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Historische Bibliographie. Berichtsjahr ben, die sowohl Monographien als auch un- 1990. Hrsg. von der Arbeitsgemein- selbständige Arbeiten zu einer Vielzahl von schaft außeruniversitärer histori- Themen dokumentiert und deshalb vor al- scher Forschungseinrichtungen in lem dem eine große Hilfe sein dürfte, der der Bundesrepublik Deutschland, sich in ein neues Thema anhand der jüng- München: Oldenbourg 1991, 438 S.; sten Literatur einarbeiten möchte. DM 88,- Winfried Heinemann

Geschichtswissenschaft ist ein weites Feld — Militärhistoriker verlieren vielleicht manch- DDR-Bibliographie 1984-1986. Im mal die Perspektive dafür, wie weit. Wer die Auftrag des Dokumentationszen- hier zu besprechende Bibliographie in die trums Deutsche Landeskunde des Hand nimmt, wird nachhaltig wieder dar- Faches Geographie. Universität an erinnert. Von den methodischen Grund- Trier, hrsg. von Walter Sperling, fragen über die Ur- und Frühgeschichte, das München u.a.: Saur 1991, 625 S. Altertum, über das Mittelalter bis hin zur (= Bibliothek zur regionalen Geo- neuesten Zeit ist alles vertreten. graphie und Landeskunde, 8); Eine Uberblicksbibliographie, die die DM 64- Spannweite der Geschichtswissenschaft nachhaltig dokumentiert, kann notwendi- Diese Bibliographie ist der dritte Band ei- gerweise in den Einzeldisziplinen nicht so nes umfassenden Literatur-Verzeichnisses detailliert sein, wie es etwa der »War and So- über die ehemalige DDR. Nicht nur die ciety Newsletter« für sein Fachgebiet ist. So geographische Landeskunde mit allen ihren wird lediglich für Deutschland in die Epo- Einzelheiten wurde erfaßt, sondern auch chen »1914-1918«, »1918-1933«, »1933- Beiträge über Bevölkerung, Gesellschaft, 1945« und »Deutschland nach 1945« einge- Kultur, Geschichte, Politik, Recht, Verwal- teilt, für alle anderen europäischen Länder tung, Wirtschaft, Siedlung, Wohnungswe- wird die Zeit nach 1914 der Einfachheit hal- sen und Umweltfragen. ber zusammengefaßt. Dabei sind auch militärpolitische Veröf- Auch bei der Auswahl der auszuwerten- fentlichungen enthalten. Damit erhält die den Publikationen mußte offenbar eine en- zeitgeschichtlich-sicherheitspolitische For- ge Grenze gezogen werden: Die Militär- schung einen breiten Fundus, wenn es dar- geschichte, zum Beispiel, ist nur mit den um geht, das aufzuarbeiten, was man in und »Militärgeschichtlichen Mitteilungen« im aus den neuen Wehrbereichen für die Bun- entsprechenden Verzeichnis vertreten — desrepublik Deutschland übernommen hat. wenn auch einzelne Aufsätze der (alten) Insofern vermittelt diese Bibliographie ei- »Militärgeschichte« berücksichtigt sind; an- nen sowohl umfangreichen wie auch spe- dere Zeitschriften bleiben außen vor. ziellen Zugang zu allen Fragen der ehema- Gleichwohl bleibt der Arbeitsgemein- ligen DDR. Das Verzeichnis leistet einen schaft außeruniversitärer historischer For- vorzüglichen Beitrag, die Geschichte dieses schungseinrichtungen in der Bundesrepu- Teiles von Deutschland zu erfassen, zu ver- blik Deutschland das Verdienst, wieder ei- stehen und sich ihren Problemen zu stel- ne aktuelle Bibliographie vorgelegt zu ha- len. Thomas Palaschewski

Militärgeschichtliche Mitteilungen 52(1993), S. 239—299 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.Br. 240 MGM 52 (1993) Annotationen

A Biographical Dictionary of the Brit- Kriegsbegeisterung und mentale ish Colonial Service 1939—1966, Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre zusammengestellt und eingeleitet Studien. Hrsg. von Marcel van der von Α. Η. Μ. Kirk-Greene, Mün- Linden und Gottfried Mergner un- chen u.a.: K.G.Saur 1991, VII, ter Mitarbeit von Herman de Lange, 403 S.; DM 280,- Berlin: Duncker & Humblot 1991, 296 S. (= Beiträge zur Politischen Das vorliegende biographische Findbuch Wissenschaft, Bd 61); DM 148,— stellt das erste Ergebnis des Bemühens dar, die Mitglieder des britischen Kolonialdien- Was ist Kriegsbegeisterung? Es handelt sich stes, des größten britischen Beamtenappa- um eine — historisch äußerst selten und je- rats außerhalb des Vereinigten Königreiches, weils nur sehr kurzfristig aufgetretene — Er- systematisch zu erfassen und sie mit knap- scheinungsform von Kriegsmentalität. pen Angaben zur Person in publizierter Ebenso wie die fatalistische Hinnahme von Form der Forschung zugänglich zu ma- Krieg oder der widerwillige Gehorsam bil- chen. Verantwortlich für dieses Projekt, das det die Kriegsbegeisterung eine situations- vor allem der personen- und kolonialge- bedingte Variante in dem breiten Spektrum schichtlichen Forschung Großbritanniens kriegsbejahender Einstellungsmuster. zugute kommt, zeichnet der an der Univer- Der Sammelband dokumentiert 16 Vor- sität Oxford lehrende Afrika-Historiker träge von Wissenschaftlern aus mehreren Kirk-Greene. Alle Angaben des Werkes, das europäischen Ländern, die im Oktober den Zeitraum vom Kriegsausbruch 1939 bis 1988 während eines Symposiums in Gro- zur Auflösung des Colonial Office und der ningen/Niederlande im weiteren Umfeld Übernahme der Mitarbeiter in das Com- des Themas »Kriegsbegeisterung« gehalten monwealth Relation Office im Jahre 1966 wurden. Wie der Einleitung der Herausge- umfaßt, entstammen direkt und unbearbei- ber zu entnehmen ist, hatte man sich vor- tet den offiziellen biographischen Eintra- genommen, die folgenden Fragen zu erör- gungen der (seit 1862) jährlich erschienenen tern: »Was ist Kriegsbegeisterung? Durch sogenannten Colonial Office List. Voraus- welche gesellschaftlichen und individuel- setzung für eine Aufnahme in diese Lists len Faktoren wird sie bestimmt? Wie ließe war allerdings, daß der/die Beamte(in) auf sich die mögliche Zustimmung weiter Be- eine zehnjährige Dienstzeit entweder im völkerungskreise zum Krieg verhindern?« britischen Kolonialdienst oder im Colonial (S.22) Office in London verweisen konnte. Das Offenbar ist die Tagung an der Komple- mit den Namen von etwa 15000 Männern xität dieses Themas gescheitert, was die und Frauen gespickte Kolonial-»Who's Herausgeber auch selbst in bemerkenswer- Who« erleichtert zwar manch mühselige ter Offenheit einräumen. Sie lassen einlei- Detektivarbeit, da die entsprechende Jahres- tend wissen, die Unschärfe der Begriffe ha- liste nicht mehr zu Rate gezogen werden be »die wissenschaftliche Grenze des Sym- braucht, doch ermüdet die Aufschlüsselung posiums« markiert, und die oben genannten der komprimierten und in abgekürzter Zielfragen hätten »nicht beantwortet wer- Form dargebotenen biographischen Anga- den« können (ebd.). Statt eines Ergebnisses ben. Gleichwohl wäre es zu begrüßen, wenn oder wenigstens einer These kann der Band das ambitionierte Projekt weiter verfolgt daher lediglich »die Vielseitigkeit der An- würde, um auch die Kolonial-Prosopogra- näherungen an die Phänomene der menta- phien ab 1862 zu berücksichtigen. len Zustimmung der Opfer und Täter zum Rolf-Harald Wippich Krieg dokumentieren« (ebd.). Annotationen MGM 52(1993) 241

Die einzelnen, teilweise durchaus gehalt- formen und Stadtgründungen, über. Der vollen Beiträge befassen sich mit unter- zweite Teil bietet eine Beschreibung der schiedlichen Aspekten von Kriegsmentali- frühneuzeitlichen Territorien, ihrer äuße- tät im 19. und 20. Jahrhundert, so zum Bei- ren Bedrohung durch Moskau und Istanbul spiel mit den verschiedenen Formen der sowie der inneren geistigen, sozialen und re- Mythologisierung des Krieges in der bilden- ligiösen Bewegungen: Humanismus und den Kunst, in der Literatur, in Kinofilmen Universitäten, Hussiten, Reformation und und in der politischen Propaganda. Einen Gegenreformation seien als Stichworte ge- Schwerpunkt bildet die differenzierende Be- nannt. Der dritte und letzte Teil ist dann trachtung der angeblich allgemeinen natio- dem modernen Fürstenstaat und der Adels- nalistischen Kriegsbegeisterung in Deutsch- kultur gewidmet. Leider war es dem Autor land im Jahre 1914. Wolfram Wette nur noch vergönnt, den ersten Abschnitt über den Aufstieg des Hauses Habsburg zu vollenden. Ein Nachwort über Conze als Osteuropahistoriker von Klaus Zernack und weiterführende bibliographische Hin- Werner Conze, Ostmitteleuropa. weise runden das Ganze ab. Von der Spätantike bis zum 18. Jahr- Wenn von einem ausführlichen Referie- hundert. Hrsg. und mit einem ren des Inhalts an dieser Stelle abgesehen Nachwort von Klaus Zernack, werden muß, so bleibt doch festzuhalten: München: Beck 1992, VIII, 264 S.; Von einem Fragment kann nicht die Rede DM 58- sein, alles ist miteinander verbunden, kon- sequent durchgefühlt und stilsicher ausfor- Aus dem Nachlaß stammende Werke wer- muliert. Gerade die gelungene Verknüpfung fen oft nicht bloß für den Herausgeber, von Ereignis- und Strukturgeschichte macht sondern auch für den Rezensenten einige den Reiz dieses Werkes aus; die mit siche- durch ihre Entstehung bedingte Probleme rer und leichter Hand entworfenen über- in der Beurteilung auf; ganz anders ist es greifenden Zusammenhänge dürften dem bei diesem Buch. Die Veröffentlichung ei- Leser interessante Einsichten vermitteln. Be- nes Manuskripts des 1986 verstorbenen sonders beeindruckend ist immer wieder Werner Conze, dessen große Bedeutung Conzes souveränes wissenschaftliches Ur- für die deutsche (Sozial-)Geschichtsschrei- teil bei traditionell belasteten Themen: Hier bung hier nicht noch einmal betont wer- wird nüchtern und klar abgewogen und den muß, kann nur als überaus verdienst- überzeugend mit unseligen nationalisti- voll begrüßt werden. Gegenstand seiner schen Mythen aufgeräumt, die auch durch Darstellung ist die Entwicklung des »ge- ihre gebetsmühlenartige Wiederholung schichtlichen Raums« Ostmitteleuropas nicht wahrer werden. Wer eine ausgezeich- von seinen Anfängen in der Spätantike bis nete Einführung in die Geschichte Ostmit- zum 18. Jahrhundert. teleuropas sucht, der greife zu diesem Buch. Nach einer, die zentralen historischen Ent- Rainer Brüning wicklungsgänge, Begriffs- und Forschungs- geschichte skizzierenden Einleitung beginnt der erste Teil des Werkes mit der römisch- christlichen Mission und leitet mit der Herrschafts- und Nationsbildung des Hoch- mittelalters zum Landesausbau im 12.-14. Jahrhundert, seinen bäuerlichen Siedlungs- 242 MGM 52 (1993) Annotationen

Deutschland in Europa. Ein histori- und schlägt damit eine Brücke zur frühen scher Rückblick. Hrsg. von Bernd Neuzeit. Damals, zwischen 1500 und 1789, Martin, München: Deutscher Ta- entwickelte sich Volker Reinhardt zufolge schenbuch Verlag 1992, 292 S.; ein »nicht selten über?teigerte[s] [...] deut- DM 14,80 sche^] Nationalbewußtsein« (S. 101), das die Defizite und Mängel der deutschen Nach der Vereinigung Deutschlands wur- Reichsverfassung kompensieren sollte. de an der Universität Freiburg im Winter- Auch wenn sich bei den von Reinhardt an- semester 1990/91 eine historische Ringvor- geführten Humanisten eine derartige Auf- lesung zur deutschen Frage veranstaltet. Die fassung belegen läßt, ist es mehr als fraglich, vierzehn Vorträge der Freiburger Histori- ob die öffentliche Meinung diese Empfin- ker, die die Verflechtung europäischer und dungen teilte. Sehr viel differenzierter geht deutscher Geschichte von der Spätantike bis Ernst Schulin vor, der im 18. Jahrhundert zur Gegenwart thematisieren sollten, liegen zwischen Reichspatriotismus, vaterländi- nun in einem von Bernd Martin herausge- schem Bewußtsein für deutsche Einzelstaa- gebenen Sammelband gedruckt vor. Ein ro- ten und dem Bewußtsein von der Kultur- ter Faden, der die Beiträge zusammenhält, nation Deutschland unterscheidet. Vor die- ist indes nicht erkennbar. sem Hintergrund entwickelte sich in An- Jochen Martin sieht in dem besonderen lehnung an und dann in der Abwehr gegen Verhältnis der Germanen zum Römischen das revolutionäre französische Nationalbe- Reich und der spätantiken Vorstellung vom wußtsein der spezifisch deutsche Nationa- Imperium Romanum als einer »tendenziell lismus in der Romantik. universalen« Ordnungsvorstellung (S. 16) Die mit dem Versuch einer deutschen wesentliche Voraussetzungen für das Reich Reichsgründung in den Jahren 1848/49 ver- des Mittelalters. Hubert Mordek würdigt bundenen Probleme schildert Heinz Hole- Karl den Großen als Schöpfer eines Groß- czek, dessen These, »daß dieser erste revo- reiches, das römische Traditionen aufnahm. lutionäre Versuch einer Nationalstaatsbil- Zu Recht betont der Autor, daß es sich bei dung [...] an der Unvereinbarkeit von libera- diesem Imperium nicht um den Vorläufer len Grundsätzen und parlamentarischen eines geeinten Europas, sondern um ein Methoden mit den nationalistischen Zielset- »völkerübergreifendes und -integrierendes zungen in Deutschland gescheitert« (S. 127) zentraleuropäisches Reich« (S. 39) unter sei, fragwürdig erscheint, da Liberalismus, fränkischer Führung handelte, das die Ba- Konstitutionalismus und Nationalismus sis für die Entstehung des deutschen und 1848 untrennbar miteinander verbunden französischen Volkes bildete. Unter den Ot- waren. Der Versuch von Hugo Ott über die tonen und Saliern, den Erneuerern der rö- Reichsgründung von 1871 bleibt oberfläch- mischen Kaiserwürde im 10. und 11. Jahr- lich, da er weder Bismarcks Politik gerecht hundert, entwickelten, wie Thomas Zotz dar- wird, noch der Frage nach der Vereinbarkeit legt, die deutschen Stämme ein besonderes des Deutschen Reiches mit dem europä- Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch die ischen Staatensystem nachgeht. Inwieweit päpstliche Bezeichnung des Reiches als »reg- die vor dem Ersten Weltkrieg in Deutsch- num Teutonicorum« verstärkt wurde. land, Frankreich und Großbritannien »zu- Michael Borgolte wendet sich dem »hoch- nehmende Bedrohungspsychose« (S. 183) mittelalterlichen >Aufbruch< in die neuzeit- auf dem Bild, das das wilhelminische Reich liche Weltkultur« (S. 77) zu, die in der deut- bot, und der deutschen Reaktion auf Kritik schen Ostsiedlung vom 12. bis zum 15. Jahr- in ausländischen Zeitungen beruhte, geht hundert ihren sichtbaren Ausdruck fand, aus dem Beitrag Gerd Krumeichs hervor. Annotationen MGM 52 (1993) 243

Bernd Martin zeigt, daß das in der Wei- Die unüberbrückbar scheinenden sozial, marer Republik vorherrschende antidemo- rassisch, politisch und auch religiös begrün- kratische Denken Hand in Hand mit einer deten Gegensätze vor allem in Nordirland Flucht ins Irrationale ging. Während sich beruhen so sehr auf einem unterschiedli- die Rechten an einem schwer faßbaren chen Verständnis irisch-britischer Geschich- Reichsmythos orientierten, kämpften die te, daß ein solcher Versuch von vornherein Kommunisten für die Weltrevolution, und mit Fragezeichen behaftet ist. Beckett selbst die Republik blieb auf der Strecke. Die Per- bezeichnet es als Maxime irischer Politik, version der Reichsidee durch den National- »die Wählerschaft [sei] leichter zu beeinflus- sozialismus behandelt Hans Fenske, der be- sen, wenn man sich auf historische Ereig- tont, daß zwischen »dem Germanischen nisse und Persönlichkeiten [beruft], als Reich deutscher Nation Hitlers und dem wenn man auf die Probleme des täglichen Dritten Reich, das sich viele Deutsche er- Lebens« eingeht (S. 236). träumten«, eine große Diskrepanz bestand Der vorliegende Band stammt von einem (S. 220). Welches Schicksal die Siegermäch- Professor der Queen's University, Belfast, te dem deutschen Reich zugedacht hatten, und wird von daher jedem· republikanisch ist das Thema von Hans-Erich Volkmann, gesinnten Iren verdächtig sein. Und so wür- der — im Unterschied zu einer weit verbrei- de ein solcher irischer Nationalist wohl zu teten Auffassung — Stalin keine Teilungsab- Recht bemängeln, daß die Mißhandlung sichten unterstellt. und Verfolgung katholischer Priester unter Der Nachkriegszeit ist bedauerlicherwei- Heinrich VIII. und Elisabeth I. doch etwas se nur ein Beitrag gewidmet, in dem Ulrich bagatellisiert wird, oder daß es sehr vor- Kluge die deutsch-deutschen Wirtschafts- schnell ist, die Verantwortung des britischen beziehungen zwischen 1945 und 1989 Herrschaftssystems für die große Hungers- knapp skizziert. Das Resümee zieht Gott- not der Jahre 1847—1849 mit dem Hinweis fried Schramm, der sowohl die gemeineuro- zu kaschieren, die Regierung habe ohnehin päischen als auch die spezifisch deutschen nicht anders handeln können. Dieser Kritik Züge unserer Vergangenheit herausarbeitet. kann man auch nicht allein mit dem Hin- Sein abschließender Blick in die Zukunft weis begegnen, auf 267 Seiten könne man ist optimistisch, da diesmal — im Unter- eben diese Dinge nicht differenzierter be- schied zum Kaiserreich — »kein verhäng- trachten, denn auf diesen 267 Seiten geht nisvoller Konstruktionsfehler« in unserem der Autor teilweise doch sehr ins Detail. Haus stecke (S. 287). Eine solche Prognose Aber wenn es nun ohnehin fast unmög- erscheint indes fragwürdig, da die Prämis- lich ist, irische Geschichte unparteilich zu se, auf der sie beruht, keineswegs unumstrit- schreiben, dann muß man dem Beitrag von ten ist. Hermann Wentker Beckett zugutehalten, daß er einen eher loy- alistischen Standpunkt schlüssig darlegt und präzise analytisch erläutert. Dieser Teil ist ein guter Einstieg für den, der sich vorher James Camlin Beckett, Geschichte Ir- oder nachher auch um die andere Sicht der lands. Bis zur Gegenwart fortgeführt Dinge bemüht1. Ein solches Bemühen von Karl H. Metz, 3. erweiterte Auf- wird man dem kurzen Aufsatz von Metz lage Stuttgart: Kröner 1991, VIII, uneingeschränkt bescheinigen können, der 280 S.; DM 25,- die Darstellung bis zur Gegenwart erweitert und dabei auch den Modernisierungsschub Es ist fraglich, ob man überhaupt die Ge- erwähnt, den die Republik Irland zwischen schichte Irlands objektiv schreiben kann. dem Eintritt in die Europäische Gemein- 244 MGM 52 (1993) Annotationen

schaft 1971 und der Wahl ihres ersten weib- stei (Heinrich Grüger). Den Abschluß des lichen Staatsoberhauptes 1991 erfahren hat. Werkes bilden kurze familiengeschichtliche Winfried Heinemann Ausführungen über die sogenannten Vet- tern von Wahlstatt, ein Literaturverzeich- nis zur Schlacht sowie Zusammenfassungen 1 Was etwa der Forschungsbericht von Jim der Beiträge in polnischer Sprache. Smyth, »An Entirely Exceptional Case«. Ire- land and the British Problem, in: The Histori- Wie bei einem Sammelband üblich, vari- cal Journal, 34 (1991), S. 999-1007, erleichtert. ieren die Aufsätze sowohl in ihrem jeweili- gen Umfang wie in ihrer Qualität. Uber- zeugend wirkt die Distanz, mit der sich der Großteil der Autoren dem legendenüber- Wahlstatt 1241. Beiträge zur Mongo- wucherten Thema stellt. Der Herausgeber lenschlacht bei Liegnitz und zu ih- bringt es auf den Punkt, wenn er formu- ren Nachwirkungen. Im Auftrag der liert: »So sind die Nachwirkungen und Be- Stiftung Kulturwerk Schlesien hrsg. wertungen der Schlacht von Wahlstatt fast von Ulrich Schmilewski, Würz- interessanter als die Schlacht selbst.« (S. 8) burg: Bergstadtverlag Korn 1991, Uber die verdienstvolle ereignisgeschicht- 264 S.; DM 28,- liche Rekonstruktion hinaus kommt daher gerade denjenigen rezeptionsgeschichtlichen Rechtzeitig zum 750. Gedenkjahr der Arbeiten besondere Bedeutung zu, die die Schlacht bei Liegnitz dokumentiert dieses unselige Kontinuität nationalistischer bezie- Buch die gegenwärtige Forschungslage in ih- hungsweise abendländischer Geschichtsklit- rer Bandbreite. Nach einem allgemeinen terung vor allem im deutsch-polnischen Uberblick über Schlesien im 13. Jahrhun- Spannungsfeld belegen: Nicht nur Äuße- dert (Ulrich Schmilewski) wird das Ereignis rungen Hermann Aubins von 1941, son- sowohl aus mongolischer (Hansgerd dern auch zahlreiche Nachkriegsstimmen Göckenjahri) und westeuropäischer Perspek- bis hin zu Formulierungen aus der Feder tive (Felicitas Schmieder) wie unter dezidiert Ottos von Habsburg über die Gefahr aus militärgeschichtlichen Aspekten (Richard dem Osten selbst im Jahre 1975 werden hier von Donat) betrachtet. Dem schließen sich aufgeführt. Erörterungen zu speziellen Quellenproble- Einzig Richard von Donat scheint in sei- men an: über den historischen Wert der nem Beitrag von einer Reflexion über die Chronik des Jan Dlugosz aus dem 15. Jahr- Geschichte der Worte unberührt, wenn er hundert (WinfriedIrgang) und über die Fra- sich unter anderem immer noch über den ge nach der Teilnahme des Deutschen Or- Gegensatz von Europa und Asien, die ein- dens an der Schlacht (Tomasz Jasinski). Zwei same Tapferkeit Herzog Heinrichs, seine weitere Beiträge befassen sich mit der Re- Aufopferung für sein Land und Europa so- zeptionsgeschichte in der deutsch-polni- wie das Schicksal allgemein ausläßt. Wirk- schen Geschichtsschreibung (Matthias We- lich interessant sind die kunstgeschichtli- ber) und in der deutschen Literatur (Wer- chen Aspekte des Themas Mongolen- ner Bein). Auch die Kunstgeschichte kommt schlacht, doch hätte man sich zum Beispiel nicht zu kurz, wenn über mittelalterliche in dem Aufsatz von Vera Schmilewski noch Bildzeugnisse der Schlacht (Vera Schmilews- eine stärkere ikonologisch-geschichtswissen- ki) und die barocke Benediktinerabtei Wahl- schaftliche Einordnung der Bildquellen ge- statt (Bernhard Rupprecht) informiert wer- wünscht, die deutlich über den Rahmen ei- den, dazu gehört ein allgemeiner Uberblick ner bloßen Bildbeschreibung hinausgeht. über die Geschichte der Benediktinerprob- Bedauerlich ist insgesamt, daß der Heraus- Annotationen MGM 52 (1993) 245 geber eine lediglich formale Einheitlichkeit Geschichte, der Jurisprudenz, der Politik- der Texte anstrebte. Mit Sicherheit kann es wissenschaft — kann seine einleitende Ge- nicht seine Aufgabe sein, ein vermeintlich dankenführung nur als unglücklich bezeich- glattes Bild der Schlacht zu konstruieren, net werden. Duchhardt bemängelt, daß bis- doch etwas mehr Organisation hätte nicht herige »Deutsche Verfassungsgeschichten« geschadet: Nicht so tragisch ist, daß man — mit wenigen Ausnahmen — konsequent gewisse Tatsachen wie zum Beispiel die tra- ausschließlich die deutsche Verfassungsent- ditionelle mongolische Kriegslist der wicklung ins Auge gefaßt hätten; seine ei- Scheinflucht bei den verschiedenen Auto- gene Darstellung aber unterscheide sich von ren x-mal wiederholt findet, einzelne Uber- diesen Arbeiten methodisch durch ihren schneidungen und Widersprüche in den komparativen Ansatz: Die verfassungsge- Darstellungen auftauchen. Wenn aber schon schichtliche Darstellung im frühneuzeitli- die Verfasser keinen Dialog untereinander chen deutschen Reich »ist also eingebettet führen, wäre es dann nicht die Aufgabe ei- in einen europäischen Kontext, wird kon- nes Herausgebers, in einer mehr als zwei frontiert und in Parallele gesetzt zu den Seiten langen Einführung die zentralen Pro- gleich- oder andersartigen Entwicklungen bleme etwas breiter vorzustellen und zu- in den west- und in Ausnahmefällen auch mindest anzudiskutieren? ostmitteleuropäischen Nachbarstaaten« Ein vermutlich durch die Entstehungsge- (S. 9). Es fragt sich allerdings nach diesen schichte des Werkes bedingtes Kuriosum für Überlegungen, warum ein Werk, das sich Nicht-Landeshistoriker bilden schließlich selbstbewußt als erster zaghafter Schritt in die ahnengeschichtlichen Ausführungen Richtung einer vergleichenden europäischen über die einzelnen Adelsgeschlechter der Verfassungsgeschichte versteht, schließlich Vettern von Wahlstatt, die jeweils von Mit- doch unter dem Titel einer »Deutschen Ver- gliedern dieser Familien verfaßt wurden. fassungsgeschichte« vorgelegt wird. Eben- sowenig kann es überzeugen, wenn eine von Rainer Brüning der Verpflichtung des »Zusammenwach- sens der europäischen Staaten« (S. 9) getra- gene Arbeit in einer anschließenden drei- Heinz Duchhardt, Deutsche Verfas- seitigen, »nur das allerwichtigste Schrift- sungsgeschichte 1495—1806, Stutt- tum« (S. 260) verzeichnenden Auswahlbi- gart, Berlin, Köln: Kohlhammer bliographie nicht einmal auf Klassiker der 1991, 270 S. (= Urban-Taschenbü- Verfassungsgeschichte anderer europäischer cher, Bd 417); DM 28,- Staaten verweist.

