen in Deutschland aus über Tausende und unkompliziert miteinander kombinierbar sind. Kilometer entfernt gesteuert werden. Sie existieren 60 als reine Aufklärungsdrohnen, die Bilder schießen, um Zeitpunkt seit rund zehn Jahren im Einsatz waren und eine Lagebild zu erstellen, oder können auch bewaff- Hunderte Angriffe gefl ogen hatten. net werden. Diese „Kampfdrohnen“ verbinden „Aufklä- rung“ und „Wirkung“. Es handelt sich um ein Spiona- Militärische Kampf- und Aufklärungsdrohnen spielen gefl ugzeug, dass in Echtzeit Bilder an den Piloten im aus anderen Gründen eine immer wichtigere Rolle. Sie Heimatland überträgt, und das im nächsten Moment kommen in jenen Kriegen zum Einsatz, wie sie die US- als Abschussplattform für Lenkbomben dient. Sie kön- Armee mit ihren Verbündeten in Afghanistan, Pakistan, nen ohne Gefahr eigener Verluste von Angestellten im Jemen oder Somalia führen – n Einsätzen, die die Schichtdienst gesteuert werden. US-Regierung als „Krieg gegen den Terror“ bezeich- net. In diesen asymmetrischen Konfl ikten steht der Keine Aufrüstungsmaßnahme macht die weltweite US-Armee keine reguläre Armee gegenüber, die über Entgrenzung des Kampfes um Interessen und Einfl uss eine effektive Flugabwehr verfügen würde, sondern so deutlich wie die Kampfdrohnen. Ministerin von der Aufständische oder Guerrillakämpfer, die mit leichten Leyen bestreitet dies. 2014 verkündete sie die Absicht, Waffen am Boden operieren. die Bundeswehr mit bewaffneten UAV auszustatten. Sie begründete dies mit einer vermeintlichen „Schutz- So nutzt die US-Armee Drohnen, um Aufständische lücke“, die es zu schließen gelte. Sie stützte sich dabei in entlegenen und ausgedehnten Bergregionen zu be- auf Ausführungen in einer Öffentlichen Anhörung. kämpfen, in die sie mit gewöhnlicher Infanterie nicht Dort erläuterte der Befehlshaber beim Einsatzfüh- in großer Zahl vorstoßen kann. Mit Kampfdrohnen rungskommando der Bundeswehr, Generalleutnant greift sie sogar über Grenzen hinweg in Ländern an, Hans-Werner Fritz: Kampfdrohnen würden Soldaten in denen überhaupt keine US-Truppen präsent sind, beistehen, wenn diese in einem Einsatz wie in Af- wie Jemen oder Pakistan. Ihr eigentlicher militärischer ghanistan unter Beschuss durch feindliche Kämpfer Vorteil gegenüber bemannten Kampffl ugzeugen liegt gerieten. Wenn eine Patrouille dringend Unterstützung in der langen „Stehzeit“: Sie können stundenlang aus der Luft bräuchte, sogenannten Close Air Support, kreisen, um Lagedaten am Boden auszuwerten. Wird dann sei eine Drohne schneller einsatzbereit als be- schließlich ein Ziel identifi ziert, kann sofort gefeuert mannte Fluggeräte. werden. Überdies kann die Technologie mit Daten abgeglichen werden, die auf Grundlage der Kontrolle Tatsächlich kommt das von Fritz entworfene Szenario der internationalen Telefon-, Internet- und Handynetze kaum vor. Bevorzugtes Mittel im Close Air Support abgeschöpft werden. Deshalb sind Kampfdrohnen sind Hubschrauber und andere bemannte Fluggeräte, auch das Mittel der Wahl, um per Fernbedienung Men- die schneller, wendiger und präziser sind als Kampf- schen zu ermorden, die die Geheimdienste der Droh- drohnen. Das zeigen auch die wenigen Zahlen, die die nennationen auf Todeslisten gesetzt haben. Bundesregierung preisgibt. In einer Antwort auf eine Große Anfrage vom Mai 2013 konnte sie überhaupt Es handelt sich um Hinrichtungen ohne Gerichtsver- nur zwei Fälle nennen, in denen US-Kampfdrohnen fahren – mithin um systematisch begangene Kriegs- zur Unterstützung von deutschen Truppen in Afghanis- verbrechen. Um das zu beschönigen, sprechen die tan angefordert wurden.98 Dies, obgleich sie zu dem Militärs von „gezielten Tötungen“. Dies vermittelt den 61 Eindruck, dass die Waffen besonders präzise wären, sichtbar in großer Höhe über Regionen wie dem afgha- und nur „Terroristen“ träfen. Das ist falsch. Zum ei- nischen Wardak oder dem pakistanischen Wasiristan, nen kann die Identität der Ziele durch die Kameras wo sie die Bevölkerung in ständige Angst versetzen. der Drohnen nicht exakt ermittelt werden. Die Bilder Mittlerweile gibt es zahlreiche Berichte, dass dies ei- lassen nicht einmal klar erkennen, ob eine Person nen unerträglichen psychischen Leidensdruck auf die eine Waffe oder ein Kamerastativ trägt. Zum anderen Menschen am Boden erzeugt, auch wenn die „Piloten“ vergeht zwischen Mausklick und Einschlag aufgrund am anderen Ende der Welt nicht den Abschussknopf der langen Übertragungswege eine kleine Zeitspan- drücken. ne. Um dennoch schnell bewegliche Ziele vernichten zu können, werden Raketen mit starker Sprengkraft Wohin führt der Einstieg in diese Technologie? Der eingesetzt. US-Kampfdrohnen vom Typ MQ-1B Preda- Physiker Marcel Dickow argumentiert, dass am Ende tor („Raubtier“) oder MQ-9 Reaper („Sensenmann“) der Entwicklung autonom agierende Killerdrohnen verwenden lasergelenkte Luft-Boden-Panzerabwehr- stehen könnten. Denn der Bediener einer Drohne sei raketen vom Typ Hellfi re, die mit entsprechender „auf entscheidende Weise abhängig von der Kommu- Sprengwirkung ursprünglich als Panzerabwehrraketen nikation mit seinem ferngelenkten Luftfahrzeug. [...] konzipiert wurden. Im Ergebnis kommt es bei Angrif- Weil dieser Kommunikationsfl aschenhals störbar und fen mit Kampfdrohnen zu überdurchschnittlich vielen verfälschbar ist und zudem Latenzzeiten von meh- zivilen Toten. reren Sekunden aufweisen kann – insbesondere bei Teleoperation über Satellitenverbindungen – arbeiten Die Unfähigkeit, die Identität einer anzugreifenden Per- bereits heute Entwickler der Industrie an autonomen son zweifelsfrei festzustellen, hat das US-Militär bewo- Funktionen für den Flugbetrieb“.100 gen, sich beim US-Präsidenten Genehmigungen abzu- holen. Im April 2012 erteilte Barack Obama z.B. explizit Es liegt in der Logik des Rüstungswettlaufs, dass am die Erlaubnis, sogenannte Signature Strikes auf Ziele im Ende UAV nicht für asymmetrische Kriege, sondern für Jemen durchzuführen – Angriffe auf unbekannte Perso- den Konfl ikt unter den großen Mächten gebaut wer- nen, auf bloßer Grundlage von aus Drohnen beobachte- den. In solchen Konfl ikten entscheidet die Geschwin- ten Verhaltensmustern oder Aufenthaltsorten. Wie viele digkeit, die zwischen Identifi zierung eines feindlichen Menschen bei solchen Angriffen umgekommen sind, ist Objektes und der Entscheidung zum Abschuss steht, unbekannt. Die US-Regierung räumte einen Fall ein und über den Sieg im Luftkampf. So müssen die Militär- zahlte eine Millionen Dollar Schadensersatz, nachdem planer heute davon ausgehen, dass am Ende „Plattfor- am 12. Dezember 2013 ein einziger Drohnenangriff 12 men“, die selbstständig entscheiden, den Sieg bringen jemenitische Zivilisten zerfetzte. Amnesty International werden. machte einen Angriff aus dem Juli 2012 in Pakistan be- kannt, bei dem eine US-Drohne 18 Arbeiter tötete und Die Bundesrepublik Deutschland ist bereits in den 22 andere verletzte.99 US-Drohnenkrieg verwickelt. So dient die US-Basis in Ramstein als Relaisstation bei der Übertragung von Mit dem Schutz von Soldaten hat all das nichts zu tun. Steuerungssignalen zwischen den USA und Einsatz- Stattdessen kreisen Kampfdrohnen hörbar, aber un- gebieten in Afghanistan, Pakistan oder Jemen. Um 62 dem Anspruch gerecht zu werden, selbst eine „aktive Die Motive des Verteidigungsministeriums hinter Rolle“ in der Welt zu spielen, soll die Bundeswehr der Auswahlentscheidung sind unklar. Zum einen nach dem Willen der Bundesregierung über eigene wird die enge bilaterale militärische Kooperation mit Kampfdrohnen verfügen. Sie kann dabei auf Erfah- Israel vertieft. Zum anderen profi tiert erneut die Rüs- rungen mit israelischen Aufklärungsdrohnen vom tungssparte des europäischen Airbus-Konzerns. Zum Typ Heron-1 zurückblicken, die die Bundeswehr in Gesamtvorhaben gehört neben dem Fluggerät des Afghanistan zusammen mit einer Tochtergesellschaft israelischen Herstellers auch die Anschaffung von der Airbus-Gruppe betrieb. Grundlage ist ein Dienst- festen und mobilen Bodenstationen zur Steuerung der leistungsvertrag über das „System zur Abbildenden Drohnen, sowie zur Übertragung und Auswertung der Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes“ (SAATEG). Daten. Außerdem werden breitbandige Satellitenver- Die technisch-logistische Betreuung übernahm Airbus, bindungen und – je nach Entfernung zum Einsatzort die Verantwortung für den operativen Flugbetrieb und – Relaissatelliten benötigt. Die Drohnen sollen in Israel die Auswertung der Luftbilder lag bei der Bundeswehr. stationiert werden, als „Heimatverband“ unterstehen Laut Thomas Reinartz, Airbus-Vertriebsleiter für Unbe- sie jedoch dem Taktischen Luftwaffengeschwader 51 mannte Flugsysteme, wurden in Afghanistan mehr als im schleswig-holsteinischen Jagel. In Israel werden 2.300 Missionen mit der Heron-1 gefl ogen.101 auch große Teile der praktischen Ausbildung der Pilo- ten übernommen. Näheres soll eine deutsch-israeli- Um in die Kampfdrohnentechnik einzusteigen, soll die sche Regierungsvereinbarung regeln. Bundeswehr möglichst rasch als „Überbrückungslö- sung“ für den Zeitraum bis 2025 fünf bewaffnungs- Bei der Anmietung der Heron-TP handelt es sich um fähige Drohnen des Typs „Heron TP“ erhalten – eine eine „Überbrückungslösung“ – bis der Bundeswehr Maschine, die auf Grundlage der Heron-1 entwickelt ein ganz neues, noch zu entwickelndes europäisches werden soll.102 Die Geräte werden nicht gekauft, son- Modell zur Verfügung steht. Am 18. Mai 2015 haben dern nur geleast. Im Haushalt sind hierfür bislang Mit- die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und tel in Höhe von 580 Millionen Euro vorgesehen. Italiens eine gemeinsame Absichtserklärung zur Ent- wicklung einer europäischen Drohne bis 2025 auf Die Auswahlentscheidung entspricht nicht den Wün- Ministerebene unterzeichnet. Deutschland nimmt in schen der Luftwaffe, da die US-amerikanische Kampf- dem Vorhaben die Funktion der Rahmennation ein. drohne vom Typ Predator der israelischen Heron-TP Das lässt sich die Bundesregierung einiges kosten. Zur technisch überlegen ist. Das Fachblatt Newsletter Finanzierung der im November 2015 in Auftrag gege- Verteidigung behauptet: „Dieses geplante europäische benen Defi nitionsstudie trägt Deutschland 31 Prozent, UAV-System wird nicht vor dem Jahre 2025 zur Verfü- Frankreich, Italien sowie das hinzugekommene Spa- gung stehen und pro Stück ohne Waffensysteme 130 nien je 23 Prozent. Dieses Aufteilungsmodell soll so Mio. Euro kosten. Bisher gibt es außer Deutschland fortgesetzt werden. keine sicheren europäischen Partner für dieses Pro- jekt, da die meisten Partnernationen sich mittlerweile Die 60 Millionen Euro teure Studie soll die operatio- für eine billigere und voll bewaffnungsfähige amerika- nellen Forderungen der Nationen unter Kosten- und nische Predator-Variante entschieden haben.“103 Risikogesichtspunkten untersuchen und ein System- 63 design entwerfen, das die Grundlage für eine mög- Bis dahin arbeiteten nicht mehr als etwa 60 Personen liche Entwicklungs- und Beschaffungsentscheidung in der Gruppe „Computer Netzwerke Operationen“ bildet. Beauftragt wurden die Vertragspartner Airbus beim Kommando Strategische Aufklärung der Bun- Defence & Space, Dassault Aviation und Finmeccani- deswehr zur Entwicklung von Fähigkeiten zu offensi- ca. Das Verteidigungsministerium erklärte: „Aufgrund ven Operationen im internationalen Datenraum. Im der deutschen amtsseitigen Führungsrolle wird eine CERTBw (Computer-Emergency-Response-Team der Führungsrolle der Firma Airbus Defense & Space sei- Bundeswehr) waren 40 Soldaten und zivile IT-Experten tens Ministeriums unterstützt.“104 damit beschäftigt, die Abwehr von Viren und ande- ren Attacken auf die IT-Struktur der Bundeswehr zu Die Kosten, die dieses Projekt nach sich ziehen wird, gewährleisten. Das neue Kommando soll die bisher sind unabsehbar. Anstatt die Weichen für das nächs- zersplitterte Cyberabwehr der Bundeswehr zusam- te Milliardengrab zu stellen, brauchen wir ein Verbot menfassen und zusätzlich Spezialisten in erheblichem dieser Waffen. Angezeigt wäre ein Beschaffungs-Mo- Umfang rekrutieren. Im Rahmen des Projektes Digi- ratorium europäischer Regierungen, das Normen setzt tale Kräfte wurden 2016 allein 3,5 Millionen Euro für und einen Einstieg in die vorbeugende Rüstungskon- eine entsprechende Werbekampagne aufgewendet. trolle ermöglicht. Anstatt sich am Rüstungswettlauf um immer tödlichere und schnellere Kampfdrohnen Von der Leyen will die Bundeswehr auf diesem Gebiet zu beteiligen, forderte DIE LINKE die Bundesregierung zu einer global führenden Streitmacht machen. Der auf, sich auf internationaler Ebene für eine Konvention umfassende Anspruch spiegelt sich im Weißbuch 2016 zur umfassenden Ächtung solcher Waffensysteme wider. Wo soll der Organisationsbereich CIR wirken? einzusetzen und als ersten Schritt in diese Richtung Laut Weißbuch überall: „Insgesamt hat sich der Cyber- wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen auf dem und Informationsraum damit zu einem internationalen Gebiet der Drohnentechnologie und der entsprechen- und strategischen Handlungsraum entwickelt, der den Technologietransfers zu befördern.105 so gut wie grenzenlos ist.“ Wer ist der Gegner? Laut Weißbuch potenziell jede Person: „Auch terroristische Gruppierungen, kriminelle Organisationen und ver- Die Cyberoffensive der Bundeswehr sierte Einzelpersonen können potenziell mit geringem Aufwand erheblichen Schaden anrichten.“ Geht es um Im Weißbuch 2016 wird ausführlich das Thema Cyber- Verteidigung oder um Angriff? Laut Weißbuch um bei- war behandelt. Es handelt sich um die nachträgliche des: „Die Verteidigung gegen derartige Angriffe bedarf Rechtfertigung dessen, was zuvor in die Wege geleitet auch entsprechender defensiver und offensiver Hoch- wurde. Im April 2016 gab Verteidigungsministerin wertfähigkeiten.“ Handelt es sich um Einsätze im Aus- Ursula von der Leyen die Aufstellung des neuen Orga- land oder im Inland? Das Weißbuch stellt fest: „Innere nisationsbereichs Cyber- und Informationsraum (CIR) und äußere Sicherheit fallen in wenigen Bereichen so bekannt. Dabei handelt es sich um nichts weniger als eng zusammen wie im Cyberraum.“106 den Aufbau einer ganzen Teilstreitkraft, neben den bestehenden Teilstreitkräften Heer, Marine, Luftwaffe Was hier formuliert wird, ist nichts anderes als das, und der Streitkräftebasis. was der russischen Seite vorgeworfen wird: Die 64 Eurohawk: Ein Fass ohne Boden

Ein weiteres Drohnenprojekt ist die Metern ist es für die Flugabwehr der weiterentwickelt werden. Dafür wur- Entwicklung des Eurohawk. Dabei meisten Staaten nicht erreichbar. den knapp 300 Millionen Euro zusätz- handelt es sich nicht um ein bewaff- Das Verteidigungsministerium hatte lich bewilligt. 2016 kam heraus, dass nungsfähiges, in mittlerer Höhe fl ie- bereits rund 600 Millionen Euro in die auch ISIS weniger ausgereift ist, als gendes, mittelgroßes Gerät wie die He- Entwicklung des Systems gesteckt, als ursprünglich dargestellt. Es muss ein ron oder Predator. Der Eurohawk ist von der Leyens Vorgänger Thomas de alternatives Fluggerät her, damit ISIS ein ultrahochfl iegendes unbemanntes Maizière die „Reißleine“ zog und das ausprobiert werden kann. Die Wahl Spionagefl uggerät, fast so groß wie Projekt einstellte. Es hatte sich heraus- fi el auf die US-amerikanische Tri- ein Passagierfl ugzeug. Es sollte so an- gestellt, dass der Eurohawk nie fl iegen ton, eine dem Eurohawk bauähnliche gelegt werden, dass damit zwei Aus- wird, da keine Aussicht auf die Zu- Drohne. Ein Vorvertrag mit dem US- landseinsätze der Bundeswehr gleich- lassung für den deutschen Luftraum Hersteller Northrop Grumman über zeitig abgedeckt werden können. Mit besteht. Zu groß ist die Kollisionsge- die Beschaffung von drei Geräten einer Reichweite von über 20.000 Ki- fahr mit gewöhnlichen Flugzeugen. wurde abgeschlossen. Kostenpunkt: lometern und einer Stehzeit von etwa Doch unter Verteidigungsministerin etwa 600 Millionen Euro. Grob über- 40 Stunden kann dieses System den von der Leyen wurde das Projekt wie- schlagen liegen die Gesamtkosten für gesamten afrikanischen und asiati- deraufgenommen. Begründung: Das das Projekt Eurohawk und dessen schen Kontinent bis an den Pazifi k so- Fluggerät mag ein Flop sein, aber die Nachfolger Mitte 2016 damit bei 1,5 wie große Teile Lateinamerikas errei- eingebaute Elektronik ist es nicht. Die Milliarden Euro. Fortsetzung folgt … chen. Mit einer Diensthöhe von 20.000 sogenannten ISIS-Sensoren sollten 65 systematische Verwischung der Grenzen zwischen Einhegung über Europa? Militärischem und Zivilem. Bislang gab es bei der Bun- deswehr, wie in allen anderen Armeen, eine Arbeits- Von der Leyen betont häufi g, die Bundeswehr würde teilung zwischen Soldaten und zivilen Angestellten. aus Prinzip nur im Bündnis mit anderen agieren. Das Der Drohnenkrieg, den die USA in den 2000er Jahren hört sich nach Team Work und Fair Play an. Der Hinter- entwickelten, brachte einen neuen Soldatentypus grund ist banaler. Deutschland ist weit davon entfernt, hervor: den lohnabhängig beschäftigten Killer, der eine Großmacht zu sein wie die USA. Kampfoperatio- aus einem Gebäude in den USA oder Deutschland nen wie in Afghanistan sind ohne US-Streitkräfte bis- per Fernbedienung, auch ohne besondere körperliche lang noch undenkbar. Selbst an das militärische Poten- Kraftanstrengung, nach acht Stunden Dienst in den zial von Mächten wie Russland oder China kommt die Feierabend geht. Bundeswehr nicht heran. Um globale „Glaubwürdigkeit“ zu gewinnen, ist die Bundesregierung deshalb konse- Im CIR sollen keine Kommandos für den Abschuss quent auf das Wirken im Bündnis mit anderen ange- von Hellfi re-Raketen gegeben werden. Aber es kommt wiesen. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von zu einer ähnlichen Vermischung zwischen zivilen und 1992 wird dies treffend so ausgedrückt: Deutschland ist militärischen Karrieren. Auf die Frage „Ist der Cyber- eine „Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht Soldat ein neuer Typus Soldat?“ antwortet Generalma- mit weltweiten Interessen“, die sich allerdings „nicht jor Ludwig Leinhos, im CIR werde es auch jene geben, allein behaupten kann“. Daher sei die „Bündnisbindung „die im Cyber- und Informationsraum wirken können. an die Nuklear- und Seemächte in der Nordatlantischen Sie haben die Fähigkeiten, andere Systeme aufzuklä- Allianz“ ein „vitales Sicherheitsinteresse“.108 ren oder auch in diesen zu wirken. Das bedeutet in der Konsequenz wir haben eine Mischung aus klassischen Die NATO bleibt das bedeutsamste Bündnis. Deutsch- Soldaten mit klassischen Werdegängen, aber auch land und Frankreich sind zu schwach, um etwa im Kon- Soldaten oder Arbeitnehmer, die mehr in spezialisier- fl ikt mit Russland eine eigenständige Rolle zu spielen. ten Fachsträngen laufen.”107 Doch die Abhängigkeit von den USA wird in Paris und Berlin auch als ein Problem angesehen. So hatten die In anderen Systemen „wirken“ heißt übersetzt: sie Konfl ikte auf dem Balkan der 1990er Jahre deutlich ge- angreifen. Damit bettet sich das CIR der Bundeswehr macht, dass beide Länder selbst bei dem Versuch, in in eine Strategie der NATO ein. In der öffentlichen Südosteuropa Einfl uss auszuüben, an Grenzen stoßen. Darstellung sind es indessen immer die Gegner im Der damalige französische Verteidigungsminister Alain Osten, die offensiv agieren. Nach einem Treffen der Richard beklagte 1999, „die europäischen Staaten hät- Verteidigungsminister des Nordatlantischen Bündnis- ten den Militäreinsatz im Kosovo-Konfl ikt nicht ohne ses im Juni 2016 erklärte NATO-Generalsekretär Jens die Amerikaner organisieren können. ‚Uns fehlten die Stoltenberg, dass Angriffe über Datennetze künftig Kommandostrukturen‘, sagte der Minister.“109 Richard wie solche durch Land-, See- oder Luftstreitkräfte forderte deshalb die Schaffung eines europäischen Füh- behandelt würden. Dies könne auch bedeuten, dass rungsstabes und einen Fahrplan auf dem Weg zu einer Cyber-Angriffe den Bündnisfall nach Artikel 5 des europäischen Verteidigungsunion. EU-Kommissionsprä- Nordatlantikvertrages auslösen könnten. sident Jean-Claude Juncker hatte im März 2015 in einem 66 Interview mit der Welt am Sonntag sogar den Aufbau ei- Substanz haben nur einige klar umgrenzte Projekte auf ner „Euro-Armee“ ins Spiel gebracht. Eine solche Armee bilateraler Basis, die zwischen einzelnen europäischen könne dem russischen Präsidenten Putin zeigen, so Jun- Staaten vereinbart wurden und so zu einer verstärkten cker, dass man es ernst mit der Verteidigung der Werte militärischen Integration führen. Vorzeigebeispiel: Die in der Europäischen Union meine. niederländische Armee hat eine Brigade unter das deut- sche Kommando der Division Schnelle Kräfte gestellt. Tatsächlich gibt es für den Aufbau einer solchen Armee, Im Gegenzug hat das Verteidigungsministerium Teile der oder auch nur für einen europäischen Stab, keine kon- Deutschen Marine unter niederländisches Kommando kreten Planungen. Die Nationalstaaten in Europa verfol- gestellt, zur gemeinsamen Nutzung des riesigen Mehr- gen nach wie vor rivalisierende wirtschaftliche Interes- zweckversorgungsschiffs Karel Doorman. Auch die Zu- sen. Für militärische Angelegenheiten, dem Kernbereich sammenarbeit mit Polen wurde vorangetrieben, etwa der nationalen „Souveränität“, existiert nicht einmal ein im Zusammenhang mit dem Aufbau des Multinationalen gemeinsamer EU-Kommissar. Im Rahmen der „gemein- Korps in Stettin. samen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) treffen sich die Verteidigungsminister der EU alle drei Tatsächlich sind bilaterale Kooperationen wie diese Monate. Dort treffen sie Verabredungen, die unter an- keine Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Ar- derem zu gemeinsamen militärischen Ausbildungspro- mee, sondern die Anlehnung kleiner Staaten an eine grammen für Drittstaaten geführt haben, unter anderem europäische Mittelmacht im gegenseitigen Interesse. den European Training Missions, zum Beispiel in Mali Alles fi ndet im Rahmen der NATO statt. Europäische oder in Somalia. Andere Einsätze europäischer Mächte Krisenreaktionskräfte (EU-Battlegroups) sind seit 2007 laufen an dieser Struktur vorbei und fi nden im Rahmen einsatzbereit, bleiben mit einer Gesamtstärke zwischen der NATO oder in „Koalitionen von Willigen“ statt. Die 1.500 und 2.500 Soldaten allerdings überschaubar. Sie Westeuropäische Union ist als einzige Struktur, die ei- kamen bislang nicht in Einsatz. ner potenziellen Euro-Armee einen Rahmen hätte geben können, aufgelöst worden. Die Einrichtung erfüllte kei- Die Herrschenden in Deutschland und Frankreich träu- nen realen Zweck mehr. men seit langem von einem Europa unter ihrer Führung als Gegenmacht gegenüber Russland, das sich zugleich In verteidigungspolitischen Debatten kam angesichts unabhängig von den USA aufstellt. In der europäischen der vorgegebenen Obergrenzen bei der Ausstattung der Sicherheitsstrategie von 2003 heißt es in diesem Sin- Bundeswehr mit militärischem Großgerät zwischen 2011 ne: „Als Zusammenschluss von 25 Staaten mit über 450 und 2016 das Schlagwort „Pooling and Sharing“ in Mode. Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozial- Damit war die Idee gemeint, dass mehrere europäische produkts weltweit erwirtschaften, ist die Europäische Staaten bestehende militärische Fähigkeiten zusam- Union, der zudem ein umfangreiches Instrumentarium menlegen und so ökonomisch profi tieren. Was sich plau- zur Verfügung steht, zwangläufi g ein globaler Akteur. Bei sibel anhört, hat aufgrund der innereuropäischen Inter- den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungs- essengegensätze nie funktioniert. Kein Staat ist bereit, linie oftmals im Ausland liegen. Wir müssen eine Stra- sein Rüstungspotenzial in einen gemeinsamen Pool hin- tegiekultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und zuwerfen, wo es unter fremde Kontrolle gerät. Wirklich wenn nötig robustes Eingreifen fördert.“ 67 Die Zusammenarbeit mit Frankreich erstreckt sich auf Bundesrepublik. Dies ist ein Problem für die SPD, verschiedene Felder. Zum einen ist Paris aus Kosten- deren Anhänger mehrheitlich eine restriktive Waffen- gründen bereit, deutsche Truppen in Missionen auf dem exportpolitik befürworten. 2013 wurde der SPD-Vor- afrikanischen Kontinent einzubinden, wo Berlin bislang sitzende zum Bundeswirtschaftsmi- über wenig Erfahrungen und verhältnismäßig wenig nister ernannt und ist seitdem verantwortlich für die Einfl uss verfügt. Bedeutsamer noch ist die Zusammen- Genehmigung von Waffen- und Rüstungsexporten. Er arbeit im Rüstungsbereich. So entschied von der Leyen bemühte sich den Eindruck zu erwecken, unter seiner sich mit über 200 Millionen Euro an einem französi- Führung würden die Exporte gedrosselt. Ein Blick auf schen Militärsatellitenprogramm zu beteiligen. Überlegt die Fakten zeigt jedoch das Gegenteil. Im Jahr 2015 wird, eine modernisierte Version des Kampfpanzers hat das Wirtschaftsministerium Ausfuhrgenehmi- Leopard-2 zusammen mit französischen Partnern zu gungen in Höhe von 12,82 Milliarden Euro erteilt.110 entwickeln. Der deutsche Panzerbauer KMW fusionier- Niemals zuvor lag der Wert höher. Im ersten Halbjahr te jüngst mit dem französischen Rüstungsunternehmen 2016 wurden Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert Nexter. Den Zuschlag für den Bau einer eigenen euro- von 4,03 Milliarden Euro erteilt, was nochmal einer päischen Kampfdrohne erhält ein deutsch-französisch- deutlichen Steigerung gegenüber dem ersten Halb- italienisches Konsortium. jahr 2015 entspricht.111

