ZCOV_NK_2_05 29.06.2005 16:21 Uhr Seite 1

M 13276 F • ISSN 0934-9200

Neue Kriminalpolitik Forum für Praxis, Recht und Kriminalwissenschaften

NKStandpunkt: Juanita Henning zum Menschenhandel

Außerdem: Jörg Dittmann zu neueren Forschungen zur Verbrechensfurcht

Hannelore Madicke Zum Tod von Helga Einsele

22005 17. Jahrgang Prävention durch Koordination Nomos _NK_2_05_S_41_63 06.06.2005 19:34 Uhr Seite 41

INHALT

Herausgeber Titel: Prävention durch Koordination

Prof. Dr. Klaus Boers Leider gibt es keine guten Beispiele für nicht strafrechtliche Präventionsmodelle. (Universität Münster), Wir zeigen daher das, was es gibt. Prof. Dr. Heinz Cornel (Alice Salomon-FH ), Prof. Dr. Frieder Dünkel MAGAZIN (Universität Greifswald), Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug – Prof. Dr. Monika Frommel (Universität Kiel), eine Nachlese von Heinz Cornel ...... 42 Prof. Gabriele Kawamura-Reindl (Georg-Simon-Ohm-FH Nürnberg), Kriminologie zwischen Kritik und Kooperation Prof. Dr. Joachim Kersten von Michael Jasch...... 43 (FH Villingen-Schwenningen), Strafverteidigertag: Prof. Dr. Bernd Maelicke Feindstrafrecht und Willensfreiheit (FH Lüneburg), von Christine Morgenstern ...... 45 Prof. Dr. Heribert Ostendorf Neuregelungen des Menschenhandels – bewusste Regelung oder Anpassung (Forschungsstelle für Jugendstrafrecht und Kriminalprävention an der an europäische Vorgaben in normativer Unfreiheit? Universität Kiel), von Monika Frommel ...... 47 Prof. Dr. Bernd-R. Sonnen (Universität Hamburg), PD Dr. Wolfgang Stangl STANDPUNKT (Institut für Rechts- und Kriminal- soziologie Wien), Fragwürdige Instrumentalisierung von Menschenhandel Dr. Joachim Walter von Juanita Henning ...... 49 (JVA Adelsheim)

Redaktionsanschrift: TITEL Prof. Dr. Monika Frommel CAU Kiel, Kriminologisches Institut Prävention durch Koordination ...... 50 Olshausenstraße 75, 24098 Kiel Tel.: 0431 - 880 -3575 Strafverfahren gegen Frauenhändler Fax: 0431 - 880 - 7608 von Birgit Thoma ...... 52 E-Mail: [email protected] Nachruf – Helga Einsele – Ein Leben um der Überzeugung willen Kontakt: Österreich von Hannelore Maelicke ...... 56 PD Dr. Wolfgang Stangl Die Reform der Strafbarkeit von Menschen- und Frauenhandel Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie Museumstr. 5/12, Postfach 1, A 1070 Wien aus kriminologischer Sicht Tel.: 0043 -1- 526 1516 von Monika Frommel ...... 57 E-Mail: [email protected] Einwände gegen den am 19.02.2005 neu gefassten Straftatbestand Kontakt: Schweiz des Menschenhandels in § 232 Abs. 1 StGB Ass.- Prof. Dr. Christian Schwarzenegger von Monika Frommel und Martin Schaar ...... 61 Universität Zuerich Wilfriedstrasse 6, 8032 Zürich Tel.: 0041- 1- 634 3065 , Fax: 0041-1- 634 4399 THEMEN E-Mail: [email protected] Wandel in den Kriminalitätseinstellungen der Bundesbürger – eine Zeitreihenanalyse anhand allgemeiner Bevölkerungsumfragen von Jörg Dittmann ...... 64 Die (er)neue(rte) Staatsanwaltschaft von Generalstaatsanwalt a.D. H.C. Schaefer, Leimen ...... 71

NEUE KRIMINALPOLITIK TERMINAL Forum für Praxis, Politik und Wissenschaft Rechtsprechung ...... 75 Rezensionen ...... 78 17 Jahrgang, S. 41-80 NK 2/2005

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MAGAZIN

gen/Kolleginnen vorgebrachten Be- Nachlese zum Aufruf für den Verbleib der denken uneingeschränkt. Länder- rechtliche Spezialitäten wären für Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug den Strafvollzug reines Gift. Sie können sich darauf verlassen, dass beim Bund ich diesen Rechtsbereich nicht aus Heinz Cornel den Augen lassen werde.«

Hingegen sprach sich der Bun- destagsabgeordnete Rainer Funke as letzte Heft der NK behan- fältig abgewogen worden und »im gestellt, dass die Mehrheitsverhält- von der FDP für einen Wettbe- delte die drohende Zuwei- Ergebnis erscheint mir eine Regio- nisse in den Ländern doch überwie- werbsföderalismus aus. Aber auch Dsung des Strafvollzugs in die nalisierung des Strafvollzugsrechts gend sehr langfristig seien und des- er hält diesen nicht in allen Berei- Gesetzgebungskompetenz der Län- vertretbar im Zuge eines ›Gegenge- halb nicht häufigere Regierungs- chen für sinnvoll. »Zu dem in Ih- der. Abgedruckt war ein Aufruf von schäfts‹ mit den Ländern.« Die Ge- wechsel und damit Veränderungen rem Schreiben angesprochenen Ge- mehr als 80 Strafrechtswissenschaft- fahr eines völligen Auseinander- der Strafvollzugspolitik zu erwarten biet des Strafvollzugs kann ich Ih- lern, Strafvollzugsrechtlern und Kri- driftens landesrechtli-cher Regelun- seien. »Im Übrigen ist durchaus nen mitteilen, dass von meiner minologen gegen diesen Ände- gen halte sie auf Grund der verfas- nicht auszuschließen, dass sich ein- Seite Ihre Bedenken hinsichtlich ei- rungsvorschlag der Föderalismus- sungsrechtlichen Vorgaben – der zelne Landesregierungen für eine ner Länderkompetenz für den Straf- kommission vom Dezember 2004. Grundrechte und insbesondere des zusätzliche Stärkung von Resoziali- vollzug geteilt werden. Es darf im Inzwischen haben diesen Aufruf Resozialisierungsgebots für sehr ge- sierungsmaßnahmen entscheiden, Strafvollzug nicht zu einem ›Fli- mehr als 100 Kollegen und Kolle- ring. da sie hoffen, durch geringere Rück- ckenteppich‹ kommen. In einem ginnen unterschrieben, er wurde in fallquoten Einsparungen an ande- Bereich, in dem die Rechte von Bür- zahlreichen Fachzeitschriften abge- Die bayrische Staatsministerin rer Stelle zu erzielen.« Der Bundes- gern so stark durch staatliche Ein- druckt, von mehreren Verbänden der Justiz Frau Dr. Beate Merk äu- tagsabgeordnete Zeitlmann betonte griffe berührt werden, müssten unterstützt und an die Justizminis- ßerte zunächst Verständnis dafür, gleichzeitig, dass sich der bundes- bundeseinheitliche Regelungen be- terien des Bundes und der Länder dass man an der vertrauten Bundes- deutsche Strafvollzug in der derzeit stehen. Die Qualität des Strafvoll- sowie Mitglieder der entsprechen- kompetenz für den Strafvollzug fest- bestehenden Form durchaus be- zugs und auch die Maßnahmen für den Rechtsausschüsse versandt. Die halten wolle, zumal sich das »mo- währt habe und zumindest eine eine Wiedereingliederung dürfen, Reaktionen darauf waren – wie derne Strafvollzugsgesetz« im Gro- umfangreiche Reduzierung der im Sinne der Allgemeinheit und des nicht anders zu erwarten – differen- ßen und Ganzen bewährt habe. Für Standards nicht wünschenswert sei. einzelnen Bürgers, in verschiede- ziert. Die im Aufruf genannten Ge- die Überführung des Strafvollzugs Er sichert den Unterzeichnern des nen Bundesländern nicht von der fahren wurden von einigen als in die Landeszuständigkeit spräche Aufrufs zu, die vorgetragenen Argu- jeweiligen Haushaltslage und wech- übertrieben, von anderen als zutref- vor allem die Möglichkeit, dass die mente nochmals abzuwägen und in selnden politischen Verhältnissen fend eingeschätzt. Einige sind be- Kosten des Strafvollzugs besser ge- die gegebenenfalls zu treffende Ent- abhängig sein.« Das Schreiben en- reit, ergebnisoffen zu beraten, die steuert werden und das Gesetzge- scheidung einzubeziehen. det mit der Versicherung, dass sich Grünen schweigen. Aber begeisterte bungsverfahren auf Landesebene die FDP-Vertreter für eine bundes- Befürworter einer Verlagerung der wesentlich beschleunigt werden Erfreulich schnell und ergebnis- einheitliche Regelung des Strafvoll- Gesetzgebungskompetenz für den könnten. Die Argumente des Auf- offen war die Reaktion des parla- zugs einsetzen werden. Strafvollzug auf die Länder melde- rufs hält die bayrische Justizministe- mentarischen Geschäftsführers der ten sich nicht. rin für überzogen. »Bei einer Ände- CDU/ CSU-Bundestagsfraktion Dr. Seltsam bedeckt hielten sich die rung der Gesetzgebungszuständig- Norbert Röttgen. Er teilte uns mit, Vertreter von SPD und Grünen im In NK 1/2005, S. 6 haben wir keit besteht keineswegs die Gefahr, dass unter den Rechtspolitikern im Rechtsausschuss des Bundestages. Es zwölf Fragen an die Bundesministe- dass einzelne Länder den Strafvoll- deutschen Bundestag – über die war von ihnen keine Reaktion zu er- rin der Justiz Brigitte Zypries abge- zug auf einen reinen Verwahrvoll- Fraktionen hinweg – erhebliche Be- halten. Nur eine Stimme signalisier- druckt. Es fiel ihr erkennbar schwer zug reduzieren. Die Unterzeichner denken gegen die Übertragung der te ungeteilte Zustimmung, die Jus- zu antworten und noch schwerer zu des Aufrufs können darauf vertrau- Bundeskompetenzen für den Straf- tizsenatorin Karin Schubert, argumentieren. Mittlerweile hat sie en, dass die Gesetzgebungsorgane vollzug auf die Länder bestünden. schrieb unter anderem folgendes: indirekt unsere Fragen beantwortet: der Länder die ihnen zugewiesenen Die Argumente im Aufruf in mei- Ich teile Ihre Bedenken gegen die Argumente gab es offenbar keine für Zuständigkeiten ebenso verantwor- nem Anschreiben seien deshalb für Verlagerung der Gesetzgebungskom- die den Ländern angebotene Zu- tungsbewusst und sachkundig wahr- die zukünftigen Diskussionen sehr petenz auf die Länder. Auch ich sehe ständigkeitsverlagerung, aber aus nehmen wie der Bund.« wertvoll für ihn. als verfehlt an, eine gewachsene und der Binnensicht von Politikerinnen bewährte bundeseinheitliche Geset- und Politikern gab es gute Gründe, Ähnlich äußert sich die CSU-Lan- Auch das Mitglied des Rechtsaus- zesmaterie zu zersplittern. Ich trete die Rechtseinheit auf diesem noto- desgruppe, vertreten durch ihren schusses des Bundestags Siegfried dem Ansinnen der Föderalismus- risch umkämpften Gebiet zu op- Vorsitzenden Wolfgang Zeitlmann. Kauder (CDU) dankte für das kommission daher nachdrücklich fern, um Luft für Kompromisse in Zunächst stellte er kritisch fest, dass Schreiben, stimmte ihm inhaltlich entgegen und setze mich hierfür auf anderen Feldern zu bekommen. im Rahmen der jetzigen Gesetzge- zu und schrieb u.a.: »Die Föderalis- allen politischen Ebenen ein. Dabei Auch stellt sie in Ihrem Schreiben bungskompetenz des Bundes der muskommission hatte in der Tat führe ich unter anderem gerade fest, dass es nur um die Übertragung Bundesgesetzgeber zu Lasten Drit- vor, die Gesetzgebungskompetenz auch die von Ihnen vorgebrachten der Gesetzgebungskompetenz für ter, also zu Lasten der Länderhaus- für den Strafvollzug als Bauernopfer Argumente in die Diskussion ein.« den Strafvollzug, nicht aber für den halte entscheide. Mit Hinweis auf auf die Länder zu übertragen. Ich Untersuchungshaftvollzug gehe. den knappen Ausgang der letzten selbst bin seit 26 Jahren Strafvertei- Auch der rechtspolitische Spre- Die für und gegen solche Änderung Bundestagswahl nach nur vier Jah- diger und teile aus der Praxis heraus cher der PDS-Fraktion im Abgeord- sprechenden Argumente seien sorg- ren rot-grüner Mehrheit wird fest- die von Ihnen und Ihren Kolle- netenhaus von Berlin ist der Auffas-

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sung, »dass eine Abschaffung der lung von Strafgefangenen, die nach der Föderalismuskommission nicht füllt über Konsequenzen und mögli- Gesetzgebungskompetenz des Bun- gleichen Strafgesetzen bestraft wer- berücksichtigt worden war. che Gefahren zu informieren, einen des im Bereich Strafvollzug verfehlt den für äußerst problematisch, hält Rechtfertigungsdruck zu erzeugen wäre.« Der Abgeordnete Dr. Klaus Man wird darüber streiten kön- und das Thema Strafvollzug nicht als Lederer hält die Abschaffung der jedoch die Möglichkeiten seiner ei- nen, ob diese Reaktionen eher ermu- gar zu leichten Spielball zu benutzen. Bundeskompetenz auch unter dem genen Einflussnahme für gering, tigend oder ernüchternd sind. Der Gesichtspunkt der Gleichbehand- zumal die PDS bei der Besetzung Aufruf hat allemal seinen Zweck er-

sche Diskurs zumindest an die Rhe- Sicherheitsindustrien und die Rolle Kriminologie zwischen Kritik torik des kriminalpolitischen Zeit- der Medien sollten stärker als bis- geistes heran gekommen ist. Natür- lang in das Blickfeld der Kriminolo- und Kooperation lich entscheidet sich erst mit der gie gelangen. Diesen Punkt griff Vorgehensweise und Ausrichtung später Karl F. Schumann auf, der die Große Resonanz auf Kriminologietag dieser Arbeiten, ob und in wel- Einrichtung eines gemeinsamen chem Umfang der Kriminologe als »Arbeitskreises Medien« als Schnitt- in (Main) »Bedarfsforscher« (vgl.: M. Walter, stelle zwischen kriminologischer Michael Jasch in: NEUE KRIMINALPOLITIK 2000, Heft 1) Forschung und Massenmedien an- agiert – und wenn ja, dann für regte, und damit auf große Zustim- wessen Bedarf. mung stieß. Für eine Überwindung er rechtspolitische Zug schaftler und Justizpraktiker aus der überkommenen Gräben zwi- scheint unaufhaltsam auf ei- den Reihen der Gesellschaft für In Frankfurt spitzte ein mit Mar- schen kritischen und praxisorien- Dnem Kurs von Punitivität interdisziplinäre wissenschaftliche tin Killias, Friedrich Lösel, Corne- tierten Kriminologen sowie den und Kontrolle zu sein. Kriminalpo- Kriminologie (GiwK), der Neuen Kri- lius Prittwitz und Fritz Sack besetz- unterschiedlich ausgerichteten litiker beschwören die »Sicherheit« minologischen Gesellschaft (NKG) tes Podium die Frage – etwas zu – Fachgesellschaften sprach sich wie eine Ikone. Ob die Ausweitung und der Schweizerischen Arbeits- schnell auf das Verhältnis zwi- Cornelius Prittwitz (Frankfurt a.M.) der Sicherungsverwahrung, mehr gruppe für Kriminologie (SAK) in schen Empirie und Theorie zu. So mit Nachdruck aus. Kriminologie und längere Haftstrafen, DNS-Kar- Frankfurt am Main zusammen ge- sprach sich Friedrich Lösel (Erlan- müsse sich heute sowohl mit den teien oder der staatliche Zugriff auf kommen sind. Die Sorge um einen gen-Nürnberg) für eine (noch) stär- Ursachen und der Prävention von die Kontodaten jedes Bürgers – al- »drohenden oder schon vollzoge- kere Bedeutung empirischer For- Kriminalität befassen als auch – les scheint im Dienste des eher af- nen Bedeutungsverlust« der Krimi- schung aus: »Wissenschaft muss dem Anspruch der Wissenschaft- fektiven als präzise bestimmbaren nologie, wie es im Tagungsaufruf vor allem empirisch arbeiten«, lichkeit folgend – stets kritisch sein. Begriffes der Sicherheit willkom- hieß, hatte acht Hochschullehrer meinte er. Dies gelte auch für den Gerade das gegenwärtig zu konsta- men zu sein. An kriminologisch- und -lehrerinnen zu dieser Initiati- Bereich der Kriminalprävention, tierende Desinteresse der Kriminal- empirischen Belegen für ihre For- ve bewogen. Die hinter den skiz- die eine Form des gesellschaft- politiker könne, vielleicht parado- derungen und Initiativen sind die zierten Themen liegenden Fragen lichen Risikomanagements darstel- xerweise, eine größere Einigkeit kriminalpolitischen Akteure meist sind wissenschaftstheoretisch kei- le, bei deren Evaluation stets ethi- und Kooperation zwischen den an ebenso wenig interessiert wie die neswegs neu, aber hochgradig ak- sche, rechtliche und politische Zu- ihrer gesellschaftlichen Wahrneh- breite Öffentlichkeit. Die Sorge tuell: Durch wen oder was wird der sammenhänge »mitgedacht« und mung interessierten Kriminologen von Bürgern über Kriminalität hält Gegenstand der Kriminologie – sei damit auch immanent bewertet bewirken. sich trotz konstanter oder rückläu- es in den Lehrbüchern, der For- werden müssten. Dass speziell die figer Kriminalität auf hohem schung oder den Fachdiskursen – »deutsche Kriminologie überaus Gegen ein »verbreitetes Jam- Niveau. Eine breite öffentliche heute eigentlich bestimmt? Ist die lehrbuchlastig« sei, bemängelte mern« unter den Kriminologen Opposition gegen die stetigen Aus- wissenschaftliche Distanz der Kri- Martin Killias (Lausanne), der sich über die eigene Wirkungslosigkeit weitungen von polizeilichen Ein- minologen noch ausreichend gesi- ebenfalls für eine Verstärkung der wandte sich Christian Pfeiffer (Han- griffsbefugnissen und Datensamm- chert, wenn sich die Profession zu empirischen Forschungsanstren- nover), der stattdessen von seinen lungen sucht man im deutschspra- einem großen Teil mit Auftrags- gungen stark machte. Kolleginnen und Kollegen deut- chigen Raum vergebens. und Begleitforschung zu aktuellen lichere Schritte in die Öffentlichkeit staatlichen Projekten verdingt und Dass dennoch nicht ohne theo- und ein offensiveres Zugehen auf Angesichts dieser gesellschaft- dabei mehr oder weniger reflektiert retische Fundierung auszukommen die kriminalpolitisch Verantwort- lichen Großwetterlage war es über- sowohl die Gegenstände als auch ist, machte Fritz Sack deutlich, der lichen forderte. Auf diesen Wegen fällig, dass die Kriminologen der die Terminologie dieser Initiativen davor warnte, »die Empirie durch gebe es durchaus, wie Pfeiffer an- großen Fachorganisationen im übernimmt? An den in jüngerer das Nadelöhr der Theorie zu zwän- hand von Beispielen illustrierte, deutschsprachigen Raum gemein- Zeit zunehmenden Thematisierun- gen«. Angesichts der sich radikal reale Chancen, kriminologische Er- sam ihr Verhältnis zu Prävention gen von »gemeingefährlichen Tä- wandelnden europäischen Gesell- kenntnisse wirksam werden zu las- und Sicherheit sowie die Situation tern« (so das Titelthema von Heft 4 schaften sieht Sack die künftigen sen. Dieser Einschätzung schloss ihrer Wissenschaft in der Ausbil- der NEUEN KRIMINALPOLITIK 2004), so- Aufgaben der Kriminologie unter sich Kai-D. Bussmann () an, dung sämtlicher im Bereich des genannten Intensivtätern oder des anderem in einer stärkeren Befas- der zudem auf einen Mangel enga- Kriminaljustizsystems tätigen Be- Islamismus als einer innerstaat- sung mit neuen Gegenstandsberei- gierter und qualifizierter Kriminolo- rufsgruppen diskutierten. Diese lichen Bedrohung (vgl. Bundes- chen: Nicht vornehmlich die tradi- gen an den Lehrstühlen hinwies: beiden Themen bildeten die ministerium des Inneren: Texte zur tionell im Fokus stehenden Grup- »Es gibt viel zu wenige Leute an den Schwerpunkte des ersten Krimino- Inneren Sicherheit 2003) lässt sich pen von Tätern und Opfern, Hochschulen, die Kriminologie be- logietages, zu dem 130 Wissen- ablesen, wie nah der kriminologi- sondern die Politik, die privaten treiben und nicht nur lesen wol-

