„Haltung Und Herz“
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INTERVIEW „Haltung und Herz“ Über Charisma, politische Zielstrebigkeit und liberalkonservative Wertvorstellungen anlässlich des 100. Geburtstages von Alfred Dregger DIETER WEIRICH Geboren 1944 in Sülzbach, Journalist, Dieter Weirich: Der Lieblingssatz von Medien- und Kommunikationsberater, Alfred Dregger bei Wahlversammlungen 1969 bis 1971 Persönlicher Referent lautete: Der Mittelpunkt des Menschen ist Alfred Dreggers, 1972 bis 1980 Sprecher nicht der Kopf, sondern das Herz. Des- des Präsidiums und der Landtags- halb habe ich den Begriff „Herz“ neben fraktion der CDU Hessen, 1974 bis 1980 dem Begriff „Haltung“ verwendet. Hal- Mitglied des Hessischen Landtages, tung stand bei Dregger für konsequente 1980 bis 1989 Mitglied des Deutschen Positionen in zentralen Fragen deutscher Bundestages, 1989 bis 2001 Intendant Politik und für Unbeirrbarkeit in seiner der „Deutschen Welle“, 2002 bis 2011 politischen Linie. Das Wort „Herz“ drückt Direktor Konzernkommunikation Mut und Empathie gleichermaßen aus. Fraport. Als Alfred Dregger, der am 10. Dezem- Sie haben 2019 eine Biographie über ber 2020 seinen 100. Geburtstag gefei- Alfred Dregger mit dem Untertitel ert hätte, im Juni 2002 verstarb, wür- „Haltung und Herz“ vorgelegt. Wofür digte Helmut Kohl ihn als standhaften steht er? und wertorientierten Konservativen. 98 Die Politische Meinung Alfred Dregger als Oberbürgermeister der Stadt Fulda, aufgenommen im Dezember 1967. Foto: © picture-alliance/dpa Was macht einen solchen Konserva- Nach dem Besuch des Marien-Gymna- tiven aus? siums in Werl wurde Dregger 1939, mit achtzehn Jahren, zur Wehrmacht ein- Dieter Weirich: Dregger hat gern den gezogen. Inwieweit hat ihn das Solda- Schauspieler Hans Moser zitiert, der ge- tische geprägt? sagt hat: „Wer im Leben zurechtkommt, ist immer konservativ.“ Für Dregger wa- Dieter Weirich: Das spielte eine zentrale ren die Konservativen die eigentlichen Rolle, denn der Leitsatz für Dreggers poli- Reformer, also das Bewahrenswerte zu tisches Wirken, ob in der Außen-, Europa- pflegen, die Tradition zu erhalten und oder Innenpolitik, lautete „Nie wieder gleichzeitig Neuem gegenüber aufge- Krieg!“ Dregger hatte den Krieg in seinen schlossen zu sein. Insofern würde ich schlimmsten Auswirkungen persönlich Dregger lieber als modernen Liberalkon- erfahren. Er war mehrfach schwer kriegs- servativen bezeichnen. Die Medien und verwundet und gehörte zu der Genera- der politische Gegner haben ihn zum Teil tion, die von Hitler um ihre Jugend betro- als restaurativ und Ewiggestrigen abzu- gen worden war. werten versucht. Er war das Gegenteil, ein Für ihn war aber wichtig, dass die moderner Liberalkonservativer mit dem deutsche Wehrmacht nicht dasselbe wie Anspruch des Erneuerers. der Nationalsozialismus war. Er wollte es 99 Nr. 565, November/Dezember 2020, 65. Jahrgang Interview nicht zulassen, dass seine Kameraden dif- Das war in der Zeit des Kalten Krie- famiert wurden. Deshalb gab es auch die ges … Auseinandersetzungen um die Wehr- machtausstellung. Aber der Leitsatz sei- Dieter Weirich: Bis zur Wiedervereini- nes ganzen politischen Lebens hieß: „Nie gung prägte der Ost-West-Konflikt das po- wieder Krieg! Und ich möchte meinen litische Koordinatensystem. Dregger war Kindern eine Republik übergeben kön- ein entschiedener Antikommunist, dem nen, die in Freiheit und Frieden lebt.