»An >Deutschen Verfassungsgeschichten<, Duchhardt präsentiert seinen Stoff, den sei es von historischer oder rechtsgeschicht- er zusätzlich um Aspekte der Sozial-, Men- licher bzw. öffentlichrechtlicher Seite, sei es talitäts-, Kirchen-, Wirtschafts-, Strafrechts- älteren oder neueren Datums, besteht kein und politischen Ideengeschichte anzurei- Mangel« (S. 7). Der Leser, durch diesen er- chern verspricht, übersichtlich in fünf Ka- sten Satz des Vorwortes offensichtlich zum piteln mit Schnittstellen an den Jahren Weiterlesen gerade dieser Darstellung moti- 1495,1555,1648,1740 und 1806. Bei einer viert, erfährt nur eine Seite später, »daß eine Darstellung, die auf größere, vereinfachen- allgemein anerkannte Definition von Ver- de Linien verzichtet, droht mitunter die fassungsgeschichte noch nicht zur Verfügung Lesbarkeit zu schwinden. Das beginnt mit steht« (S. 8). In Hinblick auf den vom Ver- Abstraktionen wie »Verdichtung und Inten- fasser ins Auge gefaßten Adressatenkreis sei- sivierung des Reiches als Reflex von Absti- ner Überblicksdarstellung — Studenten der nenz und Interessenverlagerung der Krön- 246 MGM 52 (1993) Annotationen gewalt« (S. 27), deren Verständnis ohne ent- cher, durch die schwedisch dominierte sprechendes Hintergrundwissen bei dem Herrschaft verordneter Feste, Erbhuldigun- angepeilten Adressatenkreis wohl kaum er- gen, Dank- und Trauerfeierlichkeiten bis wartet werden kann, und endet bei den in hin zu den standardisierten täglichen Ge- unangenehmem Kleinstdruck eingefügten beten beziehungsweise den mehrfach jähr- schmalen Exkursen, die explizit auf die eu- lich auferlegten Büß- und Bettagen mit dem ropäische Entwicklung Bezug nehmen; der entsprechenden Zeremoniell; bemerkens- Erkenntniswert einer Komparation vielfach wert, daß Brüning hinterfragt, welche aus ihrem Zusammenhang gerissener Ein- »Schwierigkeiten bei der Durchsetzung« zu zelphänomene, die mit wenigen Begriffen, vermerken sind, wie die Bevölkerung rea- Personen und Fakten den Hintergrund gierte (S. 116). Anerkennenswert an dieser kaum auszuleuchten vermögen, ist dabei Analyse über Repräsentation und Diszipli- eher zweifelhaft (S. 91, 118f., 165f., 225f.). nierung in einem gut überschaubaren spät- Mit resümierenden Urteilen wie: »Die deut- feudalen Territorium mit staatsrechtlich sche Ständeversammlung ist im europäi- deutschen Strukturen und einer absolutisti- schen Vergleich teils eine absolut einzigar- schen Herrschaft im »Mutterland« ist der tige Erscheinung, teils sind Parallelen fest- breite Quellen- und Anmerkungsteil, der zustellen« (S. 42), wird sich wohl kaum eine die Darstellung der Verordnungen, ihre Ge- vergleichende europäische Verfassungsge- schichte und Durchsetzung ausleuchtet, na- schichte begründen lassen. turgemäß schwächer jener Aspekt, der die Als Einführung zu schwerfällig und zu Haltungen breiter Bevölkerungsteile reflek- breit, methodisch unzureichend in ihrem tiert. Der Autor gesteht: »über die konkre- Anspruch, über die deutsche Verfassungs- ten Reaktionen« auf beispielsweise Dank- entwicklung hinaus europäische Linien ein- gottesdienste und Feiern »liegen keine Zeug- zubeziehen, als wissenschaftliche Ausarbei- nisse vor« (S. 70). Teilweise konnte Brüning tung nicht konzipiert — es bleibt die Frage, erfreulicherweise Spitzelberichte und Ein- aus welchen überzeugenden Gründen insbe- schätzungen über die Pastoren nutzen, so sondere nach den jüngeren Arbeiten von das Verhalten der Menschen andeutungs- Boldt, Kroeschell, Kimminich, Menger und weise erfassen, eine Tendenz belegen, daß Willoweit auf Duchardts »Deutsche Verfas- die Untertanen mit wachsender Krise des sungsgeschichte 1495—1806« zurückgegrif- schwedischen Absolutismus die obrigkeit- fen werden sollte. Joachim Bahlcke lichen Ansprüche negierten. Obwohl er- klärlich, mindert diese Einschränkung den Wert der Untersuchung. Andererseits belegt der Autor an der Haltung der Geistlichen, daß die Erfolgsfeiern in der Anfangsphase Rainer Brüning, Herrschaft und Öf- des Nordischen Krieges der Obrigkeit er- fentlichkeit in den Herzogtümern möglichten, »die Absicherung ihrer Herr- Bremen und Verden 1697—1712, schaft durch eine langfristige Prägung von Stade: Ditzen 1992, 190 S. (= Schrif- >Körper< und > Geist< der Bevölkerung, die tenreihe des Landschaftsverbandes Herstellung eines geschlossenen Unterta- der ehemaligen Herzogtümer Bre- nenverbands« zu fördern (S. 118). Eine wei- men und Verden, Bd 5) tere Stärke erwächst aus der fundierten Dar- stellung der Mittel zur Disziplinierung, der Anliegen des Autors dieser interessanten »Verherrlichung des religiös legitimierten Abhandlung zur gemeinsamen deutsch- absolutistisch-patriachalischen Regimes« schwedischen Geschichte des genannten (S. 118). Jörg-Peter Findeisen Zeitraumes ist die Untersuchung öffentli- Annotationen MGM 52 (1993) 247

Jörg-Peter Findeisen, Karl XII. von deren auch in diesen Kriterien voianzu- Schweden. Ein König, der zum My- stellen« (S. 254). thos wurde, Berlin: Duncker & Ein gewisses Unbehagen scheint sich beim Humblot 1992, 276 S.; DM 78,- Verfasser am Ende des Buches doch einzu- schleichen, wenn er an Psychologen und Wie bereits im Vorwort angedeutet, zielt die Theologen appelliert, dem Historiker zu neue Biographie über Karl XII. in erster Li- Hilfe zu eilen, um das Rätsel Karls XII. zu nie auf ein breites deutschsprachiges Lese- lösen. Es erhebt sich dabei generell die Fra- publikum. Für dieses wird noch einmal im ge, ob eine derartige Biographie heute noch traditionellen Stile der Ereignis- und Mili- befriedigen kann und es nicht von vornher- tärgeschichte das bewegte Leben des Hel- ein einer anderen Methode bedurft hätte, denkönigs von der Wiege bis zur Bahre, von um den im Untertitel beschworenen My- Schlacht zu Schlacht, detailliert und sprach- thos als solchen überhaupt ernst zu neh- lich sehr gekonnt nacherzählt. Eine schma- men? Überlegungen, wie sie nicht nur le Auswahlbibliographie, eine Zeittafel, Per- Jacques LeGoff am Beispiel einer möglichen sonen- und Ortsregister sowie 31 Abbildun- Biographie über Ludwig den Heiligen an- gen vervollständigen das Buch. stellt (Wie schreibt man eine Biographie?, Für den vorbelasteten Leser ist der Er- in: Fernand Braudel u. a., Der Historiker als kenntnisgewinn wohl eher gering zu ver- Menschenfresser. Uber den Beruf des Ge- anschlagen. Angesichts der Flut von Lite- schichtsschreibers, Berlin 1990, S. 103—112), ratur über Karl XII. und seine Zeit hat mögen sich hier geradezu aufdrängen. So der Autor legitimerweise auf eine eigene muß es aber heißen: Nichts Neues über intensive Quellenarbeit verzichtet und Karl XII. Rainer Brüning stützt seine Darstellung auf die gängigen ge- schichtswissenschaftlichen Arbeiten. Ge- genüber den nicht wenigen, wahrscheinlich stets offen bleibenden Fragen der Forschung bezieht Findeisen an entscheidenden Punk- Deutsche und Polen in der Revolution ten klar Stellung, eindeutig beantworten 1848/1849. Dokumente aus deut- kann er sie allerdings auch nicht. Bedauer- schen und polnischen Archiven. lich ist, daß der interessierte Leser nichts Hrsg. für das Bundesarchiv von über die Entstehungsgeschichte des Werkes Hans Booms und für die General- erfährt. direktion der staatlichen Archive Im Vorwort wird die Geschichtsschrei- Polens von Marian Wojciechowski. bung der ehemaligen UdSSR und DDR ge- Bearb. von Heinz Boberach, Brigit- streift, zum Schluß eine Skizze mit einigen te Booms, Edward Frjcki, Stanislaw herausragenden Urteilen über den Schwe- Klys, Stanislaw Nawrocki, Hans denkönig aus den vergangenen zweieinhalb Schenk, Boppard a.Rh.: Boldt 1991, Jahrhunderten angedeutet. Letztlich gelangt X, 787 S. (= Schriften des Bundes- man wiederum zu Karls besonderer Ver- archivs, Bd 37); DM 120,- bundenheit mit seinen Soldaten und seinem persönlichen schonungslosen Einsatz. Find- Der Band bildet nach den Worten der Her- eisen konstatiert: ausgeber den Auftakt für eine Editionsrei- »es dokumentierte eine bis in unsere Ta- he zu »Ereignissen, die sowohl die Deut- ge geschätzte Eigenschaft eines >Leiters<, schen als auch die Polen interessieren und nicht mehr von anderen zu fordern als deren Zahl groß ist« (S. V). Ziel dieser Rei- von sich selbst, die eigene Person den an- he ist es, über die Aufarbeitung der gemein- 248 MGM 52 (1993) Annotationen

samen deutschen und polnischen Geschich- die Revolutionstruppen durch Ludwik Mie- te »einen Beitrag zur neuen friedlichen Zu- roslawski führte. Vor diesem Hintergrund sammenarbeit der beiden Völker Europas liegt es nahe, daß der Band auch für die mi- [zu] leisten« (ebd.). 164 Quellentexte aus litärgeschichtliche Forschung von großem den Jahren 1846 bis 1851 werden wieder- Interesse ist, obwohl nur 19 Dokumente di- gegeben. Diese Dokumente sind unter- rekt militärischer Provenienz — sie betref- schiedlicher Provenienz; in der Hauptsache fen zumeist das V. preußische Armeekorps handelt es sich um Berichte ziviler Verwal- in Posen — sind. Aber auch die anderen tungsstellen, daneben werden aber auch Ge- Quellen geben viel Aufschluß über die Aus- sandtschaftsberichte, öffentliche Aufrufe, einandersetzungen in Posen, die schließlich Tagebucheintragungen, Ausschnitte aus Par- von preußischen Truppen unterbunden lamentsdebatten, Petitionen sowie Doku- wurden, die strategischen Überlegungen bei mente militärischer Stellen abgedruckt. der Aufstellung einer deutsch-polnischen Zeitlich liegt das Schwergewicht auf den Demarkationslinie in diesem Gebiet sowie Monaten März bis Mai 1848, auf die 77 über den Verlauf der Kämpfe in der Pfalz Schriftstücke entfallen. Einen weiteren und in Baden. Schwerpunkt bilden Mai und Juni 1849 mit Sehr informativ sind die einleitenden 19 Dokumenten. Die Originale der meisten Überblicksdarstellungen von Stanisl aw Quellen befinden sich im Staatsarchiv Nawrocki — »Die Polen unter preußischer Posen, in der Außenstelle Frankfurt des Herrschaft 1815—1848« und »Die revolutio- Bundesarchivs und im Generallandesarchiv nären Ereignisse im Großherzogtum Posen Karlsruhe. Der gesamte Band ist konse- und Westpreußen« — und von Heinz Bo- quent zweisprachig gehalten, lediglich die berach — »Die Posener Frage in der deut- im Original ursprünglich deutschen und schen und preußischen Politik«, »Die Un- französischen Quellentexte sind nicht über- terstützung der Polen durch deutsche De- setzt worden, was wohl nur für die deut- mokraten« und »Die revolutionären Er- sche Ausgabe zutrifft. eignisse in Baden und in der Pfalz« — so- Die zeitliche Schwerpunktsetzung ist wie die 107 Kurzbiographien von deutschen ein deutliches Indiz für die thematischen und polnischen Akteuren im Anhang. Des- Schwerpunkte. Zentrales Problem des weiteren verfügt der Band über eine aus- deutsch-polnischen Verhältnisses 1848/49 führliche Bibliographie sowie ein Register, war die Frage des Großherzogtums Posen, so daß er — sieht man einmal von dem Feh- die nicht nur die preußischen Behörden, len des in diesem Zusammenhang wohl sehr sondern auch die Frankfurter Nationalver- nützlichen Kartenmaterials ab — bei der sammlung beschäftigte, nachdem es im Ausstattung, die auch 16 Abbildungen ein- April und Mai 1848 zu gewaltsamen Aus- schließt, eigentlich nichts zu wünschen einandersetzungen in dieser preußischen übrig läßt. Daß die Präsentation und Kom- Provinz gekommen war. Während hier die mentierung der Quellen dem hohen Stan- Konfliktlinien eindeutig von nationalen Ge- dard des Bundesarchivs entspricht, braucht gensätzen bestimmt wurden, spielten diese nicht eigens betont zu werden. Somit bleibt bei dem zweiten deutsch-polnischen Berüh- am Ende nur zu hoffen, daß der Band sei- rungspunkt während der Revolution kaum nen, über die eigentliche Wissenschaft hin- eine Rolle. Gemeint ist die Teilnahme pol- ausgehenden Zweck, nämlich einen Beitrag nischer Freiwilliger auf Seiten der revolu- zur Völkerverständigung zu leisten, auch er- tionären Erhebung in der Pfalz und in füllen wird, obwohl die in ihm dokumen- Baden im Frühjahr 1849, die bekanntlich tierten Ereignisse eher in die entgegenge- bis zur Übernahme des Oberbefehls über setzte Richtung weisen: Gerade die Posener Annotationen MGM 52 (1993) 249

Frage macht sehr deutlich, wie schnell die die die Lösung der »Eingeborenenfrage« in Idee vom »Völkerfrühling« 1848 von den den südafrikanischen Kolonien Transvaal politischen Realitäten überholt wurde. Be- und Natal miteinschloß, mit einem inak- reits Anfang April schwenkte die preußi- zeptablen Ultimatum an den Zulu-Herr- sche Öffentlichkeit, die im März noch die scher Cetshwayo am 11.12.1878 provoziert »Öffnung des Polen-Kerkers« in Berlin wurde. Verfolgt man den viermonatigen emphatisch begrüßt hatte, um; wenig spä- Krieg, den die Briten in Unterschätzung der ter folgte die Frankfurter Nationalversamm- gegnerischen Abwehrbereitschaft im Januar lung, die Ende Juli sich für die Aufnahme 1879 überhastet eröffneten, so erhellt, daß des größten Teils der Provinz Posen in den trotz energischen Widerstandes der Zulus Deutschen Bund und damit gegen eine ei- mit für die Briten deprimierenden Anfangs- genständige polnische Nation entschied. erfolgen, die Niederlage letzlich vorpro- Jürgen Frölich grammiert war. Sie beruhte laut Labands Befund auf der Unfähigkeit der Zulus, die traditionelle Kriegführung (Massenattacke im offenen Feld mit Stoßspeer) den neuen Methoden der westlichen Herausforderung John Laband, Kingdom in Crisis. anzupassen und die (durchaus vorhande- The Zulu Response to the British nen) modernen Feuerwaffen massiv einzu- Invasion of 1879, Manchester, New setzen. York: Manchester University Press Ein herausragender kolonial- wie militär- 1992, XI, 272 S. (= War, Armed For- geschichtlicher Beitrag, überdies eine anre- ces and Society); £ 40 gende Studie zum Verhältnis von Gesell- schaftsstruktur und Kriegführung und — Das vorliegende Werk ist insofern ein No- last not least — ein Pluspunkt für die »War, vum unter der Kolonialkriegsliteratur, als Armed Forces and Society«-Serie der Uni- dessen Hauptakteur einmal nicht die euro- versität Manchester. Rolf-Harald. Wippich päische Großmacht ist, sondern ein vom Expansionsdrang der »Weißen« bedrohtes indigenes Volk mit ausgeprägter kriegeri- scher Tradition. Daß diese Umkehr des ver- Walter Nuhn, Flammen über trauten Ansatzes ein überaus respektables Deutschost. Der Maji-Maji-Aufstand Resultat gezeitigt hat, liegt nicht allein an in Deutsch-Ostafrika 1905—1906, dem Rückgriff auf britische und südafrika- die erste gemeinsame Erhebung nische Archive, sondern vorzugsweise an schwarzafrikanischer Völker gegen der Sensibilität und Kompetenz des Autors, weiße Kolonialherrschaft. Ein Bei- das militärisch straff gegliederte Zulu-Kö- trag zur deutschen Kolonialge- nigreich als einen originären Machtfaktor schichte, Wilhelmshaven: Selbstver- in Südafrika zu begreifen sowie sein sozia- lag 1991, 179 S. les, ökonomisches und politisches »Innen- leben« transparent zu machen, bevor er sich Nachdem Nuhn bereits 1989 eine breit re- Fragen der Taktik und Strategie nähert. cherchierte Studie über den Herero-Na- Laband liefert eine umfassende Darstel- ma-Aufstand (1904—1907) in Deutsch-Süd- lung der Vorgeschichte, Geschichte sowie westafrika vorgelegt hat, läßt er in nur kur- der Beilegung des Zulu-Krieges von 1879, zem Abstand eine weitere Untersuchung zu dessen Ausbruch von britischer Seite im einer der großen Erhebungen in deutscher Rahmen imperialer Konsolidierungspolitik, Kolonialzeit, nämlich dem Maji-Maji-Auf- 250 MGM 52 (1993) Annotationen

stand von 1905/06 in Deutsch-Ostafrika, litischen, sozialen und kulturellen Faktoren folgen. Diese zweite Arbeit »aus einer Se- nicht überbewertet werden, zumal große rie kolonialgeschichtlicher Arbeiten des Teile der Aufständischen gar nicht mit dem Verfassers« — so der Autor in den einlei- »Zaubermittel« des maji maji (»Wasser-Was- tenden Bemerkungen — hat methodisch ser«) in Berührung kamen oder es sogar ab- vieles gemeinsam mit der ersten: So handelt lehnten. Überdies erfaßte der Aufstand ja es sich auch im vorliegenden Fall um eine auch nur etwa ein Drittel der Kolonie. primär kriegsgeschichtliche, der Chronolo- Schon von daher (aber auch aus anderen hi- gie des Geschehens folgende Darstellung. storischen Gründen) dürfte der Untertitel Das — nunmehr etwas häufiger belegte — etwas zu großrahmig geraten sein. Zwar ist Quellenmaterial bezieht sich wiederum in es richtig, daß im heutigen Selbstverständnis erster Linie auf Archivalien aus dem Bun- der Tansanier, namentlich ihrer Einheits- desarchiv-Militärarchiv in Freiburg sowie partei TANU, der Maji-Maji-Aufstand als auf gedruckte Erlebnisberichte von Kriegs- nationale Unabhängigkeitsbewegung und teilnehmern. Einen größeren Stellenwert er- Geburtsstunde des eigenen Staates interpre- halten missionarische Quellen. Vor allem tiert wird. Sind deshalb aber die Maji-Maji- kann der Verfasser aber in diesem Fall auch Krieger die »Vorväter der TANU« (Nuhn)? Zeugnisse der »anderen Seite«, das heißt der Ubersieht die moderne, am europäisch-na- aufständischen Afrikaner, miteinbeziehen. tionalen Modell orientierte Sichtweise nicht Es handelt sich um die sogenannten Maji- die »antinationalistischen«, rückwärtsgerich- Maji-Protokolle — 1968 aus Befragungen teten Aspekte der Erhebung und ihrer Ideo- von damals noch lebenden Aufstandsteil- logie, spricht der Autor doch selbst vom nehmern oder deren Nachkommen erstellte »engstirnigen Stammesdenken« der Auf- Aufzeichnungen (Maji Maji Research Pro- standsführer (S. 73), von »brutalem Zwang ject. Collected Papers, Dar es Salaam 1968). und Todesdrohung« (S. 85) gegenüber zö- Angesichts der Tradition afrikanischer gernden oder kolonialloyalen Afrikanern mündlicher Uberlieferung kommt diesen oder gar der »verkrusteten Feudal-Gesell- »Protokollen« ein hoher Quellenwert zu, schaft der Alten« (S. 163)? Sind schließlich und der Verfasser hat sie mit Nutzen für alle Schwierigkeiten Afrikas — hier des heu- seine Darstellung herangezogen. tigen Tansania — allein dem Kolonialismus anzulasten (S. 173), oder haben »hausge- Unzweifelhaft hat diese — trotz gelegent- machte« Probleme nicht auch ein beachtli- lich erzählerisch-fiktiver Elemente und ei- ches Gewicht? Horst Gründer ner mitunter zu pathetischen Sprache — ge- genüber der ersten an kritisch-diskursiver Konsistenz gewonnen. Etwas einseitig bleibt allerdings die Ursachenanalyse des Aufstan- 1 Graf von Götzen, Denkschrift über die Ursa- des, der sich in Wirklichkeit — wie bereits chen des Aufstandes in Deutsch-Ostafrika die von Gouverneur Götzen eingesetzte 1905, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, Bd 222, Untersuchungskommission feststellte — als Nr. 194; vgl. jetzt auch Andreas Osterhaus, »das Resultat einer Summe von Einzeler- Europäischer Terraingewinn in Schwarzafrika. scheinungen« darstellte1. Letztere werden Das Verhältnis von Presse und Verwaltung in nicht so recht evident. Auch die ideologi- sechs Kolonien Deutschlands, Frankreichs und schen Grundlagen, die Maji-Maji-Ideologie Großbritanniens von 1894 bis 1914, Frankfurt a.M. 1990, S. 181-208. und ihre Verbreitung durch den (gleich zu Anfang der Erhebung gehängten) Prophe- ten Kinjikitile, sollten meines Erachtens an- gesichts der konkreten wirtschaftlichen, po- Annotationen MGM 52(1993) 251

Dietmar Schenk, Die Freideutsche Nachdem unter anderem 1916 auch die Fra- Jugend 1913-1919/20. Eine Jugend- ge des generellen Ausschlusses jüdischer bewegung in Krieg, Revolution Mitglieder aus freideutschen Gemeinschaf- und Krise, Münster: Lit-Verlag 1991, ten kontrovers diskutiert worden war, be- 398 S. (= Geschichte der Jugend, deuteten der militärische Zusammenbruch Bd 17); DM 68,- des Kaiserreiches und die Novemberrevo- lution für die Freideutschen ein Wechsel- Nach einer forschungsgeschichtlich-metho- bad von Hoffnung und Enttäuschung, wo- dischen Einführung gliedert sich diese as- bei die »Revolution, die für die Freideut- pektreiche und besonders ideengeschichtli- schen die Stunde der >Tat< hätte werden chen Ansätzen verpflichtete Münsteraner sollen, zum Anlaß einer lähmenden Verun- Dissertation in drei Hauptkapitel. Zunächst sicherung und Zersplitterung« wurde. wird die Freideutsche Bewegung, die ihren Schließlich thematisiert der Autor Aspek- Namen aus Fichtes »Reden an die deutsche te der Rezeption, indem er am Beispiel Nation« übernommen hatte, im politischen Hans Blühers, Walter Flex', Walther Rathe- Kontext vorgestellt. Dabei spannt sich der naus und Max Schelers zeigt, wie Zeitgenos- chronologische Bogen von dem als Demon- sen »zur Mythisierung und Stilisierung der stration gegen die offizielle Säkularfeier der Freideutschen Jugend beitrugen«. Leipziger Völkerschlacht intendierten er- Wolfgang Müller sten Freideutschen Jugendtag auf dem Ho- hen Meißner im Oktober 1913 bis zur Hof- geismarer Tagung 1920 und dem Epilog der Meißner-Tagung des Freideutschen Bundes Die Flugschriften der Universitätsbi- 1923. Die Analyse verdeutlicht nicht nur bliothek Eichstätt, beschrieben von die organisatorischen Verästelungen, die Christina Hofmann, Wiesbaden: Konsolidierungsprobleme und die vielfäl- Harrassowitz 1990, 287 S. (= Kata- tigen programmatischen Zersplitterungen, loge der Universitätsbibliothek sondern zeigt auch, wie sich die keinesfalls Eichstätt, Bd VI); DM 112- als konservativ zu klassifizierende Freideut- sche Jugend »in einen anfangs liberal, Mit dem vorliegenden Katalog ist eine be- schließlich eher demokratisch-sozialistisch deutende Flugschriftensammlung als wert- orientierten Reformwillen« einordnete. volle Quelle für Kirchen- und Militärge- Das zweite Kapitel wendet sich dem schichte erschlossen worden. Es handelt Selbstverständnis und der Zeiterfahrung der sich um 716 Flugblätter bzw. -Schriften von Jugendbewegung zu. Während sich die Frei- 1840 bis 1945. Sie umfassen alle drei Gat- deutschen im August 1914 in den Burgfrie- tungen: »weiße« Propaganda (mit Absen- den integrierten und sich teilweise noch bis der), »graue« und »schwarze« Propaganda 1916 mit der Politik und Kriegführung des (mit vorgetäuschtem, falschem bzw. gar kei- Reiches identifizierten, betrachtete man im nem Absender). Sie enthalten unterschied- Zeichen von Stellungskrieg und Material- liche Formen als Manifest, Abhandlung, schlacht bald den Krieg als »furchtbares Pamphlet, Brief, Dialog/Interview oder Ge- Schicksal« und dicht. Stets beanspruchen sie, zur »Aufklä- »Hemmnis zur Verinnerlichung und zum rung« oder Propaganda beizutragen. Leben in Güte [...] Millionen von Män- Iii der Sammlung lassen sich einige Un- nern werden gezwungen, gegen das Ge- tergruppen unterscheiden. Die überwiegen- bot der Liebe zu wüten, zu morden und de Mehrzahl ist politischen Charakters. zu zerstören.« Nur 64 »religiöse« Flugblätter bilden eine 252 MGM 52(1993) Annotationen

Ausnahme und stammen aus dem schon er- Christina Hofmann die intelligente Geheim- wähnten Zeitraum von 1840 bis 1945. Die Organisation der Schriftenverbreitung. Man- älteste größere Gruppe rührt aus der alli- che Eichstätter Predigt — von Stadtpfarrer ierten Kriegspropaganda des Ersten Welt- Johannes Kraus zum Beispiel — erlangte krieges: Massenflugblätter, die seit 1915 erst- überregionale Bedeutung durch ihre hekto- mals als psychologische Waffe eingesetzt, graphierte Verbreitung in ganz Deutsch- über Ballon, Flugzeug oder Mörser abgefeu- land. Kraus war zugleich eine Schlüsselfi- ert worden sind. Nur neun Flugblätter da- gur in der Planung und Improvisation der tieren aus der Weimarer Zeit. Die überwie- Schreibarbeiten, der Beschaffung von stets gende Mehrzahl aber resultiert aus dem Na- wechselnden Schreib- und Abziehmaschi- tionalsozialismus: 79 Propaganda-Blätter nen, der Vermittlung durch Buchhandlun- des Regimes, zumeist mit Durchhalte-Paro- gen oder auch Fleischerläden. Dies alles ge- len, 174 Blätter und Schriften des »Katho- schah unter Lebensgefahr, denn Lektüre lischen Widerstandes«, 18 des »allgemeinen« und Besitz der Schriften reichten für eine Widerstandes sowie aus protestantischen Anklage wegen Hoch- und Landesverrat. Kreisen. Alles in allem sind die meisten Bei Blättern mit der Aufforderung zum Wi- Kriegsflugblätter aber, insgesamt 277 Do- derstand drohte sogar die Todesstrafe (vgl. kumente, alliierten Ursprungs. Sie bilden Geschwister Scholl). Die zeitgenössische zugleich die größte Einzelgruppe innerhalb Beurteilung der Eichstätter Verhältnisse der Sammlung. Was der Katalog dokumen- kommentiert Hofmann anhand der ein- tiert, war bisher nur in Teilen ediert1 und schlägigen Regierungsakten für Ober- und liegt nun in vollständiger Verzeichnung und Mittelfranken, aus deren Sicht Stadt und Registrierung vor. Soweit die Herkunft der Kreis Eichstätt ein Zentrum des kirchlichen Flugblätter und -Schriften bekannt ist, sind Widerstandes waren, so daß einmal neu die überwiegend private Nachlässe zu verzeich- quellenkritische Bedeutung der Sammlung nen. Ahnlich verhält es sich, so wird ver- deutlich wird. Arnold Vogt mutet, auch mit dem Material aus der Bi- schöflichen Seminarbibliothek. 1 Vgl. Klaus Kirchner, Bayern und der Friede. Es mag verwundern, daß in Eichstätt, ei- Kriegsflugblätter in Bayern, Erlangen 1983. ner Stadt mit nur 8000 Einwohnern, eine so große Sammlung entstanden ist. Ein wichtiger Grund war die Bedeutung des Ortes als Bischofssitz mit kirchlicher Hoch- schule, beinahe ausschließlich katholischer S.P.Mackenzie, Politics and Milita- Bevölkerung — ein Brennpunkt in der Kon- ry Morale: Current Affairs and frontation von katholischer Kirche und Na- Citizenship Education in the Brit- tionalsozialismus. Die nationalsozialistische ish Army 1914-1950, Oxford: Cla- »Gleichschaltung« öffentlicher Medien be- rendon Press 1992, XIII, 245 S. (= schränkte den kirchlichen Freiraum mehr Oxford historical monographs); £ 30 und mehr, so daß kirchlich eigenständigen Stimmen nur noch zwei Möglichkeiten ver- Das Problem des politischen Unterrichts blieben: die Kanzelpredigt und die Flug- stellte sich für die britische Armee bis zum schrift. In solchem Zusammenhang erweist Ersten Weltkrieg nicht. Für die »profession- sich die Sammlung als ein Spiegel kirchli- als« in den Streitkräften galt die Devise: cher Widerstandskultur im »Dritten »The fewer men that read or write in a com- Reich«, so besonders unter den Bedingun- pany or troop, the better behaved they are«. gen des Zweiten Weltkrieges. Dazu schildert (S. 1) Diese Haltung änderte sich jedoch spä- Annotationen MGM 52(1993) 253

testens 1917, als den veränderten Bedingun- fairs der Kampf für die »gerechte Sache« gen eines in der Mehrzahl aus Wehrpflich- ideologisch untermauert wurde. tigen bestehenden, zuletzt bis zu 1,75 Mio. Die militärische Staatsbürgerkunde war Mann umfassenden Massenheeres Rech- bei allem Engagement der verantwortlichen nung getragen werden mußte. Mit einem Bildungsoffiziere, das macht der Autor Millionenheer an Wehrpflichtigen, die sich deutlich, stets Aufklärung und Vorbeugung primär als Staatsbürger verstanden, war bei zugleich, konnte aber aufgrund erheblicher totalem Kriegseinsatz weder nach dem al- Widerstände in den eigenen Reihen niemals ten Ideal soldatischer Ignoranz zu verfah- die erhoffte Breitenwirkung entfalten. ren, noch war den Mannschaftsdienstgraden Mackenzies Studie blickt gezielt hinter Bildung weiterhin nur in Form der Vermitt- die Kulissen der militärischen Bildung in lung praktischer Fertigkeiten zuzumuten. Großbritannien, steuert jedoch mit ihrem Gefragt war nun ein politisches Rüstzeug Befund auch Allgemeingültiges zum The- für die geistige Auseinandersetzung mit den ma bei. Rolf-Harald. Wippich gestaltenden Ideen der Zeit (ζ. B. Kommu- nismus): Der Soldat wollte wissen, wofür er kämpfte und was ihn erwartete, wenn er heimkehrte. Deutschland, und das bolschewistische Die Überlegungen, die 1917 in ein Kon- Rußland von Brest-Litowsk bis 1941. zept für staatsbürgerkundlichen Unterricht Mit Beiträgen von Jürgen Förster in allen Waffengattungen, fußend auf dem u. a., Berlin: Duncker & Humblot tagespolitischen Geschehen, einmündeten, 1991, 126 S. (= Abhandlungen des werden in der vorliegenden systematischen Göttinger Arbeitskreises, Bd 8); Studie zum Komplex Militärerziehung und DM 44,- aktuelle Politik aufgegriffen und bis zu den 1950er Jahren, die das Ende der militäri- Der vorliegende Sammelband steht offen- schen Bildung brachten, analysiert. Der Au- sichtlich im Zusammenhang mit der Kon- tor hebt hervor, daß nicht nur die aus troverse um die »Präventivkriegsthese«, die Wehrpflichtigen zusammengesetzten Mas- in den letzten Jahren die Gemüter deutscher senheere ein vielfältiges Bildungsangebot Historiker erhitzt hat. In knapper Form notwendig machten, sondern daß mit der faßt J. Förster in seinem abschließenden Bei- Intensivierung der Kriegführung im Westen trag »Die Vorgeschichte des Angriffskrieges auch die Frage regelmäßiger Schulungen zur gegen die Sowjetunion« den bisherigen For- Stärkung von Kampfmoral und Patriotis- schungsstand auf militärhistorischem Ge- mus akut wurde. So überzeugend Macken- biet zusammen. Ausdrücklich stellt er bei zie auch die Kontroversen um die Etablie- der Planung des Rußlandkrieges die politi- rung des Staatsbürgerkundeunterrichts in sche Ubereinstimmung des Oberkomman- der Truppe verfolgt, so wenig trennt er je- dos der Wehrmacht mit der Reichsführung doch zwischen politischer Bildung und re- heraus, ohne die Bedeutung Hitlers dabei gierungsoffizieller Propaganda, wodurch zu relativieren. Noch einmal werden die zuweilen der Eindruck entsteht, der poli- wichtigsten Aspekte genannt: Die Vernich- tische Unterricht habe vorwiegend auf die tung der Sowjetunion war stets programma- moralische und soziale Betreuung abgezielt. tischer Bestandteil der nationalsozialisti- Dies trifft um so mehr für den Zweiten schen Ideologie. Dieses übergeordnete Ziel Weltkrieg zu, in dem bei forciertem propa- fiel seit 1940 mit militärischen Überlegun- gandistischen Einsatz seitens des 1941 ein- gen zusammen, die durch den Kriegsverlauf gerichteten Army Bureau of Current Af- mit Großbritannien entstanden waren. 254 MGM 52 (1993) Annotationen