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len«. Auch Rüdiger Lautmann bildung künftiger Juristen und Poli- stellungen aus dieser Wissenschaft Während des Kriminologietages (Hamburg) warnte, es sei eine Illu- zisten, Sozialwissenschaftler und nur im Rahmen allgemeiner Einfüh- haben sich drei Punkte heraus kris- sion zu glauben, die Empirie von der Sozialarbeiter, Psychiater und Psy- rungen in juristische und soziologi- tallisiert, die sowohl die gesell- kriminalpolitischen Agenda entkop- chologen diskutierten die Teilneh- sche Grundlagen oder von indivi- schaftspolitische Stellung dieser Dis- peln zu können: »Empirie, die am mer in gesonderten Arbeitskreisen. duellen Studienschwerpunkten der ziplin als auch die Diskussionskul- Meinungsklima vorbeigeht, wird Der in Deutschland ganz überwie- Studierenden angesprochen. Dabei tur ihrer Repräsentanten berühren: nicht gehört«, sagte Lautmann. Da- genden Verortung der Kriminologie böten gerade jetzt die aus dem euro- ● An einem regelmäßigen, institu- gegen mahnte Klaus Boers (Münster) an den juristischen Fakultäten ent- päischen Bologna-Prozess hervorge- tionalisierten Forum der gesam- bei aller tagesaktuellen Ausrichtung sprechend, stießen die Diskussio- gangenen neuen Studiengänge an ten deutschsprachigen Krimino- die Notwendigkeit einer grundla- nen über den Standort der Krimi- den Fachhochschulen die Chance, logie, über die Grenzen der in genorientierten und theoriegeleite- nologie in diesem Bereich der Aus- die Kriminologie als interdisziplinä- ihren Schwerpunkten unter- ten Forschung an. Ausgangspunkt bildung auf das Interesse der res Fach stärker als bisher in die Ba- schiedlich ausgerichteten Fach- jeder Forschung müsse die Untersu- meisten Wissenschaftler. Gegen- chelor- oder Masterstudiengänge zu gesellschaften hinweg, besteht chung grundlegender Zusammen- stand der Diskussionen unter Lei- integrieren. Unabdingbar sei jedoch aktuell zugleich ein kaum über- hänge sein. Zugleich betonte er, dass tung von Jörg-Martin Jehle waren eine Verbesserung der materiellen sehbarer Bedarf und ein erheb- es nicht weiterführen könne, auch vor allem die aktuellen Perspekti- und personellen Ausstattung an den liches Interesse unter den Kri- nur implizit von einem vermeint- ven, die sich aus den in den Einrichtungen, die derzeit kaum ei- minologen. In den beteiligten lichen Gegensatz zwischen Theorie Bundesländern geschaffenen Mög- gene Forschungsarbeiten zulasse. Vereinigungen scheint einer und Empirie auszugehen. Nur, wenn lichkeiten für ein von den Universi- Für künftige Kriminologietage und Mehrheit der Mitglieder die un- diese Begriffe weder in ein Gegen- täten eigenständig organisiertes ähnliche Fachtagungen wünschten mittelbaren Diskussionen inner- satz- noch in ein Subordinationsver- Schwerpunktstudium ergeben. sich die Teilnehmer die Einrichtung halb der eigenen Organisation al- hältnis gestellt werden, könne kri- einer Arbeitsgruppe, mit der die lein nicht mehr auszureichen, minologische Forschung zu echten Ein eher düsteres Bild der Lage Kommunikation zwischen den auch wenn die Fachgesellschaf- Erkenntnisgewinnen führen. zeichneten die Teilnehmer der Ar- Lehrkräften an den Fachhochschu- ten aufgrund ihrer unterschiedli- beitsgruppe, die sich unter Leitung len gefördert wird. chen Orientierungen weiterhin Wie der Wissenstransfer in die von Dieter Hermann (Heidelberg) ihre Existenzberechtigung ha- Praxis aussehen kann und welche mit der Relevanz der Kriminologie Ganz anders ist gegenwärtig die ben. Doch die Grenzen zwischen Probleme damit verbunden sind, in den sozialwissenschaftlichen Kriminologie im Rahmen der Aus- den Anhängern einer »kritischen diskutierte ein zweites Podium mit Studiengängen befasste. Sowohl in bildung von Polizeibeamten posi- Kriminologie« und den Ätiolo- Hans-Jürgen Kerner, Karl F. Schu- der universitären Lehre als auch tioniert, wie eine von BKA-Vizeprä- gen lassen sich oft nicht mehr so mann, Christian Pfeiffer und Arno den soziologischen Fachjournalen sident Jürgen Stock moderierte eindeutig und fraktionsartig aus- Pilgram anhand des Periodischen und -verbänden spiele diese Diszi- Gruppe herausfand. In den Ausbil- machen, wie dies vor einigen Sicherheitsberichtes (PSB). Derzeit plin eine höchst untergeordnete dungsgängen für den höheren und Jahrzehnten noch der Fall war. beginnen in Deutschland die Arbei- Rolle. Die Gründe dafür wurden gehobenen Kriminaldienst gewinne Das Feld zwischen den denkba- ten an einer zweiten Version dieses einerseits in der spezifischen Aus- die Kriminologie derzeit sogar an ren Polen von pragmatischer Po- 2001 erstmals erschienenen Berich- richtung der deutschen Sozial- Bedeutung. Im Bundeskriminalamt litikberatung und radikalkon- tes der Bundesregierung, an dem wissenschaften, andererseits aber etwa wurde diese Wissenschaft struktivistischer Kritik ist bunter fünf Hochschullehrer für Krimino- auch in der Kriminologie selbst, die kürzlich zu Lasten der juristischen geworden. Den Akteuren gemein logie maßgeblich mitgewirkt hat- neuere soziologische Entwicklun- Inhalte ausgebaut, berichtete Jür- ist ihre zunehmende Sorge um ten. Dabei äußerte Kerner, er hielte gen kaum rezipieren und eigene Er- gen Stock. Auch im Vergleich zur die Abkopplung des kriminalpoli- ein gänzlich unabhängiges Gre- gebnisse selten in die aktuellen Dis- Soziologie, der noch immer das ne- tischen Alltagshandelns von den mium als Produzenten derartiger kussionsprozesse der Soziologen gative Image eines polizeikritischen wissenschaftlichen Einsichten. Lageberichte für eine vorzugswürdi- einbringe, gesehen. Hermann regte Faches anhafte, stehe die Krimino- ● Um einer solchen Abkopplung ge Lösung. Während der Diskus- neben der Gründung kriminalso- logie gut da. Trotz einer angespann- entgegenzuwirken ist es vor allem sion mit dem Plenum stellte sich ziologischer Sektionen in den Fach- ten Haushaltslage sei auch auf erforderlich, sich den Herausfor- schnell heraus, dass es sich bei dem verbänden auch an, die Universitä- Landesebene eine Erweiterung der derungen zu stellen, die eine mas- PSB vornehmlich um ein universi- ten mögen ihr Lehrangebot für die kriminalistisch-kriminologischen For- senmedial vermittelte, geprägte täres Thema handelt. Sowohl Prak- Studierenden der unterschiedlichen schungsstellen zu verzeichnen. Je- und zum Teil sogar generierte Kri- tiker als auch Fachhochschuldozen- Fachrichtungen stärker interdiszi- doch werde in den Ausbildungsein- minalpolitik an Wissenschaft und ten berichteten, die Ergebnisse die- plinär öffnen und die Studienleis- richtungen ein Spannungsverhält- Lehre stellt. Die Frage, wie eine auf ses Projektes würden in ihren tungen gegenseitig anerkennen. nis zwischen Theorie und Praxis Rationalität, empirischen Belegen Institutionen so gut wie überhaupt diskutiert: Anzutreffen sei die Sor- und rechtsstaatlicher Freiheit ba- nicht rezipiert. Als verbesserungsbedürftig sahen ge, dass die Kriminologie zu wenig sierende Kriminalpolitik, die zu- auch die Lehrenden an Fachhoch- »Handwerkszeug« für die Beamten gleich überzeugende Antworten Bevor Hans-Jürgen Kerner mit ei- schulen für Sozialpädagogik und so- vermittele oder durch ihr wissen- auf stabile emotionale Strömun- ner umfassenden Bestandsaufnah- ziale Arbeit die Stellung der Krimi- schaftliches Hinterfragen sogar zu gen und Bedürfnisse in der brei- me der aktuellen Situation der Kri- nologie an ihren Einrichtungen an. einer Handlungsunsicherheit bei ten Bevölkerung bereithält ausse- minologie und einer Bilanz des Kri- Derzeit, so konstatierten die Teilneh- den Polizisten führe. Die Teilneh- hen kann, wird die Kriminologie minologietages die Veranstaltung mer dieses Arbeitskreises unter der mer dieses Arbeitskreises erwarteten in den nächsten Jahren vordring- abschloss, stand die Situation der Diskussionsleitung von Gabriele Ka- von der Wissenschaft überwiegend lich beschäftigen. Hier haben die Kriminologie in der Ausbildung im wamura-Reindl (Nürnberg), sei kein »Zahlen, Fakten und Lösungen im Wissenschaftler eine Bringschuld Mittelpunkt der Tagung. Sowohl einziges Fachhochschul-Curriculum Sinne von Handlungsorientierun- zu begleichen. Ebenso dringlich den Ist-Zustand als auch die Per- bekannt, in dem die Kriminologie gen, nicht aber eine moralisierende stellt sich den Kriminologen aller- spektiven einer Verankerung krimi- als eigenes Fach explizit vorhanden oder ideologisierende Kriminolo- dings die grundsätzlichere Aufga- nologischer Themen in der Aus- ist. Wenn überhaupt, würden Frage- gie«, berichtete Stock. be, von Politik und Öffentlichkeit

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mit ihren Erkenntnissen gehört zu werden, ohne ihre wissen- Strafverteidigertag: schaftliche Distanz auf dem »Al- tar« der Mediengesellschaft zu op- Feindstrafrecht und Willensfreiheit fern. Christine Morgenstern ● Grundvoraussetzung einer wis- senschaftlich fundierten Mit- gestaltung ist eine starke Krimi- roße Fragen auf dem 29. unterstellt, sondern das Gegenteil sich des Folterverbots bzw. vorgela- nologie an den Universitäten, Strafverteidigertag: Brauchen ist der Fall, und der Unredliche ist gerter Maßnahmen an. Hier ist ne- Fachhochschulen und Ausbil- Gwir ein Parallel-, ein Feind- »potenziell gefährlich und muss ben der Absage an jegliche Relati- dungseinrichtungen möglichst strafrecht? Oder brauchen wir viel- deshalb beobachtet werden.« Er vierung des Folterverbots die Forde- aller Berufsfelder, die mit den leicht gar keines mehr? Die Ver- warnt dann eindringlich davor, das rung wichtig, das Zusatzprotokoll »Kriminalität« genannten Phä- anstalter hatten noch etwas be- Wuchern von Gefährdungsbe- zur UN-Antifolterkonvention zügig nomenen in Berührung kom- scheidener, aber nicht weniger kämpfungs- oder »Risikosteue- zu ratifizieren und umzusetzen. men. Einhellig warnten verschie- grundsätzlich gefragt: »Wen schützt rungsgesetzen«, die alles Heil im Außerdem müsse ein nationales dene Redner während des das Strafrecht?« Die 500 Teilnehmer Vorrang der Prävention vor der Re- Gremium zur Kontrolle insbeson- Kriminologietages davor, die Kri- beschäftigten sich vom 4. – 6. März pression sehen, zu akzeptieren. Er dere in den Haftanstalten einge- minologie im Zuge von Spar- 2005 in Aachen unter diesem Ge- nennt dabei als Beispiele das Terror- setzt werden. Die Arbeitsgruppe 5 oder Umstrukturierungsmaßnah- neralthema mit dem Spannungs- und das Geldwäschebekämpfungs- »Europäischer Sicherheitsstaat – Eu- men in den Curricula oder Lehr- verhältnis zwischen Sicherheit und gesetz oder das jüngst in Kraft ge- ropäischer Polizeistaat?« kritisiert in stuhlwidmungen zurückzudrän- Freiheit. In sechs Arbeitsgruppen tretene Gesetz zur Förderung der ihrem Ergebnispapier sehr grund- gen oder gar verschwinden zu ging es um immer längere Strafen Steuerehrlichkeit; aber auch jene sätzlich die rein sicherheitsorien- lassen. Insbesondere die straf- und die Sicherungsverwahrung; um Gesetze, die die Schwelle für Gefah- tierte, »bürokratische und utilitaris- juristische Ausbildung könne gesperrte Zeugen und gesperrte Ak- rermittlungseingriffe deutlich her- tische« Brüsseler Rechtssetzung in ohne ihre kriminologischen und ten; neue Erkenntnisse zu Willens- absetzen, wie zum Beispiel das G- Straf- und Strafverfahrensrecht, die rechtssoziologischen Bezüge freiheit; um das Folterverbot; um 10-Gesetz; zeigt auch offen sein häufig eine Angleichung auf den nicht sinnvoll betrieben werden. europäische Entwicklungen und Misstrauen gegenüber allem, was niedrigsten Rechtsstandard mit sich Eine starke Kriminologie ist wie- um die Strafprozessreform. das Strafrecht »therapeutisieren« bringe und konkretisiert das am derum angewiesen auf qualifizier- will. Es ist Haffke ein Anliegen, dar- Beispiel des Europäischen Haftbe- te Forscher unterschiedlicher Dis- Konkretisiert wurde das Thema auf hinzuweisen, dass dieser weitge- fehls. Die Arbeitsgruppe befürwor- ziplinen, die diese Wissenschaft am Freitagabend im engagierten Er- henden Sozialkontrolle unter dem tet weitere Vernetzungen und auch auch tatsächlich be- und voran- öffnungsvortrag von Prof. Dr. Bern- Etikett der Prävention nicht da- die Einrichtung einer »Selbsthilfe- treiben. Dafür reicht es nicht aus, hard Haffke, Passau, »Vom Rechts- durch ausgewichen werden kann, organisation« der Strafverteidiger sich mit der drohenden Situation saat zum Sicherheitsstaat?« Ihm ist dass man solche Aspekte aus dem auf europäischer Ebene, wie etwa zufrieden zu geben, dass – wie es eine Erweiterung der klassisch-ab- Strafrecht und Strafprozessrecht einen »Eurodefensor«. Die Arbeits- ein Tagungsbesucher formulierte wehrrechtlichen Sicht wichtig, die sauber heraushält und in ein Ge- gruppe 6 schließlich befasste sich – »jeder, der ein Kriminologie- sich auf den Schutz vor Eingriffen fahrenabwehrrecht, d. h. in das Po- mit der Strafprozessreform. Sie be- buch vorlesen kann, auch Krimi- des Staates in die Freiheitsrechte lizeirecht verlagert. dauert, dass die Vorschläge des Dis- nologie macht, nur weil es eben des Bürgers konzentriert. Dabei will kussionsentwurfs für eine Reform zufällig auf dem Lehrplan steht«. er sich allerdings nicht dem »Main- Der Samstag war den sechs Ar- des Strafverfahrens vom Februar Durch die engagiert geführten stream zeitgenössischen Sicher- beitsgruppen gewidmet, die inhalt- 2004 durch die Justizminister der Diskussionen und die deutliche heitsdenkens«1 anschließen, son- lich durch das gut zusammenge- Länder nicht nur nicht vorange- Annäherung zwischen Mitglie- dern die in der Rechsprechung des stellte Materialheft vorbereitet wer- bracht wurden, sondern eher eine dern der großen Fachgesellschaf- Bundesverfassungsgerichts und in den konnten. Die Ergebnisse sind »Gegenreform« zu verzeichnen sei. ten hat der erste Kriminologietag der Literatur erarbeiteten Figuren, inzwischen im Internet unter Sie erneuert bzw. erweitert unter zu einer Stärkung dieser Disziplin etwa der »grundrechtlichen Schutz- www.strafverteidigervereinigun- anderem die Forderungen nach bereits beigetragen. Eine regel- pflichten« oder des »Grundrechts gen.de abrufbar. Die Arbeitsgruppe Ausdehnung der notwendigen Ver- mäßige Wiederholung derartiger auf Sicherheit«, reflektieren, die ih- 1, die sich mit (lebens-)langen Frei- teidigung für alle Verfahren vor Tagungen ist überaus wünschens- rerseits auf Wandlungen des Staates heitsstrafen und der Sicherungsver- dem Schöffengericht und nach wert und zu erwarten. hin zu einem »Risikobeherr- wahrung beschäftigt hatte, wieder- technischen Aufzeichnungen aller schungsstaat« reagieren. Mit ande- holt alte, aber eben leider nicht ob- Vernehmungen im Ermittlungsver- Dr. jur. Michael Jasch ist wissenschaft- ren Worten: Das Strafrecht, ob- solete Forderungen unter anderem fahren sowie der gesamten Haupt- licher Mitarbeiter und Lehrbeauf- gleich als Reaktion auf begangenes nach Abschaffung jeglicher Form verhandlung. tragter am Institut für Kriminalwis- Unrecht konzipiert, »entrinnt nicht der Sicherungsverwahrung und ver- senschaften der Johann Wolfgang der Herrschaft des prospektiven, langt eine Standardisierung und Die Verfasserin dieses Beitrags Goethe-Universität Frankfurt a.M., FB des präventiven Sicherheitsparadig- Verbesserung von Prognosegutach- nahm an der Arbeitsgruppe 3 mit Rechtswissenschaft, sowie Geschäfts- mas«, es bedarf also einer systemi- ten. Die Arbeitsgruppe 2 »Sicher- dem kryptischen Titel »Tun wir, was führer der Gesellschaft für interdiszi- schen Gesamtschau. Er weist in die- heitsstaat versus Fair Trial/Gesperr- wir wollen oder wollen wir, was wir plinäre wissenschaftliche Kriminologie sem Zusammenhang auf den Wan- te Zeugen und gesperrte Akten« er- tun?« teil. Hier ging es um neue Er- (GiwK), [email protected] del des Menschenbildes hin, der – hebt vor allem die Forderung, dass kenntnisse der Hirnforschung zur nicht erst seit Herbst 2001 – die mo- die staatliche Zurückhaltung von Willensfreiheit und den Diskurs mit derne Gesetzgebung beherrscht: Es Beweismitten (durch Sperrerklärun- Philosophen und – zögernd – auch ist nun offenbar von Misstrauen ge- gen etc.) zumindest in vielen Fällen Juristen, für die diese Frage nach der prägt; im Gefahrenvorfeld wird zu einem Verfahrenshindernis füh- Existenz oder der bloßen Illusion dem Bürger nicht mehr Redlichkeit ren muss. Arbeitgruppe 4 nahm der Willensfreiheit zentrale Bedeu-

