Presseinformation 4. Juni 2010

Skulpturen im Kolonnadenhof der Museumsinsel

Louis Tuaillon: , um 1890/1895 (Guss 1895)

B I 115; Bronze, Muschelkalksockel Die „Amazone“, die oft nur unter diesem Kurztitel geführt wird, gilt als eines der

Hauptwerke Tuaillons, ja der deutschen Bildhauerkunst um 1900 überhaupt. In ihrer formalen Klarheit und selbstbeherrschten Strenge wurde sie von Anbeginn als ein Antipode des opulenten Neobarock mit seiner formalen Fülle und seiner demonstrativen Vitalität des Menschenbildes verstanden. Die Amazone ist

Vertreterin eines Volkes von kämpferischen Frauen, die in ihrem Lande keine Männer zulassen. Während das Werk gleichen Titels von August Kiß am Alten

Museum, also in räumlicher Nähe zur Nationalgalerie, diese kriegerische Seite herauskehrt, reduziert Tuaillon das Menschenbild auf Selbstbeherrschung,

Strenge, Konzentration. Er kehrt also die Gefahr in Tugend um. Dementspre- chend ist auch das einzige Attribut, die Streitaxt, von untergeordneter Bedeu- tung, während die aufrechte Haltung und der offene Fernblick zum eigentlichen

Sujet werden.

Das Werk markiert Tuaillons künstlerischen Durchbruch; es wurde bereits 1896 durch die Nationalgalerie erworben und 1897 im Freiraum zwischen der Galerie und dem Neuen Museum aufgestellt sowie auf die Blickachse der Kutschen- durchfahrt unter der Freitreppe ausgerichtet. Tschudi hatte von Anfang an einen solchen Aufstellungsort geplant und holte hierfür die Zustimmung von Mitglie- dern der Landeskunstkommission sowie des Kaisers ein. Er plädierte für einen möglichst schlichten und niedrigen Sockel und erbat von Tuaillon eine entspre- chende Skizze. Dieser schlug als Material Travertin – falls hinreichend wetterbe- ständig – oder unpolierten Granit vor.

Reinhold Begas: Centaur und Nymphe, 1881-1886

SKG 13/86; Bronze

Die junge, kräftig gebaute Frau versucht, auf dem breiten Rücken des Centau- ren aufzusitzen. Ihrem Ansinnen entgegenkommend, ist dieser halb in die Hocke gegangen; hilfreich greift seine linke Hand nach hinten, um den Fuß zu unter- Stiftung Preußischer Kulturbesitz Dr. Stefanie Heinlein stützen. Willig lässt sich die Frau die rechte Hand bieten, um noch besser auf- Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Von-der-Heydt-Str. 16 – 18 steigen zu können. Der ältere, gelegentlich auftauchende Titel „Centaur entführt D-10785 Berlin Tel 00 49/ (0)30/ 266 41 1440 eine Lapithin“ ist also insofern falsch, als es sich gar nicht um einen Raub, son- Fax 00 49/ (0)30/ 266 41 2821 [email protected] dern um ein einvernehmliches Vorgehen handelt. Der Kontrast zwischen dem www.preussischer-kulturbesitz.de

etwas derben, legendären Fabel- und Zwitterwesen (die ungebändigten Natur- kräfte verkörpernd) und der Frauenfigur (mit Gewandung und Frisur die Kultur, die domestizierten Kräfte versinnbildlichend) betont die Polarität zwischen den Geschlechtern und ihren Rollen. Hinsichtlich des geradezu demonstrativen Vor- trages solch elementarer Gegensätzlichkeiten steht Begas ganz in der Tradition des Barock. Die Komposition kann aber auch als ein bewusst ausformulierter, geradezu humorvoll vorgetragener Gegensatz zwischen Antike und Neuzeit gedeutet werden, denn dem archaisch-vorzeitlichen Centauren steht eine im Körperideal, im Gestus und in der Frisur ganz der Gründerzeit angehörende Frau gegenüber. Diese Deutung wird unterstützt durch den gelegentlichen Hin- weis, Begas sei zu der Komposition durch Paul Heyses spätromantische Novelle „Der letzte Centaur“ inspiriert worden, in der die Magd Nani der Gegenwart des industrialisierten 19. Jahrhunderts mit Hilfe eines Centauren entflieht: Auch dort stehen sich also Altertumsreminiszenzen und aktuelle Gegenwartsphänomene gegenüber. Die Gruppe wurde 1986 angekauft und erhielt 1997 seinen Standort im Kolonnadenhof der Nationalgalerie.