All das stellt keinen Fortschritt dar. Europa bzw. einzel- Hinter den nackten Zahlen verbirgt sich dabei eine ne europäische Staaten und Rüstungsfi rmen aus Nach- Reihe von Exportgeschäften, die nicht mehr mit einer barländern werden für die Bundesregierung an dem vorgeblich restriktiven Genehmigungspraxis vereinbar Punkt interessant, wo die eigenen Ressourcen nicht sind. So durften Saudi-Arabien, Katar und Ägypten ausreichen. Kleinere europäische Staaten sollen sich seit März 2015 Rüstungsgüter aus der Bundesrepublik nach dem Wunsch der Bundesregierung an Deutsch- beziehen, obwohl die drei Länder von diesem Zeit- land anlehnen, das die Rolle einer „Rahmennation“ punkt an militärisch in den jemenitischen Bürgerkrieg einnehmen kann. Ursula von der Leyen nennt das „Füh- eingegriffen hatten. Die Bundesregierung genehmigte ren aus der Mitte“. Das soll den Eindruck vermitteln: seit Beginn dieser militärischen Intervention unter Deutschlands Ambitionen würden in Europa eingehegt. anderem den Export von Bauteilen der Militärfl ugzeu- In Wirklichkeit geht es darum, die eigene Macht über ge der Typen Tornado und Eurofi ghter nach Saudi-Ara- das Zusammenwirken mit anderen zu hebeln und so zu bien, dessen Luftwaffe über Monate Ziele im Jemen verstärken. bombardiert hat. Kampfpanzer und Haubitzen wurden an Katar geliefert, ein U-Boot und sonstige Marine- technik ging an Ägypten. Rüstungsexporte und die „Merkel-Doktrin“ Die Bundesregierung ist jedoch nicht nur Genehmi- Deutschland ist einer der größten Rüstungsexpor- gungsstelle, sondern befördert den Rüstungsexport teure weltweit. Nur die USA und Russland haben auch aktiv. Sie sichert Rüstungsexporte mit Hilfe von über die vergangenen Jahre mehr Kriegswaffen und Hermes-Bürgschaften ab, verkauft eigene Rüstungs- sonstige Rüstungsgüter in die Welt verkauft als die güter aus den Überschussbeständen der Bundeswehr, 68 führt Waffen der Bundeswehr im Zusammenschluss sächlich ist der Sektor gesamtgesellschaftlich viel zu mit der Rüstungsindustrie ausländischen Interessen- klein, als dass dies eine tatsächliche Motivation dar- ten vor und bildet im Rahmen kommerzieller Export- stellen würde. Rüstungsproduktion macht ungefähr 1,1 geschäfte Angehörige anderer Streitkräfte an den Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts, also der Waffen aus, die die deutsche Industrie liefert. Für den Werte, die pro Jahr neu geschaffen werden, aus. Auch Kauf bei der deutschen Rüstungsindustrie werben in der Exportwert der Rüstungsgüter ins Verhältnis zum den Entsendeländern die Militärattachés an den deut- Gesamtexport der deutschen Wirtschaft gesetzt liegt schen Botschaften. Auf Auslandsreisen von Ministern bei nur etwa einem Prozent. Mit den Arbeitsplätzen der Bundesregierung werden Rüstungslobbyisten mit- ist es ebenfalls nicht so weit her. Der Bundesverband genommen. der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) spricht von 98.000 Rüstungsarbeitsplätzen, Bemerkenswert ist, dass es nur wenige andere Politik- nach anderen Schätzungen sind es nur 80.000. Aber felder gibt, in denen die Bundesregierung derart ge- auch die höhere Zahl bedeutet nur einen Anteil von gen den erklärten Willen einer Mehrheit regiert. Nach 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen. Mit anderen Wor- einer Emnid-Umfrage aus dem Januar 2016 sprechen ten: Die Rüstungswirtschaft ist eine marginale Größe sich 83 Prozent der Bevölkerung gegen den Verkauf in Deutschland. Wenn der politische Wille da wäre, von Rüstungsgüter in andere Länder aus. Dies ist könnten staatliche Gelder bereitgestellt werden, um nochmals eine Steigerung der Ablehnung gegenüber die bestehenden Produktionskapazitäten deutscher der Vergleichsumfrage aus dem Jahr 2011. Vor dem Rüstungsunternehmen für die Herstellung zivil nutzba- Hintergrund des Arabischen Frühlings und zahlreicher rer Produkte umzustellen. Und die (zivile) Exportindus- Berichte über den Einsatz deutscher Waffen gegen die trie klagt vermehrt über einen Mangel an qualifi zierten Protestierenden in den arabischen Ländern sprachen Ingenieuren und Facharbeitern. sich damals 78 Prozent gegen Rüstungsexporte aus.112 Außenpolitisch ist die Bundesregierung vor allem an Geostrategisch haben die Exporte eine Bedeutung einem interessiert: Ein stabiles Umfeld für die eigenen über das unmittelbare Geschäft hinaus. Die deutsche Geschäfte. Und das wird eher von Diktaturen als von Rüstungswirtschaft ist weitgehend privatwirtschaftlich frei gewählten Regierungen garantiert. CDU-Bundes- aufgestellt. Die Aufträge der Bundeswehr reichen im kanzlerin Angela Merkel sagte in diesem Geist im Jahr globalen Konkurrenzkampf mit Staatsunternehmen 2011: „Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich anderer Länder oder den viel größeren US-Rüstungs- zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage aus- schmieden nicht aus. Die Exporte sichern die Existenz drücklich: Das schließt auch den Export von Waffen der Firmen und damit eine national eigenständige mit ein – dies selbstverständlich nur nach klaren und Operationsbasis, die innerhalb der herrschenden weithin anerkannten Prinzipien.“113 Im Hintergrund Kreise als Voraussetzung für nationalstaatliche Hand- steht die Idee, statt Kampfeinheiten der Bundeswehr lungsfähigkeit im Kriegsfall gesehen wird. Arbeitsplät- in verschiedene Weltteile vermehrt Waffen und Ausbil- ze werden in diesem Zusammenhang ebenfalls als der zu schicken. Das wurde dann als „Merkel-Doktrin“ Argument angeführt. Das dient aber lediglich dazu, in bezeichnet. Der damalige CDU-Verteidigungsminister der Öffentlichkeit Unterstützung zu mobilisieren. Tat- Thomas de Maizière verteidigte den Export von Kampf- 69 panzern im selben Jahr mit den Worten, Saudi-Arabien sei ein Verbündeter des Westens und „einer der wich- tigsten Stabilitätsanker in der Region“.114 Einige Mona- te zuvor hatten saudische Panzer die Demokratiebe- wegung im benachbarten Bahrain niedergewalzt.

Saudi-Arabien ist reich und kann für deutsche Panzer aus eigenen Mitteln bezahlen. Um fi nanziell schwä- cher aufgestellte Staaten zu unterstützen, hob die Bundesregierung eine sogenannte „Ertüchtigungs- initiative“ aus der Taufe. Sie hat die Idee zum Inhalt, andere – als mögliche „Stabilitätsanker“ identifi zierte – Regimes mit Ausrüstung und militärischer Ausbildung zu unterstützen. Auf Ebene der Europäischen Union hatte Deutschland bereits 2013 ein vergleichbares Konzept mit der Bezeichnung „Enable and Enhance Initiative“ (E2I) eingebracht. Doch diese Initiative kam nur schleppend voran. Der Streit dreht sich um die Frage, aus welchen Budgets und nach welchen Regeln militärische Ausrüstung in Drittstaaten gelangen sol- len. 2016 wurde daraufhin in Deutschland ein eigener neuer Haushaltstitel im Umfang von rund 100 Millio- nen Euro geschaffen, der die „Ertüchtigungsinitiative“ fi nanziell unterfüttern soll und vom Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium gemeinsam ver- waltet wird. Die Mittel aus diesem Titel können ohne Beschränkung durch andere Maßnahmen geografi sch und zeitlich fl exibel eingesetzt werden, sowohl in bi- lateralen wie multilateralen Kontexten. Im ersten Jahr wurden die Mittel mit Schwerpunkt in Tunesien, Irak, Mali, Jordanien und Nigeria eingesetzt.

70 Die Bundeswehr in Deutschland

71 Bundeswehr im Inland enge Grenzen gesetzt und ge- stattet sie nur anlässlich schwerer Unglücksfälle auf Grundlage von Artikel 35 Absatz 2 oder 3, bei „Ereig- nissen von katastrophischen Dimensionen“ (2 PBvU 1/11, Entscheidung vom 3. Juli 2012). Das Gericht betonte dabei, es stelle „nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherr- schen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte“. Den Begriff der Katast- rophe hat das Bundesverfassungsgericht dabei nicht eindeutig defi niert, es hat allerdings wiederholt den Die Bundeswehr Ausnahmecharakter eines Bundeswehreinsatzes auf- in Deutschland grund solcher „ungewöhnlicher Ausnahmesituationen“ betont.

Auffällig oft werden im Weißbuch „äußere und innere Mehr und mehr Einsatz im Inneren – von der Sicherheit“ in einem Atemzug genannt, beide seien Amtshilfe zu „gemeinsamen Übungen“ „nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen“. An anderer Stelle ist von einem „zunehmenden Inein- Die Bundeswehr im Inneren einsetzen zu können, andergreifen von innerer und äußerer Sicherheit“ die ist seit vielen Jahren erklärtes Ziel konservativer Si- Rede, was die „gemeinsame Ausbildung und Übung cherheitspolitiker. Mit der Präsentation des neuen von staatlichen und zivilen Akteuren für das Handeln Weißbuches zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der im gesamten Krisenzyklus“ erfordere. Das Weißbuch Bundeswehr hat das CDU-geführte Verteidigungsmi- beschwört „ungewöhnliche Ausnahmesituationen“, zu nisterium einen weiteren Schritt unternommen, um deren Bewältigung „Bundes- und Landesbehörden“ solche Einsätze zu „normalisieren“. Koalitionsinterne zusammenarbeiten müssten. Meinungsverschiedenheiten mögen der Grund dafür sein, dass keine Verfassungsänderung mehr ange- CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen strebt wird, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern sah kaum zwei Wochen nach Vorstellung des Weißbu- zu legalisieren. Stattdessen setzt Ministerin von der ches eine Gelegenheit, die Bundeswehr zur Terrorbe- Leyen heute verstärkt auf eine Ausweitung der beste- kämpfung im Inland einzusetzen. Als am 22. Juli 2016 henden Möglichkeiten, und die liegen im Bereich des ein 18-Jähriger in einem Münchener Einkaufszentrum Katastrophenschutzes, zum Beispiel im Falle katastro- Amok lief, ließ sie Soldaten des Feldjägerregiments 3 phenartiger terroristischer Anschläge. mit Standort in der Fürst-Wrede-Kaserne in München in Bereitschaft versetzen. Völlig unklar ist, welche Das Bundesverfassungsgericht hat Einsätzen der Aufgaben die Feldjäger übernommen hätten. Die 72 Polizei forderte jedoch keine Amtshilfe an, weil sie Noch nie geübt wurde hingegen, dass die Truppe auch die Lage offenbar nicht als eine terroristische Gefahr bei terroristischen Großlagen die Polizei unterstützt. katastrophalen Ausmaßes einschätzte und sich auch Die Anschlagserie von Paris hat allen die Augen ge- ohne Unterstützung des Militärs in der Lage sah, ihren öffnet. In eng begrenzten Fällen, etwa bei parallelen Einsatz durchzuführen. Zudem wäre ein solcher Ein- schweren Anschlägen an mehreren Orten, lässt auch satz nicht von der oben erwähnten Entscheidung des unser Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr im Bundesverfassungsgerichtes gedeckt gewesen. Denn Innern zu.“116 Planungen für gemeinsame Übungen die bezieht sich auf Fälle, bei denen die Katastrophe von Bundeswehr und Polizei sollen laut Spiegel Online in Gang ist oder zumindest „unmittelbar“ bevorsteht, bereits laufen. d. h. wenn der katastrophale Schaden ohne das Ein- schreiten des Militärs „mit an Sicherheit grenzender Darüber hinaus wurden unauffällig seit 2007 Struk- Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird.“ Der turen für den Inlandseinsatz aufgebaut, zum Beispiel Schutz von Gebäuden oder U-Bahn-Stationen zu ei- unter dem Label „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ nem Zeitpunkt, an dem ein Bombenschlag bereits ge- (ZMZ): Seither stehen in allen Ländern, Landkreisen schehen ist und keine gesicherten Erkenntnisse vorlie- und kreisfreien Städten Kommandos aus Reservisten gen, dass ein weiterer Anschlag mit katastrophischen bereit, die bei Bedarf aktiviert werden sollen, um bei Dimensionen bevorsteht, wäre daher auf jeden Fall Katastrophen zu helfen. 2013 wurden außerdem die rechtswidrig gewesen – dass die Verteidigungsminis- sogenannte Regionalen Sicherungs- und Unterstüt- terin die Feldjäger trotzdem in Bereitschaft versetzte, zungskräfte, ebenfalls aus Reservisten bestehend, zeigt ihren Willen, unter Umständen auch rechtswidrig aufgestellt. Geübt wird für jede denkbare Art des loszuschlagen. Inlandseinsatzes – von scheinbar harmlosen Hilfsein- sätzen bis hin zur Niederschlagung innerer Unruhen. Dessen ungeachtet veranstaltete auch die bayerische Der Bundeswehr, die im Inneren eigentlich nur in Landesregierung in den Tagen nach dem Amoklauf absoluten Ausnahmesituationen eingesetzt werden von München eine Klausurtagung, auf der der Innen- sollte, wird somit systematisch eine wichtige Rolle bei minister des Freistaats „nur ein Rezept zur Bewälti- der Inneren Sicherheit verschafft. gung von Amok und Terror“ anpries: „Den Einsatz der Bundeswehr im Inland.“115 Und am 31. Juli titelte die Weiterhin fehlt ein Gesetz, das den Einsatz der Bun- BILD-Zeitung: „Bundeswehr-Einsätze im Inland? Von deswehr in Deutschland bei Anschlägen am Boden der Leyen: ‚Ja, wir bereiten uns darauf vor‘“. Im Spät- regelt. Bisher gibt es nur das Luftsicherheitsgesetz sommer 2016, so von der Leyen gegenüber der Zei- für den Einsatz der Luftwaffe im Inland. Die Regie- tung, werde sie „mit der Innenministerkonferenz ent- rung glaubt inzwischen, auf ein derartiges Gesetz scheiden, welche Einsatzszenarien wir üben müssen.“ verzichten zu können, indem sie einfach die gel- Ihr Programm hatte von der Leyen schon zwei Tage tenden Verfassungsregeln weiter interpretiert. Im nach dem Amoklauf von München der Frankfurter Einzelfall kommt es dabei zu Diskussionen mit der Allgemeinen Sonntagszeitung dargelegt: „Gelernt ist, SPD. Grundsätzlich abgelehnt wird der Einsatz der dass die Bundeswehr zivilen Behörden Amtshilfe leis- Bundeswehr im Inneren nur von LINKE und Bündnis tet, etwa bei der Oderfl ut oder in der Flüchtlingskrise. 90/Die Grünen.117 73 Die Bundeswehr als Krisenhelfer? gionale Sicherungs-Unterstützungskompanien (RSU) zusammengefasst worden. Die RSU umfassen derzeit Die Bundeswehr wurde im Inland mehr und mehr als ca. 10.000 Reservisten, die regelmäßig geschult und Krisenhelfer ins Spiel gebracht, auch um auf diese trainiert werden, um im Bedarfsfall auch die Sicherung Weise um Zustimmung zu ihrer Existenz zu werben der kritischen Infrastruktur übernehmen zu können. und ihr Legitimität zu verschaffen. Zum Teil besser Das Aufgabenspektrum ist nicht nur angewachsen, ausgerüstet als das Technische Hilfswerk (THW), hat sondern es wurde auch dahingehend geändert, dass sie vor allem größere Schadensereignisse wie z.B. nicht der Kriegsfall zum Einsatz der Reservisten führt, das Elbehochwasser medial genutzt, um ihren Nutzen sondern sie als ständige Hilfstruppe herangezogen herauszustellen. Um ihre Rolle bei derartigen Einsät- werden können. Die in den Landeskommandos ein- zen zu optimieren, arbeitet die Bundeswehr verstärkt gesetzten Reservisten verteilen sich auf alle Ebenen mit zivilen staatlichen Einrichtungen zusammen. Der der zivilen staatlichen Verwaltung und sichern so auch Oberbegriff, mit dem die Bundeswehr diese Stellen den Informationsfl uss aus den regionalen zivilen Ver- bezeichnet, ist dabei kennzeichnend: „Behörden und waltungen in die Spitze der militärischen Hierarchie. Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS).

