„DAS LICHTLEIN IST WEG“ Nur Die Veteranen Unter Den Linksliberalen Intellektuellen Mischen Im Wahlkampf Mit
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Intellektuelle „DAS LICHTLEIN IST WEG“ Nur die Veteranen unter den linksliberalen Intellektuellen mischen im Wahlkampf mit. Die jungen Dichter und Denker halten sich heraus – oder denken rechts. Die geringe Unterstützung macht vor allem den Sozialdemokraten zu schaffen. Erst im Fall einer Großen Koalition wollen die Intellektuellen mobilisieren. or diesemAnruferistunterDeutsch- obachtet es der Soziologe Ulrich Beck, Antje Vollmer, die vom Philosophen lands linksliberalen Intellektuellen „eine gewisse Genugtuung, daß die alte Peter Sloterdijk im Kasseler Kampf um Vderzeit niemand sicher: „Hallo, hier gespenstische Schlachtordnung wieder ein Direktmandat für die Grünen unter- spricht der Klaus.“ da ist“. Dafür sorgt die Gespenster- stützt wird, meint, der typische 35jähri- Der Heidelberger Rechtsanwalt und schlacht um die PDS. ge politische Intellektuelle von heute sei Plakatkünstler Klaus Staeck, 56, Wahl- Wo aber sind die Jüngeren, wo ist die entweder Journalist oder Kabarettist. helfer der SPD seit Willy Brandts Zeiten, nächste Generation? Der Berliner „Als Meister der Feder kommentieren telefoniert in diesen Tagen kreuz und Schriftsteller Bodo Morshäuser, 41, sie den Schein des Scheins.“ Politische quer durch die Republik. Wer als Kohl- klagt rechtfertigend über den „schlech- Projekte? Nein, danke. kritisch gilt, wer von Berufs wegen eini- ten Zugang zu den großen Medien“. Er Die alten Kämpen aber, die seit Jahr- germaßen renommiert schauspielert, guckt sich den Wahlkampf leiden- zehnten dabei sind, wirken bei allem musiziert oder schreibt, der hat geringe schaftslos im Fernsehen an. Engagement ausgepowert. „Ich schwim- Chancen, ihm zu entkommen. Staeck will wieder einmal große und wohlklingende Namen für einen Wahl- aufruf zugunsten der SPD sammeln. Rund hundert Prominente, vornweg der Vorsitzende des deutschen Schriftsteller- verbandes Erich Loest, der Rhetorikpro- fessor Walter Jens und der Atomwissen- schaftler Klaus Traube, machen wieder mit. Seit vergangenem Samstag fordern sie in großen Zeitungsanzeigen: „Der Wechsel ist fällig.“ Zwischen den Sozialdemokraten und den Intellektuellen herrscht wieder pri- ma Klima, sollte man meinen. Versöhnt der einträchtig empfundene Wunsch nach Wechsel Geist und Macht? Schön wär’s. In Wahrheit lauern hinter jedem Wahl- aufruf jede Menge Zweifel. Die Vor- und Nachdenker leisten ihre Unterschrift am liebsten mit gesammelten Bedenken. Ei- ne „Jetzt-geht’s-los-Stimmung“, die seit der Dortmunder Großkundgebung vom vorletzten Sonntag zumindest weite Teile der Sozialdemokraten erfaßt hat, will un- ter den Intellektuellen nicht aufkommen. Von Elan keine Spur. Unter dem Man- gel an Zuspruch von Geistesgrößen in Kunst, Literatur und Wissenschaft leiden alle Parteien, am meisten die SPD. Helmut Kohl muß weg, sind sich so ziemlich alle Intellektuellen einig. Aber was dann, fragen sie unsicher und abwar- tend. Scharpings Wahlhelfer aus der Kultur- szene sind fast ausnahmslos Veteranen ihres Metiers. Sie lassen sich pflichtge- S. KRESIN mäß mobilisieren. Sie empfinden, so be- Wahlkämpfer Staeck, Scharping: Unterstützung von den Veteranen 18 DER SPIEGEL 37/1994 . me ein bißchen mit, aber großen Spaß Tisch erzählt, was ihn umtreibt. Dann feilen Sottisen über die realen Politiker macht es mir nicht mehr“, bekennt Klaus geht er zur Tür raus ins Sekretariat, und erschöpft (Henryk M. Broder über Traube, 66, der zu Ruhm kam, weil ihn das Lichtlein ist weg“. Scharping: „So unwiderstehlich wie eine Verfassungsschützer Mitte der siebziger Diese „Mischung aus Ratlosigkeit und kalte Dampfnudel“). Schorlemmer hat Jahre alsSympathisanten der Terroristen Melancholie“ (Härtling) hat auch ande- eine neue „Kultur des Zynismus und der verfolgten. re Intellektuelle befallen. In ihrer Not Häme“ ausgemacht: „Solcher Zynismus Für Erich Loest, 68, der einst in Baut- tun sie beides – sie bekennen, und sie ist die Feigheit, eine Position zu wagen, zen inhaftiert war und der ein vereinter zweifeln. Und vor allem stellen sie An- auch aus kluger Angst vor der Blama- Deutscher aus Neigung und Gesinnung sprüche an die Politiker, die sie in ihrem ge.“ ist, ist der Faden zur Bonner Politik „fast eigenen Metier auch nicht einlösen. Als er Bundespräsident war, versuchte völlig abgerissen“ (siehe Kasten Seite Den Geistigen und den Mächtigen er- sich Richard von Weizsäcker als Vermitt- 21). Walter Jens, 71, der sich jahrzehnte- geht es ja ähnlich. ler zwischen den Intellektuellen und den lang über Verstöße wider den Geist der Utopien und Visionen haben sie ein- Politikern bei Kamingesprächen. Ihm Republik wortmächtig erregte, kann sich gebüßt, der Ideenvorrat ist aufgezehrt. schwebt ein deutscher Octavio Paz vor; für die pragmatisch gewordene SPD nicht Hier wie dort eiferndes Reden und be- der mexikanische Schriftsteller und Di- mehr begeistern: „Warum reden die ei- redte Sprachlosigkeit. Die Intellektuel- plomat ist eine Identifikationsfigur in sei- gentlich nicht mehr über Utopien?“ len klagen über die provinziellen Politi- nem Land. Heinrich Böll kam dem Ideal Auch der Schriftsteller Peter Härtling, ker; die Politiker klagen über die Wirk- am nächsten, nachdem er den Nobelpreis 60, der sich für das Friedensdorf am Ran- lichkeitsferne der Elfenbeinturmbewoh- bekommen hatte. de der Startbahn West als Schreiber ein- ner. So jemand fehlt. setzte und den Scharping zuletzt im Fe- Soviel Unverständnis gab es öfter Auch die ostdeutschen Intellektuellen bruar diesen Jahres zum dreistündigen schon in Deutschland. mischen sich nur bedingt ein. Der Autor Gespräch in der Mainzer Staatskanzlei Die Intellektuellen haben traditionell Günter de Bruyn unterstützt Wolfgang empfing, ist enttäuscht. ein eher romantisches Verhältnis zur Thierse (SPD) per Wahlaufruf, der Wis- Scharping besitze „eine sehr schöne Politik – die Politiker ignorieren die senschaftler Jens Reich gibt sich als Bera- menschliche Kraft“, sagt Härtling. Den- Dichter und Denker vorzugsweise im ter Scharpings her. Die drei Theologen, noch empfinde er „Verzweiflung, Trau- Gefühl der Unterlegenheit. Schorlemmer, Richard Schröder und er, Unverständnis“ über einen Politiker, Friedrich Schorlemmer, den Pfarrer Joachim Gauck, beteiligen sich zuverläs- „der soviel mitbringt und so wenig rü- und Sozialdemokraten, ärgert das Miß- sig an jeder politischen Debatte über die berbringt: Der