Masarykova univerzita Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Magisterská diplomová práce

2015 Bc. Michaela Sochorová

Masarykova univerzita Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Učitelství německého jazyka a literatury pro střední školy

Bc. Michaela Sochorová

Die frühe ritterliche Liebesdichtung. Eine Sonde in die Vorstellungswelt der Epoche am Beispiel der Texte "Des von Kürenberg", Dietmars von Aist un Kaiser Heinrichs. Ein Vergleich.

Magisterská diplomová práce Vedoucí práce: doc. Mgr. Sylvie Stavovská, Dr. 2015

Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig ausgearbeitet habe und dass ich nur die angeführte Literatur verwendet habe.

Tvořihráz, 21. 11. 2015 ……………………………………………

Bc. Michaela Sochorová

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei der Betreuerin dieser Arbeit Frau doc. Mgr. Sylvie Stavovská, Dr. für ihren sorgsamen Zugang, ihre nützlichen Ratschläge, Hinweise und Zeit, die sie mir gewidmet hat, bedanken.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 7

2. Einführung in die Welt der Literatur mit Schwerpunkt die Literatur des Hochmittelalters (12. – 14. Jahrhundert) ...... 13

3. Phänomen der höfischen Liebe ...... 19

3.1. Herkunft der höfischen Liebe ...... 22

3. 2. Merkmale der höfischen Liebe ...... 27

4. Mittelalterlicher Symbolismus ...... 31

5. Der ...... 37

5.1. Die „donauländische“ Lyrik ...... 39

5.1.1. Der von Kürenberg ...... 43

5.1.1.1. Interpretation ausgewählter Strophen Des von Kürenberg…...47

5.1.2. Dietmar von Aist ...... 55

5.1.2.1. Interpretation ausgewählter Strophen von Dietmar von Aist...57

5.2. Der von Kürenberg und Dietmar von Aist: Unterschiede und Ähnlichkeiten ...... 68

5.3. Der „rheinische“ Minnesang ...... 69

5.3.1. Kaiser Heinrich VI...... 71

5.3.1.1. Interpretation ausgewählter Strophen des Kaisers Heinrich VI...... 73

6. Die ausgewählten Motive im Werk Des von Kürenberg, Dietmars von Aist und Kaisers Heinrich ...... 80

6.1. Falke ...... 81

6.2. Nachtigall ...... 85

6.3. Krone ...... 87

6.4. Gold ...... 87

7. Zusammenfassung ...... 89

8. Quellenverzeichnis ...... 92

9. Abbildungsverzeichnis ...... 95

1. Einleitung

Die Diplomarbeit mit dem Titel „Die frühe ritterliche Liebesdichtung, eine Sonde in die Vorstellungswelt der Epoche am Beispiel der Texte Des von Kürenberg, Dietmars von Aist und Kaisers Heinrich. Ein Vergleich ist nicht nur als Bemühung zu interpretieren, die Werke der drei ausgewählten Autoren, deren Namen der Titel dieser Arbeit enthält, sondern auch als Bemühung darum, den Anlass, die Muse zu finden, die die ursprünglichen Impulse für das Schaffen des Kunstwerks darstellten.

Diese Diplomarbeit beabsichtigt, in die Vorstellungswelt einerseits durch populäres Phänomen der höfischen Liebe als auch durch sehr umfangreiches Thema mittelalterlichen Symbolismus einzudringen. Die Relevanz dieser Themen in der germanistischen Literaturwissenschaft könnte als diskutabel beurteilt werden, denn das Thema des mittelalterlichen Minnesangs führt ziemlich oft zur ausführlichen Einsicht in die Welt der damaligen Gesellschaft.

Diese Einsicht hilft dem Leser beziehungsweise dem Wissenschaftler, die Zusammenhänge immer wieder besser zu verstehen, und dabei wird dadurch die Tür in die Welt der Denkweise mittelalterlichen Menschen geöffnet, die fasziniert und immer noch nicht genügend erforscht wurde. Jedes literarische Werk ist eine Reflexion seiner Zeit, deshalb ist es wichtig, es komplex als Bestandteil der Kultur und des Lebens, als Ergebnis oder Folge gewisser Wirklichkeit, Ereignisses oder Erscheinung zu verstehen. Auch aus diesem Grunde strebt diese Arbeit an, die Welt der Literatur mithilfe des die damaligen Schöpfer umgebenden Zeitgeistes zu verstehen.

Essenzieles Werk, das das Schreiben dieser Diplomarbeit anstachelte, war tschechische Übersetzung ausgewählter Gedichte deutscher höfischer Lyrik Hle, již v mém srdci vstává den der Sylvie Stanovská. Eine große Inspiration war auch das Buch der Dana Dvořáčková-Malá und Jan Zelenka Přemyslovský

- 7 - dvůr, das eine ausführliche Beschreibung des mittelalterlichen Lebens – nicht nur beim Hof der Přemysliden – bietet.

Ein weiteres, wichtiges Werk dieser Arbeit war die Dissertationsarbeit der Lenka Svobodová: Traktát De amore ve světle dvorské kultury, die die Hauptquelle jenes Teils dieser Arbeit war, der sich auf die Interpretation und die Herkunft der höfischen Liebe konzentriert. Ihre Herkunft tritt mit Herkunft mittelalterlicher Liebesdichtung in engem Zusammenhang. Eine für diesen Teil der Arbeit wichtige Quelle ist das Werk Umění a krása ve středověké estetice von Umberto Eco und Podzim středověku von Johan Huizinga.

Es ist nicht notwendig, die letzten zwei Publikationen ausführlich vorzustellen. Diese Werke verliehen der Arbeit einen psychologisch philosophischen Einblick in die Kunstwelt des Mittelalters und nicht nur das: Insbesondere Huizingas Theorie vom mittelalterlichen Symbolismus ist ein für diese Arbeit sehr nutzbringendes Kapitel. Aus der fremdsprachigen Literatur, die in der tschechischen Bibliotheken nur kompliziert zur Verfügung steht, könnte man beispielsweise folgende ziemlich lange Reihe Werke nennen: Die Anfänge der europäischen Liebesdichtung im 11. und 12. Jahrhundert des Theodors Frings, Einführung in die germanistische Mediävistik von Hilkert Weddige, Geschichte der Literatur in Österreich und Österreichische Literatur des Fritzes Peter Knapp, Deutsche Dichtung des Mittelalters des Michaels Curschmann und der Ingeborg Glier, den Artikel Zu Dietmars des Günthers Jungbluth, Minnesang und Mittelhochdeutsche Minnelyrik des Günthers Schweikle.

Diese oft lexikalischen Publikationen wurden hauptsächlich für allgemeine Definition des Minnesangs oder seiner einzelnen Zeitabschnitten ausgenutzt. Mit ihrer Hilfe wurden die Autoren, mit denen sich diese Arbeit befasst, ausführlich gekennzeichnet. Beispielsweise Ptačí zahrádka des Claretus (Bartholomäus von Chlumec) wurde als Mittel der grundlegenden

- 8 - Interpretation angewendet. Weitere Quelle dieser Art war die Habilitationsarbeit der Sylvie Stanovská und man darf die eigenen, persönlichen Bemerkungen und Schlussfolgerungen der Verfasserin dieser Arbeit nicht vergessen.

Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit widmet sich auch dem ersten deutschen Tagelied des Dietmars von Aist. Um seine Werke gut auslegen zu können, wurde die Publikation des Gerdts Rohrbach Studien zur Erforschung des mittelhochdeutschen Tageliedes benutzt. Die Arbeit bemüht sich um seine systematische Erklärung, die zu einem bestimmten Ziel führt.

Bei einer Vorstellung dieser Arbeit als gewöhnliche Sache, müsste man zum folgenden Bild kommen: Ein Sack, der sich in der Richtung der Öffnung verenget und mit einer Schnur verknotet wurde. Sein unterer Teil bietet einen allgemeinen Einblick in die Welt der mittelalterlichen Literatur, es geht um die Quellen, in denen das Schaffen drei ausgewählter Dichter verzeichnet wurde. Die Bemühung um Einblick in damalige Welt und Gesellschaft mithilfe der höfischen Liebe, was aufgrund des mittelalterlichen Symbolismus verläuft, bildet die zweite Schicht. Der nachfolgende Teil umfasst eine Abhandlung über Minnesang und seine Phasen. Es folgen die Namen der Autoren und Interpretation ihrer Werke. Abschließend kommt die Interpretation konkreter, ausgewählter Motive, wodurch das Schaffen zweier oder mehrerer Autoren entweder verbunden oder gespaltet wurde, Interpretation der Hauptmotive, die im Werk eines Autors erscheinen.

Die Möglichkeiten für eine weiterführende Forschung, die diese Arbeit einleitet, und die jetzt jedoch beiseitegelassen werden müssen, bestehen in der Erweiterung der Interpretation auf die Motive, die den einzelnen Gedichte gemeinsam sind. Nach ihrer Berücksichtigung wäre es möglich, einen bisher von niemandem entdeckten oder als unwichtig beurteilten Zusammenhang zu

- 9 - finden. Mehrere Angaben zu Möglichkeiten der Forschungserweiterung wurden in der Zusammenfassung erwähnt.

Die Arbeit enthält sechs grundsätzliche Teile. Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich einer kurzen Beschreibung der Entwicklung europäischer mittelalterlicher Literatur einschließlich der Erwähnung bedeutender Manuskripte wie . Dieser Teil umfasst auch sehr kurze Charakteristik ausgewählter epischer Werke, deren Inhalt nachfolgend an nächstes Kapitel mit Bezeichnung „Phänomen der höfischen Liebe im Mittelalter“ anknüpft. Dieses Kapitel wurde in weitere Unterkapitel gegliedert, die sich mit Charakteristik, Herkunft und Merkmalen höfischer Liebe befassen.

Die Herkunft höfischer Liebe ist immer noch nicht gut bekannt, eine ähnliche Aussage könnte man auch auf die Herkunft mittelalterlicher Liebesdichtung beziehen. Zu den beiden Themen werden immer wieder neue Diskussionen geführt. In der wissenschaftlichen Welt herrscht jedoch die Überzeugung, dass die Herkunft dieser zwei Phänomene in Verbindung stehen muss.

Es folgt ein Kapitel, das sich mit dem mittelalterlichen Symbolismus befasst. Dieses Kapitel ist ein Vortrupp des letzten Kapitels und soll den Leser auf den Schluss dieser Arbeit aufmerksam machen. Es bemüht sich mittels der mittelalterlichen Symbolik das Denken des mittelalterlichen Menschen nähern und bemerkt, dass der mittelalterliche Mensch eine andere Leseart und Interpretationsweise des Gedichts des Dietmars von Aist oder des Kaisers Heinrich hätte als heutiger Leser: Allen Sachverhalten, die den mittelalterlichen Menschen umgaben, wurde eine versteckte Bedeutung zugesprochen. Um es kurz zu sagen: Nichts war leer.

Das Ziel des nachfolgenden Kapitels ist Interpretation und Vergleich. Die Autoren wurden chronologisch angeordnet, wobei als Erster Der von

- 10 - Kürenberg angeführt wurde. Nach der kurzen Abhandlung über Minnesang und seiner Verbindung mit der höfischen Liebe folgt die Eingliederung Des von Kürenberg in die Frühphase des Minnesangs, also in die Donauländische Lyrik.

Die Interpretation ausgewählter Gedichte wurde durch kurze Informationen zum Leben des Dichters ergänzt, diese Angaben weisen leider keine Vollständigkeit auf und haben keine sichere Geltung. Der Teil, der Dem von Kürenberg gewidmet wurde, befasst sich hauptsächlich mit seinem berühmten Falkenlied und das auch aus dem Grunde, dass es gerade das Motiv des Falken war, der einen Anlass dazu darstellte, dass Der von Kürenberg für potenziellen Autor des Nibelungenliedes gehalten wird.

Die Interpretation der Gedichte des Dietmars von Aist konzentriert sich insbesondere auf sein Tagelied, weil er für den ersten deutschschreibenden Autor gehalten wird, der ein Tagelied verfasste. Sein Tagelied ist allerdings bis heute Gegenstand der Streitigkeiten. Die wichtigsten zu beantworteten Probleme sind z.B. die folgenden Aspekte: Kann das Werk zu den Tageliedern eingegliedert werden? Wie man die Hauptfiguren des Tagelieds charakterisieren soll? Und auf diese Weise könnte man fortsetzen. Daneben war Dietmar der erste Minnesänger, der den einfachen Reim benutzte, diesem Aspekt wurde in dieser Arbeit kurzer Raum gewidmet.

Was Interpretation der Gedichte des Kaisers Heinrichs betrifft, könnte man sagen, dass sie mehr oder weniger allgemein ist. Nichtsdestoweniger möchte dieser Teil auf den Unterschied zwischen der Poesie des Herrschers und des üblichen Mann aufmerksam machen, resp. was konnte der übliche Minnesänger schreiben und was nicht.

Der letzte Teil dieser Arbeit konzentriert sich auf die Interpretation ausgewählter Motive, insbesondere solcher, die für die Werken aller in dieser Arbeit erwähnten Autoren gemeinsam sind. Das letzte Kapitel bemüht sich, die

- 11 - Zusammenhänge vorzustellen und einen Abschluss der ganzen Arbeit zu bilden: Dietmar von Aist und Der von Kürenberg befassen sich häufig mit Motiv der Natur, sehr interessante Rolle in ihrer Poesie spielen Vögel. Der Kaiser Heinrich bevorzugt Motiv der Macht, des Goldes, der Edelsteine, und auch das Motiv des Herzens und der Seele. Es ist die Seele des Dichters, der die größte Aufmerksamkeit gewidmet wurde. In dieser Hinsicht muss er als reicher und mächtiger Mann zwischen Liebe und Reichtum wählen. Heinrich will sich immer für Liebe entscheiden.

- 12 - 2. Einführung in die Welt der Literatur mit Schwerpunkt die Literatur des Hochmittelalters (12. – 14. Jahrhundert)

Das Hochmittelalter ist eine der geheimnisvollsten und bemerkenswertesten Zeiten der Geschichte. Das Leben, das Denken und die Kunst der in diesen Zeiten lebenden Menschen stellen für uns eine unerschöpfliche Quelle immer neuer Entdeckungen und Geheimnissen dar. Man kann leider nur wenige Quellen finden, aus denen man mehrere Informationen über das Leben der Menschen der Zeit des 11.-14. Jahrhunderts lesen kann.

Manche Quellen wurden nicht erhalten, der Autor anderer Werke ist unbekannt oder man hat ungenügende Informationen über ihn. Aufgrund dieser Tatsache entsteht ein großer Raum für verschiedene Spekulationen, Vermutungen und Theorien. An dieser Stelle sollte ein gut erhaltenes und erstaunliches Werk erwähnt werden, dank dessen unsere Vorstellungen über das Mittelalter klarere Konturen annehmen, dank dessen nicht nur die Verse ungefähr von 140 Künstlern erhalten wurden, sondern auch herrliche ganzseitige Illuminationen, wodurch sowohl Dichter, als auch Adeligen und Bürger dargestellt werden. Es geht um das Werk Codex Manesse oder auch Große Heidelberger Liederhandschrift.

Ein anderes interessantes und häufig beschriebenes Werk ist das Traktat De Amore des englischsprachigen Autors Andreas Capellanus. Das Werk setzt sich aus drei Büchern zusammen. Im ersten und im zweiten Buch spricht der Autor über Liebe und befasst sich mit folgenden Themen: Wie sie entstehe, zwischen wem sie aufflammen und existieren könnte, wie man die Liebe gewinnen könnte, wie man sie aufrechterhalten könnte, wie die Liebe vergrößert oder verkleinert werden könnte und wie sie untergehen könnte. Im dritten Buch

- 13 - verlässt Capellanus seine enthusiastische Erklärung und die Liebe wird verdammt.

Auch dank solchen Werken wie Codex Manesse oder De Amore erfahren wir mehrere Informationen über das Phänomen, das erst in späteren Jahrhunderten benannt wurde: Es handelt sich um das Phänomen höfische Liebe oder auch Minne. Die erhaltene Dichtung vieler Troubadours, Trouvères und Minnesänger beschreibt in groben Zügen die Tatsache, wie die mittelalterlichen Leute sich mit einem der größten Rätsel aller Zeiten, mit der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, konfrontiert sahen.

Das Ziel dieser Arbeit ist eine Vorstellung des Schaffens der nicht so sehr bekannten Minnesänger. Ein wichtiger Aspekt ist jedoch auch die Erwähnung der Bekanntesten Künstler. Zu den bekannten Autoren gehört Chrétien de Troyes, der zu den französischen Troubadouren gehört. Zu seinem Werken zählt man Yvain ou Le Chevalier au lion oder Li Contes del Graal ou Le roman de Perceval.

Was die deutsche Literatur betrifft, darf man außer den lyrischen auch die epischen Werke, die in vielen Fällen bekannter waren, nicht vergessen. Das wahrscheinlich bedeutendste Werk der deutschen mittelalterlichen Epik, Parsifal, entstand Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Die Grundlage dieses Werks, das von Eschenbach geschrieben wurde, war der Text von Chrétien. Die Erzählung beschreibt ein abenteuerliches Wandern zum heiligen Gral. Ein Bestandteil der Reise sind auch verschiedene Feiern, Ritterspiele und Festessen. Der Autor stellt auch farbig das Aussehen, die physische Rüstigkeit und den Charakter der Figuren, ihre gute und schlechte Eigenschaften dar. Auch die bekannteste Version des höfischen Romans Tristan und Isolde stammt von einem deutschen Autor, und zwar von Gottfried von Straßburg. In solchen Romanen kann man eine Veränderung des Benehmens eines Mannes zur Frau beobachten. Im höfischen Roman legt der Autor den Haupthelden (ein

- 14 - adeliger Ritter) in eine fiktive Märchenwelt an, in der er durch eine Abfolge der Abenteuer durchgeht, die ausgedacht und in eine Kette nur aus einem Grund geordnet wurden: Damit der Ritter zum idealen Helden heranreifen kann. Man kann sagen, es handelt sich um eine künstliche Fiktion aus jener Zeit. Im Minnesang ist es nicht anders.1

Was die deutsche Lyrik betrifft, erwähnen wir den Hofdichter von Friedrich I. Barbarossa, Friedrich von Hausen, der mit seiner Dichtung auch den Kaiser Heinrich VI. beeinflusst hatte. In seinem Werk findet man ein typisches Element – die Trauer über die unerhörte Liebe – die für diese Phase des Minnesangs sehr wesenseigen ist. Je tiefer Ritters Eingenommenheit für die geliebt Frau war, desto zermürbendere Auswirkung hatte ihre verweigernde Stellungnahme.

Der führende Liedertyp in deutschsprachigen Ländern für gegebene Zeit ist die sogenannte Minneklage. 2 Zu den nächsten Lyrikern des deutschen Raums gehörte Heinrich von Veldeke oder einer der bekanntesten und bedeutendsten Dichter deutscher höfischer Literatur, Walther von der Vogelweide.

Die Entwicklung des höfischen Lieds oder auch des Minnesangs (wobei man das Wort minne meistens aus dem Mittelhochdeutschen ins Hochdeutsche als Liebe übersetzt) hatte im deutschsprachigen Raum gewisse Phasen. Sylvie Stanovská führt in ihrem Beitrag im Buch Přemyslovský dvůr an, dass seine frühe Phase sich in Bayern und in Südösterreich abspielte, wo der Hauptvertreter ein Autor namens Der von Kürenberg war, dessen Schaffen zu

1 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 10. 2 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. ZELENKA, Jan. DVOŘÁČKOVÁ,-MALÁ, Dana. Dvorská literatura. In: DVOŘÁČKOVÁ – MALÁ, Dana. ZELENKA, Jan. Přemyslovský dvůr. 1. vyd. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2014, s. 49.

- 15 - den grundsätzlichen Pfeilern dieser Arbeit gehört. Auch für sein Werk ist die breitere Skala der Beziehungen des Ritters zur Frau3 typisch.

Es folgt der „rheinische“ Minnesang, der durch die provenzalischen Vorbilder beeinflusst wurde. Die Liebe ist oft als unerhörte geschildert. Jedes Lied trägt verschiedene Variationen (…) der Motive, die man in ein paar Punkten zusammenfassen kann: 1. Lob der Frau, 2. Beschreibung der Verdienste des Ritters in der Beziehung zur Frau, 3. Der Ritter bittet um eine Belohnung (ein Anblick, ein Kuss, Liebesvereinigung), 4. Ritters Wehklage wegen der Ablehnung, 5. Reflexion möglicher Gründe der Ablehnung, 6. Reflexion der Folgen – Ritters Treugelübde gegenüber der Frau. 4

Eine der Grundarten des Liedes ist die Minneklage, die so benannt wurde, denn der Liebhaber wurde von der geliebten Frau nicht erhört. Dieser Trend ändert sich erst im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts. Vornehmlich Walther von der Vogelweide hatte die unerwiderte Liebe in die gegenseitige Liebe umgesetzt und er hatte sich eher der Thematik schmerzhafter Trennung der Liebenden gewidmet. Zu Wort kommen auch die erotischen Elemente und die moralistischen Motive wie das richtige Benehmen in Liebe, Treue, Angst vor Verrat u. ä.

Die Entstehung der höfischen Literatur und ihre weitere Verbreitung wären ohne Donatoren unmöglich, die die einzelnen Werke bestellt und finanziert hatten. Der Beweggrund für die Bemühungen der Auftraggeber dieser Werke war auch die Möglichkeit literarischer Darbietung ihrer Lebensweise und Kultur im höfischen Milieu.5

3 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Lyrické básně pěvců – dvorské písně. In: DVOŘÁČKOVÁ – MALÁ, Dana. ZELENKA, Jan. Přemyslovský dvůr. 1. vyd. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2014 s. 44. 4 Vgl. Ibid., s. 45. 5 Vgl. Ibid., s. 43.