Als sensible Ziele in Deutschland, deren Beschädi- Flüchtlingshilfe gung zu Katastrophenfällen führen könnte, hat man die so genannte „kritische Infrastruktur“ identifi ziert, Ein aktueller Fall, in dem die Bundeswehr sich öffent- also solche Infrastrukturen, die als Voraussetzungen lichkeitswirksam als Helfer in der Not präsentiert, ist für eine funktionierende Wirtschaft und Verteidigung die Versorgung der nach Deutschland gekommenen gelten können. Gemeint sind damit Kraftwerke, be- Kriegsfl üchtlinge. Nachdem die Mittel und Möglich- stimmte Straßen oder Stromtrassen, Bahnhöfe und keiten der Kommunen seit Jahren ihrer chronischen Gleisstrecken etc. Seit ihrer organisatorischen Reform Unterfi nanzierung zum Opfer gefallen sind, haben dient innerhalb der Bundeswehr das „Kommando ter- viele Gemeinden die Hilfe der Bundeswehr dankbar ritoriale Aufgaben“ als Schnittstelle zwischen zivilen annehmen müssen. Ministerin von der Leyen hat die und militärischen Belangen. Das Kommando organi- Möglichkeit, auf diesem Wege praktisch kostenlos siert die Feldjäger, die ABC-Abwehr, die Propaganda Werbung für die Bundeswehr zu machen und die Sol- der Bundeswehr, betreibt die Truppenübungsplätze datinnen und Soldaten in einen weiteren Einsatz zu und führt den Befehl über die Reservisten. Die zivil- bringen, gern wahrgenommen. militärische Zusammenarbeit baut dabei auf ehema- ligen Bundeswehrsoldaten auf, die an verschiedenen Bis zu 9.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundes- zivilen Stellen die Zusammenarbeit zwischen den wehr sowie Zivilbeschäftigte waren zu Spitzenzeiten regionalen zivilen Bemühungen und den militärischen pro Tag im November vergangenen Jahres im Einsatz. Stellen koordinieren. Die militärische Seite stellt dabei Mit Stand Ende Juli 2016 unterstützten nach Ministeri- wenn nötig Personal und Material zur Verfügung, das umsangaben noch rund 830 militärische und zivile Be- die Kräfte des THW oder der Gemeinden unterstützt. schäftigte die Flüchtlingshilfe. Wann defi nitiv Schluss Dazu sind in den letzten Jahren die Reservisten in Re- ist, darauf will sich Generalmajor Klaus von Heimen- 74 dahl, Leiter des Koordinierungsstabes Flüchtlingshilfe rum es beim Weißbuch vorrangig geht: Um eine milita- im Verteidigungsministerium, nicht festlegen. ristische PR-Offensive zur Rechtfertigung immer neuer, offensiver Auslandseinsätze. Und damit verbunden Wie willkommen der Bundeswehreinsatz manchen die Forderung nach einer deutlichen Aufrüstung der Städten und Gemeinden auch gewesen sein mag, wä- Bundeswehr. ren sie als zivile Stellen eigentlich besser geeignet und für die Betreuung der Gefl üchteten zuständig. Würden 130 Milliarden Euro, die das Verteidigungsministerium Militärisches durchdringt einen weiteren bis 2030 zusätzlich zur Aufrüstung erhalten soll, in die zivilen Raum: die Forschung. Stärkung der kommunalen Infrastruktur, in das Techni- sche Hilfswerk, den Katastrophenschutz oder den Auf- Deutsche öffentliche Hochschulen und außeruniver- bau eines staatlichen Gesundheitswesens fl ießen, dann sitäre Forschungseinrichtungen erhalten seit Jahren bräuchte die Bundeswehr nicht mehr einzuspringen, vom Bundesverteidigungsministerium, aber auch von um bei der Bewältigung von Krisen im Inland zu helfen. ausländischen Auftraggebern wie der US-Regierung, Aufträge für militärische Forschungsprojekte. Die Stattdessen nutzt neben von der Leyen auch der Spre- deutsche Rüstungsindustrie begrüßt dies ausdrücklich cher für Auswärtiges und Verteidigung der CSU-Lan- und fordert eine Aufstockung dieser Mittel.118 desgruppe im Bundestag, , das Flücht- lingsthema, um für eine größere Rolle der Bundeswehr Wie in anderen Bereichen schafft auch im Hochschul- zu werben. „Für Deutschland“, so Hahn, „hat mit der bereich die unzureichende staatliche Finanzierung Flüchtlingswelle ein neues geopsychologisches Zeit- der Aufgaben die innere Bereitschaft, mehr und mehr alter begonnen. Innere und äußere Sicherheit sind für Drittmittel anzunehmen. So werden die Marktorien- die Bürgerinnen und Bürger heute sichtbarer als sonst tierung des Wissenschaftsbetriebs und sein Umbau miteinander verbunden.“ zur „unternehmerischen Hochschule“ vorangetrie- ben. Wirtschaft, Politik und Forschung rücken näher Hahn erinnert daran, dass Bundespräsident Joachim zusammen und schaffen damit auch Platz für die Gauck sich noch mit Vorwürfen der Kriegshetze aus- Bundeswehr und die Rüstungsbranche im staatlichen einandersetzen musste, als er sich bei der Münchner Universitätsbetrieb. Gefordert wurde dies unter an- Sicherheitskonferenz für mehr internationale Kampf- derem auch vom Celler Trialog, der vom damaligen einsätze der Bundeswehr aussprach. Doch „kaum Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank Klaus-Peter zwei Jahre später“, so Hahn, „mischen sich Diskussi- Müller, und dem ehemaligen Kommandeur der 1. Pan- onen über notwendige außenpolitische Maßnahmen zerdivision in Hannover, Generalmajor Wolf Langheld, und deutsches Engagement zwischen Gespräche über organsiert wurde. Im Abschlussdokument des Celler Fußball und Rentenpolitik. Dieses Momentum müssen Trialogs von 2008 heißt es, die Beteiligten wollen „ak- wir nutzen […]. Wir [müssen] das Weißbuch als eine tiv darauf hinwirken, dass der sicherheitspolitische Möglichkeit nutzen, um die deutsche Gesellschaft auf Dialog auch in Forschung und Lehre, insbesondere an die Notwendigkeit einer aktiven Sicherheitspolitik und unseren Hochschulen, gestärkt wird, z.B. durch die ihrer Instrumente einzustellen.“ Hahn spricht aus, wo- Einrichtung von Stiftungsprofessuren und durch einen 75 dauerhaften, praxisorientierten und wissenschaft- Das Verteidigungsministerium erteilte im Zeitraum von lichen Austausch zwischen Wirtschaft und Bundes- 2010 bis 2014 mehr als 700 öffentliche Forschungs- wehr.“ Eine solche Stiftungsprofessur für Governance aufträge mit einem Volumen von über 390 Millionen und internationale Sicherheit fi nanzieren das Bundes- Euro. Das Auftragsvolumen hat sich innerhalb der ministerium für Verteidigung und das Auswärtige Amt zehn Jahre zuvor mehr als verdoppelt. Von diesen 700 seit dem Wintersemester 2014/2015 an der Universi- Aufträgen gingen 120 Aufträge im Wert von 28 Millio- tät Bonn. Benannt ist sie nach dem wegen Kriegsver- nen Euro an insgesamt 41 deutsche Hochschulen, um brechen verurteilten ehemaligen US-Außenminister u.a. Drohnen-Schwärme besser steuern zu können Henry Kissinger. oder intelligente Munition und Handfeuerwaffen zu entwickeln. Diese gemeinsame Forschungsarbeit oder Auftrags- forschung beschränkt sich nicht auf wehrtechnische 588 Aufträge in Höhe von über 360 Millionen Euro Forschung, sondern reicht bis zu wehrmedizinischen gingen an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Im besonders an die öffentlich-private Fraunhofer-Gesell- sozialwissenschaftlichen Bereich zum Beispiel wird schaft, die in vielen Forschungsbereichen eine enge die Bundeswehr direkt in den von der Universität wissenschaftliche und personelle Anbindung an die und dem Institut für Friedensforschung und Bundeswehr hat. Sicherheitspolitik (IFSH) betriebenen Master of Peace and Security Studies eingebunden: ein Offi zier der Inwiefern Wirtschaft, Bundeswehr und Forschung sich Bundeswehr ist an dem IFSH als Lehrkraft tätig. Ein langfristig verzahnen können, zeigt das Beispiel des weiteres Beispiel der sozialwissenschaftlichen Zu- Ludwig Bölkow Campus Ottobrunn (LBC). Der Frei- sammenarbeit der Bundeswehr mit einer staatlichen staat Bayern errichtete den LBC gemeinsam mit dem Hochschule ist der Masterstudiengang War and Peace Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Studies an der Universität Potsdam, der ab dem Win- und Konsortialpartnern unweit von München. Zu den tersemester 2016/2017 eng mit dem Zentrum für Mi- Konsortialpartnern zählen die Technische Universität litärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundes- München, die Hochschule für Angewandte Wissen- wehr kooperiert. Im Auftrag des Bundesministeriums schaften München, Airbus, Siemens und die IABG für Verteidigung werden an staatlichen Universitäten (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH), welche auch Politikempfehlungen erarbeitet. So erstellte das sich im „Geschäftsbereich Verteidigung & Sicherheit Institut für Sicherheitspolitik der Christian Albrecht […] seit seiner Gründung in besonderer Weise den Universität Kiel in der Studie „Counterinsurgency – Er- Streitkräften und ihren Beschaffungsvorhaben ver- fahrungen, Strategien und Aussichten unter beson- pfl ichtet“ fühlen. Ein weiterer Konsortialpartner ist derer Berücksichtigung des ressortübergreifenden der Think-Tank Bauhaus Luftfahrt, der 2005 von den Ansatzes“ eine zivil-militärische Aufstandsbewälti- drei Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS (heute gungsstrategie (Counterinsurgency) für den Einsatz in Airbus Group), Liebherr-Aerospace und MTU Aero En- Afghanistan, in der zur Zerschlagung von Widerstand gines sowie dem Bayerischen Wirtschaftsministerium u.a. die „Ausschaltung von bedeutenden Führern“ na- geschaffen wurde, um die Luftfahrtforschung voranzu- hegelegt wird. treiben. Den Vorstand stellt seit 2010 der ehemalige 76 Offi zier Prof. Dr. Mirko Hornung, der zugleich an der aus eine Militärinstallation zu fi nden. Diese Liegen- Technischen Universität München lehrt und seit 2003 schaften haben jeweils ökologische, ökonomische, Gastvorlesungen an der Universität der Bundeswehr kulturelle, politische und psychosoziale Auswirkungen München hält. Bei dem Rüstungsunternehmen EADS auf ihr Umfeld. Die zivilen Infrastrukturen verschie- Defence & Security war Hornung u.a. für die Konzep- denster Art überlappen sich mit der militärischen. Bei tion und Entwicklung militärischer Luftfahrtsysteme genauer Betrachtung fallen an Waldwegen oder auch verantwortlich. auf Autobahnen die rot-weißen bzw. auch orange- weißen Pfosten auf, die den Verlauf der 5.500 km Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich- langen Nato-Pipeline kennzeichnen, welche seit dem Technische Trendanalyse INT in Euskirchen bei Bonn Kalten Krieg die Treibstoffversorgung für NATO-Mit- ist eines der Institute, die im Auftrag des Bundesver- gliedstaaten garantieren soll. Mittlerweile werden über teidigungsministeriums neue Technologien, die sich dieses Central European Pipeline System, welches noch in der Erforschung und Entwicklung befi nden, nur eines von vielen Versorgungssystemen der NATO auf ihre mögliche Nutzung durch das Militär hin unter- darstellt, nicht nur die Militärfl ughäfen und Seehäfen suchen. versorgt, sondern auch die zivilen Flughäfen in Ams- terdam, Brüssel, Frankfurt am Main und Paris. Bleibt Die Bundeswehr ist an der technischen Weiterent- man auf den Autobahnen, kann man verschiedene wicklung bestehender Waffensysteme interessiert und zum Teil unscheinbare Antennen sehen, an denen zivi- verbessert bzw. lässt die Komponenten ihres Arsenals le wie auch militärische Richtfunkmodule angebracht laufend verbessern. So fl ossen bisher 80 Millionen sind, wie zum Beispiel an dem mit Stacheldrahtaufsatz Euro in die Entwicklung von Laserwaffen. Sowohl eingezäunten und mit Bewegungsmeldern ausgestat- Rheinmetall Defense als auch MBDA im bayerischen teten Turm RFB-2 unweit des brandenburgischen Or- Schrobenhausen haben inzwischen Prototypen für La- tes Biebersdorf auf dem Marienberg. Zum einen sind serkanonen entwickelt. Kosteneffi zient und hochprä- Richtfunkantennen der Bundespolizei, des Zolls und zise, so das Argument des Verteidigungsministeriums, der Bundeswehr angebracht, aber auch Antennen von sei die Waffe und von daher einer Prüfung wert. Mithil- D2-Vodafone, O2 und GSM-Sektorantennen sind an fe hochgebündelter Laser lassen sich auf größere Dis- dem gleichen Turm installiert. Ebenfalls sind Richtfunk- tanzen auch kleine, sich bewegende Objekte treffen. und Funkantennen des TETRAPOL, d.h. des digitalen Funknetzes der Behörden und Organisationen Sicher- heitsaufgaben (BOS) befestigt. Militarisierte Landschaft

Die Bundeswehr verfügt über etwa 264 Militärstandor- Umwelt- und gesundheitsschädliche te in der Bundesrepublik, wobei die tatsächliche Zahl Bundeswehraktivitäten an militärischen Einrichtungen weitaus höher liegt, da nicht alle militärische Einrichtungen als Militärstandor- Im Rahmen der Ausbildung nutzt die Bundeswehr te defi niert werden. Das heißt, innerhalb eines Radius Kriegsfl ugzeuge, Hubschrauber und Militärfahrzeuge von nur wenigen Kilometern ist von jeder Gemeinde mit einem sehr hohen CO2-Verbrauch. Allein eine Flug- 77 stunde des Jagdfl ugzeugs „Eurofi ghter“ produziert mit Schädigungen der Meeresumwelt werden durch den elf Tonnen Kohlendioxid so viel, wie in Deutschland von Marinehavarien bedingten Austritt von Öl und pro Kopf der Bevölkerung in einem Jahr ausgestoßen anderen chemischen Stoffen hervorgerufen. In der wird. Die Bundeswehr hat im Zuge ihrer Energieeffi zi- Zeit von 2009 bis 2014 kam es zu 27 solcher Unfälle enzkampagne den Strom- und Wärmeverbrauch ihrer in der Nord- und Ostsee. Während NATO-Übungen Liegenschaften reduziert. Andererseits erschwert sie erzeugen hocheffektive Aktivsonare (Low-Frequen- rund um viele ihrer 264 Standorte die Errichtung von cy-Sonare) zur Aufspürung von U-Booten einen Windenergieanlagen mit der Begründung, diese wür- Unterwasserlärm, der tödliche Auswirkungen auf den die Radaranlagen der militärischen Flugsicherung Meeressäugetiere wie Wale und Robben haben kann. und der Landesverteidigung stören. Zwischen 2009 und 2014 führte die Bundesmarine Neben der Luftverschmutzung verursachen besonders 277 Detonationen in der Ostsee durch. Detonationen die Tieffl ugübungen eine erhebliche Lärmbelästigung. schädigen das Hörorgan von Meeressäugern und Der ohrenbetäubende Lärm der Luftwaffe, aber auch verursachen durch die Schockwelle der Explosion Explosionen und Schießübungen versetzen Anwohner noch in mehreren hundert Metern Abstand fatale wie die Tierwelt in Stress. Lungenrisse sowie Blutungen im Ohr oder im Gehirn. Obwohl die Bundeswehr an der Entwicklung eines so Der Boden und darüber oft das Grundwasser unter genannten Blasenschleiers mitgewirkt hat, der Mee- militärischen Standorten und Truppenübungsplätzen ressäuger u.a. zum Schutz vor Detonationen oder sind zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Ebenso Bauarbeiten an Offshore-Parks vertreiben soll, setzte stellen die Tanklager der Bundeswehr ein beständi- die Bundesmarine ihn bisher nicht ein und die Bun- ges Risiko von Bodenverschmutzung dar. Auch die desregierung sieht auch nicht vor, dies verbindlich zu Nutzung von Schießgeräten und Raketen verschmutzt machen, obwohl nach Militärübungen immer wieder den Boden auf Truppenübungsgeländen immer wieder Wale und Delfi ne stranden. durch Chemikalien, vergessene Munition und Patro- nenhülsen. Diese umweltverschmutzenden Manöver- Betroffen sind die Ökosysteme der Nord- und Ostsee abfälle können gefährlich sein, wie ein Fall aus dem außerdem von den Altlasten der beiden Weltkriege. Es Jahr 2005 zeigt, als ein sechsjähriger Junge in unmit- wird davon ausgegangen, dass sich dort noch ca. 1,6 telbarer Nähe der niedersächsischen Stadt Elze einen Millionen Tonnen an Munition, Minen, Granaten und in Styropor umhüllten Simulator-Bodensprengsatz der Bomben befi nden, die während der zwei Weltkriege Bundeswehr aufl as und dabei drei Finger verlor. Die verlegt oder nach Ende des Krieges versenkt wurden. genutzten Übungsgranaten und -munition werden im- Diese Kriegsüberbleibsel stellen durch die voran- mer wieder aus Bundeswehrbeständen entwendet und schreitende Korrosion, die droht gefährliche Giftstoffe in zivilen Räumen wiedergefunden. freizusetzen, bis heute eine latente Gefahr dar. Oft wird diese gefährliche Altlast an die Strände der Nord- Abgesehen von Luft- und Bodenverschmutzung und Ostsee gespült. Allein im Jahr 2014 ereigneten setzen Bundeswehraktivitäten auch den Meeren sich vier Unfälle beim Auffi nden weißen Phosphors, zu. Der Einsatz von Kriegsschiffen verursacht viel der Bernstein ähneln kann. In allen vier Fällen wurde Abwasser und gefährdet die Meeresumwelt. Weitere er deshalb in die Jacken- oder Hosentasche gesteckt. 78 Doch sobald er trocknet und eine Temperatur von Fahrgäste sowie den Lokführer. Durch einen techni- 20°C erreicht, entzündet er sich und brennt bei einer schen Defekt an einer Antriebskette kam ein Panzer Temperaturentwicklung von 1300°C, wodurch le- im Februar 2015 in Paderborn ins Schlingern und bensgefährliche Verbrennungen entstehen können. In fuhr in einen privaten Vorgarten. einem Fall traf es ein achtjähriges Mädchen am Pläner See, das sich in Folge dessen einer Eigenhauttrans- plantation unterziehen musste. Im Jahr 2014 gingen 117 Fundmeldungen bei der Zentralen Meldestelle für Munition im Meer der Küstenbundesländer ein, die insgesamt 5.390 Kampfmittel oder kampfmittelver- dächtige Objekte meldeten.

Abgesehen von diesen systematischen ökologischen Schäden, gehen mit Militäraktivitäten auch immer Unfallrisiken einher, die umwelt- und gesundheits- schädigende Auswirkungen haben können. Die Übungsfl üge der Luftwaffe fi nden auf Grund der ho- hen Besiedlungsdichte Deutschlands zwangsläufi g auch über zivilen Wohngebieten statt. Da es regelmä- ßig zu Zwischenfällen kommt, stellen Militärübungen im Luftraum auch immer ein Risiko dar. So verlor im Juli 2015 ein Luftwaffen-Eurofi ghter bei einer Betan- kung in 3000 Metern Höhe einen Betankungskorb über dem Stadtgebiet Idar-Oberstein, welcher in ein Wohngebiet stürzte. Noch kritischer sind Abstürze, die sich in der Nähe des Militärstandorts Büchel er- eignen, wo bis zu 20 Atomwaffen des Typs B61 des US-Militärs mit einer 26-fachen Sprengkraft der Hi- roshima Bombe in Sondermunitionsbunkern gelagert sind. Zu Übungszwecken werden die Atomwaffen an die Oberfl äche geholt. Seit 1990 stürzten 16 Tor- nados im Umkreis von zehn Flugminuten von und über Büchel selbst ab. Auch mit Panzern kommt es immer wieder zu Unfällen, so wie in Stetten am kal- ten Markt, wo im August 2015 ein Radpanzer einen VW-Passat bei einer Probefahrt überrollte. Bei einem Unfall 2001 rammte ein Panzer einen Regionalex- press in Niedersachsen und verletzte dadurch 22 79 80 Kampf um die Köpfe

81 der Bundeswehr liegt bei 185.000. Der Freiwillige Wehrdienst ist nicht so attraktiv, wie es sich die Bun- deswehr wünscht. 2015 ist die Zahl um zehn Prozent gesunken. In jedem Quartal brachen darüber hinaus zwischen einem Viertel und einem Drittel der Freiwilli- gen ihren Dienst ab.

Im Weißbuch heißt es: „Es zeigt sich, dass die Bundes- wehr den Anforderungen nicht mehr mit einer starren personellen Obergrenze gerecht werden kann. Wenn Einsatzbereitschaft und Verantwortung ernst genom- men werden, muss die Bundeswehr in der Lage sein, Landes-und Bündnisverteidigung sowie Einsätze zum Kampf um internationalen Krisenmanagement personell schnell, die Köpfe robust und durchhaltefähig erfüllen zu können.“119

Obwohl sie nicht einmal die bisherige Sollstärke der Bundeswehr erreicht, spricht die Bundesregierung Öffentlichkeitsarbeit und Rekrutierungs- davon, dass es keine ‚starren personellen Obergren- kampagnen zen‘ mehr geben soll. Daraus ergibt sich ein enormer Druck, die Rekutierungsanstrengungen zu verstärken. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Auslandsein- sätze, hat die Bundesregierung am 15. Dezember 2010 beschlossen, die Wehrpfl icht auszusetzen. Das Von der Leyens Attraktivitäts-Agenda Gesetz ist am 1. Juli 2011 in Kraft getreten. An die Stelle des Grundwehrdienstes ist ein neuer Freiwilliger Im Juni 2014 verkündete Ursula von der Leyen eine Wehrdienst von bis zu 23 Monaten getreten – für jun- Attraktivitätsoffensive mit 29 Einzelmaßnahmen. ge Männer und Frauen. Erklärtes Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands zu machen. Die Aussetzung der Wehrpfl icht ist nur ein Nebenef- Begleitet wird das durch eine Mediale Kampagne fekt einer immer kriegsführungsfähigeren Bundeswehr. „Bundeswehr in Führung – Aktiv.Attraktiv.Anders.“ Die Bundeswehr wird, wie zuvor bereits ausführlicher dargestellt, qualitativ aufgerüstet und quantitativ ab- Im Februar 2015 wurde das so genannte „Attraktivi- gerüstet. tätssteigerungsgesetz“ beschlossen. Dabei geht es um Arbeitsbedingungen, Vergütung und soziale Absi- Die Bundeswehr hat momentan 176.015 Soldatinnen cherung von Soldatinnen und Soldaten. Einige Aspek- und Soldaten im aktiven Dienst. Das ist die geringste te, die eine Angleichung an allgemeine Standards bzw. Truppenstärke seit den 1960er Jahren. Die Sollstärke überfällige soziale Verbesserungen für Soldatinnen 82 Familienfreundliche Bundeswehr?

