Blickpunkt Hessen 17
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Hessische Landeszentrale für politische Bildung Blickpunkt Hessen Walter Mühlhausen Christian Stock (1884–1967) Arbeiterführer Sozialpolitiker Ministerpräsident Nr. 17 / 2013 Christian Stock (1884–1967) – Arbeiterführer, Sozialpolitiker, Ministerpräsident Prof. Dr. Walter Mühlhausen (geb. 1956 in Eichenberg/Nordhessen), Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, lehrt nebenberufl ich als apl. Professor an der Technischen Universität Darmstadt und ist u.a. Mitglied der Kommission für Politische und Parlamentarische Geschichte des Landes Hessen beim Hessischen Landtag. Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der HLZ dar. Für die inhaltlichen Aussagen trägt der Autor die Verantwortung. Blickpunkt Hessen In dieser Reihe werden gesellschaftspolitische Themen als Kurzinformationen aufgegriffen. Zur Themenpalette gehören Portraits bedeutender hessischer Persönlichkeiten, hessische Geschichte sowie die Entwicklung von Politik und Kultur. Die Schriftenreihe „Blickpunkt Hessen“ erscheint als Eigenpublikation der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Taunusstraße 4–6, 65183 Wiesbaden Herausgeberin: Angelika Röming Gestaltung: G·S Grafi k & Satz, Wiesbaden, www.dr-g-schmidt.de Druck: dinges und frick GmbH, 65199 Wiesbaden Erscheinungsdatum: November 2013 Aufl age: 4.000 ISSN: 1612-0825 ISBN: 978-3-943192-16-2 Abbildung auf dem Titel: Christian Stock in seiner Zeit als Ministerpräsident (1947). Christian Stock (1884–1967) Arbeiterführer, Sozialpolitiker, Ministerpräsident Ein Stadion im südhessischen See- sicherungsanstalt Hessen. Er ist ein heim trägt seinen Namen; er ist bedeutender Fachmann mit großen Ehrenbürger von Darmstadt, See- Plänen. Auf seinem Posten ist er heim, Pfungstadt und Bad Orb; eine unersetzlich, kein Mensch dachte Stiftung ist nach ihm (und seiner daran, ihn zum Ministerpräsidenten Frau) benannt. Doch gehört er nicht zu machen.“1 zu den Männern der Geschichte, Nun, eine in letzter Minute ge- die im historischen Bewusstsein fundene Notlösung war Christian verankert sind, auch nicht im Land Stock gewiss nicht, zählte er doch Hessen: Christian Stock, der erste zu den Politikern der ersten Stunde demokratische Ministerpräsident im Nachkriegshessen. Er konnte zu- des Landes von 1946 bis 1950. dem auf einen beeindruckenden „Der Spiegel“ wertete die Wahl politischen Aufstieg zurückblicken. des gebürtigen Darmstädters Seit mehr als 40 Jahren gehörte zum Ministerpräsidenten am 20. er der SPD an, hatte seine Karriere Dezember 1946 doch als eine kleine ganz unten begonnen. Er stand Überraschung; in seiner ersten für die Tradition der sozialdemo- Ausgabe 1947 kommentierte das kratischen Arbeiterbewegung, der Nachrichtenmagazin unter der er sich zeitlebens verpfl ichtet fühlte Überschrift „Kandidat der letzten und die sein politisches Zuhause Stunde“: „Sein Name fi el ganz zum von Jugendjahren an war. Er durch- Schluss der Präsidentendebatte, lief den dornenreichen Weg vom aber im gleichen Augenblick war Arbeiter zum Arbeitervertreter im auch schon sicher, dass man ihn Betrieb, dann zum Gewerkschafts- wählen würde. Die SPD hatte funktionär und schließlich zum Ab- sich plötzlich auf den Sohn eines geordneten und repräsentierte Zigarrenwicklers geeinigt, der es jene steil in der Hierarchie der bis zum Präsidenten der Landesver- Sozialdemokratie aufgestiegenen sicherungsanstalt gebracht hatte Parteiarbeiter, deren ehrenamt- – auf dem mühsamen und schließ- liches Engagement zu einer Fest- lich gefahrvollen Umweg der anstellung in den Organisationen politischen Karriere. […] Er diente der Arbeiterbewegung führte. sich in der Sozialdemokratie hoch, Stocks Werdegang war typisch wurde 1919 Mitglied der National- für die Mehrzahl der führenden versammlung, 1922 Direktor der sozialdemokratischen Funktionäre Ortskrankenkasse in Heidelberg seiner Generation, die, sozialisiert und zog zehn Jahre später in jenen im wilhelminischen Kaiserreich, gewaltigen grauen Steinkasten am in jungen Jahren durch einen un- Main zu Frankfurt, der die dortige ermüdlichen Einsatz für die ge- Krankenkasse beherbergt. […] 1945 sellschaftlich ausgegrenzte Sozial- wurde er Präsident der Landesver- demokratie noch vor dem Ersten Blickpunkt Hessen – Christian Stock (1884–1967) 1 Weltkrieg in die Dienste dieser Be- Uhr“, wie der Geburtseintrag im wegung traten und in der ersten Standesamt vermerkt4 – als Sohn der Demokratie auf deutschem Boden verheirateten, von ihrem Ehemann gesamtpolitische Verantwortung jedoch getrennt lebenden Maria übernahmen. Magdalena Reß in Darmstadt ge- Mit diesem Karrieremuster ver- boren. Über sie hält das polizeiliche körperte Stock den in der Weimarer Melderegister fest: „Lebt in wilder Republik vorherrschenden Typus Ehe mit dem Cigarrenmacher Jakob des sozialdemokratischen Politikers. Stock.