- 16 - Sollte das Thema des mittelalterlichen Liebesgedichts verallgemeinert werden, kann man sagen, dass sein Schlüsselelement häufig eine lebenslange und fatale Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau war, wobei der Partner immer den absoluten und einzigen Sinn und die Erfüllung des Lebens verkörperte. Der Inhalt der Gedichte (das, was die Künstler geschrieben hatten und wovon sie geträumt hatten) hatte die Realität nicht jedenfalls widerspiegeln müssen, auch wenn auch die Realität dadurch bis zu einem gewissen Maß beeinflusst wurde.

Die Liebe und die mit ihr verbundene Problematik werden meistens von einem Mann – aber nicht selten auch von einer Frau – ausgesprochen. Es werden gewöhnlich Erlebnisse des Ritters und verschiedene höfische Motive geschildert. Das Lied hat neben seinem lyrischen Wert auch folgende Funktionen: 1. Integrationsfunktion, die bedeutet, dass die höfische Gesellschaft mithilfe des Liedes gekittet werden kann, 2. Die repräsentative Funktion, die im Falle entsteht, dass das Lied ein Außenspiegel für die höfische Gesellschaft darstellt 3. Die Bildungsfunktion, denn das Lied der Gesellschaft das höfische Benehmen beibringt.6

Sylvie Stanovská in ihrem Beitrag im Buch Přemyslovský dvůr definiert das lyrische Gedicht als solch eine Darstellung, in die sich das Publikum seine eigene Erlebnisse projektieren kann. Es wird auch angeführt, dass das Bild der geliebten Frau so viel wie möglich idealisiert wurde. Kurz gesagt, die Frau ist Vorbild der Tugend, der Schönheit und aller guten Eigenschaften, sie ist beliebt und geliebt, hat perfektes Benehmen und Auftreten. Der Liebende muss auf dem Weg zu seiner Liebe manche Schwierigkeiten durchstehen, um sich zu vervollkommnen und alle höfischen Tugenden zu beherrschen. Nur so kann er

6 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Lyrické básně pěvců – dvorské písně. In: DVOŘÁČKOVÁ – MALÁ, Dana. ZELENKA, Jan. Přemyslovský dvůr. 1. vyd. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2014, s. 43.

- 17 - der Frau gleichkommen. In einigen Fällen bleibt die Liebe unerhört, aber andermal ist es umgekehrt (z. B. die Alben).

- 18 - 3. Phänomen der höfischen Liebe

„…Liebe wurde so zur Sphäre, wo die sämtliche ästhetische und moralische Vollkommenheit aufblühen konnte.“

Johan Huizinga

Es ist ein bekanntes Faktum, dass Ausbildung im Mittelalter Domäne adeliger und geistlicher Kreise war, und daneben wurde sie nicht besonders erweitert. Offensichtlich auch für Dichter und Künstler war das Leben „gewöhnlichen armen Menschen“ kein attraktives Thema. Auch aus diesem Grunde begegnet man in der Liebesdichtung des Mittelalters nur wunderschönen, reichen Adeligen. Auch die Verse, die Männern gewidmet wurden, beschreiben die Liebe zu einem mutigen Ritter, zu einem solchen Helden, der verschiedene Verdienste ausgeübt hatte, der tapfer und bewundert sei.

Die geliebte Person, egal ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt, ist fast in allen Fällen ein Schmuck der Gesellschaft, sie ist das Vorbild: Nicht nur durch Schönheit und Holdseligkeit, aber auch durch ihre hervorragende Natur und Eigenschaften. Die Liebe und ihre Auffassung im Hochmittelalter sind Themen, wovon das Schaffen der drei erwünschten Dichter auskommt, deshalb wird jetzt die Aufmerksamkeit auf das Phänomen der höfischen Liebe konzentriert.

Es ist nötig die Werke Des von Kürenberg, Dietmar von Aists und des Kaisers Heinrich VI. schon in der Genese zu verstehen und zu versuchen, sich in den Zeitgeist um die Schöpfer einzufühlen. Die mittelalterliche Liebe ist ein interessantes und geheimnisvolles Thema. Dank des französischen Journalisten, Schriftstellers und Publizisten Gaston Paris, kennt man den

- 19 - Begriff l´amour curtois (deutsch höfische Liebe), der buchstäblich zu Phänomen wurde.

Paris führt den Begriff l´amour curtois in seinem Aufsatz Etudes sur les romans de la table ronde: Lancelot du Lac ein, wo er Liebe zwischen Lancelot und Guinevra beschreibt. Die Liebe wird durch vier Merkmale charakterisiert: Es handle sich um eine illegitime und heimliche Liebe, der Liebhaber sei der Frau untergeordnet, die gesellschaftlich höher gestellt wird, der Mann müsse eine Reihe der Prüfungen seiner Tüchtigkeit und Anhänglichkeit erleiden, um das Gemüt der Frau zu gewinnen, die Liebe ist Kunst und Wissenschaft zugleich, und unterliege einer Reihe der Vorschriften und Regeln. 7

Dieses Konzept von Paris wird manchmal auf Grund seiner Ahistorizität kritisiert und es wird ihm vorgehalten, dass das Konzept für Interpretation und Verständnis mittelalterlicher Texte nicht angewendet werden kann. Zusätzlich soll es sich um einen Ausdruck handeln, der von einem neuzeitlichen Gelehrten eingeführt wurde. Hatten die mittelalterlichen Autoren Bedürfnis, die erwähnte Form der Liebe terminologisch exakter zu beschreiben, sprachen sie über bone amore, amour fine oder hohe minne. Die Bedeutung dieser Begriffe entspricht der deutschen Wortverbindung edle Liebe.8

Die Charakteristik von Paris wurde vielmals grundsätzlich revidiert und viele Autoren sind der Meinung, dass die Interpretation der höfischen Liebe, respektive der Liebe im Mittelalter nicht so eindeutig sei. Jan Zelenka in seinem Beitrag Láska ve dvorském světě im Buch Přemyslovský dvůr führt an, dass diese Interpretation der Liebe verwirrend sei, insbesondere wegen der

7 Vgl. SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012, s. 10. 8 Vgl. ZELENKA, Jan. Láska ve dvorském světě. In: DVOŘÁČKOVÁ – MALÁ, Dana. ZELENKA, Jan. Přemyslovský dvůr. 1. vyd. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2014, s. 124.

- 20 - lateinischen Terminologie, denn die Wörter, die die lateinische Sprache für verschiedene Arten der Liebe (amor, dilectio, caritas) benutzt, kann man nur mit dem Wort Liebe übersetzen.

„Der Begriff amor hatte Liebe im allgemeinsten Sinne des Wortes bezeichnet. Unter dem Wort amor hatte sich man eine Beziehung zum Kind, zum Freund oder zur nahen Person vorstellen können. Es hatte eine rein romantische Beziehung zur Frau, oder umgekehrt auch eine sexuelle Sehnsucht umfassen können. Dagegen der Begriff caritas hatte man eher im engeren Sinne des Wortes für Beschreibung christlicher Liebe, Respekts zum Nächsten, zum Freund oder für die Liebe zum Gott und zu den Heiligen gebraucht. Die erwähnten Begriffe hatten sich semantisch mit einem anderen, sehr allgemeinen Fachausdruck, Freundschaft (amicitia) gedeckt.“ 9

Zelenka führt an, dass ein sehr häufiges frühmittelalterliches literarisches Thema war auch eine Bearbeitung der Liebe zweier Männer. Wenn es sich um Liebe zwischen Mann und Frau handelte, hatte sie nur sexuellen Charakter. Aber die Beziehungen zwischen Männern – den Vertretern stärkeren Geschlechts – waren für den Lauf der Gesellschaft bestimmend, also wichtiger. Aus diesem Grunde bemühten sich die adeligen Männer das Ideal der Liebe erfüllen und zeigten verschiedene zarte Gesten wie Umarmung, Küsse, das Halten an den Händen und andere Intimitäten, die keinen sexuellen Charakter hatten müssen, aber die freundliche Liebe und gute Beziehungen zwischen den Männern demonstriert hatten.

Die Liebe zur Frau war im Gegenteil dazu für das öffentliche Geschehen gar nicht wichtig. Es war eine echt private Angelegenheit. Im Laufe der Zeit und mit der Entwicklung der höfischen Literatur wurde die

9 ZELENKA, Jan. Láska ve dvorském světě. In: DVOŘÁČKOVÁ – MALÁ, Dana. ZELENKA, Jan. Přemyslovský dvůr. 1. vyd. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2014, s. 115. (překlad vlastní).

- 21 - Anschauung über Liebe völlig verändert. Die bereits erwähnte höfische Liebe setzte sich in Szene. Die höfische Liebe kam mit einer völlig neuen Form der Frauenverehrung, wodurch das Hochmittelalter vom Frühmittelalter gründlich unterschieden wurde. Das Ideal der höfischen Liebe wurde insbesondere in den Werken solchen Dichter zur Geltung gebracht, dessen unversiegbare Muse eine Liebesbeziehung zu einer edlen Frau war.

3.1. Herkunft der höfischen Liebe

Jetzt zur Herkunft der höfischen Liebe: Zahlreiche Theorien (ich hörte von zwölf dieser Theorien) beschreiben die Entstehung der höfischen Liebe. Lenka Svobodová befasst sich mit diesen Theorien in ihrer Dissertationsarbeit Traktát De amore ve světle dvorské kultury. Die erste in dieser Dissertation angeführte Theorie ist die sogenannte feudal-soziologische Konzeption, die die Entstehung der höfischen Liebe mithilfe verschiedener sozialen Faktoren erklärt, die das feudale Milieu mittelalterlichen Europas beeinflusst hatten. Diese Theorie bietet eine interessante Bemerkung:

Die Minnesänger stammten meistens aus dem niedrigeren Adel. Diese Tatsache ist eine mögliche Erklärung dafür, warum die Minnesänger behauptet hatten, dass die Hehre eine Tugend sei, die man dank höfischen Benehmens und persönlichen Verdienste gewinnen könne, aber die nicht aufgrund der Herkunft oder des Vermögens automatisch entstehe.

Die wahre Blaublütigkeit zeichnet sich durch gute und ordentliche Sitten aus. Jedoch gibt es eine Tatsache, die gegen diese Theorie spricht: Die Theorie zieht nähmlich keine anderen Einflüsse in Betracht wie die intellektuelle Umgebung, literarische Tradition oder den philosophischen Hintergrund. Svobodová erwähnt im weiteren Teil ihrer Arbeit eine andere Theorie der

- 22 - Herkunft der höfischen Liebe, die mit dem Kult der großen Mutter Kybele und mit den Volksritualen, die den Einzug des Frühlings feiern, zusammenhängt:

„Zu den angeführten Argumenten gehörten die Darstellungen der Natur in den Einleitungsstrophen der Minnelieder, die Feier der Sexualität am ersten Mai, wann (aber nur an diesem Tag!) die ehelichen Verbindungen geschmäht wurden und freie Liebe verkündigt wurde, es war eine demütige Adoration der Göttin Kybele, derer Anhänger sich selbst Diener nannten und für die Göttin den Titel Domina benutzten. Mit Kybele kann nach Anhängern dieser Theorie auch der Brauch zusammengehangen haben, den wahren Namen der Dame nicht anzuführen und dafür einen Vermittler zu benutzen, weil Göttin Name nur in ihrem inneren Heiligtum ausgesprochen werden durfte.“10

Gegen diese Theorie spricht insbesondere die Tatsache, dass diese Theorie den Grundzug der höfischen Liebe vergisst, und zwar ihre veredelnde Kraft. Nachfolgend erwähnt Svobodová eine Theorie, die die Wurzel der höfischen Liebe im Neoplatonismus sucht. Die Forscher, die sich mit dieser Theorie befassen, weisen auf die Spaltung des Phänomens der höfischen Kultur und der traditionellen Kirchenlehre, auf Einfluss der arabischen Philosophie und auf die Möglichkeit des Kontakts der Troubadouren mit dem neoplatonischen Gedankenstrom hin, der bereits Ende des zehnten Jahrhunderts einen starken Einfluss auf das Gebiet des Südfrankreichs ausgeübt hatte.

Viele Forscher (wie bei Svobodová angeführt wurde) neigen der Theorie des Einflusses hispanisch-arabischen Milieus auf die Konzeption der höfischen Liebe zu: „Es wird häufig auch trotz gewisser Vorwürfe über die Möglichkeit des Imports der höfischen Kultur aus islamischem Spanien in den französischen Süden gesprochen, über arabische Kultur, dank deren Europa den Hellenismus kennengelernt hatte, über das höfische Ideal, das in der

10 SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012, s. 20. (překlad vlastní)

- 23 - arabischen Gesellschaft ursprünglich an das Feudalsystem nicht gebunden war.“11

Svobodová führt eine größere Menge der Studien an, die sich auf die formalen und inhaltlichen Ähnlichkeiten der hispano-arabischen und der europäischen Poesie des Mittelalters konzentrieren. Als Beispiel dient die Verwendung der Reime und eine Reihe der Motive – die mit der mittelalterlichen Gesellschaft zusammenhängen – ein Pseudonym für die Dame, eine Ansprache der Dame im männlichen Genus (provenzalisch midons, deutsch mein Herr). Die Bilder mit der Frühlingsnatur und ihre Verknüpfung mit Liebe und Sexualität, gleiche oder ähnliche Figuren wie Klatschbase, Mittelsperson des Liebpaars oder Bewacher der Dame.

„Beide Kulturen verbindet auch eine ähnliche Konzeption der Liebe: Sie kennzeichnet sich durch plötzliche Beklommenheit, Unstillbarkeit der Sehnsucht, Notwendigkeit sich der launenhaften Tyrannei der Dame unterzuordnen, welche Objekt der Verehrung wird. Die pathologischen Ausdrücke der Liebe wie Schlaflosigkeit, Bleiche, Hagerkeit und Melancholie sind gemeinsam“12

Svobodová, die sich mit der Auslegung des Werkes De amore des Autors Andreas Capellanus befasst, führt ebenfalls an, dass viele Schriften, die sich genauso mit der Interpretation dieses Werkes beschäftigen, verweisen auf die arabische philosophische Literatur, die den Charakter der höfischen Liebe studiere (Ibn Hazm Avicenna).

Diese Theorie erwähnt auch Sylvie Stanovská in ihrem Beitrag Lyrické básně pěvců – dvorské písně im Buch Přemyslovský dvůr. Sie bezeichnet den Einfluss der arabischen Liebespoesie auf Lyrik der provenzalischen

11 SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012. str. 20-21. (překlad vlastní). 12 Ibid., s. 21. (překlad vlastní).

- 24 - Troubadouren als ungenügend erforscht und nicht eindeutig, obwohl er sehr bedeutend sei. Als Beispiel wird die prosaische Übersetzung des Klassikers der arabisch-andalusischen Lyrik des zweiten Jahrhunderts Ibn Zaydún angeführt.

Stanovská führt weiter an, dass die provenzalische Lyrik auch eine Phase des deutschen Minnesangs beeinflusst hatte, und zwar durch zwei Weisen. Die erste Weise ist dadurch gekennzeichnet, dass die Dichter (Ibn Zaydún und ) das Motiv des Mondes benutzen. Ein deutscher Dichter, Heinrich von Morungen, streicht mithilfe von diesem Motiv die ideale Sittsamkeit seiner Dame an.

Weiter ist das Motiv der Sonne präsent, dank dessen Morungen die Unerreichbarkeit seiner Frau und die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Treffen beschreibt. Man spricht jedoch immer wieder vom Einfluss, der erst die späteren Phasen des deutschen Minnesangs prägte. Die frühere Phase, in der Der von Kürenberg und Dietmar von Aist wirkten, wurde durch total andere Anregungen beeinflusst.

Nachfolgend könnte man der Theorie des genetischen Zusammenhangs zwischen der höfischen Liebe und der Bewegung der Katarischen und der Albigenischen begegnen, zu deren Anhängern hauptsächlich der schweizerische Schriftsteller und Kulturtheoretiker Denis de Rougemont gehörte. Eine andere Theorie spricht von der Verbindung zwischen dem Phänomen der höfischen Liebe und dem Kult der Jungfrau Maria: Man könnte nämlich eine gewisse Parallele zwischen der Jungfrau Maria und der geliebten Frau beobachten, also ist hier die Ähnlichkeit des entfernten und unerreichbaren Ideals gut zu sehen.

Es gibt doch Forscher, die jedoch davon überzeugt sich, dass die höfische Liebe den Aufstieg des marianischen Kultes unterstützt hatte – nicht umgekehrt. Der Grund dafür sei die Tatsache, dass die Troubadouren im Laufe

- 25 - des dreizehnten Jahrhunderts dem Druck seitens der Kirche standhielten, die verlangte, dass die Texte gemäß den religiösen Anforderungen bearbeitet werden.

Es kann noch die Matriarchate Theorie erwähnt werden, die die Frau als privilegierte und verehrte Person mittelalterlichen Europas zeigt. Svobodová behauptet jedoch, dass es heutzutage von dieser Theorie abgelassen würde, denn es sei schon allgemein bekannt, dass die Frau im Mittelalter nicht die erste Stelle in der Gesellschaft hatte. Noch dazu war sie in der Literatur nicht nur verehrt, sondern auch geschämt.13

Johan Huizinga versteht unter der höfischen Liebe eine pomphafte Schau höfischer Rituale, der Verstellung und Vortäuschung. Andere Theorien verbinden die höfische Liebe mit unbewusster Fantasie und kollektiver Neurose. Was die restlichen Theorien betrifft, am bekanntesten ist solch eine Theorie, die sagt, dass die höfische Liebe ein Irrtum sei.

13 Moudrý muž přilnout k ní se chraň, hledí-li s úctou, s láskou naň, sic v hanbu vrhne ho ta saň a očerní mu bílou skráň. Propadne ve zkurvení (jsem si tím jist), kdo přespříliš si cení smrdutých pizd. (In: Přátelé, přiléhavý složím vers: písně okcitánských trubadúrů. Vyd. 1. Praha: Argo, 2001.)

A stejně zle se bohatci obcovat s běhnou vyplácí, kapsy mu všechny zpřevrací a má pak z něho legraci. Chytrý, kdo před ní prchá, jak spatří ji, Dřív než mu dá ta mrcha jho na šíji. (In: ČERNÝ, Václav. Vzdálený slavíkův zpěv: výbor z poezie trobadorů. Vyd. 1. Praha: Státní nakladatelství krásné literatury a umění, 1963.)

- 26 - 3. 2. Merkmale der höfischen Liebe

Befasst sich man mit dem Phänomen der höfischen Liebe, muss man früher oder später zu den folgenden Fragen kommen: Was ist eigentlich die höfische Liebe? Wie kann sie definiert werden? Ist es möglich sie zu definieren? Existiert eine einheitliche Konzeption, die zuverlässig bestimmt, dass es sich gerade in diesem Fall um die höfische Liebe handelt?

Die Forscher können sich in der Herkunftsfrage der höfischen Liebe nicht vereinen und sollen sie die Merkmale von ihnen wissenschaftlich festgelegt werden, ist die Situation nicht viel besser. Es ist sicher, dass die höfische Liebe durch ihre Beziehung zur Ehe, respektive zum Ehebruch, zur Kirche und durch die Interpretation der Frau und ihres Bewunderns spezifisch ist. „Man kann es nicht verzweifeln, dass die höfische Liebe einen erotischen Charakter hat, sie wird durch einen Anblick einer schönen Frau erregt und erweckt die Begierde. Ihr charakteristischer Zug ist jedoch, dass die Schönheit solcher Frau nicht nur körperlich, sondern auch innerlich ist.“14

Die seelische Schönheit und guter Ruf gehörten unbedingt zur geliebten Frau. Der Mann hatte sich in die Frau aufgrund ihres guten Rufes verliebt und er bewundert sie für ihre hervorragenden Eigenschaften, die auch seine Seele erheben. Er wird dank ihr zum besseren Menschen. Eine wichtige Komponente der höfischen Liebe ist auch die unerfüllte Sehnsucht nach der Frau, die den Ritter zwingt, sich moralisch zu vervollkommnen. Der Ritter erfüllt die Aufgaben, die ihm seine Geliebte zugeteilt hatte, und nach der Erfüllung dieser Aufgaben wird er belohnt. Er erhält von seiner Dame entweder Hoffnung oder einen Blick, die Dame berührt oder begrüßt ihn, sie kann ihn küssen oder sie verbringt mit ihm eine Nacht.

14 SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012, s. 23. (překlad vlastní).

- 27 - In jedem literarischen Werk kann man unterschiedliche Ansprüche an Verehrers Verhalten, eine andere Sammlung ethischer und ästhetischer Werte, welche er aufweisen sollte, finden:

„Zum Beispiel Capellanus führt eine gewiss umfangreiche Liste der folgenden Eigenschaften und Ansprüche: Freigebigkeit, Gehorsam gegenüber dem Gott und dem Herrn, Notwendigkeit des Tadelns böser Leute, Verbot des Spottes armen Leuten, Verbot der Raufereien, Regeln angemessenen Gelächters in der Gesellschaft, Bedächtigkeit und Sorgfältigkeit, Verbot der Glückspiele, Bemühungen um Vollziehung großer Taten nach dem Vorbild der Vorfahren, Mut in der Schlacht, maßvolle Pflege des Körpers, geistvolles Benehmen in der Gesellschaft, Lügenverbot, Notwendigkeit der Einhaltung des Versprechens, anständiger Sprechweise und der Gastfreundschaft.“15

Wenn man diesen Regeln noch die physischen Bedingungen zuschreibt, also die Tatsache, dass der Held ein schönes Körper und Gesicht haben musste, sind wir uns dessen bewusst, dass der mittelalterliche Liebhaber, der nach dem Erfolg bei Frauen sehnte, in keiner einfachen Situation war. Von solch einem Mann wurde ebenso erwartet, dass er eine einzige Frau lieben wird: Die Monogamie war eine der wichtigen Voraussetzungen seines Erfolgs.

