Christlich – Sozial – Als Politischer Begründer Europäisch Nordrhein-Westfalens Jürgen Rüttgers
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464_68_72_Ruettgers 27.06.2008 6:53 Uhr Seite 68 Karl Arnold Christlich – sozial – als politischer Begründer europäisch Nordrhein-Westfalens Jürgen Rüttgers Die bedeutenden Ministerpräsidenten Nazi-Barbarei ging es darum, das abend- Nordrhein-Westfalens, die auf Karl Ar- ländisch-christliche Menschenbild wie- nold folgten – Franz Meyers, Heinz Kühn, der zum Maßstab der Gesellschaft und des Johannes Rau –, haben jeder auf seine Art politischen Handelns zu machen. Das und in seiner Zeit das Gesicht unseres Lan- war der Grundgedanke der CDU. Der des verändert. Sie haben wichtige Wei- christliche Glaube war die entscheidende chenstellungen vorgenommen. Aber sie Keimzelle für die Gründung und den Zu- taten dies auf der Grundlage dessen, was kunftsmut unserer Partei. Aus dieser star- Karl Arnold geschaffen hat. ken Wurzel hat sich auch die Modernität Wir erinnern uns an einen Mann, ohne der CDU als Gründungspartei der Bonner den Nordrhein-Westfalen nicht zu denken Republik gespeist. Und wer hätte das bes- ist. Als ihn sein tragischer und viel zu frü- ser vorleben können als Karl Arnold, her Tod vor einem halben Jahrhundert aus der durchdrungen war von den Grund- dem Leben riss, hat Nordrhein-Westfalen sätzen der katholischen Soziallehre? Nach nicht nur einen führenden Politiker ver- einer Schuhmacherlehre hatte er seit den loren. Es hat damals seinen politischen Zwanzigerjahren in der Geschäftsstelle Gründer verloren. Es gibt niemanden, der des christlichen „Deutschen Gewerk- mit dem demokratischen Neubeginn und schaftsbundes“ in Düsseldorf gearbeitet der Gründung unseres Landes so verbun- und früh seine politische Heimat in der den ist wie Karl Arnold. Dieser Neubeginn christlichen Arbeitnehmerbewegung und war nicht irgendein Neuanfang. Es war im „Zentrum“ gefunden. In der Nazi-Zeit der totale Neubeginn nach dem totalen hatte er Mandat und Beruf verloren und Desaster. Deutschland lag in Trümmern. war verfolgt worden. Früh erkannte er, Unser Vaterland stand nach der Nazi-Bar- dass Deutschland nach dem Krieg entwe- barei vor dem Nichts. Das Wort von der der sozial, christlich und europäisch ge- „Stunde null“ ist zutreffend: Deutschland prägt sein musste – oder aber keine Zu- war im Jahr 1945 auf dem absoluten Null- kunft haben würde. Ihn trieb die große punkt angekommen. Kaum eine Nation Frage um: „Wie wollen wir eigentlich nach hat jemals eine so vollkommene militäri- der Katastrophe leben?“ Diese existen- sche, politische und vor allem auch mora- zielle Frage war der Motor seines Han- lische Niederlage erlebt wie unsere. Es war delns. Er wusste: Ein Leben nach der eine große Leistung, aus diesem politi- Stunde null konnte nur auf der Basis schen und geistigen Zusammenbruch ei- des jüdisch-christlichen, des abendländi- nen Neuanfang zu wagen. schen Menschenbildes wieder möglich Das Land wiederaufzubauen – das galt sein. Und er wusste, dass das möglich nicht nur in einem materiellen, sondern war. Denn hier im Rheinland, in Westfalen vor allem in einem moralischen Sinn. Nach und an Ruhr und Lippe waren die christ- der totalen Entchristlichung durch die lichen Wurzeln intakt geblieben. Karl Ar- Seite 68 Nr. 464 · Juli 2008 464_68_72_Ruettgers 27.06.2008 6:53 Uhr Seite 69 Christlich – sozial – europäisch nold wusste um die große versöhnende die Mitbestimmung und viele andere so- Kraft der christlichen Botschaft. Ihm ging ziale Errungenschaften erkämpft. Hier es darum, wieder alle demokratischen liegen die Wurzeln der Sozialen Markt- Kräfte zusammenzuführen und die kon- wirtschaft. Historisch hat Rheinländer fessionelle Spaltung zu überwinden. Es und Westfalen deshalb immer viel mehr ging ihm vor allem auch darum, die sozi- verbunden als getrennt. Deshalb lag es alen und ideologischen Gräben zuzu- nahe, nach dem Zusammenbruch aus bei- schütten und Brücken zu bauen. Karl Ar- den Provinzen auch eine politische Ein- nold war ein Mann der Grundsätze. Aber heit zu formen. Aber das war, wie wir er war niemals Ideologe. Sein Stil bestand heute wissen, alles andere als selbstver- nicht in Polemik und Konfrontation, son- ständlich. dern in Kooperation und Integration. Karl Es ist faszinierend, die Originalakten Arnold war verbindlich, aber seine Politik der Gründungsgeschichte Nordrhein- war nie beliebig. Er machte eine Politik, Westfalens, die im britischen Nationalar- die Verantwortungs- und Gesinnungs- chiv in London lagern, in Händen zu hal- ethik zu verbinden wusste. Er machte eine ten und zu sehen, wie damals Geschichte Politik des Gewissens. Das machte ihn so gemacht wurde – im buchstäblichen Sin- glaubwürdig. Deshalb haben ihm die ne. Denn es hätte auch alles anders kom- Menschen vertraut. men können: Es gab den Vorschlag, die preußischen Provinzen