Adolf Brütt: Fischer („“), 1887 (Guss 1894) B I 101; Bronze Die von Brütt modellierte, 1887 erstmals ausgestellte und sogleich prämierte Gruppe eines kraftstrotzenden, bärtigen Fischers in Ölzeug, der ein vor dem Ertrinken gerettetes Mädchen in seinen Händen hält, machte den erst 22 Jahre alten Künstler rasch berühmt. Der narrative Ton der Szene, die Brütt der Traditi- on zufolge mit eigenen Augen beobachtet haben soll, machte das Werk mit dem Alltagshelden populär. Der Kontrast zwischen männlicher Stärke und mädchen- hafter, von überwundener Todesgefahr überschatteter und somit in der Fragilität gesteigerter Geschmeidigkeit ist das eigentliche Thema der Gruppe. Der von Gladenbeck im Wachsausschmelzverfahren hergestellte Bronzeguss wurde für die Nationalgalerie in Auftrag gegeben. Das schon 1888 angekaufte Gipsmodell wurde im Gegenzug an den Künstler zurückgegeben.

Reinhold Felderhoff: Diana, 1898 (Guss 1910) B I 300; Bronze Das Motiv der Diana (bzw. Artemis), der Jagdgöttin, die sich mit einem Band den Köcher anlegt und mit hoch gebundenen Sandalen bekleidet ist, war erstmals 1898 als Statuette auf der Großen Berliner Kunstausstellung ausgestellt. Das Werk verbindet Einflüsse der Begas-Schule, die beispielsweise an der weichen Modellierung des Haars erkennbar ist, mit secessionistischen Tendenzen zur Ausdrucksplastik. Die beruhigte, vom Neobarock Reinhold Begas’ abgehende

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Geschlossenheit von Bewegung und Kontur weist auf Werke Kolbes und Klimsch voraus.

August Gaul: Löwe, 1904

B I 211; Bronze Seit der ersten Ausstellung beim Deutschen Künstlerbund in München 1904 ist dieser lebensgroße Löwe dank seiner erhabenen Ruhe und würdevollen Wach- heit ein gültiges Exemplum der Kunstauffassungen August Gauls und der ge- samten secessionistischen Plastik geworden. Kaum ein Bildhauer des 19. Jahr- hunderts hat sich in solcher Ausschließlichkeit und mit solcher schöpferischen Beharrlichkeit wie Gaul auf das Fach der Tierdarstellung konzentriert und dabei so nachhaltig gewirkt. In Gauls Auffassung des Löwen spielt die Konzentration auf formale Aspekte eine ganz besondere Rolle; alles Literarische, Anekdotische und Genrehafte bleibt ebenso streng ausgeklammert wie die herkömmliche ikonografische Be- deutung dieser Spezies als Wappentier oder als Herrschaftsmotiv. Die Aufmerk- samkeit des Betrachters wird ganz auf die formalen Qualitäten gelenkt, auf die klare, in die Ferne hin wirksame Silhouette und auf die geschlossene und beru- higte Gesamtform. Das für die Aufstellung im Freien bestimmte Werk besticht durch diese an Adolf von Hildebrand geschulte Formstrenge. Die Achsen sind klar ausgerichtet, die Volumina werden stärker betont als die Binnenmodellie- rung und die Oberflächenstrukturen sind frei von naturalistischer Detailimitation. Lediglich die Schäden, die die Patina durch die dauernde Bewitterung genom- men hat, trüben heute den Gesamteindruck, indem die Mischung von Schwarz- und Grünpatina die Lesbarkeit der Formen beeinträchtigt.