Familienfreundlichkeit ist ein Stich- des Ausbaus einer umfassenden Kin- nur bestehen, wenn ein Kind oder wort mit dem die Bundeswehr gerne derbetreuung nutzt nicht nur den Sol- ein pfl egebedürftiger Angehöriger tat- wirbt. Sie erwirbt Belegrechte bei Kin- datinnen und Soldaten, sondern auch sächlich zu Hause betreut wird – und dertagesstätten (Kitas) aus Bundesmit- allen anderen Berufstätigen, die auf dies auch nur nach einer Dienstzeit teln. Diese Belegrechte kauft sie von eine zuverlässige und fl exible Betreu- von wenigstens vier Jahren und auch Kommunen oder Kirchengemeinden ung ihrer Kinder angewiesen sind. nur, soweit dienstliche Gründe dem insbesondere dort, wo es zu wenig Ki- Die Bundesregierung will den nicht entgegenstehen. Mithin gelten taplätze gibt. Belegrechte führen da- Eindruck erwecken, die Bundes- sie auch nicht für Soldaten im Aus- zu, dass ein für alle benötigtes und wehr würde auch auf die Familien landseinsatz. Tatsächlich lehnt es das aus Steuergeldern bezahltes Gut nicht und den Einzelnen Rücksicht neh- Ministerium bis heute ab, alleinerzie- mehr gleichermaßen verfügbar ist. men. Dies gilt allerdings nur so lan- hende Väter und Mütter von Kindern DIE LINKE meint, dass die Bun- ge, wie die Vereinbarkeit von Fami- unter drei Jahren von diesen Einsät- desregierung, sich endlich dafür ein- lie und Dienst nicht im Widerspruch zen auszunehmen. setzen soll, dass die Kommunen mehr zur Verwendung im Ausland steht. Geld bekommen. Eine Unterstützung Teilzeitmöglichkeiten sollen dabei 83 und Soldaten betreffen, sind durchaus zu begrüßen. Gesamtposten Ebenfalls, dass die regelmäßige Arbeitszeit der Sol- für Nachwuchswerbung daten im Grundbetrieb auf wöchentlich 41 Stunden im Militärhaushalt reduziert wird, auch wenn das nicht für alle Bereiche der Bundeswehr gilt. Insgesamt drückt sich in diesem 35,3 Mio Gesetz indes die Einsatzorientierung aus. So gibt es Lockprämien und Zulagen für Sondereinsatzsoldaten 16 Mio wie Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) in Höhe von 900 Euro monatlich. 2011 2016 PR-Offensive Quelle: Drucksache: 18/8505

Im Jahr 2015 startete das Verteidigungsministerium die nächste Anwerbungskampagne unter dem Motto „Mach‘, was wirklich zählt“. Dieses Motto löste „Wir. Dienen.Deutschland“ ab, dessen Botschaft offenbar digungsministeriums, die offensiven und defensiven zu wenig Ausstrahlungskraft auf junge Menschen aus- Cyberfähigkeiten der Bundeswehr auszubauen, hakt übte. Im Vordergrund sollen laut Imagebroschüre nun nämlich bislang am Fachkräftemangel in der Truppe. die „Vielfalt der attraktiven berufl ichen Möglichkeiten Im Laufe des Jahres 2016 sollen zur Unterstützung der und Perspektiven in ihrem Aufgabenbereich“ stehen. „digitalen Truppe“ 700 zivile Stellen von IT-Administra- toren und 800 von IT-Soldaten besetzt werden. An rund 60 Kampagnentagen von März bis Mai 2016 warb die Die Kampagne wirbt mit Slogans wie „Krisenherde Bundeswehr mit drei Werbeslogans auf elf Großplaka- löschst du nicht mit Abwarten und Tee trinken“ oder ten im CeBIT-Umfeld, schaltete Anzeigen in 25 Print- „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein titeln und nutzte insgesamt 18.000 Plakatfl ächen. Für kannst.“ Sie appelliert damit an das Verantwortungs- Onlinewerbung war das Projekt Digitale Kräfte u.a. mit gefühl junger Menschen und gibt vor, tolerant zu sein. Videos zu unterschiedlichen Berufsbildern in dem 1,1 Milliarden schweren IT-Bereich der Streitkräfte sowohl Die Kosten der Werbekampagne, die die Bundeswehr auf Facebook als auch auf Youtube aktiv. mit Hilfe von „30.000 Plakaten, fünf Millionen Postkar- ten sowie Riesenpostern in elf ausgewählten Städten Die Kosten für die Werbemaßnahmen haben sich seit Deutschlands“ und einer Kampagnenwebsite als at- der Aussetzung der Wehrpfl icht mehr als verdoppelt. traktive und sinnstiftende Arbeitgeberin darstellen soll, Noch deutlicher sichtbar wird die Steigerung, wenn belaufen sich auf 10,6 Millionen Euro. man sich zum Vergleich die Ausgaben für Anzeigen aus dem Jahr 2008, d.h. in der heißen Phase des Im März 2016 startete darüber hinaus die Kampagne Afghanistankrieges, anschaut. Die Steigerung der Kos- „Projekt Digitale Kräfte“. Der Beschluss des Vertei- ten für Anzeigen betrug fast 530 Prozent. 84 Kosten für Anzeigen ihrer Aufgabe somit eine wichtige Brückenfunktion (Print, Online-Videos, Radio, TV, Außen- zwischen Bundeswehr und Gesellschaft.“120 werbung, Internet, Kino, Postkarten) Jugendoffi ziere sind keine Karriereberater, aber sie weisen den Weg zu ihnen. Karriereberater arbeiten in 2008 3,78 Mio den ca. 110 Karriereberatungsbüros der Bundeswehr. Auch sie haben Zugang zu Schulen. 2014 21,1 Mio Im Jahr 2015 haben Jugendoffi ziere 110.000 Schülerin- 2015 23,8 Mio nen und Schüler im Unterricht erreicht – und zudem 11.289 Lehrerinnen und Lehrer. Karriereberater haben, Quelle: Drucksache: 18/8505 ebenfalls im Unterricht bzw. bei Ausstellungen wie zum Beispiel Job-Tagen auf Schulgeländen, 342.000 Schülerinnen und Schüler erreicht und weitere 20.000 bei Truppenbesuchen.

Jugendoffi ziere und Karriereberater Betrachtet man Jugendoffi ziere und Karriereberater an Schulen zusammen, kommt man auf knapp unter eine halbe Million erreichter Jugendlicher, von denen die Mehr- Bereits seit 1958 Jahren betreiben Jugendoffi ziere der zahl (wg. Unterrichtspfl icht, Schulgelände) mehr oder Bundeswehr offi ziell Informations- und Öffentlichkeits- weniger keine Wahl hatte, ob sie in Kontakt mit der arbeit bezüglich des Auftrags und der Aufgaben der Bundeswehr treten wollte oder nicht. Bundeswehr. Jugendoffi ziere sind als Referenten für Sicherheitspolitik ein Bestandteil ihrer Informations- Die Bildungsgewerkschaft GEW, Friedensorganisatio- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie halten Vorträge, beteili- nen und DIE LINKE sprechen sich gegen das Auftreten gen sich an (Podiums-)Diskussionen, leiten Seminare der Bundeswehr an den Schulen aus. Sicherheitspoli- und führen das politische Rollenspiel Politik und Inter- tische Themen sollen von ausgebildeten Lehrkräften nationale Sicherheit (POL&IS) durch. Sie organisieren und nicht von Öffentlichkeitsarbeitern der Bundes- ferner Truppenbesuche und beteiligen sich an öffentli- wehr unterrichtet werden. Sie fordern außerdem zivile chen Großveranstaltungen. berufl iche Perspektiven für jungen Menschen.

In dem Jahresbericht der Jugendoffi ziere 2015 heißt es: „Der Wandel der Bundeswehr von einer Wehr- POL&IS pfl icht- zu einer Freiwilligenarmee und die Reduzie- rung des Umfangs der Streitkräfte unter Aufgabe Auch das politische Rollenspiel POL&IS (Politik und vieler Standorte haben dazu geführt, dass der Bezug Internationale Sicherheit) ist für das deutsche Militär der Gesellschaft zu ihren Streitkräften spürbar ge- ein Instrument , um mit Schülern und Studierenden in ringer geworden ist. Die Jugendoffi ziere erfüllen mit Kontakt zu treten und gemeinsam Sicherheitspolitik 85 zu diskutieren: „Als Minister eines Staates stehen die Kooperationsvereinbarungen zwischen den Kultus- Teilnehmer für die Sicherheit und den Wohlstand ihrer ministerien der Länder und der Bundeswehr, die den Bevölkerung ein und gehen innenpolitische und au- Jugendoffi zieren den Weg in die Schulen erleichtert. Mit ßenpolitische Probleme an: Krisen und Konfl ikte, In- Hilfe der Kooperationsvereinbarungen haben Jugend- ternationaler Terrorismus, Weltweite Organisierte Kri- offi ziere in den letzten Jahren auch ihr Engagement bei minalität, Piraterie, Schuldenkrise, Auswirkungen des der Fort- und Weiterbildung von jungen Referendarin- Klimawandels“. Die Ziele des Spiels – die Sicherheit nen und Referendaren, sowie Lehrerinnen und Lehrern und Wohlstandssicherung der Bevölkerung – werden erhöht. Während es zum Beispiel im Jahre 2003 gerade auch als Aufgaben der Bundeswehr verstanden und mal eine einzige Veranstaltung zur Ausbildung von verankern somit subtil den kontroversen vom BMVg Referendarinnen und Referendaren mit insgesamt 50 geführten „erweiterten Sicherheitsbegriff“, der auch Teilnehmenden gab, besuchten im Jahre 2015 2875 den Einsatz von militärischen Mitteln vorsehen kann. Referendarinnen und Referendare Veranstaltungen der Bundeswehr.122 Der Friedensaktivist Markus Pfl üger, hatte die Gele- genheit, an dem Simulationsspiel teilzunehmen. Er Die Kooperationsübereinkommen sowie das Engage- fasst zusammen: „Das Spiel ist hochkomplex und ment der Jugendoffi ziere in den Schulen insgesamt in seiner Weltsicht trotzdem verkürzt. Polis ist nicht verstößt nach Auffassung der LINKEN gegen den grundsätzlich anders als andere Strategiespiele, der Beutelsbacher Konsens zur Richtlinienbestimmung Werbeeffekt für die Notwendigkeit von Waffen läuft der politischen Bildung. Er bestimmte bekanntlich drei eher subtil und indirekt. Für Schüler schwer zu durch- Prinzipien: 1.) Überwältigungsverbot; 2.) Was in Wis- schauen. […] Tatsächliche politische Machtverhält- senschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Un- nisse und Lobbygruppen – beispielsweise Korruption terricht kontrovers erscheinen; 3.) Der Schüler muss oder von Konzernen und Eigeninteressen gesteuerte in die Lage versetzt werden, eine politische Situation Politik – werden in Polis weder thematisiert noch in und seine eigene Interessenlage zu analysieren.123 Frage gestellt. Der Einfl uss der Konzerne auf Politik, Waffenhandel, Landnahme oder Meinungsbildung wird Der konservative Politikdidaktiker Dr. Siegfried Schie- einfach ausgeblendet. Die Funktion des Militärs wird le, über 28 Jahre lang Leiter der Landeszentrale für so nebenbei als selbstverständlich dargestellt – der politische Bildung Baden-Württemberg und 1976 militärische Einsatz für wirtschaftliche Interessen da- Mitinitiator des Beutelsbacher Konsens, kritisiert die mit normalisiert. Eine geschickte Militarisierung des Kooperationsabkommen zwischen Bundeswehr und Zivilen.“121 Schulministerien sowie den Einsätzen der Jugend- offi ziere an Schulen: „Das ist prinzipiell kritisch zu betrachten. Es muss sichergestellt sein, dass die Kooperation der Bundeswehr mit den Ländern politische Bildung nach den Grundsätzen des Beu- telsbacher Konsenses vermittelt wird. Dies scheint Es gibt in acht Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, bei solchen Abkommen nur eingeschränkt der Fall zu Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg- sein. Es ist ungewiss, ob die Bundeswehr auch ande- Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen) re Sichtweisen als die der Bundesregierung und des 86 Verteidigungsministeriums – also beispielsweise die hinaus im Jahr 2012 Schutzengel für die Soldaten in der Friedensbewegung – wiedergibt. Ich halte solche Afghanistan. Nicht nur die Bundeswehr, auch die Bun- Abkommen für fragwürdig.“124 desregierung begrüßte, dass die Kinder durch dieses von der zuständigen Lehrkraft initiierte Projekt „auch Versuche, Übereinkommen zu modifi zieren und bei eine positive Beziehung zu den Soldaten und Solda- jedem militärischen Auftreten in Schulen einen bun- tinnen der Bundeswehr entwickeln“. Die Luftwaffe bot deswehrkritischen Gegenpol bereitzustellen, lösen das an, die Schutzengel nach Afghanistan zu transportie- Problem der ungleichen Ausgangsbedingungen nicht. ren und lud die Kinder samt ihren Eltern dazu ein, an So ist die Friedensbewegung nicht mit den vergleich- einer der öffentlichen Veranstaltungen in dem nahege- baren fi nanziellen und personellen Ressourcen ausge- legenen Luftwaffenstützpunkt teilzunehmen. stattet, wie die Bundeswehr. Während Jugendoffi ziere für ihre Arbeit bezahlt werden, arbeiten Aktivisten in An etwas ältere, jedoch immer noch überwiegend der Friedensbewegung in der Regel ehrenamtlich und minderjährige Schülerinnen und Schüler richten sich genießen keine professionelle rhetorische Ausbildung. zudem verschiedene Freizeitangebote, die von Sport- ereignissen hin zu Adventure-Camps, Wettbewerben für Musikgruppen und seit 2015 auch zu LAN/IT- Kinder im Visier Camps reichen. Hierbei zeigt sich die Bundeswehr großzügig, übernimmt Fahrtkosten und Verpfl egung 2015 haben Soldatinnen und Soldaten tausende Kita- und bietet den Jugendlichen somit kostenlos einen kinder besucht oder an ihren Bundeswehrstandorten All-Inclusive-Kurzurlaub an. Dabei präsentiert sie sich empfangen. Dutzende Standorte hielten enge Kon- nicht nur den Teilnehmenden als „coole“ Truppe mit takte zu Kitas und pfl egen Patenschaften. Soldaten hervorragenden Freizeitangeboten, sondern erreicht zeigen den Kita-Kinder ihre Kasernen, gehen mit ihnen über die zielgruppenspezifi sche Werbung für diese auf Schatzsuche, fahren mit ihnen Schlauchboot oder Events in Medien wie der Jugendzeitschrift „Bravo“ backen in der Kita Waffeln. ein großes Publikum.

DIE LINKE fordert einen sofortigen Stopp aller Bun- Seit 2010 hat die Bundeswehr Spenden im Wert von deswehraktionen in Kitas, Schulen und Jugendhilfeein- über 150.000 Euro an über 85 Einrichtungen über- richtungen. reicht. Das Verteidigungsministerium betont, dass es keine Aktivitäten im Rahmen der Attraktivität- soffensive an Kitas gebe. Die Standorte würden die Messen und Großveranstaltungen Maßnahmen autonom organisieren. Es sei Ausdruck der Tatsache, dass die Standorte fest in der Gemeinde Bei Besuchen an Schulen ist die Bundeswehr auf die verwurzelt seien. Kooperation der Schulleitungen angewiesen und oft regt sich unter den Schülern, Eltern oder im Lehrkör- In einer nordrhein-westfälischen Stadt bastelten und per Protest gegen diese Zusammenarbeit. Deutlich malten Erstklässlerinnen und Erstklässler darüber leichter hat es die Bundeswehr demgegenüber auf 87 Rekrutierung Minderjähriger

Erst 2014 kritisierte der UN-Fach- scher Staatsangehörigkeit, die im Jahr etwa 7,2 ProzentProzent zu Beginn ih- ausschuss für die Rechte des Kindes darauf volljährig werden, sollten sie rer Dienstzeit minderjährig. Für 484 die Bundesregierung für die Werbe- dagegen keinen Einwand erheben. dieser jungen Rekruten schien das maßnahmen der Bundeswehr, die an Laut Angaben des Bundestags hat Militär allerdings doch kein attrakti- Schulen und im Sport gezielt Minder- sich die Zahl der minderjährigen Bun- ves Arbeitsumfeld zu sein. Sie been- jährige und Jugendliche adressiert. deswehrsoldaten seit dem Jahr 2011 deten ihren Militärdienst noch wäh- Zudem erhält die Bundeswehr jähr- mehr als verdoppelt. 2015 waren mit rend oder kurz nach der Probezeit. lich die Daten Jugendlicher mit deut- 1.515 der insgesamt 21.092 Rekruten 88 Karriere- und Ausbildungsmessen, auf denen sie mitt- An rund 170 von bundesweit etwa 750 Jobcentern, lerweile fast immer präsent ist. 2014 hat sie auch an Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren sieben Fach- und Verbrauchermessen sowie am „Tag wurden den Karriereberatern der Bundeswehr Büros der offenen Tür der Bundesregierung“ teilgenommen, zugewiesen, in denen sie nach Vereinbarung oder zu wofür allein 429.000 Euro aus dem Budget für Öffent- regelmäßigen Sprechzeiten (zwischen alle zwei Jahre lichkeits- und Informationsarbeit verausgabt wurden. und täglich) Interessenten werben können. Das Ziel hierbei ist, wie es die Bundesregierung formuliert, „die Insgesamt hat das eigens hierfür eingerichtete Zen- Steigerung der Kundenfreundlichkeit und der Attrak- trale Messe- und Eventmarketing der Streitkräfte im tivität des Arbeitgebers Bundeswehr im Sinne kurzer selben Jahr die Beteiligung an 71 Veranstaltungen für Anfahrtswege für die Interessentinnen und Interessen- rund 1,7 Mio. Euro organisiert. Die Karrierecenter der ten sowie die deutschlandweite Präsenz der Bundes- Bundeswehr haben im selben Zeitraum für 1,8 Mio. wehr“. Euro bei 1.700 Messen Präsenz gezeigt. 2015 nahm die Bundeswehr an 2000 Messen, Ausstellungen und ähnlichen Veranstaltungen teil. Kosten: 3,6 Millionen Militarisierung des Alltags Euro.125 Die zunehmende militärische Aktivität der Bundes- regierung bleibt nicht folgenlos für die Gesellschaft. Bundeswehr im Jobcenter Der wachsende Einsatz und die steigenden Kosten der Bundeswehr erfordern die Herstellung einer Anfang 2010 schlossen die Bundesagentur für Arbeit gleichsam erhöhten Kriegsbereitschaft innerhalb der und die Bundeswehr ein erstes Kooperationsabkom- Gesellschaft, um die militärische Entwicklung auch men mit dem explizit formulierten Ziel, „den Streit- wissenschaftlich, politisch und strukturell zu tragen. kräften zeit- und bedarfsgerecht geeignetes Personal Die Bundeswehr nimmt zunehmend mehr Raum in der zuzuführen“. In der Folge wuchs die Zahl der Veran- Öffentlichkeit ein und strebt bewusst eine stärkere staltungen der Bundeswehr in Jobcentern, Berufsin- Einbindung in die Gesellschaft an. Teil der Rekrutie- formationszentren und Arbeitsagenturen deutlich an. rungsstrategie ist die Selbstdarstellung als attraktive 2014 etwa wurden bei 1.000 solchen Vorträgen durch Arbeitgeberin, die Familienfreundlichkeit, Studiums- Karriereberater 20.000 Menschen über Berufspers- und Ausbildungsförderung sowie das Versprechen pektiven bei der Bundeswehr informiert. Außerdem einer frühen Rente. Die Darstellung möglicher Risiken wurde auf Führungsebene ein „Runder Tisch“ etab- von Kampfeinsätzen wird erfolgreich ausblendet. liert, in dessen Rahmen sich die Abteilung Personal und die Bundesagentur über Verlauf und Ergebnisse der Zusammenarbeit regelmäßig austauschen. Auf Sport lokaler und regionaler Ebene wurden weitere Koope- rationsvereinbarungen mit einzelnen Arbeitsagenturen Aufgrund einer mangelnden zivilen Förderstruktur des geschlossen und „regional wirkende Netzwerke“ eta- Spitzensports durch das Innenministerium ist es kaum bliert. möglich, sich außerhalb des Sponsorings durch die 89 Tag der Bundeswehr