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tung insbesondere im Hinblick auf waren, eine bestimmte Bewegung Individuen, dass zumindest einige Den Abschluss der Tagung bildete das Schuldprinzip des Strafrechts auszuführen. Diese Handlung im Li- unserer Handlungen frei sind im am Sonntagvormittag die Schluss- hat. Die Veranstalter hatten gut ge- bet-Experiment ist ethisch und emo- Sinne von ›nicht determiniert‹. An- diskussion »Vom Bürger- und Feind- plant und viel Zeit für Diskussionen tional irrelevant, so dass über ent- dererseits scheint der Determi- strafrecht?«. Auf dem Podium saßen gelassen, die von den Teilnehmerin- sprechend relevante Handlungen, die nismus der Physik unumgänglich. Prof. Günter Jakobs aus Bonn, Prof. nen und Teilnehmern der sehr gut etwa für das Strafrecht bedeutsam Während kompatibilistische Ansät- Rainer Hamm aus Frankfurt, Prof. besuchten Arbeitsgruppe auch leb- wären, keine Aussage getroffen wer- ze versuchen, den Determinismus Bernhard Haffke und der Bundesan- haft in Anspruch genommen wur- den kann – möglicherweise werden der Physik mit der Freiheit verträg- walt Rainer Griesbaum. Erwartungs- de. Man merkte deutlich, dass trotz hier ganz andere Hirnmechanismen lich zu machen (etwa durch ein gemäß schossen sich die Teilneh- des von den klassischen Anliegen ei- aktiviert. Im Gegensatz zu namhaf- »Herunterschrauben« des involvier- mer der Diskussion schnell und nes Strafverteidigertages doch rela- ten Hirnforschern wie etwa Singer, ten Freiheitsbegriffs), gehen inkom- heftig auf Jakobs ein, der damit aus- 2 tiv weit entfernten Themas mit Prinz oder Roth, schließt sich deshalb patibilistische Ansätze davon aus, reichend Gelegenheit bekam, un- interdisziplinärem Ansatz bei den Grothe der Auffassung derjenigen an, dass Determinismus und Freiheit in verändert und beharrlich sein Kon- Zuhörern entsprechender Diskus- die festhalten, dass die unvorstellbare zept des Feindstrafrechts zu vertre- keinem Fall miteinander vereinbar sionsbedarf vorhanden war: Trieb Komplexität des Gehirns Extrapola- ten (im Materialheft war der auch sind. Solche Argumentationen set- die einen die Sorge, die Hirnforscher tionen, die aus Befunden von reduk- online erschienene Beitrag »Bürger- zen sehr häufig einen starken Frei- könnten durch ihre neuesten For- tionistisch gestalteten Experimenten strafrecht und Feindstrafrecht«3 ent- heitsbegriff voraus, wonach der schungsergebnisse das Postulat der abgleitet werden, keine Schlüsse zu- halten). Bei seinem Ausgangspunkt, Wille als »unbewegter Beweger« Willensfreiheit endgültig als Fiktion lassen auf komplexe natürliche Situ- der mit der richtigen Beobachtung, entlarven und so dem Strafrecht sei- ationen und die Hirnmechanismen, verstanden, neue Kausalketten in dass bereits jetzt das Strafrecht von ne Grundlage entziehen; war es bei die diese bewältigen. Es ist damit Gang setzen kann. Schwächt man aus rechtsstaatlicher Sicht als Fehl- den anderen die Hoffnung, durch allerdings nicht gesagt, das betont hingegen den Freiheitsbegriff da- entwicklung zu charakterisierenden derartige Ergebnisse bekämen sie auch Grothe, dass Aussagen hierüber hingehend ab, dass er als relative »feindstrafrechtlichen Einspreng- nun endlich die Strategie an die nicht irgendwann getroffen werden Autonomie des handelnden Indi- seln« durchsetzt ist – er nennt dabei Hand, die Mandanten als für ihre können. Käme man dann tatsächlich viduums zu verstehen ist, das in z. B. die Sicherungsverwahrung konkrete Tat nicht selbst verant- dazu, dass unser Gehirn stets schon subjektiver Entscheidungsfreiheit oder die Terrorismusgesetzgebung wortlich verteidigen zu können. für uns entschieden hat, bevor wir es handelt (und das man dement- als Fremdkörper – , ist ihm Beifall bewusst tun, ist noch die Frage, ob sprechend hierfür auch zur Verant- noch sicher. Immer deutlicher wird, Zunächst referierte Prof. Dr. Bene- sich das Menschenbild negativ ver- wortung ziehen kann), kann man dass er diese Entwicklung aber legi- dikt Grothe, von der Abteilung Biolo- ändern müsste, so Grothe in der Dis- das (vermeintliche) Dilemma auf- tim findet, lediglich dazu auffor- gie II der LMU München. Er führte kussion: Auch dann würde die be- lösen. dert, methodisch sauber zu arbei- kurz in die Geschichte der Hirnfor- schriebene Komplexität, die vom In- ten: Bürgerstrafrecht und Feindstraf- schung ein und wies darauf hin, dass dividuum einen so hohen Grad an Ein Referat des Hamburger Pro- recht sollen sauber voneinander es für den hier besprochenen Bereich Selbstorganisation verlangt, wohl fessors für Strafrecht und Rechtsphi- getrennt werden, um nicht demje- gar nicht so viele neue Erkenntnisse, ausreichend Respekt abnötigen. Be- losophie Reinhard Merkel bildete den nigen, der zwar das Gesetz bricht, sondern »lediglich« sensationelle eindruckend waren in diesem Zu- Abschluss der Arbeitsgruppensit- grundsätzlich aber noch als sein neue Mess- und Darstellungsmetho- sammenhang im übrigen die Darstel- zung. Für ihn ist die Debatte um die Adressat in Frage kommt (»an- den gebe, die allerdings für andere lungen zu Dynamik und Adaptivität Willensfreiheit keineswegs ausge- sprechbar ist«) mit der gleichen Här- Bereiche in der Tat dramatische Zuge- neuronaler Systeme, die zumindest standen, in der Abschlussdiskussion te zu treffen, die gegenüber Feinden winne brächten. Er führte hier als aus der Sicht des Neurobiologen viel mit ihm war auch am deutlichsten angebracht sei. Ein Feind ist, so de- Beispiel die Möglichkeiten an, Ner- Hoffnung machen was die Lern- und das schwierige Ringen mit dem The- finiert es Jakobs, derjenige, der keine venfunktionen durch mikroelektro- Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns ma zu spüren. Er machte nochmals »kognitive Garantie« mehr dafür nische Systeme zu ersetzen, mit de- – und damit die Möglichkeit, auch deutlich, welche Konsequenzen es gibt, dass er sich als Person verhal- nen man Prothesen steuern kann (so Verhaltensänderungen bei Straftätern hätte, wenn dem Strafrecht das ten will, d. h. wenigstens potenziell etwa elektronische Hörprothesen, die herbeizuführen – angeht. Prinzip der Verantwortungszu- auf das Recht ansprechen wird. Als direkt am Hirnstamm eingesetzt wer- schreibung, das auf der Idee der Wil- Beispiel hierfür nennt er immer wie- den). Er besprach die in der Diskus- Um den nötigen interdisziplinä- der den »Terroristen«. Hatte man lensfreiheit basiert, genommen wür- sion allgegenwärtigen Experimente, ren Ansatz zu komplettieren (einzig bei der Lektüre seiner Beiträge4 im- de: Eine Bestrafung hätte dann nur die Benjamin Libet bereits 1983 in den die Theologie war nicht vertreten, mer wieder Zweifel, ob er wirklich noch eine gleichsam mechanische USA durchführte und die nachwie- das wäre dann für einen Strafvertei- das meinen kann, was sich auf- Funktion der Vergeltung, nicht aber sen, dass im sog. prämotorischen digertag wohl doch zu viel gewe- drängt, wurde es in der Diskussion die, eine gebrochene Norm wieder- Cortex bereits deutlich vor dem Zeit- sen), referierte im Dr. Bet- von ihm selbst bestätigt: Ja, wenn punkt, in dem die Probanden anga- tina Walde vom Philosophischen herzustellen oder den Täter zu reso- Guantanamo zur Bekämpfung sol- ben, sich zu einer bestimmten, später Seminar der Johannes-Gutenberg- zialisieren. Da dies wohl nicht zu cher Gefahren für den Staat nötig ausgeführten Körperbewegung ent- Universität Mainz. Sie wies darauf akzeptieren wäre, müsste das Straf- sei, was er allerdings nicht wisse, schieden zu haben, ein messbares Be- hin, dass die durch die diskutierten recht abgelöst werden durch ein Ge- dann sei es über das Modell des reitschaftspotenzial entstanden war. Forschungsergebnisse (oder deren fahrenabwehrrecht, das gefährliche Feindstrafrechts zu rechtfertigen. Zu Nach Auffassung vieler Wissenschaft- Interpretation) aufgeworfenen Fra- Täter verwahrt bzw. ggf. zu thera- beurteilen, ob und für wen ein sol- ler, darunter auch Grothe selbst, sind gen nach der Willensfreiheit letzt- pieren versucht. Welche enormen ches Vorgehen nötig sei, sei nicht diese (wie auch später durchgeführte lich Varianten der bekannten Dis- Gefahren – zum Beispiel die völlige seine Sache. Spätestens hier gaben ähnliche) Experimente aber nicht ge- kussion um Determinismus und In- Abhängigkeit von prognostischen die meisten die Diskussion auf und eignet, eine Entscheidungssituation determinismus sind. Hier stehen Gutachten – ein solches zum Bei- wandten gar nicht mehr ein, dass er mit Relevanz für die Frage der freien sich zwei miteinander unvereinbare spiel für den Strafvollzug mit sich nebenbei gerade auch noch das Willensbildung modellhaft nachzu- Forderungen gegenüber: Einerseits bringen würde, mag man sich gar Kriegsvölkerrecht abgeschafft hatte. bilden, da die Probanden instruiert beanspruchen wir als handelnde nicht ausdenken. Immerhin war er noch zu der Aus-

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sage zu bewegen, dass auch nach Straf– und Strafprozessrecht »rein« die dazu notwendig und die mit Debatte in der Deutschen Zeit- seiner Auffassung nicht per se alles hält von Gefahrenabwehr und diese Haffke zu fordern ist, ist interdiszi- schrift für Philosophie (Jg. 52, erlaubt sei, sondern dass der Staat dem Polizeirecht überlässt, mit Sorge plinär zu leisten. 2004), an der u. a. Wolf Singer, Ger- hard Roth und Jürgen Habermas be- quasi aus Selbstachtung auch den zu betrachten ist. Wer tatsächlich teiligt waren, verfolgt. Feind menschenwürdig behandeln fordert, für die »gefährlichen Nor- Dr. Christine Morgenstern ist wissen- 3 Abrufbar unter http://www.hrr- müsse. Hierzu zwingt ihn aber – malen« oder andere problematische schaftliche Mitarbeiterin am Lehr- strafrecht.de/hrr/archiv/04-03. nach Jakobs’ Auffassung – dann Gruppen spezielle Gesetze zu schaf- stuhl für Kriminologie der Ernst-Mo- 4 Jakobs a.a.o.; außerdem in: Eser/ nicht mehr das Straf- oder Strafpro- fen – dies klang in den Diskussionen ritz-Arndt-Universität Greifswald Hassemer/Burkhardt (Hrsg.): Die zessrecht. teilweise an –, wird seine Mandan- Deutsche Strafrechtswissenschaft ten demnächst eben nicht mehr in Fußnoten: vor der Jahrtausendwende. Rück- besinnung und Ausblick. Mün- Die Diskussion war durch diesen U-Haft oder im Strafvollzug aufsu- 1 Der Vortrag ist als pdf-Datei ab- chen 2000, S. 47 ff. Die kritischen Beitrag sehr stark geprägt, so dass an- chen, sondern in Polizeihaft. Es ist rufbar unter www.strafverteidi- Auseinandersetzungen sind in- dere wichtige Aspekte, die auch in dann aber zu befürchten, dass die gervereinigungen.de. zwischen zahlreich; auch sie ha- den Arbeitsgruppen bedeutsam wa- Rechtsgarantien schwächer sind als 2 Die Diskussionen fanden nicht ben teilweise den Weg in die ren, nur noch am Rande Aufmerk- die des Straf– und Strafprozessrechts. nur in der Fachliteratur, sondern überregionalen Tageszeitungen samkeit fanden. Sowohl Griesbaum Insofern muss es darum gehen, auch in den Feuilletons der FAZ, gefunden, vgl. z. B. Prantl in der der ZEIT, der Süddeutschen Zei- Suddeutschen Zeitung vom als auch Haffke wiesen aber an ver- staatliche Eingriffe insgesamt auf das tung oder der Frankfurter Rund- 5./6.3.2005, S. 17; Lüderssen in der schiedenen Stellen darauf hin, dass notwendige Minimum zu beschrän- schau statt. Einen guten Überblick FR vom 28.1.2002; auch Düx ZRP einer Entwicklung, die lediglich ken, die systemische Gesamtschau, gewinnt man auch, wenn man die 2003, S. 189 ff.

Neuregelungen des Menschenhandels – bewusste Regelung oder Anpassung an europäische Vorgaben in normativer Unfreiheit? Monika Frommel

In der letzten Aprilwoche wurde vor seit einiger Zeit, europäische Rah- troffenen nicht nur als Opfer (was nalen Gleichstellungspolitik erwar- dem Bundesverfassungsgericht über menbeschlüsse »durchzuwinken«. sie sein können), sondern auch als tet. So kann ich nur einen Schulter- den Europäischen Haftbefehl ver- Bei den auf der nächsten Seite abge- Akteure zu begreifen, welche auf schluss mit Konservativen fest- handelt. Der Berichterstatter Udo Di druckten Neuregelungen des Men- riskante Weise versuchen, aus einer stellen, welche nicht an besseren Fabio überraschte durch eine gera- schenhandels ist der Widerspruch hoffnungslosen in eine ausbaufähi- Verhältnissen für Prostituierte dezu frappierende Offenheit. Der zum deutschen ProstG 2002, das ge wirtschaftliche Lage zu gelan- interessiert sind, sondern der Straf- deutsche Gesetzgeber sei keinesfalls schließlich eine Legalisierung der gen. Auch das Schweizer Recht (vgl. losigkeit der bloßen Förderung der gezwungen – sozusagen in normati- Prostitution mit sich gebracht hat, insoweit SZK 1/2005) folgt dem Prostitution nachtrauern und sich ver Unfreiheit – alles zu ratifizieren offenkundig; denn wie kann die schlechten europäischen Vorbild nun diese polizeilichen verlorenen und umzusetzen, was in einer euro- Vermittlung erwachsener Men- (allerdings trieft die frühere Rege- Befugnisse über das Ausländerrecht, päischen Richtlinie als Vorgabe be- schen in die Prostitution strafbar lung vor Moralisierungen) und flankiert von einem neuen Straf- schlossen worden sei. Der deutsche sein, wenn sie als Vertragspartner auch das österreichische Recht fällt recht, wieder verschaffen. Damit Gesetzgeber sei im Bereich des Straf- Rechte und Pflichten übernehmen durch Überregulierung im Straf- sind die »Lichtblicke in der Schat- und Strafverfahrensrechts nicht so können (bei den unter 21-Jährigen recht auf, allerdings regelt es den tenwelt« (so die SZ vom 23.05.2005, stark an europäische Vorgaben ge- verlangt § 232 nicht mehr wie die gesamten Komplex des Menschen- Die Seite Drei) wieder verdunkelt; bunden wie im europäischen Zivil- Qualifizierung in § 180 b Abs. 2 Nr. 2 handels im Sexualstrafrecht, was und zwar nicht nur deswegen, weil recht, sondern stimme der Sache StGB alt die Kenntnis einer Zwangs- den Verdacht aufkommen lässt, nach der Wahl in NRW Netzwerke nach lediglich einem völkerrecht- lage). Friedrich Christian Schroeder man möchte nun doch wieder zu wie in Dortmund ins Hintertreffen lichen Vertrag zu, da der Zweck der hat in der NJW (20/2005,1393) aus- Regulierungen von »Unzucht« zu- geraten und eine tiefschwarze Poli- EU eine Wirtschaftseinheit sei und führlich die Kompliziertheit des eu- rückkehren. Es war zu befürchten, tik wie die der Bayerischen Polizei- gerade nicht ein mit Zwangsgewalt ropäischen Rahmenbeschlusses und dass die Kontrolle grauer und behörden näher rückt, welche be- ausgestatteter Bundesstaat. Wir wer- deren Umsetzung beschrieben. Of- schwarzer Märkte zu unklarem kanntlich besonders gerne die rot- den sehen, wie diese Debatte weiter fenbar fällt es schwer, beim Thema Strafrecht führen würde, aber etwas grüne Rathausmehrheit mit ihrer gehen wird. Jedenfalls wirft sie ein Frauen- und Kinderhandel einen mehr Konsequenz hätte ich mir CSU-Politik im Bereich der Landes- grelles Licht auf die ungute Übung klaren Kopf zu behalten und die Be- von einer europäischen und natio- zuständigkeiten ärgern.