Dieser Fakt ist jedoch nach Svobodová nicht durch die christliche Moral oder durch die Zugehörigkeit zur Kirche bedingt und er hat mit der Institution der Ehe als solcher nichts zu tun. Es kommt bloß vom Wesen der echten Liebe aus, bei der es unmöglich ist, dass sie an mehrere Partner verteilt ist. Als weiteres Attribut führt Svobodová die Beständigkeit an, mit der auch die Aufrichtigkeit und die Fähigkeit, das Leiden und die Abgeschiedenheit zu ertragen, zusammenhängt.

15 SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012, s. 23. (překlad vlastní).

- 28 - Der Ehebruch als Zeichen der höfischen Liebe ist vornehmlich durch den sehr bekannten Roman Lancelot des Autors Chrétien de Troyes unterstützt: Die Ehefrau von Artus, Guinevra, wurde vom Ritter Lancelot verführt. Trotz dieses Romans ist die außereheliche Liebe keine Bedingung der echten höfischen Liebe, wie sie literarisch dargestellt wird. In manchen Fällen handelt es sich um eine ständige Liebe, später Ehe-Liebe, die die gegenseitige Treue pflegt, und sie entwickelt sich im Laufe der Zeit, wächst und wird erfüllt.16

Es gibt eine andere Bedingung der höfischen Liebe, die gegen die Ehe spricht, und zwar die Voraussetzung, dass das Liebespaar ihre Liebe geheim halten soll. Das ist in der Ehe meistens unmöglich und unnötig. Die Eifersucht und der Gedanke, dass die von ihm geliebte Frau ihm untreu sei, verzehren den Liebhaber immer wieder und diese Umstände ihres Verhältnisses treiben ihn zum Wahnsinn.

Svobodová erwähnt noch eine andere interessante Erscheinung, und zwar dass die Frau in der höfischen Literatur nicht nur gefeiert, sondern auch geschmäht wurde. Das Weib als Evas Tochter, als Trägerin erblicher Sünde und des Anfangs des Bösen wurde insbesondere wegen ihrer Liederlichkeit, Perfidität und Habgier verdammt. Das Schaffen einiger Dichter wurde aus diesem Grunde in zwei Ströme geteilt.17

Der erste Strom war der idealistische Strom: Die Gedichte dieses Stromes wurden oft von einem reichen Donator bestellt. Der zweite Strom war der realistische Strom: Dieser kritisiert – mehr oder weniger – den ersten Strom. Die Gedichte des realistischen Stroms haben mit der Höflichkeit, die die Sehnsucht als Antriebkraft des Selbstvervollkommens idealisiert, wenig gemeinsam.

16 Zum Beispiel im Roman Cligès. 17 Zum Beispiel Vilem aus Poitiers.

- 29 - Weder Männer sind scharfer Kritik und Satire nicht erspart. Die Dichter kritisieren insbesondere andere Dichter, die Qualität ihres Schaffens und untaugliches Benehmen beim Hof, welcher ihnen ein Asyl gewährte. Der Gegenstand dieser Kritik ist vor allem unzüchtiges und selbstgefälliges Verhalten.18

Um es zusammenfassen: Die höfische Liebe ist ein Gefühl, das zur Vervollkommnung des Einzelwesens mittels anspruchsvoller Ansprüche der Dame führt. Weder Ehe, Ehebruch, noch Erwidern des Gefühls sind keine nötigen Bedingungen. Die Liebe könnte auch einseitig sein. Es liegen doch gewisse Bedingungen der Beziehung vor: Beständigkeit, Treue, Ehrlichkeit, physische Schönheit und innere Güte.

„Die höfische Liebe kann man nicht als fest geordnete, hermetisch geschlossene Theorie verstehen, aber eher als geöffnetes System der Motive und Gedanken: Einige davon gehören zu den substantialen Zeichen dieser Erscheinung, andere inklinieren dazu, eher die Randzeichen dieses Phänomens zu sein“.19 Ihre Existenz können wir nicht isoliert verstehen, sie sind nur ein Bestandteil der ganzen Hierarchie der mittelalterlichen Gesellschaft und nur so können sie begriffen und definiert werden.

18 Vezmu svou písní na paškál A Peire Bremon cti se vzdal, trobadory všech not a škál, co hrabě z Tolozy mu dal, ty, jimž je zpěvem každý tlach. to neodmít a po všem sáh. A budou muset o dům dál, Byl dvorný, kdo ho oškubal, tady jim každý skřehotal jen chybil, že mu neuťal, to, co má vlez do zelí a hrá až strach (…) mužskýv kalhotách.

(In: ČERNÝ, Václav. Vzdálený slavíkův zpěv: výbor z poezie trobadorů. Vyd. 1. Praha: Státní nakladatelství krásné literatury a umění, 1963. S. 159.)

19 SVOBODOVÁ, Lenka. Traktát De amore ve světle dvorské kultury. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita, 2012, s. 32. (překlad vlastní).

- 30 - 4. Mittelalterlicher Symbolismus

Bevor wir uns mit dem donauländischen und rheinischen Minnesang und mit konkreten Autoren befassen werden, bleiben wir kurz bei einem großen Thema kurz, das bei der eigenen Interpretation der ausgewählten Lieder gelegen kommt. Das Thema heißt Symbolik im Mittelalter. Umberto Eco befasst sich in seinem Buch Kunst und Schönheit im Mittelalter mit der Analyse des mittelalterlichen Symbolismus und er ist davon überzeugt, dass eine Neigung zum symbolischen Ansehen der Welt auch dem heutigen Mensch eigen sein könnte, denn alle Leute weisen eine Neigung zur Bewunderung des Geheimnisses auf.

„Der mittelalterliche Mensch lebte wirklich in einer Welt, die voll von Bedeutungen, Hinweisen, Doppeldeutigkeiten und Gottesäußerungen in Sachen und in der Natur war. Er wurde immer wieder durch solch eine heraldischen Sprache eingeredet: Ein Löwe war nicht nur ein Löwe, ein Nuss war nicht nur ein Nuss und ein Pferd mit den Flügeln war genauso realistisch wie ein Löwe, denn es existential gleiches, geringes Merkmal der höherer Wahrheit darstellt.“20

Johan Huizinga, ein holländischer Kulturhistoriker und der Autor des Buches Herbst des Mittelalters, sagt, dass die Wahrheit, mit der sich der Geist des mittelalterlichen Menschen am sichersten war, ist diejenige Wahrheit, die in der Bibel geschrieben steht. Als konkretes Beispiel erwähnt er dann einen Satz des heiligen Apostels Paulus aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther: „Nun können wir wie in einem Spiegel sehen, nur in einem Rätsel,

20 ECO, Umberto. Umění a krása ve středověké estetice. 2. vyd. Praha: Argo, 2007, s. 73. (překlad vlastní).

- 31 - dann erblicken wird jedoch Auge in Auge. Jetzt kann ich alles teilweise erkennen, aber dann werde ich es voll erkennen wie der Gott mich erkennt.“21

Der mittelalterliche Mensch war davon überzeugt, dass er bloß ein geringer Bestandteil des höheren Werts sei, und er hatte nie gezweifelt, dass das Geheimnis seiner Existenz ihm durch den Gott nach dem Tod entdeckt wird, als er ins Himmelsreich eintreten wird. Das Leben im Mittelalter war sehr schwierig: Die Menschen hatten sich oft mit dem Tod, mit der Hungersnot, mit dem Krieg und mit den Krankheiten abfinden müssen, ein großer Trost für sie gewesen war, dass eine bessere Welt einmal komme, die auf sie während des Lebens durch verschiedene, für uns unlesbare Hinweise, eingesprochen hatte. Fast überall waren versteckte Botschaften gewesen und die damaligen Leute waren gegenüber allen ungewöhnlichen Phänomenen sehr einfühlsam gewesen.

„Wird immer wieder das Gefühl der Verbindung mit der Macht kultiviert, die alle Dinge um uns erschuf, sind wir stärker dazu stimuliert, solche Dinge wahrnehmen zu können. Die Natur soll sich nicht verändern, aber die darin eingeschlossenen Bedeutungsäußerungen ändern sich. Sie war tot, und wurde wieder belebt. Es ist das Gleiche wie der Unterschied zwischen den Beobachtungen einer Person mit Liebe und ohne Liebe. Wenn man alles im Gott sieht und alles auf ihn bezogen will, kann man dann in den üblichen Sachen höhere Bedeutungsinhalten erkennen.“22

Solch eine ist nach Huizinga die Gefühlsbasis, worauf der Symbolismus aufblüht. Nichts, was mit dem Gott einen Zusammenhang hatte, konnte leer sein, alles hatte einen Sinn, nichts geschah „nur so“, sondern zu einem höheren Zweck. Da der mittelalterliche Mensch den Gott absolut überall gesehen hatte,

21 Svatý Pavel. První list korintským. In: Bible svatá. 1. vyd. Brno: Ústřední církevní nakladatelství, 1987, s. 166. (překlad vlastní). 22 HUIZINGA, Johan. Podzim středověku. 2. vyd. Praha: Argo, 1997, s. 224. (překlad vlastní).

- 32 - wurde die ganze Welt, das sämtliche Geschehen, die Dingen und die Leute zu einem großen symbolischen Zusammenhang.

Huizinga führt auch an, dass das symbolische Denken als gleichwertiger Partner des genetischen Denkens stehe und aus Gesichtspunkt der Kausalität es „ein fast geistiger Kurzschluss“ sei.23

Die Verbindung zwischen dem Ding und seiner Bedeutung hat im Mittelalter nämlich keinen kausalen Zusammenhang, sondern handelt es sich um einen rein zufälligen Zusammenhang, der mindestens von einer gesellschaftlichen Eigenschaft oder von einer anderen, beliebigen Ähnlichkeit abzuleiten ist.

Aus psychologischer Sicht und aus der Sicht der Ethnologie könnte man, nach Huizinga, den mittelalterlichen Symbolismus als primitives Denken und ungenügend herangereifte, geistige Einstellung wahrnehmen. „Der Symbolismus wird jedoch diesen Schein der Willkür und der Unreife verlieren, nachdem wir begreifen, dass er mit der weltlichen Meinung in untrennbarer Verbindung steht, die im Mittelalter der Realismus genannt wurde. Diese Richtung wird heute weniger treffend als platonischer Idealismus bezeichnet.“ 24

Als Beispiel des symbolischen Denkens führt Huizinga die unter Dornen blühenden weißen und roten Rosen. Hätte ein im Mittelalter lebende Mensch diese übliche Erscheinung gesehen, könnte er sofort darunter die Szene der Märtyrer verstehen, denn die Schönheit der Rosen ein Symbol der (geistigen) Schönheit der Märtyrer gewesen wäre, die weiße Farbe hätte die Reinheit und den Glauben symbolisiert und die rote Farbe – auch wenn im Mittelalter viele

23 HUIZINGA, Johan. Podzim středověku. 2. vyd. Praha: Argo, 1997, s. 225. (překlad vlastní). 24 Ibid., s. 225. (překlad vlastní).

- 33 - Interpretationsmöglichkeiten für diese Farbe bestanden hatten – wäre in diesem Falle eine symbolische Bezeichnung des Blutes gewesen.

Die Dornen wiesen dann auf die Folterer hin, die die Ursache des Martyriums sind. Trotz dieser Tatsache sind die Rosen jedoch wunderschön und sie blühen weiter, genauso wie das Vermächtnis der Märtyrer auch nicht erlöschen kann. Mit der Symbolik der Rosen unter den Dornen treffen wir uns im Mittelalter sehr häufig, fast auf jedem Schritt. Auf diesem konkreten Fall kann ebenso der mittelalterliche Bedarf an der Ausgewogenheit beobachtet werden. Jeder Pol erfordert einen Gegenpol. Das Gute und das Böse, das Schwarz und das Weiß, das Leben und der Tod, der Folterer und der Märtyrer, die Rosen und die Dornen.

Man kann sehr oft den Vertretern des Tierreiches begegnen, die die Heiligen darstellen, oder die die Leute aufgrund ihrer typischen Tiereigenschaften vertreten.

Um sofort ein Beispiel anzuführen: Diese Erscheinung kann im Schaffen des Autors Dem von Kürenberg beobachtet werden: Sein berühmtes Werk Falkenlied bietet ein gutes Beispiel, oder ein anderes Lied dieses Literaten, wo die Figur einer Frau auftritt, die mit einer wilden Sau verglichen wird.

Das am häufigsten dargestellte Symbol war jedoch der Jesus Christus und seine Göttlichkeit gewesen. Sein Aussehen wurde in Abhängigkeit von der konkreten Umgebung und Situation, in der er sich befand, verändert. Der Jesus Christus und seine Göttlichkeit hatten vielfältige und mannigfaltige Bilder benutzen können, die seine Anwesenheit in verschiedenen Orten symbolisiert hatten: Im Himmel, auf den Bergen, in den Feldern, in den Wälder, im Ozean,

- 34 - und zwar mit den Bildern des Lamms, der Taube, des Pfaus, des Hammels, des Geiers, des Hahns, des Luchses, der Palme oder der Traube.25

Der mittelalterliche Minnesang hängt jedoch eher mit einer anderen Art der Symbolik zusammen. Auch Liebesdichtung hatte ihre verbergende Symbolik, die nicht immer eindeutig sein musste, und konnte eine tiefere Bedeutung verstecken. Ein selbstständiges Kapitel dieses Bereichs bilden die Farben- und Tiersymbolik. Ebenso in der Poesie kann man beobachten, dass die Dichter verschiedene Farben nutzen, um die Vorstellungskraft ihrer Zuhörer zu unterstützen. Obwohl der Liebhaber nach Anblick seiner Geliebten erblasst, wie das Werks Regeln der Liebe des Autors Andreas Capellanus anführt, war das Rot die traditionelle, Liebe symbolisierende Farbe.

Wenn das Mädchen ihren Ritter sieht, und infolgedessen erglüht, wurden ihre Gefühle verraten. Beim bleichen Gesicht ist es umgekehrt, es symbolisiert Trauer, Hoffnungslosigkeit oder Krankheit, obwohl man manchmal solchen Fällen begegnen kann, wann das Weiß die symbolisierende Farbe für die Reinheit, den Glauben und die Jungfräulichkeit ist.

Das Blau wurde als Farbe der Hoffnung wahrgenommen und das Grün ist die Farbe des Liebesanfangs, des Frühlings und der Frühlingsnatur. Das Schwarz ist häufig die Farbe der Trauer – obwohl es so nicht notwendig sein muss – denn das Schwarz ist auch als Farbe, die die Eleganz symbolisiert, bekannt. Diese Interpretation der mittelalterlichen Farbenwahrnehmung erinnert uns an ein altböhmisches Gedicht aus dem vierzehnten Jahrhundert, das kennzeichnenderweise Barvy všecky (im Deutschen etwa All die Farben) heißt.26

25 Vgl. ECO, Umberto. Umění a krása ve středověké estetice. 2. vyd. Praha: Argo, 2007, s. 76 – 77.

- 35 - In der Tiersymbolik sind auch Vergleiche zu entdecken: Zu den bekanntesten Vergleichen, also einer Art der Wortfigur, der deutschen Liebeslyrik ist der Vergleich des Mannes zum Falken einzuordnen: Z.B. der Falke, der seiner Inhaberin entfloh, wie man in Kürenbergs Falkenlied lesen kann. Frauen werden häufig mit der Sonne verglichen, mit einem Stern oder mit einer Rosa. Was die Figur Allegorie betrifft, die bekannteste Allegorien sind im Werk Rosenroman des Autors Guillaume de Loriss zu finden.

Die Interpretation der mittelalterlichen Gedichte und die fortlaufende Entdeckung der Doppelsinnigkeit und der Symbolik, sind Vorgänge mit einem unklaren Ergebnis, dessen Erfüllung nicht gewährt werden kann. Trotzdem geht es um die Weise, wie man sich der Seele des Dichters annähern kann. „Der Symbolismus und die Allegorie schärfen die Sinne, beleben den Ausdruck, schmücken den Stil. Man hat in jedem Fall das Recht darauf, diese Vorliebe nicht mitzuteilen, es wäre jedoch gut, immer im Gedächtnis zu haben, dass es um eine Vorliebe des mittelalterlichen Menschen geht, und dass sie einen Grundrundsatz für die Konkretisierung ästhetischer Ansprüche mittelalterlichen Menschen bildet.“27

26 „Barvy všecky, jenž rostú na poli ,Bielá barva dobrú naději miení, Kteréž nosí zemská rolí, Ale žeť se snadně ušpiní, Buoh zjednal ke své vóli, protož ji mnozí viní, Co se znamená koli. že z radosti smutek činí. Modrú barvu múdří chválé, Červená barva u milosti hoří: Neb se v ničem nezkalé: Pravá milost rovná sě k moři co činí, to všecko stálé, ktož ji do starosti dvoří, protož jest ta hodna krále. musíť býti pro ni v hoři“. (In: Dvořáčková D., Zelenka J. Barevné Vánoce [online] 2010 [cit. 21. 11. 2015]. Dostupné z: http://www.rozhlas.cz/leonardo/historie/_zprava/barevne-vanoce--828359)

27 ECO, Umberto. Umění a krása ve středověké estetice. 2. vyd. Praha: Argo, 2007, s. 76. (překlad vlastní).

- 36 - 5. Der Minnesang

Der Minnesang ist eine Tradition der deutschen Liebesdichtung, die ungefähr im zwölften Jahrhundert einen größten Aufschwung erlebt hatte, dessen Fortsetzung bis zum vierzehnten Jahrhundert verlief. Das Wort minne kommt aus dem Mittelhochdeutschen und man übersetzt ihn als Liebe. Die Übersetzung der Bezeichnung Minnesang könnte (beispielsweise) Lied der Liebe heißen.

Der Minnesang verbreitet sich durch Frankreich und Deutschland in ganz Europa. Er ist eine Folge der Bemühungen des Adels, sich (absichtlich) von den anderen gesellschaftlichen Schichten, insbesondere von der Kirche, die zu dieser Zeit als Übergeordnete gilt, zu unterscheiden. Ein großer Impuls zu dieser Bemühung war die Tatsache, dass die Interessen der Kirche diese Welt überstiegen, und ihr Hauptziel war das ewige Sein in der Gottesgunst.

Der Adel anstrebte, eine Konkurrenz der Kirche zu sein, und hatte eine eigene, ideale Lebenserfüllung, die durch die Treue und durch die höfliche Tugend gebildet wurde. Der Adel beabsichtigte, eine neue Treibkraft in der Gesellschaft zu werden. Die Interessen des Adels waren also bloß weltlich und hatten eine andere Orientation als die damaligen Interessen der Kirche.28

Die Lieder der Minnesänger waren ein untrennbarer Bestandteil vieler Feste und es war keine Ausnahme, dass die Sänger diejenigen waren, die im Zentrum des Geschehens standen und miteinander kämpften. Sie zeigten sich durch einen höchst stilisierten Gesang und ihre dramatische Äußerung kann problemlos mit der heutigen Theatervorstellung eines Schauspielers verglichen werden.29

28 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 7. 29 Vgl. Ibid., s. 9.

- 37 - Die Minnesänger stammten aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Unter die Minnesänger kann man auch die bedeutenden Herrscher wie Heinrich VI., Wilhelm IX. oder Friedrich II. einordnen. „Die zahlreichen Burggrafen, sind als Minnedichter bekannt, und wenn schon die soziale Wirklichkeit ein immenses Gefälle innerhalb des Ritterstandes kennt, in der Gestalt des Minnesängers stehen Ritter von Geburt und von Vermögen, ärmliche Ministeriale der niedersten Stufe und Unterständische gleichrangig nebeneinander“.30

Soll das Motiv des Minnesangs universal und allgemein beschrieben werden, kann man sagen, dass sein häufiges Hauptthema die Liebe zur adeligen, schönen Frau war. Der Dichter bewundert sie, aber er ist sich gleichzeitig dessen bewusst, dass seine Liebe nie erfüllt werden kann (wenn es um keine beiderseitige Liebe geht). Diese Definition ist jedoch für die frühere Phase des deutschen Minnesangs nicht geltend, weil in dieser Phase eine breitere Skala der Beziehungen zwischen einer Frau und einem Ritter beobachtet werden kann.

Man kann nicht selten die sogenannten von der Frau geschriebenen Strophen finden, in denen die Frau selbst von ihrer Liebe spreche. Der Autor dieser angeblich von einer Frau geschriebenen Strophen ist jedoch ein Mann, der dadurch seinen eigenen Traum, genauso geliebt und bewundert sein, realisieren möchte.

Die Entwicklung des Minnesangs in den deutschsprachigen Ländern verlief in einigen Etappen: Die erste Etappe, die sogenannte Donauländische Lyrik, entstand in den Jahren 1150-1170 im Gelände des Flusses die Donau und der Einfluss der südfranzösischen Troubadouren war noch nicht so stark wie bei den Werken anderer Etappen. Die nächste Etappe des Minnesangs wird

30 BEUTIN, Wolfgang und Kolektiv. Deutsche Literatur – Geschichte. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 1994, S. 31.

- 38 - in die Jahre 1170-1190 datiert und sie heißt Rheinischer Minnesang. Dann folgt die Ära des sogenannten klassischen Minnesangs, wann auch der berühmteste deutsche Minnesänger, Walter von der Vogelweide gewirkt hatte.

