Stefan Marx Stiftung von Landesbewusstsein das Beispiel des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten

I. Die Bemühungen zur Stiftung eines nordrhein-westfälischen Landesbewusstseins zählen zu den bedeutendsten politischen Initiativen von Franz Meyers während seiner Ministerpräsidentschaft. Bevor die verschiedenen Versuche zur Stiftung eines Landesbewusstseins vorgestellt werden, soll zunächst der Frage nachgegangen werden, warum sich Meyers mit dieser Thematik überhaupt auseinander gesetzt hat. Bei der Suche nach einer Antwort wird man auf seine Grundüberzeugung stoßen, dass Nordrhein-Westfalen als nach Bevölkerungsdichte und Wntschaftskraft wichtigster Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland nur bestehen könne, wenn er innerlich fest gegründet sei, d.h. im Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bevölkerung, von Rheinländern und Westfalen.' Die Voraus­ setzung hierfür sah Meyers gegeben, da die Bildung eines Bundeslandes aus dem rheinischen und dem westfälischen Raum ,,keine historische und politische Widernatürlichkeit"2 bedeute. Nordrhein­ Westfalen sei eben kein künstliches, willkürlich zusammengefügtes staatliches Gebilde. Es gelte, in Erinnerung zu rufen, was in Vergessenheit geraten sei, dass nämlich die rheinische und die westfälische Landschaft in Geschichte und Kultur vieles gemeinsam hätten. 3 Insbesondere glaubte er, dass die wirtschaftlich-soziale Entwicklung in dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet die stärkste Klammer für das Zusammenwachsen der beiden Landesteile darstelle.4 Meyers beurteilte also die Voraussetzungen zur Bildung eines nordrhein-westfälischen Landesbewusstseins günstig. Seine diesbezüglichen Initiativen waren eingebunden in seinen Einsatz für die bundesstaatliche Ordnung. Im Rahmen der Bemühungen zur Hebung des Landesbewusstseins unterstrich Meyers sein Bekenntnis für das bundesstaatliche Prinzip und damit für eigenständige Länder mit Staatscharakter. Im Landtag kleidete er im Oktober 1960 dieses Bekenntnis in folgende Worte: ,,Die Staatlichkeit unseres Landes werde ich bis zum letzten verteidigen und vertreten. "5 In derselben Debatte erklärte er ebenso deutlich, dass Staatsbewusstsein ein konstitutives Element des Staatsbegriffs sei, denn „ein Staat ohne Staatsbewußtsein seiner Bevölkerung ist gar kein Staat. "6 Deshalb bemühte sich Meyers während seiner Ministerpräsident~ schaft um die Bildung eines nordrhein-westfälischen Landesbewusstseins. Er versuchte, ,,das

1 Vgl. Ansprache von Franz Meyers im Westdeutschen Rundfunk am 07.03.1961, S.10, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung (ACDP), ACDP 1-032-002. 2 Ebd., S. 8. 3 Vgl.ebd., S.4. 4 Vgl. ebd. 5 Landtag Nordrhein-Westfalen (LT NRW). 4. Wahlperiode. 48. Sitzung am 18.10.1960, S. 1717. 6 Ebd.

Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 16 (2001), S. 7-19. © Rheinland-Verlag GmbH, Köln. ISSN 0930-3286.

7 Stefan Marx wirtschaftlich-soziale Zusammenleben der Menschen unseres Landes fortzuentwickeln zum ge­ meinsamen Bewußtsein gliedstaatlicher Zusammengehörigkeit im Lande Nordrhein-Westfalen."7 D.h. Landesbewusstsein äußerte sich für Meyers in dem von Wolfram Köhler beschriebenen „Solidaritätsgefühl", demzufolge sich die Bürger zu dem Land, in dem sie geboren sind und leben, bekennen und damit dessen Staatlichkeit akzeptieren.8 Der zweite Grund, weshalb er sich bei der Förderung eines Landesbewusstseins so sehr enga­ gierte, lag im menschlich-persönlichen Bereich. Die Ehe von Meyers blieb ungewollt kinderlos. Darunter litt er, worüber er auch in der ihm eigenen Offenheit im kleineren Kreise sprach. Hierfür ein Beispiel: 1961 wurde die Stiftung „Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen" gegründet. In dem Kuratorium der Stiftung saßen u.a. der Ministerpräsident als Vorsitzender und Vertreter der Landtagsfraktionen, zu denen auch gehörte, der im Zeitzeugengespräch Folgendes schilderte: ,,Die Sitzungen des Kuratoriums dauerten nicht lange, anschließend bat Meyers zum Abendessen mit Altbier. Wenn Meyers dann ein bisschen gelockert war aufgrund von Speisen und Getränken, wurde sein großes Problem offenbar, nämlich seine Kinderlosigkeit. Weil er, der Sohn eines kleinen Polizisten aus Mönchengladbach, das Gefühl hatte, er müsse überleben, sein Andenken, sein Name, ergriff er die Initiative zur Errichtung der Landeskunstsammlung, zur Schaffung eines großen Landeswappens, zur Stiftung eines Landesordens. Meyers sagte dies dann auch: 'Ich mache das, weil mein Name in der Geschichte des Landes bleiben soll, denn ich habe keine Kinder.'" 9 Wie wichtig es für Meyers war, dass sein Name in der Geschichte fortlebte, unter­ streichen nachstehende Ausführungen aus seinen Memoiren: Der Beschluss des Stadtrats von Mönchengladbach aus dem Jahre 1978, dem Gymnasium im Stadtteil Giesenkirchen den Namen ,,Franz-Meyers-Gymnasium" zu geben, erfreute Meyers außerordentlich, weil „mein Name wei­ terleben wird, auch wenn uns Kinder versagt blieben." 10 Bei der Antwort auf die Frage nach den Motiven für die Bemühungen von Meyers zur Stiftung eines besonderen Landesbewusstseins ist sowohl von Landesbewusstsein als auch von Staatsbewusstsein gesprochen worden. Für ihn war Landesbewusstsein gleich Staatsbewusstsein. 11 Argumentierte er streng staatsrechtlich, sprach er von Staatsbewusstsein, in der allgemeinen politischen Diskussion redete er von Landesbewusstsein.

II.

Wie war es um ein nordrhein-westfälisches Landesbewusstsein bestellt, als Meyers 1958 Mi­ nisterpräsident wurde? Erste Initiativen zur Entwicklung eines nordrhein-westfälischen Be­ wusstseins und Selbstverständnisses gab es während der Ministerpräsidentschaft von .