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37. StÄG vom 19.02.2005 26. StÄG vom 14.07.1993 § 232 § 180b Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung Menschenhandel (1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit (1) Wer auf eine andere Person seines Vermögens- ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der vorteils wegen einwirkt, um sie in Kenntnis einer Prostitution oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder Zwangslage zur Aufnahme oder Fortsetzung der vor dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an Prostitution zu bestimmen, wird mit Freiheitsstra- sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren be- fe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. straft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Ebenso wird bestraft, wer auf eine andere Person Fortsetzung der Prostitution oder zu sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen seines Vermögensvorteils wegen einwirkt, um sie bringt. in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Auf- (2) Der Versuch ist strafbar. enthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu (3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn sexuellen Handlungen zu bringen, die sie an oder 1. das Opfer der Tat ein Kind (§ 176 Abs. 1) ist, vor einer dritten Person vornehmen oder von ei- 2. der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Ge- ner dritten Person an sich vornehmen lassen soll. fahr des Todes bringt oder (2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 3. der Täter die Tat gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Be- zehn Jahren wird bestraft, wer gehung solcher Taten verbunden hat, begeht. 1. auf eine andere Person in Kenntnis der Hilflo- (4) Nach Absatz 3 wird auch bestrafft, wer sigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem frem- 1. eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch den Land verbunden ist, List zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu sonst in Absatz 1 Satz 1 bezeich- oder neten sexuellen Handlungen bringt oder 2. auf eine Person unter einundzwanzig Jahren 2. sich einer anderen Person mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder einwirkt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung durch List bemächtigt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den der Prostitution zu bestimmen, oder sie dazu sonst in Absatz 1 Satz1 bezeichneten sexuellen Handlungen zu bringen. bringt, diese aufzunehmen oder fortzusetzen. (5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu (3) In den Fällen des Absatzes 2 ist der Versuch fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 ist auf Freiheitsstrafe von sechs strafbar. Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

§ 233 § 181 Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft Schwerer Menschenhandel (1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit (1) Wer eine andere Person ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in Sklaverei, Leibeigenschaft oder 1. mit Gewalt, durch Drohung mit einem emp- Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung bei ihm oder ei- findlichen Übel oder durch List zur Aufnahme nem Dritten zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeits- oder Fortsetzung der Prostitution bestimmt, bedingungen anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die gleiche oder 2. durch List anwirbt oder gegen ihren willen mit eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, bringt, wird mit Freiheitsstrafe von durch Drohung mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen einem empfindlichen Übel oder durch sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso Übel oder durch List entführt, um sie in Kenntnis wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren in Sklaverei, Leibeigenschaft oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in ei- Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer in Satz 1 bezeichneten Be- nem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen schäftigung bringt. Handlungen zu bringen, die sie an oder vor einer (2) Der Versuch ist strafbar. dritten Person vornehmen oder von einer dritten (3) § 232 Abs. 3 bis gilt entsprechend. Person an sich vornehmenlassen soll, oder 3. gewerbsmäßig anwirbt, um sie in Kenntnis der § 233a Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem Förderung des Menschenhandels fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder (1) Wer einem Menschenhandel nach § 232 oder § 233 Vorschub leistet, indem er eine ande- Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen wird re Person anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wird mit Freiheitsstrafe mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jah- von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. ren bestraft. (2) Auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Frei- 1. das Opfer der Tat ein Kind (§ 176 Abs. 1) ist, heitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. 2. der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in Die Gefahr des Todes bringt oder 3. der Täter die Tat mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder ge- werbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, begeht. (3) Der Versuch ist strafbar.

Phänomene der Zwangsheirat sind als bes. schwerer Fall der Nötigung erfasst und der in § 236 geregelte Kinderhandel ist unverändert seit dem 1.04.2004 strafbar.

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STANDPUNKT Fragwürdige Instrumentalisierung von Menschenhandel

Juanita Henning

enn etwas in Deutschland Konjunktur hat, dann die parteiü- gung auf die »Täter« angewiesen sind. bergreifende gesellschaftliche Dramatisierung von Men- Nach solcher Logik könnten sämtliche Wschenhandel. Allerdings: Das krasse Missverhältnis zwischen »Gast«arbeiter der 50er Jahre als Men- den angeblich 120.000 bis 200.000 jährlich nach Deutschland schenhandelsopfer und der damalige verschleppten Opfern und den lediglich rund 900 Menschenhan- deutsche Staat als Verbrechersyndikat dels-Opfern der hiesigen Kriminalstatistik verweist auf eine Glaub- bezeichnet werden. würdigkeitslücke, die auch durch permanenten Hinweis auf die Die 2005 in Kraft getretenen neuen Dunkelzifferproblematik nicht kaschiert werden kann. Strafbestimmungen zum Menschen- Die großzügig mit Schätzungen und Vermutungen operierende öf- handel übersetzen in nationales Recht, fentliche Debatte zum Menschenhandel beißt sich mit der schnöden was das UN-Menschenhandelspro- Empirie der Einwilligung und Freiwilligkeit hierher migrierender tokoll in Art. 3a und der EU-Rahmen- Menschen. Erst jüngst hat Annette Herz vom Freiburger Max Planck beschluss von 2002 in Art. 1 Abs. 2 Institut konstatiert, dass die als »Menschenhändler« titulierten Perso- offen aussprechen: »Das Einverständ- nen von den Betroffenen (von »Opfern« spricht sie nicht!) als »will- nis eines Opfers von Menschenhandel Juanita Henning, Dipl. Sozial- kommene Unterstützer bei Migration, Arbeitssuche, Unterbringung zur beabsichtigten oder tatsächlich arbeiterin und Mitarbeiterin und/oder Prostitutionsaufnahme« angesehen würden. vorliegenden Ausbeutung ist unerheb- des Vereins Doña Carmen e.V. Von Menschenhandel, mit dem man eigentlich gegen den Willen lich«, wenn eine Anwerbung unter der Betroffenen ausgeübte Gewalt assoziiert, bleibt wenig übrig. Selbst »Missbrauch einer Machtstellung oder Ausnutzung einer Position der das BKA räumt ein, dass ein Viertel bis ein Drittel der offiziell als »Op- Schwäche« erfolgt. Wenn aber Zwang und Gewalt einerseits, »Macht- fer« bezeichneten Personen freiwillig hier ist. Und nicht wenigen von missbrauch« und »Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit« andererseits der Polizei aufgegriffenen, in der Prostitution tätigen Frauen mag es gleichermaßen konstitutiv für Menschenhandel sind, wird die Unter- vorteilhaft erscheinen, sich als »Opfer« zu präsentieren, zumal Prosti- scheidung zwischen »Zwang« und »Freiwilligkeit« systematisch ein- tuierte nur in dieser Rolle gesellschaftlich Anerkennung erfahren. geebnet. Was bleibt, ist der Zwang und der Vorwurf des »Menschen- handels«, um freiwillige Migration zu kriminalisieren. Welche Ich arbeite seit 14 Jahren in Frankfurt/Main mit Prostitutionsmi- Migrationsbewegung in der Geschichte war jemals frei von der »Aus- grantinnen. Diejenigen, die ich in dieser Zeit nach gängiger Sicht- nutzung einer Position der Schwäche«? Hätte man sie deshalb straf- weise als »gehandelte Opfer« hätte bezeichnen müssen, kann ich an rechtlich bekämpfen sollen? den Fingern einer Hand abzählen. Sie waren dabei keineswegs Opfer eines prostitutionsspezifischen Menschenhandels, sondern durch »Menschenhandel« verkommt zu einem vom ursprünglichen spezifische Umstände der Migration gewaltsam in ihren Persönlich- Wortsinn losgelösten, für vielfältige politische Instrumentalisierung keitsrechten beeinträchtigt. Dies zu ahnden hätte es keiner besonde- nützlichen Plastikbegriff. Über die Menschenhandels-Paragrafen ist ren Strafbestimmungen zum Menschenhandel bedurft. auch das bundesdeutsche Strafrecht instrumentalisiert. Geht es doch darum, »die Sex- und Arbeitsmärkte einer deutlich sichtbaren Über- Die hiesige Gesetzgebung zum Menschenhandel - in alter wie in wachung zu unterstellen« und die »Nachfrage nach sexuellen Dienst- neuer Fassung - zielt im Kern gegen eine auf Freiwilligkeit basierende leistungen« zu verringern (»Brüsseler Erklärung« der EU von 2002). Migration. Anwendung von Zwang und Gewalt ist keine notwendige Frauenberatungsstellen, die mit der Polizei kooperieren und sich an Voraussetzung für die Erfüllung des Straftatbestands. Das Bringen in Bordellrazzien beteiligen, sollen künftig statt »Opferzeuginnen« ge- Prostitution bzw. unterbezahlte Beschäftigung unter Ausnutzung einer winnen »internationale Informantennetze aufbauen«. »Zwangslage« oder »auslandspezifischer Hilflosigkeit« reicht aus. Die Kriterien dafür sind niedrigschwellig definiert. Und: »Die Zwangslage Neben der Kontrolle von Arbeitsmärkten und Migration sind Anti- muss nicht objektiv bestehen, wohl aber von den Opfern subjektiv Menschenhandels-Kampagnen immer schon gegen Prostitution an empfunden werden.« (Tröndle/Fischer) Solche Deutungen verkehren sich gerichtet. Die Figur des Menschenhändlers als globalisierte Ver- den behaupteten Opferschutz in eine Kriminalisierung der Vermittler. sion des Zuhälters: Wen wundert’s, dass unter solchen Bedingungen »Auslandsspezifische Hilflosigkeit« liegt schon vor bei mangelnden das Prostitutionsgesetz der rotgrünen Bundesregierung zu einem Flop Sprachkenntnissen oder wenn Betroffene bei Unterkunft und Verpfle- wurde?

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TITEL

PräventionPrävention durchdurch KoordinationKoordination

Eigentlich wollten wir gute Beispiele für klug koordiniertes Vorgehen vorstellen. Aber wir konnten nur solche finden, bei denen „mehr Strafrecht“ eingefordert und wenig Phantasie für vernetzte aber zunächst eher nicht-strafrechtliche Interventionen entwickelt wird. Im nächsten Heft werden wir die Netzwer- ke gegen häusliche Gewalt und das neue Stalking-Strafrecht vorstellen. Aber auch dort wird zurzeit mehr Straf- recht gefordert, als habe sich dieses als wirksam erwiesen. Aber besonders ab- surd ist das neue „Graffiti-Bekämp- fungsgesetz“ (Synopse auf der nächsten Seite). Was hat ein Hausbesitzer davon, wenn die jugendlichen Sprayer ermahnt oder zu einer Arbeitsauflage zu erziehe- rischen Zwecken verurteilt werden? Sei- ne frisch renovierte Hauswand harrt der neuen Farbe, die Kosten müssten zumin- dest abgewogen werden von denen, die nur der Triebabfuhr und dem animali- schen Drang Flächen zu markieren fol- gen. Plausibler wäre es daher, wenn er einen vollstreckbaren Titel gegen den Urheber einklagen könnte, den er zu- mindest nach dessen 18. Geburtstag umsetzen könnte. Schließlich normiert § 828 BGB die Deliktsfähigkeit vor der Strafmündigkeit (14 gegen 7 Jahre). Das Insolvenzrecht würde die Jugend- lichen davor bewahren, mit 18 Jahren in die Insolvenz zu schlittern, der Erzie- hungsgedanke wird also auch im schnö- den Zivilrecht beachtet. Aber derartige Deutschland etwa 250 – 500 Millionen. nachgedruckt im Verlag Schwarzkopf & Service-Angebote finden sich nicht im Daher haben wir ein besonders schönes Schwarzkopf). Über deutsche Produkte Internet, wenn man unter dem Stich- und in unseren Augen künstlerisches informierten wir bereits in NK 3/2004, wort „Graffitiprävention“ sucht. Ange- Exemplar aus der Hochzeit der Graffiti- S. 99. Mittlerweile blättert die Farbe, boten werden Leistungen derer, für die kunst (1990er Jhre) abgedruckt. Diese Graffitti-Beseitigung zu einem guten war in New York schon in den 1980er dafür boomen die Präventionsprojekte Geschäft geworden ist: allein in Jahren (etwa die Subway Art, schön und Bekämpfungsgesetze.

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Geltendes StGB SPD-Gesetzesentwurf abgelehnter Gesetzesentwurf zur Änderung der CDU/CSU des § 303 II StGB (April 2005) Graffiti-Bekämpfungsgesetz BT-Dr. 15/302 aus 2002

§ 303 § 303 § 303 Sachbeschädigung Sachbeschädigung Sachbeschädigung (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sa- (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sa- (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sa- che beschädigt oder zerstört, wird che beschädigt oder zerstört, wird che beschädigt, zerstört oder ver- mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren unstaltet, wird mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft. oder mit Geldstrafe bestraft. bis zu zwei Jahren oder mit Geldstra- fe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (2) Ebenso wird bestraft, wer un- befugt das Erscheinungsbild ei- (2) Der Versuch ist strafbar. § 304 ner fremden Sache nicht nur Gemeinschädliche vorübergehend beschädigt. § 304 Sachbeschädigung Gemeinschädliche (3) Der Versuch ist strafbar. (1) Wer rechtswidrig Gegenstände Sachbeschädigung der Verehrung einer im Staat beste- (1) Wer rechtswidrig Gegenstände henden Religionsgesellschaft oder der Verehrung einer im Staat beste- Sachen, die dem Gottesdienst gewid- henden Religionsgesellschaft oder met sind, oder Grabmäler, öffent- Sachen, die dem Gottesdienst gewid- liche Denkmäler, Naturdenkmäler, met sind, oder Grabmäler, öffentli- Gegenstände der Kunst, der Wissen- che Denkmäler, Naturdenkmäler, schaft oder des Gewerbes, welche in Gegenstände der Kunst, der Wissen- öffentlichen Sammlungen aufbe- schaft oder des Gewerbes, welche in wahrt werden oder öffentlich aufge- öffentlichen Sammlungen aufbe- stellt sind, oder Gegenstände, welche wahrt werden oder öffentlich aufge- zum öffentlichen Nutzen oder zur stellt sind, oder Gegenstände, wel- Verschönerung öffentlicher Wege, che zum öffentlichen Nutzen oder Plätze oder Anlagen dienen, beschä- zur Verschönerung öffentlicher digt oder zerstört, wird mit Freiheits- Wege, Plätze oder Anlagen dienen, strafe bis zu drei Jahren oder mit beschädigt, zerstört oder verun- Geldstrafe bestraft. staltet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe (2) Der Versuch ist strafbar. bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

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TITEL

Anmerkungen:

Strafverfahren gegen Grad der Ausbeutung entscheidet über Freiheitsschutz

Frauenhändler Auch die neu gefassten Regelungen enthalten Birgit Thoma einige Unstimmigkeiten, die in der Praxis vor- hersehbar zu Problemen führen werden. In § 232 Abs. 1 2. Alternative wird lapidar auf »ausbeuteri- sche Sexualkontakte« verwiesen, jedoch nicht de- finiert was genau darunter zu verstehen ist. Die chätzungen der UN gehen davon aus, dass unerheblich, zu welchem Zweck Verletzte des Begründung verweist hier auf die Definition des in Westeuropa jährlich 500.000 Frauen »ge- Menschenhandels in das andere Land einreisen, § 180 a Abs. 2 S. 2 StGB7, d.h. künftig muss eine Shandelt« werden, davon 50.000 nach ob sie etwa wissen oder auch nur vermuten, wirtschaftliche Ausbeutung8 nachgewiesen wer- Deutschland. Eine ausdifferenzierte Statistik zu dass sie dort bspw. der Prostitution nachgehen den. Aber wie? – dies bleibt schleierhaft und den verschiedenen Formen des Handels – ob zur sollen, und erst recht ist irrelevant, welche wird die Praxis vor Beweisschwierigkeiten stel- sexuellen Ausbeutung, zur Ausbeutung der Ar- Tätigkeit sie zuvor ausgeübt haben, ob sie also len. Bisher greift eine solche wirtschaftliche beitskraft oder zur Eingehung der Ehe – existiert beispielsweise bereits im Herkunftsland als Ausbeutung nur für Fälle von vermarkteten por- nicht. Lediglich die im Lagebild Menschenhan- Prostituierte gearbeitet haben oder nicht. Die nografischen Darstellungen und für Peep- del des BKA erfassten Zahlen zum Prostitutions- Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die shows, denn in beiden Fällen besteht ein krasses handel sind deutlich angestiegen und haben persönliche Freiheit ein disponibles Rechtsgut Missverhältnis zwischen Leistungen die die sich seit 2001 fast verdoppelt.1 Die Frauen kom- ist, die Einwilligung also rechtfertigt. Im folgen- Frauen – wenn überhaupt – erhalten und den men überwiegend aus den Mittel- und osteu- den ein kurzer Überblick über die Neuregelun- Gewinnen, die die Täter damit erzielen. Wie ropäischen Staaten und hier vor allem aus Rus- gen: aber wird künftig ein krasses Missverhältnis in sland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumäni- – Aktives »Einwirken« auf die Frauen im Sinne Fällen der Zwangsprostitution zu bewerten sein? en.2 Auf der Seite der Täter handelt es sich zu 40 eines Zwangs oder von wahrheitswidrigen Reicht es aus, dass die Täter behaupten, die % um deutsche Staatsangehörige und der Anteil Versprechungen ist nicht mehr erforderlich, Frauen hätten auch »marktgerechte« Gegenlei- von weiblichen Tätern liegt derzeit bei 25 %. es reicht bereits der Versuch mit Frauen zu stungen erhalten? Bisher genügen hier Schät- Auch die Phänomenologie des Frauenhandels handeln und sie zu überreden. zungen9 und es wird davon ausgegangen, dass hat sich in den letzten Jahren deutlich verän- – Die Abstufungen in den einzelnen Tatbestän- eine Ausbeutung vorliegt, wenn die Frauen min- dert: Der Organisationsgrad der Täter nimmt zu, den sind erheblich und reichen von drei Mo- destens die Hälfte ihrer Einnahmen abführen die Opfer werden immer jünger und die Fälle in naten bis zu zehn Jahren. und von dem ihr verbleibenden Anteil wieder- denen sie unter Drogen gesetzt, betäubt oder un- – Ein Vermögensvorteil muss weder angestrebt um die Hälfte abgeben und weiter die Tagesmie- ter Gewaltanwendung entführt werden steigen. noch bewiesen werden. Es genügt, wenn in te bezahlen müssen. Die Folgen: erstens ent- Auch konnte bisher die List der Täter – die die Prostitution vermittelt oder durch sexuelle scheiden die Preise des Marktes über die Tatbe- falschen Versprechungen auf eine Arbeit im Handlungen ausgebeutet wird (Peepshows, por- standsmäßigkeit und zweitens liegt de facto die Gaststättengewerbe, als Haushaltshilfe, oder eine nographischer Darstellungen, ggf. Heirats- Beweislast bei den Frauen. Unzumutbar, denn Heirat mit den Vermittlern (»Romeo-Effekt«) – schwindelei5). meist können die Frauen nicht beweisen, wie nicht adäquat erfasst werden. Die Täter mussten – Das hohe Schutzalter von 21 Jahren wurde viel der Täter an ihnen verdient hat, da sie kei- lediglich behaupteten, die Frauen wären freiwil- für die Prostitutionsvermittlung, Arbeitsaus- nen Einblick in die Verdienst-und Ausbeutungs- lig mitgegangen und hätten auch geahnt was ih- beutung und ausbeutende sexuelle Handlun- spannen der Täter haben. nen droht. Der Tatnachweis war folglich schwie- gen beibehalten6. rig und in der Konsequenz wurden bisher weni- – Kinderhandel ist grundsätzlich ein Verbre- Systematisch verbietet sich eigentlich ein ger als 10 % der Täter verurteilt. Soviel zum chen. Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 180 a Abs. status quo. Wie soll er durch die Neuregelung, ei- – Eine besonders unbefriedigende Gesetzes- 2 S. 2 StGB da m. E. dadurch die Grenzen zwi- ner (verspäteten) Reaktion auf internationale lücke wurde durch den neuen § 233 a StGB ge- schen Prostitution unter Zwangs- und Situatio- Vorgaben3 verändert werden? schlossen: Künftig sind auch Förderungs- nen der Freiwilligkeit verwischt und dadurch handlungen, also beihilfeartige Handlungen auch die Schutzgüter der einzelnen Regelungen zum Menschenhandel (z.B. das Beherbergen nicht klar getrennt werden. Die Zwangssituation Menschenhandel als Freiheitsdelikt oder Befördern) als eigenständige Taten er- kann nicht an Kriterien des Prostitutionsgesetzes fasst. gemessen und dadurch »ökonomisch relativiert« Geregelt ist Menschenhandel neuerdings im 18. – § 233 b StGB ermöglicht es Führungsaufsicht werden. Daher ist bei der Bewertung der Aus- Abschnitt, den Delikten gegen die persönliche anzuordnen. Außerdem wird die Gewinnab- beutung nicht auf die wirtschaftliche, sondern Freiheit. Diese Umwertung erweitert zugleich schöpfung durch die Gerichte erleichtert. vor allem die persönliche Ausbeutung durch den den Schutz auf alle ArbeitnehmerInnen4 und –Da die Fälle von Entführungen bisher nur un- Eingriff in die Freiheitsrechte der betroffenen damit auf Prostitutions-, Arbeits- und Heirats- zureichend über § 239 StGB erfasst waren, Frauen abzustellen. handel. Eine – auf den ersten Blick – sachge- wurde die Regelung des Menschenraubs nach rechte Verschiebung. Systematisch und nach § 234 StGB geschaffen. Sinn und Zweck der Neuregelung kann es jetzt – Bei der Strafverfolgung wurde mit § 154 c Schutzaltergrenzen nur noch auf die Beeinflussung oder Beugung StPO die Möglichkeit geschaffen von einer des Willens ankommen. Die Betroffenen verlas- Strafverfolgung abzusehen, wenn die Betrof- Kinderhandel (14 Jahre) ist qualifiziert. Aber die sen die Sicherheit des eigenen (oder eines ande- fene gegen ausländer- oder arbeitsrecht- Bundesregierung bleibt mit dieser Schutzalter- ren) Wohnsitzlandes und setzen sich den Unsi- liche Vorschriften verstoßen hat. Dadurch grenze bewusst (wie übrigens 2004 schon bei cherheiten aus, die mit dem Aufenthalt in ei- soll die Bereitschaft zur Aussage gefördert der Kinderpornografie) hinter den Vorgaben des nem anderen Land verbunden sind. Dafür ist es werden. EU-Rahmenbeschlusses zurück, der »Kinder« als