Der Minnesang kulminiert im dreizehnten Jahrhundert und dann beginnt der Niedergang seines Einflusses. Der Minnesang wurde schrittweise durch die Pastorelle oder durch die Mariendichtung ersetzt. Es existieren zahlreiche Sammelbände, die die deutsche höfische Dichtung umfassen. Man kann die drei wichtigsten Sammelbände nennen: „Die kleine Heidelberger Liederhandschrift, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Straßburg hergestellt wurde, die Weingartner Handschrift, die um 1300 mutmaßlich in Konstanz entstanden ist, sie enthält auch Dichterminiaturen, als Auftraggeber kommt der Bischof Heinrich von Klingenberg in Frage und die Große Heidelberger Liederhandschrift“.31

Die große Heidelberger Liederhandschrift gehört zu den wahren literarischen Kleinodien. Sie entstand innerhalb der Jahre 1300-1330 in Zürich, wo sie auf Veranlassung der reichen Familie Manesse angefertigt wurde, deswegen wird manchmal der Name Codex Manesse verwendet. Die Dichter sind in diesem Werk hierarchisch geordnet: Von Kürenberg bis zum Frauenlob.

5.1. Die „donauländische“ Lyrik

Günther Schweikle befasst sich in seinem Buch Minnesang mit der Problematik der Teilung des Minnesangs in seine Phasen: In der Abhängigkeit auf dem zeitlichen Horizont oder auf dem Gebiet, wo jene Minnesänger lebten und ihre künstlerische Tätigkeit betrieben. Eines der größten Probleme ist nach Schweikle Unfähigkeit der Wissenschaftler, die genaue zeitliche und örtliche

31 BEUTIN, Wolfgang und Kolektiv. Deutsche Literatur – Geschichte. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 1994, S. 32.

- 39 - Einordnung der einzelnen Autoren festzulegen. Beispielsweise für den Kaiser Heinrich oder Friedrich von Hausen und Walther von der Vogelweide sind diese Informationen ziemlich bekannt. Bei anderen Autoren kann man mit einer solchen Sicherheit nicht rechnen. Die Einordnung des Dichters in eine bestimmte Phase des Minnesangs hängt auch von weiteren Faktoren ab:

„Setzt man eine Form- und Gehalt- Entwicklung geradlinig fortschreitend, stufenweise oder sprunghaft, mit beliebigen Vor- und Rückgriffen, an? Welcher Grad von formaler, thematischer, stilistischer Einheitlichkeit und Entwicklungsstringenz wird von einem Dichter erwartet“?32

Die donauländische Lyrik oder auch der der donauländische Minnesang wurde im Einklang mit dem Fluss Donau benannt, denn in ihrer Nähe schufen die berühmtesten Vertreter dieser Richtung: Der von Kürenberg, Dietmar von Aist und Kaiser Heinrich. „Der etwa seit der Mitte des 12. Jahrhunderts im bairisch-österreichischen Donauraum einigermaßen sicher belegbare Minnesang gehört nach wie vor zu den erstaunlichsten und unbegreiflichsten Phänomenen der europäischen Geistesgeschichte“.33

Fritz Peter Knapp beschrieb in seinem Buch Geschichte der Literatur in Österreich diese Liebesdichtung als ästhetisches Grundbedürfnis mittelalterlicher Gesellschaft.

Das kann als ziemlich interessante Idee beurteilt werden, weil die Mehrheit der damaligen Gesellschaft nur eingeschränkte Möglichkeiten des

32 SCHWEIKLE, Günther. Minnesang. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler, 1989, S. 78.

33 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 247.

- 40 - Kontakts mit der Kunst hatte, deshalb wurde die unkompliziert distribuierte Poesie einfach und schnell zur Lieblingspoesie der mittelalterlichen Menschen.

Die Grundlage der donauländischen Lyrik wurde die beiderseitige Beziehung des Ritters und der Dame. Die häufigsten Themen dieser Poesie waren Trennung, Sehnsucht, Trauer, Lob – alles immer im Zusammenhang mit der geliebten Person. Die Lieder bestehen meistens aus einer Strophe und aus einem Reim, der, wie heute bekannt ist, kein unbedingter Bestandteil des Liedes darstellt. Die Reime (sind sie zu finden) kann man zum Paar nach dem Muster aabb ordnen.

Nach Günther Schweikle sind Kennzeichen dieser Phase folgende: „prinzipielle Einstrophigkeit (…), Langzeilstrophen, gelegentlich mit eingeschobener Kurzzeile: sog. Stegstrophen (…), Kombination von Lang und Kurzzeilen (…), daneben weniger Kurzzeilstrophen (…), Paarreim, Halbreimlizenz, d. h. Vollreim ist noch nicht die Norm, zweipolige Werbenlyrik, Grundthemen sind Werbung, Sehnsucht, Scheiden, Trennung, Fremdsein, Verzicht (…) Mannenstrophen, daneben zahlreiche Frauenstrophen, Wechsel“.34

Eine der häufig vorkommenden Figuren ist die Assonanz, also solche Reime, die bloß durch einen Einklang der Vokale entstehen. Manchmal gibt es im Gedicht auch eine eingefügte, reimlose Zeile, der sogenannte Steg (siehe höher). Der Dichter beschreibt oft seine Traue, Hoffnungslosigkeit oder eine depressive Laune. Die Männer- und Frauenstrophen werden gewechselt (siehe höher). Es kann auch sein, und es ist nicht selten, dass auch die Frauen ihre durch die Trennung verursachte Traue und Sehnsucht nach dem geliebten Ritter beschreiben.

34 SCHWEIKLE, Günther. Minnesang. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler, 1989, S. 82.

- 41 - Im Unterschied zu den Texten des späteren Minnesangs ist die donauländische Lyrik gar nicht oder sehr wenig durch die französische und durch die provenzalische Lyrik beeinflusst. Ein großer Einfluss, der die Entwicklung der donauländischen Lyrik zeichnete, sei nach Knapp die klassische lateinische Liebesdichtung.

Insbesondere Ovidius übte auf diese literarische Richtung den grundsätzlichen Einfluss aus, wie Knapp weiter anführt. Die donauländische Lyrik sei spezifisch und unverwechselbar, denn in ihren Anfängen wäre es eine typische ritterliche Liebesdichtung, die den spezifischen Charakter der donauländischen Lyrik formulierte. Knapp befasst sich auch damit, wie diese Dichtung verbreitet wurde, und auch damit, wie ihre Entwicklung in der Gesellschaft verlief und fortgesetzt wurde:

„In der ersten Linie kommen Festlichkeiten aller Art, Inthronisierung, Hochzeiten, Schwertleiten, Hoftage usw. in Frage“.35 Knapp ist der Meinung, dass christliche Feste, verschiedene wichtige Feiern, ritterliche Turniere und ähnliche Anlässe eine hervorragende Gelegenheit auch für die Liebesdichtung böten. Der Adel, obwohl er auch eine sehr bedeutende gesellschaftliche Schicht war, übernahm von der Kirche eine gewisse Art der Zeremonie und den Sinn für die Hierarchie. Dieser Aspekt ist trotz der Tatsache erkennbar, dass der Adel beabsichtigte, sich von der Kirche zu unterscheiden.

Diese Feiern fanden meistens am Hof eines berühmten Adeligen statt, der das Prestige der Feier erhob. „Ein Bedürfnis nach Unterhaltung bestand an den vielen Adelssitzen zwar grundsätzlich immer, Zentren müssen aber dennoch die Höfe bedeutender Machthaber, insbesondere der Fürsten gewesen sein, erhöhte doch die Anwesenheit eines solchen Minnesängers den Glanz einer Hofhaltung ganz ungemein, verlieh ihr eine besondere Anziehungs- und

35 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249.

- 42 - Ausstrahlungskraft, bestärkte die dort anwesende Hofgesellschaft in ihrem Selbstwertgefühl und warf hellstes Licht auf den im Mittelpunkt stehenden Hausherrn und seine Gemahlin“.36

Ein wichtiges Ziel dieser Dichtung, das der veranstaltende Adelige anstrebte, war daneben auch eine Steigerung seines eigenen Prestiges. Die Minnesänger schrieben ihre Lieder ziemlich oft auf Bestellung. Die Lieder funktionierten als Art der Werbung, die die Popularität des Gastgebers oder des Gastpaars gewähren sollte. Der donauländische Minnesang unterscheidet sich vom klassischen Minnesang in dem Hinsicht, dass der donauländische Minnesang eine eventuelle erotische Spannung des Liebespaars nicht ignoriert, sogar ist sie meistens ihr Hauptthema. Die Sexualität ist ein üblicher Bestandteil des Gedichtes. Im donauländischen Minnesang kann das Motiv des Dienstes beobachtet werden, dank dessen der Ritter schrittweise moralisch vollkommen wird, und nach Erlangung dieses Ziels erwartet er die von seiner Dame versprochene Belohnung.

5.1.1. Der von Kürenberg

Die historischen Quellen können sich darauf einigen, dass jemand mit dem Namen Der von Kürenberg im zwölften Jahrhundert im Gebiet heutigen Bayerns und nordwestlichen Österreichs, wahrscheinlich in der Umgebung von der Stadt Linz lebte. Es ist aber schwierig, den Dichter zu identifizieren und sichere Informationen über ihn finden. Es ist sicher, dass dieser Autor der Verfasser der fünfzehn Strophen im Werk „Codex Manesse“ ist, dessen ganzseitige Illumination ihm gewidmet wurde.

36 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249.

- 43 - Franz Peter Knapp befasst sich mit der Identifikation der Autoren und ihrer Werke. Er gibt an, dass es manchmal sehr schwierig sei, den Autor zu identifizieren, weil er – wie z.B. Kürenberg – in einer anderen Quelle auch unter dem Namen Mühlberg problemlos angeführt werden könne. Knapp ist der Meinung, dass der Inhalt vierter Strophe möglicherweise einen Versuch bietet, den Autor zu erwähnen und zu benennen. Mehr im folgenden Text: „…wo ein Ritter in Kürenbergs wîse singt. Diese wîse (Weise, Melodie) ist nicht erhalten, da beide Handschriften reine Textsammlung sind“.37

Der Prozess der Autorisation ist also sehr langwierig und sein Ergebnis ist unsicher. Der von Kürenberg wird für den bekanntesten der ersten deutschschreibenden Minnesänger gehalten, aber sein Schicksaal ist für uns unbekannt. Man kennt nur sein erhaltenes Werk, das auch ein häufiger Gegenstand der Forschung und Diskussionen ist:

„Kürenbergs Lyrik ist Rollenlyrik, in der der Mann (ritter) und die Frau (weniger ständisch fixiert: wîp, frouwe, magetîn) über erfahrenes Liebesglück und –leid sprechen. Auffallend ist dabei die hohe Zahl der Frauenstrophen. Sie zeichnen ein komplexes Frauenbild, das in der Vielfalt seiner Aspekte nur mit dem Reinmars zu vergleichen ist: die sehnsüchtig wartende Frau, Medium frühen lyrischen Sprechens in vielen volksprachlichen Literaturen, das magetîn, die liebevoll verzichtende Frau im sogenannten Falkenlied, die sexuell aggressive Frau, bzw. die Unterwerfung fordernde Herrin“.38

Zu den typischen Merkmalen Kürenbergs Poesie gehören die Rollen, die sehr wichtig sind. Die Bestimmung dessen, ob der Dichter durch einen weiblichen oder durch einen männlichen Mund spricht, kann jedoch ungewöhnlich kompliziert sein: „Wir haben jedenfalls hier Rollenlyrik von

37 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249. 38 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 12.

- 44 - uns, d. h. der Sänger tritt in verschiedenen Gestalten, männlichen und weiblichen auf. Aber eine Zuordnung zu einem männlichen oder weiblichen Sprecher fällt häufig schwer, unter anderem deshalb, weil die fast durchweg gleiche Strophenform auch die Gruppenbildung zu einzelnen zwei- oder mehrstrophigen Liedern offen läßt.“39

Einige Forscher vertreten die Meinung, dass die Rede des Mannes und die Rede der Frau durch einen Steg getrennt würden, der manchmal zwischen zwei Reimen steht. Beide Geschlechter haben in Kürenbergs Poesie ihre spezifische Rolle. „Charakteristisch für Kürenbergs Lyrik ist der Mann, der seine unbedingte Bindung an eine Frau durch die Absage an allen anderen bekräftigt und sich um die Werthaftigkeit ihrer Liebe sorgt. Der Mann ist es auch, der sich aus der emotionalen Betroffenheit zu lösen und praktische Verhaltensmaßregeln zu geben vermag, wie ihre Liebesgemeinschaft in der feindlichen Umwelt der merkaere und nîdaere bestehen kann“.40

Man kann jedoch ein Merkmal finden, das die männliche und die weibliche Welt Kürenbergs Poesie verbindet: Die Reinheit der Liebe und das echte Gefühl, die für beide Seiten genauso intensiv sind und keine Verstellung ertragen. Kürenberg verwendet in seiner Dichtung ein Element, das für die donauländische Phase typisch ist und in dieser Phase der Bewegung häufig benutzt wurde: Ein Mann und eine Frau führen ein Dialog und die Rede wird gewechselt, ohne dass sie sich aneinander wenden:

„Hier artikuliert eine Frau ihre Furcht vor zukünftiger Trennung und lässt durch einen Vermittler, einen Boten, den Geliebten an seine Treue gemahnen.

39 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249. 40 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 12.

- 45 - Darauf antwortet – wahrscheinlich – der Mann mit der Versicherung, auch für ihn würde der Verlust ihrer Liebe nur Leid bedeuten“.41

Eine andere Merkwürdigkeit ist, dass Kürenberg beim Schreiben die sogenannte Nibelungenstrophe anwendet, also die Strophe des berühmten . Die Reime wurden im Einklang mit dem Muster aabb geschrieben und häufig ist auch der obenerwähnte Steg zu finden, der für die donauländische Lyrik typisch ist. Man kann dreißig Reimpaare finden, aber siebzehn Paare sind „unrein“.

„Alle diese formalen Eigenheiten weisen einerseits auf den Anfang der überlieferten Lyrik (etwa 1150/60) und andererseits auf räumliche Nähe zum Nibelungenlied, dessen erste Aufzeichnung mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Diözese Passau erfolgt ist“.42

Aufgrund der formalen Ähnlichkeit Kürenbergs Lyrik und des Nibelungenlieds sind einige Forscher der Meinung, dass Kürenberg auch der Verfasser des Nibelungenlieds sei. Diese Hypothese kann jedoch von niemandem hundertprozentig bestätigt werden. Man bewundert das Werk dieses Autors, obwohl nur bloße fünfzehn Strophen bekannt sind, und muss zugeben, dass das Werk die eine brillante Schilderung der Szenen aus dem Leben, menschlicher Gefühle und Einstellungen bietet.

Seine Poesie ermöglicht ein großes Gebiet für verschiedene Interpretationen. Man könnte sagen, dass jeder Leser, jede einzelne Person den Text anders verstehen kann, und infolgedessen wird der Text unterschiedlich interpretiert. „Kaum irgendeine noch so selbstverständlich erscheinende

41 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249. 42 Ibid., S. 249.

- 46 - Beobachtung am Text ist unwidersprochen geblieben, sodass jeder Interpret im Grunde nur sagen kann, wie er persönlich den Text zu verstehen glaubt.“43

Das berühmteste Kürenbergs Lied ist das Falkenlied, das Lied über einem Falken, der seine Frau verlies. Einige Forscher ordnen dieses Lied noch in die ritterliche Lyrik ein, weil es keine typischen Elemente des Minnesangs aufweise. Das Lied kann innerhalb der Jahre 1160-1170 entstanden sein, also innerhalb einer Epoche, die als Anfang der donauländischen Lyrik bezeichnet ist.

5.1.1.1. Die Interpretation ausgewählter Kürenbergs Strophen

Strophe III.

"Leit machet sorge, vil liebe wünne. "Leid bringt Sorge, große Liebe aber Freude. Ich habe eines hübschen ritters gewan ich künde: daz einen höfischen Ritter kennen gelernt: Die Aufpasser mir den benomen hânt die merker und ir nît, und ihre Missgunst haben ihn mir weggenommen, des mohte mir mîn herze nie vrô werden sît." und deswegen kann mein Herz nie mehr froh werden."

In der dritten Strophe spricht der Dichter als Frau, die über die Leid spricht, die Sorge bringe, und über Liebe, die Freude bringe. Die Frau lernte einen Ritter kennen, in den sie verliebt wurde. Jedoch kam sie um ihn durch Verschulden eines Aufpassers, und sei jetzt für immer unglücklich. In dieser Strophe treten drei Figuren auf. Es geht um das Liebespaar und um eine für den Minnesang sehr typische Figur, um den Aufpasser, also um einen Wächter, der die schöne Frau überwachen sollte, wobei beide, der Wächter und der Ritter, hier nur indirekt auftreten.

In dieser Strophe wird die Figur des Aufpassers sehr negativ wahrgenommen, jedoch in späterer Lyrik kann der Wächter doch eine sehr positive Figur werden. Das Thema des Liedes ist wie gewöhnlich die Trauer

43 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 249.

- 47 - von Trennung, die unglückliche Liebe und der Kummer. Zu den anwesenden typischen Merkmalen gehört auch die beiderseitige, echte Liebe, die wegen der Missgunst seitens der dritten Figur enden musste.

Strophe IV.

"Ich stuont mir nehtint spâte an einer zinne, "Ich stand gestern abend spät allein auf der Zinne. dô hôrt ich einen rîter vil wol singen in Da hörte ich, wie ein Ritter im Ton des Kürenbergers Kürenberges wîse al ûz der menigîn. er muoz schön sang, mitten aus der Menge. Der muss meine mir diu lant rûmen, alder ich geniete mich sîn." Lande verlassen, wenn ich ihn nicht zum Liebhaber gewinne."

Die vierte Strophe ist offensichtlich der erste Teil des Dialogs zwischen der Frau und dem Dichter. Im ersten Teil spricht die Frau. Sie sagt, dass sie plötzlich am Abend einen Ritter so süßen als Kürenberg singen hörte, und dass sie nach ihm sehr stark lechze. Es ist nicht sicher, ob die Frau Den von Kürenberg schon zuvor persönlich kennte. Sie muss jedoch mindestens von seinem Ruf gehört haben.

Es ist ziemlich interessant, dass nach der Meinung einiger Forscher, die sich mit der Problematik der höfischen Liebe befassen, es damals als unmöglich gehalten würde, dass ein Blinder sich verliebt, weil die Liebe im Auge anfange. Andere Forscher sagen, dass eine Frau oder ein Mann sich aufgrund guten Rufs ihres/seines Liebeobjekts verlieben können, wie es in diesem Fall passierte. Eine andere Frage besteht darin, ob es sich um die echte Liebe, oder nur um eine sexuelle Sehnsucht handle, das ist jedoch nicht absolut klar.

Zwischen Zeilen kann man aber die gesellschaftliche und soziale Stellung der Frau lesen. Offensichtlich handelt es um eine mächtige Frau, die keine Hindernisse wie Wächter, die meistens junge, ledige Mädchen überwachen mussten, hat. Sie behauptet selbstbewusst, dass der Dichter

- 48 - entweder ihr gehören müsse, oder das Land verlassen sollte. Sie ist also wahrscheinlich eine Herrscherin, die ein Gebiet beherrscht. Sie gibt Dem von Kürenberg eine Auswahlmöglichkeit. Verlässt er ihr Land nicht, zwingt sie ihn zur Liebe unter Androhung von Gewalt.

Sylvie Stanovská führt in ihrer Anthologie mit der deutschen höfischen Lyrik des 12.-14. Jahrhunderts Hle, již v mém srdci vstává den an, dass solch eine Figur einer majestätischen, mächtiger Herrscherin, die sich den Mann durch Gewalt unterziehen möchte, man nur in dieser Frühphase des Minnesangs treffen könne. Beide Strophen bilden einen Bedeutungskomplex. Diese Strophen, auch wenn sie für den Minnesang untypisch seien, seien Demonstration seiner frühen eigenartigen Form.44 An diese Strophe knüpft also die zwölfte Strophe an.

Strophe XII.

Nu brinc mir her vil balde mîn ros, mîn îsengewant, Jetzt bring mir ganz schnell mein Pferd und meine wan ich muoz einer vrouwen rûmen diu lant, Rüstung her, denn wegen einer Dame muss ich diese diu wil mich des betwingen, daz ich ihr holt sî. Lande verlassen. Die will mich dazu zwingen, dass ich si muoz der mîner minne iemer darbende sîn ihr zu Willen sei. Aber sie muss auf meine Liebe für immer verzichten.

Der Ritter Kürenberg beantwortet die sehnsüchtigen Erfordernisse der Frau sehr klar und entschieden. Er ruft, dass er gleich eine Rüstung und einen Pferd brauche, weil er vor der Frau aus dem Land flüchten müsse. Offensichtlich plant er es nicht, zum Liebhaber der Frau zu werden, und er entscheidet sich für eine schnelle Flucht. Buchstäblich sagt er, dass er das Land wegen einer Frau verlassen müsse, die ihn zwingen möchte, sie zu lieben. Da er ihre Gefühle nicht erwidere, und möchte es nicht, zu ihrem Spielzeug zu werden, sagt er, dass sie ihn für immer vergessen solle.

44 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 118.

- 49 - Es ist im Rahmen des Minnesangs eine häufige Erscheinung, dass die Frau gesellschaftlich übergeordnet ist, aber niemals droht sie dem Mann, um sich seine Liebe zu erzwingen. Der Ritter verlässt das Land, weil er Angst vor der Frau hat. Er ist ein Untergeordneter und seine letzte und einzige Chance auf Rettung besteht darin, aufs Pferd schnell aufzusitzen und wegzufahren, sonst kann er von der Macht dieser Frau nicht weglaufen.

Die Leser können auch darüber nachsinnen, ob diese Situation fiktiv oder autobiographisch ist. Kürenberg selbst hätte in ähnlicher Situation ruhig sein können. Auf der anderen Seite ist es auch möglich, dass das Gedicht ausgedacht wurde, oder durch das Erlebnis eines anderen Menschen inspiriert wurde. Um es zusammenzufassen: Es gibt viele Möglichkeiten, aber die attraktivste Möglichkeit wäre, dass diese Versen aufgrund eines eigenen

Erlebnisses verfasst wurden.