7 WDR-Ansprache Meyers (wie Anm. !), S. 7. 8 Vgl. Wolfram Köhler: Landes bewußtsein als Sehnsucht, in: Peter Hüttenberger (Hrsg.): Vierzig Jahre Nordrhein-Westfalen. Historische Entwicklungen und Perspektiven des Landes, Düsseldorf 1986, S.171-185, hier: S. 172. 9 Zeitzeugengespräch Johannes Rau vom 12.09.1997. m Franz Meyers: gez. Dr. Meyers. Die Summe eines Lebens, Düsseldorf 1982, S. 598. 11 Vgl. LTNRW. 4. Wahlperiode.48. Sitzung am 18.10.1960, S. 1733.

8 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers

Arnold ging es darum, die Staatlichkeit Nordrhein-Westfalens zu betonen, was beispielsweise in der Umbenennung der Landeskanzlei in Staatskanzlei und der Ernennung der Ministerialdi­ rektoren zu Staatssekretären zum Ausdruck kam. 12 Zur Schaffung eines Bewusstseins, dass Nordrhein-Westfalen eine eigene Staatlichkeit besitzt und nicht lediglich eine Verwaltungseinheit des Bundes ist, sollten auch beitragen das „Gesetz über die Landesfarben, das Landeswappen und die Landesflagge" von 1953 und der „Große Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen", der im selben Jahr gestiftet wurde. 13 Das „Gesetz über die Landesfarben, das Landeswappen und die Landesflagge" trug die Handschrift von Meyers, der in seiner damaligen Funktion als Innenminister für dieses Gesetz zuständig war. Während der Ausschussberatungen hatte er sich vor allem mit der zentralistisch orientierten FDP auseinander zu setzen, die statt des bereits gebräuchlichen Grün-Weiß-Rot die Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold auch zu Landesfarben erklären wollte. 14 Doch Meyers konnte sich mit seiner Auffassung, dass „entsprechend unserer födera• listischen Verfassung Nordrhein-Westfalen besondere, von denen des Bundes unterschiedene Landesfarben haben solle", durchsetzen. 15 Mit der Übernahme der Ministerpräsidentschaft durch Franz Meyers wurden die Bemühungen zur Schaffung eines Landesbewusstseins intensiviert, der neue Ministerpräsident erklärte sie zu einem persönlichen Schwerpunkt seiner Regierungstätigkeit. 16 Meyers fühlte sich geradezu berufen, Landesbewusstsein zu stiften. 17 Der Schwerpunkt seiner diesbezüglichen Initiativen lag im Jahre 1960 im Zusammenhang mit der Feier des zehnten Jahrestages der nordrhein-westfälischen Landesverfassung am 11. Juli 1960. Dem Kabinettsbeschluss über das umfangreiche Programm für die Verfassungsfeierlichkeiten, das die Durchführung von Gedenkfeiern in den wissenschaft­ lichen Hochschulen, pädagogischen Akademien und Musikhochschulen, die Feier von Gottes­ diensten in den evangelischen und katholischen Kirchen, die Veranstaltung von Platzkonzerten durch Militär-, Polizei- und Feuerwehrkapellen, die Beflaggung sämtlicher Dienstgebäude und Sendungen des Schulfunks als Vorbereitung auf den 11. Juli 1960, der zum schulfreien Tag erklärt wurde, vorsah, waren als Ankündigung die Punkte 1 und 2 vorangestellt, im Landtag Anfang Juli 1960 einen Gesetzentwurf über die Schaffung eines großen Landeswappens einzubringen und durch Erlass der Landesregierung ein „Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Nordrhein­ Westfalen" zu stiften. 18 Hiermit sind zwei Vorhaben genannt, denen Meyers bei seinen Bemü• hungen zur Bildung eines nordrhein-westfälischen Landesbewusstseins eine zentrale Bedeutung zuerkannte, d.h. er versuchte, sein Ziel vor allem durch die Einführung äußerer Zeichen bzw. mit Hilfe staatlicher Symbole zu erreichen.

12 Vgl. Detlev Hüwel: Karl Arnold. Eine politische Biographie, Wuppertal 1980, S. 259. 13 Vgl. Köhler(wieAnm. 8), S. 178f. 14 Vgl. Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen (LA NRW), Hauptausschuß, 2.Wahlperiode, 32. Sitzung am 12.02.1953, S. 9f. 15 Protokoll CDU-Fraktionssitzung 09.02.1953, in: Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv (NWHStA), NWHStA RWN 207-1048. 16 Vgl. Meyers (wie Anm. 10), S. 256. 17 Vgl. ebd., S. 341. 18 Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 1958 bis 1962. Eingeleitet und bearbeitet von Volker Ackermann, Siegburg 1999, Dok. 140, S. 539f.