Der Überfall 1941 erfolgte nicht aufgrund mit einem Beitrag von M.-L. Recker zu den einer direkten militärischen Bedrohung des deutsch-sowjetischen Beziehungen in den Reiches durch die Sowjetunion, sondern Jahren 1933 bis 1941. Minuziös verfolgt hier ging allein auf das deutsche Kalkül zurück: die Autorin die diplomatischen Schritte Einerseits sollte die Zerschlagung der So- zwischen beiden Staaten, bis sie schließlich wjetunion die Voraussetzung für eine ent- im Hitler-Stalin-Pakt münden. scheidende Wendung des Krieges im Westen Mehr auf den derzeitigen Forschungs- bringen, andererseits schien sich dadurch stand geht ein Beitrag zu den deutsch-sowje- die schon lange geplante Ostpolitik Hitlers tischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen zu realisieren. Daraus ergab sich ein »dop- den beiden Weltkriegen von H.-W. Niemann peltes Gesicht« dieses Angriffskrieges, der ein. Wie dabei unterstrichen wird, war die neben den militärischen Zielen von vornher- Rapallo-Politik von deutscher Seite mehr ein auch als Vernichtungskrieg gegen »Bol- von längerfristigen Zielsetzungen bestimmt schewismus« und »Judentum« angelegt war. als von der Hoffnung auf einen unmittel- Und auch hier zeigt sich eine erschrecken- baren ökonomischen Nutzen. Nicht ein de Ubereinstimmung zwischen NS-Staat Streben nach »friedlicher Koexistenz« war und führender deutscher Intelligenz: »Mi- für die deutsche Politik ausschlaggebend, litärs und Juristen machten sich im Früh- sondern der Versuch, günstige Vorausset- jahr 1941 ohne Protest an die Arbeit, um zungen für eine Revision des Versailler Sy- Hitlers ideologische Intentionen in rechts- stems zu schaffen. fähige Form zu gießen.« Der Rezensent steht den verschiedenen Die übrigen Aufsätze des Sammelbandes Aufsätzen ratlos gegenüber. Auf Einführung sind der Vorgeschichte jener Ereignisse von und Schlußwort haben die Herausgeber ver- 1941 gewidmet: H.-W. Rautenberg geht auf zichtet, ein wirklicher Bezug zwischen den den »Zusammenbruch und Neubeginn deut- einzelnen Beiträgen fehlt. Der größte Teil scher Ostpolitik nach dem Ersten Welt- der weithin kontroversen internationalen krieg« ein, wobei er sich weithin auf ein- Literatur bleibt unbeachtet. Als Einführung schlägige Standardwerke stützt. in das Thema ist der Band deshalb ungeeig- Ein Beitrag von M. Zeidler zur Zusam- net. Sicher, wohl keine der getroffenen Fest- menarbeit von Reichswehr und Roter Ar- stellungen ist unrichtig. Aber rechtfertigt mee in den Jahren 1920 bis 1933 entstammt das allein schon eine solche Publikation? seiner Dissertation; der Artikel basiert auf Manfred von Boetticher zahlreichem Archivmaterial und bringt wertvolle Einzelheiten zum deutschen Flug- zentrum in Lipeck, zur Panzerschule Ka- 1 Karlheinz Niclauß, Die Sowjetunion und Hit- lers Machtergreifung, Bonn 1966. zan' und zur Versuchsstation für Kampfgase bei Vol'sk. Ein Aufsatz von K. Niclaußstellt die Frage nach »Stalin und Hitlers Machtergreifung«, wobei im wesentlichen die älteren For- Heinz Höhne, Die Zeit der Illusio- schungsergebnisse des Verfassers wiederholt nen. Hitler und die Anfänge des werden1. Hinsichtlich der inneren Entwick- 3. Reiches, Düsseldorf, Wien, New lung in der Sowjetunion und des »Stalinis- York: Econ 1991, 447 S.; DM 48,- mus« werden neuere Ansätze ebensowenig reflektiert wie in der Frage der Interaktio- Arbeiten des Spiegeljournalisten Heinz nen zwischen Sowjetunion und Komintern. Höhne zeichnen mehrere Vorteile aus: Er Teilweise überschneidet sich dieser Aufsatz schreibt salopp und anschaulich und erzählt Annotationen Μ GM 52 (1993) 255

so verständliche Geschichten. Ihm stehen Handlungen etc. heraus. Er liebt es, verfe- neben einem reichhaltigen Zeitungsarchiv stigte Deutungsmuster oder heute populä- und anderen eher privaten Sammlungen re Sichtweisen provokativ in Frage zu stel- auch eine Reihe weiterer, sonst eher ver- len. So berichtet er etwa von einer Starthilfe schlossener oder schwer zugänglicher Quel- des prominenten IR 9 für die Leibstandar- len zur Verfügung. Schließlich kennt sich te Adolf Hitler der SS, die widerwillige Aus- Höhne in der Fachliteratur und -diskussion grenzung mancher als »entartet« erklärter aus wie kaum ein anderer Journalist und Künstler u.v.m. Höhne legt großen Wert vermag so eigenständig und kenntnisreich darauf, die Freiräume und Nischen auch im — im Gegensatz zu manchen rechts- oder NS-Staat anzudeuten, den ständigen Wech- linkslastigen Autoren — nicht ohne Spott, sel an Gewichten zwischen NSDAP, Reichs- aber abwägend die Argumentations- und wehr/Bürokratie und Großindustrie (S. 252) Positionskämpfe von Historikern für seine zu betonen, Hitlers Funktion und Füh- erzählerische Linie zu verwerten, ohne ih- rungsstil daneben zu setzen. Dabei tut er nen doch zu verfallen. in Sprunghaftigkeit, auch Suggestion, bei al- Nach seinen Standardwerken über die SS, len Verdiensten doch manchmal zuviel des die NS-Machtübernahme oder die »Mord- Guten, wenn er (z.B. beim Entschluß zum akte Röhm« scheint er nun auf eine mehr- Engagement im Spanischen Bürgerkrieg — bändige Geschichte der NS-Zeit insgesamt S. 361) vor Uberrationalisierung warnt, so abzuzielen, endet seine facettenreiche Ge- isoliert er aber doch wohl die akzidentiel- samtdarstellung der drei Jahre zwischen len Momente, die aus Hitlers antibolsche- 1933 und 1936 doch ohne Zusammenfas- wistischer Perzeption stammten. sung oder Ausblick. Hohnes Arbeit kann Jost Dülffer als populäre Einführung ebenso wie als wis- senschaftliches Buch Interesse beanspru- chen: Uberraschende Zitate, zupackende Deutungen lassen manche Entscheidungen Ernst Hagemann, Nachtrag zu Hit- und Entwicklungen in einem neuen Licht ler. Drittes Reich — Weltanschau- sehen. Quellenkritisch sind allerdings — ung und Endkampf im Nationalso- trotz wissenschaftlichen Apparats — man- zialismus, Frankfurt a.M.: R. G. Fi- che Berichte vom Hörensagen aus zweiter scher 1990, 197 S.; DM 19,80 oder dritter Hand problematisch. Reporta- geartige Einstiege in die im Kern chrono- Ε. H., mit kunstgeschichtlichen Veröffent- logischen Kapitel, häufiger Perspektive- lichungen, vor vielen Jahren aber auch mit wechsel der Berichtsebene: Innen-, Wirt- einer »Didaktik« zur Aufarbeitung des Na- schafts-, Sozial-, Außen- und Wehrpolitik tionalsozialismus hervorgetreten, hat einen finden ebenso Berücksichtigung wie die schmalen Band verfaßt, der »Nachträge« zu Entwicklung anderer Länder, Vorgänge in Hitler, beziehungsweise zu eben dieser Di- Hitlers persönlicher Umgebung werden daktik liefern will. Der Untertitel »Drittes zum Thema gemacht. Reich — Weltanschauung und Endkampf Inhaltlich wendet sich Höhne gegen ei- im Nationalsozialismus« wird dem weitaus- ne zu monolithische Deutung des Regimes, holenden ideengeschichtlichen Bemühen eine Uberbetonung totalitärer Ansprüche der Arbeit eher gerecht. Der Rezensent oder deren Durchsetzung. Er arbeitet nach- steht allerdings vor der Schwierigkeit, ein drücklich die Offenheit historischer Situa- eigenartiges, stark komprimiertes Gedan- tionen, improvisierter Entscheidungen, zu- kengebäude halbwegs zu deuten und zu ver- fällige Ergebnisse, Hitler aufgezwungene mitteln. 256 MGM 52 (1993) Annotationen

Η. sieht die Wurzeln der zum National- logieschlüssen, gelangt er zu der Einschät- sozialismus zusammengehäuften Ideen viel- zung, daß Hitler einen Präventivschlag ge- fältig dem Bereich des Religiösen entwach- führt habe. Dies ist eine ernsthafte Debat- sen und führt den überraschten Leser im te wert, läßt sich aber nicht auf knappen Flug durch Albert Speers Ruinenwerttheo- 20 Seiten verhandeln. Die phänotypische rie, vorbei an Nietzsche, Kolbenheyer, Nähe von Stalinismus und Nationalsozia- Feuerbach und manch anderem zu einer lismus kann der Autor an einigen Seiten er- sehr ausführlich geratenen Relation über die freulich aufweisen, so in Gemäldewieder- mythischen Gründe der Dreiersymbolik, gaben, die jeweils Stalin und Hitler in der des Reichsbegriffs und der Vorstellung des Pose des »großen Lehrers« zeigen (S. 105 f.). endzeitlichen Milleniums. Dies dauert um- Letztlich bleibt jedoch festzustellen, daß ständlich fast 80 Seiten lang und knüpft Un- die einzelnen Teile dieser Arbeit auseinan- tersuchungen in chronologischem Fort- derstreben, daß der herbeigezwungene Bo- schreiten unter anderem an Joachim von gen sich nur mit Mühe schließen läßt. Der Fiore, Lessing, Hegel, Marx, Saint-Simon, Sinn des Ganzen wird nicht faßbar, die Comte, den Panslawismus, Spengler, Moel- Sprache leistet ein übriges, den zwiespälti- ler van den Bruck und den weniger bekann- gen Eindruck zu bekräftigen. Wie läßt sich ten Lothar Helbing. über Heinrich Himmler schreiben, er sei Die Kritik wird dabei zusehends schär- »als >Ideefix< ebenso schlimm [gewesen] wie fer, und der Autor gelangt scheinbar folge- als >Brutalemax<«? (S. 13) Was sollen die ver- richtig zu einer detaillierten Würdigung des späteten Attacken auf eine »konservativ- Drexler-Federschen Parteiprogramms der revolutionäre Sippschaft, [welcher] Erwin NSDAP. Für sich betrachtet ist diese Ab- Guido Kolbenheyer [...] als Blutspender bei- rechnung mit den »25 Punkten« akzepta- gesprungen« ist? (S. 88) »Wenn die Doku- bel, auch »didaktisch« brauchbar, nur wird mente schweigen müssen oder verquetscht mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Denn [!] werden« (S. 130), dann ist am Ende »so- Gottfried Feders Werk von 1920 hatte für gar das Freiburger Militärwissenschaftliche den real existierenden Nationalsozialismus Institut [...] zerstritten«. (S. 150) »Der ame- ebenso wie der Mitverfasser selbst nur noch rikanische Präsident, der schon vor Hitler historische oder — beim Gedanken an die gestorben war, behielt Recht.« (S. 152) Wie »Brechung der Zinsknechtschaft« nahelie- das? Nein, mit diesem Buch müssen sich die gend — gleichsam liturgische Bedeutung. Wissenschaft und auch der fachinteressierte Das immer wieder, freilich in kommentier- Laie nicht befassen. Bernd Ph. Schröder ten Editionen, aufgelegte Programm war zum Mythos seiner selbst geworden. Es bleibt letztlich müßig, dem Vollzug der ein- zelnen Programmpunkte durch die Politik Hans-Heinrich Wilhelm, Rassenpo- nachzuspüren, weil diese sich nicht nach litik und Kriegführung. Sicherheits- dem Buchstaben eines Programms richte- polizei und Wehrmacht in Polen te, sondern nach den Intuitionen des Füh- und in der Sowjetunion, Passau: rers und danach, was die Zeitgeschichte Wissenschaftsverlag Richard Rothe zuließ. 1991, 241 S.; DM 48,- Am Schluß seines Büchleins greift H. überflüssigerweise die aktuelle Diskussion Der Band enthält einen Vortrag von Hans- der Vorgeschichte des Krieges zwischen Hit- Heinrich Wilhelm auf dem Gründungstag ler und Stalin auf. In Kenntnis der neueren des Deutschen Historischen Museums Ber- Literatur, sonst aber aus historischen Ana- lin vom Oktober 1987 (S. 11—38) sowie ei- Annotationen MGM 52(1993) 257

nen (weitaus umfangreicheren) Dokumen- Bild der militärischen Führung vom »Geg- tenanhang. ner im Osten« verdeutlichen. Ergänzt wird In einer tour d'horizon versucht der Ver- die Auswahl (S. 133—154) durch Kriegserin- fasser eine Annäherung an das Phänomen nerungen Nicolaus Sombarts und des Bun- nationalsozialistischer Herrschaftsausübung deswehr-Generals Gerd Schmückle. und ihrer Unterstützung durch breite Be- Eine dritte Einheit bilden Dokumente des völkerungsschichten. Er referiert bekann- RSHA, der Zivilverwaltung sowie von Si- te Kontroversen über die Bedeutung der cherheitspolizei und SD. Sie zeigen den un- NS-Ideologie für das tatsächliche Handeln zureichenden Kenntnisstand der Behörden oder die Existenz eines grand design für die über die besetzten Gebiete noch lange nach Germanisierung der Sowjetunion und den Kriegsbeginn und die Situation der Zivil- Holocaust. Die Frage nach Monokratie und verwaltung im Generalgouvernement und Polykratie im Dritten Reich diskutiert den ehemals polnischen Randgebieten der Wilhelm am Beispiel des Reichssicherheits- Sowjetunion (S. 154-182). hauptamtes (RSHA) und der Umsetzung Der letzte Abschnitt (S. 183—241) ist der nationalsozialistischer Rassenpolitik in den Umsetzung des »Führerbefehls« vor Ort besetzten Gebieten Polens und der Sowjet- und der Direktiven zur Errichtung der union. Der Autor verweist auf das Bezie- deutschen Besatzungsverwaltung gewidmet. hungsgeflecht zwischen unterschiedlichen Hier finden sich 12 Ausschnitte aus Nach- nationalsozialistischen Behörden und kriegsvernehmungen von SS- und Sonder- Dienststellen und tritt der These von der kommandoangehörigen, die überwiegend Alibi-Funktion der SS für eine ganze Na- der direkten Beteiligung an Massentötungen tion der Unwissenden entgegen. angeklagt waren und mit ihren Aussagen als Eine Sammlung von 32 (meist bislang un- beispielhaft für die Verdrängungsmechanis- veröffentlichten) Dokumenten zeigt die men unter den Tätern gelten können. Verwirklichung rassenideologischer Zielset- Auch 1993 gilt Wilhelms Hinweis, daß zungen durch die Organe der deutschen der Forschung gerichtliche Unterlagen der Militär- und Zivilverwaltung im Okkupa- Nachkriegszeit als wichtige historische tionsgebiet sowie den individuellen Um- Quellen nur in sehr beschränktem Umfang gang mit Terrorbefehlen. zur Verfügung stehen. Seine Kollektion Ein erster Teil enthält programmatische deckt ein breites Spektrum von Fragen ab, Reden und Aufsätze Himmlers und Rosen- die nach wie vor im Zentrum der Natio- bergs zu den Themen »Bolschewismus und nalsozialismus-Diskussionen stehen. Knap- Judentum«, eine Rede Goebbels' auf dem pe Kommentare und Quellenhinweise zu Parteitag der NSDAP 1936 und einige sei- den einzelnen Dokumenten machen diese ner Tagebucheintragungen von 1928 bis auch für den Nicht-Fachmann nutzbar. In- kurz nach Beginn des »Unternehmens Bar- haltlich sind sie indes so breit gefächert, daß barossa« (S. 45—132). sich mitunter der Eindruck einer gewissen In einem zweiten Abschnitt wird das Beliebigkeit bei ihrer Auswahl nicht verwi- »Feindbild« führender deutscher Militärs schen läßt. Der Band liefert dem Speziali- behandelt. Wilhelm hat unter anderem Äu- sten damit zwar einige Mosaiksteine für die ßerungen der Generale Küchler und Hoep- Untersuchung der Frage, wie der National- ner sowie des Generalfeldmarschalls Keitel sozialismus mitten im 20. Jahrhundert Ge- zum bevorstehenden Angriff auf die Sowjet- stalt annehmen konnte. Dem der Thema- union zusammengestellt. Ausschnitte aus tik weniger vertrauten Leser jedoch wird bei drei auch nach 1933 verbreiteten Rußland- der Lektüre eine Orientierung sehr schwer Darstellungen sollen die Kontinuität im werden. Bernhard Chiari 258 MGM 52 (1993) Annotationen

Christian Hartmann, Halder. Gene- zung führen naturgemäß dazu, daß die Le- ralstabschef Hitlers 1938-1942, Pa- bensbeschreibung Halders von 1938 bis derborn u.a.: Schöningh 1991,397 S. 1942 sich auf weiten Strecken mit einem (= Sammlung Schöningh zur Ge- Abriß der politisch-militärischen Geschich- schichte und Gegenwart); DM 69,— te dieser Jahre und einer Skizze der organi- satorisch-strukturellen Entwicklung der Uber Franz Halder, Generalstabschef des Spitzengliederung der deutschen Wehr- deutschen Heeres von September 1938 bis macht beziehungsweise des Heeres deckt. September 1942, also während der für Ent- In dem Nebeneinander von Wehrmacht- fesselung und Ausgang des Zweiten Welt- führungsstab und Generalstab des Heeres krieges entscheidenden vier Jahre, war bis- sowie der Zweiteilung der Kriegsschauplät- lang nur wenig bekannt. Altere biographi- ze in solche des OKW und des OKH sieht sche Versuche fußten auf einer viel zu Hartmann Symptome des rapiden Verfalls schmalen Quellenbasis und waren teilwei- der im Kaiserreich so glänzenden Macht des se von apologetischen Tendenzen nicht frei. Generalstabschefs. Anhand von Vorberei- Dieser vom Verfasser in einem einleitenden tung und Ausführung der einzelnen Feld- Forschungsüberblick konstatierte Befund züge illustriert der Autor die immer um- überrascht umso mehr, als Halder neben fangreicheren Eingriffe Hitlers selbst in ope- seiner Rolle bei der Vorbereitung des deut- rativ-taktische Belange, denen auf der Seite schen Heeres auf den Krieg auch innerhalb Halders durch Jahre hindurch ein Nachge- des sich seit der Sudetenkrise formierenden ben in kleinen Schritten korrespondierte. militärischen Widerstandes ein nicht uner- Seine ursprüngliche Absicht, unter Vermei- heblicher Stellenwert zukommt. dung der offenen Konfrontation mit Hit- ler mittels der fachlichen Routine des Ge- Hartmanns Studie, hervorgegangen aus ei- neralstabes in der täglichen Führungsarbeit ner von dem verstorbenen Andreas Hillgru- dessen Einfluß zu wahren, erwies sich als ber angeregten Kölner Dissertation, wertet illusionär. Im September 1942, als sich das erstmals systematisch die zahlreichen, über neuerliche Scheitern der deutschen Ruß- verschiedene Überlieferungszusammenhän- land-Offensive abzuzeichnen begann und ge verstreuten Akten zu Halders Leben und Hitler hierauf mit immer hektischeren Ein- Wirken aus. Freilich ist die Arbeit nicht als griffen reagierte, bat Halder um seinen Ab- Biographie im eigentlichen Wortsinne an- schied, der ihm von seinem Obersten gelegt, denn ihr Schwerpunkt liegt eindeu- Kriegsherrn nur allzu bereitwillig gewährt tig, wie im Untertitel zutreffend ausge- wurde. Leider geht der Autor auf einen Ver- drückt, auf den vier Jahren Halders an der gleich mit Halders Nachfolger Zeitzier Spitze des Heeresgeneralstabes. Alle übri- nicht mehr ein. gen Lebensabschnitte Halders, der immer- hin 88 Jahre alt wurde, werden lediglich Hartmanns Studie bietet den Vorzug, die kursorisch abgehandelt — von Halders Ehe- historisch bedeutsamen Aspekte und Ab- schließung erfährt man etwa nur aus einer schnitte im Leben seiner Titelfigur quellen- Fußnote. Der Rezensent möchte hierin je- nah und nüchtern auszubreiten. Ausführ- doch keinen Mangel erblicken, zumal Hart- lich behandelt wird Halders Verhältnis zum mann auf jene Ereignisse und Umstände, militärischen Widerstand, für den er seit die für das Verständnis von Halders Karrie- dem Herbst 1938 ein wichtiger potentiel- re im Dritten Reich von Relevanz sind, hin- ler Verbündeter war. Aus Gründen, die reichend ausführlich eingeht. Hartmann differenziert darlegt, konnte sich Die von Hartmann sachlich begründet ge- Halder freilich nie zum letzten, entschei- wählte Konzeption und Schwerpunktset- denden Schritt entschließen. Die Stärke der Annotationen MGM 52(1993) 259

Arbeit liegt vor allem in ihrem steten Be- Halder, 1884 in einer Offiziersfamilie in mühen, Halders Tätigkeit, seinen Einfluß Würzburg geboren, wurde 1904 Leutnant und seine Möglichkeiten, aber auch seine und nahm als Generalstabsoffizier in ver- zunehmende Verstrickung in die Verbre- schiedenen Kommandos am Ersten Welt- chen des NS-Regimes und sein letztliches krieg teil. Erfahrungen im Stellungskrieg Scheitern aus einer Fülle von Momentauf- prägten die spätere Forderung »nach einem nahmen mit je zwar begrenzter Aussage- raschen, entscheidungssuchenden Bewe- kraft, in Summe aber doch als Prozeß fort- gungskrieg«. Er begrüßte einerseits, wie vie- schreitenden Machtverfalls zu analysieren. le, die Revision des Versailler Vertrages, an- Der Verfasser erhebt nicht den Anspruch, dererseits erfüllten ihn die »Radau- und Ge- das Handeln seines Helden durchgängig ra- waltmethoden der NSDAP« mit Abscheu. tional und nachvollziehbar erklären zu kön- In Illusionen über Hitler befangen, schrieb nen. In der Tat staunt der Leser immer wie- er Ende 1934 an Fritsch, man suche »nach der über die zahlreichen Belege für die ekla- Wegen, den Führer und Kanzler über die tanten Fehlurteile und Illusionen, denen Vorhaben [der Partei], die er sicherlich Halder und mit ihm viele der militärischen nicht billigen würde, zu verständigen«. Die Experten etwa hinsichtlich der Einschät- Blomberg-Fritsch-Affäre wurde zu einem zung der Roten Armee noch bis weit in das »Wendepunkt«, danach war er bereit, »den Jahr 1942 hinein erlagen. Mit der schwer Sturz des NS-Regimes in das Kalkül seiner entwirrbaren Gleichzeitigkeit von Reaiitäts- Überlegungen« einzubeziehen. Zunächst sinn und Wunschdenken, von vernichten- plädierte er für ein gewaltsames Vorgehen, der Kritik an dem Dilettanten Hitler und um die mit dem Krieg gegen die Tschecho- nagenden Selbstzweifeln war Halder freilich slowakei drohende Katastrophe zu verhin- nicht untypisch für Denken und Handeln dern. Doch Brauchitsch verweigerte sich der Wehrmachtelite1 im Hitler-Reich. und Beck resignierte, bis dann das Münche- ner Abkommen alle Chancen zunichte Martin Moll machte. Auch der deutsch-sowjetische Ver- trag bedeutete, so der Autor, einen beein- druckenden außenpolitischen Erfolg Hit- lers, der oppositionelles Handeln entschei- Gerd R. Ueberschär, Generaloberst dend behinderte. Franz Halder. Generalstabschef, Gegner und Gefangener Hitlers, Nun ist bekannt, daß der Pakt auf ande- Göttingen, Zürich: Musterschmidt re auch entgegengesetzt wirkte. Jene, die im 1991, 108 S. (= Persönlichkeit und Nationalsozialismus ohnehin eine Art Geschichte, Bd 137/138); DM 18,80 »braunen Bolschewismus« sahen, fürchteten ein Zusammengehen der beiden Diktatu- Auf knappem Raum gelang es, eine sehr in- ren, was den Widerstand dagegen zusätzlich formative und übersichtliche Darstellung motivierte. Diese Fragestellung zeigt einmal der Hauptstationen und Hauptwirkungs- mehr die Notwendigkeit, die Auswirkun- felder im widerspruchsvollen Leben Hal- gen der deutsch-sowjetischen Verträge vom ders zu vermitteln, die Verklärung und Le- Herbst 1939 auf den gesamten deutschen gendenbildung nach jeder Seite vermeidet. Widerstand umfassend zu untersuchen, was Es berührt sympathisch, daß der Autor auf natürlich nicht Aufgabe dieser Arbeit sein apodiktische Behauptungen verzichtet und konnte. Im Polenfeldzug bewährten sich zuweilen lieber den Konjunktiv verwendet, Halders stabsmäßige Planungen. Nach wei- wenn die Quellenlage eindeutige Aussagen teren vorsichtigen Staatsstreicherörterungen nicht zuläßt. wurde der 5. November 1939, an dem Hit- 260 MGM 52 (1993) Annotationen ler in grober Form Brauchitsch und ande- im Taunus fast 150 ehemalige deutsche Of- re des destruktiven »Geistes von Zossen« be- fiziere umfaßte. Er starb im April 1972. zichtigte, der »Wendepunkt für die Staats- Eine graphische Darstellung der Friedens- streichplanungen im Herbst und Winter und Kriegsgliederung des OKH mit Gene- 1939/40«. Halder verzichtete fortan auf ralstab von 1938 bis 1942 erleichtert das Ver- Umsturzpläne während des Krieges, nach- ständnis der militärischen Begriffe und Zu- dem er bisher schon als der große »cuncta- sammenhänge. Kurt Finker tor«, wie der Autor treffend bemerkt, auf- getreten war. Bereits im Sommer 1940 ließ er erste Entwürfe für den Krieg gegen die Sowjetunion anfertigen. Zwar äußerte er, daß ihm der Sinn des Ostfeldzuges »nicht Die Bamberger Reiter. Porträt eines klar« sei, sprach im vertrauten Kreise auch außergewöhnlichen Reiterregiments abfällig über Hitler, verweigerte aber Mit- von August Graf von Kageneck. wirkung im Widerstand. Der Autor ver- Unter Mitarbeit des Vorsitzenden weist auf »das hohe Maß an Mitverantwor- der Kameradschaftlichen Vereini- tung und Verstrickung der Heeres- und gung der Offiziere des ehem. Reiter- Wehrmachtsführung in den radikalen Ver- u. Kavallerie-Regiments Nr. 17, Bam- nichtungskrieg gegen die Sowjetunion« und berg, Franz Graf du Moulin Eckart, stellt fest, daß hier »Halders Anteil an die- München: Langen Müller (F.A. sen Verbrechen« zu sehen ist, auch wenn Herbig) 1992, 178 S., 30 S. Anhang; er dies nach Kriegsende bestritt. Nachdem DM 78 — sich die Reibungen und Meinungsverschie- denheiten mit Hitler zugespitzt hatten, Die Bamberger Reiter waren eines der 18 wurde Halder im September 1942 entlassen. Reiterregimenter, die der Versailler Vertrag Ob er diese Entlassung selber provoziert der Reichswehr zugestand. Im Vergleich zu hat, wie er später behauptete, läßt sich heu- anderen Waffengattungen war dies ein un- te, so der Autor, nicht mehr mit Bestimmt- verhältnismäßig hoher Anteil. Vermutlich heit klären. Zwar traf er sich zuweilen mit maß die Entente der Kavallerie nur eine ver- ihm persönlich bekannten Hitlergegnern, minderte Kampfkraft zu und wollte so die aber an der Verschwörung beteiligte er sich Schlagkraft des Reichsheeres insgesamt nicht. Am 21. Juli 1944 wurde er trotzdem schwächen. Ein fast tödlicher Irrtum, bil- verhaftet und kam zuerst nach Dachau und deten doch diese Regimenter in der Wehr- dann nach Ravensbrück. Später wurde er macht den Grundstock der deutschen Pan- in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin we- zerwaffe. Die für Reiter selbstverständliche gen Hochverrat verhört, da ihn Aufzeich- Wendigkeit im Denken und Handeln wur- nungen von Beck, Oster und Goerdeler aus de als Mitgift in die junge Panzerwaffe ein- den Jahren 1938 bis 1940 belasteten. Über gebracht und trug entscheidend zu ihren Er- die KZ Flossenbürg und Dachau gelangte folgen bei. er mit einer Gruppe von Verhafteten nach Südtirol, wo alle am 5. Mai 1945 von den Nach einem kursorischen Uberblick Amerikanern befreit wurden. Die Jahre über die Geschichte der Reiterei und dem nach 1945 waren bestimmt durch Gefan- Einsatz der bayerischen Kavallerie im Er- genschaft, Zeugenaussagen in Nürnberg, vor sten Weltkrieg schildert der Verfasser — allem aber durch die Mitarbeit in der ame- Jahrgang 1922, zeitweise Angehöriger des rikanischen Historical Division. Er leitete Regiments, Panzeroffizier und Panzerauf- eine Arbeitsgruppe, die 1948 in Königstein klärer, heute Journalist — sehr engagiert und lesenswert die Geschichte »seines« Re- Annotationen MGM 52(1993) 261 giments vom Gründungstag am 11. Mai Dokumente und Personenregister schließen 1920 bis zum bitteren Ende 1945. Auch die dieses lesenswerte und von vornehmer Ge- Nachkriegszeit und die Kontakte zur Bun- sinnung getragene Buch ab. Reichhaltiges, deswehr und den Alliierten finden ihren gut ausgewähltes Bildmaterial unterstreicht Platz. Das Panzeraufklärungsbataillon 4 der ebenbürtig den Text. Helmut Schiller Bundeswehr in Roding ist Träger der Tra- dition der 17er Reiter. Mit viel Liebe, Stolz und auch Humor wird die Friedensge- schichte des auf die Standorte Bamberg, Mieczyskw Bielski, Grupa Operacyj- Straubing und Ansbach dislozierten Regi- na »Piotrkow« 1939 (Die Operati- ments geschildert. Man lernt verstehen, was ve Gruppe »Piotrkow« 1939), War- »Reitergeist« bedeutet und auch, daß aus schau: Wydawnictwo Bellona 1991, diesem Geist heraus nach Verfliegen der an- 462 S., 18 Kartenskizzen, zahlr. III.; fänglichen Euphorie fünf ehemalige Ange- 75000 ZI. hörige des Regiments, unter ihnen Graf Stauffenberg, den Weg in den Widerstand Die Operative Gruppe »Piotrkow« unter fanden. Mit dem beginnenden Heeresauf- Brigadegeneral Wiktor Thommee wurde im bau 1934 erfolgte »die Zellteilung zwischen Rahmen der Armee »Lodz« auf Entschluß Pferd und Motor«. 40 Prozent der Offizie- des Armeebefehlshabers, Divisionsgeneral re und weit über die Hälfte der Unteroffi- Juliusz Rommel, formiert, denn dieser hatte ziere wurden an motorisierte und gepanzer- nach dem Studium der Lage erkannt, daß te Neuaufstellungen abgegeben, ihren Rei- die zwischen seiner Armee und dem linken tergeist und — wichtiger noch — ihre Ein- Nachbarn, der Armee »Krakow«, klaffen- satzgrundsätze nahmen sie mit. Kurz vor de »operative Lücke« bei dem bevorstehen- Kriegsausbruch gliederte das Regiment in den Angriff der Deutschen überaus gefähr- fünf Aufklärungsabteilungen um, die zu ih- lich werden konnte. ren vorgesehenen Divisionen traten. Ein Von der ersten Stunde des Krieges an Mitteilungsblatt, herausgegeben von der Ka- stand sie im Feuer schwerster Gefechte, vallerieersatzabteilung Bamberg, hielt den denn hier, an der Naht der zwei Armeen, Kontakt in fünf Kriegsjahren unter den auf stießen Hoeppners XVI. Panzerkorps und allen Kriegsschauplätzen kämpfenden Re- Leebs XI. Armeekorps in Richtung War- gimentsangehörigen aufrecht. schau vor. Es hätte den Rahmen des Buches ge- Die Geschichte der Operativen Gruppe sprengt, wollte der Verfasser die Geschich- umreißt den Zeitraum vom 23. März 1939 te der fünf Aufklärungsabteilungen nach- (Aufstellungsbeginn) bis zum 29. September zeichnen. Einzelne Erlebnisschilderungen 1939 (Kapitulation in der Festung Modlin, lassen ihren Weg erkennen. In dem bewe- nordwestlich von Warschau). Sie analysiert, genden Kapitel »Sie folgten dem Ruf des Ge- chronologisch geordnet, die Handlungen wissens« wird aus der Sicht des Regiments der deutschen Wehrmacht entsprechend auf Weg und Motive Stauffenbergs einge- einspielend, den Kampfweg der Operativen gangen, auch der anderen Widerstandshel- Gruppe, verbunden mit einer kritischen den des Regiments wird ehrenvoll gedacht. Wertung der im Septemberkrieg 1939 prak- »Die brennende Liebe zu ihrem Volk ließ tizierten Führungsmethoden des Obersten sie das Opfer ihres Lebens bringen, und Befehlshabers, Marschall Edward Rydz- bis ins Tiefste erschütternd groß waren Smigly, sowie nachgeordneter Befehlshaber sie auf ihrem Weg in den Tod.« (Gefäng- und Kommandeure. Beispielsweise wird das nispfarrer Buchholz) Verhalten des Kommandeurs der 28. ID, 262 MGM 52 (1993) Annotationen