Max Klein: Herkules mit dem nemeischen Löwen,1878 (Guss wohl 1879) SKG 23/78; Bronze Die Vielfalt der Titel, unter denen diese furiose Gruppe firmiert, ist aufschluss- reich und lässt die intendierte Mehrdeutigkeit erkennen: „Germane, mit einem Löwen ringend“ spielt auf die vermeintliche germanische Kraft und Stärke an; „Germane im römischen Circus“ bringt die Germanen in die Rolle der Verfolgten: „Löwenkämpfer“ ist wertneutral und betont die menschliche Kraft und den Wa- gemut im Kampf gegen die wildeste Natur; „Herkules mit dem nemeischen Lö- wen“ verbrämt das Geschehen mythologisch. Vergleichbare Darstellungen mit „Germanen im Kampf finden sich im 19. Jahrhundert wiederholt. Sie stehen oft- mals, wie etwa August Fischers „Kampf eines Germanen gegen einen römi- schen Legionär“ von 1838 in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam zeigt, als allegorische Formel für den Akt einer nationalen Selbstbe-

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hauptung gegen vermeintliche Überfremdung. Die komplizierte Komposition zeigt einen athletischen Männerakt und einen den

Rachen aufreißenden Löwen, die solcherart verschlungen sind, dass sich die

Gruppe nur im Umschreiben erschließt. Sie besteht aus den Hauptmassen der

Rümpfe und den vielfältig auseinander strebenden Gliedmaßen, die sich erst bei sorgfältiger Betrachtung der jeweiligen Figur zuordnen lassen: Das Chaos als kompositorisches Prinzip dient dazu, einen filmisch-dynamischen Effekt zu er- zeugen. Dies lag ganz in der Natur neobarocker Vitalität. Max Klein hatte dieses Prinzip bei seinem Lehrer Reinhold Begas gelernt, der ihn auch bei der Entste- hung des „Herkules mit dem nemeischen Löwen“ unterstützte. Die zwischen neobarocker Turbulenz und naturalistischer Detailtreue changie- rende Gruppe des Männeraktes mit dem Löwen zeigt Kleins erstaunliche künst- lerische Souveränität und begründete nicht zuletzt durch Ausstellungen in Paris, München und Wien als ein herausragendes Erstlingswerk seinen Ruhm.

Ferdinand Lepcke: Bogenspannerin, 1905/1906 (Guss spätestens 1909) B I 295; Bronze Säulenhaft erhebt sich über kleiner runder Plinthe ein streng gezeichneter, in strenger Rechtwinkligkeit klar ausgerichteter weiblicher Akt mit gespanntem Bogen. Der Titel dieses Werkes variiert: In einem Zeitungsausschnitt unbekann- ter Herkunft im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin heißt es „Amazo- ne“, während in jüngerer Literatur auch von „Diana“ gesprochen wird. Der ur- sprüngliche, gar nicht literarisch ambitionierte Titel lässt mit seiner deskriptiven Indifferenz hingegen bewusst allen Assoziationen freien Raum. Dass es sich um einen amazonenhaft wehrhaften Frauentyp handelt, ist unschwer erkennbar, und auch der kühl fixierende Blick zeigt eine Entschlossenheit, wie sie jenen antiken Kriegerinnen nachgesagt wurde. Die Konzentration auf eine Hauptansicht, die streng ausgerichtete Komposition und die starke formale Beschränkung verraten den Einfluss der Kunsttheorie Adolf von Hildebrands, deren Rezeption um 1900 einen Höhepunkt erreicht hat- te. Während andere weibliche Statuen Lepckes teilweise stärker lyrischen Cha- rakter tragen, konzentriert sich Lepcke hier auf eine herbe Strenge. Die Entstehung der Figur ist nicht genau geklärt. Vermutlich entstand das Mo- dell entgegen anderslautender Stimmen erst um 1905/06, zumal die Figur auf der Berliner Ausstellung von 1906 gezeigt wurde. das Werk war schon früher in den Außenanlagen der Berliner Museumsinsel ausgestellt, wo es im Kontext mit der „Amazone zu Pferde“ von Louis Tuaillon vor der Nationalgalerie und mit der „Amazone“ von August Kiß am Alten Museum wahrgenommen werden konnte.

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