9 Stefan Marx

Für Meyers spiegelte sich in dem dreigeteilten Landeswappen mit Rhein, westfälischem Ross und lippischer Rose die fehlende Einheit Nordrhein-Westfalens wider. 19 Aus diesem Grund beabsich­ tigte er, wie aus einem Schreiben von Staatssekretär Oermann an seinen Kollegen Loschelder vom 20 Innenministeriumhervorgeht , ein großes Landeswappen einzuführen, das heraldische Bezüge zu den staatlichen Vorgängern der im geltenden (kleinen) Landeswappen dargestellten Landschaften herstellte. Dabei nahm er sich die großen Staatswappen der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Hamburg zum Vorbild, mit denen verglichen das nordrhein-westfälische Wappen „weder heraldisch noch ästhetisch eine besonders glückliche Lösung" darstelle. 21 Mit der Schaffung eines großen Landeswappens sollte das kleine Landeswappen mit Rhein, westfälischem Ross und lippischer Rose nicht verschwinden, im Gegenteil, Meyers wollte es zum ,,Herzstück" des erweiterten großen 22 Landeswappens machen , was auch in dem daraufhin von Richard Schwarzkopf aus Düsseldorf gestalteten Wappenentwurf zum Ausdruck kam. Um das seit 1953 durch Gesetz offizielle (kleine) Landeswappen wurden die Wappenzeichen früherer Territorien angeordnet 23 Hinsichtlich der Auswahl hatte Meyers die Vorgabe gemacht, die historischen Wappen derjenigen Landschaften auszuwählen, die für die geschichtliche Entwicklung des nordrhein-westfälischen Raumes von besonderer Be­ deutung waren.24 Der Entwurf eines großen Landeswappens für das Land Nordrhein-Westfalen zeigte schließlich die Wappen des Kurfürstentums Köln, der Fürstbistümer Münster, Paderborn und Minden, der Herzogtümer Berg, Jülich, Kleve und Geldern sowie der Grafschaften Mark und Ravensberg. Über dem Schild wurden in einer goldenen zackenlosen Krone die Wappen der drei ehemaligen Reichsstädte Aachen, Köln und Dortmund geführt. Eine rotsilberne Wappendecke an der rechten Seite und eine grünsilberne an der linken Seite, die rheinischen und westfälischen Farben sym­ bolisierend, bildete den Rahmen. Wie Innenminister Dufhues gegenüber Meyers erläuterte, wurde eine einfache ornamentale Umralunung des Schildes in Form der beschriebenen Wappendecke anstatt eines Schildhalters gewählt, da die beiden sich anbietenden Lösungen - eine historische (Löwe für Franken-Rheinland und Ross für Sachsen-Westfalen) und eine moderne (Knappe und Bauer für Bergmann, Industrie und Landwirtschaft)- ,,wenig befriedigend" erschienen.25 Die historische Lösung würde Tierfiguren wiederholen, die bereits mehrfach in den Einzelwappen enthalten seien; die moderne Lösung, die eine Verbindung der historischen Symbole des Wappens mit der Gegen­ wart versinnbildlichen sollte, führte möglicherweise dazu, an eine nicht erwünschte „volksdemo• kratische Symbolik" zu erinnern. Der vorgestellte Entwurf für ein großes Landeswappen wurde in der Sitzung des Landeskabi­ 26 netts vom 5. Juli 1960 in den Rang eines Gesetzentwurfs erhoben , den Meyers in seiner Festrede

19 Vgl. Meyers (wie Anm. 10), S. 342. ;n Vgl. Schreiben von Oermann an Loschelder vom 05.08.1959, in: NWHStA NW 179-277. 21 Ebd. Z2 Ebd. 23 Vgl. Ingeborg Schnelling-Reinicke: Eine Hymne für Nordrhein-Westfalen?- Die Pläne des Ministerpriisiden­ ten Franz Meyers zur Hebung des Landesbewußtseins, in: Christian Reinicke/ Horst Romeyk (Red.): Nord­ rhein-Westfalen. Ein Land in seiner Geschichte. Aspekte und Konturen 1946-1996, Münster 1996, S. 329- 334, hier: S. 331, Abb. 2. 24 Vgl. Schreiben von Oermann an Loschelder vom 05.08.1959, in: NWHStA NW 179-277. 21 Vgl. Schreiben von Dufhues an Meyers vom 09.02.1960, in: ebd. 26 Vgl. NRW-Kabinettsprotokolle 1958-1962 (wie Anm. 18), Dok.144, S. 552.

10 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers zum zehnten Jahrestag der Verkündung der Landesverfassung am 11. Juli 1960 vorstellen wollte mit seiner gleichzeitigen Publizierung als Landtagsdrucksache. Doch Meyers erwähnte den 27 Gesetzentwurf in seiner Rede mit keiner Silbe , und die Ausgabe der Landtagsdrucksache Nr. 339 über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Landesfarben, das Landeswappen und die Landesflagge" erfolgte mit zweitägiger Verspätung. Was war geschehen? Offiziell wurde dies damit begründet, dass der Entwurf des komplizierten Vierfarbendrucks aus technischen Gründen nicht rechtzeitig fertig geworden sei. 28 In Wirklichkeit aber fiel die beab­ sichtigte Verkündung des großen Landeswappens am Verfassungstag dem Zorn der CDU-Land­ tagsfraktion zum Opfer. Die CDU-Parlamentarier hatten es dem aus ihrer Mitte gewählten Regierungschef übel genommen, dass er sie mit seinen Plänen erst im letzten Augenblick vertraut machte, sie vor vollendete Tatsachen stellen wollte. 29 Die Verärgerung hätte sich vielleicht gelegt, Meyers in seiner Fraktion Unterstützung für seine Pläne gefunden, zumal er mit dem damaligen Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, dem Ostwestfalen Erich Stucke!, eigentlich ein gutes 30 Verhältnis hatte , doch mit der Ausgabe des Gesetzentwurfs als Landtagsdrucksache wurde der Plan zur Einführung eines großen Landeswappens auch der Öffentlichkeit bekannt. Sowohl der SPD als auch der CDU nahe stehende Zeitungen überzogen das Meyerssche Vorhaben mit Spott, die Ablehnung war nahezu einhellig. Die SPD-nahe Westfälische Rundschau erinnerte Meyers daran, dass er „Ministerpräsident eines modernen Industrielandes ist und nicht der Fürst eines Kleinstaates, für den noch Bedeutung haben mochte, seinem Wappen neue Verzierungen beizufügen."31 Die CDU-nahe Kölnische Rundschau fragte, ob als Nächstes „den Ministern eine Uniform mit Zweispitz und Degen verliehen (werde), zu der der 'Stern vom Schwanenspiegel' auf der linken Brustseite zu tragen sei." 32 Die Welt mahnte, ,,Nordrhein-Westfalen sollte nicht in die Geistesverfassung der Familie Neureich verfallen, die sich mit antiken Möbeln einrichtet und sich eine Madonna aus dem Mittelalter in ihre Empfangshalle stellt, um zu beweisen, daß man schließ• 33 lich auch Kultur hat" ; ähnlich dieNRZ, die meinte: ,,Künstlich( ...) und krampfhaft dem jungen Lande historische Embleme einkaufen -das kommt uns vor, wie wenn neureiche Leute sich, koste was solle, ein Rokokoschlößchen bauen."34 Die Düsseldorfer Nachrichten schließlich leiteten ihren Bericht über Meyers'Vorhaben mit folgenden Sätzen ein: ,,Das neue Landeswappen ist schön bunt. Als Glanzbild in den unteren Klassen der Volksschule verteilt, könnte es deshalb schnell zum vielbegehrten Sammelschlager werden." 35 Auch die Reaktionen der beiden Oppositionsparteien im Landtag, von SPD und FDP also, waren negativ. Sie hatten nur Spott für den Plan zur Einführung eines großen Landeswappens übrig, brachten hierfür kein Verständnis auf, eine sachliche Diskussion fand nicht statt. Für den SPD-

Tl Vgl. Ansprache von Meyers am 11.07.1960 in der Rheinlandhalle Düsseldorf anlässlich der 10-Jahresfeier der Landesverfassung, in: NWHStA NW 158-454. 28 Vgl.DÜSSELDORFER NACHRICHTEN vom 14.07.1960. 29 Vgl.ebd. Jl Vgl. Zeitzeugengespräch Gerd Ludwig Lemmer vom 19 .12.1997. 31 WESTFÄLISCHERUNDSCHAUvom 15.07.1960. 32 KÖLNISCHERUNDSCHAUvom 15.07.1960. 33 DIE WELT vom 16.07.1960. :,i NRZvom 14.07.1960. 35 DÜSSELDORFER NACHRICHTEN vom 14.07.1960.