General Uzdowski-Boncza, gerügt, der sei- kämpfender Seiten — dadurch auszeichnet, nen Verband am 7. September 1939 mit daß sie die Literatur- und Quellenbasis west- zwei weiteren Offizieren verläßt und sich licher Provenienz (so der Polnischen Bi- nach Warschau begibt, also »vom Gefechts- bliothek in London und westdeutscher Pu- feld flieht«. Unter anderem deshalb wollte blikationen) erstmals so breit in eine der- General Thommee ihn während der Vertei- artige Truppengeschichte einbezieht. digung in Modlin nicht als Kommandeur Erich Schulz der 28. ID behalten, wenngleich er ihm in seinem letzten Befehl vom 28. September indirekt Dank aussprechen muß. General Thommee hatte sich im Gegen- Sven Sternberg, Sie nannten mich satz zu Rommel und anderen in ähnlich un- »Gospodin«. Erinnerungen eines übersichtlicher Situation, bei Verlust der Baltendeutschen 1941—1945, Mün- Verbindung zu den übergeordneten Füh- chen, Berlin: Langen Müller 1991, rungsorganen, entschlossen, jetzt erst recht 240 S.; DM 34,- als Befehlshaber an der Spitze seiner Trup- pen zu bleiben; er entsandte am 7. Septem- Der Baltendeutsche Steenberg war 1941 als ber 1939 Oberstleutnant Wilczewski, Chef Dolmetscher zur Wehrmacht eingezogen des Stabes der Operativen Gruppe, zur Ver- worden. Ende Januar 1942 sah er sich zum bindungsaufnahme nach Warschau. Dessen Stab der 2. Panzerarmee versetzt, deren Bericht hatte für weitere Entschlüsse und Oberbefehlshaber, Generaloberst Rudolf Weisungen der Führung wesentliche Bedeu- Schmidt, mit der offiziellen deutschen Ost- tung. Thommee selbst übernahm auch die politik und der den Einwohnern zugedach- Führung über die Reste der Armee »Lodz« ten Behandlung nicht so ganz einverstanden und anderer versprengter Truppen, mit de- war. Als Sonderführer im Leutnantsrang nen er den hinhaltenden Widerstand und konnte Steenberg davon offenbar profitie- einen mehr oder weniger geordneten Rück- ren. Er muß für sich — diesen Eindruck ver- zug organisierte. mitteln zumindest die Akten des Armee- Die Monographie, die die Leistungen der oberkommandos — eine Art Nische gefun- polnischen Soldaten und Offiziere würdigt, den haben, die ihm einen ansehnlichen Frei- besteht aus den Abschnitten: I. Bildung der raum gewährte. Nach eigenem Bekunden Gruppe; Π. Gefechte vom 1.—7. September; hatte er eine Reihe von Sonderaufträgen im III. Kampfhandlungen vom 8.—13. Septem- rückwärtigen Armeegebiet erhalten und ber; IV. Verteidigung von Modlin 14.-28. sollte den Armeestab über die Verhältnisse September unter Führung Thommees. Sie in diesem Teil des Mittelabschnitts der Ost- wird durch die Personalbesetzungsliste, ei- front unterrichten. Er baute ein Netz an V- nen biographischen Anhang (mit Angaben Leuten auf und verfügte bald über eine ei- zu rund 350 Personen), eine Auswahlbiblio- gene Gefolgschaft von »Hilfswilligen«, was graphie sowie ein Namens- und Ortsregi- ihm mitunter Schwierigkeiten mit verständ- ster abgeschlossen. nislosen, überheblichen oder korrupten Amtsträgern bescherte, aber auch kritische Damit liegt dem Leser — nach den Mo- Einsichten in die alltäglichen Auswirkun- nographien über alle polnischen Armeen gen der deutschen Besatzungsherrschaft in des Septemberkrieges und mehrere Opera- den besetzten Ostgebieten verschaffte. tive Gruppen — die Geschichte einer wei- teren operativen Vereinigung vor, die sich Daß Steenbergs romanhaft aufbereiteten — neben analog gründlicher Bearbeitung Kriegserinnerungen »eine bisher nur wenig des Themas unter Berücksichtigung beider bekannte Seite« des deutschen Ostfeldzuges Annotationen MGM 52 (1993) 263 erhellen (S. 9), ist allerdings übertrieben. tor mit der vorliegenden Monographie nun Dank seiner Aktivitäten und eines weiten eine Untersuchung über Entstehung und Bekanntenkreises kam er zwar in Kontakt Bedeutung der nichtsowjetischen Truppen mit dem »Brigadeführer« Kaminski und sei- auf selten der Sowjetischen Armee vorge- nem Selbstverwaltungsbezirk, mit Schicke- legt. Selbst ungarischer Offizier, der 1956 danz vom Reichsministerium für die besetz- in die Schweiz emigrierte, und inzwischen ten Ostgebiete, mit seinem alten Schulka- Leiter der Schweizerischen Osteuropabi- meraden Oberstleutnant v. Roenne, damals bliothek in Bern, ist er wie kaum ein an- noch in der Abteilung »Fremde Heere Ost« derer dazu prädestiniert, sich mit diesem des Generalstabes, und mit General Wlas- Gegenstand auseinanderzusetzen. So stützt sow, über den Steenberg schon 1968 eine er sich bei seiner Darstellung nicht allein eingehende Untersuchung veröffentlicht auf die offiziellen Veröffentlichungen der hat. Neues ergibt sich für den Leser aber osteuropäischen Länder und eine umfang- nicht aus diesen Treffen. Sie dienen dem reiche Memoirenliteratur; in vielen Fällen Autor hauptsächlich als Belege für die nicht konnte er sich auch auf persönliche Mittei- anzuzweifelnde Feststellung, daß die deut- lungen von Zeitzeugen beziehen. sche Ostpolitik verfehlt gewesen ist und we- Breiter Raum wird im Buch der Entwick- sentlich zum Scheitern der »Lebensraum«- lung des polnischen Heeres in der UdSSR Träume beigetragen hat. Zu Degrelle, dem gegeben: Aus den 1939 von der Roten Ar- er gegen Kriegsende noch begegnete, hat mee gefangengenommenen Polen rekrutier- Steenberg lediglich anzumerken, daß den ten sich nach dem deutschen Uberfall auf Wallonen die Hoffnung auf ein friedliches die Sowjetunion sehr bald weitgehend selb- vereinigtes Europa zu seiner Kollaboration ständige polnische Einheiten, die das Land mit den Deutschen bewogen hatte (S. 202)! jedoch bereits 1942 verließen, um auf bri- Der wissenschaftliche Ertrag dieser Erin- tischer Seite gegen das nationalsozialistische nerungen ist also bestensfalls bescheiden. Deutschland zu kämpfen. Im folgenden Von Interesse sind einige Details, die Steen- wurden in der Sowjetunion erneut polni- berg von seinen Erlebnissen festgehalten sche Verbände aufgestellt, die sich durch ei- hat: von der Kollaboration und dem Wider- ne weit größere Nähe zur Sowjetischen Ar- stand im Osten, vom Warschauer Ghetto mee auszeichneten und deren Verhältnis zu und dem Aufstand in der polnischen den »westlichen« polnischen Einheiten eben- Hauptstadt, dem Chaos des Rückzuges und so wie zur polnischen Exilregierung in Lon- des Kriegsendes auf deutschem Boden. don sich zunehmend verschlechterte. Bis ins Hans Umbreit einzelne verfolgt der Verfasser Aufbau und Aktivitäten dieser Truppe, die 1943 zu ihrem ersten Fronteinsatz kam und die 1945 auch an der Eroberung Berlins beteiligt war. Peter Gosztony, Stalins fremde Hee- Ein weiteres größeres Kontingent nicht- re. Das Schicksal der nichtsowjeti- sowjetischer Truppen im Rahmen der Ro- schen Truppen im Rahmen der Ro- ten Armee bildeten die tschechoslowaki- ten Armee 1941—1945, hrsg. vom schen Verbände. Entstanden aus tschechi- Arbeitskreis für Wehrforschung, schen Einheiten, die 1938 nach Polen ge- Bonn: Bernard & Graefe 1991, gangen und 1939 von sowjetischer Seite in- 307 S.; DM 58,- terniert worden waren, entstand hier eine zweite »bürgerliche« Armee in der Sowjet- Als Gegenstück zu seinem bekannten Werk union, die sich im weiteren jedoch de facto über »Hitlers fremde Heere« hat der Au- den sowjetischen Streitkräften unterstellte. 264 MGM 52 (1993) Annotationen

In ähnlicher Weise wurden aus rumäni- sowjetischen Außenpolitik beschreibt schen Kriegsgefangenen eigene Verbände ge- (S. 274). Und wenn als Ergebnis der Unter- bildet, die später an der Besetzung ihres suchung die Behauptung aufgestellt wird, Landes aktiv mitwirkten. Keine eigenen mit der Bildung der ausländischen Verbän- Einheiten schuf man dagegen aus den deut- de habe die Sowjetunion von Anfang an das schen, österreichischen und ungarischen Ziel verfolgt, Möglichkeiten für die jewei- Kriegsgefangenen, die offensichtlich nicht ligen nationalen Komunistischen Parteien als Sieger in die künftigen Verliererstaaten zu schaffen, »unter militärischer Tarnung« des Zweiten Weltkriegs einrücken sollten. in ihre Heimatländer einzudringen (so Doch läßt es der Autor nicht bei einer S. 13), geht eine solche These aus dem vor- streckenweise minutiösen Beschreibung sol- liegenden Material keineswegs zweifelsfrei cher militärischer Gegebenheiten bewenden hervor. Wann genau in der Sowjetunion die — waren es doch stets auch die Auseinan- Entscheidung zur Schaffung der späteren dersetzungen auf politischer Ebene zwi- »Volksdemokratien« in Osteuropa fiel, ob schen der Sowjetführung, den Exilregierun- wirklich »hinter all diesen Machenschaften« gen und den Westmächten, vor deren Hin- eindeutig Stalin stand, läßt sich zumindest tergrund die militärischen Entscheidungen aus den bislang bekannten Quellen mit letz- erfolgten: So wurde die Flage der polni- ter Bestimmtheit nicht klären. schen Ostgrenze und das Schicksal der bei Doch bleibt zu hoffen, daß mit der Öff- Katyn ermordeten polnischen Offiziere zu- nung der russischen Archive auf diese Fra- nehmend zu einem Problem mit den »west- gen schon bald eine differenziertere Ant- lichen« Polen, wurde die sowjetische An- wort zu geben sein wird. nektion der Karpato-Ukraine und die Be- Manfred von Boetticher ziehung der tschechischen Verbände zur Roten Armee zum Streitpunkt mit der tschechischen Exilregierung. Vor allem aber ging es um die Frage nach der gesellschaftlichen Ordnung, die in sämt- Rudolf Härtung, Im Zeichen des Ti- lichen von der Roten Armee besetzten Län- gers. Die Indische Legion auf deut- dern Osteuropas mit Hilfe der unter sowje- scher Seite 1941-1945, Herford: tischem Einfluß stehenden »eigenen« mili- Busse Seewald 1991, 232 S.; 14 Pho- tärischen Verbände gegen die Exilregierun- tos, 3 Karten, Anhang; DM 34,— gen und die vorhandenen bürgerlichen Kräfte im Sinne der sowjetischen Außen- Unter den vielen Völkern, die während des politik entschieden wurde. Ausführlich be- Zweiten Weltkrieges auf deutscher Seite schreibt das Buch die Rolle der jeweiligen kämpften, wird der Unvoreingenommene Armeen in Polen und der Tschechoslowa- die Inder zuletzt vermuten. Tatsächlich ha- kei, in Rumänien, in Ungarn und in Bul- ben bis zum Mai 1945 fast 3000 indische garien. Soldaten freiwillig in der Deutschen Wehr- Gegenüber der beeindruckenden Be- macht gekämpft. Sie stammten von Verbän- schreibung dieser Ereignisse fällt die analy- den der Indian Army, die in Nordafrika ein- tische Schärfe des Buches etwas ab. So geht gesetzt und während der Vorstöße Rommels der Autor einerseits davon aus, daß eine 1941 überwältigt worden waren. Später ka- »Weltrevolution« in den vierziger Jahren men auch indische Kriegsgefangene dazu, wirklich noch Stalins Ziel war (S. 13, 266), die in italienischen Lagern geworben wor- während er an anderer Stelle die Komintern den waren. Sie alle bildeten die Indische Le- bereits seit 1925 lediglich als Instrument der gion, die gedacht war als Kerntruppe zur Annotationen MGM 52 (1993) 265

Befreiung Indiens von kolonialer Abhängig- ses Pdstulat, die Legion ausschließlich gegen keit. Die Indische Legion war eine Idee England einzusetzen, wurde für die deut- Subhas Chandra Böses. Neben Gandhi und sche Führung zum Problem. Am 7. Mai Nehru war Bose in den dreißiger Jahren ei- 1943 fiel Tunis, und als am Dienstag nach ner der populärsten indischen Politiker. Ostern desselben Jahres schließlich zwei Ba- Nach Haft und Flucht vor den Engländern taillone der Legion feldmarschmäßig zum führte er von 1941 bis 1943 von Berlin aus Verladen bereitstanden, blieb als Einsatz- den Unabhängigkeitskampf weiter. Sein raum nur der Westen. Dem LXXXVHI. Ar- Ziel war, eine Exilregierung zu bilden und meekorps unterstellt, löste das gutausgebil- Streitkräfte aufzustellen, eben die Indische dete I. Bataillon des Infanterieregiments (in- Legion, die mit Hilfe der Achsenmächte In- disch) 950 die deutsche Besatzung im Be- dien von den Engländern befreien sollten. reich Ymuiden bis Haarlem bei Zandvoort Dieser Plan schien auf einer Linie mit deut- ab, während das II. Bataillon nach der In- schen Absichten zu liegen, aus dem Nahen sel Texel verlegt wurde. Das III. Bataillon Osten und Transkaukasien nach Afghani- wurde zunächst am Aufstellungsort in Kö- stan vorzustoßen und sich in Indien mit ja- nigsbrück bei weiter ausgebildet. panischen Kräften zu vereinigen, um dort Im Oktober 1943 gelang es, den Regiments- England in die Knie zu zwingen. Im Früh- verband aufzustellen, und die Indische Le- jahr 1941 wurde Griechenland besetzt, im gion wurde als Inf.Rgt. (ind) 950 dem Ober- Mai eroberten deutsche Soldaten unter gro- befehlshaber West zugeführt. Als selbstän- ßen Verlusten Kreta, und in Nordafrika gin- diger Verband bewachte das Regiment einen gen durch die Erfolge Rommels Gelände- Küstenstreifen von etwa 60 km Länge, der gewinne der Engländer verloren. In Syrien sich westlich von Bordeaux zwischen der stellten sich Vichy-treue französische Trup- Girondemündung und dem Bassin von Ar- pen gegen die Briten, und im Irak kam der cachon erstreckte. Als nach der Invasion am deutschfreundliche Nationalistenführer 6. Juni 1944 die militärische Lage in Nord- Rashid Ali el-Gailani durch einen Coup an westfrankreich kritisch wurde, entschloß die Macht. Eine deutsche Truppe für den sich das deutsche Oberkommando, alle Ver- Einsatz im Irak wurde in Südgriechenland bände aus Südwestfrankreich abzuziehen. als »Sonderstab Felmy« aufgestellt; doch zu Für die indischen Soldaten in deutschen einer Intervention kam es nicht. Auch die Uniformen begann ein geradezu abenteu- Pläne für Afghanistan blieben in Ansätzen erlicher Rückzug, bei dem sie ihre größten stecken, und wenig später sank der Stern des Verluste erlitten. Die Freiwilligen und das »Wüstenfuchses« in Nordafrika. Während deutsche Rahmenpersonal erreichten das die Soldaten des Tenno 1942 Burma besetz- Reichsgebiet, und in den Allgäuer Bergen ten und bis zur indischen Grenze vorrück- erlebten sie das Ende der Indischen Legion; ten, stockte der deutsche Vorstoß bereits am Bose, der mit der Legion so große Hoffnun- Kaukasus und in Nordafrika. gen verbunden hatte, war zu diesem Zeit- punkt bereits tot. Die Soldaten gingen in Somit hatte sich die Kriegslage geändert Gefangenschaft; das deutsche Personal wur- und die Chancen Böses, seinen Plan zu ver- de vom indischen getrennt. Nach ihrem wirklichen, verringerten sich ebenso wie Rücktransport wurden einigen Freiwilligen sich die Schwierigkeiten mehrten, die Solda- der Indischen Legion in Indien der Prozeß ten der Indischen Legion zu motivieren, be- gemacht. Die Kongreßpartei übernahm ih- vor die Einheiten überhaupt aufgestellt und re Verteidigung, inzwischen hatten »die ausgebildet waren. Im Februar 1943 verwahr- Menschen in Indien [...] nämlich begonnen, te sich Bose denn auch gegen einen Einsatz die Sache der Unabhängigkeitskämpfer in seiner Truppe in Rußland oder Lybien. Bö- 266 MGM 52 (1993) Annotationen aller Öffentlichkeit zu der ihren zu ma- lage und Art, nach Intensität und Auswir- chen« (S. 193). Doch obwohl der Prozeß kung auf das von deutschen Truppen be- mehr oder minder ins Wasser fiel, wurde setzte Dänemark des Zweiten Weltkrieges später kein Angehöriger der Indischen Le- gestalteten. Der Begriff der »westalliierten gion in die Armee des souveränen Indien Luftangriffe« spannt insofern etwas weit, als übernommen. Besonders bemerkenswert Dänemark im wesentlichen von Aktionen an der Indischen Legion ist wohl nicht so der britischen Royal Air Force (RAF) be- sehr ihre rein militärische Leistung, unge- troffen wurde. achtet deren Qualität, als vielmehr der er- Diesem Umstand entspricht auch die folgreiche Versuch, bis in die Züge und — umfassend genutzte und detailliert ver- Gruppen Inder verschiedener Kasten, Re- zeichnete — Quellengrundlage vornehm- ligionen und Stämme zu integrieren. Die lich britischer Provenienz (zuoberst die Ar- Kommandosprache war Hindustani; auch chive der RAF, sodann Materialien aus Ka- das war ein Novum. Vom deutschen Rah- binett, Außenministerium, Admiralität und menpersonal wurden dazu ein Militärwör- War Office). Dänisches und deutsches Quel- terbuch Deutsch-Hindustani sowie gewis- lengut kamen hinzu, speziell auch deshalb, se Ansätze für eine einheitliche Landesspra- um die Angaben in den Unterlagen der che geschaffen. RAF über die Einsätze mit den tatsächli- Der Verfasser benutzte neben den im chen Schäden und sonstigen Auswirkungen Bundesarchiv-Militärarchiv vorhandenen der Luftangriffe in Beziehung setzen zu Akten der Legion zahlreiche Papiere ehe- können. maliger Legionsangehöriger, Memoiren, Ta- Die Recherchen der drei Autoren werden gebücher, Briefe sowie veröffentlichte ein- in thematisch-chronologisch gegliederten schlägige Literatur. So ist ein gerafftes, in- und namentlich gezeichneten Kapiteln, die formatives, dabei völlig unpathetisches und episodenhaften Einzelbeiträgen zu bemer- sachliches Buch entstanden, das zu lesen kenswerten Luftattacken auf dänische Zie- Freude macht und Nutzen bringt. Dem le nahekommen, minutiös ausgebreitet. Zu Text sind zahlreiche Photographien, einige denjenigen Raids, die vor allem im däni- Karten sowie Kompanieeinteilungen und ei- schen Bewußtsein verankert sind, gehört nige Proben aus dem Militärwörterbuch der auf Forderungen des dänischen Wider- beigefügt. Günther Hebert stands zurückgehende Angriff auf die Ge- stapo-Filiale in Ärhus vom 31. Oktober 1944. Schließlich wurde am 21. März 1945 das Shell-Haus in Kopenhagen durch einen Henrik Skov Kristensen, Claus Ko- weiteren, häufig genannten britischen Luft- foed, Frank Weber, Vestaiiierede luft- angriff zerstört. Der dänische Widerstand angrep i Danmark under 2. verdens- hatte Vorarbeiten geleistet, um den von ihm krig [Westalliierte Luftangriffe in verlangten Schlag gegen die hier residieren- Dänemark während des Zweiten de Gestapo zu einem >Erfolg< werden zu Weltkrieges], Aarhus: Universitets- lassen. forlag 1988, 2 Bde zusammen 861 S.; Speziell die Darstellung der Luftattacken 490 DKR erreicht zuzeiten eine faktische Dichte, die wohl mehr einem regional- oder opeiations- Die dänischen Historiker Kristensen, Ko- geschichtlich ausgerichteten Interesse entge- foed und Weber gingen in ihrem umfangrei- genkommen mag. Für den ausländischen chen Forschungsprojekt der Frage nach, wie Leser dürften eher die analysierenden und sich die westalliierten Luftangriffe nach An- resümierenden Kapitel im Vordergrund ste- Annotationen MGM 52 (1993) 267 hen; sie umfassen allerdings nur einen ge- Vorbereitung der alliierten Invasion in ringen Teil der insgesamt 861 Seiten. In Dä- Nordafrika im November 1942 (Operation nisch und Englisch erläutertes Bildmaterial, TORCH) verstrich, steht dabei nur als das Karten und Quellenexzerpte (z.B. Besat- beeindruckendste Beispiel. Beide Seiten zö- zungslisten, tabellarische Ubersichten über gerten monatelang eine vollständige und of- Intruder- und Ranger-Aktionen) erhöhen fene Diskussion über die vielen unterschied- die Anschaulichkeit der beiden Bände. Dar- lichen Gründe hinaus, die für und gegen die stellungen der deutschen Maßnahmen und von Stalin drohend und verzweifelt einge- der dänischen Reaktionen zeigen die Gegen- forderte zweite Front sprachen. Wie sehr seite und die in Mitleidenschaft Gezogenen. dies nicht zuletzt auch mit oftmals offen- Eine englische Zusammenfassung von 40 siv verdeckten, britischen Unterlegenheits- Seiten ermöglicht die Nutzung des Buches beziehungsweise umgekehrt mit amerika- für Leser, die der dänischen Sprache nicht nischen Überlegenheitsgefühlen, mit Zwei- mächtig sind. Arnim Lang fel und Selbstzweifel zu tun hatte, das ver- anschaulicht Dykes nachdrücklich. Die zweite wichtige Ergänzung, die Dy- kes' Tagebücher liefern, erweitert die übli- che historiographische Konzentration auf Establishing the Anglo-American Al- das persönliche Zentrum der anglo-ameri- liance. The Second World War Dia- kanischen Beziehungen, auf das besonders ries of Brigadier Vivian Dykes. Ed. enge Verhältnis zwischen Churchill und by Alex Danchev, London u.a.: Roosevelt. Diese perspektivische Erweite- Brassey's 1990, XI, 241 S.; £ 47.95 rung ist zwar einerseits nur natürlich und bestimmt durch Dykes' Position beim CCS. Die Kriegstagebücher des ersten britischen Aber Dykes' Aufzeichnungen schildern Sekretärs des Combined Chiefs of Staff sehr anschaulich, von welch großer und aus- Committee (CCS), des gemeinsamen Aus- schlaggebender Bedeutung die wechselsei- schusses der amerikanischen und britischen tige Wertschätzung war, die General Mar- Oberbefehlshaber, stellen mehr als nur ei- shall mit dem britischen Leiter der Wash- ne Fußnote zu dem dar, was wir bereits ingtoner Mission, General Dill, oder die ihn über die anglo-amerikanischen Beziehun- selbst mit seinem amerikanischen Gegen- gen im Zweiten Weltkrieg wissen. Vivian über, Bedell Smith, verband. Im Lichte der Dykes' Beobachtungen, Bemerkungen und Konflikte und Animositäten, die Dykes so- Kommentare über die Anfangszeit der Anti- wohl unter den einzelnen Waffengattungen Hitler-Koalition zeichnen sich durch ein als auch zwischen den Delegationen aus- wesentlich größeres Maß an Offenheit aus, macht, erhalten diese Sonderbeziehungen als sie etwa aus der Korrespondenz zwi- ein noch größeres Gewicht für die praktische schen Churchill und Roosevelt zutage tritt Vorbereitung und Verwirklichung der ame- (Vgl. Churchill & Roosevelt. The Complete rikanisch-britischen Sonderbeziehungen. Correspondence. Ed. by Warren Kimball, Der Herausgeber hat das Tagebuch in vier Princeton 1983). Das kann nicht überra- große Abschnitte unterteilt und mit jeweils schen, führt aber im Resultat zu zwei we- informativen und hilfreichen Einleitungen sentlichen Einsichten. Zuerst machen Dy- versehen. Sie reichen von Dykes' Mittel- kes' Aufzeichnungen deutlich, wie kontin- meerreise mit dem amerikanischen Oberst, gent der Erfolg der britisch-amerikanischen Sonderbeauftragten des Präsidenten und Zusammenarbeit war. Dykes' spürbare späteren Leiter des Office of Strategie Ser- Agonie über die kostbare Zeit, die bei der vices (OSS), William Donovan, zum Jahres- 268 MGM 52 (1993) Annotationen

Wechsel 1941/42 bis zur Casablanca-Kon- dung der Missionen sowie an der prakti- ferenz im Januar 1943. Auf der Rückreise schen Ausführung der britischen Politik von Casablanca verunglückte Dykes beim vor Ort. Andere, weniger bekannte Aspek- Absturz seines Flugzeuges über England te, wie zum Beispiel die Teilnahme (bzw. tödlich. Mit seinen Tagebüchern hinterließ die Nicht-Teilnahme) der Briten am slowa- er eine historische Quelle, die uns sowohl kischen Aufstand gegen Tisos Regierung einen Eindruck von den menschlichen Hö- kommen in dem Band ebenfalls zur Gel- hen und Tiefen bieten, die das Zustande- tung. Die klassische Auffassung über die kommen der erfolgreichen anglo-amerika- wichtige Rolle Griechenlands, und in gerin- nischen Kriegsallianz produzierte, als auch gerem Maße Jugoslawiens, bleibt unange- die Arbeitsweise und zentralen Akteure auf fochten. der strategisch-operativen Ebene dieser Ko- Mit dem Kartenmaterial gingen die Her- alition in einer neuen Weise zugänglich ausgeber etwas sparsam um, der Index da- macht. Reinhard Flessner gegen ist ein gutes Hilfsmittel. Luc De Vos