“ politische Gegner einen primitiven Anti- kommunismus vorwarfen. Dreggers Ant- Zu den Themenschwerpunkten Alfred wort darauf war sehr einfach: Wer sich mit Dreggers gehörte die Außen- und Si- sozialistischen Diktaturen auseinander- cherheitspolitik. Er forderte innerhalb setzt, die den Schießbefehl an der Mauer der Europäischen Gemeinschaften ausgeben, der kann nie primitiv sein. Viel- eine Europäische Sicherheitsunion als mehr tritt er für die Freiheit ein. Außerdem starken europäischen Pfeiler der NATO; gehörte Dregger zu den Transatlantikern, ein Gedanke, der aus heutiger Sicht er war ein Mann, der für die Stärkung der hochaktuell wirkt. NATO eintrat. Dieses politische Vermächt- nis ist gerade heute von Relevanz. Dieter Weirich: Helmut Kohl hat in einer Würdigung gesagt: Alfred Dregger ist ein Alfred Dregger war von 1967 bis 1982 deutscher Europäer von Format und ein Landesvorsitzender der CDU in Hes- europäischer Deutscher. Tatsächlich war sen. Bei Amtsantritt lag dort der Stim- er stark europäisch orientiert und gehörte menanteil der Union bei 26,4 Prozent. beispielsweise schon in jungen Jahren In wenigen Jahren konnte sich die dem Jean-Monnet-Komitee [„Aktions- CDU bei der Landtagswahl im Jahr komitee für die Vereinigten Staaten von 1974 auf 47,5 Prozent steigern. Was war Europa“, Anmerkung der Redaktion] an, das Erfolgsrezept? das sich für die Einigung Europas stark- gemacht hat. Dort hat er auch mit Leuten Dieter Weirich: Das Erfolgsrezept war zusammengearbeitet, die später zu schar- Alfred Dregger als Person, weil er Verän- fen politischen Gegnern wurden, etwa mit derung ausstrahlte. Die hessische CDU Egon Bahr. Seine politische Linie war ein war bis zu diesem Zeitpunkt eine schläfri- „Europa der Vaterländer“ von Polen bis ge Sonntagsschulklasse, das Sorgenkind nach Portugal. Er trat dafür ein, bestimm- Konrad Adenauers. Hessen galt als sozial- te Aufgaben künftig einer europäischen demokratisches Musterland. Daher war es Union zu übertragen und bestimmte Auf- wichtig, einen Mann zu finden, der an der gaben in der Verantwortung der National- Spitze die Kraft der Veränderung aus- staaten zu belassen. Die Zusammenarbeit strahlt, denn daran hat die kleinmütige in der Sicherheitspolitik auf europäischer Partei damals selbst nicht mehr geglaubt. Ebene war für ihn besonders wichtig. Dregger wurde im Dezember 1967 Aber er wollte auch, dass sich eine intakte auf einem Landesparteitag in Eltville zum deutsche Nation innerhalb dieses Europas Vorsitzenden gewählt. Der „Geist von selbstbewusst präsentiert. Eltville“ war geboren, und dieser „Geist“ 100 Die Politische Meinung „Haltung und Herz“, Dieter Weirich vermittelte eine ungeheure Aufbruchs- später kam Franz Josef Strauß; die Union stimmung in der hessischen Union. Es hatte damals nach einem Siegertypen ge- kamen andere Faktoren hinzu: Die Sozial- sucht. Im Rückblick hat Dregger einmal demokraten waren nach langer Regie- gesagt, er glaube, sein historisches Ver- rungszeit abgenutzt, sie hatten keinen dienst sei es, in Hessen