leuchtet, wenn er am verhältnis, das sich schon mal in wohl- PDS oder die Einigungskrise; mehr gibt J. H. DARCHINGER Kanzler Brandt, Brandt-Anhänger Böll (1972): Schöne Erinnerungen an spannende Zeiten DER SPIEGEL 37/1994 19 . DEUTSCHLAND es nicht. Die einstigen DDR-Emigran- statt Strauß“) kam wie von selbst auf Er traf nahezu alle privat, die von Buch- ten wider Willen, Bettina Wegener und Touren. Alle waren wieder dabei. Hel- händlern prominent plaziert werden. Das Stephan Krawczyk („Hier habe ich eine mut Schmidt, das kleinere Übel, durfte Ergebnis der kleinen und großen Runden Bühne und ein Publikum, außerdem weiterregieren. ist immer das gleiche: Der Kandidat zahlt mir die Partei 2000 Mark“), singen Brandt hatte Graß, Schmidt hatte nimmt für sich ein, aber er reißt keinen für die PDS. Popper, Kohl hat Kohl. Seit der Lei- mit. Streiten wollen sie ja alle, die Intel- denszeit mit Kurt Biedenkopf, der in Günter Graß ist der Prototyp des zwei- lektuellen, na klar. Nur: Wofür eigent- den siebziger Jahren sein Generalsekre- felnden Bekenners. Am vergangenen lich? Engagieren würden sie sich ja auf tär war, hält sich der Kanzler Geistes- Mittwoch war er nach Berlin gereist, um jeden Fall. Aber: Wogegen? schaffende gern vom Leib. Der Histori- in der Kulturbrauerei des Prenzlauer Die Intellektuellen verhalten sich der- ker Michael Stürmer („Das ruhelose Berges für den Sozialdemokraten Wolf- zeit so, wie es Hans Magnus Enzensber- Reich“) war kurzzeitig geschätzter Rat- gang Thierse, der es in seinem Wahlkreis ger einst über die Leitartikler der Frank- geber im Kanzleramt; die Schriftstelle- mitStefanHeymzutunhat, zutrommeln. furter Allgemeinen sagte: Jedem Lob für Thierse Sie ringen schreibend die folgte ein Schlag gegen Hände. die SPD, „die ich wegen Sie haben’s ja auch ihrer Asylpolitik verlas- schwer, vor allem mit ih- sen habe“. resgleichen. Sollen sie Zu Recht mußte sich mit Hans-Ulrich Klose Graß aus dem Publikum und Wolf Biermann in fragen lassen: „Warum den nächsten Golfkrieg sitzen Sie dann schon wie- ziehen? Oder es sich mit der auf einer SPD-Wahl- Heidemarie Wieczorek- veranstaltung? Ist das Zeul und Günter Graß Ihr persönlicher Fatalis- pazifistisch bequem ma- mus?“ chen? Sollen sie sich wie Der Tübinger Radikal- Stefan Heym oder Ger- demokrat Jens, der schon hard Zwerenz für die in der „Brandt-Böll-Ära“ PDS ganz ins Getümmel fürdieSPD stritt,magnur werfen? Oder wenigstens noch vereinzelt als Wahl- Joschka Fischer unter- kampfherold auftreten. stützen, der in Frankfurt In Scharpings Auftrag mit Jürgen Habermas ge- schrieb er für das Regie- wohnheitsmäßig über die rungsprogramm eine Pas- letzten Dinge palavert? sage zur Kulturpolitik. Schlimmer noch: Die „Ich erhielt aus der Ba- neue rechte Intellektuel- racke nur eine Eingangs- lenszene hat mit ihrer bestätigung“, berichtet Debatte um Nation und A. SCHOELZEL er. Westbindung für zusätz- Kontrahenten Heym, Thierse: Ins Getümmel geworfen Auch der unermüdli- liche Verwirrung unter che Günter Wallraff ha- den Linken gesorgt. Was tun gegen die rin Gabriele Wohmann darf schon mal dert mit dem Herausforderer des Dau- Noltes und die Zitelmänner? Schweigen mit auf Staatsreisen. erkanzlers. Aus gutem Grund: Im Au- oder gegenhalten? Das Nationale als al- Kohl