British Political and Military Strate- Oswald Bindrich, Susanne Römer, gy in Central, Eastern and Southern Beppo Römer. Ein Leben zwischen Europe in 1944. Ed. by William Dea- Revolution und Nation. Mit einem kin, Elisabeth Barker, Jonathan Vorwort von Peter Steinbach, Ber- Chadwick, Houndmills, Basing- lin: Edition Hentrich 1991 (= Rei- stoke, London: Macmillan 1988, he Deutsche Vergangenheit »Stät- XIV, 261 S.; £ 33 ten der Geschichte Berlins«, Bd 49); DM 24,- Mit Beiträgen von fünfzehn Autoren gibt dieses Buch einen sehr ausführlichen Über- Der erste Teil des Bandes enthält den bio- blick über die britische Diplomatie und ih- graphischen Abriß eines deutschen Wider- re militärstrategischen Schwerpunkte in standskämpfers, mit dem sich »die Nach- Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Obwohl geborenen«, wie Steinbach in seinem Vor- sich das Buch mit Geschichte befaßt, besitzt wort bemerkt, »besonders schwer getan ha- es einen außerordentlich aktuellen Wert im ben«, den Fabian v. Schlabrendorff sogar als Rahmen der jüngsten Ereignisse auf dem »Landsknechtsnatur« bezeichnete. Josef Rö- Balkan. Es handelt sich um eine besonders mer, 1892 geboren, Berufsoffizier, Teilneh- vielseitige Studie, nicht zuletzt weil Vertre- mer an den Kämpfen in Nordfrankreich, ter aus den unterschiedlichen Nationen zu Belgien und Rußland, nahm an der Nieder- Wort kommen. werfung der Münchener Räterepublik 1919 Das Werk zeigt unter anderem, wie Wi- und im März/April 1920 an der Zerschla- derstandskämpfer der verschiedenen Län- gung und Entwaffnung der im Kampf ge- der von Großbritannien »benutzt« wurden. gen den Kapp-Putsch entstandenen Roten Andererseits deutet es ebenfalls an, wie Ruhrarmee teil. Im Mai 1921 erstürmte er schwach der britische Einfluß auf die Er- mit dem Freikorps »Oberland« den Anna- eignisse zuweilen war. Das jugoslawische berg in Oberschlesien, im Oktober 1921 Drama ist in dieser Hinsicht ein Muster- gründete er den nationalistisch-militaristi- beispiel. schen Wehrverband »Oberland«. Kurze Zeit Verschiedene Autoreh waren persönlich später, im Februar 1922, verteidigte er er- beteiligt an der Entscheidung der Entsen- folgreich seine Dissertation »Der Gedanke Annotationen MGM 52(1993) 269

der Berufsständischen Vertretung und der Regimentskamerad Hößlins vom Kavalle- Reichswirtschaftsrat« an der Universität rieregiment 17, Bamberg, und Kriegsteil- Würzburg. Für seine Aktionen im Kampf nehmer verfügt er dafür nicht nur über ein gegen die Ruhrbesetzung 1923 verurteilten hohes Maß an Insiderkenntnissen, sondern ihn die Franzosen in Abwesenheit zum To- auch über eine reiche Lebenserfahrung. Ka- de. Die ersten Begegnungen mit deutschen geneck wollte in der biographischen Arbeit Kommunisten ergaben Gemeinsamkeit in vor allem Hößlins zahlreiche, wegen ihres zwei Fragen: Kampf gegen die Ruhrbeset- Inhaltes und Stils beeindruckenden Briefe, zung und Kampf gegen Versailles. Römer aber auch aussagekräftige Berichte von Weg- bezog nationalrevolutionäre Positionen, sah gefährten sprechen lassen. Für seine erläu- in der Sowjetunion den natürlichen Ver- ternden und verbindenden Ausführungen bündeten Deutschlands und bekannte sich konnte er sich auch auf ein Manuskript von schließlich offen zur KPD. Er übernahm Hauptmann Winfried Heinemann vom Mi- die Schriftleitung der Zeitschrift »Auf- litärgeschichtlichen Forschungsamt stützen, bruch. Kampfblatt im Sinne des Leutnants das ihm von dem Bruder Roland von Höß- a.D. Scheringer«, beteiligte sich nach 1933 lins, Hartmut v. Hößlin, zur journalisti- aktiv am Widerstand gegen das NS-Regime schen Weiterbearbeitung zur Verfügung ge- und wurde nach mehrjähriger »Schutzhaft« stellt wurde. im September 1944 hingerichtet. Major Roland v. Hößlin wurde am 21. Fe- Der zweite Teil des Bandes besteht aus ei- bruar 1915 in München geboren und — ner 55 Dokumente enthaltenden Quellen- nach einer kürzen »Verhandlung« vor dem sammlung, von der Geburtsurkunde über Volksgerichtshof in Berlin — am 13. Okto- Geheimpapiere des Freikorps und des Bun- ber 1944 im Alter von erst 29 Jahren in Ber- des »Oberland«, militärpolitische Aufsätze lin-Plötzensee hingerichtet. Er entstamm- aus dem »Aufbruch«, Gestapoakten, Schrif- te väterlicher- und mütterlicherseits alten ten gegen das NS-Regime bis hin zum To- bayerischen Offizierfamilien. Sein Vater, desurteil vom 19. Juni 1944. Kurt Finker Großvater und Urgroßvater dienten in dem bayerischen 4. Cheveaulegersregiment Kö- nig, Augsburg, und wurden zwischen 1872 und 1944 als Oberst bzw. Generalmajore verabschiedet. Roland v. Hößlin wuchs in August Graf von Kageneck, Zwi- dieser bayerisch und militärisch orientier- schen Eid und Gewissen. Roland ten Familientradition auf und wurde von von Hößlin. Ein deutscher Offizier, ihr geprägt. Er trat nach dem an Berlin, Frankfurt a.M.: Ullstein dem elitären Münchener Wilhelms-Gym- 1991, 204 S.; DM 34,- nasium 1934 in das Reiterregiment 17 in Bamberg, das Traditionsregiment der ehe- Der international bekannte Bonner Jour- maligen bayerischen Kavallerieregimenter, nalist August Graf v. Kageneck hat es dan- ein, das zehn Jahre später, nach dem miß- kenswerterweise unternommen, das kurze, glückten Attentat auf Hitler durch den ehe- von soldatischem Berufsethos und weltof- maligen Regimentsangehörigen Oberst d.G. fener Aufgeschlossenheit geprägte Leben des Claus Schenk Graf v. Stauffenberg, nach Majors Roland v. Hößlin, eines jüngeren dem Infanterieregiment 9, Potsdam, mit Offiziers aus dem Widerstand gegen Hitler fünf Offizieren den zweithöchsten Blutzoll und das NS-Regime, darzustellen. Als Zeit- zu entrichten hatte. zeuge des im Zweiten Weltkrieg am stärk- Kageneck schildert den Dienst und das sten dezimierten Geburtsjahrganges 1922, Leben in diesen ereignisreichen Friedens- 270 MGM 52 (1993) Annotationen

jähren, in denen Hößlin mit dem Ober- scheidende, von Sauerbruch vermittelte Ge- leutnant Peter Sauerbruch, einem späte- spräch fand am 1. April 1944 in Stauffen- ren Mitverschwörer gegen Hitler, Freund- bergs Dienstzimmer im Bendlerblock in schaft schloß und in denen er Staufen- Berlin statt. Kageneck nimmt mit Recht an, berg zum ersten Mal begegnete, sehr kennt- daß Hößlin sich an diesem Tage zur Teil- nisreich. Seinen informativen Exkursen nahme bereit erklärte. Da dies möglicher- über Hößlins Teilnahme am Polenfeldzug weise mit einem Einsatz gegen NS-Dienst- 1939 und dessen Tätigkeit an der Schule stellen in Ostpreußen verbunden war, ver- für Schnelle Truppen in Krampnitz läßt suchte Hößlin von nun an, die Einstellung er viele inhaltsreiche Briefe Hößlins vom der Offiziere seiner Abteilung zu einem sol- Feldzug in Afrika vom März 1941 bis zu chen Vorgehen zu ergründen. In seinen dessen Verwundung als Hauptmann und Briefen an die Familie, mit der er nach wie Kommandeur der Panzeraufklärungsabtei- vor eng verbunden war, schilderte er in far- lung 33 am 12. Juli 1942 bei El-Alamein biger Weise und detailliert scheinbar unbe- folgen. schwert sein dienstliches und gesellschaft- Hößlin berichtete darin sehr plastisch lich-privates Leben in Insterburg. von den Ereignissen an der Front und in Nur wenige Tage nach dem mißglückten den Stäben. Er vermittelt dabei den Ein- Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 reiste druck eines jungen Offiziers, der ganz in Hößlin nach Meiningen, um hier als frisch seinen Aufgaben und Pflichten aufgeht, beförderter Major die Panzeraufklärungs- aber auch ein reges Interesse für die lande- ausbildungsabteilung für Offizierbewerber süblichen Verhältnisse hat. zu führen. Aus seinen Briefen sprechen in Während der Genesung in der Heimat diesen spannungsgeladenen Wochen mit wurde er für seine Tapferkeit als Frontoffi- den Verhaftungen, Prozessen und Hinrich- zier mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. In tungen von Kameraden seine Niederge- der Berliner Charite erhielt er im März schlagenheit, verbunden mit Gedanken an 1943 auch den Besuch Stauffenbergs, ohne den eigenen Tod. daß es zu irgendwelchen Gesprächen über Am 23. August 1944 wurde Hößlin ver- den Widerstand gekommen wäre. Zweifel haftet und nach Berlin in das Gefängnis ge- an der politischen und militärischen Füh- bracht. Kageneck hat diesen dramatischen rung sowie am Sieg des Deutschen Reiches Vorgang genau beschrieben. Nach Ab- entstanden wohl erst allmählich im Herbst schluß der Vernehmungen am 1. September 1943 während einer weiteren Verwendung 1944 wurde Hößlin am 14. September 1944 in Krampnitz und bei einem Kommandeur- vom Ehrenhof aus der Wehrmacht entlas- lehrgang. Auch aus dieser Zeit vermitteln sen. Vergeblich blieben die Rettungsversu- seine Briefe einen unmittelbaren Eindruck che des Vaters für seinen Sohn, die Kage- von der Lage und der Stimmung in der Hei- neck eindrucksvoll darstellt. Am 13. Okto- mat, wobei besonders seine Berichte über ber 1944 wurde Hößlin zum Tode verur- das gesellige und kulturelle Leben im Ber- teilt und noch an demselben Tage hinge- lin dieses krisenreichen Jahres zu erwähnen richtet. Seine drei Briefe aus der Gefangen- sind. schaft vom 30. September, 12. und 13. Ok- Nach seiner Versetzung im Frühjahr 1944 tober 1944 sind ein erschütterndes Zeugnis als Kommandeur der Panzeraufklärungsaus- für die tiefe Liebe Hößlins zu seinen Eltern bildungsabteilung für Offizierbewerber und. Geschwistern sowie für die souveräne nach Insterburg in Ostpreußen wurde Höß- Größe seiner Persönlichkeit, für die Pflicht lin für den zum Umsturz entschlossenen und Ehre bis zuletzt bestimmende Richt- Stauffenberg eine wichtige Größe. Das ent- schnur waren. Othmar Hackl Annotationen MGM 52 (1993) 271

Hans Holzträger, Die Wehrertüchti- zieht, das gespannte Verhältnis zwischen gungslager der Hitlerjugend 1942— Waffen-SS und Reichsjugendführung auf- 1945. Ein Dokumentarbericht, Ip- zeigt und an den Anfang der Betrachtung pesheim: Verlag des Arbeitskreises einen Uberblick über Bestrebungen zu vor- für Geschichte und Kultur der deut- militärischer Ausbildung bei anderen euro- schen Siedlungsgebiete im Südosten päischen Ländern stellt. Dabei wird der Europas e.V. 1991, 120 S. (= Publi- Darstellung des alltäglichen Dienstbetriebs kationen des Arbeitskreises für Ge- in den Wehrertüchtigungslagern breiter schichte und Kultur der deutschen Raum gegeben, ohne daß jedoch in der zeit- Siedlungsgebiete im Südosten Euro- lichen Abfolge hinreichend klar würde, pas e. V., Reihe I: Geschichte und ihre wann und weshalb es bei der Hitlerjugend Hilfswissenschaften, Bd 2); DM 19,80 zur Einrichtung von Reichsausbildungsla- gern (für Führerausbildung) und der Son- Allein im ersten Jahr des Bestehens der derdienste (Flieger-HJ, Marine-HJ, Nach- Wehrertüchtigungslager der Hitlerjugend, richten-HJ, Reiter-HJ, Motor-HJ, u.a.) kam. 1. Mai 1942 bis 30. April 1943, wurden in Der interessierte Leser kann zum besse- 163 Lagern 245278 Jungen erfaßt, und trotz ren Verständnis des eigenartigen und nicht des Grundsatzes der waffenlosen Ausbil- ohne weiteres verständlichen Verhältnisses dung im Gelände und der Richtlinie, daß beim Deutschen Jungvolk und bei der Hit- Wehrertüchtigungslager bei Feindannähe- lerjugend indessen mit Gewinn auf die von rung in feindfreie Gebiete zu verlegen sei- Jutta Rüdiger schon 1983 im Askania-Ver- en, sind in der Endphase des Kampfes um lag Lindhorst herausgegebene »Studien-Aus- das Reichsgebiet — in Berlin, Nürnberg und gabe« zurückgreifen (Die Hitlerjugend und anderwärts — beim Aufruf des III. Aufge- ihr Selbstverständnis im Spiegel ihrer Auf- botes des Deutschen Volkssturms von den gabengebiete) und Holzträgers Dokumen- für die Organisation des Volkssturms ver- tation, die eine Lücke schließt, als reichhal- antwortlichen Parteidienststellen neben der tige und auf weitere Fundstellen in Ak- Hitlerjugend als solcher, den Lagern der ten und Verordnungsblättern verweisende Kinderlandverschickung und des Landdien- Sammlung von Belegen sowie von Zeitzeu- stes auch die Wehrertüchtigungslager her- genberichten hinzuziehen. Brün Meyer angezogen worden: nicht nur zu Schanzar- beiten, sondern auch zur Aufstellung von Panzervernichtungstrupps, zu Wach- und Meldediensten — in Nachrichten-, Verpfle- Ingo Ossendorff, »Den Krieg kennen gungs-, Versorgungs- und Gesundheitsein- wir nur aus der Zeitung«. Zwischen heiten auch Mädchen. Kollaboration und Widerstand. Dä- Diese besondere Entwicklung, die mit ei- nemark im II. Weltkrieg. Studie ner im Wortlaut bisher nicht ermittelten, zum fünfzigsten Jahrestag der Ak- nicht veröffentlichten Führerweisung vom tion »Weserübung«, dem 9. April 13. März 1942 einsetzte, steht im Mittel- 1990, Frankfurt a.M. usw.: Peter punkt der hier anzuzeigenden Schrift, die Lang 1990, 153 S. (= Europäische aber auch das Reichskuratorium für Jugend- Hochschulschriften. Reihe III: Ge- ertüchtigung vor dem Jahre 1933 und frühe schichte und ihre Hilfswissenschaf- Versuche der SA, dann der Wehrmacht, in ten, Bd 449) den Sommerlagern und bei den Wochen- enddiensten der Hitlerjugend eine vormi- Der den Titel von Ingo Ossendorffs klei- litärische Ausbildung einzurichten, einbe- ner Schrift bildende Spruch eines Dänen 272 MGM 52 (1993) Annotationen

stammt aus dem Jahre 1942. Das Zitat soll diese Kieler Dissertation am Beispiel der die besondere Situation Dänemarks in der Arbeiterschaft in Lübeck und der Zeugen Reihe der von deutschen Truppen besetz- Jehovas in Schleswig-Holstein »unterschich- ten Länder illustrieren helfen. Aber nach tenspezifische Widerstandshandlungen und dem Lesen der Publikation von Ossendorff andere Formen des dem staatlichen Totali- mag man sich durchaus die Frage stellen, tätsanspruch nicht genügenden devianten ob man nun auf der Grundlage des Mitge- Verhaltens« und erörtert auch, »unter wel- teilten mehr über diesen Krieg weiß, als je- chen Bedingungen, mit welchen Motiven ner Däne, der sich nur aus der Tageszeitung und Zielen und in welchen Formen Wider- informieren konnte? stand stattfand«. Obwohl als Europäische Hochschul- Nach einer instruktiven forschungs- und schrift< präsentiert, wird man der auf ma- begriffsgeschichtlichen Einführung gliedert schinenschriftlicher Grundlage vervielfäl- sich die methodisch abgerundete und flüs- tigten Arbeit wohl am ehesten gerecht, sig geschriebene Studie in zwei Hauptteile: wenn man sie an journalistischen Kriterien »Widerstand und Dissens aus den Reihen mißt. Sodann kann man feststellen, daß für der Arbeiterbewegung in Lübeck und Um- das deutsche Publikum eine lockere Her- gebung 1933—1945« sowie »Widerstand und anführung an den Problemkreis Dänemark Dissens von Zeugen Jehovas (Bibelforschern) im Zweiten Weltkrieg geboten und ein knap- in Schleswig-Holstein 1933—1945«. So wird per Einblick in zentrale Fakten erreicht zunächst die Situation und Sozialstruktur wird. Erkenntnisse, die über die zum Teil der Lübecker Arbeiterschaft am Vorabend etwas betagte Standardliteratur (darunter der nationalsozialistischen Machtübernah- wenig Dänisches), hinausgehen, sollte man me sowie die Zerschlagung der Arbeiterbe- dabei nicht erwarten. Die angefügten kur- wegung beschrieben, zumal der NSDAP- zen Protokolle von Gesprächen des Verfas- Gauinspektor Walther Schröder am Tag sers mit ehemaligen in Dänemark statio- nach der Reichstagswahl vom 5. März ge- nierten Wehrmachtangehörigen können die äußert hatte, er werde »seine ganz Energie Einsicht in das Thema nicht vertiefen. Ei- dafür einsetzen, daß das marxistische Un- nem wissenschaftlichen Nutzer kann die termenschentum in Lübeck kein Unheil Arbeit somit kaum Neues bringen — um so mehr anrichten kann«. bedauerlicher, da dies Themengebiet mehr Die folgenden Abschnitte analysieren für Aufmerksamkeit verdient. Arnim Lang die Jahre 1933 bis 1935 mit geradezu minu- tiöser Gründlichkeit den Widerstand der SPD, der übrigens Willy Brandt zu ihren Mitgliedern zählenden SAP und der im Ok- tober 1935 zum zweiten Mal zerschlagenen Elke Imberger, Widerstand »Von un- illegalen KPD-Unterbezirksleitung. Dabei ten«. Widerstand und Dissens aus verdeutlicht die Autorin nicht nur die lo- den Reihen der Arbeiterbewegung kalen Strukturen und regionalen Verflech- und Zeugen Jehovas 1933—1945, tungen — und Isolationen —, sondern re- Neumünster: Wachholtz 1991,393 S. konstruiert auch die in der Hafenstadt Lü- (= Quellen und Forschungen zur beck überaus vielfältigen Verbindungen in Geschichte Schleswig-Holsteins, die skandinavischen Länder. Nachdem Bd 98); DM50,- dann Ende 1935 durch die Massenverhaf- tungen der organisierte Widerstand zer- Vor allem basierend auf den einschlägigen schlagen worden war, existierten die »roten Justiz- und Sondergerichtsakten untersucht Nischen« nicht mehr. Besondere Erwäh- Annotationen MGM 52 (1993) 273 nung verdient allerdings die gegen Kriegsen- Insgesamt beweist diese auch für andere Be- de von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen reiche modellhafte Untersuchung den Wert und Lübecker Kommunisten gebildete Wi- regionalgeschichtlicher Fallstudien und zeigt, derstandsorganisation, deren Hoffnungen, welche — auch sozialgeschichtlich — ein- als »revolutionäre Kampfgruppen in der drucksvollen Informationen und Rekon- Stadt eine der Novemberrevolution ähnli- struktionen sich durch konzise Quellenaus- che Erhebung der politischen Kräfte gegen wertung gewinnen lassen. Wolfgang Müller das Regime auszulösen«, nicht zuletzt we- gen der vorzeitigen Verhaftung der Kom- munisten zerstoben. Während so insgesamt die auch im Lü- »Ich habe die Metzelei satt...«. Deser- becker Untergrund getrennten Wege von teure — Verfolgte der Militärstraf- Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommu- justiz und der Militärpsychiatrie nisten und die intensive illegale Arbeit der im Zweiten Weltkrieg. Ein Sympo- Kommunisten zu bilanzieren bleiben, wen- siumsbericht. Hrsg. von der Ge- det sich der zweite Hauptteil den »Zeugen schichtswerkstatt Marburg, Mar- Jehovas« zu, die sich in Schleswig-Holstein burg 1992, 184 S.; DM6- überwiegend aus den proletarischen oder proletarisierten Gesellschaftsschichten re- Der Band dokumentiert 14 Referate einer krutierten und über ein verblüffendes ille- 1991 in Marburg durchgeführten Tagung gales Organisationsgefüge verfügten. So the- über deutsche Deserteure im Zweiten Welt- matisiert die Autorin die Repressionen des krieg, von Soldaten also, die unter den singu- NS-Regimes gegen die vermeintlich »kultur- lären Bedingungen des nationalsozialisti- bolschewistische Zersetzungsarbeit« der schen Unrechtsstaates und der von ihm ge- Zeugen Jehovas und deren anfangs partiel- führten Eroberungs- und Vernichtungskrie- len Anpassungskurs ebenso wie die koor- ge als Fahnenflüchtige ihre Truppe verließen. dinierte Reaktivierung des Sektenlebens Die Bearbeiter der Publikation, Michael Eber- und der Missionstätigkeit in der Illegalität. lein und Roland Müller von der Geschichts- Nach den ersten — auch durch Denunzia- werkstatt Marburg, bezeichnen das Buch be- tionen aus der Bevölkerung ermöglichten scheiden als einen »Problemaufriß« (S. 11). — Prozessen 1935/36 beschritt man neue Tatsächlich führte die Tagung erstmals eine Wege der illegalen Arbeit, die in zwei reichs- größere Zahl von Wissenschaftlern und Be- weiten Flugblattaktionen am 12. Dezember troffenen, nämlich ehemaligen Deserteuren, 1936 und 20. Juni 1937 ihren spektakulären zusammen, die das Thema sowohl in seinen Höhepunkt fand und eine von keiner an- biographischen als auch in seinen historisch- deren Widerstandsorganisation erreichte In- politischen, rechtlichen und psychologi- itiative darstellte. Zwar wurde auch die Un- schen Dimensionen beleuchteten. tergrund-Organisation der Zeugen Jehovas Die Historiker Manfred Messerschmidt zerschlagen. Aber obwohl die Widerstands- und Walter Manoschek referierten über Wehr- handlungen nur singuläre Erscheinungen macht, Nationalsozialismus und Kriegsver- waren, »zeigen sie doch, daß es auch Men- brechen, also über die spezifischen ge- schen aus der schwächsten Sozialschicht schichtlichen Rahmenbedingungen, ohne möglich war, sich dem totalitären Zugriff deren Berücksichtigung eine Diskussion des NS-Regimes zu entziehen und ihre über das Problem der deutschen Deserteure Uberzeugungen entgegen aller national- nicht sinnvoll zu führen ist. Franz Wüllner sozialistischen Gewalt und Verführung in faßte seine Forschungen zur NS-Militär- Wort und Tat zu behaupten.« strafjustiz zusammen, und der Psychologe 274 MGM 52(1993) Annotationen

Peter Riedesser resümierte Ergebnisse seiner genen-Fürsorge bald zu Konflikten, da et- langjährigen Beschäftigung mit der Ge- wa Gefangenenlisten und Post über das Ro-, schichte der Militärpsychiatrie in Deutsch- te Kreuz oder die diplomatischen Schutz- land. Die wissenschaftlichen Vorträge wur- mächte weitergeleitet wurden und nur in ge- den sodann kontrastiert mit ungemein ein- wissen Ansätzen — beispielsweise zwischen drucksvollen Lebensberichten ehemaliger Italien und Großbritannien — zeitweise ein Deserteure, die es wägten, öffentlich aufzu- gewisser Korrespondenzaustausch über den treten. Einer dieser Weltkrieg-II-Soldaten vatikanischen Apparat gelang. Ebenso tem- hatte sich seinerzeit geweigert, an Judener- poräre Erfolge waren bei der — vor allem schießungen teilzunehmen, wurde darauf- von der Mission Catholique Suisse getra- hin psychiatrisch untersucht, desertierte und genen — materiellen Unterstützung der geriet in die Mühlen der NS-Militärjustiz. Kriegsgefangenen oder beim Invaliden-Aus- An mehreren Stellen des Buches wird das tausch und der Repatriierung zu verzeich- Problem reflektiert, wie es dazu kommen nen. Auch die kontinuierliche religiöse Be- konnte, daß die Deserteure in der Zeit nach treuung der Kriegsgefangenen stieß auf viel- 1945 weder rehabilitiert noch als Opfer des fache Widerstände und blieb Desiderat. Nationalsozialismus angemessen entschä- Insgesamt kommt der Studie das Ver- digt wurden. Einige juristische Beiträge ar- dienst zu, an das Engagement des Vatikan beiten hierzu den aktuellen Stand der zugunsten der Kriegsgefangenen erinnert Rechtsprechung auf. Wolfram Wette zu haben. Aus methodisch-forschungsge- schichtlicher Perspektive ist aber festzustel- len, daß die Untersuchung fast ausschließ- lich nur die gedruckten vatikanischen Ak- Leon Papeleux, L'Action caritative du ten reproduziert, keine Aussagen über den Saint-Siege en faveur des prisonniers Umfang des unpublizierten vatikanischen de guerre (1939—1945), Brüssel, Archivguts trifft, ansonsten in wenigen Fäl- Rom 1991, 300 S. (= Institut Histo- len die Akten-Editionen der kriegführen- rique Beige de Rome, Bibliotheque, den Mächte heranzieht und auf Recherchen Bd XXIX); 1400 BF in den einschlägigen Archiven verzichtet. Wolfgang Müller Bei der Bearbeitung des Themas stützt sich der Autor vor allem auf die zwischen 1969 und 1980 publizierten einschlägigen »Actes et documents du Saint-Siege relatifs a la se- Stephan H. Lindner, Das Reichskom- conde guerre mondiale«. Er beschreibt die missariat für die Behandlung feind- diversen Aktivitäten des im September 1939 lichen Vermögens im Zweiten Welt- unter der Ägide des späteren Papstes Paul krieg. Eine Studie zur Verwaltungs-, VI. entstandenen Informationsbüros des va- Rechts- und Wirtschaftsgeschichte tikanischen Staatssekretariats und die Ver- des nationalsozialistischen Deutsch- suche des Vatikan, durch Kontaktpflege, lands, Stuttgart: Franz Steiner 1991, materielle, humanitäre und religiöse Unter- 178 S. (= Zeitschrift für Unterneh- stützung das Los der Kriegsgefangenen zu mensgeschichte. Hrsg. von Hans erleichtern. Pohl und Wilhelm Treue, Beiheft Allerdings führten nicht zuletzt die Be- 67); DM 58 — stimmungen der Genfer Konvention und die herausragende Position des Internatio- In der Einleitung dieser Münchner Disser- nalen Roten Kreuzes bei der Kriegsgefan- tation stößt man auf den interessanten Satz: Annotationen MGM 52 (1993) 275

»Trotz des gewohnheitsrechtlich und völ- sen wurden: Erfassung des Vermögens des kerrechtlich kodifizierten Schutzes des polnischen Staates, polnischer und jüdischer ausländischen Privateigentums ergriffen Privatvermögen sowie für die ordnungs- nicht nur nahezu alle kriegführenden gemäße Verwaltung, die Regelung des Geld- Staaten im Ersten Weltkrieg Zwangsmaß- und Kreditwesens, die Anordnung sämt- nahmen gegen feindliches Privatvermö- licher Maßnahmen zur Uberleitung der gen, sie schritten sogar zu dessen Liqui- Wirtschaftsführung auf die einzelnen Ver- dierung — meist mit dem Ziel der völ- waltungsgebiete und die Vorbereitung einer ligen Ausschaltung des feindlichen Ein- eventuell notwendig werdenden Auseinan- flusses auf die eigene Wirtschaft [...] Auf- dersetzung mit ausländischen Gläubigern grund dieser Bestimmung verlor Deutsch- Sorge zu tragen. Sie war zudem ermächtigt, land nahezu sein gesamtes Auslandsver- für Unternehmen und Vermögenswerte aller mögen — ein Verlust, der sich nicht al- Art kommissarische Verwalter einzusetzen. lein auf die Vermögenswerte an sich be- Um welche Größenordnungen es sich bei schränkte, sondern die Deutschen auch den feindlichen Vermögenswerten handel- wichtiger Handelsposten beraubte.« te, verdeutlichen die durch das Auswärtige Hinzuzuführen wäre, daß es auch ideeller Amt zusammengestellten Zahlen. Danach Vermögenswerte verlustig ging, so seiner Pa- beliefen sie sich am 1. Februar 1941 auf tente, ein Vorgang, der sich nach dem Zwei- 2 473 Mrd. Mark, wohingegen das deutsche ten Weltkrieg in weit drastischerer Form Vermögen im feindlichen Ausland mit 1117 wiederholte. Es verwundert daher nicht, Mrd. Mark nicht einmal die Hälfte erreich- daß sowohl deutscher- als auch alliierterseits te. Mit der Ausweitung des Krieges im Jah- der Gedanke eines Siegfriedens, der dem un- re 1940, vor allem aber seit Beginn des Ruß- terlegenen Gegner alle Ansprüche aufzula- landfeldzuges 1941 sowie der Kriegserklä- sten erlaubte, sehr bald die Oberhand gegen- rung Deutschlands an die USA im gleichen über einem Verständigungsfrieden gewann. Jahr, erfuhr der Umfang des Feindvermö- Was man angesichts dieser Tatsachen für gens eine erhebliche Ausdehnung. Aller- das Verhalten des nationalsozialistischen dings wurden durch den Kriegseintritt der Deutschlands im Hinblick auf Feindvermö- USA auch die dortigen beträchtlichen deut- gen hätte erwarten sollen, nämlich dessen schen Vermögenswerte, darüber hinaus die sofortige und totale Konfiszierung, erfolgte in Mittel- und Südamerika, tangiert. nicht. Hingegen wurde am 15. Januar 1940 »Am 1. September 1944 schließlich stan- durch den Ministerrat für die Reichsvertei- den im Reich 789 Unternehmen unter Se- digung angeordnet, »gemäß dem Völker- questrion, deren Nominalwert rund recht« Feindvermögen zu seiner »Sicherstel- 2814,5 Millionen RM betrug. Davon wa- lung und Erhaltung« »für die Dauer des ren rund 877,6 Millionen RM britisch, Krieges unter Sequestrion, d.h. unter treu- rund 256 Millionen RM französisch, händerische Verwaltung zu stellen«. Demge- rund 882,2 Millionen RM amerikanisch, genüber hatte beispielsweise der saarländi- rund 15,6 Millionen RM sowjetisch, rund sche Industrielle Hermann Röchling Vor- 180 Millionen RM belgisch, rund 393,2 stellungen entwickelt, die darauf hinauslie- Millionen RM niederländisch und rund fen, die ostfranzösischen Hüttenwerke im 9,6 Millionen RM norwegisch.« (S. 112) Anschluß an den Frankreichfeldzug der Ausführlich behandelt der Verfasser auch Saarindustrie zu übereignen. Diesen Vorstel- die Situation des jüdischen Vermögens. Im lungen entsprechend handelte die nach dem allgemeinen wurden Vermögen von Juden, Polenfeldzug geschaffene Haupttreuhand- die aus Feindstaaten stammten, grundsätz- stelle Ost, der folgende Aufgaben zugewie- lich als Feindvermögen behandelt. Interes- 276 MGM 52 (1993) Annotationen

sant ist, was er zu den Vermögen von Ju- konform«, und dies bis Kriegsende. Nach- den, die seit 1933 Deutschland verlassen zutragen ist zu diesem Komplex die Arbeit hatten und seit Kriegsausbruch im soge- von Zhigniew Landau, Jerzy Tomaszewski, nannten feindlichen Ausland lebten, be- Wirtschaftsgeschichte Polens im 19. und merkt. Insofern gegen sie »Arisierungsmaß- 20. Jahrhundert, Berlin (Ost) 1986. nahmen« eingeleitet worden waren, wurden Die auf umfangreichem Archivmaterial sie gestoppt. Bei den Feindstaaten sollte aufbauende Arbeit vermittelt ebenso inter- nämlich nicht der Eindruck entstehen, daß essante wie wichtige Einblicke in bisher die Liquidierung erfolgt sei, weil es um kaum bekannt gewordene Vorgänge im Ver- Feindvermögen gehe. Demnach scheinen lauf des Zweiten Weltkriegs. deutsche Juden im feindlichen Ausland aus Konrad Fuchs der Feindvermögensgesetzgebung des Rei- ches Nutzen gezogen zu haben. Deutsche Versicherungen folgerten daher: »Wir vermögen keinen Grund dafür zu Handbook on German Military For- finden, dass etwa ein ins feindliche Aus- ces. With an Introduction by Ste- land abgewanderter Jude so ungleich bes- phen Ε. Ambrose, ed. by U. S. War ser gestellt werden soll, zumal doch die Department, Baton Rouge, London: Uberführung des jüdischen Grundeigen- Louisiana State University Press tums in arische Hände durchaus im öf- 1990, 652 S. fentlichen Interesse liegt.« (S. 137) Im Protektorat Böhmen und Mähren hin- Steven Ambrose kommt das Verdienst zu, gegen brachte das Reich durch »Aktienver- nach 45 Jahren ein Werk wiederentdeckt zu käufe sowie durch Konfiszierung jüdischen haben, das auch heute noch den Rang ei- und staatsfeindliches Vermögens wichtige nes Standardwerks besitzt. Es handelt sich Positionen in der tschechischen Wirtschaft, um den Nachdruck eines großformatigen, wobei sich vor allem die Reichswerke Her- 652 Seiten starken Handbuchs, das das US mann Göring und die SS wichtige Projek- War Department im März 1945 als Lose- te aneignete« (S. 143), in seine Hand. blattsammlung herausgegeben hatte. Es soll- In den eingegliederten Ostgebieten, das te die Truppe über alle Aspekte der Wehr- heißt im erweiterten Ost-Oberschlesien, macht und der paramilitärischen Organisa- in den Ostpreußen zugeschlagenen Gebie- tionen informieren. ten sowie in den Reichsgauen Danzig-West- Dementsprechend werden in einem er- preußen und Wartheland, die einer Weisung sten Abschnitt die Spitzengliederungen von Hitlers zufolge einzudeutschen waren, OKW und OKH bis auf die Abteilungs- nahm sich die Situation folgendermaßen ebene sowie Führungsgrundsätze, Ausbil- aus: Im Oktober 1939 war die Haupttreu- dungs- und Personalersatzwesen detailliert handstelle Ost, wie vermerkt, zur Verwal- dargestellt. Es folgen die höheren Komman- tung des polnischen Vermögens ins Leben dostäbe des Heeres mit ihrem Aufbau und gerufen worden. Dabei hatte sie sich mit ihrer Funktionsweise, anschließend werden den Ansprüchen der SS auseinanderzuset- alle Waffengattungen des Heeres beschrie- zen. Während die eingegliederten Gebiete ben. Auch die SS, die Polizei und die ande- völkerrechtswidrig annektiert und germa- ren paramilitärischen Organisationen bis nisiert sowie die dort lebenden Juden und hin zum Nationalsozialistischen Flieger- Polen enteignet, liquidiert oder evakuiert korps, der Technischen Nothilfe oder dem wurden, »behandelte man das feindliche Volkssturm fehlen nicht. Dabei verbleiben Privatvermögen weitgehend völkerrechts- die Ausführungen nicht im Generellen, Annotationen MGM 52 (1993) 277