Im Jahr 2015 führte das Verteidi- te, warum sie diese Einladung nicht baden-württembergischen Stetten gungsministerium den „Tag der Bun- annimmt. Der Tag der Bundeswehr am kalten Markt wurden Kindern deswehr“ in Deutschland ein. Dessen sei nicht eine „bunte Mischung aus nicht geladene Waffen ausgehändigt. Zweck besteht darin, jährlich einen Zuschauen und Zuhören, aus Anfas- Auf die Anfrage der LINKEN, ob sie Anlass zu bieten, um die Bundeswehr sen und Mitmachen – und natürlich zukünftig Kinder an Waffen lassen als attraktive Arbeitgeberin darzu- aus Diskutieren,“ wie von der Leyen wird, antwortete die Bundesregie- stellen, die zivil-militärische Zusam- schreibt. Er sei ein militaristisches rung: „Auch zukünftig wird die Bun- menarbeit hervorzuheben und ihren Spektakel, das die in der Bevölkerung deswehr bei geeigneten öffentlichen sicherheitspolitischen Diskurs der zu Recht verwurzelten Hemmschwel- Veranstaltungen allen Besucherinnen Bundeswehr in die Gesellschaft zu len gegenüber dem Dienst an und mit und Besuchern ohne Altersbeschrän- tragen. der Waffe abbauen soll. Es sei eine kung den beaufsichtigten Zugang zu Die Bundestagsabgeordneten wa- Werbeshow, um junge Menschen für Schiffen, Flugzeugen, Panzern und ren beim Tag der Bundeswehr 2016 künftige Kriegseinsätze im Ausland sonstigen nicht handelsüblichen als Ehrengäste eingeladen. Die Frak- zu gewinnen. Fahrzeugen der Bundeswehr ermög- tion DIE LINKE hat einen Offenen Tatsächlich kam es am Tag der lichen.“ 127 Brief126 geschrieben, in dem sie erklär- Bundeswehr zu einem Skandal. Im 90 Polizei, Zoll oder Bundeswehr als Spitzensportler zu Bundeswehr ein attraktives Gesicht. Sie tragen das fi nanzieren. Der 13. Sportbericht der Bundesregierung Bild einer demokratischen, sympathischen und der unterstreicht deshalb: „Einen wesentlichen Beitrag zur Verständigung verpfl ichteten Bundeswehr in alle Welt.“ Weiterentwicklung des Spitzensports leistet der Bund Sie seien vorbildliche Sympathieträger mit „gesundem durch die Förderung des Sports in seinem eigenen Patriotismus“, die Erfolge durch militärische Tugenden Dienstbereich, insbesondere bei Bundeswehr, Bun- wie „Leistung, Disziplin und Organisationsfähigkeit“ despolizei und Zoll“. Gegenüber der Bundeswehr mit erzielen. 744 Spitzensportlern nehmen sich jedoch die Beiträge der Bundeszollverwaltung (60) und der Bundespolizei Seit dem Jahr 2010 steigt die Präsenz der Bundeswehr (161) eher bescheiden aus. Jährlich zahlt das BMVg im Amateur- und Profi sport. In Stadien ist Werbung zu rund 30 Millionen Euro für die Personalkosten und das sehen, Rekrutierungstrucks bzw. Infomobile sind auf Training der Sportsoldaten in 15 so genannten Sport- Sportevents vertreten und kleine, fi nanzschwache Ver- fördergruppen. Dieses Fördersystem wurde mit einem eine haben mittlerweile die Bundeswehr als Koopera- Bundestagsbeschluss vom 8. Mai 1968 ins Leben ge- tionspartner. Im Jahr 2010 investierte die Bundeswehr rufen und schließt seit 1992 auch die Förderung von rund 19.000 Euro in die Sportkooperationen, 2014 lag Frauen ein. der Betrag schon bei 500.000 Euro. Partnerschaften pfl egte die Bundeswehr mit bekannten größeren und Sportsoldaten müssen nur eine auf acht Wochen ver- kleinen Vereinen, u.a. als Premiumpartner, Supplier kürzte Grundausbildung leisten und verbringen dann oder Sponsor. Gefördert wurden Fußball, Handball, 30Prozent ihres mindestens zweijährigen Wehrdiens- Volleyball, Kanu-Rennfahren, Boxen, Leichtathletik, tes mit militärischen Diensten, wie z.B. Schießübun- Eishockey, Ringen und Schwimmen. gen, die restlichen 70 Prozent können sie in ihr Trai- ning investieren. Sie sollen als „sportliche Botschafter Abgesehen von der Kooperationsarbeit mit Vereinen, der Bundeswehr“ wirken und beitragen, dass „die veranstaltet die Bundeswehr jährlich mehrere Jugend- Bundesrepublik Deutschland eine führende Stellung sportevents, bei denen Minderjährige im Alter von 16 im Weltsport beibehalten kann“. bis 17 Jahren die Bundeswehr „spielerisch“ kennen- lernen können. Im Jahr 2014 wurden 490.000 Euro Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) selbst der Nachwuchswerbung im Rahmen des für Jugendli- erkennt die Bundeswehr als wichtigen Akteur im „na- che ausgerichteten Sportevents „Bw-Olympix“ in der tionalen Spitzensportkonzept“ an. Abgesehen von der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf verausgabt, Repräsentation nach außen sind erfolgreiche Bundes- an dem etwa 800 Minderjährige drei Tage lang Beach- wehrsoldaten in den Olympischen Spielen auch wich- volleyball, Minisoccer, Streetball und Beachhandball tig zur Förderung der Akzeptanz der Bundeswehr nach spielen konnten. innen. Die Sportsoldaten müssen bei öffentlichen Anlässen das Eiserne Kreuz als Bundeswehremblem Doch die Bundeswehr ist auch auf großen Sporter- auf ihren Trikots tragen und somit gäben, wie der vor- eignissen ziviler Natur präsent. Vergangenes Jahr war malige Präsident des DOSB Thomas Bach es formu- sie mit Infotrucks, Flyern, Bandwerbung, Infoständen lierte, „die Erfolge der Soldatinnen und Soldaten der oder auch durch Trikotwerbung auf mehr als 73 Veran- 91 staltungen wie dem Mühlhäuser Röblinglauf e.V. oder Gründe für die Rekrutierungsprobleme der auch dem Kite-Windsurfcup 2014 vertreten und er- Bundeswehr reichte alleine beim Motorrad Grand Prix Deutschland mit Bandenwerbung etwa 211.600 Menschen.  Ablehnung von Krieg Die Gründe für die Rekrutierungsprobleme der Bun- deswehr sind vielfältig. Rolle von öffentlichen Verabschiedungen, Gelöbnisse etc. Der zentrale Grund ist die weiterhin in der Bevölke- rung verankerte Ablehnung von Kriegen. Auf dem Mit öffentlichen Gelöbnissen und der Verabschiedung Höhepunkt der Debatte um „Deutschlands Verantwor- von Rekruten, die in den Auslandseinsatz gehen, ver- tung in der Welt“ im Zusammenhang mit der Münch- sucht die Bundeswehr, Familien einzubinden. Zugleich ner Sicherheitskonferenz 2014 befragte Infratest Di- geht es darum, die Bundeswehr in das Licht der Öf- map im Rahmen des Deutschlandtrends Bürgerinnen fentlichkeit zu rücken und antimilitaristischen Refl e- und Bürger danach, mit welchen Mittel Deutschland xen durch regelmäßige militaristische Darbietungen auf die Krisen in der Welt reagieren solle. Nur 22 Pro- entgegenzuwirken. Ehemals in die Kaserne gedrängte zent sprachen sich für militärisches Eingreifen aus. Rituale wie Gelöbnisse oder Zapfenstreiche werden Weitgehend einig sind sich die Deutschen, dass ein mittlerweile feierlich in der Öffentlichkeit abgehalten, stärkeres Engagement vor allem aus humanitärer Hilfe neue Ehrenmäler und Denkmäler eingeweiht, Ver- (85 Prozent) und Diplomatie/Verhandlungen (84 Pro- dienstorden für die Soldaten im Kampfeinsatz einge- zent) bestehen soll. führt. Ziel ist ein Gewöhnungseffekt für das Militäri- sche im Alltag und ein Rückhalt für die Bundeswehr an Ein Drittel der Befragten schließt in einer repräsenta- der „Heimatfront“. tiven Studie des Meinungsforschungsinstitutes Ipsos

Mit welchen Mitteln sollte sich Deutschland in internationalen Krisen in der Welt engagieren? humanitärer Hilfe vor Ort 85 Prozent Zustimmung

Diplomatie und Verhandlungen 84 Prozent

fi nanzielle Unterstützung 33 Prozent militärisches Eingreifen 22 Prozent

Quelle: Deutschlandtrend im Febraur 2014 / http://www.infratest-dimap.de/fi leadmin/_migrated/content_uploads/dt1402_bericht.pdf, Seite 14

92 aus folgenden Gründen eine Laufbahn bei der Bundes- 2016 undercover als Freiwilliger zur Bundeswehr. Er wehr kategorisch aus: „sinnlose Auslandseinsätze“, berichtete von sinnentleerten Diensten und überbe- „möglicher Tod“, „zu anstrengend“, „Krieg und Gewalt legten Stuben sowie von rohen Vorgesetzten, etwa bringen nichts“, „Soldaten haben keinen Rückhalt“, einem Feldwebel, der die Afghanen rassistisch als „Muss unter Umständen auf andere Menschen schie- „Terroristen“ und – Zitat – „völlig bekiffte Ziegenfi cker“ ßen“. beschimpfte.128 Auch das ist ein Ergebnis des Afghanistan-Einsatzes  Der Mensch steht nicht im Mittelpunkt! der Bundeswehr. Während dieser vor allen Dingen Bundeswehr kein attraktiver Arbeitgeber eine korrupte Regierung und unzählige Tote hinterlas- „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ – mit diesem Cre- sen hat, bringt er nach Deutschland Soldatinnen und do hat Ursula von der Leyen 2013 ihr Amt als Verteidi- Soldaten zurück, die zum Teil durch Gewalterfahrun- gungsministerin angetreten. Aber diese Parole führt in gen gebrochen wurden, die demoralisiert oder zynisch die Irre. Nicht der Mensch, sondern der Einsatz steht geworden sind. im Mittelpunkt allen Bemühens der Bundeswehr. Das wirkt sich auf unterschiedliche Bereich aus.  PTBS Die steigende Zahl von Auslandseinsätzen führt zu ei- Die zunehmenden Auslandseinsätze haben dazu nem Anstieg der Posttraumatischen Belastungsstörun- geführt, dass der Arbeitsdruck in der Truppe enorm gen (PTBS) und anderer gesundheitlicher Einschrän- gestiegen ist. Diese Situation hat sich verschärft, weil kungen. Wenn Soldatinnen und Soldaten traumatisiert Verteidigungsministerin von der Leyen die Europäi- aus dem Einsatz kommen, erfahren sie nicht automa- sche Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt hat, nach der die tisch die optimale Behandlung. Das Verteidigungsmi- maximale Arbeitszeit auf 41 Stunden die Woche fest- nisterium vertritt den Standpunkt, dass eine Schädi- legt ist. gung erst in einem zähen Verfahren zur Anerkennung von Wehrdienstbeschädigungen festgestellt werden Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten führt regel- soll. Für Soldaten mit PTBS ist das entwürdigend. Der mäßig die tagtäglichen Probleme der Soldatinnen und Wehrbeauftrage forderte in dem Bericht für 2014 Soldaten auf. Im Jahresbericht 2015 ist die Zahl der „Wem der Dienstherr – also die Bundeswehr – vor ei- Eingaben von Soldatinnen und Soldaten unvermin- nem Auslandseinsatz die Auslandsverwendungsfähig- dert auf hohem Niveau. Kein Bereich ist derart häufi g keit bescheinigt hat, der ist im Beschädigtenverfahren Gegenstand von Beschwerden, wie der Bereich „Men- versorgungsrechtlich so zu behandeln, als sei er ge- schenführung und soldatische Ordnung“. sund in den Einsatz gegangen.“ Der Bericht gibt selbst einige Beispiele dafür, wie Untergebene in vulgärer Form von ihren Dienstvorge- Erst 2010 wurde die Ansprechstelle für Hinterbliebene setzten beschimpft werden oder ihnen mit Gewalt bis (AfH) gegründet und 2015 wurde die Versorgung von hin zur Exekution gedroht wurde. Es ist gut, dass der im Krieg Geschädigten, für die zuvor etwa 30 Behör- Bericht so etwas offenlegt. Aber zur Wahrheit gehört den und Ämter zuständig waren, in der neuen Zentrale auch: Solche Rohheiten sind keine Einzelfälle in der für die Versehrten- und Hinterbliebenenversorgung Bundeswehr. Ein Reporter des Stern ging im Frühjahr in Düsseldorf gebündelt. Diese betreute im Jahr 2015 93 bereits 26.000 Wehrdienstbeschädigte, die seit der Um die Einsatzfähigkeit der Truppe zu stärken und um Gründung der Bundeswehr zu Schaden kamen und PTBS vorzubeugen, werden auch die zivilen Gesund- überprüfte mehr als 10.000 Antragsstellungen. Allein heitsstrukturen in Deutschland eingebunden. Doch im Jahr 2015 wurden 235 Fällen mit posttraumati- statt Menschen nicht mehr traumatischen Bedingun- scher Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert, wobei gen wie Kampfhandlungen oder dem Druck zur Tötung die Dunkelziffer sehr viel höher liegt. auszusetzen, zielt die Bundeswehr auf die Stärkung der psychischen Belastbarkeit. Die Bundespsycho- Die Erfahrung der britischen Soldaten aus dem Falk- therapeutenkammer(BPtK) organisiert Fortbildungen landkrieg zeigt, dass diese Probleme oft erst im Laufe mit der Bundeswehr. Die Ärzteorganisation IPPNW der Zeit sichtbar werden. Während unmittelbar nach kritisierten diese Kooperation in einem offenen Brief dem Kampfgeschehen 1982 kaum psychische Reak- scharf: „Es ist eine äußerst problematische Botschaft, tionen auf den Krieg beobachtet wurden, stellt sich wenn mit der Institution, die ursächlich mit der Entste- das Bild 30 Jahre nach dem Falklandkrieg wesentlich hung der Posttraumatischen Belastungsstörung ver- vielschichtiger dar: „Es wird deutlich, dass aktuell von bunden ist, ein Vertrag über die zu erwartenden not- einer PTBS-Rate von neun Prozent auszugehen ist.“ So wendigen Heilmaßnahmen abgeschlossen wird. Damit ist es einem Bericht des Verteidigungsausschusses werden diese seelischen Verletzungen als Folgen des House of Commons zu entnehmen. Obwohl die eines legitimen staatlichen Handelns akzeptiert.“130 exakten Zahlen traumatisierter Falkland-Veteranen nicht bekannt sind, ist die Annahme realistisch, dass Im September 2013 unterzeichnete die Kammer eine von den etwa 30.000 im Falklandkrieg eingesetzten Vereinbarung mit dem Verteidigungsministerium, die Soldaten bis zu 2.700 an PTBS leiden. Auffällig ist die Behandlungen von Bundeswehrangehörigen in auch, dass sich bisher über 300 Falklandveteranen Privatpraxen ermöglicht. Daraus entsprang eine be- das Leben genommen haben – eine Zahl, die die 255 vorzugte Behandlung von Soldaten, die „den allgemei- damals gefallenen britischen Soldaten deutlich über- nen heilberufl ichen – auch von der Politik anerkannten trifft.“129 – Prinzipien gleichen Zugangs zu bedarfsgerechter ge- sundheitlicher Versorgung für alle, die ihrer bedürfen“, Diese Belastungsstörung, die u.a. durch selbst aus- widerspricht. In einem Brief von Psychotherapeuten, geübte oder erfahrene – zum Teil tödliche – Gewalt, an die Bundespsychotherapeutenkammer heißt es: gesehenes Leid und menschliche Verluste ausgelöst „Wir fordern gleichen Zugang für alle psychotraumati- werden kann, hat oftmals Panikattacken, Schlafstö- sierten Menschen zu Hilfsangeboten. Und wir fordern rungen, Schreckhaftigkeit, Depressionen und Ag- die einzig wirksame Prophylaxe für PTBS bei Soldaten: gressionen zur Folge. Die Betroffenen haben große Zivile Konfl iktbearbeitung statt militärischer Interven- Schwierigkeiten, in das zivile Alltagsleben zurückzufi n- tion“. den. Durch die Posttraumatische Belastungsstörung tragen die Bundeswehrangehörigen die psychischen Nachwehen der Kriegsgewalt in ihre Familien und Partnerschaften weiter.

94 Aktiv gegen den Krieg

95 Nach 1945 war „Von deutschem Boden darf nie wie- der Krieg ausgehen“ fester Grundsatz in West und Ost. Er widerspiegelte sich im Grundgesetz, das 1949 noch keine Armee vorsah. Erst 1956 wurde das Grundge- setz so geändert, dass die Bundeswehr aufgestellt und die Wehrpfl icht eingeführt wurde.

Es war nur konsequent, dass sich gegen die Remilita- risierung ein breiter außerparlamentarischer Protest erhob, der neben den Gewerkschaften und Frauen- gruppen damals auch Parteien wie die KPD und SPD umfasste.