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36 Fraktionsvorsitzenden waren die Meyersschen Pläne „Spielereien" , Willi Weyer, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, riet Meyers, ,,die Finger von der heraldischen Scheußlichkeit eines großen Staatswappens" zu lassen. 37 In der CDU-Landtagsfraktion gab es neben der Verärgerung über das Vorgehen von Meyers auch Kritik an sich. Der Hilchenbacher Abgeordnete Joseph Büttner stellte Meyers mit leicht spöttisch• ironischem Unterton die Frage, ob es wirklich nötig sei, ,,zur Glorifizierung unserer Staatshoheit und Landesherrlichkeit auf Reminiszenzen an die alten Duodezfürsten, die einmal in unserem Lande 'geherrscht' haben, zurückzugreifen."38 In seiner Antwort sah sich Meyers zu einer Klarstellung veranlasst. Selbstverständlich wolle die Landesregierung mit der Einführung eines großen Landeswappens nicht auf die alten Duodezfürsten zutückgreifen, die einmal auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen geherrscht hätten. Vielmehr gehe es darum, mit der Erweite­ rung des Landeswappens die historischen Wurzeln des Landes sowie seine Einbindung in die westeuropäische Geschichte und Entwicklung deutlich zu machen. Wörtlich führte Meyers aus: „Es geht( ... ) um die Wiedererweckung des Bewußtseins, daß das Land Nordrhein-Westfalen eine nicht nur für seinen eigenen Bereich, sondern für ganz Deutschland, ja Westeuropa bedeu­ tungsvolle geschichtliche Vergangenheit besitzt und daß diese von den großen Territorien ge­ staltet worden ist, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Bereich des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen bestanden haben. Das Bewußtsein hierfür ist in 150 Jahren gelenkter preußischer Geschichte in einem bedauerlichen Maße verkümmert." 39 So sehr sich Meyers auch bemühte, Missverständnisse auszuräumen, um Verständnis zu werben, mit seinen Plänen zur Einführung eines großen Landeswappens scheiterte er. Angesichts der Reaktionen in der Öffentlichkeit, angesichts der Stellungnahmen der Parteien sowie einzelner Politiker konnte es nicht überraschen, dass der Gesetzentwurf parlamentarisch überhaupt nicht behandelt wurde und mit dem Ende der vierten Landtagswahlperiode im Jahre 1962 „sang- und klanglos in der Versenkung" verschwand, wie Meyers enttäuscht,ja verbittert in seinen Memoi­ ren festgestellt hat.40

III.

Wie sah es mit Meyers' zweitem großen Vorhaben zur Hebung des Landesbewusstseins aus, dem „Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Nordrhein-Westfalen", dem Landesorden also? Die vorgesehene Einführung eines Landesordens stellte nichts revolutionär Neues dar, wie Meyers sowohl in der CDU-Landtagsfraktion als auch im Landesparlament betonte.41 Bereits unter Ministerpräsident Arnold hatte es erste Überlegungen in dieser Richtung gegeben. Die Länder

36 LT NRW. 4. Wahlperiode. 68. Sitzung am 03. l 0.1961, S. 2434. r, Ebd.,48.Sitzungam 18.10.1960,S. 1714. 38 Schreiben von Büttneran Meyers vom 26.07 .1960, in: NWHStA NW 179-277. JJ Schreiben von Meyers an Büttner vom 12.09.1960, in: ebd. 40 Meyers(wieAnm. 10),S.355. 41 Vgl. Protokoll CDU-Fraktionssitzung 10.10.1960, in: NWHStA RWN 207-1060; LT NRW. 4.Wahlperiode. 48. Sitzung am 18.10.1960, S. 1733.

12 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers Bayern und Niedersachsen besaßen bereits einen eigenen Landesorden, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wurde seinerzeit über die Einführung eines solchen diskutiert. Mit der Gestaltung eines Landesordens für Nordrhein-Westfalen beauftragte Meyers den Dort­ munder Graphiker Max Aurich, weil dieser eine umfangreiche Privatsammlung von Orden aus dem nordwestdeutschen Raum besaß.42 Nach den Vorstellungen von Meyers sollte der Landes­ orden etwas Besonderes darstellen, weshalb er Aurich um die Prüfung der Frage bat, ,,ob es im territorialen Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen in frtiherer Zeit einmal einen Orden gegeben hatte, der sich von den üblichen Ordenskreuzen in der Fonn des Malteser- bzw. Johanniterkreuzes unterschied." 43 Bei der Suche nach einem entsprechenden Orden stießen Aurich und Hans Wolfgang Rombach als der zuständige Referent für Ordensangelegenheiten in der Staatskanzlei auf den Antoniusorden der Herzöge von Kleve, der im Hochmittelalter gestiftet worden war und die äußere Fonn eines großen T besaß. Aus dem Antoniusorden der Herzöge von Kleve in Verbindung mit dem Malteserkreuz schuf Aurich den Entwurf eines Landesordens, indem er zwischen die vier Arme des Malteserkreuzes jeweils das T-Kreuz des Antoniusordens setzte.44 Eine unmittelbare Verbindung zu Nordrhein-Westfalen als dem Land von Kohle und Stahl stellte der Dortmunder Graphiker dadurch her, dass er das Malteserkreuz aus schwarzem Eisen und das Antoniuskreuz aus hellpoliertem Stahl gestaltete.45 Das Landeskabinett erklärte sich mit diesem Entwurf einverstanden und beschloss daraufhin am 15. Juni 1960 die Stiftung eines „Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Nordrhein-West­ falen" im Erlasswege.46 Dieser Beschluss war rechtlich nicht unproblematisch, weil nicht ein­ deutig geklärt war, ob die Stiftung eines Landesordens durch einen Akt der Exekutive rechtlich möglich war oder durch ein vom Landtag zu verabschiedendes Gesetz erfolgen musste. Über die Motive von Meyers, trotz rechtlicher Bedenken den Erlassweg beschritten zu haben, schwei­ gen die Quellen. Es kann also nur spekuliert werden. Wahrscheinlich wollte Meyers als der alleinige Stifter des Landesordens in die Geschichte eingehen, den Ruhm bzw. Lorbeer der Stiftung ungeteilt für sich haben, was bei einem Gesetzgebungsverfahren mit seinen Ausschussberatungen, in denen Änderungen vorgenommen werden konnten, nicht möglich gewesen wäre. Doch zurück zu den Fakten. Der Beschluss des Landeskabinetts sah vor, (1.) die Verleihung des Landesordens nicht auf Personen aus Nordrhein-Westfalen zu beschränken, (2.) mit dem Landesorden die Anerken­ nung für Verdienste auszusprechen, die politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder geistig-künst• lerischer Natur sein konnten, (3.) die zu ehrenden Personen aus den Angehörigen aller wirtschaftlich­ sozialen und beruflichen Gruppen auszuwählen und (4.) die Zahl der Ordensinhaber auf 5.000 zu begrenzen. Anlässlich der Feier des zehnten Jahrestages der Landesverfassung wollte Meyers den Erlass zur Stiftung eines Landesordens im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichen lassen. Dieses Vorhaben wurde aber durch eine Interpellation der FDP-Landtagsfraktion durchkreuzt, die um folgende Auskunft bat: ,,Wrr fragen die Landesregierung: Sind Pressemeldungen zutreffend, nach