“ Dieser erklärte bei der An- Obwohl er am Ende des Zweiten meldung der Geburt gegenüber Weltkrieges sofort zur Stelle war, den Behörden, dass er das Kind um beim Neubau der Demokratie „als von ihm erzeugt, hiermit an- 5 mitzuhelfen, war er weithin un- erkenne“. Der junge Christian trug bekannt, als man ihn zum Minister- jedoch zunächst den Nachnamen präsidenten kürte. Damit krönte er der Mutter, ehe er kurz vor seiner seinen Weg, der auf der Schatten- eigenen Heirat 1908 den seines seite des Lebens begonnen hatte. Vaters annehmen sollte. Christian Stock wurde katholisch getauft, ging zur Kommunion und 1. Der Aufstieg zum wurde gefi rmt, trat später jedoch Arbeiterfunktionär nicht, wie eine Vielzahl von Sozial- demokraten seiner Generation, Seine Wiege stand in einer kargen aus der Kirche aus. Bald wurde die Wohnung in Darmstadt. „Die Ver- Familie auseinandergerissen, ver- hältnisse formen den Menschen“2 mutlich weil die kränkliche Mutter – so zitiert Christian Stock am nicht mehr in der Lage war, Haus- Lebensende einmal einen väter- halt und Kindererziehung zu be- lichen Freund aus Jugendtagen. wältigen. 1891 im Alter von nur 31 Der Schlüssel zum Verständnis des Jahren starb die Mutter; der junge Politikers Christian Stock liegt im Christian, nicht einmal sieben Jahre besonderen Maße in den Verhält- alt, kam einige Zeit zu Verwandten nissen von Kindheit und Jugend. Er nach Hanau und kehrte zu seinem durchlebte die entbehrungsreiche Vater zurück, nachdem dieser in Zeit eines Proletariersohnes im aus- Pfungstadt ansässig geworden gehenden 19. Jahrhundert: „Die war, dort Arbeit gefunden und ge- Jugend war nicht allzu sehr um- heiratet hatte. Damit hatte Stocks strahlt vom Glück“3, erinnert er sich unstete Kindheit ein Ende: Allein in nach dem Zweiten Weltkrieg an seinen ersten sieben Lebensjahren seine Kindheit in der Kaiserzeit. war die Familie siebenmal innerhalb Wenn das oft strapazierte und all- von Darmstadt umgezogen. zu leichtfertig bei Biografi en von Wechselnde Arbeitsverhältnisse Sozialdemokraten verwandte Wort, des Vaters hatten häufi ge Schul- dass der Protagonist von ganz wechsel des Sohnes zur Folge, unten gekommen sei, wirklich seine so dass sich sein Volksschul- Berechtigung besitzt, dann bei der besuch auf mehrere Orte – Darm- Beschreibung von Stocks Lebens- stadt, Hanau, Lorsch und Pfung- weg: Christian Stock wurde am 28. stadt – verteilte. Stock bezeichnete August 1884 – „vormittags um 8.00 sich selbst als „mittlerer bis guter 2 Blickpunkt Hessen – Christian Stock (1884–1967) Schüler“.6 Auch wenn er möglicher- grenzte und deren Mitglieder als weise die Eignung für eine weiter- „vaterlandslose Gesellen“ verfemt führende Schule besessen hat, so wurden. Das konnte seinen Eifer für stand der Besuch einer höheren die SPD jedoch nicht bremsen. Bildungsanstalt nicht zur Debatte, Stock gehörte zu den unzähligen denn die engen fi nanziellen Ver- kleinen Werbern, die sich ganz und hältnisse im Elternhaus erlaubten gar der sozialistischen Arbeiter- dies einfach nicht. Er musste zum bewegung verschrieben. Wie viele Lebensunterhalt der Großfamilie Arbeiterführer seiner Generation er- beitragen, die inzwischen auf zwölf warb er sich im Selbststudium um- Kinder angewachsen war. So be- fassende Kenntnisse auf politischem gann Stock 1898 mit 13 Jahren eine und sozialpolitischem Gebiet. Sein Lehre als Zigarrenmacher bei der unermüdlicher ehrenamtlicher Ein- Pfungstädter Firma Max Freund, satz führte wie bei zahlreichen wo auch sein Vater beschäftigt war. Agitatoren, die Zeit und Arbeits- Das war ein Beruf, so erinnerte er kraft für die Bewegung opferten, sich später, der ihm recht gut ge- auch bei Stock zu besoldeter Tätig- fi el. Neben der Lehre besuchte er keit. Wer sich jahrelang bewährt drei Jahre lang eine Fortbildungs- hatte, dem konnte man einen ver- schule. Nach Abschluss der Lehre antwortungsvollen Posten anver- 1901 blieb er in dem jüdischen trauen. So wurde er 1910 Leiter Familienunternehmen, wo ihn ältere des Tabakarbeiter-Verbandes für Kollegen an die Arbeiterbewegung Südhessen, Pfalz und Nordbaden, heranführten. Prägend war auch der der seinen Sitz im nordbadischen Einfl uss des Elternhauses. Sein ge- werkschaftlich organisierter Vater spielte in der Pfungstädter Sozial- demokratie durchaus eine Rolle. Lebensweg und Erfahrung be- stimmten also Stocks Weg in die sozialistischen Organisationen. Er war das Kind eines Arbeiters und selbst lohnabhängig beschäftigt; er hatte Benachteiligung und soziale Missstände am eigenen Leibe ge- spürt. Vor diesem Erfahrungs- horizont fand er geradezu zwangs- läufi g seine politische Heimat in der sozialdemokratischen Bewegung, die das Los der Arbeiterschaft sozial und politisch verbessern wollte. Im Juli 1901, mit 16 Jahren, trat Stock der