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Personen unter 18 Jahren definiert und generell zurückbehalten um die Schadensersatzan- chen eine Abschiebung erfolgen, d.h. innerhalb für diese Gruppe verschärfende Qualifikationen sprüche zu begleichen11. Ein tatsächlicher Aus- dieser Frist ist die Beweislage zu prüfen.18 Im vorsieht. gleich müsste für die Frauen über die Staatskas- Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass vor sen – und das eingezogene Tätervermögen – er- einer Abschiebung immer Anhaltspunkte für ei- Ein weiteres Problem sind unklare und sich folgen. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens nen Menschenhandel zu prüfen wären. Werden überschneidende Schutzaltergrenzen. In § 232 wäre der schnellere Zugriff auf das Vermögen sie bejaht, ist eine Verlängerung des Aufenthalts Abs. 1 2. Alt. StGB sind es 21 Jahre, aber es ist der Täter, sie hätten in der Praxis weniger Zeit aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 AuslG nicht ersichtlich wovor Heranwachsende gene- ihr Vermögen beiseite zu schaffen. iVm Nr. 8 der Kooperationsrichtline für Men- rell besonders geschützt werden sollen. Schiefla- schenhandelsopfer möglich19, d.h. sie müssen gen ergeben sich dadurch zu §§ 180 Abs. 1 und sich als Zeuginnen zur Verfügung stellen, an- 2, 182 StGB – 16 und/oder 18 Jahre. Minderjäh- Aufenthaltsrechtlicher Status und sonsten droht gleich die Abschiebung. Ohne rige unter 18 Jahren dürfen zwar nicht zu ent- Zeugenschutzmaßnahmen Zeugenschutzmaßnahmen sind aber nur wenige geltlichen sexuellen Handlungen mit Dritten be- Frauen zur Aussage bereit und es bleibt für sie stimmt oder zu solchen Sexualkontakten ver- Im Rahmen der Verhandlungen zum Zuwande- nur die Abschiebung, sie können keinen Asylan- mittelt werden. Wenn jemand aber selbst rungsgesetz12 wurden die Fälle des Frauenhan- trag stellen. Nach § 15 a AuslG – neu sollen die Sexual-kontakte mit minderjährigen Prostituier- dels nicht mitdiskutiert. Ein Versäumnis, denn Frauen bis zur Klärung der Aufenthaltsfragen ten sucht, gilt nach § 182 StGB nur eine Schutz- ein Ausgleich der systematischen Wertungswi- und des Verfahrens (Abschiebung oder Zeugen- altergrenze von 16 Jahren. Erst bei genauerer Be- dersprüche zwischen ausländer-, straf- und zeu- aussage im Verfahren) in einem ersten Schritt trachtung kann der sich zunächst aufdrängende genschutzrechtlichen Bestimmungen ist drin- künftig dem Bundesamt für Flüchtlinge zuge- Wertungswiderspruch relativiert werden, da gend erforderlich. Er kann nur noch auf der Ver- teilt und nach Kontingenten den einzelnen § 182 eine Freierbestrafung bedeutet und nicht ordnungsebene erfolgen, was konkret bedeutet, Bundesländern zugewiesen werden. Eine will- das Schutzalter für Vermittlungen regelt. Daraus dass auch hier Ermessensspielräume bestehen, kürliche Zuteilung, die die psychosoziale Beglei- ergibt sich, dass §§ 180,180a Abs. 2 StGB diffe- die es weiter erschweren für die betroffenen tung und Betreuung der Frauen durch Opfer- renzierter sind als § 232 Abs. 1 2. Alt. StGB. Sie Frauen einen sicheren Aufenthaltstitel zu erlan- hilfseinrichtungen erschwert, denn die erste sprechen für eine Wahlfreiheit ab 18 Jahren zu gen und sie vor Abschiebungen zu schützen.13 Anlaufstelle im polizeilichen »Aufgriffsort« der entscheiden, ob Prostitution der richtige Beruf Wie hat sich die Situation der betroffenen Frau- Frauen hat meist keine entsprechenden Partner- ist. Das Vermittlungsverbot in § 232 Abs. 1 2. Al- en nun durch den EU-Beitritt und das Zuwande- stellen in den Zuteilungsorten und in jedem Fall ternative StGB ist daher problematisch. Die rungsgesetz verändert? Für die Frauen aus den muss eine neue persönliche und fachliche Be- Schutzaltergrenze macht daher nur bei klaren neuen Beitrittsländern14 hat sich die Situation treuung organisiert werden. Hier müsste durch Zwangssituationen Sinn. Da die Betroffenen verbessert. Sie können frei ins Bundesgebiet ein- Verordnungen geregelt werden, dass die Frauen nach den Hellfeld-Daten meist zwischen 18 und reisen und sind daher wegen illegalen Aufent- im Rahmen der Zuteilung gleich durch entspre- 24 Jahre alt sind, sollten die Anforderungen bei haltes, auch nicht von Abschiebungen bedroht. chende Fachberatungsstellen beraten werden, über 18 Jährigen höher angesetzt werden. Die Einziger Unterschied zu anderen EU-BürgerIn- oder – wenn Aufnahmekapazitäten bestehen – Gesetzgebung scheint kein angemessenes Kon- nen: es gilt noch nicht die volle Arbeitnehmer- dort aufgenommen werden können. Hinzu zept gehabt zu haben. freizügigkeit, d.h. sie besitzen lediglich die kommen die praktischen Schwierigkeiten der Dienstleistungs- und noch nicht die Niederlas- sozialen Absicherung der Frauen, denn die So- sungsfreiheit.15 Konkret können die einreisen- zialämter verweigern meist die Zahlung, da kein Sanktionsebene: Erweiterter Verfall den Frauen aber bereits jetzt selbständige Tätig- gesicherter Aufenthaltstitel besteht und sie sich keiten ausüben, die nicht von einer Erlaubnis für unzuständig erklären. Hier müssten eben- Die Neuregelung sieht in § 233 b StGB die Ge- der Arbeitsagentur abhängen.16 Auch wenn sie falls über den Weg von Verordnungen entspre- winnabschöpfung durch den erweiterten Verfall sich als Touristinnen oder Saisonarbeiterinnen chende Zuständigkeiten geklärt werden. Eine vor. Ein Modellprojekt in Baden-Württemberg hier aufhalten, können sie ein selbständiges Ge- weitere Hürde ist dann der Aufenthaltstitel, hat hier gezeigt, dass es sich beim Verfall nach werbe anmelden oder zur Ausübung dieser denn auch durch die skizzierte Kooperations- § 73 StGB um ein sehr wirksames Mittel handeln Tätigkeit in Deutschland bleiben.17 Anders sieht richtline20 erhalten die Frauen einen – befriste- kann, den Drahtziehern des Menschenhandels es bei den Frauen aus Nicht EU Ländern aus. Sie ten und zweckgebundenen Aufenthaltstitel. die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Es benötigen nach wie vor ein Visum, das nur für 3 Welcher Zweck und welche Frist, das bleibt un- konnte sehr effizient verhindert werden, dass Monate gilt und bis auf Saisonarbeiten, keine klar. Damit gilt die bisherige Praxis, dass nur im nach einer Verhaftung des Täters und einer Beschäftigung darüber hinaus erlaubt. Eine Dul- Fall der Aussage der Frauen eine Aufenthaltsop- Schließung des Bordells sofort einige Wochen dung nach diesen drei Monaten darf nur noch tion – zumindest für die Dauer des Verfahrens später Etablissements durch Nachfolger eröffnet erteilt werden, wenn ein rechtliches oder tat- besteht. Was aber wenn die Frauen nicht aussa- wurden. Hier hat man sich über die vom BGH10 sächliches Abschiebehindernis nach § 60a Abs. 2 gen wollen, oder gar nicht wegen Frauenhan- erneut bestätigte rechtliche Hürde des § 73 StGB AuslG besteht oder das Landesinnenministeri- dels ermittelt wird? Hier bleibt – ausländerrecht- hinweggesetzt, wonach nur solche Vermögens- um die Abschiebung nach § 60a Abs. 1 AuslG für lich – nur die Abschiebung der Frauen. werte entzogen werden dürfen, die der Täter aus maximal 6 Monate aussetzt. Für längere Zeiträu- der illegalen Transaktion erlangt hat. Ferner nur me kann keine Duldung mehr erteilt werden, solche, die er benötigt, um Schadensersatzan- sondern nur eine Aufenthaltserlaubnis, für die Einstellungsvorschrift des § 154c StPO sprüche zu begleichen. Werden die Frauen nach eine Abstimmung mit dem Bundesinnenminis- einer Razzia vernommen oder nach ihrer Aus- ter nötig ist. Die bisher in vielen Fällen einge- Die Staatsanwaltschaft kann künftig nach § 154c sage abgeschoben, können sie diese Schadenser- setzten Verlängerungsduldungen nach § 55 Abs. StPO21 von einer Verfolgung wegen eines illega- satzansprüche nicht mehr geltend machen, aber 3 AuslG fallen künftig weg, der Aufenthalt muß len Aufenthaltes oder strafrechtlichen Vergehen dem Täter bleibt ein Restvermögen in erhebli- beendet werden wenn. Er kann nur noch über der Frauen absehen. Die Regelung wird dem cher Höhe. Um den erweiterten Verfall bundes- eine Festsetzung der Ausreisefrist auf maximal 6 tatsächlichen Bedürfnis der Opfer nach Sicher- weit konsequent anzuwenden, müsste § 73 StGB Monate hinausgezögert werden. Bestehen An- heit vor eigener Strafverfolgung (wegen margi- auf das gesamte Vermögen des Täters ausge- haltspunkte für einen Menschenhandel darf naler Vergehen, gemessen an dem anzuzeigen- dehnt werden, d.h. der Täter dürfte auch nichts nicht sofort, sondern frühestens nach vier Wo- den Menschenhandel, insbesondere in der qua-

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lifizierten Form des Verbrechens) nicht gerecht. Heiratshandel: Nötigung zur Eingehung Über Sinn und Unsinn der Freierbestrafung sind Problematisch ist auch, dass das die Frauen eige- einer Ehe vielfältige Debatten geführt worden. Klar ist, die ne Straftaten schon bei der Anzeige der gegen sie Nachfrage regelt das Angebot und solange es verübten Taten oder in ihren Vernehmungen als Die derzeitige Regelung zum Heiratshandel ist sich bei der Zwangsprostitution um ein Kon- Zeugen offenbaren müssen. Die Zusicherung, entscheidend von der Baden-Württembergi- trolldelikt handelt und keine Anzeigepflicht für dass sie selbst nicht verfolgt werden, kann ihnen schen Vorlage abgewichen und wurde lediglich die Freier besteht, ändert sich der Kontrollde- nicht – wie es für eine effiziente Ermittlung des ergänzend im Rahmen der Nötigung geregelt.23 liktscharakter nicht. Lediglich im Hinblick auf Menschenhandels nötig wäre – vorab gegeben Der Entwurf sah demgegenüber einen § 234 b eine erleichterte Strafverfolgung der Täter, wird werden, weil die Ermessensbetätigung der Staats- StGB vor, der sich an die bisherigen Tatbestände teilweise eine Freierbestrafung durch etwa eine anwaltschaft von der Kenntnis dieser zu offen- der Nötigung, des Menschenhandels und der Ausdehnung der Förderungsmerkmale oder eine barenden Straftat abhängt. Zusätzlich wird eine Verschleppung anlehnt. Im Zivilrecht soll die wie auch immer ausgestaltete Anzeige- oder Ga- großzügige und sachgerechte Anwendung des Aufhebung einer durch widerrechtliche Dro- rantenpflicht befürwortet. Hier ist aber Skepsis § 154c StPO dadurch erschwert, dass die Richt- hung zustande gekommenen Ehe durch den angebracht, denn die Erfahrungen aus anderen linien für das Straf- und Bußgeldverfahren die Wegfall der Antragsfrist von einem Jahr erleich- Ländern, insbesondere Schweden, zeigen, dass Entscheidung über die Zusicherung der Nicht- tert werden. Ferner sollte § 1318 Abs. 2 Satz 1 eine Freierbestrafung weder den betroffenen verfolgung dem Behördenleiter vorbehalten. Nr. 1 BGB dahingehend geändert werden, dass Frauen noch den Strafverfolgungsbehörden bei Die Regelung soll die Aussagebereitschaft för- Unterhaltsansprüche des genötigten Ehegatten den Ermittlungen nützt, sondern eher die Situa- dern. Es ist aber absehbar, dass es in der Praxis nicht mehr davon abhängen, dass die Drohung tion der betroffenen Frauen verschlechtert und nicht ausreicht Straffreiheit zuzusichern, so- durch den anderen Ehegatten oder mit dessen sie kriminalisiert. lange die Frauen noch Angst vor persönlicher Wissen vorgenommen worden ist. Damit sollte Verfolgung durch die Täter haben. Wichtig verhindert werden, dass der genötigte Ehegatte wären daher entsprechende (Zeugen-) Schutz- nur deshalb vom Aufhebungsvertrag absieht Resümeé maßnahmen für die Frauen. Derzeit werden und das Scheidungsverfahren wählt, weil er weniger als 2 % der Opferzeuginnen in ent- sonst unterhaltsrechtlich Nachteile zu erwarten Die systematische Umstellung weg von den Se- sprechende polizeiliche Zeugenschutzprogram- hätte. Schließlich sollte § 1318 Ab s. 5 BGB für xualdelikten hin zu den Delikten gegen die per- me aufgenommen, da erstens die rechtlichen den Fall des Zustandekommens der Ehe durch sönliche Freiheit ist ein wichtiger Schritt in die Hürden dafür zu hoch sind22 und zweitens ihre widerrechtliche Drohung ergänzt werden: Beim richtige Richtung, da es bei diesem Delikt um Handhabung für die Frauen zu unflexibel und Tod des genötigten Ehegatten soll das gesetzli- die Einflussnahme auf den Willen und die per- wenig praktikabel sind. Entsprechende neue che Erbrecht des anderen Ehegatten auch dann sönliche Freiheit der Frauen geht. Auch die Kooperationskonzepte zwischen Polizei und ausgeschlossen sein, wenn noch kein Antrag auf Strafbarkeit der Förderungshandlungen eröffnet Fachberatungsstellen, wie sie im Arbeitskreis Aufhebung der Ehe rechtshängig ist. Die jetzige sicherlich gute Optionen im erweiterten Täter- Frauenhandel auf Bundesebene erarbeitet wur- Regelung greift sehr kurz und regelt nur lapidar umfeld und den organisierten Strukturen zu er- den, werden derzeit vor Ort auf Länderebene die Nötigungshandlung »Eingehung einer Ehe«. mitteln und entlastet daher die Frauen, als bis- noch nicht ausreichend umgesetzt. Skizzierte Die im Entwurf vorgeschlagenen Erweiterungen her meist einzige Zeuginnen. Allerdings weist Kooperationsrichtlinie verweist darauf, dass beziehen hingegen die familienrechtlichen Pro- die Neuregelung auch systematische Wertungs- Menschenhandelsopfern die mit den zuständi- blemstellungen mit ein und stellen gute Lö- widersprüche auf, die sich vor allem bei der Aus- gen Behörden kooperieren entgegenzukommen sungsansätze dar. Sie sollten erneut aufgegriffen legung des Merkmals »Ausbeutung« zeigen. Hier ist, dies umfasst nicht nur ausländerrechtliche, werden. ist nicht auf wirtschaftliche sondern auf persön- sondern auch zeugenschutzrechtliche Maßnah- liche Ausbeutung abzustellen. Ferner fehlen auf men. der ausländer-, sozial- und zeugenschutzrechtli- Weitere Forderungen aus Bayern chen Ebene noch die entsprechenden Begleit- maßnahmen für eine effektive Strafverfolgung. Förderungshandlungen Bayern hat am 18.3.2005 folgende Änderungen Auch die von der Fachkommission zum Frauen- vorgeschlagen24: handel erarbeiteten Begleitkonzepte für die Nach der Anhörung von ExpertInnen wurde im ● Freier, die wissen, dass es sich um Zwangspro- Frauen und entsprechende Präventionsmodelle Vermittlungsverfahren noch die Strafbarkeit von stituierte handelt, sollen strafrechtlich be- sind umzusetzen. Zu kritisieren ist ferner die Förderungshandlungen aufgenommen (§ 233 a langt werden moralisierenden Debatte des Frauenhandels un- StGB). Es hat sich in der bisherigen Praxis ge- ● Der Strafrahmen für das Verbringen von Kin- ter dem Banner der »Freierbestrafung« – die zeigt, dass ein anwerben, befördern, weiterge- dern in die Prostitution von bisher einem bis zwar zu recht vor negativen Konsequenzen der ben und beherbergen einer Person im Einzelfall zu zehn Jahren auf zwei bis zu 15 Jahren soll globalisierten Markstrukturen warnt, gleichzei- eben nicht unter die Systematik der Mittäter- erhöht werden tig aber deren Gesetzmäßigkeiten verkennt und schaft oder Beihilfe zum Bringen in die Prostitu- ● Die Telekommunikation bei allen Straftaten die Nachteile auf Kosten der Frauen austrägt tion oder den sonst genannten Zwecken fällt. des Menschenhandels überwacht werden (Stichwort: Abschiebung, fehlender Zeugen- Die (Haupt-)Tat des Menschenhandels besteht können schutz, keine Sozialleistungen). Die Lösung ist in der Einflussnahme auf den Willen- und die ● Eine Kronzeugenregelung für Menschenhan- aus meiner Sicht auf der Ebene einer opferinte- Entschließungsfreiheit einer Person, die eben delsdelikte eingeführt werden grativen Sicht auf die Strafverfolgung zu su- gerade durch diese Tathandlungen gefördert ● Das Prostitutionsgesetz wieder rückgängig ge- chen, dazu zählt die Umsetzung von Zeugen- wird und nicht erst auf der Stufe der tatsächli- macht und die Förderung der Prostitution schutzmaßnahmen und die Erleichterungen im chen sexuellen Ausbeutung. Ferner besteht nun wieder eingeführt, sowie der Tatbestand der Aufenthaltsstatus für Nicht EU-BürgerInnen so- die Option auch effizienter im erweiterten Täter- Zuhälterei wieder erweitert werden. wie die Gewährung von Sozialleistungen wäh- umfeld und innerhalb der organisierten Struktu- rend ihres Aufenthaltes und die Möglichkeit ren zu ermitteln und nicht länger nur die Frauen Die Vorlage sieht in der »Nachfrage« eine Förde- von Rückkehrhilfen und Ausbildungsprogram- als Zeuginnen in den Mittelpunkt des Verfah- rung der Zwangsprostitution und will systema- men für die Frauen. rens zu stellen, da sich das gesamte Ermittlungs- tisch die Förderhandlungen nach § 233 a StGB feld nun erweitern muss. auch auf diese Gruppe der Freier erstrecken. Die Verfasserin ist Fachhochschullehrerin in Koblenz