Strophe XV.

Wîp unde vederspil diu werdent lîhte zam. Swer Frauen und Jagdvögel, die werden auf einfache Wei sî ze rehte lucket, sô suochent sî den man. Als zahm: Wenn jemand sie richtig lockt, dann fliegen sie warb ein schoene ritter umbe eine vrouwen guot. auf den Mann. So warb ein schöner Ritter um eine als ich dar an gedenke, sô stêt wol hôhe mîn muot. edle Dame. Wenn ich daran denke, dann werde ich hochgemut.

In der fünfzehnten Strophe spricht der Mann. Es geht Kürenbergs letzte Strophe in Codex Manesse und es scheint, dass er dadurch zum Abschluss gelang. Er vergleicht die Frau mit den Jagdvögeln und spricht davon, dass die Unbeständigkeit eine Eigenschaft sei, die nicht nur die Frau, sondern auch den Jagdvogel charakterisiert. Dabei findet man im Lied auch eine Belehrung für Männer. Wenn der Mann weiß, wie die Frau gelockt werden kann, kommt die

Frau zu ihm (buchstäblich fliegt sie an) wie ein Jagdvogel.

Zugleich spricht er darüber, wie erhoben er sich fühle, wenn er an ein wunderschönes Liebespaar, an einen schönen Ritter oder an eine tugendhafte

- 50 - Dame, denkt. Im ersten Teil kritisiert er auf eine ziemlich ironische Weise das Benehmen der Frauen und der Jagdvögel. Zwischen den Zeilen kann man etwas in dem Sinne lesen, dass der Mann sich ungewöhnlich viel bemühen muss, um die Leibe einer Frau gewinnen zu können. Die Dame habe keine

Schuld daran, dass sie zum Mann nicht gehe, der sie nicht richtig locken könne.

Im zweiten Teil lobpreist der Dichter ein schönes Liebespaar (die physische und die seelische Schönheit des Liebpaares ist eine Bedingung). Die Meisterzusammenfassung des Charakters der höfischen Liebe schon in dieser Frühphase: Frauen gönnen dem Verehrer, der die Regeln der höfischen Liebe kennt (…). Beschreibung der Strategie der höfischen Liebe: Bild oder Vorstellung des schönen tugendhaften Ritters, der um Gunst der Dame bittet, ruft im Geist des Kommentators vornehmes würdiges Gefühl der eigenen Wert 45 und Exklusivität hervor.

Strophe VI.

"Swenne ich stân aleine in mînem hemede unde "Immer wenn ich in meinem Hemd einsam dastehe ich gedenke an dich, ritter edele, sô erblüet sich und wenn ich an dich denke, edler Ritter, dann erblüht mîn varwe, als der rôse an dem dorne tuot, und die Farbe meiner Wangen so, wie es die Rose im gewinnet daz herze vil manigen trûrigen muot." Dornengebüsch tut, und mein Herz wird sehr traurig."

In der sechsten Strophe spricht eine verliebte, einsame Dame, die von ihrem Ritter abgetrennt wurde. Die Einsamkeit sei ihr eine Quelle und ihr Herz werde bei jedem Gedanken an ihren geliebten Ritter traurig. Sie sagt, dass wenn sie auf ihn denke, werde ihr Gesicht rot (die Farbe der Rosa). Das Rotwerden ist Zeichen der Verliebtheit.46 Wir beobachten das klassische Motiv der Abgeschiedenheit des Liebespaares, die Trauer wegen der Abwesenheit des Liebhabers und auch das Motiv des Herzen. Die ganze Strophe ist eine

45 STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 119. (překlad vlastní). 46 Auch wenn Andrea Capellanus in seinen Regeln der Liebe führt an, dass der verliebte Mensch bei dem Blick an die geliebte Person bleich wird.

- 51 - Frauenstrophe. Die Frau ist in der Liebe aktiv und preislobt ihren Ritter. Kürenberg verfasste solche Strophen, weil er von einer Frau bemerkt, geliebt und bewundert werden wollte. Er drückte solche Gedanken aus, die die Frau gemäß seinen Vorstellungen fühlen sollte.

Strophen VIII. und IX.

"Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr. Ich erzog mir einen Falken länger als ein Jahr. dô ich in gezamete, als ich in wolte hân Nachdem ich ihn gezähmt hatte, so wie ich ihn haben und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant, wollte, und ihm dann sein Gefieder mit Gold schön er huop sich ûf vil hôhe und vlouc in anderiu lant. geschmückt hatte, da schwang er sich auf und flog weg.

Sît sach ich den valken schône vliegen. Anschließend sah ich den Falken prachtvoll fliegen. er vuorte an sînem vuoze sîdîne riemen, Er trug an seinem Fuß seidene Bänder, und sein und was im sîn gevidere alrôt guldîn. got sende Gefieder war ihm ganz rotgolden. Gott bringe si zesamene, die gelíeb wellen gerne sîn!" diejenigen zusammen, die sich gerne lieben wollen."

Die obenstehenden berühmtesten Strophen Kürenbergs Textes bilden – ähnlich wie die Strophen 4 und 12 – einen Bedeutungskomplex. Die Frau vergleicht ihren Geliebten mit einem Falken, mit einem edlen Greifvogel, den damaliger Adel zum Jagd ausgenutzte. Sie spricht über einen Falken, den sie abgerichtete und der sie aufs Wort gehorchte, sogar schmückte sie seine Flügel mit dem Gold. Der Falke (also der Liebhaber) lebte deswegen in einem absoluten Wohlstand. Eines Tages hatte er aber das Gefühl, dass er den goldenen Käfig nicht mehr ertragen wolle. Er flog hoch und entflog.

In der zweiten Strophe beobachtet die traurige Dame das Fliegen des Falken und sein rotgoldgefärbtes Federkleid. Am Ende der Strophe ist eine Bitte oder ein Ausruf an den Gott zu lesen. Man kann erneut das Motiv der Abgeschiedenheit und der zusammenhängenden Trauer beobachten. Es handelt sich nicht nur um die bekanntesten Strophen Kürenbergs Werk, sondern auch um das berühmteste Lied des ganzen deutschen Minnesangs. Falkenlied wurde von dem Autor Der von Kürenberg innerhalb der Jahre 116-1170 verfasst.

- 52 - Einige Forscher sind der Meinung, dass dieses Lied noch in die ritterliche Poesie einzuordnen sei, und es könne eher als Vorbote des Minnesangs definiert werden. „Alles an diesem Falkenlied ist bereits ritterlich (…) Die Falkenzucht ist ritterliches Privileg, und die Sorgfalt, mit der der Falke geschmückt wird, ist Ausdruck der Sehnsucht nach der fernen Geliebten.“47 Der Falke war aufgrund seines Adels ein Lieblingstier mittelalterlicher Dichtung. Hinsichtlich dessen kann unter den einzelnen mittelalterlichen Gedichten und Autoren eine gewisse Verbindung beobachtet werden.

Aufgrund des Falkenliedes wird Dem Kürenberg manchmal auch die Autorschaft des berühmten Nibelungenliedes zugeschrieben. Im Nibelungenlied erscheint nämlich auch das Motiv eines Falken, und zwar sofort am Anfang, als die Hauptheldin, Kriemhild, den Traum von einem Falken hat. Der im Traum gesehene Falke wurde von zwei Adlern zerfleischt. Kriemhild geriet darum in Verzweiflung und in dieser Situation vertraut sie ihrer Mutter an, dass der Falke ihren Liebhaber symbolisiere, der wahrscheinlich vertilgt werde. Auch im Nibelungenlied ist der Falke ein schöner, klar strahlender Vogel, der einen tugendhaften Ritter darstellt. Die gleiche Performation taucht in Kürenbergs Falkenlied auf.

Strophe V.

Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette, Wahrhaftig, ich stand gestern abend spät an deinem Bett dô getorste ich dich, vrouwe, niwet wecken. Doch ich wagte nicht, Herrin, dich zu wecken. "des gehazze got den dînen lîp! jô enwas "Gott soll dich dafür immer hassen! Wahrhaftig, ich niht ein eber wilde",sô sprach daz wîp. ich war doch kein wilder Eber", sagte die Frau.

Die fünfte Strophe zeigt eine andere Perspektive der Liebesbeziehung. Der Liebhaber steht am Bett seiner Frau, und hat Angst sie aufzuwecken.

47 BEUTIN, Wolfgang und Kolektiv. Deutsche Literatur – Geschichte. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 1994, S. 33.

- 53 - Offensichtlich fürchtet er sich, dass sie in den Liebesspielen nicht zurückhaltend wird. Die Frau wurde tief beleidigt, verfluchte den Mann und hofft, dass der Gott ihn verdammt. Dabei macht die Frau auf ihr höfisches Benehmen aufmerksam. Diese Strophe ist ein Beweis dafür, dass auch in

Kürenbergs Schaffen der Sinn für Humor und Satire ausgedrückt wurde.

Strophe XIII.

Der tunkel sterne, der birget sich, als tuo dû, So wie der verdämmernde Stern sich verbirgt, so vrouwe schoene, sô du sehest mich, sô lâ du mache es auch du, schöne Herrin: wenn du mich dîniu ougen gên an einen andern man. sôn weiz triffst, dann richte deine Augen auf einen anderen doch lützel ieman, wiez under uns zwein ist getân. Mann. Denn dann weiß doch niemand, wie es zwischen uns beiden steht.

Die dreizehnte Strophe stellt eine der (nicht nötigen) Bedingungen der höfischen Liebe dar, und zwar ihre Geheimhaltung. Das Liebespaar möchte ihre beiderseitige Liebe verheimlichen, und hat Angst, dass seine Liebe schon durch einen bloßen Blick verraten werden könnte. Nach der sechzehnten Regel der Liebe von Andreas Capellanus schüttere sich das Herz des Liebhabers nur beim Anblick der geliebten Person und das werde auch im Gesicht gezeigt. Das Paar muss sich sehr kontrollieren, deshalb wird die Dame von dem Ritter ermahnt, dass sie beim gegenseitigen Treffen andere Ritter ansah, sonst werde ihre Liebe verraten.

Strophe VI.

Aller wîbe wunne diu gêt noch megetîn. Die schönste aller Frauen, die ist noch ein junges als ich an sî gesende den lieben boten mîn, Mädchen. Ich sende meinen lieben Boten zu ihr, aber jô wurbe ichz gerne selbe, waer ez ir schade niet. ich würde gerne selbst um sie werben, wenn ihr das in weiz, wiez ir gevalle: mir wart nie wîp als liep. nicht schaden würde. Ich weiß nicht, wie es ihr recht i ist: ich habe noch n ie eine Frau so geliebt.

In dieser Strophe hebt der Dichter die physische Schönheit der Frau hervor, und sagt, sie sei die schönste von allen Frauen, obwohl es sich um ein noch sehr junges Mädchen handelt. Der Mann schickte zu ihr schon einen Boten,

- 54 - und möchte es persönlich kennenlernen. Er ist sich jedoch der Notwendigkeit guten Rufs (was auch sehr häufige Erscheinung war) des Mädchens bewusst, und wolle ihr mit dem Umwerben nicht schaden. Er selbst geriet in Verlegenheit und weiß nicht, wie man mit dem Liebeswerben anfangen soll. Er sagt, dass er noch nie eine Frau so viel geliebt hätte.

5.1.2. Dietmar von Aist

Das Schicksal eines weiteren Vertreters der donauländischen Lyrik, Dietmar von Aist, ist für uns unbekannt, genauso wie es im Falle des Künstlers Kürenberg war. Es ist sicher, dass man ihn zu den Vertretern der Frühphase des deutschen Minnesangs einordnen kann, und auch, dass sein Werk und Gesicht in der Großen Heidelberger Liederhandschrift eingeprägt wurden. Es handelt sich um sechszehn Lieder mit zweiundvierzig Strophen. Dietmar von Aist wurde ungefähr um Jahr 1115 geboren, und starb etwa um 1171 gestorben.

Er war im oberösterreichischen Gebiet in der Umgebung von den Städten Linz und tätig, wahrscheinlich konnte man ihn auch in und in Wien treffen. Dietmar von Aist wird gewöhnlich mit einem Mann ähnlichen Namens identifiziert, weil es bewiesen wurde, dass bestimmter Ditmarus de Agasta im oberösterreichischen Gebiet innerhalb ungefähr derselben Jahren lebte, wie der Dichter, dem dieses Kapitel gewidmet wurde, und der heute unter dem Namen Dietmar von Aist bekannt ist. Es ist höchstwahrscheinlich, dass es sich nur um eine Person handelte.

„Auch her ist jedoch eine Identifizierung mit dem Dichter problematisch. Die Forschung denkt eher an einen jüngeren Dietmar, der aus einer Seitenlinie

- 55 - stammt oder auf andere Weise zu dem freiherrlichen Haus derer von Aist in Verbindung steht“.48

Stanovská führt an, dass es mehrere Autoren hinter dieser Person verstecken könnten, aufgrund eines typischen Merkmals, und zwar dessen, dass die Liederdurch die deutliche Vielfältigkeit der strophischen Formen hervortreten. Dieser Fakt könnte aber auch nur das bezeugen, dass der Autor während eines ziemlich langen Zeitabschnitts schufte, wobei sein Werk noch dazu eine fortlaufende Entwickelte aufweist: Diese wird mit den Merkmalen einer gewissen Wende der Bewegung verbunden, die von der frühesten Phase in einen Zeitraum übergehe, wann auch die Anlässe französischer Lyrik geschöpft wurden, wodurch auch der deutsche Minnesang schrittweise beeinflusst wurde.49

Das gewöhnliche Thema seiner Lieder ist die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau: Der Text wird manchmal aus der weiblichen, und manchmal aus der männlichen Perspektive erzählt. Im Unterschied zum Dem von Kürenberg wurde bei diesem Autor der Inhalt und das Motiv der frühen Liebeslyrik entwickelt: „Dem einen leicht variierten Ton des Kürenbergs stellt Dietmar den Formwechsel von Lied zu Lied gegenüber. Dabei baut er seine Strophen zwar noch mit paarweise gereimten Langzeilen, toleriert unreine Reime und Kadenzentausch, stellt aber in den Langzeilen schon Zweiakter ein (Ton I) und benutzt als Bauelemente des Abgesangs bereits vier- und sechshebige Verse (Ton II)“.50

Mit Dem von Kürenberg hat aber Dietmar etwas Gemeinsames: Beide Künstler benutzen keinen Reim, sondern nur eine Assonanz. Einige Forscher

48 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 13. 49 Vgl. STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009. s. 121. 50 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 13.

- 56 - sind der Meinung, dass das Schaffen von Dietmar von Aist auch teilweise unter dem Einfluss des romanischen Stils verlief. Die Ausdrücke und die Art des Benehmens, die Dietmar in seiner Dichtung benutzt, spiegeln die ethische Struktur des späteren Minnesangs wider. „Als Gestaltungselement tritt noch der Natureingang hinzu, der bei Dietmar zum ersten Mal in der deutschen Lyrik voll ausgebildet ist“51

5.1.2.1. Die Interpretation ausgewählter Strophen von Dietmar von Aist

Ez stuont ein frouwe alleine

Ez stuont ein frouwe alleine Es stand eine Frau alleine und warte uber heide und spähte über die Heide und warte ire liebe, und spähte aus nach ihrem Geliebten. so gesach si valken fliegen. Da sah sie einen Falken fliegen. »sô wol dir, valke, daz du bist! 'Wohl dir, Falke, so wie du bist, du fliugest swar dir liep ist: du fliegst, wohin dir lieb ist du erkíusest dir in dem walde Du suchst dir in dem Walde einen bóum der dir gevalle. einen Baum, der dir gefällt. alsô hân ouch ich getân: So habe auch ich gehandelt ich erkós mir selbe einen man, Ich suchte mir selbst einen Mann aus, der erwélten mîniu ougen. den erwählten meine Augen. daz nîdent schoene frouwen. Das neiden mir schöne Damen. owê wan lânt si mir mîn liep? Ach, warum lassen sie mir nicht meinen Liebsten, jô engerte ich ir dekeiner trûtes niet.« begehrte ich doch auch keinen ihrer Geliebten.

Dieses Lied von Dietmar von Aist ist manchmal als Antwort auf Kürenbergs Falkenlied bezeichnet. Im Unterschied zu ihm weist es jedoch

51 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 13.

- 57 - keine ritterlichen Merkmale auf. „Altertümlich in der Form (paargereimter Vierheber), einfach und innig in der Aussage, sind die ursprünglichen Formen noch am nächsten und gelten in ihrer konkreten Symbolik seit jeher als reinster Ausdruck vorminnesängerischen fraulichen Sprechens und Fühlens. Neben dem Falkenlied des Kürenbergers sind sie der eigentliche Höhepunkt der frühen deutschen Lyrik“.52

Im Lied tritt eine verschmähte Dame auf, deren Liebhaber von anderen Frauen abspenstig gemacht wurde, und sie beobachtet ihn jetzt, in einer Heide versteckt zu sein. Auch in diesem Lied tritt der Falke als Symbol der Freiheit. Im Lied kann man das Motiv der Natur beobachten: In der Natur spielt sich die ganze Handlung ab. Die Frau bedauert, dass sie kein Falke sei, denn dann könnte sie sich einen beliebigen Baum im Wald auswählen, und sich auf setzen.

Auch die Dame hat sich einen Mann ausgewählt, doch hatte sie Pech. Sie wurde betrübt, jedoch weist sie an dieser Stelle auf ihr höfisches Benehmen auf. Sie könnte niemals so etwas antun wie die Damen. In diesem Lied treffen wir auch die Figur des Erzählers, die uns in die Handlung einführt. Dietmar benutzt diese „dritte Person“ in seiner Dichtung ziemlich oft.

Nu ist ez ein ende komen

Nu ist ez ein ende komen, dar nâch mîn herze ie Nun ist es dahin gekommen, wonach mein Herz ranc daz mich ein edeliu frouwe hât genomen in ir immer strebte, dass mich eine edle Dame in ihren getwanc. der bin ich worden undertân, Bann gezogen hat. Der bin ich untertan geworden als das schif dem stiurman, wie das Schiff dem Steuermann, wenn das Meer swanne der wâc sîn ünde sô gar gelâzen hât. seine Wogen vollkommen beruhigt hat. So hoh owi! sô hôh ôwî! si benimt mir mange wilde tât. Sie bewahrt mich vor manch unbedachter Tat.

52 GRIMM, Gunter E., MAX, Frank Rainer. Deutsche Dichter. 2. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993, S. 14.

- 58 - In diesem Lied tritt der Rollenaustausch ein und spricht der Mann. Er sagt, dass die Dame ihn bezauberte, und jetzt ist er in ihrer Macht wie das Boot in Händen des Steuermannes ist. Die Dame schützt ihn also vor Unüberlegtheit, mit ihr fühl er sich in Sicherheit zu sein. Bevor er die Dame getroffen hatte, war er wie Schiff in wilden Wellen. Jetzt ist er ein sicherer

Mensch und ruhig wie ein Lamm.

Wir können also das klassische Motiv der höfischen Liebe beobachten, wann der Ritter durch das zärtliche Gefühl zu einem besseren Menschen wurde. Stanovská führt an, dass es um das erste Lied des deutschen Minnesangs ginge, das mit einem einfachen Refrain sô hôh ôwî53 beendet wurde. Der erste Platz bei der Benutzung des Refrains im Rahmen des Minnesangs wird dem Dietmar von Ais auch vom Günther Schweikle in seinem Werk „Minnesang“ zugeschrieben. Daneben ist es gut zu erwähnen, dass dieses Gedicht noch zwei kurze Strophen hat, wobei am Ende jeder Strophe jeweils eine kurze Weise erscheint.

Lied I.

Strophe I.

"Waz ist für daz trûren guot, daz wîp nâch lieben "Was hilft gegen die Sehnsucht, die eine Frau manne hât? nach einem geliebten Manne empfindet? gerne daz mîn herze erkande, wan ez sô Das möchte ich gerne wissen, da mein Herz betwungen stât." in solcher Bedrängnis ist." alsô redete ein frouwe schœne. So sagte eine schöne Dame. "vil wol ichs an ein ende kœme, "Sehr leicht ließe sich dem abhelfen, wan diu huote. wenn die Aufpasser nicht wären. selten sîn vergezzen wirt in mînem muote." Niemals lasse ich ihn aus meinen Gedanken."

Das Lied ist ein Dialog zwischen dem Ritter und der Dame im Moment ihres Abschieds. Man kann es in eine frühere Phase des Minnesangs einordnen,

53 STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 121. (překlad vlastní).

- 59 - jedoch tritt hier ein modernes Merkmal auf, und zwar das Vorkommen der dritten, teilnahmslosen Person unter den Ansprachen. Das Motiv ist wieder die Sehnsucht nach der geliebten Person, die durch Abgeschiedenheit verursachte Trauer, oder die unglückliche Liebe usw. Das Lied „wird eröffnet mit einer Frage nach einem Remedium gegen das trûren (die wehmütige Sehnsucht), die die Dame nach dem geliebten Mann empfindet (V.1). Diese Äußerung der Dame wirkt eher als ein allgemeiner Merksatz, dessen Gültigkeit für die momentane Verfassung der Frau als kein wirkliches Hilfsmittel anzusehen ist. Dieses Remedium, wäre es hilfreich, ist für ihr Innerstes bestimmt (herze), das von der Liebe „bedrängt“ ist (V.2)“.54 Dieses Lied hat noch zwei zusätzliche Strophen mit einem ähnlichen Motiv. Der Kommentator tritt in den beiden restlichen Strophen auf.

Lied XIII. (Tagelied)

Strophe I.

