Zu Gast Bei Lobbyisten Im Wahlkampf
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PD Dr. Stephan Bröchler Hessen wählt! Ministerpräsidentendemokratie, politische Kipppunkte und neue Koalitionsmärkte Eine Hintergrundanalyse 10. September 2013 Redaktion Herausgeber (V.i.S.d.P.) Matthias Bianchi, M.A. Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte Tel. +49 (0) 203 / 379 - 4106 Fax +49 (0) 203 / 379 - 3179 Redaktionsanschrift [email protected] Redaktion Regierungsforschung.de NRW School of Governance Wissenschaftliche Koordination Institut für Politikwissenschaft Kristina Weissenbach, M.A. Lotharstraße 53 Tel. +49 (0) 203 / 379 - 3742 47057 Duisburg Fax +49 (0) 203 / 379 - 3179 Tel. +49 (0) 203 / 379 - 2706 [email protected] Fax +49 (0) 203 / 379 – 3179 [email protected] Sekretariat Anita Weber Tel. +49 (0) 203 / 379 - 2045 www.nrwschool.de Fax +49 (0) 203 / 379 - 3179 www.forschungsgruppe-regieren.de [email protected] www.politik.uni-duisburg-essen.de Regierungsforschung.de Hessen wählt! Ministerpräsidentendemokratie, politische Kipppunkte und neue Koalitionsmärkte Eine Hintergrundanalyse Von PD. Dr. Stephan Bröchler 1 In den Medien nimmt die Wahl zum Deutschen Bundestag am 22. September 2013 breiten Raum ein. Im Windschatten erfolgt die Neuwahl des hessischen Landtags in Wiesbaden, die am gleichen Tag stattfindet. Von der Wahl des Landesparlamentes gehen bedeutsame Weichenstellungen sowohl für die Landes- als auch für die Bundespolitik aus. In Hessen wird es spannend, denn die Mehrheiten sind knapp und es ist offen, ob SPD und Grüne einen Machtwechsel herbeiführen können oder CDU und FDP den Machterhalt sichern können. Dabei ist es offen, wie viele Parteien im Landtag vertreten sein werden und welche. Unsicher ist der Wiedereinzug der FDP und der Partei Die Linke. Möglich ist, dass die AfD (Alternative für Deutschland) und/oder die Piraten den Sprung über die 5% Klausel schaffen. Die Landtagswahl wird auch zeigen, ob die CDU im Bundesrat weiter marginalisiert wird, sie stellt nur noch fünf von 16 Länderchefs. Der folgende Beitrag vermittelt aus politikwissenschaftlicher Sicht wichtiges Hintergrundwissen zu den Besonderheiten des Regierungs- und Parteiensystems zur Hessenwahl. Aktuelle demoskopische Prognosen vermitteln kurzlebige Trends über die Entwicklung der parteipolitischen Machtverhältnisse. Demgegenüber untersucht der Beitrag längerfristige Veränderungen, in denen das Parteiensystem einen deutlichen Wandel erfahren hat.2 Der hessische Ministerpräsident: Entscheider, Machtmakler und Moderator Die Wahlplakate mit den Portraits des amtierenden Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) und seines Herausforderers Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) vermitteln eine klare Botschaft: Auf den Ministerpräsidenten kommt es an! Der Ministerpräsident erscheint als „Gesicht“ des Bundeslandes und politischer „Macher“, der entscheidet, welche Politik im Land in den kommenden vier Jahren verfolgt wird. Im Folgenden werden die Handlungsspielräume des hessischen Ministerpräsidenten dargelegt. Das Bundesland Hessen lässt sich aus politikwissenschaftlicher Sicht als Ministerpräsidentendemokratie einordnen. Der Begriff bringt die herausgehobene Rolle des Ministerpräsidenten für das gesamte Regierungsgeschehen des Landes und zugleich seine 1 PD Dr. Stephan Bröchler ist Senior Researcher an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen und Privatdozent für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Fernuniversität in Hagen. Arbeitsschwerpunkte sind das politische System Deutschlands und Vergleichende Regierungslehre: Regierungsforschung, informelles Regieren, Parlamentarismus, Politikberatung und Medien. Kontakt: [email protected] 2 Zur besseren Lesbarkeit wurde auf Literaturhinweise und Fußnoten verzichtet. Ausgewählte weiterführende Literatur findet sich am Ende. 2 Regierungsforschung.de Einbindung in die moderne parlamentarische Parteiendemokratie zum Ausdruck. Der Ministerpräsident wird nicht in direkter Wahl von den Hessen gewählt, sondern in einer eigenständigen Wahl, durch die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten des Hessischen Landtags bestimmt. Die Macht des Ministerpräsidenten speist sich besonders aus drei Quellen: Der Amtsinhaber ist zugleich Staatsoberhaupt des Föderalstaats, Regierungschef und in aller Regel auch Vorsitzender seiner Partei in Hessen. Damit kommen ihm umfangreiche und bedeutsame formale und informale Handlungsressourcen für die politische Willensbildung, Entscheidungsfindung und -umsetzung zu. Die Rolle des Staatsoberhauptes verschafft dem Amt des Ministerpräsidenten hohes öffentliches Prestige. In seiner Funktion als Regierungschef kommt ihm eine maßgebliche Rolle zu: die Grundsätze und Ziele der Politik der Landesregierung zu gestalten. Die „Richtliniengewalt“ (Artikel 102 