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Literatur: 10 BGH 4 STR 186/04 – Beschluß vom 5. August Aufenthaltserlaubnis vermittelt (so auch 2004 ( LG Münster), Höchstrichterliche Recht- 55.3.2.2.VwV AuslG), die Anerkennung eines BKA-Lagebild Menschenhandel, sprechung Strafrecht (HRRS) 2004 Nr. 834. eigenen Kindes durch einen deutschen Vater www.bka.de/lagebildmenschenhandel; 11 Fraglich ist aber, ob eine so grob berechnete und damit Feststellung der deutschen Staats- Heger, Martin, zum Einfluss des Prostitutionsge- Vermögensstrafe verfassungsgemäß ist (die Re- angehörigkeit oder die Übertragung des Sorge- setzes auf das Strafrecht, StV 03, 350, 356; daktion). rechts für ein deutsches Kind, fortgeschrittene Koelger/Thoma/Welter-Katschup: Probleme der 12 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätig- Schwangerschaft (VG Berlin, Inf AuslR 1995, Strafverfolgung und des Zeuginnenschutzes in keit und die Integration von Ausländern im 415),vorübergehende Betreuung eines schwer Menschenhandelsprozessen, eine Analyse von Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG), erkrankten Familienangehörigen (55.2.3.3. Gerichtsachten, 2001; erkündet als Artikel I des Gesetzes zur Steue- VwV AuslG), Abschluss einer medizinischen SOLWODI ( Hrsg.): Grenzüberschreitende Verbre- rung und Begrenzung der Zuwanderung und oder psychotherapeutischen Behandlung chen-Grenzüberschreitende Zusammen-ar- zur Regelung des Aufenthalts und der Integra- (55.3.2.1. VwV AuslG),Abschluss einer Schul- tion von Unionsbürgern und Ausländern (Zu- oder Berufsausbildung, nur wenn kurz vor Ab- beit, Schutz, Beratung und Betreuung von Ge- wanderungsgesetz, BGBl. 2004 I, Seite 1950). schlussstadium, Regelung von Familien- oder walt- und Menschenhandelsopfern, 2003 Zur Entwicklung vergleiche die am 1.7. 2004 Nachlassangelegenheiten, Führung von Pro- vom Bundestag bestätigten Änderungen des zessen, der die Anwesenheit erforderlich Zuwanderungsgesetzes in BT-Drs. 15/2479 vom macht, z.B. ein Vaterschaftsfeststellungsverfah- Fußnoten: 1.7. 04. auch BR-Drs. 662/04 vom 3.9. 2004 – ren oder ein Scheidungsverfahren (nur wenn Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthalts- die persönliche Anwesenheit aber nicht durch 1 2003 wurden 431 Ermittlungsverfahren einge- gesetzes und weiterer Gesetze – dient der Ab- eine kurzfristige Betretenserlaubnis ermöglicht leitet und 1254 Opfer registriert. Zur näheren stimmung des Zuwanderungsgesetzes, des werden kann, ablehnend für die Vaterschafts- Betrachtung der Gründe wurde ein For- Hartz IV Gesetzes und weiterer Gesetze aufein- feststellung VG Berlin, InfAuslR 1996,397, sie- schungsauftrag an das Max-Planck Institut in ander und der Korrektur fehlerhafter Querver- he auch OVG Hamburg, EZAR 045 Nr. 3) Bun- Freiburg vergeben, die Ergebnisse wurden für weise. Redaktionell angepasst werden soll u.a. desinnenministerium vom Dezember 2004. August 2004 angekündigt, liegen aber derzeit das AufenthaltsG, das SGB II, das AZRG, das 19 EU-Richtlinie des Rates über die Erteilung kurz- noch nicht vor. AsylbLG, das AsylVfG und das Schwarzarbeits- fristiger Aufenthaltstitel für die Opfer der Bei- 2 Einige Auffälligkeiten kurz skizziert: die An- bekämpfungsG. Zudem soll eine neue Datei zur hilfe zur illegalen Einwanderung und des Men- zahl der betroffenen Frauen aus Rumänien hat Erfassung biomentrischer Daten von Auslän- schenhandels, die mit den zuständigen Behör- sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, die dern ohne gültigen Pass eingeführt werden. den kooperieren, verabschiedet am 29.4.2004 Fallzahlen aus Litauen sind rückläufig und aus 13 dazu die Umsetzungshinweise des Bundes- (RL 2004/81/EG,ABl.L 261/19 v.6.8. 2004). Alle Bulgarien nach wie vor konstant hoch. Den innenministeriums vom Dezember 2004 weiteren Gründe für einen humanitären Auf- http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/ enthalt § 25 Abs. 4 S. 1 AuslG: Eheschliessung höchsten Anteil gemessen am Opferverhältnis gesetzgebung/BMI_Hinweise_AufenthG oder Lebenspartnerschaft mit deutschen Staats- zur Bevölkerungszahl hat Lettland. 221204.pdf). angehörigen die einen Anspruch auf Aufent- 3 Vorgaben der Vereinten Nationen (Zusatzpro- 14 Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechische Repu- haltserlaubnis vermittelt (so auch 55.3.2.2.VwV tokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Be- blik, Slowakische Republik, Litauen, Lettland, AuslG), die Anerkennung eines eigenen Kindes strafung des Menschenhandels, insbesondere Estland, Malta und Zypern. Die meisten Frau- durch einen deutschen Vater und damit Fest- des Frauen- und Kinderhandels, zum Überein- en kommen nach dem Lagebericht Men- stellung der deutschen Staatsangehörigkeit kommen der Vereinten Nationen gegen die schenhandel aus der Türkei (10,2 % ) und Bul- oder die Übertragung des Sorgerechts für ein grenzüberschreitende organisierte Krimina- garien ( 8,3 %), d.h. aus Nicht EU-Staaten. Für deutsches Kind, fortgeschrittene Schwanger- lität) und der Europäischen Union (Rahmen- die nächste Gruppe ( Litauen, 8,2 %) hat die schaft (VG Berlin, Inf AuslR 1995,415),vorüber- beschluss des Rates der Europäischen Union Gültigkeit der EU-Regelungen hingegen Ver- gehende Betreuung eines schwer erkrankten vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Men- besserungen gebracht, sie können nicht wegen Familienangehörigen (55.2.3.3. VwV AuslG), schenhandels 2002 (2002/629) siehe dazu ABl. illegalen Aufenthalts abgeschoben werden. Abschluss einer medizinischen oder psychothe- EG Nr. L 203 vom 1. August 2002 S. 1. 15 Die Arbeitnehmerfreizügigkeit tritt erst nach rapeutischen Behandlung (55.3.2.1. VwV Aus- 4 Ein weitergehender BundesratsE zur Freierbe- einer Frist in Kraft. Die Regelung wird 2 plus 3 lG),Abschluss einer Schul- oder Berufsausbil- strafung (BR-Drs. 738/4/04) wurde im Vermitt- plus 2 Regelung genannt, da die Freizügigkeit dung, nur wenn kurz vor Abschlussstadium, lungsausschuss zwar abgelehnt, aber die Zu- zunächst für zwei Jahre ausgesetzt ist, an- Regelung von Familien- oder Nachlassangele- sage zur Einberufung eines ExpertInnen- schließend kann sie durch Mitteilung an die genheiten, Führung von Prozessen, der die An- gesprächs gemacht, das am 20.4. 2005 stattfin- Europäische Kommission für weitere 3 Jahre wesenheit erforderlich macht, z.B. ein Vater- den soll. Bayern hat inzwischen erneut einen ausgesetzt werden und durch begründete Mit- schaftsfeststellungsverfahren oder ein Schei- Antrag zur Freierbestrafung, erweitert um den teilung nochmals für 2 Jahre. Einige EU-Staa- dungsverfahren (nur wenn die persönliche Vorschlag einer Kronzeugenregelung am ten (Niederlande, Großbritannien) haben die Anwesenheit aber nicht durch eine kurzfristige 19.3.2005 in den Bundesrat eingebracht, der in Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Beitrittsstaa- Betretenserlaubnis ermöglicht werden kann, den Ausschüssen beraten wird, BR-Drs. 140/05. ten sofort herstellt, in Deutschland ist sie aus- ablehnend für die Vaterschaftsfeststellung VG 5 Begründung zur Vorlage BT-DRs. 15/4848,S.23. gesetzt. Freizügigkeitsberechtigt sind von den Berlin, Inf AuslR 1996,397, siehe auch OVG Hier wird für den Begriff der Ausbeutung explizit neuen EU-Staaten lediglich Malta und Zypern. Hamburg, EZAR 045 Nr. 3). auf die Zuhälterei in § 180 Abs. 2 Nr. 2 StGB und 16 Beschäftigungsverordnung. 20 EU-Richtlinie des Rates über die Erteilung kurz- § 291 StGB verwiesen, die sich an den Rahmen- 17 Das Gewerbe darf allerdings nicht unter die fristiger Aufenthaltstitel für die Opfer der Bei- beschluss zur Bekämpfung des Menschenhan- Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit hilfe zur illegalen Einwanderung und des Men- dels anlehnen (wirtschaftliche Ausbeutung und fallen (z.B Baugewerbe) Beschäftigungsverord- schenhandels, die mit den zuständigen Behör- nung. Sie können aber auch Prostitution als den kooperieren, verabschiedet am 29.4.2004 »vergleichbare Ausbeutungsverhältnisse«), fer- Gewerbe anmelden. Handhabung in den Bun- (RL 2004/81/EG,ABl.L 261/19 v.6.8. 2004). ner Begründung zur Vorlage BT-Drs. 15/3045. desländern hierzu unterschiedlich, Fachge- 21 § 154 c StPO – neu 6 Ursprünglich war hier eine Absenkung auf 18 spräch und ExpertInnenanhörung Bündnis Zeigt das Opfer einer Nötigung oder Erpres- Jahre vorgesehen, Vorlage BT-Drs. 15/3045. 90/Grünen im Bundestag vom 16.8.2005. sung (§§ 240, § 253 des Strafgesetzbuches) die- 7 BT-DRs. 15/4848, S. 23. 18 Punkt 50.2.2. der Richtlinie zur Umsetzung des se an (§ 158) und wird hierdurch bedingt ein 8 BGHR StGB § 180 a Abs. 2 Nr. 2 Ausbeuten 1 EU-Richtlinie des Rates über die Erteilung kurz- vom Opfer begangenes Vergehen bekannt, so und BGHR StGB § 181 a Abs. 1 Nr. 1 Ausbeuten fristiger Aufenthaltstitel für die Opfer der Bei- kann die Staatsanwaltschaft von der Verfol- 3. Danach liegt Ausbeutung vor, wenn ein plan- hilfe zur illegalen Einwanderung und des Men- gung des Vergehens absehen, wenn nicht we- mäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitu- schenhandels, die mit den zuständigen Behör- gen der Schwere der Tat eine Sühne unerläss- tionsausübung als Erwerbsquelle, zu einer spürbaren den kooperieren, verabschiedet am 29.4.2004 lich ist. Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Pro- (RL 2004/81/EG,ABl.L 261/19 v.6.8. 2004). Alle 22 Gefordert wird nach § 2 ein »wesentlicher Bei- stituierten führt. weiteren Gründe für einen humanitären Auf- trag zu den Ermittlungen«, Gesetz zum Schutz 9 BGH NStZ 1989, 67 ff. [Anm. der Red.: Die Ent- enthalt § 25 Abs. 4 S. 1 AuslG: Eheschließung gefährdeter Zeugen. scheidung betraf §§ 181a I Nr. 1, § 180a I Nr. 2 oder Lebenspartnerschaft mit deutschen 23 BR-Drs. 767/04 a.F. StGB]. Staatsangehörigen, die einen Anspruch auf 24 BR-Drs. 140/05 vom 19.3.2005

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NACHRUF Helga Einsele – Ein Leben um der Überzeugung willen

m 13. Februar 2005 ist Helga Einsele im Alter von 94 Jahren in der Anstalt ein, außerdem eine Zugangsstation für die ersten Wochen der Frankfurt a.M. verstorben. Am 21. Februar 2005 nahmen in einer Inhaftierung, in der durch die Pschyologin und die Sozialarbeiterin dieser Aeindrucksvollen Feierstunde ihre Familie, Vertreter des deutschen Station eine umfassende Anamnese für die spätere Vollzugsplanungs- und internationalen Strafvollzugs, der Universität Frankfurt, frühere Mitar- konferenz erarbeitet wurde. Weitere Reformen betrafen die Vollzugs- beiterinnen und Mitarbeiter aus der Frauenanstalt und Freunde und Be- planung, den offenen Vollzug und Freigang sowie eine gründliche und gleiter ihres Lebensweges Abschied von dieser Frau, die sie alle in einmali- fundierte Entlassungsvorbereitung. Sie professionalisierte den interdis- ger Art und Weise beindruckt und geprägt hatte. ziplinären »Sozialdienst«, indem sie die täglichen Teambesprechungen, »Schwimmen gegen den Strom – um der Überzeugung willen »– so lautet die sogenannten »Mittagsrunden« einführte und diese nach Einführung der Titel der Festschrift zu ihrem 80ten Geburtstag. Ein Menschenbild der der 5-Tage-Woche eisern auch an den Samstagen einberief. positiven Zuwendung, eine unbeirrbare politische Ethik, die Suche nach et- Ein besonderes Anliegen war ihr die Vermeidung der Trennung von in- was Besserem als der Strafe – dies waren die theorie- und handlungsleiten- haftierten Müttern von ihren neugeborenen Kindern. Bereits Ende der den Merkmale, die ihren Lebensweg in unvergleichbarer Art kennzeichnen. 50er Jahre ermöglichte sie durch ausgedehnte Stillphasen den Verbleib der Gerade in Zeiten des kriminalpolitischen Umbruchs wird deutlich, welch neugeborenen Kinder bei ihren Müttern im Anstaltskrankenhaus. Aus die- ein Mangel an derartig glaubwürdigen, überzeugten und überzeugenden sen Anfängen heraus ist später das erste Mutter-Kind-Heim im Strafvollzug Persönlichkeiten eingetreten ist. entstanden und die Regelung im Strafvollzugsgesetz, in Frauenanstalten Helga Einsele war Zeit ihres Lebens – und bis ins hohe Alter – eine poli- Mutter-Kind-Einrichtungen vorzusehen. Ebenso wie die gemeinsame tisch aktive Frau. Sie setzte sich schon zu ihren Schulzeiten ein gegen Un- Unterbringung von Müttern und Kindern in Haft war ihr eine qualifizierte gerechtigkeit und Unterdrückung. Geprägt durch ein politisches Eltern- Nachbetreuung der Frauen nach der Entlassung ein großes Anliegen. Dass haus und durch die Frauenbewegung zeichnete sie ein Leben lang ihre diese Nachbetreuung um so effektiver ist, je früher sie bereits im Vollzug »liebenswürdige Widersetzlichkeit« aus. Sie strebte zusammen mit Vertrau- beginnt, motivierte sie nach ihrer Pensionierung dazu, zusammen mit an- ten und Freunden grundlegende Reformen an – sie lebte und praktizierte deren die Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen ins Leben zu rufen aber auch im Alltag die kleinen Schritte, die sie – liebenswürdig und uner- und sie wissenschaftlich zu begleiten. Die Anlaufstelle ist mittlerweile fest bittlich zugleich beharrlich und mit grosser Überzeugungskraft durchsetzte. etabliert und wurde von Helga Einsele bis zu ihrem Tod begleitet und unterstützt. Helga Einsele hat es immer im Sinne ihres Lebensauftrages verstanden, persönliche und interdisziplinäre Netzwerke herzustellen und zu pflegen. Helga Einsele – Vita Ihr kritischer und wacher Geist und ihre warmherzige persönliche Zuwen- dung beeindruckten und bereicherten alle, die mit ihr Kontakt hatten. Eine geboren 1910 in Döllau bei Trennung zwischen Privatem und Dienstlichem, zwischen Politischem und Halle Unpolitischem, zwischen gefangenen und freien Menschen gab es für sie aufgewachsen in und nicht – sie dachte und handelte vernetzt und in Zusammenhängen. Lüneburg Für diesen Anspruch an sich selbst und andere zahlte sie einen hohen seit 1929 Studium der Rechts- Preis – »sie war immer im Dienst« – im Dienst ihrer Sache, ihres Lebensauf- wissenschaften in Königsberg, trages, ihrer Überzeugung. So erzielte sie zwar ein Höchstmass an Wir- Breslau und Heidelberg kung, wurde aber auch angefeindet, ausgegrenzt und ausgeschlossen aus 1931/1932 Studium in den USA politischen Gremien und Entscheidungsprozessen sowie praktische soziale Arbeit So war sie nie mainstream, wollte es auch nicht werden. Sie brauchte die bei der weiblichen Polizei New Widersetzlichkeit als Strategie zum Überleben und zur Verteidigung ihrer York Unabhängigkeit. Tiefe und Radikalität einer unbeirrbaren politischen 1939 Promotion bei Gustav Ethik und absolute Glaubwürdigkeit im persönlichen Handeln kennzeich- Radbruch über »Das Frauen- nen ihr Lebenswerk und ihr Leben , sind ihr Vermächtsnis, ihr Auftrag und gericht in New York« ihre Herausforderung an die Nachfolger. 1939 bis 1947 Leben und Arbei- ten mit dem Ehemann in Österreich 1941 Geburt der Tochter Nele Helga Einsele als Anstaltsleiterin 1. 11. 1947 auf Empfehlung von zur Leiterin der Vieles, was heute zu den Standards in deutschen Gefängnissen zählt, hat Frauenhaftanstalt Frankfurt am Main (Preungesheim) ernannt Helga Einsele bereits in den frühen Jahren ihrer Tätigkeit als Anstaltsleite- 1967 Mitgl. der Stravollzugskommission des Bundesjustizministriums rin vorweggenommen. In der militärisch organisierten Frauenhaftanstalt, 1969 Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union in der die gefangenen Frauen noch mit verschränkten Händen auf dem 1974 Beccaria-Medaillle in Gold von der Deutschen Kriminologischen Rücken zum Morgenappell antreten mussten, hat sie schon in den 50-er Gesellschaft Jahren den Gruppenvollzug und die soziale Gruppenarbeit, geleitet durch 1975 Verabschiedung in den Ruhestand je eine Fürsorgerin, eingeführt. Es folgten die ersten Ansätze für qualifi- zierte Ausbildungsabschlüsse vor der Industrie- und Handelskammer, die 1975 Honorarprofessorin an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität später zu einem bundesweit anerkannten Modellprojekt wurden. In den Frankfurt a.M. 60-er Jahren führte sie eine Gefangenenmitverantwortung ein und ein 1976 Humanitärer Preis der Deutschen Freimaurer Sprecherinnensystem. Die ersten Gefangenenzeitungen entstanden aus 1979 Wilhelm-Leuschner-Medaille dieser Initiative heraus. Ebenfalls öffnete sie die Anstalt für Ehrenamtliche, 1982 Geburt des Enkels David orientiert an dem englischen System der prison visitors und beteiligte die- 13. 2. 2005 verstorben in Frankfurt a.M. se schon bald an der Bildungs- und Gruppenarbeit im Vollzug. Weit vor Biografie: Helga Einsele, Mein Leben mit Frauen in Haft, Stuttgart, 1994 Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes führte sie ein Konferenzsystem in