42 Vgl. Meyers (wieAnm. 10), S. 355. 43 Elxl. 41 Vgl. Schnelling-Reinicke (wie Anm. 23), S. 332,Abb. 3. 45 Vgl. Meyers (wieAnm. 10), S. 356. 46 Vgl. NRW-Kabinettsprotokolle 1958-1962 (wie Anm. 18), Dok.140, S. 539.

13 Stefan Marx denen der Herr Ministerpräsident die Stiftung eines besonderen Ordens für das Land Nordrhein­ Westfalen plant? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Rechtsform soll die Ordensstiftung erfolgen, insbesondere wie wird eine etwaige Nichtbeteiligung des Trägers der Landessouveränität, nämlich des Landtags, rechtlich begründet?" 47 Zur selben Zeit gab die Mehrheit des Vorstandes der CDU-Landtagsfraktion Meyers zu verstehen, dass für sie die Einführung eines Landesordens ausschließlich auf gesetzlicher Grundlage möglich sei.48 Eine Entscheidung über das Meyerssche Vorhaben fiel nach der parlamentarischen Sommerpause im Landtag am 18.0ktober 1960, als die FDP-Interpellation zur Beratung auf der Tagesordnung stand. Bereits acht Tage zuvor hatte die CDU-Landtagsfraktion eine Grundsatzdebatte über das Thema ,,Landesbewusstsein" geführt.49 Die Debatte endete mit einem für Meyers ernüchternden Ergebnis: Die Fraktion begrüßte zwar grundsätzlich die Bemühungen zur Bildung eines Landesbewusstseins, bezweifelte aber in ihrer großen Mehrheit, ob durch die Einführung äußerer Zeichen bzw. mit Hilfe staatlicher Symbole Landesbewusstsein gestiftet werden konnte. Nach diesem Stimmungsbild in seiner eigenen Fraktion musste Meyers bereits vor der ange­ sprochenen Landtagssitzung am 18. Oktober 1960 erkennen, dass er nicht nur mit seinem Plan zur Einführung eines großen Landeswappens gescheitert war, sondern auch die Stiftung eines Landesordens nicht verwirklichen konnte. In der Sitzung selbst trat er unverkennbar den Rück• zug an, als er erklärte, die Schaffung eines Landesordens vom Votum des Landtags abhängig zu machen.5° Für die Freien Demokraten unterstrich der Abgeordnete Emil Strodthoff deren Ansicht, dass das Land eigentlich nur eine Verwaltungsprovinz des Bundes sei und auch gar nicht mehr werden dürfe. Folglich lehnte er die Einführung eines Landesordens ab, denn „diese Absicht steht nach Auffassung meiner Fraktion in unlöslichem Zusammenhang mit dem unseres Erachtens künstlichen, den Interessen sowohl des Landes als auch der Bundesrepublik Deutsch­ land abträglichen Bestreben, ein Staatsbewusstsein in engen territorialen Grenzen zu entwickeln."51 Das Votum der SPD-Fraktion fiel differenziert aus. Ihr Mitglied Wilhelm Weber bejahte grund­ sätzlich das Anliegen, ein nordrhein-westfälisches Landesbewusstsein zu stiften, hielt aber den Plan von Meyers für falsch, weil „der Orden nicht ein geeignetes Mittel ist, ein wünschenswertes Landesbewusstsein in Nordrhein-Westfalen wesentlich zu unterstützen."52 Deshalb unterbreitete er Alternativvorschläge, denen die Überzeugung zugrunde lag, dass ein Landesbewusstsein aus echter Leistung auf wichtigen Lebensgebieten wachsen müsse. Konkret forderte Weber seine Landtagskollegen auf: ,,Lasst uns zusammen mit der Regierung weiter versuchen, immer mehr die soziale Stellung auch des letzten Bürgers unseres Landes zu heben und ihm auf diese Weise unser Land attraktiv zu machen!( ... ) Laßt uns alle finanziellen Anstrengungen auf dem kultu­ rellen Gebiet machen, laßt uns Schulen und nochmals Schulen bauen und den Schulen die nötigen Mittel und die nötigen Lehrer geben! Laßt uns dafür sorgen, dass der letzte Junge und das letzte Mädchen im letzten Dorf in diesem Lande die Möglichkeit haben, sich ein umfassendes Wissen

47 LT NRW. 4. Wahlperiode. Drucksache Nr. 344. 48 Vgl. Protokoll CDU-Fraktionsvorstandssitzung 18.07.1960, in: NWHStA RWN 207-908. 49 Vgl. Protokoll CDU-Fraktionssitzung 10.10.1960, in: NWHStA RWN 207- 1060. 50 Vgl. LTNRW.4. Wahlperiode. 48. Sitzungarn 18.10.1960, S. 1733. 51 Ebd., S. 1730f. 52 Ebd., S.1734.