HessVerf.) ist jedoch kein hierarchisches Steuerungsinstrument. Denn die Minister seines Kabinetts sind nicht bloße Befehlsempfänger des Regierungschefs, sondern verantworten, im Rahmen des Ressortprinzips, ihren Zuständigkeitsbereich eigenständig (Artikel 102 HessVerf.). Alleinentscheider der Regierung ist der Landeschef auch aufgrund des Kollegialprinzips nicht. Es besagt, dass Ministerpräsident und Kabinett eine Handlungseinheit bilden, die auf gemeinsam gefällten Entscheidungen als Landesregierung beruhen. Nur bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. Im Blick auf die formal-rechtlichen Handlungsspielräume des hessischen Ministerpräsidenten zeigen sich interessante Besonderheiten des Regierungssystems. Denn die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs wird durch Mitbestimmungsrechte des Hessischen Landtags und der Landesregierung eingeschränkt. 1) Zunächst wird der Ministerpräsident durch den hessischen Landtag gewählt (Artikel 101, Absatz 1 HessVerf.). Daraufhin ernennt er die Minister (Artikel 102, Absatz 2 HessVer.), die jedoch noch nicht regieren dürfen. Erst wenn der Landtag der Landesregierung in einer erneuten Abstimmung das Vertrauen ausgesprochen hat, darf sie die Arbeit aufnehmen (Artikel 101, Absatz 4 HessVerf.). Das stärkt de facto die Mehrheitsfraktion(en) im Parlament gegenüber der Regierung. 2) Der Ministerpräsident kann einen Minister nicht eigenständig abberufen. Auch darüber muss der Landtag beschließen (Artikel 112 HessVerf.). Hat der Regierungschef daraufhin einen neuen Minister ernannt, so muss er wiederum einen Beschluss des Parlaments herbeiführen, der nicht nur dem Nachfolger des Ressortchefs, sondern der gesamten Landesregierung das Vertrauen ausspricht. 3) Eine bedeutsame Einhegung erfährt auch das Organisationsrecht des Ministerpräsidenten. Nicht der Ministerpräsident, sondern die gesamte Landesregierung als Kollegialorgan entscheidet über die Zuständigkeit der Ministerien und damit über den Zuschnitt der Landesregierung (Artikel 104, Absatz 2 HessVerf.). Damit werden die Einflussrechte des Kabinetts als Willensbindungs- und Entscheidungsorgan gestärkt. 3 Regierungsforschung.de Dritte Machtquelle – neben der Doppelfunktion von Staatoberhaupt und Regierungschef – ist die starke parteiliche Verankerung des Ministerpräsidenten. In aller Regel ist er Vorsitzender des Landesverbandes seiner Partei. Damit nimmt er maßgeblich Einfluss auf die Programmatik und das politische Führungspersonal von Partei und Regierung. Durch den Koalitionsausschuss erfährt der Ministerpräsident jedoch eine Einhegung seiner Handlungsspielräume. Es handelt sich um ein informales Gremium, das sich im Verfassungstext nicht findet und dem dennoch – neben der Landesregierung – eine wichtige Bedeutung für die Regierungsarbeit zukommt. Der Ausschuss setzt sich in der Regel aus dem Ministerpräsidenten, Kabinettsmitgliedern sowie Spitzenvertretern von Partei und Mehrheitsfraktionen zusammen. Der Koalitionsausschuss definiert maßgeblich die Handlungsspielräume des Ministerpräsidenten. So erarbeitet das Gremium den Koalitionsvertrag die Geschäftsgrundlage der Regierungsarbeit und übernimmt während der Regierungszeit wichtige Steuerungs- und Koordinationsaufgaben, z.B. bei Differenzen innerhalb des Regierungslagers. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der hessische Ministerpräsident besonders aufgrund der Kopplung der Ämter von Staatsoberhaupt, Regierungschef und Parteivorsitz strukturell ein machtvoller Landeschef ist. Gleichzeitig muss er im Zusammenspiel von Richtlinienkompetenz, Kabinett, Fraktion und Partei seine Handlungsspielräume stets auf Neue aushandeln. Kipppunkte: Entwicklungslinien und Veränderungen des hessischen Parteiensystems Wer am 22. September als Erstwähler seinen Stimmzettel bei der Wahl zum Hessischen Landtag abgibt, hat im Wesentlichen christdemokratische Ministerpräsidenten erlebt. Seit 1999 stellt die CDU die Landeschefs. Der Blick auf die längerfristige Dynamik des Parteiensystems zeigt jedoch, dass vielmehr die SPD über die längste Zeit die Politik des Landes bestimmte. Seit der ersten Landtagswahl in Hessen im Jahre 1946 bis heute haben die Sozialdemokraten insgesamt fast 49 Jahre regiert. Davon stellte die SPD ununterbrochen knapp 41 Jahre in Alleinregierung oder wechselnden Koalitionen den Ministerpräsidenten. Fünf von insgesamt acht Länderchefs waren Sozialdemokraten. Auf Christian Stock (1946-1950) folgten Georg August Zinn (1950-1969), Albert Osswald (1969-1976), Holger Börner (1976-1987) und Hans Eichel (1991-1999). Demgegenüber bringt es die CDU, wenn die Legislaturperiode im Januar 2014 endet, auf 19 Jahre Regierungszeit, davon 15 Jahre ohne Unterbrechung. Bisherige christdemokratische Ministerpräsidenten waren Walter Wallmann (1987-1991), Roland Koch (1999-2010) und seit dem 31. August 2010 Volker Bouffier.