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Die Reform der Strafbarkeit von Menschen- und Frauenhandel aus kriminologischer Sicht Monika Frommel

Ziele der Änderungsgesetzgebungen nisse) gegen das Verbot der »Ausbeutung« ver- waren es nur etwa 150. Im Vergleich zu dieser stoßen und deshalb nichtig sind (§ 134 BGB). marginalen Kriminalisierung ist sogar das klassi- ie Straftatbestände der Vermittlung in Offenbar dachten diejenigen, welche das ProstG sche Delikt der ausbeuterischen Zuhälterei et- oder der Förderung der Prostitution wur- hätten aktiv umsetzen müssen, mehr an den was bedeutsamer. Man kann daraus den Schluss Dden in den letzten 15 Jahren mehrfach Ausstieg aus als die rechtliche Regulierung der ziehen, dass diese Art der OK-Ermittlungen pri- geändert. Erstmals 1993 wurde Frauenhandel in Branche und versäumten es, die sozialen und mär ausländerrechtliche Zwecke erfüllt. Als Umsetzung einer EU-Richtlinie zu einem eigen- rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, »Banden- und Schleußerkriminalität« ist sie uns ständigen Delikt mit einem für Sexualdelikte un- um Bordellbetreiber zu zwingen, Steuern und So- mittlerweile aus der Presse bestens bekannt, gewöhnlichen Rechtsgut, nämlich der Freiheit zialabgaben abzuführen. Auch der Versuch von auch die Neigung der Politik, die »Opfer« zu in- der sozialen und wirtschaftlichen Betätigung. Verdi über eine gewerkschaftliche Unterstützung strumentalisieren. Ich fürchte, auch die Neu- 2002 wurde im Zuge der Legalisierung der frei- nachzudenken blieb vereinzelt und folgenlos. regelung wird daran wenig ändern, denn auch willigen Prostitution von Erwachsenen die bloße Das Recht des sexuellen Dienstleistungsgewerbes bei den leicht nachweisbaren Gewaltdelikten »Förderung« entkriminalisiert (das Verbot war muss folglich erst noch geschrieben werden. sind die Verurteilungsquoten niedrig. Daraus ohnehin ein reiner Ermittlungsparagraph gewe- Zwar gibt es einen juristischen Kommentar von den Schluss zu ziehen, schwerer Menschenhan- sen) und nur noch die ausbeuterische Prosti- Margarete von Galen, aber keine weiterführende del sei ein Problem des Dunkelfeldes, ist eben- tution verboten. Strafrechtlich war dieser Be- Diskussion zu den dort gegebenen Anregungen. falls wenig plausibel, da im Dunkelfeld typi- griff bis dahin nur im Zusammenhang mit der Stattdessen dominieren ganz enge ausländer- scherweise diffuse Zwangslagen anzutreffen Zuhälterei bekannt und deshalb sehr eng ausge- rechtliche Lesarten und eine notorische (und sind. Diese scheinen aber geringer zu werden, legt. Aber was dies nun strafrechtlich und – was unerfüllbare) Klage über unzureichende Befug- wenn Prostituierte mehr Rechte haben. m. E. wichtiger ist – zivilrechtlich bedeutet, blieb nisnormen für die Polizei. damals im dunklen und wurde auch in der Fol- Dies zeigt nicht zuletzt die Visa-Affäre. Schien gezeit nicht gerichtlich präzisiert. Die Fixierung es etwa zunächst, als befördere eine laxe Visa- auf das Strafrecht verhinderte Standards für an- Zwangsprostitution – Was zwingt Praxis (wie seit 1999 etwa in Kiew) Phänomene gemessene Löhne und gewerbliche Mieten. Hin- Menschen in die Prostitution? wie »Frauenhandel«, so zeigen die Daten des po- zu kam eine Schwäche der professionellen Bera- lizeilichen Hellfeldes genau das Gegenteil. Stren- tung der Betroffenen, welche Zivilverfahren ver- Deklarierte Opfer und ermittelte Tatverdächtige ge ausländerrechtliche Kontrollen schaffen zwar mied und damit eine Klärung, welche Verträge betragen – mit Schwankungen – etwa 800–1200 eine eigene »Kriminalität«, aber keine erhöhte und Absprachen (auch faktische Arbeitsverhält- Personen. Verurteilungen sind aber selten, 2002 sozialschädliche Auffälligkeit der als Touristen eingereisten Menschen. Da alle eingereisten Phänomenologie des polizeilichen Hellfeldes: die deklarierten Opfer von Menschenhan- UkrainerInnen namentlich bekannt sind, hätten del nach Herkunft die LK-Ämter Daten gemeldet, wenn sie eine er- höhte Kriminalität dieser Gruppe festgestellt hätten. Dies ist aber gerade nicht geschehen. 1400 Opfer insgesamt Verwunderlich ist dies nicht, sind doch auch sonst Einwanderer der ersten Generation eher 1200 unauffällig1. MOE-Staaten 1000 Der bloße Verstoß gegen das Ausländergesetz insgesamt ist somit kriminologisch rein formal und betrifft mehr oder weniger ausschließlich staatliche 800 Ukraine Interessen und völkerrechtliche Vereinbarungen. Etikettierungen als »kriminell« sind formal und 600 bedeuten lebenspraktisch allenfalls Angst vor Abschiebung. 400 Auch der zweite Mythos ist nicht belegbar, wonach insbesondere osteuropäische Prostitu- 200 ierte ihre Dienste nur unter Zwang anbieten. Auch dieses Phänomen ist eher selten. Zwar gibt 0 es ausreichende empirische Belege dafür, dass 1999 2000 2001 2002 2003 alle weiblichen Prostituierten häufig von Freiern belästigt und insgesamt häufiger Opfer von Ge- Quelle: BKA-Lagebild Menschenhandel walt als alle anderen Frauen sind, vermutlich Als MOE-Staaten gelten: Bulgarien, Estland, Republik Jugoslawien, Lettland, Litauen, Re- häufig Opfer von Erpressung2. Aber es gibt keine publik Moldau, Polen, Rumänien, Russland, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, belegbaren Kenntnisse darüber, dass insbesonde- Ukraine, Ungarn, Weißrussland. re die illegal hier arbeitenden Prostituierten in

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TITEL

die Prostitution gezwungen werden. Alle offi- den im Jahre 2002 nur 57 Täter bestraft, obgleich Beamten des höheren Dienstes in Berlin nicht ziellen Zahlen zeigen, dass die polizeilich dekla- 547 ermittelte Tatverdächtige geliefert wurden, brisant genug, um sofort den direkten Kontakt rierten Tatverdächtigen und Opfer und die nach ähnliche Relationen haben die insoweit ver- mit dem gehobenen Dienst des jeweils anderen der Rechtspflegestatistik Verurteilten so erheb- gleichbaren Delikte des Frauenhandels. Die Hauses – dem Innenressort und den gehobenen lich differieren, dass Zweifel angebracht sind. meisten Prostituierte können sich nämlich – so Beamten der Visa-Stellen – herzustellen. Auf die- Selbst beim klarer konturierten Gewaltverbre- beurteilen die Gerichte die Aktenlage – kurzfris- se Weise geriet das Thema nicht auf den Radar- chen des schweren Menschenhandels haben wir tig von den für sie ungünstigen faktischen Ver- schirm der beiden für das Innenressort und die keine nennenswerten Verurteilungsquoten. tragsverhältnissen lösen. Ihr Problem, so meine Außenpolitik zuständigen Minister, sondern Zwar kann man aus Hellfelddaten nicht allzu Schlussfolgerung, ist nicht der persönlich ausge- blieb auf der Abteilungsleiter-Ebene hängen. Po- viel schließen, aber noch weniger aus vereinzel- übte Zwang, sondern die Zwänge des unkontrol- litisch-publizistisch ließ sich dann aber dieses ten Opfergeschichten, die sich als Elends- lierten Marktes. Sie finden einfach keine besse- eher banale Bürokratieproblem aufblasen zu ei- geschichte lesen. Jedenfalls waren in der Vergan- ren Arbeitsbedingungen, also lassen sie sich auf nem immer intensiver »gefühlten Skandal« (so genheit zur Bekämpfung von Erpressung, Nöti- die vorgefundenen ein. Verstärkt wird diese un- zutreffend aber recherchefrei, was für gefühlte gung und Ausbeutung von Prostituierten günstige Ausgangssituation durch die Tatsache, Skandale typisch ist, Bettina Gaus in der TAZ Sondertatbestände eher kontraproduktiv. Wieso dass es keine Institution gibt, weder Huren-Bera- vom 7.03.2005). Im folgenden soll diesen sich sollte sich das mit der Neuregelung ändern. Be- tungsstellen noch Organisationen wie Verdi, wel- selbst verstärkenden Kreisläufen des Nicht- oder fragt man ferner vor Ort handelnde Polizeibe- che eine aktive Gewerkschaftspolitik machen Halbwissens eine weitere Dimension hinzuge- amte, also nicht die im politischen Raum akti- und mit anwaltlicher Unterstützung eine Ver- fügt werden. ven Funktionäre, dann schildern diese die spezi- besserung der Arbeitsbedingungen dieser fischen Zwangssituationen der deklarierten (schein)selbstständig und unselbstständig täti- Meine These lautet: Menschen- und Frauen- Opfer eher als Konstellationen der Erpressung gen Dienstleistenden erzwingen. Es dominiert handel lässt sich erst dann – als ultima ratio auch und gerade nicht als Zwang zur Prostitution. ein Schulterschluss zwischen oft kirchlichen Be- mit strafrechtlichen Mitteln – verarbeiten, wenn Unerfahrene Prostituierte würden mit »imaginä- ratungsstellen, Polizei und an Sozialarbeit ange- ein arbeits-, miet- und zivilrechtlicher Unterbau ren Forderungen« (so die von Marco Carini in der lehnter Beratung. geschaffen ist. Die Lage von Prostituierten bzw. TAZ-nord am 26.04.2005 befragten Hamburger von Niedriglohnabhängigen lässt sich nicht mit Polizeibeamten) in die Enge getrieben. Um sie zu Kapitalismus kritischen Sprüchen und schon gar begleichen, müssten sie wesentlich mehr arbei- Moralkampagnen nicht mit dem moralistischen Entsetzen über ten als zumutbar ist. Dies ist nicht verwun- »die Ware Frau« verbessern. Es ist aus meiner derlich. Schwarze Märkte sind noch patriarcha- Zum ersten mal wurde das Stichwort Zwangs- Sicht nichts gegen eine opferorientierte Strafver- lischer organisiert als der schlimmste Risikokapi- prostitution populistisch platziert, als es darum folgung einzuwenden, wenn realistisch einge- talismus, und das sexuelle Dienstleitungsgewer- ging einen »Moralisten an den Pranger« zu stel- schätzt wird, was Opferschutz bedeuten kann. be ist seit je gewalttätig organisiert. Regulierte len (so der Stern Nr. 26 vom 18.06.2003 zum Er- Ein laienhafter Glaube an die opferschützende Märkte hingegen kennen Korrektive: organisier- mittlungsverfahren gegen Friedmann wegen Ko- Kraft des Strafrechts ist für konkret Betroffene te Arbeitgeber, Vermieter, Vermittler auf der ei- kainkonsums mit Prostituierten3). Rumänische eher schädlich, da Strafrecht allenfalls symbo- nen und organisierte Arbeitnehmer und Mieter Prostituierte hatten sich als Opferzeuginnen4 lisch Opfern und der Allgemeinheit Genugtuung auf der anderen. Beide Parteien sind ausgestattet zur Verfügung gestellt und die Berliner Ermitt- verschaffen kann. Lebenspraktisch hilft man mit guten Beratern und einem fein dogmatisier- lungsbehörden spielten kräftig mit und bedien- konkret Betroffenen nur dann weiter, wenn man tem Rechtsschutz. In dieser bis 2002 illegalisier- ten den politisch-publizistischen Verstärker- sie in die Lage versetzt, eigene zivile Rechte (im ten Branche hingegen können Männer, die weit kreislauf um sex & crime. Es folgte das von Zusammenhang mit oder außerhalb des Straf- weg sind von zivilisierten Umgangsformen, ein Oberstaatsanwalt Bülles in Köln mit Eifer betrie- verfahrens) zu mobilisieren. So gesehen hat das gut eingeübtes (und der täterorientierten Krimi- bene und von Leyendecker in der SZ unkritisch ProstG lediglich eine Chance eröffnet, welche nologie gut vertrautes) Verhaltensmuster aus- kommentierte »Banden- und Schleußerverfah- nicht genutzt wurde und vertan wird, wenn die leben. Das Ergebnis ist aber keine Zwangspros- ren« und die sich anschließende Visa-Affäre. derzeitige halbherzige Frauen- und Kriminalpoli- titution, sondern ein Markt, in dem insbesonde- Dieses Mal standen keine Moralisten am Pran- tik weiter geführt wird. re junge und/oder ausländische, aber auch ger, sondern mit Joschka Fischer und seinem deutsche Prostituierte permanent übervorteilt, Staatssekretär Vollmer zwei beliebte Politiker unter Druck gesetzt und langsam aber sicher und die Regierungsfähigkeit der rot-grünen Koa- Was kann eine Gleichstellungspolitik wirtschaftlich ruiniert werden. Dies ist aber nur lition. Wie wir heute wissen, hatte das Ganze gegen Frauenhandel erreichen und vereinzelt als Menschenhandel und ausbeu- mit Beförderung von »Zwangsprostitution« wie verhält sich dieses Ziel zu dem terische Prostitution/Zuhälterei verfolgbar, son- nichts zu tun, sondern eher damit, dass sich die der Internationalen Organisationen dern Folge der fehlenden zivilrechtlichen Kon- Spitze des Auswärtigen Amtes im Dickicht zwei- für Migration trolle. er überbürokratisierter Behörden verfangen, welche konkret vor Ort schlecht zusammenar- Wer sich zum Stichwort Frauenhandel kundig Dem entsprechen die Daten des Hellfeldes. beiten konnten. Aus Gründen, die hier dahin- machen will, stößt auf zahlreiche Publikationen Selbst der BKA-Lagebericht zum Frauenhandel stehen müssen, gelang es den Polizeibehörden zu Problemen der Immigration, etwa der Inter- geht davon aus, dass weit mehr als 90 % der de- der Länder und dem Innenministerium durch nationalen Organisation für Migration – IOM. klarierten Opfer sich freiwillig (d.h. ohne Zwang) Gesten der Empörung unbehelligt zu bleiben; Insbesondere innerhalb der EU gibt es eine star- prostituieren. Die Verurteilungszahlen der offi- denn die Umsetzung ausländerrechtlicher Vor- ke Koalition ansonsten unterschiedlich denken- ziellen Rechtspflegestatistiken weisen in dieselbe schriften ist die originäre Aufgabe der Polizei. der Gruppen, welche sich zwar vordergründig Richtung. Strafgerichte verurteilen auch in die- Aber das alles wissen wir erst heute – spätestens ein gemeinsames Ziel gesetzt haben, nämlich sen 5–10 % der Fälle, in denen Staatsanwalt- nach der Anhörung der Zeugin Klara Hoppmann, Menschenhandel in jeder Form energisch zu schaften den Straftatbestand des schweren Men- Beamtin des gehobenen Dienstes und Leiterin »bekämpfen«. Aber sie blenden den naheliegen- schenhandels oder der ausbeuterischen Prostitu- der Visa-Stelle in Kiew (Christian Füller TAZ vom den ersten Schritt aus: die Verbesserung der Le- tion bzw. Zuhälterei bejaht haben, eher selten. 3.05.2005) ist klar, wo die Probleme ihren An- bens- und Arbeitbedingungen legal im Sexge- Wegen ausbeuterischer Prostitution etwa wur- fang nahmen. Ihre Informationen waren den werbe arbeitender Menschen. Stattdessen do-