für einen Macht- Fehler ausgelassen, waren in Skandale ausgleich gesorgt zu haben. Dass also in und Affären verstrickt. Außerdem hatte Hessen der Wechsel vorstellbar wurde, sich der „große alte Mann“ der hessischen was dann ja auch geschehen ist. Sozialdemokratie, Georg August Zinn, aufs Altenteil verabschiedet. Erst 1987 wurde der Christdemokrat Auch die Wählerlandschaft war in Walter Wallmann Ministerpräsident Bewegung: Die Nationalliberalen, die in von Hessen, ab 1999 Roland Koch, und Nordhessen stark waren, sind nach der heute ist es Volker Bouffier. Muss man Hinwendung der FDP zur SPD zu uns ge- nicht aus der Rückschau sagen, dass wandert. Uns gelangen sogar Einbrüche Alfred Dregger diesen christdemokra- in die sozialdemokratische Arbeitnehmer- tischen Ministerpräsidenten den Weg schaft, insbesondere in Südhessen im geebnet hat? Frankfurter Bereich. Zudem wurde die NPD, die 1966 in den Hessischen Land- Dieter Weirich: Das ist völlig richtig! tag gelangt war, bei der Landtagswahl Walter Wallmann und Roland Koch ha- 1970 unter die Fünf-Prozent-Grenze ge- ben in vielen Reden deutlich gemacht, drückt. dass sie auf den Schultern von Dregger stehen. Ohne Dreggers Leistungen wäre Dennoch konnte Dregger weder gegen die hessische CDU nicht die inzwischen Albert Osswald, 1970 und 1974, noch angestammte Regierungspartei. gegen Holger Börner, 1978 und 1982, Dregger hat die politische Landschaft eine Regierungsmehrheit erlangen. insgesamt umgepflügt. In den wichtigsten Warum tat sich die CDU so schwer? Städten stellten wir damals auch die Ober- bürgermeister, und in Frankfurt haben Dieter Weirich: Wir brauchten im Drei- wir die Kommunalwahlen sogar mit abso- Parteien-System die FDP, die trotz vieler luter Mehrheit gewonnen. Wallmann wur- Niederlagen unverrückbar an der Seite der de dort Oberbürgermeister. Wiesbaden SPD stand. Es galt, die Bonner Regierung haben wir für uns gewonnen, später sogar durch eine sozialliberale Koalition auf Kassel, mit Georg Lewandowski. Damals Landesebene zu stabilisieren. So gab es hat die hessische CDU die SPD als stärkste einen unauflösbaren Zusammenhang zwi- Kraft sowohl kommunal als auch im Land schen der Landes- und der Bundesebene, abgelöst. weil die hessischen Landtagswahlen für die bundespolitische Entwicklung immer Die Mitgliederzahlen der hessischen entscheidend waren. Wenn Dregger 1978 Union stiegen unter dem Vorsitz Dreg- die Wahl gewonnen hätte, wäre er wahr- gers von 22.000 auf 71.000. Ohne „Cha- scheinlich Kanzlerkandidat geworden. risma“ der Führungsperson ist das Kohl war 1978 angeschlagen. Zwei Jahre vermutlich nicht zu erklären. 101 Nr. 565, November/Dezember 2020, 65. Jahrgang Interview Dieter Weirich: Dregger hatte persönli- dem Ergebnis, dass ich so ein bisschen chen Charme, verbunden mit Zielstrebig- Mädchen für alles sein sollte, sein Persön- keit. Sein Charisma war das, was viele Po- licher Referent, aber im Wesentlichen war litiker nicht haben, weil sie die zwei Worte es Pressearbeit und die Begleitung im „Ich will!“ nicht kennen. Für Dregger war Wahlkampf. völlig klar, er will nicht von 26 auf 29 oder Mit Dregger habe ich mich sofort sehr 32 Prozent kommen, sondern er will regie- gut verstanden. Er hat mir vertraut, meine