14 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers und eine tiefe Bildung zu verschaffen! Wenn wir das tun, bekommen wir auch stolze und selbstbewußte Menschen und Staatsbürger. Wenn wir diese haben, ist mir um die Zukunft unseres Landes Nordrhein-Westfalen nicht bange." 53 Der Sprecher der CDU-Fraktion, Peter Maria Busen, ließ alle Türen offen. Statt sich auf eine Position in der kontroversen Debatte über die Einfüh• rung eines Landesordens festzulegen, empfahl er eine ernsthafte Diskussion über den Sinn und Zweck der Stiftung eines solchen Ehrenzeichens.54 Nach dieser Landtagsdebatte, die keine Unterstützung für die Einführung eines Landesordens gebracht hatte, ließ Meyers den entsprechenden Kabinettsbeschluss vom 15. Juni 1960 stornie­ ren.55 Eine weitere Konsequenz bestand darin, dass er auf die Verfolgung seiner Pläne zur Schaffung einer Landeshymne verzichtete. 56 Auch von dem Vorhaben, ein Staatstheater sowie ein Staats­ orchester zu gründen, nahm er Abstand. 57

IV.

Die (gescheiterten) Pläne zur Einführung eines großen Landeswappens und eines Landesordens standen zweifellos im Zentrum der Überlegungen von Meyers, ein nordrhein-westfälisches Landesbewusstsein zu stiften. Darüber hinaus hat es noch weitere Bemühungen gegeben, die im Folgenden erörtert werden sollen. Zunächst seien die so genannten Bereisungen erwähnt, die den Ministerpräsidenten Franz Meyers und seine Frau Alberte in die damals 95 Landkreise und kreisfreien Städte Nordrhein-Westfalens führten. Die aufwendig gestalteten und deshalb auch in der Öffentlichkeit mit manch ironisch­ spöttischer Anmerkung versehenen Besuche im Land- Heinz Meyer-Wrekk beschrieb sie in der Westfälischen Rundschau mit unverkennbarer Ironie als „die landesväterlichen Besuche in Stadt und Land mit Gattin, Gefolge und viel polizeilichem Blaulicht"58 - dienten eher der Popula­ risierung des Ministerpräsidenten, als dass das vom Landespresseamt offiziell beschriebene Ziel erreicht wurde, ,,bei den Menschen in den einzelnen Landesteilen Nordrhein-Westfalens das Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem großen Bundesland zu stärken. "59 Zu den unterschiedlichen Bemühungen, ein Landesbewusstsein zu stiften, gehörten auch die Fernsehpläne von Meyers, der Anfang der l 960er Jahre im Schatten der Adenauerschen Fernseh­ pläne eigene Vorstellungen für ein privat-kommerzielles Fernsehprogramm in Nordrhein-Westfalen entwickelte. In dem immer populärer werdenden und damit an Bedeutung gewinnenden Fernsehen sah er ein wichtiges Medium der Identitätsvermittlung, d.h. er glaubte, durch das Medium Fern­ sehen ein nordrhein-westfälisches Bewusstsein und Selbstverständnis entwickeln und fördern zu

53 Elxl. 51 Vgl.ebd.,S. 1735. 55 Vgl. Meyers (wie Anm. 10), S. 357; Schnelling-Reinicke (wie Anm. 23), S. 331. 56 Vgl. Meyers (wie Anm. 10), S. 357. " Vgl. Schriftliche Zeitzeugenbefragung Hans Wolfgang Rombach vom 15. 10.1997. 58 WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU vom 23.03.1963. :11 Zitiert aus einer undatierten Mitteilung des Landespresse- und Informationsamtes der Landesregierung NRW unter der Überschrift „Ministerpräsident Dr. Meyers besucht die 95 Stadt- und Landkreise Nordrhein-West­ falens", in: NWHStA NW 158-208.

15 Stefan Marx können. 60 Doch mit seinem Versuch, das Medium Fernsehen in den Dienst seiner Bemühungen zur Bildung eines Landesbewusstseins zu stellen, scheiterte er. Zum einen scheiterten die Fern­ sehpläne an der fehlenden medienpolitischen Kompetenz von Meyers, der in seinen Memoiren bekennt, „von Haus aus kein engagierter Medien- und Rundfunkpolitiker"61 zu sein. Nach dem Urteil von Wolfram Köhler, der sich näher mit den Meyersschen Fernsehplänen beschäftigt hat, müssen die Überlegungen für ein Meyers-Fernsehen in der Rückschau als „unpräzise und dilettantisch" be­ zeichnet werden, über das ,,Pläneschmieden" sei man nie hinausgekomrnen.62 Zum anderen waren Meyers' Fernsehpläne zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht die Unterstützung des starken Mannes in der nordrhein-westfälischen Medienpolitik fanden, nämlich von Josef Hermann Dufhues, sei­ nerzeit Verwaltungsratsvorsitzender des Westdeutschen Rundfunks und der wohl entschiedenste Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der CDU Deutschlands.63 Zu Meyers'Bemühungen um ein besonderes Landesbewusstsein zählte auch die Förderung des Sports und der Kunst. Hier sah er eine Möglichkeit, um „das Gemeinschaftsbewusstsein aller, das Landes bewußtsein zu pflegen. "64 Es gebe wenig Gemeinsames für alle. Zu diesem wenigen gehöre der Sport und die Kunst. An dieser Stelle sind vor allem die Stiftung einer Sportplakette des Landes Nordrhein-Westfalen und die Initiative von Meyers zur Erhaltung des hohen natio­ nalen wie internationalen Ansehens des Großen Kunstpreises zu nennen. Mit Kabinettsbeschluss vom 18.März 1959 stiftete die Landesregierung „zur Anerkennung hervorragender sportlicher und turnerischer Leistungen sowie besonderer Verdienste bei der Wahrnehmung von Ehrenämtern in Sport- und Turnorganisationen" 65 eine Sportplakette in der Form einer kreisrunden silbernen Medaille, die auf der Vorderseite das Bild einer Sportarena mit sechs Laufbahnen und auf der Rückseite das Landeswappen mit der Umschrift „Für hervorra­ gende Verdienste um den Sport. Die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen" zeigte. 66 Durch die Stiftung einer Sportplakette sollte zum einen Wirkung nach innen erzielt werden im Sinne einer Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls zu dem jungen Land Nordrhein-Westfalen, was sich in dem Stiftungserlass widerspiegelte, der eine enge Bindung der Preisträger zum Land Nordrhein-Westfalen verankerte. Ausgezeichnet konnte nur werden, wer seinen ständigen Wohn­ sitz in Nordrhein-Westfalen hatte oder „seine anzuerkennenden Verdienste innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen" erwarb. 67 Zum anderen sollte die Sportplakette zur Selbstdarstellung des Landes beitragen. Meyers war bemüht, dieser Auszeichnung einen besonderen, über die Grenzen