sie reichen von der Frage des Oberbefehls ne Armee ein so profundes Wissen über die bis zur Höhe des Wehrsolds und der Pen- Gegenseite besaß. Ja, selbst heute gibt es sionen. kein deutschsprachiges Werk, das die the- Der nächste Abschnitt ist der Taktik der matische Bandbreite und die Detailtreue Wehrmacht, der Funktionsweise von Nach- dieses Handbuchs von 1945 erreicht. schub, Instandsetzung und Abschub sowie Das vorliegende Werk ist aber nicht nur dem Befestigungswesen gewidmet. ein Standard-Nachschlagewerk, es ist auch Die zweite Hälfte des Werkes ist technisch Zeugnis seiner Zeit. Hier wird deutlich, wie orientiert. Hier finden sich Beschreibungen die Amerikaner 1945 die Deutschen sahen. aller Waffen des Heeres sowie des Großge- So wird die Arbeitsweise der zivilen und räts einschließlich ihrer Leistungsmerkmale. militärischen Führungsinstanzen als ein rei- Das Spektrum reicht vom Gewehr über bungslos funkionierendes System darge- alle Panzer und Geschütze bis hin zum stellt, ein Eindruck von dem wir heute wis- VW-Kübel und Funkgeräten. Selbst eine Li- sen, daß er von der Realität weit entfernt ste der in der Wehrmacht gebräuchlichen war. Ahnlich verhält es sich mit den The- Funkröhren ist vorhanden. Hinzu kom- men »Werwolf« und »Alpenfestung«. men Hinweise über die Handhabung des Insgesamt ein Kompendium der Wehr- Materials — etwa über die Entschärfung macht und speziell des Heeres, wie es in die- von Minen — oder die Möglichkeiten, deut- ser thematischen Breite und Tiefe im deut- sche Geräte als Beutegut für eigene Zwecke schen Sprachraum nicht existiert. einzusetzen. Rüdiger Overmans In einem weiteren Kapitel werden die Uniformen, Auszeichnungen, Dienstgrad- abzeichen, und -bezeichnungen aller in die Kriegführung verwickelten Organisationen Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, in Wort und — großenteils farbigem — Bild Europa, Amerika. Die Außenpoli- erläutert. tik der Bundesrepublik Deutschland Den an dieser Stelle konzeptionell etwas 1949-1989, Paderborn u.a.: Schö- fragwürdigen Abschluß bildet ein eigenes ningh 1991, XX, 609 S. (US-Ausga- Kapitel über die Luftwaffe, im Grunde en be: , America, Europe. miniature eine Wiederholung dessen, was Forty Years of German Foreign Po- vorher über das Heer gesagt worden war. licy, New Haven: Yale University Damit ist auch schon der einzige ernsthaf- Press 1989); vom Autor übersetzt; te Kritikpunkt angesprochen. Über die DM 88,- Grundzüge der Wehrmacht und das Heer, die Waffen-SS und die paramilitärischen Or- Helmut Schmidt nennt die Darstellung ganisationen erfährt der Leser viel, über die »umfassend, ausgewogen und überzeugend«, Luftwaffe schon weniger und über die Ma- für Christian Hacke ist es die »brillanteste rine kaum etwas. Diese Selektivität hatte na- Gesamtdarstellung der Außenpolitik der türlich ihren Grund, das Handbuch diente Bundesrepublik seit 1970«, für Hans-Jürgen ja nur dazu, die Amerikaner bei der Erobe- Schröder »in jeder Hinsicht eine beein- rung des Reichsgebietes mit Informationen druckende Leistung«, für Werner Link »ein zu versorgen und bezieht sich daher auch großes Werk«, die New York Times Book nur auf die hier zu erwartenden Feindkräf- Review nennt es gar die »definitive Darstel- te. Trotz dieser Abstriche ist dem Heraus- lung des Gegenstandes«. Dies ist nur eine geber (Steven Ambrose) dahingehend zuzu- Auswahl jener Besprechungen, die der Ver- stimmen, daß wohl kaum jemals zuvor ei- lag dem deutschen Leser auf dem Klappen- 278 MGM 52 (1993) Annotationen

text des Bandes mit auf den Weg gibt. Was hinein in all ihren Verästelungen und unter- bleibt einem Rezensenten da noch zu sagen, schiedlichen Bereichen — von der Sicher- vor allem, wenn er mit diesen Aussagen heitspolitik bis zur Wirtschaftspolitik — be- übereinstimmt? Was macht das Buch so gut, schreibt und analysiert. Diese Leistung ist die Lektüre so interessant? Die Kompetenz um so erstaunlicher, da es zwar für die fünf- des Autors ist unbestritten; es ist in der Tat ziger und sechziger Jahre eine ganze Reihe eine Meisterleistung, die Summe eines lan- von Darstellungen gibt, für die siebziger gen Forscherlebens. Das alleine aber ist es und achtziger Jahre in dieser Form aller- nicht. Ich meine vielmehr, daß die räumli- dings nicht. Für diesen Zeitraum ist gleich- che Distanz — Wohnort Santa Barbara — zeitig Pionierarbeit geleistet worden. Er- mit dazu beigetragen hat, bei der Behand- staunlich für mich auch, wie umfangreich lung des Gegenstandes sich eine kritische die amerikanische Literatur zu dieser The- Distanz zu bewahren. Und das kann man matik doch ist — die Hanrieder logischer- bei Kollegen, die aus der Perspektive des weise intensiv nutzt (wobei man sich Kölner Doms schreiben, wahrlich nicht sa- manchmal den einen oder anderen deut- gen. Wenn es in der American Political schen Titel gewünscht hätte). Als Hanrie- Science Review heißt, Hanrieders Arbeit sei der sein Buch schrieb, ging es zunächst dar- ein »Meisterstück politischer Analyse, eine um, dem amerikanischen Leser einen Uber- bewundernswerte Synthese«, so ist dem ge- blick über 40 Jahre Außenpolitik der nauso zuzustimmen wie der nachfolgenden Bundesrepublik zu vermitteln — oder bes- Bewertung, daß dies »auch die bisher bei ser über die deutsch-amerikanischen Bezie- weitem klügste Behandlung der 40 Jahre al- hungen. Auch er ahnte wohl nicht, daß bei ten Kontroverse um die Frage der deutschen Erscheinen des Buches die tiefste Zäsur der Einheit« sei. Klügste Behandlung heißt in deutschen Nachkriegsgeschichte unmittel- diesem Falle zunächst einmal: nüchtern, bar bevorstand. Was wohl nur als eine Art emotions- und vor allen Dingen vorurteils- Zwischenbilanz gedacht war, wurde so zu frei; es wird abwägend analysiert. Dabei einer vorläufigen Bilanz, was die Wichtig- wird der Blickwinkel oftmals auf die USA keit dieser Arbeit noch vergrößert. Eine und Deutschland verengt; mit anderen Wor- große Leistung, 600 Seiten, manchmal al- ten: Es ist an vielen Stellen eine Geschich- lerdings nicht ganz einfache Lektüre, loh- te der Bundesrepublik aus der Sicht der nen sich allemal. Rolf Steininger USA und weniger eine Geschichte der Au- ßenpolitik der Bundesrepublik geworden. Aber dies entsprach wohl auch der realen Situation (zumindest bis ins Jahr 1990). Carlos Collado Seidel, Die deutsch- Die USA waren die dominierende Macht, spanischen Beziehungen in der für ihre Politik prägt Hanrieder den Begriff Nachkriegszeit: Das Projekt deut- der »doppelten Eindämmung«, das heißt Si- scher Militärstützpunkte in Spa- cherheit vor Deutschland (Kontrolle durch nien 1960, Saarbrücken, Fort Lau- Integration, wie ich das an anderer Stelle derdale: Breitenbach 1991, 122 S. formuliert habe) und gleichzeitig Sicherheit (= Forschungen zu Spanien, Bd 6); vor der Sowjetunion. Es war dies das histo- DM 24,- rische Prinzip der amerikanischen Europa- politik und die historische Funktion der Am 23. Februar 1960 erschien in der ame- NATO. Es ist in der Tat bemerkenswert, rikanischen Zeitschrift The New York wie Hanrieder die Geschichte dieses Prin- Times ein Artikel von Cyrus L. Sulzberger, zips von den Anfängen bis ins Jahr 1990 der über deutsche Verhandlungen mit Spa- Annotationen MGM 52 (1993) 279 nien zur Einrichtung von Militärbasen be- Am 16. Januar baten der NATO-Oberbe- richtete. Dieser Artikel löste eine Protest- fehlshaber General Norstad und Spaak die welle aus, die schließlich das Projekt zu Fall Bundesregierung um Verschiebung der ge- brachte. Anlaß der deutschen Sondierungen planten Reise einer Kommission nach Spa- in Spanien war die »katastrophale Situation nien und begründeten dies mit den kurz zu- beim Nachschub« für die Bundeswehr, die vor aufgetauchten Hakenkreuzschmiererei- sich bei der NATO-Ubung »Side-Step« ge- en und antijüdischen Parolen an einigen zeigt hatte (S. 78). Neben der Bundeswehr Orten in der Bundesrepublik, die das Werk waren auf dem Gebiet der Bundesrepublik des Geheimdienstes der sozialistischen mehrere Hunderttausend Soldaten der CSSR waren, wie sich später herausstellte. USA, Großbritanniens, Frankreichs und Am 27. Januar dagegen erklärte Norstad ge- anderer NATO-Staaten zu versorgen. Dies genüber dem deutschen Verteidigungsmini- stellte die Bundesrepublik angesichts der ster Strauß sein Einverständnis mit ersten von der NATO angestrebten Bevorratung Informationsgesprächen zwischen Spanien für 90 Kampftage vor erhebliche Schwie- und der Bundesrepublik, die dann vom rigkeiten, zumal eine Anlage von Depots 15—17. Februar stattfanden. Offenbar über- östlich des Rheins aus strategischen Erwä- wogen jedoch rasch die Vorbehalte, denn gungen heraus nicht in Frage kam. Gesprä- Norstad war es, der bereits am 18. Februar che mit Frankreich über Nachschubdepots Sulzberger gezielt informierte, worauf des- auf französischem Boden waren ohne Er- sen Artikel erschien. gebnis geblieben, während Überlegungen Angesichts der folgenden Auseinanderset- hinsichtlich der Integration des gesamten zungen innerhalb der Bundesrepublik wie Nachschubwesens auf NATO-Ebene keinen auch der Verbündeten bemerkt Seidel zu Widerhall fanden. In dieser Situation wand- Recht, daß sich die Bundesregierung kor- te sich die Bundesregierung an Spanien. rekt verhalten hatte, indem sie die wichtig- Dies löste nun auf Seiten der Verbünde- sten NATO-Partner vorab unterrichtete, de- ten erhebliche Bedenken aus, denn neben nen die deutschen Versorgungsprobleme be- der Tatsache, daß Spanien kein NATO-Mit- kannt waren. Die spanische Regierung hin- glied war und von Franco autoritär regiert gegen war trotz ihrer grundsätzlichen Zu- wurde, wären bei einem erfolgreichen Ab- stimmung zu den Verhandlungen am 31. schluß der Verhandlungen zumindest Tei- März 1960 keineswegs gewillt, diese zu ei- le der Bundeswehr der NATO-Kontrolle ner Belastung der guten Beziehungen zu entzogen worden. Frankreich insbesonde- den USA und inzwischen auch Frankreich re lehnte außerdem jede Art von Basen hin- und Großbritannien werden zu lassen. Im ter den Pyrenäen ab, da dies eine von Spa- Ergebnis führten die deutsch-spanischen nien aus operierende NATO-Strategie be- Verhandlungen jedoch zu einer Lösung der deuten konnte, die die vorübergehende deutschen Versorgungsprobleme, die nun Preisgabe Frankreichs in Kauf nahm. Aller- von der NATO forciert behandelt wurden, dings hatte die Bundesregierung in Abspra- um weiteren deutschen Alleingängen in die- che mit der spanischen Regierung, die in ser Frage einen Riegel vorzuschieben. dieser Angelegenheit »nicht Motor sein Schon im Herbst 1960 wurde in einem Ab- wollte« (S. 40), bereits im Dezember 1959 kommen mit Frankreich der Bundesrepu- zunächst die USA, später auch Großbritan- blik die Genehmigung zur Einrichtung von nien, Frankreich und den NATO-General- Versorgungsbasen und der Nutzung von sekretär Paul Henri Spaak vertraulich über militärischen Einrichtungen erteilt, ähnli- die geplanten Verhandlungen unterrichtet. che Vereinbarungen mit Großbritannien Die Verbündeten reagierten ambivalent. und Belgien folgten. Auch wurde die Fra- 280 MGM 52 (1993) Annotationen

ge der Versorgung nunmehr auf NATO- weitgehend vergessenen Abschnitt in der Ebene behandelt, während im Falle einer Geschichte der Kriegsfolgen — Gefangen- Einrichtung von Waffen- und Munitionsde- schaft und Heimkehr — vor. Damals be- pots in Ländern, die nicht der NATO an- schrieb er anhand von Interviews aus der gehörten, diese durch Verhandlungen der Sicht der Betroffenen die damaligen Ereig- NATO statt auf bilateraler Basis erfolgen nisse gleichzeitig sehr systematisch und sollten. Damit waren die deutschen Wün- doch auch anschaulich. Wer nun — entwe- sche in der Hauptsache erfüllt, und es der in Erinnerung an die ältere Veröffentli- spricht einiges für Seidels These, daß die chung oder aufgrund des Titels der jünge- Bundesregierung die Verhandlungen mit ren Publikation — eine gleichartige Darstel- Spanien als Druckmittel für eine stärkere lung der Vertreibung und/oder der Inte- Integration der Bundesrepublik und ihrer gration im Westen erwartet hat, der wird Streitkräfte in die NATO einsetzte, wie es enttäuscht sein. Nicht die Ereignisse selbst ja auch erklärtes Ziel der Politik Adenau- sind Thema, sondern die leitende Frage ist, ers war. Zumindest zeigte es sich, daß bila- wie dieses Geschehen »in den Köpfen ein- terale Militärkontakte der Bundesrepublik zelner Menschen und im kollektiven Be- mit Spanien ein äußerst sensibles Thema wußtsein bis heute wirkt« (S. 7f.). waren und von den NATO-Partnern damals Daher folgt auf ein erstes kurzes Kapitel letztlich nicht akzeptiert wurden. über die Ankunft im Westen der mit 120 Die von Seidel ausgewerteten spanischen Seiten umfangreichste Teil über »Generatio- Akten lassen den Fortgang der Verhandlun- nen und Traditionen«. Hier finden sich ne- gen genau verfolgen und zeigen vor allem ben — sehr interessanten — Ausführungen das äußerst behutsame Vorgehen Spaniens. über die Integrationsprobleme von Flücht- Für die endgültige Bewertung der deutschen lingskindern vor allem Abschnitte über die Intentionen bedarf es jedoch, wie der Au- Bildung von Traditionen und den Kult um tor bemerkt, der Auswertung der entspre- Erinnerungsgegenstände. Den Abschluß chenden Akten der Bundesregierung. bildet ein Kapitel über Erinnerungsreisen. Graf v. Thun-Hohenstein Neu — und wichtig, weil so differenziert bisher nicht beschrieben, ist ein spezielles Kapitel über Frauenschicksale im Erzählen zwischen den Generationen, das das ganze Albrecht Lehmann, Im Fremden un- Spektrum von der Vergewaltigung bis zur gewollt zuhaus. Flüchtlinge und Liaison mit Besatzungssoldaten aufzeigt. Vertriebene in Westdeutschland Hinzu kommt ein Kapitel über die Einstel- 1945-1990, München: Beck 1991, lung der Vertriebenen zu den heute nach 266 S.; DM 39,80 Deutschland strömenden Aussiedlern. Der Ursula Hühler, Meine Vertreibung letzte große Abschnitt handelt vom »Fer- aus Prag. Erinnerungen an den Pra- nen Erinnern«, das heißt der Deutung und ger Aufstand 1945 und seine Folgen, Bewältigung des Geschehens. hrsg. von Juliane Wetzel, München: Die ganze Fülle der angeschnittenen The- Oldenbourg 1991, 147 S. (Hrsg. im men zu umreißen, fällt schwer — vor allem, Auftrag des Instituts für Zeitge- weil sie mitunter ohne erkennbare Systema- schichte und in Verbindung mit tik hintereinander gestellt werden. So fin- dem Bundesarchiv, Bd 11); DM 48,— den sich im Kapitel über das ferne Erinnern Ausführungen über das Erzählen in der Bereits vor sechs Jahren legte Albrecht Leh- Nachkriegszeit, über die Behandlung in der mann einen wichtigen Beitrag zur einem ehemaligen Heimat und den Moment des Annotationen MGM 52(1993) 281

Abschiedes. Den roten Faden zu erkennen, Interessant ist ihre Darstellung nicht nur, wird zusätzlich erschwert durch den asso- weil ein solches Schicksal bisher noch nicht ziativen Stil des Autors, der die Darstellung oft dargestellt worden ist, sondern vor al- zwar mitunter farbiger werden läßt, aber lem, weil sie sich bemüht, das Verhältnis der auch dazu führt, daß sich Lehmann in Internierten untereinander und zu den Randthemen verliert. Hierzu gehören sei- Tschechoslowaken differenziert und ohne tenlange Verrisse der Romane von Christi- Verbitterung zu schildern. Die Darstellung ne Brückner (S. 162 f.) oder die politische — zu wesentlichen Teilen bereits 1949 an- Auffassung des Autors zur Rechtmäßigkeit gefertigt — ist authentisch, präzise und und Irreversibilität der Vertreibung (S. 75 f.). lebendig. Trotzdem wäre es kein Fehler ge- Verständlich werden sie, wenn man be- wesen, einige Abschnitte wegzulassen und denkt, daß der Autor selbst die Vertreibung dafür — ähnlich wie in dem in dersel- als Kind miterlebt hat. Nur bestätigt sich ben Reihe veröffentlichten Band über die hier wieder die alte Erkenntnis, daß Betrof- Kriegsgefangenschaft — noch einige weite- fene kaum den Abstand aufbringen, der nö- re Augenzeugen zu Wort kommen zu las- tig ist, um einen Sachverhalt angemessen zu sen. Dennoch ein interessanter Beitrag, der bearbeiten. Auf der anderen Seite verwun- von Juliane Wetzel sorgfältig ediert worden dern manche Feststellungen. So hält es Leh- ist. Rüdiger Overmans mann unter anderem für »fast unwahr- scheinlich«, daß in den letzten Kriegstagen standrechtliche Erschießungen auch vor den Augen von Kindern stattgefunden ha- ben sollen (S. 212) — soviel Naivität bei ei- Karl Seidelmann, Die Pfadfinder in nem Augenzeugen verwundert denn doch. der deutschen Jugendgeschichte. Hier wie auch an anderen Stellen macht T. 2,2: Quellen und Dokumente aus sich bemerkbar, daß der Autor als Ethno- der Zeit nach 1945 bis in die Gegen- loge nicht die gesamte einschlägige ge- wart, Halle/Saale, Freiburg: Pädago- schichtswissenschaftliche Literatur berück- gisches Verlagskontor 1991, 336 S.; sichtigt hat. Insgesamt eine Veröffentli- DM 38,80 chung, die zwar einen neuen und bisher nicht thematisierten Aspekt der Vertrei- Daß Bücher ihre Schicksale haben, ist zwar bungsgeschichte enthält, aber sicherlich hinlänglich bekannt, dennoch muß man manche Wünsche offen läßt. manchmal — wie im vorliegenden Fall — Von ganz anderer Art ist die zweite hier ausdrücklich darauf hinweisen. Karl Seidel- vorzustellende Veröffentlichung. Ursula mann, dem wir einen großen Teil der nun Hübner ist die Frau eines reichsdeutschen abgeschlossenen Dokumentation verdan- Beamten, der während des Krieges dienst- ken, hatte sein Alterswerk der Geschichte lich nach Prag versetzt und später zur Wehr- der deutschen Pfadfinder gewidmet. 1977 macht eingezogen wird. Zusammen mit ih- konnte er den Darstellungsband vorlegen, rem kleinen Sohn erlebt sie das Kriegsende der sich von den Anfängen der Pfadfinde- und den Aufstand in Prag. Wie viele ande- rei bis zum Ende des Jahres 1975 erstreck- re Deutsche auch, wird sie zunächst in ei- te (vgl. die Besprechung in MGM, 24 (1978), ner Kaserne in Prag interniert und anschlie- S. 189f.). Anderthalb Jahre nach seinem ßend in ein Internierurigslager nach Kutten- Tod (1979) erschien dann der erste Teil berg/Kutna Hora verbracht. Dort verbringt der von ihm edierten Quellensammlung sie ein Jahr, bis sie dann im Herbst 1946 (vgl. die Besprechung in MGM, 30 (1981), nach Westdeutschland entlassen wird. S. 211 f.); der abschließende zweite Teil war 282 MGM 52 (1993) Annotationen

für das Jahr 1981 vorgesehen. Aufgrund Frank Roberts, Dealing with Dicta- widriger Umstände dauerte es weitere zehn tors. The Destruction and Revival Jahre, bis die Edition endlich fertiggestellt of Europe 1930—1970, London: werden konnte. Die vorliegende Publika- Weidenfeld Sc Nicolson 1991, IX, tion enthält im ersten Abschnitt aus dem 294 S.; £ 25 Nachlaß Seidelmanns die Materialien für die Zeit von 1945 bis 1975 und im zwei- »Ich wurde in eine ehrbare Familie gebo- ten Abschnitt eine Ergänzung, die die ren, ging in eine gute Public School, studierte Entwicklung bis 1991 dokumentiert und in Cambridge (ersatzweise Oxford) und für die Hermann v. Schroedel-Siemau, der ging zum Foreign Office ...« Auf diese Aus- dem Autor nicht nur als Verleger freund- sagen lassen sich wohl die ersten Seiten der schaftlich verbunden war, verantwortlich meisten britischen Diplomatenmemoiren zeichnet. reduzieren. So auch im vorliegenden Fall, Aufschlußreich sind diese Texte sowohl dann jedoch hören die Ähnlichkeiten bald als Selbstzeugnisse der in den Pfadfinder- auf. Wo andere sich darin erschöpfen, von bünden zusammengeschlossenen Jugendli- den Stationen ihrer Karriere einzelne Ge- chen als auch als Reflex auf die großen The- schichtchen, Atmosphärisches und Anek- men, die die jungen Menschen in der zwei- dotisches zu erzählen, folgt bei Frank Ro- ten Hälfte unseres Jahrhunderts bewegten berts nach der klassischen Eröffnung eine — angefangen von den kontroversen Debat- wohlüberlegte, aus kritischer Distanz auch ten über Koedukation, Sexualerziehung sich selbst gegenüber geschriebene Analy- und politische Bildung im Ubergang zu den se britischer Außenpolitik vor und nach siebziger Jahren bis hin zu den Auseinan- dem Zweiten Weltkrieg. dersetzungen über Entwicklungshilfe, die Dem deutschen Leser wird man vielleicht Umweltproblematik und die Friedensfrage erst erläutern müssen, wer Sir Frank Ro- im letzten Jahrzehnt. berts eigentlich ist: Während der Sudeten- In eindrucksvoller Weise illustriert die krise noch ein junger Beamter im Foreign Dokumentation, die in vielen Bereichen Office, ist er von 1940 bis 1944 in der über die ursprüngliche Darstellung Seidel- Deutschland-Abteilung tätig. Die ersten manns hinausweist, die Gesellungsformen Nachkriegsjahre verbringt er als Gesandter und Diskussionsprozesse innerhalb der an der Botschaft in Moskau (1945—1947), Pfadfinderschaft und konkretisiert zugleich wo er zeitgleich mit George Kennan in der die Fülle der empirischen Daten und In- US-Botschaft seine Regierung auf die Ge- formationen, die wir durch die moderne fahren der sowjetischen Politik aufmerksam Jugendforschung gewonnen haben. Auch macht. Kennans berühmtem Long Telegram unter diesem Aspekt ist das Erscheinen stellt er seine Long Despatches gegenüber. des Bandes sehr zu begrüßen. Die zum 1947—1949 ist er Bevins Privatsekretär; Teil aus dem Entstehungsprozeß herrüh- nach einem Zwischenspiel im Dienst des renden Mängel — etwa die äußerst knappe Commonwealth Relations Office als stell- und daher nur wenig hilfreiche Kommen- vertretender Hochkommissar in Indien tierung oder die Beschränkung der Register kehrt er 1951 auf den europäischen Schau- auf den vorliegenden Teilband — fallen platz zurück. Während der Krisen Mitte der demgegenüber weniger ins Gewicht. fünfziger Jahre ist er britischer Botschafter Heinz Stübig bei Tito, von 1957 bis 1960 Ständiger Ver- treter seiner Regierung bei der NATO. Als Botschafter in Moskau erlebt er die zweite Berlinkrise und die Kubakrise, als Botschaf- Annotationen MGM 52 (1993) 283 ter in Bonn die letzten Monate der Regie- hat Roberts mit seinen Erinnerungen jedoch rung Adenauer und den ersten Staatsbesuch ein Buch geschaffen, das nicht nur als Quel- der Queen in Deutschland. (Daß er 1957 le für den Fachhistoriker, sondern ganz allge- auch als Generalsekretär der NATO in der mein als angenehm zu lesende Einführung Nachfolge Ismays im Gespräch war, ver- in die Probleme internationaler Politik sei- schweigt er allerdings dem Leser.) ner Zeit wertvoll ist. Winfried Heinemann Für den deutschen Leser am beeindruk- kendsten ist vielleicht die Sicherheit, mit der Roberts die Kontinuität in der briti- schen Außenpolitik vor und nach der Harald Guldin, Die Bundesrepu- »Stunde Null« 1945 aufzeigt. Schließlich blik auf dem Weg zur souveränen sind es — anders als in Deutschland — völ- Gleichberechtigung: Die politisch- lig selbstverständlich dieselben Männer, die ökonomische Westintegration West- diese Politik formulieren und ausführen. deutschlands als Verhandlungsge- Immer wieder wird deutlich, wie sehr die genstand zwischen der Alliierten Ziele traditioneller britischer Außenpolitik Hohen Kommission und der Bun- auch lange nach dem Ende des Zweiten desregierung in den Jahren 1949 bis Weltkrieges die gleichen geblieben sind. 1952. Fallstudie zu einem spezifisch Roberts sind einige treffende und gut be- strukturierten Entscheidungssystem gründete Charakterisierungen von Zeitge- in den Sachbereichen Außen-, nossen gelungen, unter denen besonders die Außenwirtschafts- und Sicherheits- des von ihm verehrten Labour-Außenmini- politik, Frankfurt a.M. usw.: Peter sters Bevin hervorsticht. Adenauer (den er Lang 1990, XVIII, 686 S. (= Euro- noch acht Jahre älter macht, als er ohne- päische Hochschulschriften, Reihe hin schon war, S. 161), findet eine abgewo- XXXI, Bd 163); DM 136,- gene Würdigung mit Licht- und Schatten- seiten; de Gaulle und seine Politik, England Von 1945 bis 1990 entwickelte sich die Bun- vom Kontinent fernzuhalten, werden mit desrepublik von einem besetzten zu einem scharfer Kritik bedacht — es ist eine Schil- souveränen Staat. Der qualitative Sprung derung aus britischer Sicht. vollzog sich zwischen 1949 und 1952. Zwar Roberts hat nach seinem Ausscheiden aus wartet Guldin nicht mit spektakulär neu- dem diplomatischen Dienst noch einige en Ergebnissen auf. Aber er führt die ver- Jahre in der Wirtschaft gewirkt, wie sein schiedenen deutschen und alliierten Akteu- Vater war er für Unilever tätig. Das ist in- re auf den interdependenten Handlungsfel- sofern passend, als er — für einen Diplo- dern vor, wie sie von Stufe zu Stufe die für maten alter Schule nicht gerade selbstver- Jahrzehnte gültige Grundformel bundes- ständlich — wohl schon immer Wert auf deutscher Außenpolitik prägten: Souverä- Wirtschaftsfragen gelegt hat. So kommen nität gegen Einbindung in die westeuropä- auch in seinem Buch Handelsbeziehungen ische Gemeinschaft. und Zahlungsbilanzen nicht zu kurz; in vie- Um den Handlungszusammenhang zu len Ländern hat Roberts britische Handels- strukturiere^, bedient sich der Autor eines ausstellungen begründet. (an Ernst-Otto Czempiel angelehnten) Mo- Leider wird der Band von einigen uner- dells der internationalen Politik als eines dy- freulichen Irrtümern (Druckfehlern?) ent- namischen, dreidimensionalen und asym- stellt; der spektakulärste ist wohl die Vorver- metrisch gebrochenen Gitters. Dabei stehen legung der »Machtergreifung« Hitlers auf das die Knoten des Modells für die Akteure. Jahr 1931 (S. 9). Wenn man davon absieht, Dies sind hauptsächlich die alliierten Außen- 284 MGM 52(1993) Annotationen

minister, die Alliierte Hohe Kommission der Wiederbewaffnung Westdeutschlands und der Bundeskanzler. Die Verbindungen »zu entdecken und zu analysieren« (S. XI). zwischen den Knoten sind die strukturell Dieses Vorhaben wird durch einen umfang- vorgegebenen und durch Entscheidungen reichen Fragenkatalog erläutert. Er reicht laufend veränderten Bezüge zwischen den von »Warum wurde Westdeutschland wie- Akteuren. Die wesentlichen Handlungsfel- derbewaffnet?« bis »Wie reagierte der Ost- der waren die Wirtschafts- und die Sicher- block auf den Wiederbewaffnungsprozeß?« heitspolitik. Denn ohne die Rekonstruk- (S. XIII). Im Verlauf der Lektüre gewinnt tion des wirtschaftlichen und die Mobili- man den Eindruck, daß sich der Autor aus sierung des militärischen Potentials West- gedruckten Quellen und einschlägiger Li- deutschlands war die Stabilisierung Westeu- teratur einen Zettelkasten zu jeder der Fra- ropas kaum zu verwirklichen. Mit dem Pe- gen angelegt hat. Die aneinander gefügten tersberger Abkommen von 1949, dem Ver- Inhalte dieser Kästen stellen nun den Inhalt trag über die Montanunion 1950, der Revi- des Buches dar. Es ist eine chronologisch sion des Besatzungsstatuts 1951, der Unter- angeordnete Datensammlung in Form kur- zeichnung des Vertrages über die Europäi- zer, oftmals kaum verbundener Abschnit- sche Verteidigungsgemeinschaft und des te höchst unterschiedlichen Inhalts. Das Er- Deutschland-Vertrages von 1952 emanzipier- gebnis ist bei einem nicht sachkundigen Le- te sich die Bundesrepublik zusehends vom ser sicher Verwirrung und beim besser in- Objekt alliierter zum Mitgestalter westeuro- formierten wohl Kopf schütteln. päischer Politik. Nicht nur das vor allem zu- Es kommt hinzu, daß durch das vorwie- gunsten der Bundesrepublik veränderte Ge- gend chronologische Verfahren Sachzusam- wicht der Akteure, sondern auch die durch- menhänge, wie zum Beispiel der Personal- aus heterogenen Ziele der einzelnen Alliier- gutachterausschuß oder die Behandlung des ten und der Bundesrepublik kommen in der Freiwilligengesetzes, willkürlich auseinan- asymmetrischen Brechung zum Ausdruck. dergerissen werden, weil internationale Pro- Einerseits gelingt es Guldin, die Interde- bleme eingestreut wurden (S. 274 ff.). Die- pendenz der Entscheidungsabläufe auf den se Methode führt auch zu Wiederholungen. verschiedenen Feldern aufzuzeigen. Das mag Einige Mißverständnisse sind dem Autor eine vorteilhafte Folge des von ihm inhaltlich unterlaufen. Adenauer hielt an Blank nicht nicht weiterentwickelten Modells sein. An- deshalb solange fest, weil er Vertrauen zu dererseits verliert er sich häufig in Details ihm hatte — daran mangelte es seit seiner und zahlreichen Wiederholungen, was sei- Ernennung zum Minister —, sondern weil ne Studie unnötig aufgebläht hat. Der Titel es aus parteipolitischen und koalitionsinter- ist insofern symptomatisch. Dieter Krüger nen Gründen notwendig war (S. 297). Ver- handlungen wurden 1956 mit den Alliier- ten nicht über die Finanzierung des deut- schen Verteidigungsbeitrages geführt, son- Montecue J. Lowry, The Forge Of dern über die Zahlung weiterer Stationie- West German Rearmament. Theo- rungskosten (S. 298 f.). Die Bundesrepublik dor Blank and the Amt Blank, New war zu keinem Zeitpunkt seit 1954 durch York u.a.: Lang 1990, XVI, 358 S. internationale Vereinbarungen verpflichtet, (= American University Studies. Se- 500000 Mann aufzustellen (S. 300). Die ries DC, History, Vol. 83); DM 107 — Bundesregierung wollte das nur einem un- willigen Bundestag und einer kritischen Öf- Der Zweck dieses Buches soll sein, die Rolle fentlichkeit einreden. Die gesamte Planung Theodor Blanks und seiner Dienststelle bei der Dienststelle war nicht »gesund«, son- Annotationen MGM 52 (1993) 285