Aktiv gegen Der Widerstand gegen einen neuen Militarismus den Krieg setzte sich bereits Ende der 1950er Jahre fort in der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer, der Kampag- ne „Kampf dem Atomtod“, der Ostermarschbewegung gegen Atomwaffen, in den Kämpfen gegen den Viet- Es gibt eine reiche Tradition des antimilitaristischen namkrieg der USA. Widerstandes. Innerhalb der Arbeiterbewegung vor 1914 gab es einen breiten Konsens gegen den Krieg. In den 1980er Jahren demonstrierten Hunderttausen- Nach der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten de gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluss 1914 arbeiteten Sozialistinnen und Sozialisten wie Karl von 1979. Dieser sah eine Aufrüstung mit zusätzlichen Liebknecht und Rosa Luxemburg unter erschwerten atomar bestückten Mittelstreckenraketen in West- Bedingungen. deutschland bei einem gleichzeitigen Angebot von Abrüstungsgesprächen vor. Eine Mehrheit der Bevölke- Die Grausamkeit des Krieges befeuerte die wohl er- rung erkannte, dass sie damit im Spiel der Mächte als folgreichste antimilitaristische Massenbewegung. Es Ziel eines atomaren Erstschlages einkalkuliert wurde. war eine Welle von Arbeiter-und Soldatenaufständen Höhepunkt war eine Demonstration am 10. Oktober in Europa 1917/18, die schließlich ein vorzeitiges 1981 im Bonner Hofgarten mit 300.000 Teilnehmern. Ende des Weltkriegs erzwang. In den 1980er Jahren erklärten sich Städte und Ge- Der deutsche Faschismus machte offenen antimilita- meinden für „atomwaffenfrei“. In der DDR entstand ristischen Widerstand in Deutschland unmöglich. In die Losung „Schwerter zu Pfl ugscharen“. Generale, den meisten von Nazi-Deutschland besetzten Län- Offi ziere und Soldaten der Bundeswehr engagierten dern formierte sich jedoch im Laufe des Kriegs ein sich, wie zum Beispiel im „Darmstädter Signal“, für Widerstand des Partisanenkriegs und des verdeckten Abrüstung und für demokratische Rechte von Ange- Kampfes. hörigen der Bundeswehr. Friedensforscher, Politik- 96 wissenschaftler und oft auch Militärs in beiden deut- Damit gewannen zugleich die Mobilisierungen gegen schen Staaten erkannten, dass ein mit Atomwaffen den Krieg an Fahrt. geführter Krieg nicht mehr führbar und nicht gewinn- bar ist. Clausewitz‘ Satz vom Krieg als „Fortsetzung Dies zeigt zum einen, dass in Deutschland Kriege wei- der Politik mit anderen Mitteln“ hatte seinen Sinn terhin so unpopulär sind, dass sich damit Wahlen ge- verloren. Es gab keine Politik, die mit solchen Mitteln winnen lassen. Zum anderen macht es deutlich, dass realisierbar war. Es konnte nur noch eine gleiche, ge- die Frage, wie sich SPD und Grüne zu den Kriegen meinsame Sicherheit der Staaten geben. stellen, Einfl uss darauf hat, inwiefern deren Basis und politisches Umfeld mobilisiert werden können. Auch nach 1989 blieb die Friedensbewegung mit den Protesten gegen den Jugoslawienkrieg, gegen den Die Politik von Rot-Grün war allerdings widersprüch- US-Überfall auf den Irak, gegen den Afghanistankrieg, lich: Die Bundesregierung schloss nicht den Luftraum. gegen die NATO-Politik und gegen die Stationierung So wurde die Bundesrepublik zur Drehscheibe für die von US-Atomwaffen in Deutschland ein wichtiger poli- US-Luftwaffe auf dem Weg nach Bagdad. Auch wurde tischer Faktor. Deutschland zum wichtigen Lazarettstandort und für andere relevante Aktivitäten im Rückraum des Krieges. Eine massenhafte Mobilisierungsfähigkeit erreichte Zugleich beteiligte sich die Bundeswehr verstärkt am die Friedensbewegung gegen den Golfkrieg 1991, und Afghanistankrieg, was US-Kräfte für die Irak-Mission vor allem im Vorfeld des Golfkrieges 2003. Diese freimachte. Bewegung war Teil einer beeindruckenden globalen Protestwelle. Am 15. Februar 2003 demonstrierten Zudem gibt es durch diverse Einsätze, an denen die weltweit Millionen in der größten je dagewesenen ein- Bundeswehr beteiligt ist, eine gewisse „Normalisie- zelnen Protestaktion. In Berlin waren es über 500.000. rung“ des alltäglichen Kriegsgeschäftes. Bedeutsamer Monatelang arbeiteten Antikriegs-Aktivisten auf lo- ist allerdings, dass Rot-Grün alle anderen Kriegsbetei- kaler Ebene, in Schulen und Universitäten dafür, den ligungen der Bundeswehr unterstützt hat. Immer stär- Krieg zu verhindern. Am Tag X gingen in Berlin 70.000 ker verfängt die Argumentation von der „Humanitären Menschen, darunter viele Schülerinnen und Schüler, Intervention“ und der „Schutzverantwortung“. auf die Straße. Das wirkt sich unmittelbar auf die Mobilisierungsfä- Dem Ausmaß der Massenmobilisierungen in Deutsch- higkeit der Friedensbewegung aus. Die herrschenden land entsprach die öffentliche Festlegung von Bundes- Rechtfertigungen der Militäreinsätze als Interventio- kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka nen im Dienste der jeweils betroffenen Bevölkerungen Fischers auf eine Nichtbeteiligung an diesem Krieg prägen das politische Klima im Land und wirken auf im Wahlkampf 2002. Schröder sagte im August 2002: die Auseinandersetzung in Gewerkschaften und Nicht- „Wir stehen für Kriegsabenteuer im Irak nicht zur regierungsorganisationen negativ zurück. Verfügung.“ Damit setzte er sich von dem damaligen Unionskandidaten Edmund Stoiber ab und drehte eine Es gibt nach wie vor eine breite Ablehnung gegen schon verloren geglaubte Bundestagswahl für die SPD. den Krieg in der Gesellschaft. Eine Aufgabe dieses 97 Buches ist es, diese Ablehnung argumentativ zu un- eines jungen Soldaten aus Fulda veröffentlicht. In terfüttern. ihr heißt es: »Die Bundeswehr bringt keine Lösung des Konfl ikts [in Afghanistan], sie ist längst Teil des Problems. […] Deshalb fordern wir: den sofortigen Alltäglicher Widerstand Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan […] und zivile Berufsbildungsprogramme für Jugendliche und  Lasst Euch nicht verheizen Bundeswehrangehörige«.132 Die Bundeswehr trägt die Widersprüche der Klassen- gesellschaft in der wir leben in sich. So sehr Soldatin-  Alltäglicher Widerstand nen und Soldaten sich in ihrer großen Mehrheit mit An vielen Aktivitäten sind die klassischen Organisati- der Bundeswehr identifi zieren und an Befehl und Ge- onen der Friedensbewegung beteiligt, die sich in den horsam gebunden sind, kann die Realität Widerspruch 1970er und 1980er Jahren gebildet haben. Und auch und Widerstand hervorrufen. wenn seit 2003 keine massenhafte Mobilisierung mehr gelungen ist, so fi nden regelmäßig Ostermär- Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien sind sche und Kundgebungen zum Antikriegstag/Weltfrie- diejenigen, die – nach den Menschen in den Einsatz- denstag am 1. September statt. In den letzten Jahren, gebieten – die Realität des Krieges am eigenen Leib haben sich vielfältige lokale Aktionsnetze gebildet. spüren. Sie erfahren den Widerspruch zwischen dem Die-In bei einem Messebesuch der Bundeswehr, eine eigenen Anspruch, etwas Sinnvolles zu tun, und der Blockade der Tore des Atomwaffenstützpunktes in Unmöglichkeit, mit Krieg Frieden oder Demokratie Büchel/Rheinland-Pfalz oder die kontinuierliche Arbeit und Menschenrechte zu bringen. mit Medien, um wie bei der „Aktion Aufschrei“ mit einem langen Atem ein gesellschaftliches Klima zu Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz werden schaffen, in dem Rüstungsexporte mit überwältigen- instrumentalisiert. Sie dienen nicht Deutschland – der Mehrheit abgelehnt werden. Wir stellen einige von sondern den Scheckbüchern und Macht-Ambitionen ihnen exemplarisch vor.133 weniger. Das »neue« Image des Militärs in Öffent- lichkeit, Medien und Schulen, und insbesondere die  Bundeswehr raus aus den Schulen Werbung für die Auslandseinsätze, dient diesen Zielen. Ein wichtiger Aktionsschwerpunkt sind die Schu- Dies erkennen immer mehr Soldatinnen und Soldaten len. „Schulfrei für die Bundeswehr“, „Lernen für den und ehemalige Dienstleistende. In den USA und ande- Frieden“ oder „Kein Werben fürs Sterben“ sind daher ren westlichen Ländern haben sich kritische Vetera- Kampagnen oder lokale Aktionen, die sich gegen die nenverbände gebildet, die diese Instrumentalisierung Rekrutierung von jungen Menschen und die Werbung anprangern. In Deutschland sind es einige mutige jun- von Minderjährigen stellen.134 Damit soll auch der ge Soldatinnen und Soldaten, die an die Öffentlichkeit Forderung des Ausschusses der Vereinten Nationen gehen und von ihren Kriegserfahrungen berichten.131 für die Rechte der Kinder weiter Nachdruck verliehen werden, der Deutschland für seine gezielte Werbung 2010 wurde von der Fuldaer DGB-Vorsitzenden Ka- von Minderjährigen für den Dienst an der Waffe gerügt rin Masche eine Erklärung als Reaktion auf den Tod hat. Die Kampagne „unter18nie“, die neben der DFG- 98 VK auch vom Deutschen Bündnis Kindersoldaten, ter-  Vor Ort aktiv: Rüstungsatlanten re des hommes, der Kindernothilfe, der Aktion Weißes Neben den Menschen für die Uniformen braucht das Friedensband und der Bildungsgewerkschaft GEW135 Militär zur Kriegsführung Kasernen, Logistik und In- getragen wird, baut hier weiteren Druck zum Verbot frastruktur, denn Kriege beginnen nicht erst, wenn dieser Rekrutierungspraxis auf. die ersten Schüsse fallen, sondern dann, wenn dieser eingeübt wird. Um hier Protest gegen militärische Gleichzeitig gibt es Proteste vor und in Schulen und Strukturen (oder Rüstungsfi rmen) zu organisieren, hat Messen gegen die Rekrutierungsbemühungen der sich das Instrument des so genannten Rüstungsatlas dorthin eingeladenen Jugendoffi ziere und Karriere- bewährt. Darin werden anhand von Karten Standor- berater, und das Bestreben, Gegenöffentlichkeit zu te des Krieges markiert und in ihren Kriegskontext schaffen. gesetzt. Vor Ort ist es nun möglich, mit Hilfe dieser Übersichten herauszufi nden, welche Strukturen in Protest setzt hier sowohl bei den Schülern im Sinne der unmittelbaren Umgebung für welche Kriegstätig- der Schaffung einer kritischen Gegenmeinung an als keit verantwortlich sind. Die Rüstungsatlanten laden auch bei Eltern wie Lehrkräften, die sich weigern, ihre auch selbst dazu ein, sich aktiv mit den militärischen Kinder den Werbemaßnahmen der Bundeswehr im Landschaften vor der eigenen Haustür auseinanderzu- Rahmen des Unterrichts oder der Schule auszusetzen. setzen. Beispiele für diese Atlanten sind der Rüstungs- atlas Baden-Württemberg137, der Rüstungsatlas Thü- Der Zugriff auf die Schule durch die Jugendoffi ziere ringen138 oder die Broschüre zum antimilitaristischen beginnt mitunter bereits in der Referendarausbildung Stadtrundgang in Kiel.139 Letzterer ist sogar verbunden und der ersten Kontaktaufnahme zu angehenden Leh- mit einer antimilitaristischen Hafenrundfahrt, ein rern. Lehrkräfte sind hier aufgefordert, sich an ihrer kreativer Weg, die eigene Stadt unter einem neuen Schule per Beschluss der Schul- oder Gesamtlehrer- Blickwinkel kennenzulernen und sich mit ihr auseinan- konferenz für eine „militärfreie Schule“ auszuspre- derzusetzen. chen, um so ein Lernen ohne Uniform zu ermöglichen.  Blockaden und Camps  Für zivile Hochschulen Eine ganz andere Form, sich mit den Standorten für An Hochschulen hat sich gegen Rüstungsforschung Krieg und Militär auseinanderzusetzen, ist die Blocka- und die Zusammenarbeit mit dem Militär das Instru- de. Hier hat die Gruppe „Lebenslaute“ ein besonders ment der so genannten Zivilklausel etabliert. Dies ist öffentlichkeitswirksames Konzept entwickelt, um auf in der Regel eine Selbstverpfl ichtung der Hochschulen, Standorte von Krieg aufmerksam zu machen. Bis zu ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen und jegli- 100 klassische Musiker in Konzertgewand und mit che Kooperation mit dem Militär oder Rüstungsfi rmen Orchesterinstrumenten blockieren mit einem Konzert zu unterlassen. Mehr als 60 Hochschulen haben sich eine Kriegseinrichtung. Ausgezeichnet mit dem Aache- bereits eine solche Selbstverpfl ichtung gegeben, auch ner Friedenspreis 2014 stören die Musiker den tägli- wenn dies nur ein erster Schritt ist, da immer wieder chen Kriegsalltag seit nun mehr 30 Jahren: 2010 beim auch um die Durchsetzung dieser gerungen werden Truppenübungsplatz Altmark (Gefechtsübungszentrum, muss.136 GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide; 2011 am Mili- 99 tärfl ughafendrehkreuz Leipzig/Halle; 2012 vor den und den Tätern ein Gesicht zu geben, ist dem bekann- Toren des Waffenherstellers Heckler & Koch; 2013 testen Aktivisten der Aktion Aufschrei, Jürgen Grässlin, am Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel, auf dem ca. 20 ein besonderes Anliegen. Dieser deckte zusammen Atombomben stationiert sind. Nachdem 2014 vor dem mit dem Filmregisseur Daniel Harrich und einem Team Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt und 2015 beim mit dem Buch „Netzwerk des Todes“ illegale Waffen- Braunkohlerevier Rheinland aufgespielt wurde, lautet geschäfte nach Mexiko auf, die wahrscheinlich von das Motto 2016 „Schlussakkord dem Drohnenmord“ deutschen Behörden gedeckt wurden. Jürgen Grässlin und fi ndet in Stuttgart vor dem US-Afrikakommando hat bereits mehrere Strafverfahren gegen deutsche statt.140 Waffenfi rmen angestrebt, meist wurden sie über viele Jahre verschleppt. Als die Enthüllungen des Buches Regelmäßig fi nden Proteste gegen das GÜZ Colbitz- veröffentlicht wurden, leitete jedoch die Staatsanwalt- Letzlinger Heide statt, bei denen 2010 bereits die „Le- schaft München gegen die Autoren und Grimmepreis- benslaute” musizierte. Besonders jüngere Menschen träger umgehend Ermittlungen wegen des Verdachts nutzen ein Camp als Aktionskonzept, von dem aus verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen viele verschiedene Aktionsformen ausprobiert und gemäß § 353d Strafgesetzbuch ein. Ein weiterer Fall, praktiziert werden. Im GÜZ wurde die Trainingsstadt um kritische Berichterstattung zu einem heiklen The- „Schnöggersburg“ gebaut, die eine der wichtigsten ma juristisch zu behindern und die Pressefreiheit ge- Übungseinrichtungen für die Soldaten ist, bevor sie fährlich einschränken zu wollen. in den Auslandseinsatz gehen. Auch andere Armeen mieten sich ein, um sich auf den Krieg – etwa in der Ebenfalls zum Thema Waffenexporte ist der Bewe- einzigen U-Bahn Sachsen-Anhalts – ganz konkret vor- gungsarbeiter der Bewegungsstiftung Rex Osa aktiv. zubereiten. Schnöggersburg wird dabei nicht durch Seit über zehn Jahren setzt er sich mit dem Thema die Bundeswehr, sondern durch den Rüstungskonzern Repression, institutioneller Rassismus und Flucht- Rheinmetall betrieben.141 gründe auseinander u.a. bei „The Voice“ und in dem bundesweiten Netzwerk „Karawane für die Rechte  Stoppt den Waffenhandel von Flü chtlingen und MigrantInnen“. Er gründete die Viel Widerstand hat sich am Thema Rüstungsexporte Initiative „Flüchtlinge für Flüchtlinge“ und themati- entfaltet. Prominent sticht hierbei die „Aktion Auf- sierte, dass über die karitative Hilfe für Gefl üchtete schrei – Stoppt den Waffenhandel“ heraus. Seit 2011 in Deutschland hinaus, es vor allem solidarisch sei, arbeiten derzeit 16 Trägerorganisationen mit über 100 sich mit den Gründen von Flucht auseinanderzuset- unterstützenden Gruppen aus einem breiten gesell- zen und diese zu bekämpfen. Ausdrücklich politisch schaftlichen Spektrum in der Kampagne zusammen. müsse deshalb das Thema Flucht und Waffenexporte Durch zahlreiche pressewirksame Termine ist das angegangen werden. Im Jahr 2015 organisierte Rex Thema Waffenhandel medial präsent wie nie zuvor. Osa dafür Aktionstage in der Rüstungsregion Boden- Besonders Rüstungsgeschäfte mit Staaten wie Saudi- see, um gerade auch mit den vielen ehrenamtlichen Arabien rufen eine breite Mobilisierung hervor, die Helfern ins Gespräch zu kommen, dass diese sich es ermöglicht, den generellen Export von Waffen und dafür einsetzen, dass aus ihrer Region keine Waffen deren Produktion zu problematisieren. Den Opfern mehr exportiert werden. 100 Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern weltweit sieht sie sich in der Tradition der antimilitaristischen Solidarität ist auch mit Kriegsdienstverweigerern Arbeiterbewegung verpfl ichtet, sich um die sozialen, weltweit gefragt. Nach der Aussetzung der Wehr- gesundheitlichen und demokratischen Belange der Sol- pfl icht ist das Thema in Deutschland aus dem Fokus datinnen und Soldaten zu kümmern. der Öffentlichkeit gerückt, weil eine direkte Betrof- fenheit fehlt. Zahlreiche Stellen für die Beratung Im Unterschied zu den anderen Parteien hält die LINKE von Kriegsdienstverweigerern wurden daraufhin eine Welt für möglich, in der Konfl ikte friedlich und mit abgeschafft. Eine der wenigen Organisationen, die zivilen Mitteln ausgetragen werden. Die Voraussetzung sich dennoch weiterhin für das Thema stark machen, dafür ist jedoch, dass die Ursachen gewaltträchtiger ist Connection e.V. in Offenbach. Der Verein tritt Konfl ikte endlich energisch angegangen werden: Frie- für ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverwei- den verlangt nach einer Welt, in der es gerecht zugeht, gerung weltweit ein und leistet Solidaritäts- und Allen der Zugang zu Nahrung, Wasser, Arbeit, Bildung Aufklärungsarbeit mit inhaftierten Kriegsdienstver- und Gesundheit ermöglicht wird und Alle über grund- weigerern weltweit. Weiter fordert Connection, dass legende Menschenrechte verfügen. In einer solchen Kriegsdienstverweigerung in Kriegsgebieten als Asyl- Welt bedarf es keiner Armeen und keiner Waffen mehr. grund in Deutschland anerkannt wird und fördert die Eine Welt und eine Bundesrepublik Deutschland ohne Selbstorganisation von Flüchtlingen. Armee ist daher unser langfristiges Ziel. Mit konkreten Abrüstungsschritten kann und muss hier und heute begonnen werden. Opposition gegen Aufrüstung, Rüstungsexporte und Krieg Die größten Herausforderungen für den Frieden und die weltweite Sicherheit sind gegenwärtig und Die zahlreichen Auslandseinsätze und die Aufrüstung zukünftig nicht-militärischer Natur, wie fehlende Ver- der Bundeswehr machen Deutschland nicht sicherer. teilungsgerechtigkeit, Hunger und Armut, die Folgen Sie sind vielmehr Teil eines internationalen Wettlaufs des Klimawandels und die wachsende internationale um militärische Stärke und internationalen Einfl uss Konkurrenz, unter anderem um die zuneige gehenden zwischen den rivalisierenden kapitalistischen Mächten. knappen Ressourcen. Auch den immer wieder be- In diesem wahnwitzigen Wettlauf gilt es, sich gegen schworenen sicherheitspolitischen Risiken und Bedro- die Bundeswehreinsätze und die Aufrüstungspläne hungen, den Terror-Netzwerken, der Weiterverbreitung der Bundesregierung zu stellen. Bündnispartner sind von Massenvernichtungswaffen und den regionalen weltweit jene, die in ihren Ländern gegen Militarismus, Auswirkungen sogenannter „gescheiterter Staaten“, Aufrüstung und Unterdrückung kämpfen. Dafür braucht kann mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig begeg- es eine Erneuerung einer internationalen Friedensbe- net werden. Diesen Problemen ist mit zivilen Instru- wegung. menten – Diplomatie, Stärkung des Völkerrechts, glo- bale Zusammenarbeit und Initiativen zur Umsetzung Auf parteipolitischen Terrain sieht sich vor allem die einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, allgemeine Partei DIE LINKE in den vielfältigen Traditionen der Frie- Abrüstung und Stopp von Rüstungsexporten – zu be- densbewegung und als Teil dieser Bewegung. Zugleich gegnen. 101 DIE LINKE als internationalistische Friedenspartei

„Die LINKE ist eine internationalisti- sam mit Friedensbewegungen und al- Prin zipien: Frieden durch kollektive sche Friedenspartei, die für Gewaltfrei- len friedensorientierten Partnern rin- und gegenseitige Sicherheit, Abrüs- heit eintritt, ob im Inneren von Gesell- gen wir um Wege zu struktureller Ge- tung und strukturelle Nichtangriffsfä- schaften oder zwischen Staaten. Dar- waltprävention und für einen zivilen higkeit. Solidarische Politik der Über- aus leiten wir unser Engagement gegen Konfl iktaustrag. Unser Leitbild ist die windung von Armut, Unterentwick- Krieg, Völkerrechtsbruch, Menschen- Idee des gerechten Friedens, der mehr lung und Umweltzerstörung. Einsatz rechtsverletzungen und militärische bedeutet als die bloße Abwesenheit für eine demokratische, soziale, ökolo- Denklogiken im Umgang mit Konfl ik- von Gewalt, weil er soziale wie ökono- gische und friedliche Europäische Uni- ten ab. Neben der Kritik an Gewaltak- misch und ökologisch nachhaltige Be- on. Reform und Stärkung der UNO.“ teuren und an gewaltfördernden dingungen als Voraussetzung für dau- Machtstrukturen geht es uns um die erhafte friedliche Entwicklungen er- „Wie schaffen wir Frieden? Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Aufklärung über tiefere Zusammen- achtet. DIE LINKE gründet ihre inter- Entwicklung“ Aus dem Erfurter Programm hänge von Konfl iktursachen. Gemein- nationalistische Politik auf vier der Partei DIE LINKE

102 Es geht darum, die Ursachen von Kriegen zu bekämp-  Die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten der Bun- fen und Konfl ikte zivil zu bearbeiten. Die ersten An- deswehr wurde in den vergangenen Jahren reduziert, sprechpartner sind dabei Expertinnen und Experten aus gleichzeitig die Zahl der Auslandseinsätze angehoben. Entwicklungszusammenarbeit, ziviler Konfl iktbearbei- Anstatt eine mögliche Anhebung und Flexibilisierung tung, Globalisierungskritikerinnen und -kritiker sowie der Personalobergrenze anzusteuern, sind die Aufga- Partnerinnen und Partner in den Einsatzländern. Darü- ben der Bundeswehr zu reduzieren, zuvorderst die Aus- ber hinaus wird es darum gehen, die Auseinanderset- landseinsätze. zung um eine künftige Friedens- und Sicherheitspolitik auch mit den Angehörigen der Streitkräfte zu führen.  Die Wehrpfl icht wurde 2010 ausgesetzt. Allerdings wurde sie noch nicht abgeschafft. Die Wehrpfl icht Mit diesem Schwarzbuch laden wir ein zur Diskussion: stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grund- rechte junger Menschen dar. Der Zwangsdienst muss  Zentrale Forderung friedenspolitischer Kräfte wie sofort beendet, das Wehrpfl ichtgesetz aufgehoben auch der Partei DIE LINKE ist die Beendigung aller Aus- werden. landseinätze der Bundeswehr. Das betrifft die Beteili- gung an Einsätzen im Rahmen von NATO und EU und in  Die Bundeswehr wird als Parlamentsarmee bezeich- „ad-hoc-Kooperationen“ wie sie im Weißbuch vermehrt net. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass angekündigt werden. Darüber hinaus wird von der LIN- laut Parlamentsbeteiligungsgesetz über den Einsatz KEN perspektivisch die Aufl ösung der NATO und ihre bewaffneter Streitkräfte der Bundestag zu entscheiden Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter hat. Wir sind gegen die Aufweichung des Parlaments- Beteiligung Russlands gefordert, das Abrüstung als ein vorbehalts und für die Stärkung der parlamentarischen zentrales Ziel hat. Informations- und Kontrollrechte.

 Durch den Verzicht auf eine Beteiligung an solchen  Bürgerinnen- und Bürgerrechte innerhalb der Bun- „Out-of-area“-Einsätzen kann eine Vielzahl von Beschaf- deswehr muss stärker zur Geltung verholfen werden. fungsprogrammen beendet werden. Im Alltag der Bundeswehr gilt es, die Soldatenrechte zu stärken und den Soldatinnen und Soldaten mehr  Der Verzicht auf die Beteiligung an Auslandseinsät- Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen. Das Recht auf zen ermöglicht den Wegfall der entsprechenden Füh- Kriegsdienstverweigerung für alle Soldatinnen und Sol- rungsfähigkeiten, wie des Einsatzführungskommandos. daten darf nicht angetastet werden. Kapazitäten für mobile, verlegbare Hauptquartiere im Rahmen der NATO und EU werden nicht mehr benö-  Das „Outsourcing“ und die Privatisierung von Teilen tigt. Ein herausgehobener militärischer Großverband, der Bundeswehr und ihrer Verwaltung ist abzulehnen. wie das Kommando Spezialkräfte (KSK), wäre obsolet, wenn es keine verdeckten Operationen im Ausland gibt.  Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr Schließung des Gefechtsübungszentrum GÜZ in der im Innern, etwa zur Unterstützung der Polizei, sind ab- Altmark, in dem die Auslandseinsätze der Bundeswehr zulehnen. Dies würde die Terrorgefahr nicht mindern, vorbereitet werden. sondern liefe auf eine Militarisierung des öffentlichen 103 Raums hinaus. Zivile Aufgaben sollen grundsätzlich von für humanitäre Hilfe keine gesonderten Kapazitäten zivilen Einrichtungen durchgeführt werden. Dafür müs- unterhalten werden müssen. sen genügend fi nanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die fortgesetzte Kürzungspolitik der letzten  Die Bundesregierung bekennt sich im Weißbuch Jahre hat zu einer massiven Überbelastung von Beam- erneut zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Demnach ten und Angestellten im öffentlichen Dienst geführt. sollen alle NATO-Staaten zwei Prozent ihres BIP in den Dies muss rückgängig gemacht und die Stellen im Verteidigungsbereich investieren. Das hätte fast eine öffentlichen Dienst aufgestockt werden. Es kann nicht Verdopplung des jetzigen Rüstungsetats zur Folge. Aber angehen, dass Soldatinnen und Soldaten den Personal- bereits derzeit bedeutet der Verteidigungshaushalt eine mangel in Bürgerämtern, Behörden oder Notaufnahme- enorme Belastung des Staatshaushaltes. Allein der Ver- stellen kompensieren müssen. zicht auf Auslandseinsätze und Beschaffungsprogram- me für Auslandseinsätze, wie z.B. A 400M, Eurofi ghter  Der weiteren Vermischung von Zivilem und Militä- oder Fregatte 125 erweitert den Handlungsspielraum rischem durch die Ausweitung der Amtshilfe ist ein für die Finanzierung neuer Ansätze einer friedensorien- Riegel vorzuschieben. Dem zivilen Sektor müssen an tierten Außen- und Sicherheitspolitik und soziale In- dieser Stelle die nötigen Kapazitäten und Ressourcen vestitionen hierzulande. Unter dem Strich würde damit für die Umsetzung der Entscheidungen zur Verfügung auch die Sicherheit in Deutschland erhöht werden. gestellt werden. Die Hilfsorganisationen, die in der Re- gel vor Ort besser informiert sind und Zugang zu den  Durch eine deutliche und stetige Reduzierung der benötigten Fachkräften haben, sind besser in die po- Militärausgaben und das Verbot von Rüstungsexporten litischen Entscheidungsprozesse einzubinden und mit kann Deutschland in mehrfacher Hinsicht einen wich- fi nanziellen Möglichkeiten auszustatten. Insbesondere tigen Beitrag zur weltweiten Abrüstung und zur Unter- im Bereich der Katastrophenhilfe ist das Primat ziviler bindung der Rüstungsexporte leisten. Dies wäre ein Entscheidungskompetenz unantastbar. Beitrag zum nötigen Umdenken insbesondere innerhalb der NATO-Staaten, die immer noch für ca. 70Prozent  Auch für den internationalen Bereich gilt, dass Ka- der Militärausgaben in der Welt verantwortlich sind. tastrophenschutz, humanitäre Hilfe und Entwicklungs- zusammenarbeit zivil geleistet werden müssen. Eine  US-Militäreinrichtungen in Deutschland wie z.B. den Verknüpfung von militärischen und zivilen Maßnahmen Stützpunkt Ramstein oder das Africom in Stuttgart sind ist abzulehnen. Zivile Hilfe sollte nicht für militärische perspektivisch zu schließen. Mit der Aufl ösung des Zwecke instrumentalisiert werden oder auch nur in den Tornado-Geschwaders in Büchel wird die technische Verdacht geraten, hierfür genutzt zu werden. Zivile Ka- nukleare Teilhabe Deutschlands beendet und ein klares pazitäten – auch im Bereich der Transportlogistik und Signal gegen die Atomwaffenpolitik der NATO gesetzt. Kommunikationsinfrastruktur – sind so auszubauen, Die Atomwaffen der USA sollen von deutschem Boden dass zukünftig kein Bedarf mehr für eine Unterstützung abgezogen werden. der Bundeswehr besteht. Das bedeutet auch, dass für mögliche Unterstützungsleistungen der Bundeswehr  Die Mittel für wehrtechnische Forschung und Ent- bei nationalen und internationalen Katastrophen sowie wicklung sind zu kürzen; an den Universitäten soll 104 Rüstungsforschung keinen Platz haben. Die Bundesre- gierung sollte sich dafür einsetzen, dass aus EU-Mitteln keine Rüstungsforschung fi nanziert wird.

 Die drastische Minderung der Ausgaben für das Militär setzt umfangreiche Mittel frei, die für sozial- staatliche und entwicklungspolitische Belange dringend benötigt werden. Allerdings sollte auch klar sein, dass Abrüstung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Programme zur Konversion und damit zivilen Nachnutzung von Mili- tärstandorten als auch Programme zur Wiedereingliede- rung von Bundeswehrangestellten ins zivile Berufsleben müssen daher im Mittelpunkt stehen. Um ehemalige Militärstandorte zivil weiter nutzen zu können, muss mit der zügigen Beseitigung militärischer Altlasten begon- nen werden. Im Verteidigungshaushalt müssen dafür angemessene Mittel zur Verfügung gestellt werden.

 Zur Bekämpfung von Konfl iktursachen ist eine so- lidarische Weltwirtschaftsordnung unabdingbar, die nachhaltige Entwicklungsperspektiven für alle schafft und globale und soziale, ökologische und demokrati- sche Rechte durchsetzt.