"Slâfest du, friedel ziere? "Schläfst du, schöner Geliebter? wan wecket uns leider schiere. Man weckt uns, leider zu bald. ein vogellîn sô wol getr Ein schönes Vöglein daz ist der linden an daz zwî gegân." ist auf den Zweig der Linde geflogen."

Strophe II.

"Ich was vil sanfte entslâfen, "Ich war so sanft eingeschlafen. nu rüefestu, kint, >wâfen< Nun rufst du, Mädchen, >gib acht!< liep âne leit mac niht sîn. Liebe ohne Leid kann es nicht geben. swaz dû gebiutest,daz leiste ich, vriundîn mîn." Was du verlangst, das tue ich, meine Freundin."

54 STANOVSKÁ, Sylvie. Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Gichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebesdichtung. (Verbindungslinien, Motive, Strukturelemente). (Habilitační práce). Brno, 2010, S. 16.

- 60 - Strophe III.

Diu vrouwe begunde weinen: Die Dame begann zu weinen: "du rîtest hinnen und lâst mich eine. "Du reitest weg und lässt mich einsam zurück. wenne wilt du wider her zuo mir? Wann wirst du wieder zu mir kommen? ôwê, du vüerest mîne vröide sant dir!" Ach, du nimmst meine Freude mit dir fort!"

Dieses Lied hat solch eine große Bedeutung aus dem Grunde, dass es sich (wahrscheinlich) um das erste Tagelied des deutschen Minnesangs handelt. Die Tagelieder oder auch die Alba sind solche Lieder, die den Abschied des Liebpaares nach der gemeinsamen Nacht bei Tagesanbruch festhalten. Meistens sind die Geliebten in einer gefährlichen Situation, wann einer von ihnen (meistens der Mann) den Platz, wo sie zusammen waren, verlassen muss, und der Zweite (meistens die Frau) bleibt allein mit seiner

Trauer.

Stanovská führt an, dass dieses Motiv später noch mit den anderen Motiven wie Beschreibung des Morgens, Motiv eines Aufpassers, der das Liebespaar hütet und Tagesanbruch anmeldet, bereichert wird.55 (Nach einem solchen Muster konnte Shakespeare ruhig die folgende Morgenszene in Romeo und Julia schreiben: Als Romeo weglaufen musste, und Julia allein mit ihrem Weinen blieb). Das Datum der Entstehung des Liedes ist unklar: Die Quellen einigen sich über die Jahren 1170-1180.

Das Lied besteht aus drei Strophen mit vier Versen. Es hat eine einfache Form, die nicht besonders typisch für diese Phase des Minnesangs ist. Was die Interpretation betrifft, werden meistens gewisse Auseinandersetzungen um die Figur des Aufpassers geführt.

55 STANOVSKÁ, Sylvie. Hle, již v mém srdci vstává den. 1. vyd. Praha: dybbuk, 2009, s. 122. (překlad vlastní).

- 61 - Diese Figur ist höchstwahrscheinlich in der ersten Strophe enthalten und sie wurde durch ein kleines, singendes Vöglein, das auf dem Zweig einer

Linde sitzt, vertreten.

(Der Wissenschaftler Uolrich von Lichtenstein hatte eine sehr interessante Anschauung der Problematik der Figur des Wächters in den Tageliedern. Die spätere Neuigkeit, die Figur Wächters in Menschengestalt beurteilte er gar nicht positiv. Er fand sie als ungeeignet und war der Überzeugung, dass die Rolle des Wächters in Tageliedern auch weiterhin beispielsweise von einer Nachtigall hätte vertreten werden sollen, weil es unanständig sei, dass ein „gewöhnlicher“ Mann der Zeuge der adeligen Liebe wäre.56)

Manchmal muss man jedoch zugeben, dass die Figur des Aufpassers in der zweiten Zeile unter dem Wort wan, also man, enthalten ist. Die anderen Interpretationen behaupten, dass das Vöglein mit dem Pronomen wan identisch war. Das heißt, dass man in beiden Fällen über das kleine Vöglein spricht. Anfangs wird die Liebhaberin davor gewarnt, dass sie zu früh (von einer dritten Person) aufgeweckt wird. Erst später wird konkretisiert, dass die dritte

Person ein kleines Vöglein ist.

Es gibt auch Meinungen, die glauben, dass das Lied keine Figur des Aufpassers umfasse, weil es in dieser Phase des Minnesangs nicht möglich sei, dass solch eine Figur enthalten wäre, denn diese Figuren eher die späteren Phasen dieser literarischen Richtung schmücken. Deswegen ginge in diesem Fall um eine normale Erscheinung, die bedeutete, dass die Menschen während des Tagesbruches aufwecken, denn es sei natürlich, ohne dass sie von jemandem gewarnt werden. Die Szene, wann die Liebhaber sich während der

56 ČERNÝ, Václav a Jarmila VÍŠKOVÁ. Staročeská milostná lyrika a další studie ze staré české literatury. Vyd. 2., dopl. a upr. Praha: Mladá fronta, 1999, s. 93 – 94. (překlad vlastní).

- 62 - Morgendämmerung verabschieden müssen, ist einer der rührenden Momenten der mittelalterlichen Poesie.

Obwohl Dietmar von Aist als erster Vertreter des Tageliedes in den deutschsprachigen Ländern gilt, findet man auch die Meinungen, die behaupten, dass das Lied Slâfest du, friedel ziere nicht in die Tageslieder eingeordnet werden kann. Die allgemein gültige Definition des Tagelieds sagt, dass es sich um ein Gedicht handle, das aus einer epischen Situation schöpfe, wann das Liebespaar am Morgen dank der dritten Person, dem Aufpasser oder

Wächter geweckt wurde, und muss sich verabschieden.

Eine große Rolle spielt auch die Angst vor der Entdeckung, vor dem Abschied und vor damit verbundener Einsamkeit. Während sehr kurzer Zeit werden viele Emotionen ausgedrückt: Ein süßer Schlaf, dann Schock, Angst, Einsamkeit, Trauer und Weinen. Die Kritiken behaupten, dass Dietmars Lied noch kein typisches Tagelied sei, sondern es könne nur ein Vorgänger des Tageliedes sein, weil dieses Lied nicht nur den Aufpasser, sondern auch die

Liebessituation vermisse.

Es gibt ein Argument dafür, dass in der Rolle des Wächters das kleine Vöglein sei, dagegen wird gesagt, dass das Vöglein nur ein Symbol des Tagesanbruches sei, und dass seine Rolle nicht so wichtig sei. Andererseits ist im Gedicht nichts, was sagen würde, um welche Tageszeit es sich handelt. Wir wissen nicht, ob sich das Liebespaar am Morgen oder am Abend verabschiedet, denn die Vögel können immer singen, wann sie wollen. Diese Behauptung kann jedoch einfach widerlegt werden, weil für den tugendhaften Ritter und für die Dame im Mittelalter es unmöglich wäre, sich der Liebe während des Tages widmen. Der Charakter der Figuren wurde aber nicht näher spezifiziert und man kann nicht sicherlich wissen, ob ein Verstoß gegen das höfische

Benehmen gerade ihnen nicht erlaubt werden könnte.

- 63 - Bei der Beschreibung des Textes nach seiner thematischen Einordnung kommt man zur immer offenen und diskutierten Problematik: Ein großer Gegner der Einordnung des Liedes in die „Abteilung“ Tagelieder ist Gerdt Rohrbach, der in seiner Publikation Studien zur Erforschung des mittelhochdeutschen Tageliedes diese Einordnung (aufgrund der obenstehenden Argumente) radikal ablehnte. Er hält dieses Lied für einen bloßen Übergang der früheren Dichtung in die höfische Dichtung.

Eine interessante Komponente des Liedes ist auch die Beziehung zwischen dem Mann und der Frau.

Während im klassischen Minnesang die klare Rollenverteilung beobachtet werden kann,57 hat keine Figur Dietmars Lied eine deutliche soziale Stellung. Die Frau spricht den Mann friedel ziere an, sie kint von ihm angesprochen. Der Erzähler benutzt bei dem Gedanken der Frau das Wort frouwe, das man für eine gewöhnliche, höfische Ansprache halten kann. Eine andere Besonderheit dieses Gedichts ist die Tatsache, dass es insbesondere die Frau ist, wer weint und klagt. Im späteren Minnesang ist es meistens umgekehrt.

Ein häufiges, interessantes Thema sind auch die Rollen zwischen dem Liebespaar, die hier einen Zusammenhang mit den sozialen Rollen aufweisen. Einige Interpretationen sagen, dass der Mann die Situation beherrscht, und er verlässt die Frau aus seinem eigenen Willen, und obwohl er sagt, wie viel er es bedauere, ist es die Frau, die wegen der Abgeschiedenheit schmachtet. Eine bestimmte Unterordnung fühlt man auch im Satz „wenne wilt du wider her zuo mir?“ Die Frau sehnt sich nach dem Mann, und deshalb möchte sie wissen,

57 Heinrich von Morungen Lied XV. Strophe I. Ez tuot vil wê, swer herzeclîche minnet Er ist vil wîse, swer sich sô wol versinnet, an sô hôher stat, dâ sîn dienst gar versmât. daz er dient, dâ man sîn dienst wol enpfât, sîn tumber wân vil lützel dar ane gewinnet, und sich dar lât, dâ man sîn genâde hât. swer sô vil geklaget, daz ze herzen niht engât.

- 64 - wann er wieder kommt. Sie sagt ihm auch, dass alle ihre Freude, die sie hatte, mit seinem Abgang verloren sei.

Er ist also ihre Freude und ohne ihn wartet sie nur die Trauer und das Weinen. Es ist wahr, dass auch die Ausrede des Mannes über die Trauer und über den Schmerz zu finden ist. Eine interessante Theorie sagt, dass die Dame in „günstiger Position“ sei, denn sie ist wach. Im Mittelalter hat das Schlafen eine negative Konnotation, während die Wachheit positiv wahrgenommen wurde. Diese Tatsache stammt wahrscheinlich aus der Zeit, wann der Schlaf für die Leute sehr gefährlich war, weil man in dieser Zeit sehr verletzbar sei. Ein wacher Mensch konnte sich vor dem Feind schützen, der Schlafende konnte es nicht. Auch in diesem Falle ist die wache Frau ein positives Gegenteil des schlafenden Mannes. Die Frau kann deswegen die Situation gut beherrschen, und sie muss den Mann wecken, und die Liebe schützen, deshalb befindet sich diese Frau nach der Meinung mancher Forscher in der Rolle des Aufpassers, Wächters und des Beschützers der Liebe.

Die einheitliche Interpretation der Beziehung des Liebespaars in diesem Gedicht ist unmöglich. Obwohl es auch solche eine Theorie gibt, die näher als die andere steht, werden wir uns im Falle dieses Gedichts immer auf Ebene der Vermutungen und Spekulationen bewegen.

„Zur Funktion des Tageliedes: neben anderen Typen, die sich in der Frühphase erst zu formieren beginnen, ist hier das Hauptaugenmerk auf die Erfüllung der Minne gerichtet“.58

58 STANOVSKÁ, Sylvie. Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Gichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebesdichtung. (Verbindungslinien, Motive, Strukturelemente). (Habilitační práce). Brno, 2010, S. 66.

- 65 - Sich hât verwándèlt diu zît

Sich hât verwándèlt diu zît, daz verstên ich bî Die Jahreszeit hat gewechselt. Ich erkenne es der vogel singen: am Verhalten der Vögel: geswigen sint die nahtegal, si hânt gelân ir Die Nachtigallen sind verstummt, sie haben ihr süezez klingen, süßes Singen gelassen, unde valwet oben der walt. und der Wald verfärbt sich oben an seinen Spitzen. ienoch stêt daz herze mîn in ir gewalt, Aber immer noch steht mein Herz in ihrer Gewalt, der ich den sumer gedienet hân. der in den ganzen Sommer über gedient habe. diu ist mîn fröide und al mîn liep, ich wil irs Sie ist mein Glück und meine Liebe. Ich will sie niemer abe gegân. ihr nie entziehen.

"Ich muoz von rehten schulden hôch tragen "Mit gutem Grund darf ich in Herz und Sinnen daz herze und alle die sinne, stolz und fröhlich sein, sît mich der aller beste man verholn in sîme seit mich der allerbeste Mann heimlich in seinem herzen minne. Herzen liebt. er tuot mir grôzer sorgen rât. Er befreit mich von großen Sorgen. wie selten mich diu sicherheit gerûwen hât. Nie hat mich das gegebene Wort gereut. ich wil im iemer staete sîn. er kan Ich werde ihm immer treu bleiben. Er kann mir wol grôzer arbeit gelônen nach dem willen mîn." alles Schwere vergelten, wie ich es mir wünsche."

In diesem Lied werden die Änderungen der Natur beschrieben. Der Sommer ist vorbei und es kommt der Winter. Wie in den anderen Liedern des deutschen Minnesangs, die häufig sind, spielen hier die Vögel eine bedeutende Rolle. Es ist ziemlich interessant, dass die Vögel für die mittelalterlichen Menschen bedeutende, symbolische Tiere darstellten. Die Vögel waren sehr oft als Edeltiere wahrgenommen und ihr Verhalten wurde mit dem menschlichen Charakter verglichen und auf eine Ebene gestellt. Daneben ist hier ihr herrlicher Gesang zu beobachten, das ein bedingter Bestandteil des Frühlings, eine begleitende Erscheinung der erwachten Natur zu interpretieren sei, und das alles weist auf den Anfang der Liebe hin.

In diesem Falle geht es jedoch um eine andere Jahreszeit, und zwar um den kommenden Herbst, was der Autor dank des Verhaltens der Vögel weiß, und diese ganze Situation wird von ihm geäußert. Der Gesang der Vögel wird im Herbst gestillt, sondern im Frühling bricht er aus. Der Dichter konkretisiert, dass vor allem der süße Gesang des Nachtigall kann uns eine Beruhigung

- 66 - bringen. Die Farbe des Waldes bietet eine Beobachtung, dass der Herbst sofort kommt. Im Unterschied zur Natur wird jedoch Dichters Liebe nicht geändert und er befindet sich immer im Dienste seiner Dame, die sein Glück darstellt, und er möchte sie nie verlieren.

Er macht auf sein höfisches Benehmen, auf seine Treue und auf die Beständigkeit aufmerksam. Dann folgt die Rede der Frau. Die Dame preislobt den Mann, in den sie verliebt ist, der sie vor allen Sorgen schütze, und für sie alles mache, was sie sich wünscht. Obwohl diese Liebe beiderseitig ist, muss auch diese verheimlicht werden, wie es für den Minnesang typisch ist. Auch in den nächsten zwei Strophen spricht man über die Versicherung der Liebe und

über die Fähigkeit auf das geliebte Objekt zu warten.

Der Mann ist in diesem Falle in der Rolle eines Untergeordneten. Der Ritter selbst sagt, dass er von der Gnade der Frau abhängig sei. Im Lied findet man das Motiv der Natur, das weiter entwickelt wird. In Dietmars Lieder ist das Motiv der Frühlingsnatur besonders häufig, in diesem Gedicht wird die

Herbstnatur beschrieben.

Dietmar von Aist inklinierte oft zur Symbolik der Natur, an die er mit der Liebesstrophe anknüpfte. Diese Erscheinung kann man auch im Lied zum Winter beobachten, auch wenn der Winter eher als Symbol des Todes, des Endes, der Abkühlung des Gefühls oder der Beendigung der Beziehung wahrgenommen wurde. Dietmar preislobt den Winter und sagt, dass er für ihn eine wunderschöne Jahreszeit wäre, wenn eine wunderschöne Frau ihm ihre Gunst gönnen würde. Man sieht den Zusammenhang zwischen der kühlen Frau und der kühlen Natur. Das Herz der Frau ist genauso kalt wie die gefrorene

Winternatur.

- 67 - Lied V.

Strophe I.

"Der Winter wære mir ein zît "Der Winter wäre mir eine Jahreszeit sô rehte wunneclîche guot. so recht freudvoll und gut, wær ich sô sælic, daz ein wîp wenn ich so glücklich wäre, dass eine Frau getrœste mînen senden muot. meine verlangende Sehnsucht erfüllte. sô wol mich danne langer naht, Wie angenehm wäre dann eine lange Nacht, gelæge ich als ich willen hân! läge ich ganz nach meinem Willen! si hât mich in ein trûren brâht, Sie hat mich in Trauer versetzt, des ich mich niht gemâzen kann." der ich nicht Herr werden kann."

Zugleich kann man lesen, dass die Sehnsucht des Dichters einen erotischen Charakter hat, weil er mit der Frau eine lange Nacht, die nach seinen Vorstellungen verlaufen sollte, verbringen möchte. Es kann also gezweifelt werden, dass Dichters Liebe echt und seine Absicht ehrenhaft sind.

5.2. Der von Kürenberg und Dietmar von Aist: Unterschiede und Ähnlichkeiten

Obwohl nur fünfzehn Strophen des Werks Des von Kürenberg erhalten wurden, wurden nur selten die Emotionen der Zeitgenosse oder Fortsetzer auf solch einen kleinen Raum konzentriert: „Ja, keiner seiner mittelalterlichen Nachfolger bietet einen weiten Bereich größeren Variationsreichtum in der lyrischen Darstellung von Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau“.59

Nach dem Beitrag von J. Wesley Thomas im Buch Diee österreichische Literatur umfasste Kürenbergs Werk den Humor, der für uns unverständlich

59 KNAPP, Fritz Peter. Die österreichische Literatur. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck – u. Verlagsanstalt, 1994, S. 152.

- 68 - sein könnte, trotzdem sei das Werk überzeitlich. „Zeitlos und universal ist der Humor in dem Lied, in dem ein großspuriger Mann erklärt, Frauen könnten wie Falken gezähmt Arden, und in dem Wechsel, der von einem Fruchtsamen Ritter erzählt, der aus dem Land flieht, um einer herrschsüchtigen Frau zu entkommen“.60

Im Einklang mit der Meinung einiger Forscher schrieb Der von Kürenberg im Unterschied zu Dietmar mit einem versteckten ironischen Abstand und er hatte keine Angst vor der Benutzung des Sarkasmus. Die von ihm benutzten höfischen Figuren seien ein bisschen lächerlich. Dietmars Lyrik ist im Gegenteil dazu ernst, wunderschön und meistens auch traurig. Man hat das Gefühl, als ob Kürenbergs und Dietmars Werke an sich mit einem dünnen Faden anbinden würden. Kürenbergs Frühwerk wurde noch durch die ritterliche Lyrik inspiriert, aber dann folgt der typische deutsche Minnesang. Dietmar fing mit dem Minnesang an und die Fortsetzung seines Werks bietet ein Lesererlebnis der ersten deutschen Tagelieder an.

5.3. Der „rheinische“ Minnesang

Nach der Zeit der donauländischen Lyrik kam die Zeit des rheinischen Minnesangs. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Richtung gehören Friedrich von Hausen, Heinrich von Veldeke oder der Kaiser Heinrich VI., der für diese Arbeit wichtig ist. Der Zeitraum ist mit den Jahren 1170-1190 zu begrenzen. Es geht also um einen zwanzig Jahre dauernden Zeitabschnitt, während dessen die Entwicklung (nicht nur) der deutschen Lyrik fortgesetzt wurde. Einer der Hauptgründe für die guten Bedingungen der Entwicklung des Minnesangs war eine größere Mobilität des Adels und der Kirche.

60 KNAPP, Fritz Peter. Die österreichische Literatur. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck – u. Verlagsanstalt, 1994, S. 152.

- 69 - „Die Internationalität sowohl der katholischen Kirche und ihren Institutionen, als auch der weltlichen Aristokratie schuf an sich seit dem Frühmittelalter günstige Voraussetzungen für einen kulturellen Austausch über territoriale und sprachliche Grenzen hinweg. An die heimatliche Scholle blieben in der Regel nur die Bauern gebunden, und selbst von ihnen nahmen nicht wenige als Pilger die großen Mühen der damals äußerst beschwerlichen Reisen nach Rom, Santiago de Compostela oder Jerusalem auf sich, umso eher Kleriker und Ritter, die zumeist bessere Reisebedingungen vorfanden. Einen Höhepunkt dieser Mobilität brachten dann die Kreuzzüge mit sich, die ganze Ritterheere durch Europa in den Nahen Osten in Bewegung setzen“.61

Zur Entwicklung dieser Epoche trügen nach Knapp auch eine größere Zahl der Angehörigen der Höfe, der Kirche, der Schulen und der Klöster oder häufigere Geschäftsreisen bei. Im Vordergrund steht immer wieder die Beziehung zwischen einem Ritter und einer adeligen Frau. Im Unterschied zum früheren Minnesang kann in dieser Phase der soziale Unterschied häufiger beobachtet werden.

Die Dame steht gesellschaftlich höher und ist unerreichbar. Es erweitert sich das Motiv des Dienstes, wodurch der Ritter bereichert und moralisch vervollkommnet wurde. Die zentralen Begriffe sind Treue, Bescheidenheit, eine erhabene Laune und Stolz. In Hinsicht auf die Epoche, in der sich diese Phase des Minnesangs abspielte, begegnet man auch dem Motiv der Kreuzzüge. Manchmal bezeichnet man die Dichtung dieser Zeit als Zeitabschnitt, der durch eine neue Auffassung der Liebesbeziehung bekannt ist.

Kennzeichen des rheinischen Minnesangs nach Günther Schweikle sind „Mehrstrophigkeit, Einstrophigkeit tritt zurück, Stollenstrophe, neben isometrischen Strophenformen (Grundvers: Vierheber) auch heterometrische,

61 KNAPP, Fritz Peter. Geschichte der Literatur in Österreich. 1. Auflage. Graz: Akademische Druck . u. Verlagsanstalt, 1994, S. 250.