dern litt an einer gefährlichen Unterschät- heitspolitik und Landesverteidigung der er- zung des Zeitbedarfs für die Erstellung al- sten fünfzehn Jahre nach Aufstellung des ler gesetzlichen und Verwaltungsvorschrif- Bundesheeres und die politisch-militäri- ten (S. 308). schen Rahmenbedingungen zum Gegen- Die Konzentration auf Blank und seine stand seiner Untersuchungen macht. Neben Dienststelle hat dem Autor im innenpoli- der Rolle Österreichs in den strategischen tischen Bereich den Blick dafür versperrt, Konzepten des Westens und des Ostens wer- daß die Planung und Aufstellung der Bun- den die strategisch-operativen Probleme der deswehr von Anfang an eine Aufgabe für ersten fünfzehn Jahre untersucht. Weitere die ganze Regierung unter der Führung des Beiträge behandeln das Spannungsverhält- Bundeskanzlers hätte sein müssen. Vor dieser nis zwischen Außen- und Verteidigungspo- im nationalen und internationalen Raum litik, die finanziellen Probleme, die Rolle zu leistenden Koordinierungsaufgabe hat der Landesverteidigung im Verständnis der die sogenannte »Kanzlerdemokratie« im er- politischen Parteien, den Aufbau des Offi- sten Anlauf kläglich versagt. Der Rezensent zierskorps und schließlich Probleme des bedauert es, daß der Autor wohl durch ei- soldatischen Alltags und der Akzeptanz des nen weit zurückliegenden und inzwischen Bundesheeres in der Bevölkerung. längst überholten Aufsatz von ihm auf diese Während des ungarischen Aufstandes ge- falsche Spur gelockt worden ist (Christian gen die sowjetische Unterdrückung 1956 Greiner: Die Dienststelle Blank. Regierungs- hatte Österreich trotz seiner schwachen und praxis bei der Vorbereitung des deutschen noch in der Aufstellung befindlichen Streit- Verteidigungsbeitrages von 1950—1955, in: kräfte rasch und beherzt reagiert. Die dar- MGM, 17 (1975), S. 99-124). auf folgende positive Einschätzung des Man kann sich dem Urteil eines anderen österreichischen Verteidigungswillens durch Rezensenten, dies sei nun das »endültige« die USA wurde jedoch von der politischen Werk über das Amt Blank, nicht anschlie- Führung Österreichs nicht ausgenutzt, es ßen (Rückseite). Es bleibt ein verdienstvol- herrschte geradezu eine »Dialogangst« ler Versuch. Christian Greiner (S. 20), so daß die strategische Einschätzung Österreichs durch den Westen in der Folge eher von Zweifeln diktiert blieb. Die USA befürchteten, daß Österreich rasch über- Schild ohne Schwert. Das österreichi- rannt und »zur Operationsbasis gegen Süd- sche Bundesheer 1955—1970. Hrsg. deutschland, Italien und dem Mittelmeer- von Manfried Rauchensteiner und raum« werden würde (S. 21). Dabei hatte Wolfgang Etschmann, Graz: Styria noch Bundeskanzler Raab festgestellt, daß 1991, 298 S. (= Forschungen zur Mi- »die Neutralität Österreichs eine ausschließ- litärgeschichte, Bd 2); DM 35 — lich militärische und keine politische« sei (S. 14), so daß die Jahre bis 1962 von der Der Zerfall der Sowjetunion mit krisenhaf- Anlehnung an die USA auf dem Rüstungs- ten Folgeerscheinungen, die erbitterten und Ausbildungssektor gekennzeichnet wa- Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien vor ren. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Österreichs Haustür und der Verbleib der die CSSR setzte die politische Führung NATO als einziges funktionsfähiges Bünd- Österreichs jedoch mehr auf eine Sicherung nis bilden den Rahmen für die anstehende der Neutralität durch die Außenpolitik, die Reform des österreichischen Heeres. Vor zu beiden Bündnissen Distanz wahrte und diesem Hintergrund kommt vorliegender im Westen Irritationen hervorrief. Dagegen Band gerade recht, der Österreichs Sicher- versuchte die oberste militärische Führung 286 MGM 52 (1993) Annotationen

durch Kontakte zur NATO ein positiveres tralität des Landes nicht respektieren wür- Bild der österreichischen Verteidigungsan- den, doch sprachen sich zugleich 53 Prozent strengungen zu zeichnen. Die eigenen Pla- gegen eine bessere Ausrüstung des Bundes- nungen sahen allerdings nur einen »maxi- heeres aus (S. 292). Immerhin wurde bereits mal 6tägigen Abwehrkampf« vor; »was 1961 die Anschaffung von modernen Ab- nachher geschehen sollte oder würde öder fangjägern Saab J-35 »Draken« erwogen, könnte, blieb aber unklar« (S. 19). 1968 erneut überlegt, jedoch erst 1985 wur- Daß die Befürchtungen vor einem An- den schließlich 24 Maschinen bestellt, die griff des Warschauer Pakts berechtigt wa- zu diesem Zeitpunkt bereits veraltet waren. ren, zeigen die Äußerungen des ehemaligen Die Kämpfe in Slowenien im Sommer 1991 ungarischen Generalstabschefs, der die Pla- und die immer blutigeren Auseinanderset- nungen dahingehend beschreibt, daß die zungen in den anderen Republiken des ehe- Südgruppe der sowjetischen Streitkräfte maligen Jugoslawien haben allerdings dem (SGT), unterstützt von einer ungarischen Bundesheer einen beachtlichen Prestige- Panzerdivision und dem Südflügel der schub gebracht, der sich auch auf dem Aus- tschechoslowakischen Front, durch Ost- rüstungssektor niederschlagen könnte. österreich Richtung Amstetten, Rosenheim, Insgesamt bietet der Band einen guten München angegriffen hätte, während die Einblick in die Schwierigkeiten, vor denen Masse der ungarischen Streitkräfte über sich Österreichs Bundesheer in den ersten Graz, Bruck, Leibniz in Richtung Italien fünfzehn Jahren seines Bestehens sah. vorstoßen sollte (S. 36 f.). Die Auswertung Graf v. Thun-Hohenstein des Aktenmaterials der ehemaligen NVA bestätigt, daß Osterreich in jedem Falle mit einem Angriff des Warschauer Pakts zu rechnen hatte, wie es auch von der militä- Wolfgang Weber, Die USA und Is- rischen Führung des Landes vorausgesehen rael. Zur Geschichte und Gegenwart worden war. einer politischen Symbiose, Stutt- Die Bedrohung durch einen Gegner, gart: Franz Steiner 1991, 202 S.; der von Anfang an die Luftherrschaft be- DM 36,- sitzen würde, verlangte eine ausreichende Zeitspanne zur Mobilisierung der eigenen Dem Buchtitel entsprechend, beschäftigt Streitkräfte. Die Einführung der ständig prä- sich der Verfasser zunächst mit der Ge- senten Einsatzkräfte wird als kontra-pro- schichte des amerikanisch-israelischen Ver- duktiv gewertet, da Entscheidungen über ei- hältnisses, dabei auf die Situation im Na- ne Teil- oder Gesamtmobilmachung aus po- hen und Mittleren Osten während des litischen Gründen unwahrscheinlich waren, 19. Jahrhunderts insofern eingehend, als die solange auch nur schwache Einsatzverbän- USA dadurch tangiert wurden. Angesichts de zur Verfügung standen (S. 85). In diesem der damaligen Lage im Vorderen Orient Zusammenhang war die Frage der Ausrü- war das amerikanische Interesse an ihm vor stung von großer Bedeutung, unterlag aber allem wirtschaftlich motiviert. Ansonsten den üblichen politischen Beschränkungen interessierte er die Amerikaner als die Ge- einer Demokratie, die sich nicht am Bedro- burtsstätte Christi. Juden und Christen hungsspektrum orientiert, sondern in der stellten damals unter der arabisch-moham- Regel politischen Strömungen und Meinun- medanischen Bevölkerung lediglich Splitter- gen folgt. So waren zwar Ende der 70er Jah- gruppen dar. Wie unbedeutend sie waren, re 91 Prozent der Österreicher überzeugt, geht daraus hervor, daß im Jahre 1914 ne- daß die Großmächte im Kriegsfall die Neu- ben 589000 Arabern lediglich 85000 Juden Annotationen MGM 52 (1993) 287 und 71000 Christen in Palästina lebten. An- Anhänger eines [...] religiös-national er- gesichts dieser Tatsachen blieb das Interes- neuerten Israel wennötig auf archaische se der USA am Vorderen Orient relativ ge- Art, also mit Gewalt, fertig zu werden.« ring. Erst die Konsequenzen des Ersten Hinsichtlich der künftigen Beziehungen der Weltkriegs, die die Zerstörung des Osma- Vereinigten Staaten zu Israel meint der Ver- nischen Reiches brachten, schufen neue fasser, daß »eher ein allmählicher Wandel Fakten. Sie wurden aber weniger durch die ohne dramatische Wendepunkte zu erwar- USA als durch England und Frankreich ten« sei. Und er fährt dann fort: geprägt. »Es ist keineswegs ausgeschlossen, son- Es waren die Ergebnisse des Zweiten Welt- dern im Gegenteil wahrscheinlich, daß kriegs, die Amerika zur Weltmacht Nr. 1 sich die historisch einmalige amerika- werden ließen und sie infolgedessen in die nisch-israelische Beziehung weiterhin als Vorgänge im Vorderen Orient maßgebend eine vergleichsweise stabile Beziehung er- involvierten, sieht man von der zahlenmä- weist und damit, weil diese Beziehung ßigen Stärke und dem politischen Einfluß das tragende Element des Nahostkonflik- der amerikanischen Juden, die infolge der tes darstellt, dieser Konflikt strukturell zahlreichen Einwanderung von Juden nach für absehbare Zeit unverändert bestehen Palästina in den 30er und 40er Jahren so- bleibt.« wie der Gründung des jüdischen Staates Is- Aus dem Anhang sei auf den Tabellenteil rael 1948 am Nahen Osten ein spezielles besonders hingewiesen, in dem die zahlen- Anliegen hatten, einmal ab. Der Schwer- mäßige Entwicklung der jüdischen Bevöl- punkt der Ausführungen liegt daher auch kerung in den USA von 1790 bis 1980, die auf der amerikanischen Nahostpolitik seit jüdische Einwanderung nach Israel von dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der 1948 bis 1982 sowie die staatliche Wirt- W. Weber fünf Abschnitte von insgesamt schafts- und Militärhilfe der Vereinigten sieben seines Buches gewidmet hat. Behan- Staaten für Israel von 1951 bis 1983 aufge- delt werden hier unter anderem: »Truman listet werden. Konrad Fuchs und die Gründung des Staates Israel«, »Der Junikrieg 1967«, »Arabische und israelische Aufrüstung«, »Der Oktoberkrieg 1973«, »Die Camp David Vereinbarungen«, »Der Thomas C. Reeves, John F. Kennedy. Libanonkrieg«, »Die PLO und die Intifada«, Die Entzauberung eines Mythos. »Israels Erscheinungsbild in der amerikani- Biographie, : Kabel 1992, schen Öffentlichkeit«, »Die Einwanderung 656 S.; DM 58.— der sowjetischen Juden« sowie »Der Irak, das arabische Staatensystem und Israel«. Nach der Mythologisierung der Person Hier werden die zahlreichen komplexen John F. Kennedys mußte eine Zeit kom- und komplizierten Probleme, die die Situa- men, in der die Historiker anfangen wür- tion des jüdischen Staates vom Anfang sei- den, am Lack zu kratzen. Dieses Ziel einer ner Gründung an kennzeichnen, dargestellt kritischen Abrechnung hat sich Thomas C. und zu hinterfragen versucht. Die aufgezeig- Reeves gesetzt, und dieses Ziel durchzieht ten Perspektiven für Israel und darüber hin- die gesamte Darstellung in seinem Buch. Sy- aus den gesamten Vorderen Orient stimmen stematisch hat er gesammelt, was sich über nicht eben hoffnungsvoll, denn es wird Kennedy und seine Familie Schlechtes sa- konstatiert: gen läßt. Der zugleich märchenhafte und »Gerade mit dem islamischen Fundamen- zweifelhafte Reichtum des Vaters, Joseph talismus als neuem Gegner hoffen viele Kennedy, die bigotte Mutter des späteren 288 MGM 52 (1993) Annotationen

Präsidenten, der ältere Bruder Joe junior, In der Kubakrise gelingt Kennedy ein Kri- der im Krieg gefallen ist — keiner kommt senmanagement, das erfolgreich den schar- ohne vernichtende Kritik davon. Der spä- fen Grad zwischen nuklearem Krieg und tere Präsident verliert als Kommandant sein Aufgabe vitaler Interessen des Westens be- Schnellboot im Pazifik und zieht dann in schreitet. Für Reeves dagegen ist wichtig, heldenhaftem Einsatz ein verletztes Besat- daß der Präsident während dieser span- zungsmitglied schwimmend von einer ver- nungsgeladenen Tage mehrfach mit frem- lassenen Insel zur nächsten. Das, so findet den Frauen ins Bett ging. Für den Fortgang der Chronist, wäre nicht nötig gewesen: hät- der Weltgeschichte (und also auch für eine te sich die kleine Truppe am anderen Ende ausgewogene Bewertung Kennedys) ist das der Insel antreiben lassen, hätte sie dort die aber letztlich weniger relevant. Trümmer ihres Schnellbootes gefunden, die Von seinen vielen Vorhaben habe Kenne- man hätte benutzen können. Wehe dem, dy nur wenig verwirklichen können, meint dessen Biograph später weiß, an welchem Reeves, und in der Tat hat dieser jüngste Ende einer verlassenen Insel man als Schiff- (und reichste) Präsident in der Geschichte brüchiger angespült zu werden hat... der USA weder die Gesetzgebung zur Der für Reeves schwerwiegendste und Gleichberechtigung der Farbigen durchge- sich immer wieder durchhaltende Vorwurf setzt, noch hat er die ersten Abkommen in gegen alle Kennedys ist ihr Verhältnis zu der später so genannten Entspannungspo- Frauen. Die sexuellen Ausschweifungen des litik erreicht. Was Reeves verschweigt: John- Präsidenten (und seines Vaters) sind nun al- son (der allerdings auch den Kongreß tak- lerdings auch nicht gerade neu. Hier — wie tisch geschickter zu handhaben wußte) auch meist in seinem Buch — hat der Au- führte in diesen Bereichen weiter, was Ken- tor lediglich Altbekanntes geschickt zu- nedy erfolgversprechend angelegt hatte. Was sammengestellt. Der Text ist reichlich mit Reeves betreibt, läuft darauf hinaus, Ken- Hochzahlen gespickt, im Anmerkungsap- nedy dafür verantwortlich zu machen, daß parat findet sich dann aber keine einzige ar- er sich ermorden ließ. chivalische Quelle. Vielmehr wird der in- Aber vielleicht stimmt es doch, was Reeves teressierte Leser gerade an entscheidenden sagt: Nehmen wir an, Kennedy, der »Ritter Stellen (Wahlkampfunterstützung durch die aus Camelot«, sei nichts als ein Mythos ge- Mafia) auf Skandalautoren wie Kitty Kel- wesen. Und wenn es so wäre, griffe dieses ley verwiesen (S. 227, Anm. 55). Deren Aus- Buch immer noch zu kurz: es kann nicht sagen werden dann angeblich durch »FBI- erklären, warum dieses Land USA sich für Dokumente untermauert [...], welche auf einen solchen Mythos als Präsident ent- der Grundlage des Informationsgesetzes schieden hat, noch sieht es die immensen ('Freedom of Information Act') beschafft Nachwirkungen auf das öffentliche Bewußt- wurden« — wer diese Dokumente aber in sein in den USA, die dieser Mythos bis hin der Anmerkung sucht, sucht vergebens in den jüngsten Präsidentschaftswahlkampf (ebd., Anm. 56). Und wo selbst so wackli- hervorgerufen hat. Dieses Buch stellt einen ge »Quellen« nichts mehr hergeben, da demokratisch durch nichts abgesicherten, müssen Spekulationen herhalten: »Von den kleinkarierten Moralkodex auf, mißt dar- Fakten her wäre es nur logisch, wenn auch an einen bedeutenden (wenn auch vielleicht der Gründervater diese Sicht der Dinge teil- nicht »großen«) Präsidenten der USA und te.« (S. 185) Bei näherem Hinsehen aber kommt so zu dem Ergebnis, er sei ein schä- kann Reeves keine einzige Entscheidung des biger Charakter gewesen. Man ist geneigt, Politikers Kennedy benennen, bei der sich dieses Buch mit einem solchen Prädikat zu ein Anhalt für unsaubere Einflüsse ergäbe. belegen. Winfried Heinemann Annotationen MGM 52(1993) 289

Michael R. Beschloss, Powergame. sönlicher Charme nicht verfing und der ihn Kennedy und Chruschtschow. Die aus wachsender Ungeduld in der Deutsch- Krisenjahre 1960—1963, Düsseldorf: land-Frage mit einem Ultimatum konfron- Econ 1991, 776 S.; DM48,- tierte. Auch hier konstatiert der Verfasser, daß Kennedy keinesfalls aktiv nach einer Der amerikanische Historiker Michael Be- Lösung der Berlin-Frage suchte, obwohl sei- schloss stützt sich in seinem Werk über die ne Mitarbeiter bereits im März 1961 eine amerikanisch-sowjetischen Beziehungen Grenzschließung für wahrscheinlich hiel- vom Januar 1961 bis zum November 1963 ten. Der Bau der Berliner Mauer war für auf jüngst freigegebenes Material der John Kennedy eine willkommene Lösung seiner F. Kennedy Library. Es sind Mitschriften Probleme; neben dem Propagandacoup sah des Dolmetschers vom Wiener Gipfeltref- er darin die Möglichkeit, einen Krieg zu fen zwischen beiden Staatsmännern eben- vermeiden. Er hatte, so Beschloss, über in- so wie Tonbandmitschnitte von Unterre- direkte Wege zu erkennen gegeben, daß der dungen im Weißen Haus, die Kennedy lan- Westen keine Maßnahmen gegen eine ge vor Watergate aufzeichnen ließ. Weiter Grenzschließung ergreifen würde. bedient er sich der Augenzeugenberichte Teilweise trägt Kennedy auch in der Ku- der drei Konferenzen über die kubanische ba-Krise Verantwortung, indem er die mi- Raketen-Krise, die in den letzten Jahren litärische Überlegenheit der USA betonte, auch unter Beteiligung der sowjetischen Sei- Militärausgaben erhöhte und andererseits te abgehalten wurden. nicht deutlich machte, was die USA auf Beschloss bescheinigt Kennedy große Ge- Kuba zu dulden gewillt waren, obwohl schicklichkeit im Meistern von Krisen, von Chruschtschow bereits 1960 zweimal mit denen er jedoch — so die Hauptthese des dem Einsatz sowjetischer Raketen bei einer Autors — viele mitverschuldet hat. Im Ge- Invasion gedroht hatte. Kennedys Warnung gensatz zu seinem Vorgänger Eisenhower vom September 1961, er werde keine sowje- fehlte es ihm an Erfahrung und Souveräni- tischen Raketen auf Kuba akzeptieren, kam tät im Umgang mit seinem weltpolitischen zu spät, da diese sich bereits auf dem Weg Rivalen. Das Debakel in der Schweinebucht dorthin befanden. Chruschtschow, so Be- und des Wiener Gipfels bilden das setting schloss, wollte damit das Gleichgewicht der für die beiden großen Krisen der Kennedy- Kräfte wiederherstellen, diesen Erfolg innen- Ära. Kennedy hatte die Invasionspläne für wie außenpolitisch nutzen und einer Inva- Kuba von der Eisenhower-Administration sion vorbeugen. Auf Grund von Geheim- geerbt. Die Erfolge der bemannten Raum- dienstmeldungen hatten Chruschtschow fahrt und der Unmut in der Bevölkerung wie auch Castro den Eindruck gewonnen, brachten ihn dazu, einen schnellen Erfolg eine Invasion stünde kurz bevor. Ergeb- im Unternehmen »Schweinebucht« zu su- nisse der 4. Raketenkonferenz in Havanna chen. Es mißglückte auch deshalb, weil vom Februar 1992 nach Erscheinen des Bu- Kennedy sich weigerte, in einer späten Pha- ches legen nahe, daß die Angst vor einer se der Invasion trotz Drängens der CIA Invasion womöglich überwog. Nicht nur Luftunterstützung zu gewähren. Er fürch- hatte man laut Auskunft des damaligen tete, Chruschtschow könne im Gegenzug Oberkommandierenden vor Ort strategi- eine Invasion Westberlins beginnen, so daß sche, sondern auch taktische Nuklearwaf- er lieber eine Niederlage in Kauf nahm. fen stationiert und dem sowjetischen Be- Ahnlich erfolglos verlief für Kennedy fehlshaber eingeräumt, diese bei einer In- der Wiener Gipfel. Er sah sich einem Ge- vasion ohne Rücksprache mit Moskau sprächspartner gegenüber, bei dem sein per- einzusetzen. 290 MGM 52 (1993) Annotationen

Beschloss bescheinigt Kennedy ein gutes dung der Bundesrepublik aufs Spiel zu set- Krisenmanegement. Er nahm sich sechs Ta- zen. Daß es nicht dazu kam, war das Ver- ge Zeit, um die verschiedenen Möglichkei- dienst Helmut Schmidts, damals Kanzler ten des Vorgehens zu beraten: »Hätte er die der SPD-FDP-Koalition, der gegen die gro- Entscheidung innerhalb von Stunden tref- ße Mehrheit seiner Partei einer Politik den fen müssen, dann hätte er womöglich für Boden bereitete, die dann 1983 von Helmut einen Luftangriff optiert.« So entschied er Kohl und der Koalition aus CDU/CSU- sich schließlich gegen den Willen der mili- FDP in die Praxis umgesetzt wurde. Herf tärischen Berater für eine Blockade. zeigt, daß die USA auf Schmidt keinerlei Dem interessanten, umfangreichen Buch Druck in der Frage der Mittelstreckenrake- hätte eine strengere Überarbeitung gutge- ten ausübten, und wenn er es vorgezogen tan. Es spekuliert auf ein breites Publikum, hätte, das gestörte Gleichgewicht in diesem indem es kein Detail aus dem Haushalt Bereich zu ignorieren, so wäre wohl der Kennedys ausläßt und mit einem entspre- Vorsprung der Sowjetunion ein für allemal chenden Anmerkungsapparat aufwartet, der festgeschrieben worden, jeder spätere Nach- nicht einmal die grundlegendste Forderung rüstungsbeschluß eine Erfindung der Mit- nach Uberprüfbarkeit von Quellen erfüllt. te-Rechts-Parteien gewesen. Auf Fußnoten wurde großzügig verzichtet; Der sowjetische Versuch, die NATO auf die Belege finden sich nach den Kapiteln kaltem Wege zu spalten, läßt sich auch am ohne Seitenverweis aufgelistet. Diese Praxis Ablauf der Ereignisse verfolgen. Während ist vor dem Anspruch des Autors, das Den- die erste Stationierung der sowjetischen ken der handelnden Figuren darzustellen, SS-20 bereits 1975 erfolgte, reagierte die doppelt ärgerlich. Chruschtschow oder NATO im Grunde erstmalig im Oktober Kennedy »denken«, »glauben« oder können 1977, als Schmidt in London vor dem In- etwas »einfach nicht verstehen«. Versucht ternational Institute for Strategie Studies ein man herauszufinden, worauf sich solche Be- nukleares Gleichgewicht auf allen Ebenen hauptungen stützen, bleibt man ohne Ant- forderte. 1979 kam es dann zur »Dual-Track wort. Agnes Tandler Decision« der NATO, und erst danach for- mierte sich, von KGB und SSD tatkräftig unterstützt, die Friedensbewegung mit ih- ren Massenprotesten gegen die Nachrü- Jeffrey Herf, War by Other Means: stung. Breschnews Vorschlag, die Rüstung Soviet Power, West German Resi- einzufrieren, kam zu einem Zeitpunkt, als stance, and the Battle of the Euro- dies jede Stationierung von US-Mittelstrek- missiles, New York, Toronto: Mac- kensystemen unmöglich gemacht hätte. Millan 1991, 369 S.; $24.95 Herf vertritt die These, daß trotz eklatan- ter Schwächen der deutschen Demokratie Die letzte große diplomatische Offensive zu Beginn der 80er Jahre — »The West Ger- der sozialistischen Sowjetunion gegen den man Social Democratic Party was not the Westen war in der Tat ein »Krieg mit ande- bulwark against Soviet Policy it once had ren Mitteln«. Die Erfolgsaussichten waren been« (S. 227) — die ihr innewohnenden hoch, konnte die UdSSR doch auf die na- Kräfte dennoch den sowjetischen Versuch hezu vorbehaltlose Unterstützung der deut- vereitelten. Nicht zuletzt die scharfe Tren- schen Linken zählen, die offenbar bereit ge- nung zwischen einer totalitären Diktatur wesen sind, in ihrem Kampf gegen die Sta- und einer freiheitlich-westlichen Demokra- tionierung von atomaren Mittelstreckenwaf- tie, die klare Adaptation westlicher Werte fen der USA auch die langjährige Westbin- durch die Konservativen und schließlich der Annotationen MGM 52(1993) 291

Mut eines einzelnen, Helmut Schmidt, hät- sondere Kräfte von links- und rechtsaußen ten die Nachrüstung und den INF-Vertrag wiederfinden. War der Kampf um die Nach- ermöglicht und gleichzeitig die sowjetische rüstung eine entscheidende Bewährungspro- Politik durchkreuzt. Dies ist zweifelsohne be für die alte Bundesrepublik, gilt dies für korrekt, und dennoch ist Skepsis ange- das neue, vergrößerte Deutschland keines- bracht, denn eine der Voraussetzungen war wegs. So liegt die Stärke von Herfs Studie ja der Bonner Machtwechsel im Herbst auch weniger in seinen Schlußfolgerungen 1982, der wiederum nur erfolgen konnte, als in der sorgfältigen und erschöpfenden weil bis dahin die traditionelle Parteienland- Herausarbeitung der Geschichte der Nach- schaft aus SPD, CDU/CSU und FDP im rüstung mit den sie begleitenden politischen Parlament vertreten war. Mit den Grünen Auseinandersetzungen und liefert darüber- als vierter Partei wäre ein solcher Regie- hinaus ein detailliertes Bild des politischen rungswechsel unmöglich gewesen. Hinzu Klimas der damaligen Bundesrepublik. kommt, daß die von Herf betonte Stabili- Graf v. Thun-Hohenstein tät nur bis zu diesem Zeitpunkt gilt. Im- merhin zogen führende Vertreter der SPD auch ein Ausscheiden aus der NATO zur Durchsetzung ihrer Ziele in Erwägung. So Robert W.Davies, Perestroika und diente der SPD-Wahlkampf vor der Bundes- Geschichte. Die Wende in der sowje- tagswahl 1983, der eine Verbindung zwi- tischen Historiographie, München: schen der Ablehnung der Nachrüstung und Deutscher Taschenbuch Verlag dem nationalen Interesse zog, gewollt oder 1991, 294 S.; DM 22,80 ungewollt den sowjetischen Zielen. Dies muß auch vor dem Hintergrund gesehen Der Verfasser ist Professor für sowjetische werden, daß ausgerechnet im Stationierungs- Geschichte an der Universität Birmingham. jahr 1983 das sowjetische Großmanöver Die englische Erstausgabe dieser Untersu- »SOJUS 83« lief, in dem ein Angriffskrieg chung aus dem Jahre 1989 wurde für die geprobt wurde, der einen Vorstoß zu den deutsche Ausgabe durch ein Kapitel erwei- Grenzen Frankreichs bis zum 15. Tag und tert, in dem die Geschichtsdebatte in der die Einnahme der Territorien Dänemarks, Sowjetunion in den Jahren 1989 (Beginn) der Bundesepublik, der Niederlande und bis 1991 dargestellt wird. Der Verfasser geht Belgiens vorsah. von der bekannten Tatsache aus, daß in der Es mag sein, daß in dem Scheitern der so- Sowjetunion Geschichtsschreibung und Ge- wjetischen Absichten 1983 ein Keim für die schichtsunterricht Bestandteil der politi- Entwicklung seit 1989 gelegt wurde, wie schen Indoktrination gewesen sind. Dan- Herf meint, doch entstanden daraus rasch kenswerterweise verweist er aber auch auf neuartige Gefahren. Der Golfkrieg weckte einige kühne sowjetische Historiker, die begründete Zweifel an der deutschen Bünd- nach Beginn der »Tauwetter«-Periode Kor- nistreue, während zugleich durch den Zu- rekturen versucht haben. wachs von Millionen sozialistisch denken- Dargestellt wird die sowjetische Ge- der neuer Bürger und der Tatsache, daß der schichtsdiskussion nach der Wahl Gorbat- demokratische Sozialismus nach wie vor schows zum Generalsekretär. Sie ist nicht gültiges Ziel der SPD ist, ein neuer deut- auf Wunsch Gorbatschows eingeleitet wor- scher Sonderweg zumindest nicht völlig den, der noch 1986 vor einer Aufarbeitung ausgeschlossen erscheint. In der Ablehnung der Vergangenheit gewarnt hat. Als 1987 westlicher Werte und der freiheitlich-abend- »Glasnost« den Händen der Führung ent- ländischen Demokratie könnten sich insbe- glitt, begann ein ungeheurer Wandel in der 292 MGM 52 (1993) Annotationen