Wir knüpfen an Rosa Luxemburgs Worte aus dem Jahre 1911 an, „dass der Militarismus in seinen beiden Formen – als Krieg wie als bewaffneter Friede – ein legitimes Kind, ein logisches Ergebnis des Kapitalis- mus ist, das nur mit dem Kapitalismus zusammen überwunden werden kann, dass also, wer aufrichtig den Weltfrieden und die Befreiung von der furchtbaren Last der Rüstungen wolle, auch den Sozialismus wol- len müsse.“ Es gilt, neuerlichen Kriegen, ihrer Führung und Vorbereitung sowie der Aufrüstung den Weg zu verstellen, stattfi ndende Kriege zu beenden und für internationale und zunehmend innerhalb der Staaten stattfi ndende Konfl ikte politische, friedliche Lösungen zu schaffen. 105 Asymmetrische Kriegsführung Die asymmetrische Kriegsführung erfolgt zwischen einem regulären, staatlichen Militärapparat und einer nicht-staatlichen Gruppe, welche oftmals entweder als Widerstandsbewegung oder als terroristische Organi- sation bezeichnet wird. Eine weitere Defi nition hebt die wehrtechnische, organisatorische, taktische und perso- nelle Ungleichheit von Kriegsparteien hervor, die aller- dings in vielen Kriegen und Konfl ikten zu verzeichnen ist.

Autonome Waffensysteme Waffensysteme, die durch künstliche Intelligenz unab- hängig von menschlichen Befehlen eigenständig Zie- lidentifi kationen und Zielauslöschungen durchführen, Glossar werden autonome Waffensysteme genannt. An solchen Systemen, die die Kriegsführung revolutionieren werden, forschen unter anderem die NATO und die Fraunhofer Gesellschaft. Alliance Ground Surveillance (AGS) Das AGS ist ein NATO-Überwachungs- und Aufklärungs- AWACS system, das aus fünf mit Radar und Sensoren ausge- Das Airborne Early Warning and Control System rüsteten Drohnen des Typs RQ-4B Global Hawk, einer (AWACS) ist ein auf der luftgestützten Luftraumaufklä- Hauptbodenstation und verschiedenen mobilen Steue- rung und -überwachung basiertes Frühwarnsystem der rungsstationen besteht. Es ist auf der NATO-Militärbasis NATO. Der Haupteinsatzfl ugplatz der 17 AWACS-Flugzeu- Sigonella auf Sizilien stationiert. Es wird voraussichtlich ge, die über eine Reichweite von bis zu 400 km verfügen, Ende 2017 aktiviert und dann u.a. zur Migrationskontrol- liegt in Geilenkirchen bei Aachen. Bisher wurden sie u.a. le eingesetzt. in den Golfkriegen, der Ukrainekrise, zur Überwachung der Ostgrenze zu Russland und bei Großereignissen wie Aktionsplan Zivile Krisenprävention Papstbesuchen oder der Fußballweltmeisterschaft in Das Strategiepapier Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Deutschland eingesetzt. Konfl iktlösung und Friedenskonsolidierung“ wurde 2004 von der Bundesregierung verabschiedet. Darin sollten Berufsarmee ressortübergreifend zivile Maßnahmen und Handlungs- Im Gegensatz zu einer Wehrpfl ichtigenarmee besteht möglichkeiten zur Konfl iktprävention und -lösung aufge- eine Berufsarmee aus Zeit- und BerufssoldatInnen. In zeigt werden, doch verankerte der Aktionsplan auch den Deutschland ist die Wehrpfl icht seit 2011 ausgesetzt. Ab- Aufbau militärischer Strukturen in krisengeschütterter gesehen von Estland, Griechenland, Norwegen und der Länder. Türkei haben mittlerweile alle NATO-Mitgliedstaaten ihre Armeen zu Freiwilligen- und Berufsarmeen transformiert. 106 CIMIC tungsindustrie und in der Kategorisierung von Forschung. siehe Zivil-militärische Zusammenarbeit Heutzutage wird die Entwicklung der meisten Rüstungs- güter und -technologien mit zivilen Zwecken verknüpft, Cyber-Krieg / -Sicherheit wodurch eine Trennung ziviler von militärischer For- Cyber-Krieg und -Sicherheit bauen auf den offensiven schung erschwert wird. und defensiven elektronischen Fähigkeiten des Militärs auf. Zentral ist dabei, die eigene IT-Struktur und elek- Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) tronisch gesteuerten Waffensysteme vor Angriffen zu Der EAD ist eine Organisation der Europäischen Union. schützen und offensive Fähigkeiten aufzubauen, die u.a. In ihm wird seit 2010 versucht, sowohl Aufgaben eines darauf abzielen, aus Spionage- oder Sabotageabsichten europäischen Außen- als auch eines Verteidigungsminis- in fremde Computersysteme einzudringen, zu Propagan- teriums zu bündeln, verbunden mit Maßnahmen der hu- dazwecken Websiteinhalte zu ändern oder auch durch manitären Hilfe bis hin zu geheimdienstlichen Aufgaben- Manipulation von Hardware und das materielle Zerstö- stellungen. Der EAD untersteht dem Hohen Vertreter/ ren von fremden IT-Bestandteilen wie Antennen und der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Au- Kabeln die elektronische Kommunikation und Operati- ßen- und Sicherheitspolitik (derzeit Federica Mogherini) onsfähigkeit von Gegnern zu stören. und wird besetzt mit Diplomaten der Mitgliedstaaten.

Dispositv Ertüchtigung Umschreibt alle Ressourcen die für einen Kontext zur Militärische Ertüchtigung wird als eine Politik verstanden, Verfügung stehen und eingesetzt werden können – im in der u.a. auch durch Deutschland in anderen Staaten Kontext der Streitkräfte (Steitkräftedispositiv) hierbei wie Mali oder bei nichtstaatlichen Akteuren wie den geht es in erster Linie um Waffen und personelle Res- Peschmerga im Nordirak militärische Strukturen aufge- sourcen, aber auch um die Fähigkeit zur strategischen baut und mit Rüstungsmaterial ausgestattet werden. Auf Aufklärung und Führung bzw. Kommandoinfrastruktur. EU-Ebene wird auch von „train and equip“, „E2I“ oder „Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Ent- Drohnen wicklung“ gesprochen. Für die deutsche Politik wurde Drohnen, auch unbemannte Luftfahrzeuge (UAV), wer- dies auch mit dem Ausdruck „Merkel-Doktrin“ versehen. den vom Militär zur Aufklärung, Überwachung oder für Tötungen verwendet. Ohne menschliche Besatzung die- Erweiterte Sicherheit nen sie in ihrer militärischen Verwendung zur Kontrolle siehe Vernetzte Sicherheit und ggf. Sanktion von Menschen. Siehe HALE-Drohne und MALE-Drohne. EU-Battlegroup DIe EU unterhält halbjährlich rotierend seit 2007 zwei Dual-Use sogenannte „Battlegroups“ – ein Kampfverband mit Der Begriff Dual-Use kennzeichnet den doppelten so- 1.500 SoldatInnen. Bisher wurden diese nicht eingesetzt, wohl zivilen als auch militärischen Verwendungszweck werden aber als Vorstufe einer innereuropäischen Mili- von Gütern, Computerprogrammen und Technologien. tärzusammenarbeit begriffen und ausgebaut. Angewendet wird er in der Exportkontrolle, der Rüs- 107 Failed / Fragile States (gescheiterte / fragile Humanitäre Intervention Staaten) Eine „humanitäre Intervention“ beschreibt den Ein- Im Zuge von Interventionsdebatten entwickeltes Be- marsch von Militär in ein anderes Hoheitsterritorium griffspaar, das von der Politik angeführt wird, wenn unter dem Vorwand vermeintlich humanitärer Beweg- es gilt, anderen Staaten einen Teil ihrer Souveränität gründe. Damit sollte das völkerrechtliche Gebot des streitig zu machen und paternalistische „Eingriffe“ (von Schutzes der Souveränität und territorialen Integrität Beratung über Sanktionierung bis hin zu Intervention) der Staaten unter Verweis auf einen über-rechtlichen zu rechtfertigen. Dabei wird ein gradueler Unterschied Notzustand ausgehebelt werden. Diese Argumentations- zwischen einem „fragilen“ also „nicht-stabilen“ und fi gur wurde nach dem Kalten Krieg vermehrt in Ansatz „failed“ also „versagendem“ Staat gemacht. Fragile gebracht, wird aber wieder seltener gebraucht, weil Staaten zeichnen sich durch ökonomische, soziale, poli- der Terminus aufgrund der katastrophalen Praxis dieser tische oder auch militärische Unsicherheitsfaktoren aus, Kriegseinsätze – etwa im Krieg gegen Jugoslawien oder die sie leicht in Konfl ikte abgleiten lässt und zu deren gegen Libyen – politisch verbraucht und praktisch un- Lösung ihnen die Ressourcen fehlen. Faild States sind tragbar geworden ist. demgegenüber Staaten, die in der Lösung ihrer Konfl ikte versagt haben und ggf. nur noch Partikularinteressen Hybride Kriegsführung bedienen können, oder gar zur Destablisierung ganzer Hybrid, also in der Bedeutung von „vermischt“, be- Regionen beitragen. Im Rahmen von staatlich geführten schreibt eine in den westlichen Militärstrategien propa- Sicherheitsdebatten wird dabei die Ursache der Fra- gierte neue Form der Kriegsführung durch die Anderen gilität ausgeblendet und einseitig auf die militärische (insbesondere Russland). Dabei würden unkonventio- Lösung der Befriedung (Intervention) oder gar auf die nelle und konventionelle, irreguläre und reguläre Streit- Ausstattung eines der beteiligten Akteure mit den mili- kräfte gemischt eingesetzt und auch terroristische und tärischen oder sicherheitspolitischen Ressourcen, eine kriminelle Netzwerke eingebunden. (Fehl-)Informations- Befriedung zu erreichen (Ertüchtigung) gesetzt. kampagnen und der Krieg im Cyberspace mit Schwer- punkt auf den sozialen Medien seien Elemente dieser Freiwilligenarmee Kriegsführung. Mit dieser Begriffsbesetzung sollen zahl- siehe Berufsarmee reiche Lebensbereiche umfassend unter eine militäri- sche Logik der Abwehr und Widerstandskraft (Resilienz) HALE-Drohne gesetzt und dadurch militarisiert werden. HALE-Drohnen (High Altitude Long Endurance) be- schreibt einen Typ unbemannter Flugobjekte. HALE- Innere Führung Drohnen fl iegen in Höhen über 15 km und sind für die Unter dem Konzept der Inneren Führung wird das durch weiträumige Erstellung militärischer Lagebilder zustän- die Bundeswehr propagierte Leitbild der SoldatInnen dig. Die von der Bundeswehr bisher nur zu Testzwecken als „Staatsbürger in Uniform“ verstanden, die Bindung angeschaffte Global-Hawk ist eine Hale-Drohne, ebenso militärischen Handelns an Völkerrecht, Grundgesetz die Drohnen, die für die NATO im Rahmen von AGS zum und Rechtsstaatlichkeit. Es wurde in den 1950er Jahren Einsatz kommen. entwickelt und soll es den SoldatInnen ermöglichen, ent- gegen dem Kadavergehorsam der früheren deutschen 108 Armeen und insbesondere des Zweiten Weltkrieges Maritime Sicherheit zwischen den soldatischen Anforderungen und einer Maritime Sicherheit umschreibt alle Aspekte der Sicher- bewusst gelebten Individualität der SoldatInnen Über- heit zur See, angefangen von der (Arbeits-)Sicherheit einstimmung herzustellen sowie zu einer funktionieren- auf den Schiffen, Verkehrssicherheit im zivilen und mi- den Befehlskette zu verhelfen. Mit der Transformation litärischen Schiffsverkehr bis hin zu Umweltschutz auf der Bundeswehr zur „Armee im Einsatz“ geraten diese den Weltmeeren. In Deutschland sind einzelne Aufgaben Grundsätze jedoch unter Druck. Der frühere Inspekteur jeweils unterschiedlichen Stellen zugeordnet – so ist in des Heeres, Generalleutnant a.D. Hans-Otto Budde, Deutschland die Polizei zuständig für die Verfolgung Kri- betonte bereits 2004: „Der Staatsbürger in Uniform hat mineller zur See (PiratInnen), nicht die Marine. Maritime ausgedient […]. Wir brauchen den archaischen Kämpfer Sicherheit als Begriff löst diese Zuordnungen teilweise und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.“ auf und überträgt damit das Konzept des „Vernetzten Ansatzes“ (siehe dort) auf das Meer – er dient damit Konversion dazu, den Eingriff des Militärs in eigentlich zivile Berei- Unter Konversion wird die Umwandlung von militäri- che zu legitimieren. schen Liegenschaften in zivil genutzte Bereiche oder die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produkte Militarismus verstanden. Militarismus bezeichnet ein politisches System, das von Militär und Kriegspolitik dominiert wird, die Unterord- Kommando Spezialkräfte (KSK) nung aller Lebensaspekte unter eine militärische Logik. Das KSK wurde 1996 als Spezialeinheit der Bundeswehr Es äußert sich in strikt hierarchischen und auf Befehl aufgestellt um, in Anlehnung an die GSG9 der Bundes- und Gehorsam basierenden Ordnungsmodellen und ei- polizei, Geiselbefreiungen und Terrorabwehr leisten zu nem Kult des Militärischen in der politischen Kultur. Der können. Im Geheimen operierend haben die rund 1100 deutsche Militarismus war einer der Hintergründe für die vor allem in Calw stationierten SoldatInnen heute die Auslösung der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts Aufgabe, Kommandooperationen in gefährlichen Um- durch Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland hat gebungen durchzuführen. Das Parlament wird über die sich seit den 1950er Jahren als nicht-militaristisch ange- Einsätze der Elitetruppe nur unzureichend bis gar nicht sehen (siehe Innere Führung). Nach dem Ende der Ost- informiert, was eine parlamentarische Kontrolle weitest- West-Konfrontation erleben Elemente von Militarismus gehend ausschließt. in Deutschland auf oft subtile Weise eine Renaissance, militärische Wertvorstellungen halten zunehmend Einzug MALE in die Politikgestaltung. Mit der Dominanz militärischer MALE ist eine Abkürzung für Medium Altitude Long „Lösungen“ bei der Behandlung von Krisen und Konfl ik- Endurance (Mittlere Flughöhe und lange Flugdauer) ten in der Welt und der Transformation der Bundeswehr und beschreibt einen Typ unbemannter Flugobjekte zur „Armee im Einsatz“ verstärken sich diese Tendenzen. (Drohnen). MALE-Drohnen werden von der Bundeswehr bislang ausschließlich in unbewaffneter Form eingesetzt NATO und dienen der Erkundung für militärische Lagebilder. Die North Atlantic Treaty Organization ist als militä- risches Verteidigungs- und Beistandsbündnis 1949 109 gegründet worden und umfasst heute 28 Staaten auf dingungen der zeitliche Vorlauf zu knapp oder „Bündnis- der nördlichen Halbkugel der Erde. Als westlicher Militär- verpfl ichtungen“ (z.B. gegenüber anderen NATO-Staaten) block war sie Teil des „Ost-West-Konfl ikts“ mit dem Ge- würden einem Widerspruch des Parlaments entgegen- genspieler des „Warschauer-Paktes“. Danach hätte sie stehen, versuchten bisher verschiedenste Bundesregie- sich eigentlich erübrigt, wurde aber zu einer westlichen rungen das Gesetz zu umgehen oder es aufzuweichen. Interventions- und Einfl ussorganisation umgebaut. Seit 1990 ist sie als militärisches Bündnis auch außerhalb der Parlamentsarmee Grenzen seiner Mitgliedsstaaten tätig und in eine Viel- Der Begriff beschreibt die deutsche Bundeswehr als zahl von Kriegen und Krisen verwickelt. Die NATO unter- eine von den Einsatzbefehlen des Parlaments abhängige hält gemeinsame Einrichtungen und Kommandostellen. Armee seit seiner Einrichtung 1955. Spätestens seit der Aufstellung des Kommando Spezialkräfte (KSK) 1996 Neuausrichtung ist diese Annahme jedoch unter Druck – die Einsätze Die Neuausrichtung der Bundeswehr umschreibt den dieses Truppenteils, der für Kommandooperationen ein- Prozess der Umwandlung der Bundeswehr von einer Ver- gesetzt wird, werden nicht vom Bundestag genehmigt, teidigungsarmee zu einer „Armee im Einsatz“. Teilweise sondern dieser wird nur im Nachhinein über den Einsatz als „Transformation“ beschrieben galt es nach dem Jahr informiert. 2000, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen und in Material und Ausbildung an neue Einsatzszenari- PTBS – Posttraumatische Belastungsstörung en anzupassen. Posttraumatische Belastungsstörung beschreibt eine psychische Erkrankung, die durch ein oder mehrere OSZE schwerbelastende Ereignisse ausgelöst wird, wie z.B. Die 1995 gegründet Organisation für Sicherheit und Zu- selbst ausgeübte, erlebte oder beobachtete Gewalt. Mit sammenarbeit ist ein politisches Bündnis, das der Völ- den zunehmenden Kampfeinsätzen der Bundeswehr kerverständigung in Europa dient. Sie ist aus der 1975 steigen auch die PTBS-Fällen unter den SoldatInnen. geschaffenen Konferenz über Sicherheit und Zusammen- Durch die einhergehenden Symptome wie Panikattacken, arbeit in Europa hervorgegangen. Die OSZE arbeitet als Schlafstörungen, Depression und Aggression, haben die gemeinsame Organisation der Staaten in Europa an der Betroffenen große Schwierigkeiten, in das zivile Alltags- Abrüstung und der Verhinderung von Krieg. leben zurück zu fi nden.

Parlamentsbeteiligungsgesetz Resilienz Das 2005 erlassene Gesetz bestimmt, dass jeder be- Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Psychologie waffnete Einsatz des deutschen Militärs durch das und bezeichnet als psychische Widerstandsfähigkeit Parlament genehmigt werden muss, welches Dauer und die Fähigkeit von Menschen, Krisen durch Rückgriff auf Umfang der Einsätze bestimmt. Will die Regierung, dass persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu be- deutsche Truppen im Ausland eingesetzt werden, so wältigen. Von der Politik wird der Terminus zunehmend muss es hierzu einen Antrag in den Bundestag einbrin- bemüht, um die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft gen und ihm regelmäßig über die Entwicklung berichten. zu beschreiben. Je ausgeprägter die Resilienz, desto eher Mit den Argumenten, hierzu sei unter bestimmten Be- könne eine Gesellschaft eine wie auch immer geartete 110 Krise überstehen; dabei ist nicht nur die Frage materi- vernetzten Ansatz zivile und militärische Stellen auch in eller Ressourcen angesprochen, sondern ebenfalls die Deutschland eng zusammen. Ausdruck der Kooperation soziale, politische und ökonomische Stabilität einer Ge- sind die Einrichtung gemeinsamer Lagezentren, in denen sellschaft. Oft sind gesellschaftliche Ersatzhandlungen die Informationen der beteiligten Akteure gemeinsam angezielt: statt den Energieverbrauch und den CO2-Aus- ausgewertet werden, wobei verfassungsmäßig bewusst stoß zu senken, sollen Pfl anzen und Nutztiere gezüchtet vorgenommene Abgrenzungen der Akteure (vor allem werden, die die Erderwärmung aushalten; wenn durch Militär – Polizei) sich zusehends verwischen. den Klimawandel Unwetter zunehmen, müssen eben andere Häuser gebaut werden. Im Kontext von Sicher- Verteidigungspolitische Richtlinien heit wird z.B. im Weißbuch 2016 auf Resilienz rekurriert, Die VPR sind ein Dokument des Verteidigungsministe- wenn es gilt, Elemente der verstärkten Überwachung, riums, in dem es die in den Weißbüchern zur Verteidi- Kontrolle und Militarisierung zu rechtfertigen, denen gungspolitik getroffenen Grundsatzentscheidungen und eine stabilisierende Wirkung zugesprochen wird. Aussagen in konkrete Handlungsanweisungen für die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium über- Vereinte Nationen setzt. Anders als beim Weißbuch entsteht dieses Do- Die in den Vereinten Nationen organisierten Staaten der kument allein innerhalb des Verteidigungsministeriums Welt haben sich auf die Sicherung des Friedens und die und dient der unmittelbaren Gestaltung der weiteren Einhaltung der in der UN-Charta festgelegten Regeln Dienstanweisungen. zur Beilegung von Streitigkeiten untereinander verpfl ich- tet. Diese sieht u.a. das Recht auf Selbstverteidigung Weißbuch vor, aber auch den Verzicht auf militärische Gewalt Ein Weißbuch bezeichnet ein Regierungsdokument, das als „Lösung“ von Krisen oder Spannungen mit anderen sich mit einem ggf. mehrere Ministerien übergreifenden Staaten. Die Vereinten Nationen haben eine Reihe von Thema auseinandersetzt. Das Weißbuch der Verteidi- Organisationen gegründet die das Zusammenleben der gungspolitik in Deutschland behandelt alle Aspekte der Völker verbessern sollen. Der UN-Sicherheitsrat, als Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus der Perspekti- Ausschuss der Vereinten Nationen, diskutiert bei Krisen ve der Regierung und aller Ressorts. Ein Weißbuch dient oder militärischen Auseinandersetzungen die Reaktion international dazu, andere Staaten über die Antriebsfe- der internationalen Gemeinschaft und beschließt ggf. dern und grundsätzlichen Vorstellungen der Regierung ein militärisches Eingreifen. zu informieren.

Vernetzte Sicherheit / vernetzter Ansatz Zivil-Militärische Zusammenarbeit (oder CIMIC) Der Versuch, mithilfe der engen Koordination von poli- Als Teil des „vernetzten Ansatz“ ist hiermit die enge Ko- tischen, polizeilichen, militärischen und entwicklungs- operation ziviler Stellen mit militärischen Institutionen politischen Instrumenten einen effektiven und positiven umschrieben. Im Inland ist hier oft die gegenseitige Un- Einfl uss auf Krisen und Konfl ikte auszuüben, wird mit terstützung von Katastrophenschutz (THW), Militär und Vernetzter Sicherheit umschrieben. Ursprünglich vor Polizei gemeint, aber es geht weit über die unmittelbare allem im Hinblick auf Krisen und Konfl ikte in entfernten technische Unterstützung hinaus und umfasst mehr und Ländern oder Regionen entwickelt, arbeiten heute im mehr die Kooperation von Behörden und Polizeidienst- 111 stellen mit militärischen Dienststellen. Im Kontext von Krisen und Konfl ikten im Ausland ist hier vielfach die enge Kooperation von Bundeswehr und Institutionen der Entwicklungshilfe angesprochen – auch wenn es noch keinen „Zwang“ zur Kooperation mit dem Militär gibt, so wurde doch bereits erheblicher Druck auf Entwicklungs- helferInnen ausgeübt, ihre Informationen mit militäri- schen Stellen auszutauschen.