Rheinland und Nordrhein-Westfalens Einheit Westfalen als jeweils eigenständige Län- Eine Politik des Gewissens – das ist der der zu gründen. Und es gab die Idee eines Kern des Politikverständnisses von Karl eigenen Ruhrgebietsstaates. Die Briten Arnold gewesen. Und er hat das auch müssen aber von den starken inneren Ver- selbstbewusst als politisches Programm bindungen zwischen Rheinländern und für Nordrhein-Westfalen formuliert. Je- Westfalen gewusst haben. Warum hätten der kennt den Satz aus der Regierungser- sie sonst die Zusammenführung der bei- klärung von 1950: „Das Land Nordrhein- den bisherigen preußischen Provinzen Westfalen will und wird das soziale Ge- Rheinland und Westfalen als „Operation wissen der Bundesrepublik sein.“ Das Marriage“ bezeichnet? Eine Hochzeit ver- war mehr als nur eine Behauptung. Es bindet, was zusammengehört. Und dieje- war ein Bekenntnis. nigen, die lange nur von einer Vernunft- Damit hat Karl Arnold eine Staatstra- ehe sprachen, sind inzwischen längst dition begründet, die bis heute Gültigkeit widerlegt worden. Für Karl Arnold stand hat. Sie hatte Erfolg, weil sie auf einer von Anfang an fest, dass Nordrhein-West- langen historischen Tradition aufbaute: falen eine Einheit war. Aber er wusste Denn das Land an Rhein, Ruhr, Lippe auch, dass man diese Einheit politisch stär- und Weser mit dem Revier im Zentrum ken musste. Das hat er nach Kräften getan, war immer ein Land der Arbeiter und der zum Beispiel mit der Gründung des WDR Bürger gewesen, nie ein Land der Schlös- in Köln. Für ihn waren die Länder das ser, der Dynastien, der Junker und Groß- Herzstück der jungen Demokratie und grundbesitzer. Die Städte im Rheinland, nicht irgendwelche nachgeordneten Ver- in Westfalen und im Lipper Land waren waltungseinheiten des Bundes. Er pochte Orte eines freien Bürgertums, geprägt auf die Eigenständigkeit der Länder. Nicht vom Geist der Selbstbestimmung und der umsonst hat ihn der Bundesrat zu seinem Ablehnung von Obrigkeitsstaat und Zen- ersten Präsidenten gewählt. tralismus. In Nordrhein-Westfalen wur- So wichtig die Länder für Karl Arnold de der Klassenkampf beendet, wurden waren: Seine Perspektive ging darüber Nr. 464 · Juli 2008 Seite 69 464_68_72_Ruettgers 27.06.2008 6:53 Uhr Seite 70 Jürgen Rüttgers weit hinaus. Er dachte gesamtdeutsch. Er tik ausdrücklich formuliert. Ahlen war war sich der besonderen bundesdeutschen eben kein Programm für Verstaatlichung Verantwortung der Länder bewusst. Das und Planwirtschaft. Es war die Grund- galt insbesondere für Nordrhein-Westfa- lage für die Soziale Marktwirtschaft, wie len als größtes Bundesland, das für Karl sie dann in den Düsseldorfer Leitsät- Arnold von Anfang an nicht nur ein zen weiter ausgebaut wurde. Das über- Bundesland wie andere auch war, sondern brückte die Gegensätze, die es natürlich das „Kernland der Bundesrepublik“. auch gab – persönliche Gegensätze zwi- Weil Karl Arnold sich dieser gesamt- schen Arnold und Adenauer zum Bei- deutschen Verantwortung bewusst war, spiel. Etwa in Fragen der Abgrenzung zur hat er den Bundesrat auch nie als Blo- SPD und zum Sozialismus. Es ist ja rich- ckadeinstrument gegen die Bundesre- tig: Adenauer und Arnold waren sich in gierung verstanden. Er war es, der den Vielem nicht einig, bis hin zum offenen Begriff des „kooperativen Föderalismus“ Konflikt. Aber sie bildeten nie unver- geprägt hat. Für ihn war der Bundesrat söhnliche Gegenpole, sondern die „zwei nicht die Institution des parteipolitischen Brennpunkte derselben politischen El- Kampfes im Bundestag mit anderen Mit- lipse“, wie Rainer Barzel das einmal sehr teln. Wäre die Politik Arnolds Linie wei- treffend gesagt hat. Nicht zuletzt am Ah- ter gefolgt, würden wir heute keine Föde- lener Programm und an den Düsseldorfer ralismuskommission brauchen. Dem Ver- Leitsätzen wird das deutlich. Sie wurden such, der Bundesrepublik immer mehr gemeinsam verfasst sowohl von Ade- Zentralismus zu verordnen, wie es ihn nauer wie von Arnold, sowohl von katho- auch in unseren Tagen wieder gibt, wäre lischen Gewerkschaftern wie Johannes er entgegengetreten. Albers wie von evangelischen Wirt- schaftsvertretern wie Robert Pferdmen- Soziale Marktwirtschaft als Leitbild ges – der übrigens ein leibhaftiger Groß- Karl Arnold gehört zu den wichtigsten neffe von Friedrich Engels war. Denn das Architekten des föderalen Systems der war ja gerade die Stärke der frühen CDU: Bundesrepublik. Aber er ist auch und vor Dass sie eben nicht nur Partei, sondern allem einer der wichtigsten Architekten Union war; dass sie sehr gegensätzliche der Sozialen Marktwirtschaft gewesen. Strömungen und Traditionen integrierte; Das hieß für ihn: Die soziale Gerechtig- dass Liberale, Christlich-Soziale und keit muss im Mittelpunkt einer neuen Konservative in ihr ihre Heimat fanden – Wirtschafts- und Sozialordnung stehen. unter einem Dach. Und es war ihre Stärke, Er