Wahrnehmung der eigenen Geschichte. in Moskau und Leningrad zur Verfügung Gorbatschow konnte dies seinerzeit in der standen (Periodika, Publikationen). Die Na- Auseinandersetzung mit den Konservativen tionalitätenproblematik blieb ausgespart. für sich nutzen, denn in der ersten Periode Auch die Verfolgung der Religionsgemein- dieses Wandels wurde mit der »Stagnation« schaften, die in der sowjetischen Diskussion unter Breshnew und Stalins Terror abge- eine Rolle gespielt hat, wurde nicht aufge- rechnet. Getragen wurde diese Diskussion griffen. Die Studie wird ungeachtet dieser zuerst und vor allem von Journalisten und Lücken für jeden, der sich mit der Proble- Publizisten, die sowjetischen Historiker matik von »Glasnost« und der sowjetischen hielten sich durchweg zurück. So ist es auch Historiographie befaßt, eine unentbehrliche verständlich, daß diese Aufarbeitung der Hilfe sein. Paul Roth Geschichte einen stark politischen Akzent trug. Was veröffentlicht wurde oder in Ro- manform umgesetzt erschien, war ein ver- zweifeltes Bemühen, die Vergangenheit zu Sowjetpolitik unter Gorbatschow. Die begreifen und daraus zu lernen. Innen- und Außenpolitik der UdSSR Anfangs lag die Grenze der Auseinander- 1985-1990. Mit Beiträgen von setzung mit der Vergangenheit dort, wo Le- Heinz Brahm u.a., Berlin: Duncker nins Ikone hätte verletzt werden können. Sc Humblot 1991, 150 S. (= Ab- Seit 1989 zersetzte das Interesse an der Ver- handlungen des Göttinger Arbeits- gangenheit jedoch wie eine Säure die Tabus. kreises, Bd 7); DM 68,— Inzwischen hatte sich die Auseinanderset- zung zwischen den Anhängern einer par- Die rasche und unerwartete Entwicklung in lamentarischen Demokratie und einer der Sowjetunion hat immer wieder Auto- Marktwirtschaft mit den Kommunisten in ren dazu veranlaßt, Analyse und Prognose einen offenen Kampf verwandelt. Das hi- miteinander zu verbinden. Im Rückblick storische Interesse — verknüpft mit der po- auf diese Veröffentlichungen kann man fest- litischen Auseinandersetzung — schonte stellen, daß vor allem jene Publikationen von nun an auch Lenin nicht mehr. Die all- überdauern werden, die sich einer skrupu- gemeine Verwirrung war groß, Lehrbücher lösen Analyse gewidmet haben. Dies gilt für wurden aus dem Verkehr gezogen, neue den überwiegenden Teil der Einzelbeiträge Lehrbücher mogelten sich mit Mühe zwi- dieser Studie. schen den Positionen hindurch. Hinter dem schlichten Titel »Von Bresh- Natürlich war nicht alles, was veröffent- new zu Gorbatschow« {Brahm) verbirgt sich licht und behauptet wurde, historisch ab- eine subtile Darstellung der »Stagnation«, der gesichert, zumal viele Archive noch ver- »Perestroika«, des neuen Spielraums für Na- schlossen waren und persönliche Erinne- tionalitäten, informelle Gruppen, Religions- rungen eine große Rolle spielten. Trotzdem gemeinschaften, die den ideologischen und wurde die Historiographie zu einer Bedro- geistigen Hintergrund mit den politischen hung für Marxismus-Leninismus und für Prozessen verbindet. Als gleichsam übergrei- den Sowjetstaat. Eine »leninistische Gegen- fender Text, der nicht auf ein Spezialgebiet offensive« setzte ein. festgelegt ist, leitet er die Studie ein. Das Ka- Der Verfasser hat mit Akribie die sowje- pitel »Von der technokratischen Moderni- tischen Quellen über diese Diskussion aus- sierung zur marktwirtschaftlichen Wende« gewertet und die Diskussion treffend in ih- {Höhmann) skizziert die Wirtschaftskrise, rem politischen Kontext dargestellt. Aller- ihre ökonomische und politische Bedeu- dings sind es fast ausschließlich Quellen, die tung sowie die verzweifelten und vielfach Annotationen MGM 52 (1993) 293 widersprüchlichen Reformversuche. Das Fa- Diese nützliche Studie, die vor allem dort zit ist: Trotz aller Schwierigkeiten gibt es besticht, wo Zusammenhänge und Wechsel- keine Alternative zur Marktwirtschaft. wirkungen analysiert werden, krankt leider Im Kapitel »Von der sozialistischen Ge- daran, daß die einzelnen Kapitel nicht zum setzlichkeit zum sozialistischen Rechts- gleichen Zeitpunkt abgeschlossen worden staat« (Brunner) geht es vor allem um die sind. Die Zeitspanne von rund einem Jahr ungeheuren Schwierigkeiten, ein neues hätte vermieden werden sollen. Rechtsbewußtsein zu begründen. Bisher Paul Roth hätten, so urteilt Brunner »vielleicht die po- litische Führung und der Gesetzgeber« ein rechtsstaatliches Bewußtsein, »nicht aber die Rechtsanwender (Verwaltung und Ju- Johann Georg Reißmüller, Der Krieg stiz) und die Normadressaten (Bürger).« vor unserer Haustür. Hintergründe Der Zusammenbruch des sowjetischen der kroatischen Tragödie, Stuttgart: Zentralstaates« {Simon) geht nicht nur auf Deutsche Verlagsanstalt 1992,191 S.; eine politische und wirtschaftliche Krise zu- DM 24- rück, sondern auch auf die Forderung von Nationen und Nationalitäten nach Selbst- Lange Zeit schien den Europäern der Kon- bestimmung. Dargestellt werden das Schei- flikt im Südosten, an der Nahtstelle zwi- tern der sowjetischen Nationalitätenrepu- schen Rom und Byzanz, zwischen der la- blik in den verschiedenen Republiken, die teinischen und der orthodoxen Kirche, dem Ursachen hierfür und die dilettantischen Habsburger Reich und den Türken, schließ- Versuche der Zentrale, den Zerfall zu ver- lich — wie es manchem schien — zwischen hindern. Während sich einst die Revolution Warschauer Pakt und NATO, obskur. Pa- vom russischen Machtzentrum aus ausge- rallelen zum Zerfall der ungleich gewalti- breitet hat, bricht jetzt das Regime an den geren Sowjetunion schienen die Vorgänge Rändern zusammen. in Jugoslawien hinlänglich zu erklären, und Die Darstellung der »Wechselbeziehungen die Politiker der EG-Staaten plädierten ver- zwischen der Innen- und Außenpolitik nünftelnd für den Erhalt eines Staatswesens, Gorbatschows« {Meissner) besticht vor allem das eine Zentralgewalt besäße, mit Regie- durch die klare Gliederung in Entwick- rung, Armee, Diplomatie: eine Idee, die an lungsetappen, die Herausarbeitung der der Wirklichkeit keinen Halt fand und zu Funktion der Außenpolitik zur Abschir- einer unrealistischen Politik führte. Mit mung der »Perestroika«. dem »Vielvölkerstaat« schien endgültig ein »Gorbatschows Deutschlandpolitik« Konfliktgebiet befriedet, das bis zum Vor- {Pfeiler) analysiert die Rahmenbedingun- abend des Ersten Weltkrieges für immer gen, Optionen und Perspektiven. Die un- neue Krisen verantwortlich gewesen war erwartet schnelle Vereinigung Deutschlands und wo, wenn nicht als Grund, so doch als hat jedoch die Prognosen dieses Kapitels Anlaß, der Brand begann. Doch die mei- überholt. Ahnliches läßt sich auch über sten Völker machten mit dem Belgrader »Die Militärpolitik Gorbatschows und der Staat schlechte Erfahrungen. Das »König- Warschauer Pakt« {Wagenlehner) sagen. Der reich der Serben, Kroaten und Slowenen« Warschauer Pakt existiert nicht mehr, die war von vornherein ein Mißgebilde; für die einstigen sowjetischen Streitkräfte sind vor Serben Verlockung, eine große Macht zu allem damit beschäftigt, in politisch und werden, für die übrigen Hoffnung, an der wirtschaftlich geordneten Verhältnissen zu Seite des Siegers Halt zu finden, geriet es überleben. schnell zum brutalen Polizeistaat, der un- 294 MGM 52 (1993) Annotationen ter dem Stoß der Aggression Deutschlands sich von zwei kroatischen Erzübeln löst: 1941 wie ein Kartenhaus zusammenfiel. von der selbstzerstörerischen Sucht, sich zu Unter dem Regime des Partisanenführers zerstreiten, und von dem Bedürfnis, sich in Tito wurde das Übel noch größer. Sein au- hochfliegenden, weitausgreifenden Phanta- ßenpolitisches Geschick und eine gewisse stereien zu ergehen. geostrategische Bedeutung des Landes im Reißmüllers Buch, eine Sammlung von Kalten Krieg ließen über die Menschenver- Aufsätzen aus der Frankfurter Allgemeinen nichtungsaktionen, vor allem gegen Kroa- Zeitung seit 1981, ist ein Plädoyer für die ten, Slowenen und Albaner, hinwegsehen, unterdrückten Völker des ehemaligen Jugo- mit denen Tito seine Herrschaft festigte. Als slawien einerseits und für Freiheit und De- ein Jahrzehnt nach seinem Tod Kroatien mokratie andrerseits. Ohne Zweifel ist es und Slowenien sich vom Kommunismus be- parteiisch und will es wohl auch sein. freiten, hatte sich in Jugoslawien wenig ge- Nichtsdestoweniger geraten die Beiträge ändert. Das kommunistische Serbien suchte sachlich fundiert, denn Reißmüller ist ein mit der serbisch dominierten »Jugoslawi- profunder Kenner der Verhältnisse und ih- schen Volksarmee« beide in einem großser- rer Wurzeln. Es liegt in der Natur einer sol- bischen Jugoslawien festzuhalten. chen Sammlung, daß sie nicht wissenschaft- Im Sommer 1991 verhinderten die Slowe- lich im Sinne einer Arbeit mit nachgewie- nen in ihrem Land »spontane« Demonstra- senen Quellen sein kann, jedoch schmälert tionen in Form eines serbischen »Aufmar- dieser Mangel nicht ihren Wert als Zeitdo- sches« in Ljubljana. Die serbische Führung kument. Günther Hebert mit ihrem orientalischen Verständnis von Rechtlichkeit und Staatlichkeit hatte die Fö- derationsverfassung zerbrochen, und Slowe- nien verließ das Staatspräsidium, während Richard N. Haass, Conflicts Unen- Kroatien wieder mittat, was sich nur mit ding. The United States and Regio- der Angst vor Gewalt erklären läßt; wie Bie- nal Disputes, New Haven, London: dermann saß es dort unter den Brandstif- Yale University Press 1990, XIV, tern. In der Tat erwies sich diese Angst als 176 S.; £ 8.50/$ 14.50 begründet. Während es den Slowenen ge- lang, ihre Unabhängigkeit verhältnismäßig Der Autor, Mitglied des Beraterstabes von schnell und mit geringen Menschenopfern Präsident Bush, untersucht fünf permanente zu erlangen, erlebten die Kroaten eine Ar- Konflikte, deren Lösungsmöglichkeiten, so- mee und Freischärler, die mit allen Mitteln weit sie überhaupt vorhanden sind, und der Gewalt und der zynischen Brutalität ei- welchen Einfluß die USA darauf nehmen ner sich über alles hinwegsetzenden, letzt- könnten. Es handelt sich um den arabisch- lich unbeeinträchtigten Macht ihr Land in israelischen Konflikt, etwas verwirrend als einen leichenübersäten Trümmerhaufen »Middle East« bezeichnet, den griechisch- verwandelten. Schließlich konnten die west- türkischen Gegensatz über Zypern, um lichen Politiker die Vorgänge nicht mehr als Nordirland, Südafrika und um die Span- »Scharmützel« verniedlichen. Doch noch nungen zwischen Indien und Pakistan. Ob immer steht die Unabhängigkeit Kroatiens derartige Konflikte überhaupt lösbar sind, auf schwachen Beinen, und die Schwierig- hängt von mehreren Faktoren ab, die der keiten des Wiederaufbaues und der Integra- Autor unter dem Begriff »ripeness« subsu- tion der starken serbischen Minderheit im miert. Er nennt dafür vier Voraussetzungen. Land sind groß. Um das alles zu bewälti- Die Konfliktparteien müssen gleicherma- gen, braucht es eine Zagreber Führung, die ßen eine Ubereinkunft wünschen. Dabei Annotationen MGM 52 (1993) 295

müssen sie entweder so stark sein, daß eine Konfliktlösung, bleibt für die USA le- sie einen etwaigen Kompromiß politisch diglich die Rolle des Krisenmanagers, die durchsetzen können oder zu schwach, um Voraussetzungen für deren Beseitigung müs- einen solchen zu verhindern. Weiterhin sen die Beteiligten selber schaffen. muß genügend politischer Spielraum vor- Ein empfehlenswertes Buch, dessen The- handen sein, damit die beteiligten Parteien sen auch durch die gewaltigen weltpoliti- sich darauf berufen können, sie hätten die schen Veränderungen der letzten zwei Jah- nationalen Interessen geschützt. re nicht an Aktualität verloren haben. Schließlich muß ein für beide Seiten an- Graf Thun-Hohenstein nehmbarer Ablauf der Verhandlungen ge- geben sein. Dies heißt nichts anderes, als daß der beiderseitige Wunsch nach einer Lösung die entscheidende Grundlage ist, al- Bildwörterbuch der Kleidung und les andere kann folgen. Ist dieser nicht vor- Rüstung. Vom alten Orient bis zum handen, so sind auch die Einwirkungsmög- ausgehenden Mittelalter. Unter Mit- lichkeiten von außen begrenzt. arbeit zahlreicher Fachgelehrter, Dies gilt insbesondere für Indien und Pa- hrsg. von Harry Kühnel, Stuttgart: kistan, da Indien eine regionale Großmacht- Kröner 1992, LXXXII, 334 S. rolle anstrebt, die sowohl einen Krieg mit (= Kröners Taschenausgabe, Bd 453); Pakistan als auch mit China einkalkuliert. DM 42- Indien wird daher bis zum Jahr 2000 für seine Streitkräfte maximale Rüstungsan- Obwohl jeweils zu einzelnen Kleidungs- strengungen verfolgen. Demgegenüber ver- stücken zahlreiche Informationen vorlie- sucht Pakistan, seine militärische Unter- gen, ist eine systematische Erfassung der legenheit durch den Bau von nuklearen Kleidüng noch nicht durchgeführt worden. Kampfmitteln auszugleichen, was Indien zu Harry Kühnel und seine Mitarbeiter haben einem Präventivschlag gegen die atomaren mit ihrem Nachschlagewerk nun den Ver- Kapazitäten Pakistans veranlassen könnte. such unternommen, diese Lücke zu füllen, In Südafrika dagegen existiert offenbar der »überlieferte Termini eindeutig zu definie- Wunsch nach einem politischen Neuan- ren und anhand konkreter historischer Bild- fang, ohne daß damit allerdings die Garan- beispiele zu veranschaulichen«. Der geogra- tie für eine friedliche Lösung besteht. Ent- phisch-zeitliche Rahmen reicht von der su- scheidend ist dabei auch die Frage nach der merisch-babylonischen Epoche in Mesopo- tatsächlichen Stärke der Konfliktparteien, tamien und das Perserreich über die grie- denn weder vertritt der African National chisch-römische Antike, das byzantinische Congress alle Schwarzen Südafrikas, noch Reich bis zum Spätmittelalter des Abend- übt die Regierung de Klerk die uneinge- landes. Mit rund 1 000 Stichwörtern wer- schränkte Kontrolle über die Sicherheits- den nicht nur Kleidungsstücke im engeren kräfte aus. Nordirland ist ein Beispiel für Sinne, sondern auch Schuhwerk, Schmuck »absence of ripeness«, und dementspre- und Teile der Bewaffnung wie Helme und chend warnt der Autor vor einem Abzug Panzer erläutert. Die jeweils beim Artikel der britischen Armee, weil dies die Entfes- angegebene Spezialliteratur wird durch ei- selung eines Bürgerkrieges bedeuten würde. ne breit gefächerte Auswahlbibliographie Politischer Aktivismus, der sich nicht um am Ende des Bandes ergänzt, die dem Be- die Frage der notwendigen Voraussetzungen nutzer die Suche nach vertiefender Lektü- kümmert, ist von vornherein zum Schei- re erleichtert. Lobenswert sind auch die ein- tern verurteilt. Fehlen die Grundlagen für leitenden Überblicksdarstellungen über die 296 MGM 52 (1993) Annotationen griechische, römische und byzantinische Diese »Enzyklopädie der Infanteriewaf- Kleidung sowie über Kleidung und Gesell- fen« nimmt in ihrer Konzeption eine Mit- schaft im Mittelalter und die Kriegsrüstung telstellung zwischen den statistischen Anga- im europäischen Mittelalter, die dem Leser ben und reinen technischen Daten, wie sie hilfreiche Hintergrundinformationen ver- beispielsweise der »Kriegsmittel-Ploetz« ent- schaffen. hält, und reinen Spezialabteilungen über Die etwa 350 Strichzeichnungen sind einzelne Waffentypen ein. In beiden Bän- sorgfältig ausgewählt und nach historischen den werden etwa 500 Waffenmodelle, geglie- Vorlagen erstellt worden. Detailabbildun- dert in die Waffentypen: Pistolen, Maschi- gen im Stichwortteil stehen Schaubilder am nenpistolen, Repetier- und Selbstladegeweh- Schluß gegenüber, in denen Einzelteile in re, Sturmgewehre, Maschinengewehre, Pan- Funktionseinheit dargestellt werden. zerbüchsen und Reaktive Panzerbüchsen Das Bildwörterbuch der Kleidung und Rü- (Panzerfäuste), aus 22 Staaten beschrieben, stung leistet dem Benutzer gute Dienste und die seit 1918 entwickelt und bis 1945 zum dürfte das Informationsbedürfnis von Histo- Einsatz gekommen waren. rikern und Kunsthistorikern, wie von Volks- Die jeweiligen Waffentypen sind in Ab- kundlern, Philologen und Archäologen glei- schnitte aufgegliedert, welche die einzelnen chermaßen befriedigen. Ralf Pröve Modellvarianten enthalten, wie beispiels- weise »Maschinenpistolen Modelle 38 und 40 (MP 38 und MP 40) sowie Versionen 9 mm« in dem Kapitel über die deutschen Illustrierte Enzyklopädie der Infante- Waffenentwicklungen. Zu jeder Modellfa- riewaffen aus aller Welt. Reiner Lid- milie wird eine kurze Beschreibung ihrer schun, Günter Wollert, Infanterie- konstruktiven Entwicklung, Funktionswei- waffen gestern (1918—1945), 2 Bde, se, Fertigungsverfahren und taktische Erfah- Berlin: Brandenburgisches Verlags- rungen im Einsatz gegeben. haus 1991, S. 1-300, 301-617; Das Werk wird eingeleitet mit einem kur- DM 198 — zen Kapitel über die Entwicklung der In- fanterietaktik des Zweiten Weltkrieges als 1986 erschienen im Militärverlag der dama- Wechselwirkung technischer Möglichkei- ligen DDR die ersten beiden Bände einer ten, industrieller Fertigungsverfahren zur »Illustrierten Enzyklopädie der Schützen- Massenproduktion und taktischen Forde- waffen aus aller Welt« unter dem Titel rungen. Daran schließt sich eine Darstel- »Schützenwaffen heute (1945—1985)«. Eine lung der konstruktiven Wege der Entwick- zweite, überarbeitete Auflage erschien noch lung vom Repetierer zur Selbstlade- und au- 1990 unter dem gleichen Titel, sie wird heu- tomatischen Waffe an. In einem weiteren te im modernen Antiquariat angeboten. Abschnitt »Definitionen« werden anhand Mit den vorliegenden beiden Bänden, die von Explosionszeichnungen die Konstruk- von den gleichen Autoren in gleicher Auf- tionsprinzipien eines Revolvers, einer Selbst- machung bei dem nach der Wiedervereini- lade-, einer Maschinenpistole, eines Repe- gung neugegründeten Brandenburgischen tier- und Selbstladegewehrs, eines Maschi- Verlagshaus erschienen sind, wird dieses nengewehrs sowie einer Panzerbüchse für ehrgeizige Publikationsvorhaben fortgsetzt. Patronenmunition und für Raketengeschos- Der Titel wurde lediglich dem westlichen se erklärt. Ein weiteres Kapitel erläutert an- Militärsprachgebrauch angepaßt, indem an- hand von technischen Schnittzeichnun- stelle von Schützen- nunmehr von Infante- gen der gleichen Waffentypen die Nomen- riewaffen die Rede ist. klatur der Einzelteile in fünf Sprachen Annotationen MGM 52 (1993) 297

(deutsch, russisch, englisch, spanisch und jektierten Teile 1870/71-1918 und 1700- französisch). Es enthält 258 Bezeichnungen. 1870/71 in der gleichen hervorragenden Die Munition der vorgestellten Waffen wird Ausstattung zu veröffentlichen. in einem eigenen Kapitel, aufgegliedert nach Heinrich Walle Kalibern, beginnend mit der Pistolenpatro- ne 6,35 mm Browning (.25 ACP) bis zur Panzerbüchsenpatrone 20 mm Μ 97, die für eine japanische Panzerbüchse konstruiert Erich GrönerDie deutschen Kriegs- worden war, nach Maßangaben, Ladungs- schiffe 1815—1945; begründet von und ballistischen Daten sowie anhand von Erich Gröner, fortgeführt von Die- Abbildungen vorgestellt. Ein Anhang mit ter Jung und Martin Maass. Umrechnungstabellen der verschiedenen Band 7: Landungsverbände (II): Maße (zöllige und metrische) und ballisti- Landungsfahrzeuge i.e.S. (Teil II), schen Angaben sowie ein umfangreiches Landungsfähren, Landungsunter- Register beschließen die beiden Bände. stützungsfahrzeuge, Transporter; Mit den beiden Bänden dieser auf mehre- Schiffe und Boote des Heeres, Schif- re Teile angelegten Enzyklopädie der Infan- fe und Boote der Seeflieger/Luftwaf- teriewaffen bieten die Autoren und der Ver- fe, Kolonialfahrzeuge, Koblenz: Ber- lag ein wichtiges Nachschlagewerk für Mi- nard & Graefe 1990, 244 S., 499 Sei- litärhistoriker über Kriegsmittel an, die al- tenrisse und Deckspläne; DM 98,— le nach Verfahren der Massenproduktion in großen Stückzahlen hergestellt worden wa- 1937 veröffentlichte Erich Gröner das Werk ren. Dadurch, daß hier außer den üblichen »Die deutschen Kriegsschiffe 1815—1936«. technischen und ballistischen Daten auch Damit wurde erstmalig eine einigermaßen qualitative Bewertungen über den Einsatz umfassende Zusammenstellung aller deut- dieser Waffen gemacht sowie Angaben über schen Kriegsschiffe seit den napoleonischen deren Entwicklungsgang und Hinweise ge- Kriegen vorgelegt. Das Werk war nach dem geben werden, wie sich deren Konstruktion Schema des bekannten Taschenbuchs der den Erfordernissen einer Massenproduktion Kriegsflotte von Bruno Weyer aufgebaut anpassen mußte, unterscheidet sich dieses und zeichnete sich durch seine Skizzen im Werk wesentlich von den in diesem Themen- Maßstab 1:1000 aus, welche Erich Gröner bereich üblichen Veröffentlichungen. Die in der für ihn charakteristischen Präzision zahlreichen Abbildungen, Explosionszeich- angefertigt hatte. Dieser Atlas, 1944 noch nungen der Mechanismen, Schnittzeich- einmal aufgelegt, war nach Kriegsende ver- nungen und Photos vom Einsatz der Waffen griffen, und Gröner ging unverzüglich dar- tragen wesentlich zur Veranschaulichung an, eine Neufassung, nunmehr bis 1945 aus- bei und erleichtern auch dem technischen gedehnt, zu erarbeiten. Dieser »neue Grö- Laien das Verständnis der Funktionsweise. ner« war auf zwei Bände angelegt, deren Daß hier noch die Waffenentwicklungen erster 1966 nach seinem Tode irrt Jahre 1965 aus der Sowjetunion etwas ausführlicher von seinem Freund Dr. Dieter Jung und und besonders positiv gesehen wurden, dem Schiffsinspektor Martin Maass in Mün- stört den streng sachlichen Aufbau dieses chen herausgegeben wurde. 1968 folgte der Werkes in keiner Weise. Es bleibt nur zu zweite Band. Unmittelbar vor Drucklegung wünschen, daß es Autoren und Verlag ge- dieser beiden Bände begann die Rückfüh- lingt, auch die weiteren und bereits ange- rung der in alliiertem Gewahrsam befind- kündigten Teile, das heißt eine Neuauflage lichen Marineakten, so daß den beiden Her- des Zeitabschnitts 1945—1985, und der pro- ausgebern, welche sich die Fortsetzung von 298 MGM 52 (1993) Annotationen

Gröners Arbeit zu ihrem Lebenswerk Insgesamt sollen in diesem gigantischen machten, eine Fülle neuer Daten zur Ver- Werk etwa 20000 Schiffe aus 130 Jahren fügung standen. Bereits dem 2. Band des deutscher Marinegeschichte behandelt wer- »neuen Gröners« mußte ein umfangreiches den. Dieses gewaltige Kompendium, das in Heft mit Korrekturen beigegeben werden. seiner Art einzigartig ist und mit größter Dieter Jung und Martin Maass hatten klar Sorgfalt im Detail recherchiert wurde, kann erkannt, daß Erich Gröner mit der Heraus- nur als Ganzes gesehen werden; es ist weit gabe seines Werkes über die deutschen mehr als nur ein Handbuch deutscher Kriegsschiffe eine neue und bisher auch ein- Kriegsschiffe. Wie der Blick auf die so sub- malig gebliebene Konzeption einer tech- til zusammengetragenen Bände der zahllo- nisch-historischen Dokumentation reali- sen Hilfsschiffe aus den beiden Weltkriegen siert hatte. In technischen Tabellen nach zeigt, wird hierin auch ein signifikanter Ab- Art des Weyerschen Flottentaschenbuches, riß über den Bestand der deutschen Han- einheitlichen Schiffsskizzen und Daten über dels· und Spezialschiffe gegeben, da die als die Schiffsschicksale sollte hier ein Über- Hilfsfahrzeuge bezeichneten Einheiten in blick über die Gesamtheit des Flottenma- der Regel von der Marine beschlagnahmte terials unter deutschen Flaggen über große oder übernommene Handelsschiffe waren. Zeitabschnitte hinweg gegeben werden. So Damit erweitert sich der Anwendungsbe- haben die beiden neuen Herausgeber das reich dieses Werkes beträchtlich. Grönersche Werk überarbeitet und 1982 Es bleibt nur zu hoffen, daß auch der den ersten Band eines zunächst auf sechs noch ausstehende 8. Band erscheinen wird. Bände angelegten Standardwerkes herausge- Dr. Dieter Jung und Martin Maass haben geben. Band 1 enthielt die Schweren Uber- sich unbestreitbar das Verdienst erworben, wasserstreitkräfte bis hin zu den Kanonen- in jahrzehntelanger mühevoller Kleinarbeit booten, der 2. Band die Torpedoträger und ein Handbuch über die deutschen Schiffe Minensuchfahrzeuge, der 3. Band die U- vorgelegt zu haben, und damit einen wich- Boote, Hilfskreuzer, Minenschiffe, Netzle- tigen und unverzichtbaren Beitrag zur Tech- ger und Sperrbrecher. Mit Band 4 begann nikgeschichte geleistet. Ein engagierter Ver- man mit den Hilfsschiffen, die in Band 5 lag hat hier ein erhebliches verlegerisches fortgeführt werden konnten. Der 6. Band Risiko auf sich genommen, das hoffentlich ist den Hafenbetriebsfahrzeugen aller Art, von einer großen Schar von Interessenten Yachten und Avisos sowie dem I. Abschnitt honoriert wird. Heinrich Walle der Landungsfahrzeuge gewidmet. Unter der Fülle des nunmehr zur Verfügung ste- henden Materials sahen sich die beiden Her- ausgeber veranlaßt, ihr Werk auf insgesamt Junkersflugzeuge 1944—1945. Erpro- 8 Bände zu erweitern. Der jetzt vorliegen- bung — Bewaffnung — Prototypen. de, 1990 publizierte 7. Band ist die Fortset- Der illustrierte Original-Bericht des zung des vorangegangenen Bandes und ent- Professor Brunolf Baade an die So- hält in der Hauptsache die weiteren Lan- wjetische Militäradministration, dungsschiffe, beginnend mit den großen 1946. Hrsg. von Helmut Bu- Marinefährprähmen bis zu den sogenann- kowski und Manfred Griehl, Fried- ten Siebelfähren und Amphibienfahrzeu- berg/H.: Podzun-Pallas 1991, 263 S.; gen, die man eigentlich schon als Geräte ein- DM 58,- stufen kann. Ferner werden Transporter und Kolonialfahrzeuge sowie die Schiffe und Boote von Heer und Luftwaffe aufgeführt. Mit dem 1. Juli 1945 wurde die Stadt Des- sau als Standort der -Flugzeug- und Annotationen MGM 52 (1993) 299

Motorenwerke QFM), bei denen gegen Steuerlein Fragen zu Organisation und Kriegsende ungefähr 165000 Menschen Technik der Bordwaffenentwicklung bei beschäftigt gewesen waren, Teil der sowje- Junkers — dem Bereich also, in dem er tischen Besatzungszone. Im Auftrag der schon vor Kriegsende in leitender Position Sowjetischen Militäradministration in tätig gewesen war. Dabei liefert er unter an- Deutschland (SMAD) wurde im Junkers- derem aufschlußreiche Informationen über Werk eine Militärkommission eingesetzt, die organisatorischen Abläufe von der Ent- die alle früheren Mitarbeiter der JFM auf- wicklung bis zur Serienfertigung, über die forderte, zurückzukehren und das Werk verschiedenen Waffenlieferanten und -spe- wieder aufzubauen. Das Interesse der zialisten (»Es ist wünschenswert, anzuge- SMAD, die die ehemaligen JFM in eine so- ben, wo sie sich gegenwärtig befinden«, wjetische Aktiengesellschaft umwandelte, S. 92) und über das System der Instandset- galt hierbei der Fortsetzung der Arbeiten zung der Bewaffnung bei der Truppe. am Strahlbomber und dem Gebiet der Dem Bericht sind verschiedene Ergän- Strahltriebwerke. Ein entsprechendes Kon- zungsmappen beigefügt, die Auskunft über struktionsbüro wurde unter Leitung des die Anordnung von Waffenständen und ehemaligen Junkers-Mitarbeiters Dipl.-Ing. Waffentypen der Junkers-Flugzeuge bis hin Brunolf Baade eingerichtet. zu den Projekten geben. Darunter befin- Parallel hierzu hatte das »Technische Son- den sich auch deutsche Originalunterla- derbüro Nr. 1 Dessau« im Auftrag der Luft- gen aus der Kriegszeit. Worin aber für den waffenabteilung der SMAD schriftliche Be- heutigen Leser der Wert einer »Kurzbau- richte über alle Aktivitäten der ehemaligen beschreibung des Zusatz-Waffenbehälters JFM anzufertigen. Von diesen sowjetischen 151/20« oder der »Prüfanweisung Bewaff- »interrogation reports« sollen nach Aussa- nung« für die Maschinengewehre im Trag- ge des Herausgebers »mehrere Hundert flügel der Ju 87 D-5 stecken soll, das bleibt Bände« angefertigt und an das Luftfahrtmi- ebenso offen wie der Nutzen des Abdrucks nisterium der UdSSR verschickt worden von mehr als 60 Seiten (!) mit verschiede- sein. Lediglich der Bericht Nr. 273, verfaßt nen Lafetten-Typen aus dem Waffenhand- durch Dipl.-Ing. Steuerlein, blieb nach Um- buch der JFM. wegen beim Aeroclub Cottbus liegen und Abschließend sei vermerkt, daß der Buch- wird hier nun als fotomechanische Repro- titel irreführend ist (was dem Verkauf sicher duktion veröffentlicht. Sein Titel lautet: nicht schaden wird) und dem Inhalt nicht »Grundsätzliche Fragen für die Entwick- entspricht, denn Technik und Typenent- lung der Organisation und des Standes der wicklung der Junkers-Flugzeuge werden in Bewaffnung in der Firma Junkers und ih- diesem Band nicht behandelt. ren Werken«. Auf 45 Seiten beantwortet Dieter Hölsken