112 1 Bundesministerium der Verteidigung (Hg.), Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, 2016, S. 137. 2 Ingar Solty, Exportweltmeister in Fluchtursachen: Die neue deutsche Außenpolitik, die Krise und linke Alternativen, Studie der Rosa-Luxemburg- Stiftung, Berlin 2016, S.13-19. 3 „Deutsche Sicherheitspolitik neu defi nieren“, www.bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2015/02/2015-02-17-weissbuch-2016. html 4 Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicher- heitskonferenz, Februar 2016, in: www.br.de/nachrichten/deutschland-bundes wehr-verantwortung-100.html Anmerkungen 5 Ebd. 6 Weißbuch 2016, S. 65. 7 Weißbuch 2016, S. 88. 8 Weißbuch 2016, S. 65. 21 Zitiert in: Volkhard Mosler, An Krieg gewöhnen? 9 Weißbuch, S. 28. Niemals! Die Rückkehr des deutschen 10 Weißbuch, S. 29. Militarismus, Frankfurt, 1996, S. 44. 11 Weißbuch, S. 32. 22 Volker Rühe in Der Spiegel, 20.07.1992; 12 Generalleutnant Jörg Vollmer, Inspekteur des http://www.spiegel.de/spiegel/ Heeres, Grundsatzrede auf dem Parlamentari- print/d-13855248.html schen Abend des Heeres im April 2016; in: 23 Volker Rühe in Der Spiegel, 20.07.1992; Newsletter Verteidigung, 03.05.2016, S. 2. http://www.spiegel.de/spiegel/ 13 Weißbuch, S.22. print/d-13855248.html 14 Weißbuch, S. 32. 24 Zitiert in: David Owen, Balkan Odyssey, London, 15 Weißbuch, S. 39. 1995, S. 376. 16 Weißbuch, S. 98. 25 Dokumentiert in: http://www.nzz.ch/detaillierte- 17 Weißbuch, S. 97. opferzahlen-zum-bosnien-krieg-1.518352 18 Pressemitteilung des Bundesverbandes der 26 Der Spiegel berichtete damals von der „klamm- Deutschen Sicherheits- und Verteidigungs- heimlichen Freude des Westens”; in: Der Spiegel, industrie (BDSV), wiedergegeben in NV 28/2016, Operation „Blitzschlag“, 07.08.1995; http://www. S. 6. Ggf. Original-PM im Netz suchen. spiegel.de/spiegel/print/d-9207955.html 19 Ein Überblick fi ndet sich hier: http://www.spiegel. 27 http://www.welt.de/print-welt/article636304/ de/spiegel/print/d-43257716.html Belgische-Blauhelme-wieder-schwer-belastet.html 20 Bericht in: Die Tageszeitung, 04.02.1991. 28 Zitiert in: Michael Birnbaum, Krisenherd Somalia. 113 Das Land des Terrors und der Anarchie, München 39 Bundesministerium der Verteidigung, 2002, S. 109. Verteidigungspolitische Richtlinien, 26.11.1992, 29 Siehe: http://www.berliner-zeitung.de/ Ziffer III.24. bundeswehr-zieht-aus-belet-huen-ab---einsatz- 40 Bundesministerium der Verteidigung, kostete-310-millionen-mark-deutsche-fl agge- Verteidigungspolitische Richtlinien, 26.11.1992, eingeholt-17394688 Ziffern IV. 45, 48 30 Michael Birnbaum, Krisenherd Somalia. 41 Bundesministerium der Verteidigung, Das Land des Terrors und der Anarchie, München Verteidigungspolitische Richtlinien, 26.11.1992, 2002, S. 121. Ziffer IV. 43 31 Eine zusammenfassende Diskussion um das BVG- 42 Angaben in: www.marine.de [abgerufen am Urteil und den schrittweisen Umbau der 29.07.16]; http://tinyurl.com/jt2zhty Bundeswehr zur Armee im Einsatz fi ndet sich 43 Einen stichwortartigen Überblick über Aktivitäten in der mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg- und Geschichte der DSK fi ndet sich auf Stiftung herausgegebenen Studie von Maybritt www.deutschesheer.com, siehe: http://tinyurl. Brehm / Christian Koch / Werner Ruf / Peter com/hbck4g3 [abgerufen am 29.07.2016] Strutynski, Armee im Einsatz. 20 Jahre Auslands - 44 Die Linksfraktion hat zu dem Untersuchungs- einsätze der Bundeswehr, Hamburg, 2012. ausschuss ein Minderheitenvotum abgegeben, 32 Die Tageszeitung, „Die Rambouillet-Lüge: siehe: „Murat Kurnaz und das KSK – Wohin die un Was wußte Joschka Fischer?“, 12.04.1999; eingeschränkte Solidarität mit den USA geführt http://www.taz.de/1/archiv/?dig=1999/04/12/ hat“; 17.12.2008, auf: www.linksfraktion.de. a0040 45 Im November 2001 stimmte der Bundestag 33 Zahlen in: Armee im Einsatz, op.cit., S. 99. zunächst der Entsendung der Bundeswehr im 34 Tagesspiegel, „Vorläufi ge Bilanz der Opfer und Rahmen des Mandats „Operation Enduring Schäden im Kosovo-Krieg liegt vor“, 04.06.1999; Freedom“ zu, dessen Einsatzgebiet sich neben in: http://www.tagesspiegel.de/politik/ Afghanistan vor allem auf die Seegebiete am Horn vorlaeufi ge-bilanz-der-opfer-und-schaeden-im- von Afrika erstreckte. Im Dezember 2001 folgte kosovo-krieg-liegt-vor/79548.html die Zustimmung des Bundestages zur Entsendung 35 Der Spiegel, „Ich darf nicht wackeln“, 05.04.1999; der Bundeswehr im Rahmen von ISAF. Im Rahmen http://www.spiegel.de/spiegel/ von OEF fanden in Afghanistan KSK-Operationen print/d-10932908.html statt. Ab 2008 wurden sie in die ISAF integriert. 36 Zitiert nach: Armee im Einsatz, op. cit., S. 97. 46 Erklärung der Bundesregierung durch den Bundes- 37 WDR, Es begann mit einer Lüge, 8. Februar 2001; minister der Verteidigung, Peter Struck, Transkription der Sendung auf: http://www. 11.03.2004; in: http://tinyurl.com/hzh966a ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/ 47 Afghanistan-Krieg (2001 – ?), 12.10.2009, URL: ard-sendung.html http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/ 38 Die Zeit, „Aus Dienst wird Ernst“, 08.04.1999; FAQ.pdf, S. 23. http://www.zeit.de/1999/15/199915.armee_. 48 Hamid Karsai, ein afghanisch-stämmiger xml Paschtune, hatte lange Zeit in den USA gelebt. 114 Laut der französischen Zeitung Le Monde soll er 57 Antwort der Bundesregierung auf eine Große unter anderem als Berater für Unocal tätig Anfrage der Linksfraktion aus 2015 Drucksache gewesen sein – jenem Ölmulti, der sich in den 18/4168, S. 72 und 73 90er Jahren vergeblich um den Bau einer Öl- 58 Diese Zahl verteilt sich auf eine geringere Zahl von Pipeline durch Afghanistan bemüht hatte. Die Personen, da viele Soldatinnen und Soldaten in Unocal Corporation, ursprünglich Union Oil mehr als einen Auslandseinsatz gegangen sind. Company of California, wurde 2005 von Chevron Das Personal der Einsatzkontingente rotiert. In der Texaco übernommen. Regel erstreckt sich ein einzelner Einsatz über 49 https://www.unodc.org/documents/ einen Zeitraum von vier bis sechs Monate. crop-monitoring/Afghanistan/Afg_Executive_ 59 SWP und German Marshall Fund of the United summary_2015_fi nal.pdf States, Neue Macht – neue Verantwortung, 2014, 50 Zitiert in: DIE LINKE (Hg.), Bundeswehr raus aus S. 14 https://www.swp-berlin.org/fi leadmin/ Afghanistan!, 2009, S. 10; https://www.die-linke. contents/products/projekt_papiere/ de/?id=1011 DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf 51 https://www.bundeswehr.de/portal/a/ 60 Bericht über Grundsatzrede des Heereschefs bwde/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy Vollmer; in: Newsletter Verteidigung, 03.05.2016, 8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKUVL3UzLzixNSSqlS90t S. 3. Sk1KKknMzkbL3kzNzMZP2CbEdFAH394xw!/ 61 Die Wirtschaftswoche, „Der Rohstoffkrieg in Mali“, 52 Haydt, Claudia, Hindukusch. Experimentierfeld 14.01.2013; http://www.wiwo.de/politik/ für zivilmilitärische Zusammenarbeit, in Wissen- europa/frankreich-der-rohstoffkrieg-in- schaft und Frieden 2006-4, http://www.wissen mali/7629346.html schaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0466 62 So heißt es in der Begründung des Antrags der 53 Stern, „Mit Todeslisten gegen die Taliban“, Bundesregierung „zur Fortsetzung der Beteiligung 10.02.2010; http://www.stern.de/politik/ bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militär- deutschland/geheimoperation-in-afghanistan-mit- mission der Europäischen Union als Beitrag zur todeslisten-gegen-die-taliban-3893264.html Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM 54 http://christinebuchholz.de/wp-content/ Mali)“, 28.01.2015, Bundestagsdrucksache uploads/2011/12/111123- 18/3836. Untersuchungsausschuss-Kundus.pdf 63 Die Tageszeitung, „Schüsse auf Frauen und 55 Einen umfassenden Einblick in die Bilanz bietet die Kinder“, 21.04.2016. Antwort der Bundesregierung auf eine Große 64 http://christinebuchholz.de/2014/11/25/ Anfrage der Linksfraktion aus 2015 Drucksache mali-nicht-nur-elend-sondern-widerstand/ 18/4168 65 von der Leyen, Ursula/BMVg (2014): Ministerin 56 Aschraf Ghani im Interview mit der Süddeutsche von der Leyen im Zeit-Interview: Tabus beiseite Zeitung, 16. Februar 2016; in: legen und offen diskutieren. http://www.sueddeutsche.de/politik/ 66 Eine Übersicht über die ersten beiden Pakete afghanistan-afghanistans-praesident-ghani- liefert das Verteidigungsministerium am wir-haben-eine-raeuberische-elite-1.2865132 23.7.2015: Übersicht der Materiallieferungen in 115 den Irak. Im Dezember 2015 kündigte Ministerin 76 Tatsächlich sind die Gesamtausgaben für das von der Leyen eine dritte Tranche von Waffen- Militärische höher als der Verteidigungshaushalt, lieferungen an, insbesondere von der Panzer- weil einige Posten in anderen Einzelplänen des abwehrwaffe MILAN. Bundeshaushaltes abgebildet werden. Dies betrifft 67 Thörner, Marc/Zeidler, Markus/Jahn, Philipp: zum Beispiel die Finanzierung von Militär- Krieg gegen den IS: Wo Deutschlands Waffen missionen der Vereinten Nationen oder die Unter- wirklich landen, in: Monitor, 15.1.2015. stützung ausländischer Streitkräfte. 68 Zur Problematik der Endverbleibserklärungen vgl. 77 Die Schätzung beruhen auf Berechnungen des Jürgen Grässlin, Netzwerk des Todes, München Stockholm International Peace Research Institute 2015, S. 258. (SIPRI); in http://www.sipri.org/research/ 69 http://www.welt.de/print/welt_kompakt/ armaments/milex/milex_database/milex_ debatte/article151268678/Gefaehrlichste- database. Weltlage-seit-Ende-des-Kalten-Kriegs.html 78 Das Korps ist vor allem eingerichtet worden, um 70 Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview Polen aktiv in die Nato-Führungsstrukturen mit mit dem Deutschlandradio. einzubinden. 2006 war es voll einsatzfähig. 2007 71 Bundesministerium der Verteidigung, übernahm es für mehr als ein halbes Jahr die Verteidigungspolitische Richtlinien, 26.11.1992, operative Leitung der ISAF-Truppen in Afghanis- Ziffer II.8. tan; 2010 wurde es erneut an der ISAF beteiligt. 72 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 79 Zitiert in Spiegel-Online, 16.04.2014; http://www. bundeswehr-in-afghanistan-koehler-entfacht-neue- spiegel.de/politik/ausland/ukraine-krise-nato- kriegsdebatte-a-696982.html verstaerkt-militaerische-praesenz-im-osten- 73 Der Generalinspekteur war bis dahin nur oberster europas-a-964783.html militärischer Berater der Bundesregierung, war 80 Vizeadmiral Andreas Krause, Inspekteur der aber kein truppendienstlicher Vorgesetzter der Marine, „Wilhelmshavener Erklärung“ zur Zukunft Streitkräfte. Infolge der Reform von 2011 wurden der deutschen Marine, 12.02.2016. ihm die Inspekteure der Teilstreitkräfte und 81 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Organisationsbereiche unterstellt. Anfrage der Fraktion DIE LINKE; 25.07.2016, 74 Das Personal verteilt sich nach den Vorgaben von Bundestagsdrucksache 18/9265. 2011 wie folgt auf die Teilstreitkräfte und 82 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/ Organisationsbereiche: Heer: ca. 57.500 Soldaten, Artikel/2016/06/2016-06-22-NATO.html Luftwaffe: ca. 22.500 Soldaten, Marine: ca. 83 Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung 13.000 Soldaten, Streitkräftebasis: ca. 37.000 zur aufgabenorientierten Ausstattung, 01.03.2016. Soldaten, Sanitätsdienst: ca. 14.500 Soldaten; in 84 Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung Ausbildung oder in anderen Organisations- zur aufgabenorientierten Ausstattung, 01.03.2016. bereichen: ca. 30.500 Soldaten. 85 Harald Kujat im Deutschlandfunk, 27.09.2014; 75 Bundesministerium der Verteidigung (Hg.), http://www.deutschlandfunk.de/ Verteidigungspolitische Richtlinien, 27.05.2011, bundeswehr-fi nanzausstattung-ist-blamabel.694. Ziffer V. de.html?dram:article_id=298751 116 86 Die Welt, „Rüstungsmängel: Bundeswehr zieht 130) sind mit einer Verspätung von über 5 Jahren mit Besenstielen ins ManöverW, 17.02.2015; und erheblichen Mehrkosten ausgeliefert worden. http://www.welt.de/politik/deutschland/ 96 Rudolf Braun, Mehrzweckkampfschiff Klasse 180, article137549045/Bundeswehr-zieht-mit- Realisierung kann beginnen, in: „Marineforum“ Besenstielen-ins-Manoever.html 7/8, 2015, S. 20-24. 87 Bayerischer Rundfunk, 11.02.2016; http://www. 97 „Bericht des BMVg zu Rüstungsfragen“, Teil 1, br.de/nachrichten/deutschland-bundeswehr- Oktober 2015, S. 116. verantwortung-100.html 98 Antwort der Bundesregierung auf eine Große 88 WAZ, 11.05.2016; http://www.derwesten.de/ Anfrage der SPD, „Haltung der Bundesregierung politik/trendwende-von-der-leyen-will-die- zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen“, bundeswehr-deutlich-vergroessern- 29.05.2013, Bundestagsdrucksache 17/11102. aimp-id11815708.html 99 Hoffnungen, dass Obama zum Ende seiner 89 Generalleutnant Jörg Vollmer, Inspekteur des Amtszeit zumindest die Praxis der Signature Heeres: „Schnell, Durchsetzungsfähig, Kampf- strikes unterbinden waren, wurden enttäuscht: stark. Elemente der Ausrichtung des Deutschen http://foreignpolicy.com/2016/04/05/obamas- Heeres“; in: Infobrief Heer, Februar 2016; http:// most-dangerous-drone-tactic-is-here-to-stay/ www.fkhev.de/fi leadmin/user_upload/daten/ 100 Marcel Dickow, Schriftliche Stellungnahme zur infobriefheer/InfoBriefHeer_1-2016.pdf Öffentlichen Anhörung des Verteidigungsaus - 90 Ursula von der Leyen, Interview in Frankfurter schusses im deutschen Bundestag, 30.06.2014; Allgemeine Sonntagszeitung, 24.07.2016. Ausschussdrucksache 18(12)148. 91 Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik 101 Newsletter Verteidigung, 29/2016, 26.07.2016 und Nutzung der Bundeswehr (Hg.), Umfassende 102 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine An- Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler frage der Fraktion DIE LINKE, Auswahlentschei- Rüstungsprojekte, erstellt von KPMG, P3 Group, dung zur Beschaffung von bewaffneten Drohnen, TaylorWessing, 30.09.2014. 26.02.2016, Bundestagsdrucksache 18/7725. 92 Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung 103 Newsletter Verteidigung, 29/2016, 26.07.2016. zur aufgabenorientierten Ausstattung, 01.03.2016. 104 Flugrevue, „Deutschland übernimmt Führungsrolle 93 Beziehungen zwischen der Bundesregierung bei europäischer Drohne“, 09.12.2015; http:// und der wehrtechnischen Industrie sowie weite- www.fl ugrevue.de/militaerluftfahrt/uav/ ren Unternehmen der Rüstungswirtschaft, deutschland-uebernimmt-fuehrungsrolle-bei- Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine An- europaeischer-drohne/659600 frage der Fraktion DIE LINKE, 10. April 2014, 105 Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundestagsdrucksache 18/1174. Bundeswehr, Antrag der Fraktion DIE LINKE, 94 Bundesregierung (2015): Strategiepapier der 21.02.2013, Bundestagsdrucksache 17/12437. Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungs- 106 Alle Zitate aus Weißbuch 2016, S.36-38, S. 93. industrie in Deutschland Berlin, 8. Juli 2015. 107 Aufbaustab Cyber- und Informationsraum: 95 „Bericht des BMVg zu Rüstungsfragen“, Teil 1, Interview mit Generalmajor Ludwig Leinhos, Oktober 2015, S. 100. Auch die Korvetten (Klasse 25.07.2016; in: http://tinyurl.com/jt5tfxz 117 108 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidi- https://www.bmvg.de/resource/resource/MzEz gungspolitische Richtlinien, 26.11.1992, Ziffer II.8. NTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2M 109 Alain Richard gegenüber der Frankfurter zEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NmYzMzc2N Allgemeinen Zeitung, 18.06.1999. jU2OTc1MzcyMDIwMjAyMDIw/Jugendoffi ziere_ 110 Rüstungsexportbericht der Bundesregierung: S.6. Jahresbericht_2015.pdf Der Gesamtwert von € 12,82 Milliarden setzt sich 121 Markus Pfl üger, Popaganda für Streitkräfte, in zusammen aus Einzelgenehmigungen (€ 7,86 Neues Deutschland vom 10.11.2010. Milliarden) und Sammelausfuhrgenehmigungen (€ 122 Siehe Bundestags-Drucksachen 17/1511 sowie 4,96 Milliarden – Sammelausfuhrgenehmigungen 18/8597 werden im Zusammenhang mit transnationalen 123 http://www.bpb.de/die-bpb/51310/ Rüstungskooperationen erteilt) beutelsbacher-konsens 111 Die Welt: „Rüstungsexporte auch im ersten Halb- 124 Unterricht muss kontrovers sein, Neues Deutsch- jahr 2016 gestiegen“, 5.7.16. Abrufbar unter: land, 22. Oktober 2010 http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/ 125 Bundestags-Drucksache 18/8597 infoline_nt/brennpunkte_nt/article156815306/ 126 http://www.linksfraktion.de/im-wortlaut/ Ruestungsexporte-auch-im-ersten-Halbjahr- offener-brief-tag-bundeswehr/ 2016-gestiegen.html 127 http://christinebuchholz.de/wp-content/ 112 Auswärtiges Amt (2015): Abschlussbericht Review uploads/2016/07/SKP1817441216070609400. 2014, S. 26. pdf 113 Merkel, Angela: „Deutschland weiß um seine Ver- 128 Björn Stephan, Bundeswehr undercover, Stern antwortung in der Welt“, Rede zum 50. Jubiläum vom 23.4.2016 http://www.stern.de/panorama/ des Bergedorfer Gesprächskreises der Hamburger gesellschaft/bundeswehr-undercover--was-ein- Körber-Stiftung, 9.9.2011. stern-reporter-als-rekrut-erlebte-6805578.html 114 Thomas de Maizière im Hamburger Abendblatt, 129 Tegtmeier, Catri; Tegtmeier, Michael A., PTBS Das zitiert in Süddeutsche Zeitung, 09.07.2011; unsichtbare Leid. Posttraumatische Belastungs- http://www.sueddeutsche.de/politik/streit-um- störung, Handbuch für Einsatzkräfte und deren panzer-lieferung-de-maizire-wuerdigt-saudi- Angehörige, Regensburg 2011, S.62 arabien-als-stabilitaetsanker-1.1118148 130 www.ngfp.de/2014/04/offener-brief-an-den- 115 Junge welt, 27.07.2016. praesidenten-der-bundespsychotherapeuten 116 FAS, 24.07.2016. kammer-vollstaendig/ 117 „Streit um die Feldjäger“, Die Tageszeitung, An die Bundespsychotherapeutenkammer 24.07.2016; http://www.taz.de/!5321585/ Gemeinsame Fortbildungen von Bundeswehr 118 Pressemitteilung des Bundesverbandes der und BPtK Berlin, 1. April 2014 Deutschen Sicherheits- und Verteidigungs- 131 So Daniel Lücking, der den Blog ‚Aufräumen, industrie (BDSV), wiedergegeben in NV 28/2016, Kamerad! Raus aus der Dunkelziffer‘ betreibt. S. 6 f. https://daniel-luecking.berlin/ptbsblog/ 119 Weißbuch, 2016, S.119 132 Fuldaer Erklärung: www.frieden-mitmachen.de/ 120 Jahresbericht der Jugendoffi ziere 2015, Seite 3: 29/truppenabzug_jetzt!_frieden_statt_krieg! 118 133 Weitere Informationen bei den beiden großen Organisationen der Friedensbewegung der ‚Kooperation für den Frieden‘ http://www.koop-frieden.de/ und dem ‚Friedensratschlag‘ http://www.friedensratschlag. de/ 134 http://www.schulfrei-für-die-bundeswehr.de/ 135 https://www.gew.de/schule/bundeswehr/ einfl uss-der-bundeswehr-an-schulen- zurueckdraengen/ 136 http://www.zivilklausel.de/ 137 http://www.imi-online.de/download/ruestungs- atlas_2012_web.pdf 138 http://www.ruestungsatlas-thueringen.de/ 139 http://www.gegenwind-online.de/stadtrund- fahrt/Bilder/AMST-Brosch2014.pdf 140 http://www.lebenslaute.net/ 141 http://www.war-starts-here.camp/

119 Impressum Herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Entstanden unter Mitwirkung von: Jacqueline Andres, Christine Buchholz (v.i.S.d.P.), Mario Candeias, Erhard Crome, Claudia Haydt, Thomas Mickan, Maria Oshana, Frank Renken, Rainer Rilling, Andreas Seifert, Ingar Solty. Layout/Satz: Thomas Herbell, Berlin Druck: MediaService, Berlin Bildnachweis: dpa (7, 21, 43), Frank Schwarz (27), Sebastian Wilke (71) CC-BY-ND 2.0, linksjugend [solid] (81), Uwe Hiksch (95) Stand: 18. August 2016