ro Vgl. Wolfram Köhler: Meyers-Fernsehen. Frühe Privatfunk-Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen (1960-62), in: Volker Ackermann/ Bernd-A.Rusinek / Falk Wiesemann (Hrsg.): Anknüpfungen. Kulturgeschichte­ Landesgeschichte- Zeitgeschichte. Gedenkschrift für Peter Hüttenberger, Düsseldorf 1995, S. 319-328, hier: S. 327. 61 Meyers (wie Anm. 10), S. 421. 62 Vgl. Köhler(wieAnm. 60), S. 328. 63 Vgl. Wolfram Köhler: Meyers' Fernsehen, in: Geschichte im Westen 10 (1995), S. 38-46, hier: S. 40f. 61 Niederschrift über ein Gespräch nach dem Empfang anlässlich der Überreichung der Sportplakette des Landes NRW am 25.01.1964 im Hause des Ministerpräsidenten, an dem Meyers, der Sportreferent des Kultusministe­ riums, Regierungsdirektor Rüngener, Mitglieder des Landtags und Träger der Sportplakette teilnahmen, in: NWHStA NW 179-381. 65 NRW-Kabinettsprotokolle 1958-1962 (wieAnm.18), Dok. 55, S. 247. ff, Vgl. Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen (MB!. NW.). 1959 S. 2777. 67 Ebd.

16 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers

Nordrhein-Westfalens hinausreichenden Stellenwert zu verleihen. So regte er anlässlich der Verleihung der Sportplakette des Jahres 1964 die Bildung eines Ehrensenats des Sports im Land No,drhein-Westfalen aus den Trägern der Sportplakette an, weil diese durch ihr Wirken für nachfolgende Generationen als beispielhaft gelten könnten und jene Maßstäbe zu setzen imstande seien, ,,ohne die in der heutigen Zeit weder in den freien gesellschaftlichen Zusammenschlüssen der Verbände und Organisationen noch im Leben des Staates erfolgreiche und wertvolle Arbeit möglich ist." 68 Damit griff er einen Vorschlag des damaligen Vorsitzenden des Landtagsaus­ schusses zur Pflege und Förderung des Sports, Fritz von Ameln, auf, die Sportplakettenträger 69 zu einer Ehrengilde verdienter Sportler zusammenzuschließen , sie also zu einer Gemeinschaft zu verbinden, die aus dem einmaligen Akt der Verleihung eine Dauereinrichtung machte. Nach den Vorstellungen von Meyers sollte dieser Ehrensenat jährlich auf Schloss Brühl zu einem Senatsessen zusammenkommen -ein Vergleich mit der traditionsreichen Bremer Schaffer-Mahlzeit war gewollt. 70 Neben den Trägern der Sportplakette waren als Teilnehmer die Mitglieder des Sportausschusses des Landtags, der Ministerpräsident, der Kultusminister und der Sportreferent des Kultusministeriums, der Vorstand des Landessportbundes sowie einige wenige geladene Ehrengäste vorgesehen. Der Veranstaltung angemessen dachte Meyers an einen prominenten Festredner und ein niveauvolles Rahmenprogramm, das durch eine Vorstellung des Düsseldorfer Kommödchens mit einem auf den Sport bezogenen Programm oder den Auftritt des Folkwang­ Balletts gestaltet werden könnte.71 Die Pläne zur Errichtung eines Senats des Sports stießen auf erhebliche Bedenken des Kultusministers, der nicht glaubte, dass sich ein solches Gremium, sollten Mitglieder des Sportausschusses des Landtags und Vertreter des Landessportbundes hinzugezogen werden, mit repräsentativen Funktionen zufrieden geben würde, vielmehr sei der Ruf nach echter sachlicher Zuständigkeit auf dem Gebiet der Sportpflege zu erwarten und damit ein Einbruch in seinen Kompetenzbereich zu befürchten. 72 Ein vorgesehenes Gespräch zwischen dem Kultusminister und dem Ministerpräsidenten über die Frage der Errichtung eines Senats 73 des Sports fand nicht statt ; diese Frage ging in der politisch turbulent verlaufenden Zeit der Jahre 1965/66 unter. Die Außendarstellung Nordrhein-Westfalens hatte Meyers bei seinen Bemühungen vor Augen, den Stellenwert des Großen Kunstpreises als eine Auszeichnung von nationalem Rang zu be­ wahren. Unverkennbar war sein Ehrgeiz, Nordrhein-Westfalen im Kreise der Bundesländer Achtung zu verschaffen. Deshalb wurden auch auf seine Initiative hin im Mai 1963 die Preisgelder in den einzelnen Sparten des Großen Kunstpreises von l 0.000 DM auf 25 .000 DM erhöht. 74 Diese

IB Ansprache von Meyers anlässlich der Verleihung der Sportplakette des Landes NRW am 25 .01.1964, S. 3, in: NWHStA NW 158-440. w Vgl. LTNRW. 5. Wah lperiode. 10. Sitzung arn 12.02.1963,S. 238. ~ Vgl. Niederschrift über das Gespräch nach der Verleihung der Sportplakette 1964, in : NWHStA NW 179-381. 71 Vgl. ebd. 72 Vgl. Schreiben von KultusministerMikatan Meyers vom07.12.1964, in: NWHStA NW 179-381. 73 Vgl. hierzu Vermerk des Regierungsangestellten Schneider, Referat 1-B I der Staatskanzlei, vom 09.08.1966, in: ebd. 7 ' Vgl. Kabinettsvorlage von Meyers vom 16.05.1963, in: NWHStA NW 30-770, in Verbindung mit dem Be­ schluß des Landeskabinetts zu TOP 2 der Landesangelegenheiten in der 770. Sitzung vom 21 .05.1963, in : NWHStA NW 30 P-770.