- 70 - zunehmend differenzierte Reimschemata, der reine Reim wird zur Norm (…), Ausgestaltung der Dienstminne zur Hohen-Minne-Thematik, Kombination von Minne und Kreuzzugsthematik, typische Gattungen: Hohe-Minne-Klage, Kreuzlied“.62

Der Dichter spricht häufig über seine unerfolgreichen Bemühungen, die Liebe der edlen Dame zu gewinnen. Er spricht entweder über die unerwiderte Liebe, oder über die Liebe, die erst nach Erfüllung bestimmter Bedingungen möglich wäre.

5.3.1. Kaiser Heinrich VI.

Der Heinrich VI. aus dem Haus die Staufer war ab 1169 der römisch- deutsche König und ab 1191 der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Ab 1194 bis zu seinem Tod war er zugleich der König von Sizilien. Er wurde 1165 geboren und starb im Jahre 1197. Kaisers Leben wurde also mit seinen zweiunddreißig Jahren beendet. Er ist nicht nur als Mäzen der Kunst und Veranstalter eines Kreuzzuges bekannt, sondern auch als unbarmherziger Richter und fähiger Kämpfer. Aus den von ihm verfassten Werken wurden drei Lieder in Großer Heidelberger Liederhandschrift erhalten. Die ersten zwei Lieder sind dem früheren Minnesang näher. Das dritte Lied wurde durch die französische Lyrik beeinflusst. Um es ausführlicher und explizit zu sagen: Das zweite Lied befindet sich an der Grenze unter den anderen Liedern.

Theodor Frings ordnet diese Lieder in seiner Studie Anfänge der europäischen Liebesdichtung im 11. Und 12. Jahrhundert der französichen

62 SCHWEIKLE, Günther. Minnesang. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler, 1989, S. 84.

- 71 - Tradition zu, weil der Kaiser im Lied die Frau mit goldenen Steinen und Gold vergleicht. Diese Erscheinung hatte nach seiner Auffassung ihre Herkunft in der Bibel, jedoch bildete die Dichtung der provenzalischen Troubadouren eine völlig andere Bedeutung:

„Die drei unter Heinrichs Namen überlieferten Lieder dürften vor seiner Regentschaft, also zwischen 1184 und 1186, entstanden sein. Sie sind Gelegenheitsdichtung. Während der Wechsel noch in Form und Inhalt den frühen österreichischen Minnesang erkennen lässt, gehören die beiden anderen Lieder der neuen Lyrik zu, insbesondere die vierstrophige Kanzone in freien Daktylen. Das Motiv der verschenkten Krone wird zu einer Minnesangsformel, das Thema des Trauerns aus der Ferne entsteht hier aus der Dichtung des Hausen-Kreises in Italien und wird zu einembestätigen Thema auch der höfischen Kreuzzugslyrik“.63

Michael Curschmann und Ingeborg Glier schrieben zu Heinrich folgendes: „1186/87 ist in seiner Umgebung u. a. der Minnesänger Friedrich von Hausen bezeugt, als beide in Italien weilten. Früheres Beispiel der neuen aus Frankreich importierten Form: eine mehrstrophige Kanzone. Das Kaisermotiv ist an sich Topos, gewönne aber im Mund des (zukünftigen) Herrschers selbst eine besondere Pointe“.64

63 BEST, Otto F., SCHMIDT, Hans Jürgen. Die deutsche Literatur in Text und Darstellung Mittelalter I. 1. Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1997, S. 157. 64 CURSCHMANN, Michael. GLIER, Ingeborg. Deutsche Dichtung des Mittelalters. 1. Auflage. München: Carl Hansen Verlag, 1980, S. 786.

- 72 - 5.3.1.1. Die Interpretation der Lieder des Kaisers Heinrich VI.

Lied I.

"Wol hôher danne rîche bin ich alle die zît, "Wohl mehr als mächtig bin ich alle Zeit, wenn sô alsô güetlîche diu guote bî mir lît. die Liebste so lieb bei mir liegt. Sie hat mit ihrer si hât mich mit ir trende Kraft meinen Kummer vertrieben. Niemals habe ich gemachet leides vrî. mich seit ihrer Jugend auch nur ein wenig von ihr ich kom ir nie sô verre sît ir jugende, entfernt, ohne dass mein treues Herz ihr stets ir enwære mîn stætez herze ie nâhe bî." nahe gewesen wäre."

Ich hân den lîp gewendet an einen ritter guot, Ich habe mich einem edlen Ritter hingegeben. Das daz ist alsô verendet, daz ich bin wol gemuot. ist so vor sich gegangen, dass ich froh bin. daz nîdent ander vrouwen Deshalb sind andere Frauen neidisch und voll Hass unde habent des haz und und sagen, sprechent mir ze leide, um mir wehzutun, sie wollen ihn sich anschauen. daz si in wellen schouwen. Mir gefiel in der ganzen Welt nie jemand besser. mir gevíel in al der welte nie nieman baz.

Heinrichs erstes Lied besteht aus zwei Strophen, wobei die erste Strophe männlich und die zweite weiblich ist. Schon in der Einleitung des Liedes kann bestimmte Doppelsinnigkeit beobachtet werden. Der Dichter sagt, dass er sehr mächtig sei, wenn seine Frau neben ihm liegt, die seine Plage vertriebe. Einerseits geht es um den Kaiser als um verliebten Mann, der neben seine Liebe glücklich sei, andererseits wurde der Kaiser hier als einer der mächtigsten Männer unter den europäischen Herrschern dargestellt.

Bei der Voraussetzung, dass das Lied für seine Ehefrau Konstanze von Sizilien geschrieben wurde, hätten diese Verse eine völlig andere Bedeutung. Heinrich sagt, dass er sich von seiner Liebe während der ganzen Zeit ihrer Jugendzeit auch nur ein wenig von ihr entfernte, ohne dass sein treues Herz ihr stets nahe gewesen wäre. Im Lied können wir den Motiv moralischer Vervollkommnung beobachten: „Wohl mehr als mächtig bin ich…“. Aus diesen Angaben lässt sich bereits eine kleine Interpretationsgeschichte rekonstruieren:

- 73 - Der Gedanke, „lieber eine bestimmte Frau als eine hohe Stellung oder alle Macht der Welt“, ist Gemeingut der frühen europäischen Liebeslyrik. Hier verstärkt jedoch die Konjektur den Eindruck einer seltenen Kongruenz von Fiktion und Realität, denn hier scheint ein Autor den Kaiser-Topos zu benutzen, der womöglich selbst ein Kaiser war! Die rhetorische Formel würde beglaubigt durch die gesellschaftliche Realität, aber gerade diese durch die Konjektur suggerierte Annahme ist für ein Minnelied, das Rollenlyrik ist nicht 65 zwingend“.

Ein interessanter Bestandteil der Interpretation Heinrichs Lied ist das Nachdenken über die damit verbundener Problematik, die feststellen möchte, was der Kaiser, beziehungsweise ein „gewöhnlicher“ Dichter wie Ditmar von Aist, schreiben durften, also welche Möglichkeiten sie hatten, und den Unterschied darunter, was ihnen erlaubt wurde. Beginnt man damit, über eine Interpretation zu sprechen, ist es beim Kaiser einfacher zu bestimmen, ob er durch seine eigenen Erlebnisse inspiriert wurde, weil seine Biographie viel bekannter ist. Über Dietmar von Aist oder über Den von Kürenberg wissen die Forscher fast nichts, deshalb kann man nicht sagen, welche Erlebnisse seine

Werke beeinflussten.

Man muss sich auch mit der Frage der gesellschaftlichen Konventionen befassen. Könnte ein Kaiser wirklich schreiben was er wollte? Oder war seine persönliche Äußerung durch gesellschaftliche Konventionen begrenzt?

In der zweiten Strophe spricht eine edle Dame und preislobt ihren Ritter, den sie für den schönsten auf der ganzen Welt hält. Die anderen Damen beneiden sie um ihren Ritter auch aus dem Grunde, dass er so hervorragend sei. Auch diese Strophe wurde selbstverständlich von einem Mann geschrieben, der seine Sehnsucht und Träumen in das Lied projektiert.

65 WEDDIGE, Hilkert. Einführung in die germanistische Mediävistik. 6. Auflage. München: C. H. Beck Verlag, 2006, S. 40.

- 74 - Man kann sagen, dass für das ganze Lied ein wichtiges Motiv zu finden ist. Es geht um ein gegenseitiges Lob. Um eine Zusammenfassung zu bieten: Heinrichs Dichtung ist im Vergleich mit – zum Beispiel Dietmars Lyrik – hinsichtlich der verwendeten Motive ärmlicherer Prägung. Der Kaiser benutzt keine Natur-, Jahreszeiten- oder Farbensymbolik. Die häufigsten Themen sind die Treue, die Liebe, das Lob der geliebten Person, im Falle eines Manns auch das Treueversprechen, bei den Frauen die Angst vom Hass seitens anderer Frauen.

Die Motive der Natur wurden im Schaffen des Heinrichs durch Motiv des Golden, der Krone und der Edelsteinen ersetzt, die mit seiner sozialen Stellung übereinstimmen. Man kann in diesem Gedicht auch das für Minnesang typisches Motiv des Herzens beobachten. Seine Symbolik reicht bis zum altertümlichen Ägypten zurück. Dieses Motiv wurde in mittelalterlichem Europa ziemlich oft idealisiert, für das Zentrum der Liebe und des Gefühls gehalten, und in Poesie stark vertreten.

Das Herz spielt auch für die christliche Symbolik eine wichtige Rolle, hier ist es Symbol tiefer Liebe.

„Die Durchkomponiertheit des Liedes bezeugt eine kompositorische Meisterschaft des Dichters. Einige Grundvorstellungen der „hôhen minne“ sickern hier deutlich durch, mit der Freude der Minneerfüllung kombiniert. Diese Verbindung ist im deutschen Minnesang eigenartig und hat natürlich ihre Wurzeln in der frühen ritterlichen Liebesdichtung. Der hier verwendete, für die Minneideologie schwerwiegende Begriff ritter guot ist bereits beim Kürenberger zu finden“.66

66 STANOVSKÁ, Sylvie. Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Gichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebesdichtung. (Verbindungslinien, Motive, Strukturelemente). (Habilitační práce). Brno, 2010, S. 45.

- 75 - Lied II.

"Rîtest du nu hinnen, "Du reitest nun von hinnen, der aller liebste man, Der allerliebste Mann, der beste in mînen sinnen Den je, nach meinen Sinnen, für al deich ie gewan. Sich eine Frau gewann. Kumest du mir niht schiere, Kommst du nicht bald zurücke, sô vliuse ich mînen lîp: So stirbt dahin mein Leib den möchte in al der welte Und mein verlor'nes Leben, got niemer mir vergelten," Wer soll's mir wiedergeben?" sprach daz minneclîche wîp. So sprach das minnigliche Weib.

"Wol dir geselle guote "Heil, freundlicher Geselle, deich ie bî dir gelac; Daß ich je bei dir lag! du wonest mir in dem muote Du wohnst in meiner Seele die naht und ouch den tac. Bei Nacht und auch bei Tag. Du zierest mîne sinne, und bist mir dar zuo holt: Du zierest meine Sinne, (nu merke et wiech daz meine) Daß du mir bist so hold: als edelez gesteine Hör' zu, wie ich das meine: swâ man daz leit in daz golt." So zieren Edelsteine W Wenn man sie legt in reines Gold."

„Ein Wechsel unter dem Namen des Kaisers Heinrich entstammt der Grundform des Tageliedes und des Liebesgesprächs (…). Zu einer alten Frauenstrophe ist eine Mannesstrophe gedichtet. Der Mann redet in der altertümlichen Sprache der Frau. Aber das Bild und der Vergleich mit

Edelstein und Gold entstammt alter Rhetorik, die mit der Bibel beginnt und in der Provence eine besondere Prägung erfährt“.67

Das Motiv der Frauenstrophen ist die Trauer vor Trennung und die Angst vor dem Verlust des Ritters, der in ein fernes Land ziehen muss. In diesem Lied tritt auch die dritte teilnahmslose Person auf, die nur eine

67 FRINGS, Theodor. Die Anfänge der europäischen Liebesdichtung im 11. und 12. Jahrhundert. 1. Auflage. München: Verlag der bayrischen Akademie der Wissenschaften, 1960, S. 24.

- 76 - Information dazu gewähren möchte, ob gerade der Mann oder die Frau sprachen. Der Inhalt der männlichen Strophe, also der Strophe, wo der Mann zum Wort kommt, ist das Lob der Frau und die Schätzung ihres guten Einflusses auf die Seele des Ritters. Ein interessantes Erlebnis für einen Leser bieten auch die Motive der Seele, des Tages und der Nacht.

„Das Lied bahnt sich − aus der altertümlichen Form hervorgehend − durchaus eigene Wege. Wieder begegnen wir hier einer Verbindung einiger wichtiger Motive der „hohen“ Minne mit der offen zugestandenen Liebeserfüllung als einem Element der Frühphase“.68

Lied III.

Ich grüeze mit gesange die süezen Ich grüße mit Gesang die Holde die ich vermîden niht wil noch enmac. von der ich nicht lassen will noch kann. deich si réhte von munde mohte grüezen, Daß ich sie mündlich geziemend grüßen konnte, ach leides, des ist manic tac. ach, welch Leid! das ist manchen Tag her. swer disiu liet nu singe vor ir Wer immer nun diese Strophen singe vor ihr, der ich gár unsenfteclîchen enbir, die ich so gar schmerzlich entbehre, ez sî wîp oder man, der habe si gegrüezet von mir. es sei Frau oder Mann, der hat sie von mir gegrüßt.

Mir sint diu rîche und diu lant undertân Mir sind die Reiche und die Länder untertan, swenn ich bî der minneclîchen bin; immer wenn ich bei den Liebenswerten bin, unde swénne ab ich gescheide von dan, und immer wenn ich von dannen scheide, sost mir ál mîn gewalt und mîn rîchtuom dâ hin; dann ist alle meine Macht und mein Reichtum dahin, senden kúmber den zele ich mir danne ze habe: nur sehnsüchtigen Kummer, den zähle ich dann zu meiner Habe. sus kan ich an vröuden ûf stîgen joch abe, So kann ich an Freunden auf- und absteigen , unde brínge den wehsel, als ich und ich vollziehe diesen Wechsel, wie ich glaube um ihrer wæn, durch ir liebe ze grabe. Limbe willen bis zum Grabe.

68 STANOVSKÁ, Sylvie. Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Gichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebesdichtung. (Verbindungslinien, Motive, Strukturelemente). (Habilitační práce). Brno, 2010, S. 47.

- 77 -

Sît deich si sô herzeclîchen minne Nachdem ich so sehr von Herzen liebe unde sí âne wenken alzît trage und sie ohne Wanken alle Zeit trage beid in dem herzen und ouch in sinne, sowohl im Herzen als auch im Sinn, underwîlent mit vil maniger klage, zuweilen mit so mancher Klage, - waz gît mir dar umbe diu liebe ze lône? Was gibt mir dafür die Liebe als Lohn? dâ biutet si mirz sô wol und sô schône: Sie danket es mir dann so recht schön. ê ich mích ir verzige, ich verzige mich ê der krône. Ehe ich auf sie verzichtete, verzichtete ich eher auf die Krone.

Er sündet sich Der versündigt sich, der das nicht glaubt, swer des niht geloubet, daß ich manchen lieben Tag leben könnte, ich möhte geleben mangen lieben tac, auch wenn niemals die Krone auf mein Haupt käme ob joch níemer krône kæme ûf mîn houbet; wessen ich mich ohne sie nicht erkühnen kann. des ích mich ân si niht vermezzen enmac. Verlöre ich sie, was hätte ich dann? verlüre ich si, waz hette ich danne? Dann taugte ich weder Frauen noch Männer zur Freude, dâ töhte ich ze vröuden und es wäre mein bester Trost in Acht und Bann (getan). noch wîbe noch manne unde wære mîn bester trôst beidiu zâhte und ze banne.

Als allgemein betrachtetes Hauptmotiv dieses Gedichts dürfte die Darstellung der Macht bezeichnet werden. Sylvie Stanovská schreibt in ihrer Habilitationsarbeit mit dem Titel Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Lichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebesdichtung die Information, dass als Hauptmotiv der Macht man da die Metapher der Krone bezeichnen kann:

„Dieses Motiv – als Inbegriff des höchsten Maßes für den weltlichen Erfolg – wird messend in die Beziehung gesetzt und reizvoll mit dem Begriff der Minne als höchstem Maß weltlicher fröide(IV,6) und des besten trôstes (IV,7) bemessen; das Ergebnis dieses Vergleichs spricht eindeutig für die

- 78 - Minne. Vor allem in der IV. Strophe als Schlussstrophe wird diese Vorstellung bestätigend manifestiert“.69

Das Lied beginnt in der Abwesenheit der Dame. Der Mann möchte seine Dame mit dem Gesang begrüßen. Gleich am Anfang ist das typische Motiv der Abschiedstrauer zu beobachten: „Seinen Gruß gestaltet er als Gesang in der Hoffnung, dass diese Tat ihr vermittelt wird, weil er sie schon „einige Tage“ nicht mündlich grüßen konnte, d.h. er war von ihr getrennt.“70

Das Motiv eines Dichters, der seine Geliebte aus der Ferne grüßt, ist beim Heinrich eine neue Erscheinung. Diese Tradition entwickelte sich zusammen mit dem Aufschwung des deutschen Minnesangs. Der Kaiser schildert in der zweiten Strophe seine Macht und den Reichtum. Die Liebe belegt in seiner Anschauung ohnehin den obersten Platz, weil seine Macht oder Reichtum ihm ohne Liebe seiner Dame zu nichts sein würden. Die dritte Strophe umfasst Motiv des Herzens und des Gefühls. Diese zwei Motive werden meistens als Gegenteile beurteilt. Benutzt der Autor beide dieser Motive, wird damit die Intensität seiner Liebe gesteigert. Die dritte Strophe bietet wiederum das Motiv der Krone als Metapher der Macht.

Der Kaiser hätte lieber auf seine Krone als auf jene Frau verzichten wollen, wodurch er die Ehrlichkeit seines Gefühls zeigte. Das Motiv der Krone ist wider in der vierten Strophe zu beobachten. Der Kaiser könnte auch ohne Ruhm, Macht und Reichtum leben. Er könne aber ohne seine Liebe nicht vollwertig existieren.

69 STANOVSKÁ, Sylvie. Zu der alttschechischen Liebesdichtung im Gichte des deutschsprachigen Minnesang und der jüngeren deutschen Liebesdichtung. Brno, 2010. Habilitační práce. Masarykova univerzita. Filozofická fakulta. S. 39. 70 Ibid., S. 40.

- 79 - 6. Die ausgewählten Motive im Werk Des von Kürenberg, Dietmars von Aist und Kaisers Heinrich

Bei der Suche nach der Verbindung oder des Zusammenhangs der Werken dieser drei Autoren, die den Schwerpunkt dieser Arbeit darstellen, sollten in der ersten Reihe die gemeinsamen Motive ihrer Werke beschrieben werden. Das der mittelalterlichen Symbolik gewidmete Kapitel erwähnt die Information darüber, dass nichts – egal ob Naturerscheinungen oder Sachen und Tiere u. ä. – die den mittelalterlichen Menschen umgaben, ohne Sinn blieben. Alles hatte den eigenen Grund, eine Begründung für Existenz wurde allen Erscheinungen zugeordnet, oder sie dienten als Symbole. Die in Mittelalter lebenden Menschen waren viel mehr mit der Natur verkoppelt als heutige Menschen, und sie konnten die Natur auch weit besser verstehen.

Die mittelalterlichen Dichter benutzten darum in ihren Werken das Motiv der Natur, das sehr häufig zu finden war. Diese Erscheinung kann man vor allem im Werk Dietmars von Aist beobachten, der für Phasen eines Liebesverhältnisses, die das Liebespaar erlebte, einen Vergleich mit den Jahreszeiten ausgenutzte. Zu den konkreten Motiven kann man sagen, dass manche Gedichte des Dietmars und des Kürenbergs durch das Motiv eines Falken verbunden wurden, das insbesondere bei Kürenberg sehr ausdrucksvoll auftritt.

Um sich mit dem Motiv der Vögel im Minnesang ausführlicher befassen zu können, würde man größeren Raum und ebenso solch eine zeitliche Zuwendung brauchen, denn zusammen mit Entwicklung der Tageliedern werden auch der Nachtigall und die Lerche wesentliche Bestandteile der für Minnesang typischen Motive. Bei dem dritten Autor sind diese Motive, das

- 80 - Motiv der Natur und der Vögel, nicht so ausdrucksvoll, jedoch enthält ihre Poesie das Motiv der Krone, der Edelsteine oder einer Reise.

6.1. Falke

Der Vergleich der menschlichen und tierischen Eigenschaften war bereits seit dem Altertum, als Äsopus seine Fabeln geschrieben und den Tieren die Menschensprache und menschliches Verhalten verliehen hat, sehr beliebt. Dank dieser Imagination haben die Menschen ihre Eigenschaften erkannt, ohne dass es sie irgendwie beleidigt hätte. Bis heute können wir dem bösen Wolf, dem listigen Fuchs, dem treuen Hund oder der weisen Eule begegnen. Vögel waren bei den Autoren des mittelalterlichen Minnesangs besonders beliebt. Zum Teil auch deswegen, weil Vögel ein unabdenkbarer Teil der Natur sind. Wir begegnen täglich ihrem Gesang, er ruft in uns die Morgen- und Abendzeiten und auch die einzelnen Jahreszeiten hervor. Wir können auch oft Raben auf den Feldern oder Zugvögel beobachten, wie sie der Sonne entgegen fliegen, oder tief fliegende Schwalben. In diesem Verhalten können mögliche Vorzeichen meteorologischer Änderungen erkannt werden.

