Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen
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Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen Presseinformation 21.06.2008 Seite 1 von 13 Staatskanzlei Pressestelle 40190 Düsseldorf Telefon 0211 837-1134 oder 1405 Telefax 0211 837-1144 [email protected] www.nrw.de Christlich - sozial - europäisch: Karl Arnold als politischer Begründer Nordrhein-Westfalens Rede von Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers beim Festakt zum 50. Todestag von Karl Arnold am Samstag, dem 21. Juni 2008 um 10.30 Uhr im Rathaus in Düsseldorf - Es gilt das gesprochene Wort - I. Seite 2 von 13 Gleich nach meiner Vereidigung als Ministerpräsident ziemlich genau vor drei Jahren, im Juni 2005, bin ich zum Grab von Karl Arnold gefahren. Um dort einen Kranz niederzulegen. Ich wollte damit ein Zeichen setzen. Ein Zeichen dafür, dass Karl Arnolds Erbe mir Verpflichtung ist. Über alle Epochen- und Regierungswechsel hinweg. Die bedeutenden Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, die auf Karl Arnold folgten – Franz Meyers, Heinz Kühn, Johannes Rau – haben jeder auf seine Art und in seiner Zeit das Gesicht unseres Landes verändert. Jeder hat wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Aber sie taten dies auf der Grundlage dessen, was Karl Arnold geschaffen hat. II. Wir müssen alles neu machen Wir erinnern uns an einen Mann, ohne den Nordrhein-Westfalen nicht zu denken ist. Als ihn sein tragischer und viel zu früher Tod vor einem halben Jahr- hundert aus dem Leben riss, hat Nordrhein-Westfalen nicht nur einen führenden Politiker verloren. Es hat damals seinen politischen Gründer verloren. Es gibt niemanden, der mit dem demokratischen Neubeginn und der Gründung unseres Landes so verbunden ist wie Karl Arnold. Und dieser Neubeginn war nicht irgendein Neuanfang. Es war der totale Neubeginn nach dem totalen Desaster. „Wir müssen alles neu machen.“ So einfach hat Konrad Adenauer das damals bei Kriegsende ausge- drückt. Deutschland lag in Trümmern. Millionen Menschen waren in einem verbrecherischen Krieg umgekommen. Unser Vaterland stand nach der Nazi-Barbarei vor dem Nichts. Das Wort von der „Stunde Null“ ist zutreffend: Deutschland war im Jahr 1945 auf dem absoluten Nullpunkt angekommen. Kaum eine Nation hat jemals eine so vollkommene militärische, politische und vor allem auch moralische Niederlage erlebt wie unsere. Es war eine große Leistung, aus diesem totalen politischen und geistigen Zusammenbruch einen Neuanfang zu wagen. Seite 3 von 13 Welcher Mut hat diese Männer und Frauen beseelt! Sie kamen aus der Kriegsgefangenschaft, den Konzentrationslagern und Gefängnissen. Sie lebten in den Trümmern und standen vor dem Nichts. Aber sie bauten ihr Land wieder auf. Stein für Stein, Wort für Wort, Mensch für Mensch. Sie schufen neues Vertrauen. Sie stifteten Zuversicht. Sie hatten Hoffnung. Und sie machten Hoffnung. Das Land wiederaufzubauen – das galt nicht nur in einem materiellen, sondern vor allem in einem moralischen Sinn. Nach der totalen Entchristlichung durch die Nazi-Barbarei ging es darum, das abendländisch-christliche Menschenbild wieder zum Maß- stab der Gesellschaft und des politischen Handelns zu machen. Das war der Grundgedanke der CDU. Der christliche Glaube war die entscheidende Keimzelle für die Gründung und den Zukunftsmut unserer Partei. Aus dieser starken Wurzel hat sich auch die Modernität der CDU als Gründungspartei der Bonner Republik gespeist. III. Der christliche Politiker Karl Arnold Und wer hätte das besser vorleben können als Karl Arnold? Er, der durchdrungen war von den Grundsätzen der katholischen Soziallehre. Er, der nach einer Schuhmacherlehre seit den 20er Jahren in der Geschäftsstelle des christlichen „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ hier in Düsseldorf gearbeitet hatte. Er, der früh seine politische Heimat in der christlichen Arbeitnehmer- bewegung und im „Zentrum“ gefunden hatte. Er, der in der Nazi-Zeit Mandat und Beruf eingebüßt hatte und verfolgt worden war. Er, der früh erkannte, dass Deutschland nach dem Krieg entweder sozial, christlich und europäisch geprägt sein musste – oder aber keine Zukunft haben würde. Ihn trieb die große Frage um: „Wie wollen wir eigentlich nach der Katastrophe leben?