17 Stefan Marx

Maßnahme hielt er für unerlässlich, um dem Großen Kunstpreis "die ihm gebührende Stellung unter den deutschen Kunstpreisen zu erhalten."75 Im Zusammenhang mit Meyers' vielfältigen Bemühungen zur Hebung des Landesbewusstseins muss auch der von ihm initiierte Ankauf von 88 Gemälden von Paul Klee durch die Landes­ regierung erwähnt werden, sah Meyers doch in der Klee-Sammlung den Grundstock für eine landeseigene Kunstsammlung, die nach seinen Vorstellungen zu einem „Kristallisationspunkt des Landesbewußtseins in Nordrhein-Westfalen" werden sollte.76 Die Errichtung einer landeseige­ nen Kunstsammlung hielt er für gerechtfertigt, da Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland sei, das kein eigenes staatliches Museum besitze.77 Aus der Sicht von Meyers handelte es sich bei der landeseigenen Kunstsammlung um ein Prestigeobjekt; in ihrem Aufbau sah er einen glanzvollen Beitrag zur Selbstdarstellung Nordrhein-Westfalens. Nach seinen Vorstellungen sollte diese Kunstsammlung „auf der Grundlage höchster künstlerischer Ansprüche" errichtet werden. 78

V.

Festzuhalten bleibt, Kernpunkt der Überlegungen von Meyers war der Versuch, mit Hilfestaat­ licher Symbole (Landeswappen, Landesorden) ein nordrhein-westfälisches Landesbewusstsein zu stiften. Diese Pläne gingen „im Spottgelächter einer funktionalistisch denkenden Nachkriegs­ öffentlichkeit" 79 unter. Meyers war tief enttäuscht, vor allem beklagte er eine mangelnde Sach­ lichkeit und Objektivität in der Diskussion über seine Vorschläge zur Entwicklung eines Landesbewusstseins. 80 Verärgert war er über die Interpellation der FDP-Fraktion zur Frage des Landesordens, hatte er doch frühzeitig mit den Fraktionsvorsitzenden von SPD und FDP über seinen Plan zur Stiftung eines Landesordens gesprochen und sie dabei gebeten, ein Meinungs­ bild in ihren Fraktionen herbeizuführen.81 Meyers war also mit seinem Versuch, ein nordrhein-westfälisches Landesbewusstsein regelrecht zu inszenieren, gescheitert. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob mit Symbolen, mit äußeren Zeichen ein Landesbewusstsein gestiftet werden kann. Richtig ist sicherlich, dass sich Landesbewusstsein nicht erzwingen lässt, nicht verordnet, nicht organisiert werden kann. Landesbewusstsein muss wachsen. Auf diesen Punkt wies der Chefredakteur der Ruhr-Nach­ richten, Robert Schmelzer, im Oktober 1960 in einem der ganz wenigen von Ironie und Spott freien Zeitungskommentare zum Thema „Landesbewusstsein" hin, als er das Beispiel Bayerns, des traditionsreichsten Bundeslandes also, anführte, das auch 150 Jahre dauerhafter Existenz

75 Ansprache von Meyers anläßlich der Verleihung des Großen Kunstpreises des Landes NRW 1963, S. 3, in: NWHStA NW 158-433. 76 Ansprache von Meyers zur Eröffnung der Klee-Sammlung am 10.07.1960, S.9, in: NWHStA NW 158-442. 71 Vgl. ebd., S. 6. 78 Ebd.,S.9. "fi Ulrich Reusch: 40 Jahre Nordrhein-Westfalen (1946-1986). Literaturund Kritik zum Landesjubiläum, in: Westfälische Forschungen 38 ( 1988), S. 342-357, hier: S. 342. lll Vgl. Protokoll CDU-Fraktionssitzung 10.10.1960, in: NWHStA RWN 207- 1060; Schreiben von Meyers an Büttner vom 12.09.1960, in: NWHStA NW 179-277; Meyers (wie Anm. 10), S. 353. 81 Vgl. LTNRW.4. Wahlperiode.48. Sitzungarn 18.10.1960, S. 1733.

18 Stiftung von Landesbewusstsein - das Beispiel des Ministerpräsidenten Franz Meyers gebraucht habe, um ein bayerisches Eigenbewusstsein auszubilden. 82 Dennoch sollte sich der Historiker, darin ist Wolfram Köhler zuzustimmen, nicht an den Spottgesängen zu Meyers' Wappen­ und Ordensplänen beteiligen, ,,denn auch sie sind ein Ausdruck für das Bemühen, dieses Land zu stabilisieren, diesen Staat den Bürgern bewusst und sinnlich wahrnehmbar zu machen." 83 Symbole und Herrschaftszeichen sind nicht von vornherein schlecht, veraltet oder lächerlich. Nur bestand bei Meyers das Problem, dass er mit seinen Wappenplänen hoffnungslos rückständig erschien, als provinziell gelten musste, brach doch die deutsche Gesellschaft- politisch gesehen -nach Europa auf, suchte sie Anschluss an die „große Welt", wo EWG und Europarat von einer überstaatlichen Ordnung zeugten. In dieser Situation trat nun mit Meyers jemand auf, der Traditionslinien zu entwickeln versuchte, deren Wurzeln in der Zeit vor 1803, vor dem Reichsdeputationshauptschluss lagen, in der Zeit des Partikularismus in Deutschland. Auch die Stiftung eines Landesordens erschien den Zeitgenossen als ein Anachronismus. So erklärte während der Landtagsdebatte über die Stiftung eines Landesordens der SPD-Abgeordnete Weber, dass „ein Orden etwas absolutes Unzeitgemäßes" sei. 84 15 Jahre nach Kriegsende standen viele Deutsche staatlichen Symbolen wie einem Orden reserviert gegenüber, hatten sie doch zwischen 1933 und 1945 erfahren müssen, in welcher Weise die Nationalsozialisten staatliche Symbole im Rahmen ihrer Herrschaftsausübung missbrauchten.

81 Vgl.RUHR-NACHRICHTEN vom 19.10.1960. 83 Wolfram Köhler: Die „Ära Meyers" in Nordrhein-Westfalen, in: Kurt Düwell /Wolfgang KölJmann (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter. Beiträge zur Landesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 3: Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1984, S. 329-342, hier: S. 337. &1 LT NRW. 4. Wahlperiode. 48. Sitzung am 18.10.1960, S. 1734.

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