Die Symbolik des Falken ist sehr reich und ihre Wurzeln können sowohl im altertümlichen Ägypten, als auch in der arabischen Welt gefunden werden. Im alten Ägypten wurde der Falke für ein königliches Symbol gehalten und er wurde mit dem Pharao verglichen, denn die Vögel wurden vom Blick auf ihn genauso gelähmt wie die Feinde vom Blick auf den Pharao. Als Falke oder Mensch mit Falkenkopf wurde im Altertum der ägyptische Gott Horus, der Sonnengott Re, der Kriegsgott Month oder der Totengott Sokar dargestellt (jeder von ihnen hatte dabei ein anderes Attribut, Re zum Beispiel wurde mit einer Sonnenscheibe auf dem Kopf dargestellt, Sokar als ein mumifizierter Falke usw.). In mittelalterlichen Bestiarien bekommt der Falke jedoch eine

- 81 - negative Bedeutung. Er stellt das Symbol eines Menschen dar, der sich nur um seine Sättigung kümmert, er schwebt über Fleischmärkten, wo er Abfallstücke raubt, er versteckt sich und flieht vor größeren Vögeln, kleinere jedoch fängt er und ist ihnen auf der Lauer, so wie Lüstlinge anständigen jungen Menschen auflauern und sie zu Sündhaftigkeiten verführen.71

Die Symbolik des Falken im Mittelalter ist jedoch nicht so eindeutig und bis auf die negative Interpretation war der Falke oft ein Zeichen des Edelsinns und der Tugend.

Da es Bestandteil des „Programmes“ eines mittelalterlichen Adeligen war, schön und edel zu sein, musste seine Person ebenfalls mit edlen Vögeln verglichen werden. Bei den Adeligen gehörte der Falke zu den beliebtesten Vögeln. Er war schön, scharfsinnig, anmutig und wurde vom Adel oft zur Jagd verwendet. Auch aus diesem Grund haben ihn Der von Kürenberg und Dietmar von Aist gewählt, als sie sich entschieden haben den wunderschönen Mann mit einem Tier zu vergleichen. Der von Kürenberg benutzt das Falken-Motiv in seinem Falkenlied. Eine Frau spricht davon, wie hervorragend sie sich um ihren Falken gekümmert hat, der jedoch schließlich weggeflogen ist. Es handelt sich aber in Wirklichkeit um einen Mann, der sie verlassen hat. Die Dame hat den edlen Raubvogel in einem goldenen Käfig gehalten und hat ihm immer alles gegeben, was er sich gewünscht hat. Als sie geglaubt hat, dass er bei ihr bleibt, ist der Falke entflogen und sie konnte ihm nur traurig nachsehen. Im Lied von Dietmar beschwert sich wiederum ein Mädchen, dass es nicht dem Falken gleich ist, denn dieser ist frei und kann fliegen, wohin er will und kann sich setzen, auf welchen Baum auch immer er will. In diesem Fall vergleicht die Dame ihre Gestalt mit einem Falken, und die Männer sind in den Bäumen verborgen, auf die sich der Falke niedersetzt (beziehungsweise welche das Mädchen auswählt). In Dietmars Gedicht können wir auch dem dem Falken

71 Vgl. BIEDERMANN, Hans. Lexikon symbolů. 1. Vyd. Praha: BETA, 2008, s. 252.

- 82 - eigenen Motiv der Freiheit begegnen, welche jedoch nicht die Frau besitzt, die durch gesellschaftliche Konventionen gebunden ist. Der Edelmut der Raubvögel wird von Der von Kürenberg ein seinem Lied ein bisschen herabgesetzt. In diesem spricht er darüber, dass sowohl Frauen als auch Raubvögel nur demjenigen folgen, der es versteht sie anzulocken und ihnen auch etwas bieten kann. Die Gunst einer Frau oder eines Raubvogels zu erlangen verlangt demnach Geübtheit und Geduld. Auf der anderen Seite entschuldigt der Dichter die Frau und auch die Raubvögel mit der Andeutung, dass, wenn die Frau und der Raubvogel gleich dem erstbesten entgegenliefen, der sie anzulocken versucht und es nicht einmal richtig kann, sie an ihrem Wert verlieren würden.

Barbora Matolínová beschäftigt sich in ihrer Bachelorarbeit Darstellung der Hofkultur mittels Tiersymbolik in französichen mittelalterlichen Handschriften auch mit dem Motiv des Falken in der Hofkultur. Die Falknerei war, wie Matolínová anführt, Bestandteil der höfischen Rittererziehung. Einen Falken abzurichten war überhaupt nicht einfach, bei jedem Training bestand die Gefahr, dass der Falke in die freie Natur davonfliegt und nicht mehr wiederkehrt. Aus finanzieller Sicht war das Training auch kostspielig und gehörte zu den Interessen des höheren Adels. Davon zeugt auch das literarische Werk De arte venandi cum avibus (Von der Kunst, mit Vögeln zu jagen), dessen Autor Kaiser Friedrich II. Ist. Das Werk beschreibt, wie man ein richtiger Falkner wird und wie man lernt Vögel zu verstehen, wobei der Kaiser von seinen eigenen Erfahrungen mit der Falknerei ausgeht. Der Wert eines gut abgerichteten Falken konnte dann dem Wert eines Pferdes gleichkommen. So ein Falke wurde für eine Kostbarkeit gehalten.

Der Falke hat auch eine hohe gesellschaftliche Stellung und Reichtum symbolisiert. Die Jagd mit dem Falken war nicht nur für Männer bestimmt. Wenn eine Frau mit einem Falken auf dem Handgelenk dargestellt wurde, war

- 83 - es ein Zeichen dessen, dass es sich um eine besonders vornehme Adelige handelt. Nach Matolínová benutzten einige französische Troubadoure die Symbolik des Falken als Symbolik der Liebe, die genauso kopfüber, plötzlich und unerbittlich auf den Menschen stürzt wie ein Falke auf sein Opfer. Wurde der Falke mit einem Mann verglichen, so war es stets wegen seiner Kraft, Schönheit, Gewandtheit und Schnelligkeit. Sollte er jedoch eine Dame symbolisieren, so war es, wie Matolínová anführt, vor allem wegen ihrer Schüchternheit und Empfindlichkeit. Wie jeder gute Falkner weiß, muss man mit einem ins Netz gefangenen Falken besonders fein und zärtlich umgehen. Genauso weiß auch jeder richtige Ritter, dass man eine Dame, insbesondere wenn sie jung und verlegen ist, liebevoll und geduldig behandeln muss.

Die Vogelsymbolik gebraucht auch der französische Mönch Hugues de Fouilloy in seiner Schrift De avibus (Über die Vögel). Der Falke symbolisiert einen aktiven Ritter und hat alle hervorragenden Eigenschaften eines idealen Adeligen. Sein Gegenteil ist die weiße Taube, Symbol des Mönchs, der im Gegensatz zu dem Ritter geistig Gutes tut.

Klaret (Bartholomäus von Chlumec) schreibt über den Falken Folgendes: „Der Falke ist ein Raubvogel: vom Gerfalken unterscheidet er sich nur ein wenig in der Farbe, er hat einen gekrümmten Schnabel und Krallen. Was immer er auch fängt, klemmt er mit seinen Krallen ein, und was immer er sieht, will er fangen. Aus diesem Grund wird sein Kopf mit einer Lederkappe verdeckt, damit er nichts sieht. Er hat scharfes Sehvermögen, sodass er eine schwarze Taube auf weißem Feld - oder umgekehrt – auf eine Entfernung von drei Meilen sieht. Und diese zwei Vögel, nämlich Gerfalke und Falke und andere Raubvögel leiden oft an Erbrechen, wenn sie unreines oder salziges Fleisch verzehren. Heilmittel: nimm eine Maus oder eine Fledermaus und gib sie einem erbrechenden Falken, er wird sogleich genesen. – Der Falke

- 84 - symbolisiert die Eroberer und Räuber.“72 Klarets Charakteristik des Falken nach bekommt unsere romantische Vorstellung von diesem Raubvogel, unterstützt von Kürenbergs Falkenlied, eine ganz andere Dimension. Der Darstellung eines tugendhaften Raubvogels, der am Himmel kreist und golddurchwobene Flügel hat, widerspricht die mittelalterliche naturwissenschaftliche Kenntnis oder besser gesagt Vorstellung. Obwohl Kürenberg und Bartholomäus von Chlumec ungefähr zwei Jahrhunderte und auch ihr Wirkungskreis trennen, kann man weder dem einen noch dem anderen das Beobachtungsvermögen und das Bestreben den Falken mit dem Menschen oder mit seinen Eigenschaften zu vergleichen vorenthalten. Sehr interessant ist auch der Ratschlag von Bartholomäus von Chlumec, was mit einem Falken zu tun ist, der sein Gefieder verloren hat. „Ein Falke nach dem zweiten oder dritten Gefiederwechsel ist der beste, er verliert sein Gefieder ungefähr im dritten Lebensjahr. Man kocht eine gehackte Schlange mit Gerste, diese Gerste lässt man ein Huhn fressen und gibt das Huhn dann dem Falken: es kommt in Kurzem zum Gefiederwechsel“.73 Obwohl Klarets Vogelgarten mit Übertreibung eher als Ornithologie-Lehrbuch anzusehen ist, ist es interessant das Werk beider Autoren zu vergleichen, wobei einer über den Falken aus der Sicht eines Dichters, Minnesängers schreibt, der andere eher aus der Sicht eines Wissenschaftlers, Ornithologen.

6.2. Nachtigall

In der Antike ist die Nachtigall ein Symbol der Kunst und Dichter haben sich oft als ihre Schüler betrachtet. Auch Ovid schreibt in seinen Metamorphosen über sie. Im Mittelalter wurde auf ihre pädagogische Begabung hingewiesen, denn man ist davon ausgegangen, dass die Nachtigall

72 KLARET. Ptačí zahrádka. Vyd. 1. Brno: Petrov, 1991. S. 30. (překlad vlastní). 73 Ibid., s. 30. (překlad vlastní).

- 85 - ihre Jungen im Nest singen lehrt. Des weiteren hat man geglaubt, dass das Nachtigallherz eine schöne Stimme und Beredsamkeit verleiht. Der Nachtigall- Gesang wurde sowohl im Orient, als auch in Europa auf der einen Seite für ein Glückszeichen gehalten, auf der anderen Seite für Jammern der elenden Seele im Fegefeuer oder für Verkündung des Todes einer nahen Person. Die christliche Symbolik interpretiert es so, dass der Nachtigall-Gesang die Sehnsucht nach dem Paradies und dem Leben im Himmel bezeichnet. In der mittelalterlichen Literatur finden wir die Gestalt der Nachtigall in der Legenda aurea von Jacob de Voragine. Auch in der mittelalterlichen Exempelsammlung Gesta Romanorum wird von einem Ritter erzählt, der im Gefängnis von einer Nachtigall besucht wurde und durch ihren Gesang getröstet wurde. Der Ritter hat sie gefüttert und als Gegenleistung hat ihm die Nachtigall einen Edelstein gebracht, der den Ritter befreit hat.

Klaret schreibt über die Nachtigall Folgendes: „Die Nachtigall ist ein grünlicher Vogel, größer als der Zeisig, hat aber mehr graue Farbe. Süß singt die Nachtigall im Frühling und ihres Gesangs wegen mögen sie alle. Zum St.Veits-Fest singt sie nicht mehr, auch nicht im Vorsommer und im Sommer. Sie sagt stets „wik, wik, wit“.74

In seinem Exemplar schreibt Klaret, dass die Nachtigall für den Raubvogel singt, der ihre Jungen töten will, und sie ihn deshalb versucht mit Gesang zu versöhnen. Das gelingt ihr jedoch nicht und der Raubvogel tötet ihre Jungen schließlich doch. Der Raubvogel selbst stirbt jedoch zum Schluss in einer gestellten Falle. Daraus ergibt sich die Belehrung, dass wer dem anderen eine Grube gräbt, selbst hineinfällt.75

Die Nachtigall wird also in der mittelalterlichen Symbolik im Gegensatz zum Falken durchaus positiv empfunden. Im Minnesang kommt sie

74 KLARET. Ptačí zahrádka. Vyd. 1. Brno: Petrov, 1991, s. 50. (překlad vlastní). 75 Ibid., S. 69. (překlad vlastní).

- 86 - auch als positive Gestalt eines den Morgen bringenden Vögleins vor. Dies ist den Geliebten jedoch nicht recht. Bei Dietmar, im ersten bekannten Tagelied, kommt sie einigen Quellen nach sogar in der sehr wichtigen Rolle des Wächters vor, der das Liebespaar warnt und seine Liebe vor dem Verraten schützt.

6.3. Krone

In seinem dritten Gedicht spricht Heinrich von dem Motiv der Krone, als Symbol der königlichen Macht. Die Krone ist das gar markanteste Attribut des Königs, sie macht ihn größer als er in Wirklichkeit ist, erhebt ihn über seine Umwelt, macht ein übermenschliches, mit der Götterwelt verbundenes Wesen aus ihm. Die Krone ist aus Sonnenmetall, also aus Gold gefertigt, was ein noch göttlicheres Symbol aus ihr macht. Die Krone ist auch in der christlichen Symbolik wichtig, wo sie oftmals Symbol der höchsten erreichbaren Stufe der Existenz ist.

In Heinrichs Dichtung ist die Krone ein Symbol seiner ganzen Macht, sie stellt seine Herrschaft über der ganzen Welt und seinen ganzen Reichtum dar. Ein König ohne Krone ist, als ob er gar kein König wäre. Wenn also Heinrich sagt, dass er eher auf die Krone verzichten würde als auf seine Dame, so bringt er somit den höchsten Beweis der Liebe schlechthin.

6.4. Gold

Im zweiten Gedicht von Heinrich VI. begegnen wir dem Motiv des Goldes und der Edelsteine. Der Dichter vergleicht die Dekorativität von edlen Gegenständen mit edlen Gefühlen. Der Gebrauch dieser Motive ist wohl nicht

- 87 - zufällig, da der Autor zu den mächtigsten Herrschern des damaligen Europas zählte und er seine Macht auch in seiner Kunst präsentieren konnte. Warum Naturmotive wie ein gewöhnlicher Dichter gebrauchen, wenn Gold und Edelsteine sicher einen größeren Eindruck hinterlassen. Gold wird in den meisten Kulturen mit der Sonne verbunden und wir können nur Vermutungen anstellen, ob dem Kaiser der mittelalterliche Aberglaube bekannt war, nach dem Gold in Kombination mit Edelsteinen die Fähigkeit hat, den Menschen vor bösen Zaubern zu schützen. Diesen kostspieligen Schutz konnten sich jedoch nur wenige leisten.76

76 BIEDERMANN, Hans. Lexikon symbolů. 1. Vyd. Praha: BETA, 2008, s. 406.

- 88 - 7. Zusammenfassung

Das Ziel der Diplomarbeit mit dem Titel Die frühe ritterliche Liebesdichtung eine Sonde in die Vorstellungswelt der Epoche am Beispiel der Texte Des von Kürenbergs, Dietmars von Aist und Kaisers Heinrich. Ein Vergleich war nicht nur die Interpretation ausgewählter Strophen drei Autoren, deren Namen der Titel dieser Arbeit umfasst, sondern auch Nahebringen der Lebensepoche dieser Autoren und ihrer Welt, die sie umgab.

Der größte Wert wurde auf der Tatsache gelegt, dass die mittelalterliche Liebeslyrik Arm in Arm mit dem Phänomen der höfischen Liebe ging, also mit der Sammlung der Regeln des Benehmens in Liebesverhältnissen. Die Arbeit enthielt vier thematische Kreise. Am Anfang widmete sie sie sich der Einordnung der Liebesdichtung in die Welt damaliger Literatur und bemühte sich darum, ihren Platz in dieser Welt zu begrenzen. Das Ziel des ersten Kreises war, eine Vorstellung der mittelalterlichen Liebeslyrik nicht nur als selbstständiger Einheit, sondern auch als Bestandteil der mittelalterlichen, literarischen Ganzheit anzubieten.

Der erste Teil widmete sich unter anderem der Erwähnung der Titelnamen der wichtigsten literarischen Werke, die die Trends jener Zeit festgelegten, und wodurch die Gesellschaft gestaltet wurde, oder die ein Resultat der gesellschaftlichen und kulturellen Laune bedeuteten. Nachfolgend knüpfte die Polemik über höfische Liebe an diesen Teil frei an. Das eigene Ziel dieses Abschnitts war nicht nur eine bloße Hinweisung darauf, dass die höfische Liebe die mittelalterliche Liebeslyrik formte, oder eine Anzweiflung dieser Tatsache in der Hinsicht, dass es auch umgekehrt verlaufen konnte. Das Ziel war, dieses Phänomen – das erst in neuzeitlicher Geschichte ein Phänomen wurde und als Phänomen bezeichnet werden durfte – als eine der Substanzen vorzustellen, die zu Inspirationsquellen der Autoren gehörten.

- 89 - Die Sammlung der Regeln, die die mittelalterlichen Liebesbeziehungen beeinflussten, ist für den heutigen Menschen faszinierend, und es ist für ihn unglaublich, wie sich diese Sammlung der Regeln an der Entstehung der Kunstwerke beteiligte. Der zweite Teil bemüht sich um Darstellung einer Sonde in die Vorstellungswelt der Dichter aus jener Zeit. Dieser Teil beabsichtigte, die Grundprinzipien der Beziehungen, wodurch die Liebeslyrik resultierte, zu entdecken, und die Welt, unter deren Einfluss die Dichter schufen, näher zu bringen.

Der zweite Teil umfasst es auch ein Kapitel, das sich mit der Herkunft der höfischen Liebe befasste. Dieses Kapitel wurde hauptsächlich aus dem Grunde in die Arbeit eingeordnet, dass die Herkunft der höfischen Liebe und die Herkunft mittelalterlicher Liebeslyrik höchstwahrscheinlich zusammenfließen, wobei die Spuren bis zur Andalusien und zu muslimischem Spanien zurückreichen.

Nachfolgend ist der dritte Teil zu finden, der sich – obwohl nicht sehr ausführlich – mit der mittelalterlichen Symbolik befasste. Das Ziel dieses Teils war nicht nur eine grundlegende Vorstellung der wissenschaftlich exakten Definitionen, sondern auch ein philosophisch psychologischer Einblick in die mittelalterliche Welt, um seine Vorstellungen, Ängste und versteckte Botschaften zu entdecken. Der von Kürenberg, Dietmar von Aist und Kaiser Heinrich verfassten ihre Werke auch unter Einfluss allgegenwärtigen, mittelalterlichen Symbolismus. Man muss sich dessen bewusst werden, um in der Poesie dieser Autoren auch etwas zwischen Zeilen lesen zu können. Diese Arbeit enthält deshalb auch eine Abhandlung über mittelalterlichen Symbolismus, deren Ziel ist, die Vorstellungswelt mittelalterlicher Dichter noch näher zu bringen.

Die weiteren Teile wurden eher empirisch orientiert und vorstellen sowohl den eigenen Minnesang, als auch seine einzelnen Phasen und ihre

- 90 - typischen Merkmale. Das Ziel dieses Teils ist klar festzulegen: Seiner Sinn ist eine Vorstellung literarischer Epoche, in der die Dichter ihre Werke verfassten, und Einteilung dieser Werke nach den für sie typischen Merkmalen.

Nachfolgend wurden die Autoren konkret vorgestellt. Die Arbeit bemühte sich auch um kurze Schilderung ihres Lebenslaufs. Die dazu ausgewählten, von diesen Autoren verfassten Strophen wurden interpretiert. Die größte Aufmerksamkeit wurde dem Falkenlied Dietmars von Aist und dem ersten deutschen Tagelied Des von Kürenberg gewidmet. Das Ziel, das dieses Teil anstrebt, ist die Erfüllung der Aufgabe, die durch diese Arbeit festgelegt wurde, und auf natürliche Weise auf die Unterschiede und Ähnlichkeiten der Gedichte verschiedener Autoren aufmerksam zu machen.

Die Werke wurden kurz und bündig verglichen. In dieser Hinsicht ist allerdings der letzte Teil dieser Arbeit wichtig, der sich mit dem ausführlicheren Vergleich befasste: Es wurden von einzelnen Gedichten ihre detaillierten Motive ausgewählt, und die Autorin dieser Arbeit bemühte sich, diese Motive im Verhältnis zum mittelalterlichen Symbolismus zu interpretieren. Ziel des letzten Teils besteht nicht nur darin, dem Kapitel zum mittelalterlichen Symbolismus eine höhere Bedeutung zu gewähren, sondern auch darin, dass die ganze Arbeit einen richtigen Abschluss besitzt, zusammen mit geöffneten Möglichkeiten für weitere Forschung, die bespielweise das Thema der einzelnen Motiven in ausgewählten Werken des Minnesangs entwickeln könnte.

Um abschließend noch ein Beispiel zu sagen: Die neu veröffentlichte Publikation der Eva-Maria Hochkirchen Präsenz des Singvogels im Minnesang und in der Trouvèrepoesie, die sich mit dem Motiv der Vögel in mittelalterlicher Liebeslyrik befasst, dürfte als Inspirationsquelle für weitere Forschung dienen.

- 91 - 8. Quellenverzeichnis

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- 94 - 9. Abbildungsverzeichnis

Anhang N. 1: Der von Kürenberg im Codex Manesse (Bild)…………..…96 Anhang N. 2: Dietmar von Aist im Codex Manesse (Bild)………………..97 Anhang N. 3: Kaiser Heinrich im Codex Manesse (Bild)…………………98 Dostupné z: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848

- 95 -

Anhang N. 1: Der von Kürenberg im Codex Manesse

- 96 - Anhang N. 2: Dietmar von Aist im Codex Manesse

- 97 - Kaiser Heinrich VI. Im Codex Manesse

- 98 -