“ Diese existenzielle Frage war der Motor seines Handelns. Seite 4 von 13 Er wusste: Ein Leben nach der Katastrophe konnte nur auf der Basis des jüdisch-christlichen, des abendländischen Menschenbildes wieder möglich sein. Und er wusste, dass das möglich war. Gerade hier im Rheinland und in Westfalen. Denn hier im Rheinland und in Westfalen waren die christ- lichen Wurzeln intakt geblieben. Trotz aller ideologischen Verheerungen durch den Nationalsozialismus. Hier waren die Werte der katholischen Soziallehre und der evan- gelischen Sozialethik nicht zerbrochen durch die Verführungen eines kruden Materialismus. Hier war das christliche Menschenbild die prägende Weltanschauung geblieben. Karl Arnold wusste um die große versöhnende Kraft der christlichen Botschaft. Ihm ging es darum, wieder alle demokratischen Kräfte zusammenzuführen. Ihm ging es darum, die konfessionelle Spaltung zu überwinden. Ihm ging es vor allem auch darum, die sozialen und ideologischen Gräben zuzuschütten und Brücken zu bauen. Karl Arnold war ein Mann der Grundsätze. Aber er war niemals Ideologe. Sein Stil bestand nicht in Polemik und Konfrontation, sondern in Kooperation und Integration. Karl Arnold war verbindlich. Aber in seiner Haltung und in seinen Ent- scheidungen nie beliebig. Er hat Beliebigkeit immer strikt abgelehnt. Er machte eine Politik, die Verantwortungs- und Gesinnungsethik zu verbin- den wusste. Er machte immer eine Politik des Gewissens. Das machte ihn so glaubwürdig. Deshalb haben ihm die Menschen immer vertraut. IV. Die Einheit Nordrhein-Westfalens Eine Politik des Gewissens – das ist der Kern des Politikverständnisses von Karl Arnold gewesen. Und er hat das auch selbstbewusst als poli- tisches Programm für unser Nordrhein-Westfalen formuliert. Jeder kennt den Satz aus der Regierungserklärung von 1950: „Das Land Nordrhein- Westfalen will und wird das soziale Gewissen der Bundesrepublik sein.“ Das war mehr als nur eine Behauptung. Das war mehr als eine pathetische Beschwörung. Das war mehr als eine politische Formel. Es war ein Bekenntnis. Damit hat Karl Arnold eine Staatstradition begründet, die bis heute Gültigkeit hat. Seite 5 von 13 Sie hatte Erfolg, weil sie auf einer langen historischen Tradition auf- baute: Denn das Land an Rhein, Ruhr und Lippe mit dem Revier im Zentrum war immer ein Land der Arbeiter und der Bürger gewesen, nie ein Land der Schlösser, der Dynastien, der Junker und Großgrund- besitzer. Die Städte am Rhein und in Westfalen waren Orte eines freien Bürger- tums, geprägt vom Geist der Selbstbestimmung. Und der Ablehnung von Obrigkeitsstaat und Zentralismus. Bei uns in Nordrhein-Westfalen wurde der Klassenkampf beendet. Bei uns wurden die Mitbestimmung und viele andere soziale Errungen- schaften erkämpft. Bei uns liegen die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft. Historisch hat also Rheinländer und Westfalen schon immer viel mehr verbunden als getrennt. Deshalb lag es eigentlich nahe, nach dem Zu- sammenbruch aus beiden Provinzen auch eine politische Einheit zu formen. Aber das war, wie wir heute wissen, alles andere als selbst- verständlich. Als ich 2006 aus Anlass des sechzigjährigen Jubiläums unseres Landes von der britischen Regierung nach London eingeladen wurde, bat ich darum, im Nationalarchiv einmal die Originalakten der Gründungsge- schichte Nordrhein-Westfalens einsehen zu dürfen. Die Bitte wurde mir gewährt. Es war faszinierend, einmal die Originale in Händen zu halten. Und zu sehen, wie damals Geschichte gemacht wurde. Im buchstäblichen Sinne. Denn es hätte auch alles anders kommen können: Es gab den Vorschlag, die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen als jeweils eigenständige Länder zu gründen. Und es gab die Idee eines eigenen Ruhrgebietsstaates. Aber ich bin sicher, die Briten müssen von den starken inneren Verbin- dungen zwischen Rheinländern und Westfalen gewusst haben. Denn warum hätten sie sonst die Zusammenführung der beiden bisherigen preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen als „Operation Marriage“ bezeichnet? Eine Hochzeit verbindet, was zusammengehört. Und diejenigen, die lange nur von einer Vernunftehe sprachen, sind in- zwischen längst widerlegt worden. Das haben wir vor zwei Jahren beim großen Landesfest zum 60jährigen Jubiläum eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seite 6 von 13 Karl Arnold hätte dieses Fest sicher sehr gefallen. Für ihn stand von Anfang an fest, dass Nordrhein-Westfalen eine Einheit war. Aber er wusste auch, dass man diese Einheit politisch stärken musste. Das hat er nach Kräften gefördert, zum Beispiel mit der Gründung des WDR in Köln. Denn er wusste: Die Länder werden das Herzstück der jungen Demokratie sein. Und nicht irgendwelche nachgeordneten Verwaltungs- einheiten des Bundes. Er hat immer auf die Eigenständigkeit der Länder gepocht. Nicht umsonst hat ihn der Bundesrat zu seinem ersten Präsidenten gewählt. V. Karl Arnold, der Föderalist So wichtig die Länder für ihn waren: Seine Perspektive ging darüber weit hinaus. Er dachte immer gesamtdeutsch. Er war sich der besonderen bundesdeutschen Verantwortung der Länder immer bewusst. Das galt für ihn insbesondere für Nordrhein-Westfalen als größtem Bundesland. Für ihn war Nordrhein-Westfalen deshalb auch von Anfang nicht nur ein Bundesland wie andere auch, sondern das „Kernland der Bundes- republik“, wie er es einmal formuliert hat. Weil er sich dieser gesamtdeutschen Verantwortung bewusst war, hat Arnold den Bundesrat auch nie als Blockadeinstrument gegen die Bundesregierung verstanden.