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minieren unrealistische Kampfansagen, ein für gar nicht mehr in der Lage ist, noch mehr Ab- her sollten sich Beratungsstellen an den legal die Kriminologie nicht gerade neues Phäno- züge wirtschaftlich zu verkraften. Dies ist der hier arbeitenden Prostituierten orientieren und men. Um was geht es also und wie sollen die Ge- »Zwang«, der im ach so beliebten Stichwort eine Stärkung ihrer zivilen Rechte empfehlen, genstrategien aussehen? »Zwangsprostitution« eher moralistisch verklei- also das ProstG implementieren statt mit unrea- stert als benannt wird. Ausgangspunkt der hier listischen ausländerrechtlichen Forderungen angestellten Überlegungen ist daher der in der aufzuwarten. Konturloses Strafrecht, Überschrift zu § 180 a und in 181 a StGB ver- kontraproduktiver Jugendschutz wendete Begriff der »Ausbeutung«. Gesetzlich und Ermittlungsparagrafen verboten ist danach schon vor dem strafrechtli- Autonomie und Gewalt – Zwang und chen Zugriff jede Form der ausbeuterischen Erpressung im Prostitutionsgewerbe Schon lange vor der Visa-Affäre bestand Grund Prostitution (»wer es unternimmt« ....) und aus- sich über das vorhandene konturlose Strafrecht beuterische Zuhälterei. Nimmt man noch den Zweifellos gibt es im Prostitutionsgewerbe viel in den §§ 180 b, 181 StGB alt (1993 – 2005) zu bei imaginären Forderungen besser umsetzba- Gewalt und Zwang. Sie treffen aber die dort ärgern. Aber immerhin konnte man diese Para- ren Wuchertatbestand hinzu und legt den Maß- Tätigen höchst unterschiedlich. Besonders stark grafen im Lichte des später erlassenen Prostitu- stab des § 291 StGB zugrunde, ein krasses betroffen sind die jungen Straßenprostituier- tionsgesetzes (2002) restriktiv interpretieren. Mißverhältnis von Leistung und Gegenlei- ten6. Insbesondere Drogenabhängige setzen sich Nach der Reform und Neufassung als §§ 232 ff stung, dann wäre bei einer zivilrechtlichen In- auf dem Straßenstrich erhöhten Gefahren aus. StGB im Februar 2005 fällt dieses Argument haltskontrolle lediglich zu prüfen, was die Leis- Derartiges könnte vermieden werden, wenn es schwerer, weil die Gesetzgebung in Kenntnis tung und was die Gegenleistung war und ob nicht eine Reihe von undurchdachten Jugend- der Legalisierung nun erneut die schlichte Ver- diese in einem noch tolerierbaren Verhältnis schutzbestimmungen gäbe, welche einzeln und mittlung in die Prostitution, d.h. in eine legale zueinander stehen. So argumentiert jedenfalls in ihrer Summe eher kontraproduktiv wirken, Tätigkeit unter Strafe stellt, ohne dass erkenn- die Rechtsprechung zu Wucher5. Zwar sind da sie nicht nur eine akzeptierende Sozialarbeit bar wird, worin eigentlich das strafwürdige Un- auch aus meiner Sicht Strafverfahren wenig mit diesen jungen Menschen erschweren, son- recht liegen soll (deshalb erörtern in diesem sinnvoll, weil die betroffenen Prostituierten le- dern diese überdies auf den Straßenstrich zwin- Heft Frommel/Schaar die strafrechtliche Frage diglich strukturell unfreiwillig, aber nicht in ei- gen, da die »Wohnungsgewährung« an unter genauer, insbesondere ob bereits das schlichte nem beweisbaren Sinne »unfrei = gezwungen« 18 Jahre alte Prostituierte ohne Ausnahme »Ausnutzen einer Zwangslage« – so der Grund- in ihre ökonomische Isolierung geraten sind, so verboten ist. Nun könnte dies ein kleiner Stein tatbestand des § 232 StGB – ein bestimmbares dass §§ 180 a, 181 a StGB tendenziell nicht zu in einer vernetzten Prävention sein. Aber davon strafwürdiges Verhalten sein kann, mit negati- einer Verurteilung führen und auch der Wu- kann keine Rede sein. Nicht einmal die Schutz- vem Ergebnis). Birgit Thoma hingegen schildert chertatbestand des § 291 StGB häufig zu grob altersgrenze – 16 Jahre – in § 182 StGB wird die Reform eher positiv und hält sie nur in sein wird. Aber wie sieht es mit der gewaltsa- ernst genommen. Die bis zu diesem Alter längst Randbereichen für kritikwürdig, würde also – men Durchsetzung nicht zurecht bestehender normierte Freierbestrafung wird nicht umge- gegen die hier vertretene Intention – eher Forderungen aus? Erpressung und präventiver setzt. Ich schließe daraus, dass auch die neuer- »mehr vom selben« vorschlagen und sogar wei- zivilrechtlicher Rechtsschutz wären zu akti- dings erhobene Forderung nach einer Bestra- tergehende Wünsche zumindest der Baden- vieren. Erst dann ließe sich beurteilen, ob die fung der Kunden von sog. »Zwangsprostituier- Württembergischen CDU empfehlen. Sie ver- Einwilligung der Prostituierten in ungünstige ten« symbolisch gemeint ist, da alle Kundigen mutet also mit der Mehrheit der Befürworter Verträge relevant ist. Schließlich lassen sich ob- wissen, dass diese Maßnahme zum Opferschutz dieser Änderungsgesetzgebung, dass tendenziell jektive Maßstäbe finden wie Vergleichsmieten ungeeignet ist. jede »gehandelte Frau« eher ein Opfer ihrer bzw. vergleichbare Regeln in anderen Bran- Verhältnisse sei, während meine These dahin chen. Derartige Analogieschlüsse verbietet das Was also sind »Zwangsprostituierte«? Nehmen geht, die Probleme im unzureichenden arbeits- Strafrecht, aber nicht das Zivilrecht. Dass Straf- wir die im Spiegel 6/2005 S. 29 kolportierte Ge- und mietrechtlichen Schutz für legale sexuelle recht dennoch immer wieder als Instrument ge- schichte. Die Rede ist dort von Irina aus Russ- Dienstleitungen (und dann natürlich erst recht fordert wird, hängt damit zusammen, dass Lai- land, also einem Nicht-EU-Land, aus dem Irina für illegal hier arbeitende Menschen) zu sehen. en sich notorisch Illusionen machen über dieses nur als Touristin einreisen kann. Geschildert Dahinter steht die Annahme, dass die Wahl des Rechtsgebiet. Seit der Abschaffung des Sitten- wird sie als »klein und dünn«. Die Bemerkung Berufs einer oder eines Prostituierten lediglich widrigkeitsverdiktes kann auch zivilrechtlich »sie hustet viel« schildert sie als zerbrechlich. Sie eine riskante Entscheidung ist, die nach den das zu viel Geleistetes zurückverlangt werden sei mit einem erschlichenen Visum, für das sie Maßstäben des Prostitutionsgesetzes sozial- (da § 817 BGB nicht mehr entgegen steht und 450 Dollar zahlen sollte, das dann aber 650 Dol- staatlich abgefedert werden kann. Empfohlen Prostituierte nicht mehr in den früher anzu- lar gekostet hat, nach Deutschland gekommen. wird daher bei ökonomisch ungleichgewichti- nehmenden illegalen Pakt mit ihren Vermie- »Inzwischen schuldet sie den Leuten, die sie in gen (meist faktischen) Vertragsverhältnissen tern, Arbeitgeber, Zuhältern zwingt). die Bundesrepublik verfrachteten, 5500 Euro. Zu eine zivilrechtliche Inhaltskontrolle über den Kosten für die Schleusung kommen Miete, § 134 BGB (Nichtigkeit wegen gesetzwidriger Aber ist es realistisch, ausgerechnet auf das Zi- Verpflegung, die Fahrten zu den Freiern ...« hin- Vereinbarungen) und über arbeits- und miet- vilrecht zu hoffen? Anwaltskontakte sind zu. Es folgen Drohungen für den Fall, dass sie rechtliche Instrumente. Außerdem macht es schließlich das, was diese »Opfer« gerade nicht nicht zahle. Der Zwang beruht auf imaginären Sinn, § 266 a StGB zu nutzen, da diese Straf- haben und was in dieser Branche weltfremd zu Schulden. Ihre Gläubiger könnten kein Zivil- norm auch die Pflicht von Bordellbesitzern und sein scheint. Aber wieso nutzen Beratungsstellen gericht einschalten, da es für derartige Forderun- Betreibern strafrechtlich implementieren könn- ihre Professionalität nicht? Wieso denken sie gen keinen Rechtsgrund gibt. Aber auch die te. Die meisten Prostituierten sind allenfalls nicht über langfristig angelegte rechtliche Strate- Schuldnerin kann sich faktisch nicht wehren, scheinselbständig. Die Bordellbetreiber müs- gien nach? Wenn es um die Verschärfung von wenn sie hier illegal lebt und deshalb jederzeit sten nicht nur Steuern und Abgaben abführen, Strafrecht geht, sind sie doch präsent. Wer Zivil- ausgewiesen werden kann. sondern sie machen sich – weit über das Steuer- gerichte mobilisieren möchte, muss Glasperlen- strafrecht hinaus – strafbar, weil sie nicht nur spiele vermeiden. Klar ist, dass insbesondere ille- Kein Wunder, dass die Beratungsstellen versu- diese ihre Pflicht verletzen, sondern ihre Mieten gal hier arbeitende Menschen eine Zivilklage chen ihren Klientinnen vorübergehende Auf- so kalkulieren, dass auch die Prostituierte selbst eher nicht erfolgreich durchstehen können. Da- enthaltsgenehmigungen zu verschaffen. Mög-

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lich ist dies, wenn diese sich als Opferzeuginnen folgen. Noch zeichnet sich nichts derarti- einen Sinn haben soll, dann doch den, Wucher- in einem Strafverfahren wegen Frauenhandel zur ges ab. mieten zu unterbinden. Wo die Grenze anzuset- Verfügung stellen. Die EU hat sogar eine ent- zen ist, kann hier aber nicht pauschal beantwor- sprechende Richtlinie erlassen mit dem geradezu Fragen wir aber dennoch, warum nicht und tet werden, da jede Richtigkeitskontrolle nur absurden Titel: »EU-Richtlinie des Rates über die wieso etwa Verdi sich dieser Arbeitnehmerinnen konkret erfolgen kann. Aber unerlässlich ist ein Erteilung kurzfristiger Aufenthaltstitel für die so gut wie nicht, zumindest nicht ernsthaft, an- effektiver Schutz von Prostituierten vor wucheri- Opfer der Beihilfe zur illegalen Einwanderung genommen hat. Die in den letzten Jahren wieder schen Verträgen, und zwar nicht nur vor einer und des Menschenhandels, die mit den zustän- stärkere Fixierung der Politik auf das Strafrecht, Ausbeutung i.S. einer gezielten Verarmung, son- digen Behörden kooperieren«, verabschiedet am noch schlimmer: auf verkapptes Ausländerrecht, dern gegen alle Formen der krassen wirtschaft- 29.4.2004 (RL 2004/81/EG, ABl.L 261/19 v. verstärkt das Desaster. Eine der juristischen Bera- lichen Übervorteilung. Selbst wenn strafrecht- 6.8.2004). terinnen der Grünen, Margarete von Galen, kom- lich eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen mentiert zwar das ProstG und gibt kluge Rat- sollte, genügt es zivilrechtlich, wenn Geschäfte Das Problem ist nur, dass Gegenstand in die- schläge, aber die versierte Strafverteidigerin hat dieser Art grob unbillig und tatbestandsmäßig sen Verfahren nicht die Erpressung der sich hier sich nicht – bei allen Verdiensten, die sie sich sind, auf die Frage der Rechtfertigung kommt es illegal aufhaltenden Migrantinnen ist, sondern mit diesem Buch erworben hat – überlegt, wie für § 134 BGB nicht an. Ausbeuter müssen nicht ausländerrechtliche Probleme. Die Zeuginnen man die Lage der legal in Deutschland arbeiten- strafbar handeln im Sinne einer rechtswidrig werden nicht in ihrer Angelegenheit unterstützt, den (erwachsenen) Prostituierten verbessern und schuldhaft begangenen Tat. Es genügt, sondern eher zum Mittel zur Umsetzung staat- könnte. Sie schaut auf die Strafrechtsnormen, wenn sie Forderungen durchsetzen wollen, wel- licher Interessen eingesetzt. Da sie sich meist liest in den §§ 180 a, 181 a StGB (verbotene Aus- che krass unangemessen sind. Die Prostituierte nicht gegen ihren Willen prostituieren, sondern beutung durch Bordellbetreiber und Zuhälter) kann im übrigen nicht nur für die Zukunft, son- lediglich erpressbar waren und meinten, ihre das Wort »Ausbeutung« und konstruiert eine po- dern auch rückwirkend erhebliche Summen zu- imaginären Schulden abzahlen zu müssen, ist sitiv zu bewertende Veränderung der Sicht auf rückfordern bzw. Bordellbesitzer zwingen, rück- der Umweg über immer weiter gefasste Strafbe- Prostituierte früher und heute. »Nach alter Vor- wirkend Steuern und abgaben zu bezahlen. Alle stimmungen gegen Menschenhandel nicht nur stellung« (so die Autorin in »Rechtsfragen der entgegen stehenden Absprachen und Gepflo- umständlich, sondern kontraproduktiv. Die de- Prostitution«, Rdnr. 341 – 342) habe eine zuge- genheiten sind wegen § 134 BGB nichtig und klarierten Opfer legitimieren zwar die Strafver- schriebene Persönlichkeitsstruktur verhindert, über das Bereicherungsrecht rück abzuwickeln. folgung, aber sie bestimmen nicht die Gestal- Prostituierte als frei entscheidende Personen an- Da die Nichtabführung von Steuern und Sozial- tung des Strafverfahrens. Was wäre denn ein rea- zusehen. Heute sei dies Rechtsgeschichte. Daher abgaben außerdem ggf. nach § 266 a StGB straf- listischer Ausweg? müsse man die von ihnen geschlossenen Verträ- bar ist, kann auch eine eindrucksvolle Drohku- ge auch so, wie sie nun einmal sind, akzeptieren. lisse aufgebaut werden statt den konturlosen Am besten beginnen wir bei den üblichen Ich bin mir nicht sicher, dass dies die richtige »Menschenhandelsparagrafen« zu bemühen. So- Vorurteilen, breit dargetan in derselben Ausga- Konsequenz ist. Strafrechtsdogmatisch geht die wohl der Fiskus als auch die Sozialversicherungs- be des Spiegel 6/2005 S. 52: Luftnummer im Verfasserin von der zutreffenden Annahme aus, anstalten sind somit gut beraten, streng genom- Puff. Danach sei das von grünen Politikerinnen dass im Strafverfahren eher ein Freispruch für men müsste sie der Rechnungshof dazu ver- ausgeklügelte ProstG vom 1.01.2005 allenfalls Bordellbetreiber/Zuhälter zu erwarten ist. Das ist pflichten, die zivilrechtlichen Strategien von dafür gut, eine kosmetische Verbesserung der nicht zu beanstanden. Aber zivilrechtlich macht Beratungsstellen (im Schatten ebenfalls mög- Arbeitsbedingungen in Häusern wie dem Ara- ihre Annahme keinen Sinn. Vertragsautonomie licher Strafverfahren) aktiv zu unterstützen und bella-Eros-Center zu erreichen, etwa eine Kaffe- ist ein hoher, aber nicht der einzige Wert. Das eine Art runden Tisch zu bilden, damit man maschine auf dem Flur oder ein Christbaum zu Fehlen jeder gerichtlichen Kontrollen für extrem sinnvoll und präventiv effektiv vorgehen kann. Weihnachten. So etwas habe früher als Förde- überhöhte Forderungen, insbesondere extrem Erst ganz am Ende stünde dann das, was zurzeit rung der Prostitution verfolgt werden können, überhöhte Mieten, die Zulässigkeit von »Straf- als prima ratio (auch im Artikel von Birgit Tho- nun sei derartige Imagepflege legal (zitiert wird gelder« bei zu seltenen Kundenkontakten etc. ma) empfohlen wird, die ausländerrechtliche im Spiegel der Geschäftsführer, Herr Bunsen aus zwingt die Prostituierte zwar nicht zu der von ihr Karte bei den illegal Beschäftigten. Wie immer Frankfurt a.M.). Die Mieten für ein kleines Zim- gewählten Tätigkeit (Zwangsprostitution), sie man diese Karte ziehen möchte: sie hilft den il- mer von 100–150 Euro pro Nacht werden kurz kann meist aussteigen, aber es kann doch nicht legal hier arbeitenden und um ihren Lohn be- erwähnt. Auf die Idee, dass dies Mietwucher Sinn des ProstG sein, lediglich das Ziel der Hilfe trogenen und erpressten Prostituierten am we- sein könne, kommt der Redakteur nicht, aber er beim Ausstieg zu erreichen. Es widerspricht allen nigsten, während zivilrechtlich operierende Be- macht sich lustig über Gutmenschen, welche Grundprinzipien einer sozialen Marktwirtschaft, ratungsstellen diesen Wirtschaftssektor langsam glaubten bei solchen Mieten hätten die Damen abhängig oder scheinselbständig Arbeitenden aber allmählich sanieren könnten. Die zurzeit noch Lust auf Steuern und Sozialversicherungs- nur die Wahl zu lassen: Verschuldung oder Aus- besonders ausgegrenzten Migrantinnen sollen abgaben: eine Luftnummer eben sei der Ver- stieg. spezialisierte Beratungsstellen vorfinden. Aber such der Legalisierung. Ich frage mich, wieso grundsätzlich sollten sich Beraterinnen von dem sich die örtliche Polizei, das Landeskriminal- Die meinetwegen strafrechtlich vertretbare Gedanken verabschieden, dass ihre Aufgabe pri- amt, die Beratungsstellen, die Finanzämter und weit gefasste Rechtfertigungslösung verkennt die mär eine psychosoziale sei und die beste Lösung die AOK nicht zusammensetzen, um Steuern Bedeutung der §§ 180 a, 181 a StGB als Verbots- der Ausstieg aus der Prostitution. Dies zu ent- und Sozialversicherungsabgaben von Herrn normen zur Kontrolle von zivilrechtlichen scheiden ist Sache derer, die solche Dienstleis- Bunsen nachzufordern, in Anrechnung auf die Verträgen (auch faktischen Vertragsverhält- tungen leisten. Professionelle Beratung sollte ge- Wuchermiete. Dann könnten in Zukunft zivili- nissen) über § 134 BGB. werkschaftlich denken und effektive Wege der sierte Verhältnisse dort einkehren und die ost- Verbesserung der Arbeitsbedingungen anbieten. europäischen Migrantinnen im erweiterten EU Nach der im Zivilrecht völlig unbestrittenen Dies geht aber sicher nicht über Strafrecht pur, Raum nach Ablauf der Übergangsfristen auf Rechtsprechung kommt es bei der Frage der sondern allenfalls über § 134 BGB i.V.m. den ein- bessere Arbeitsbedingungen hoffen. Bis es so Nichtigkeit von Verträgen nach § 134 BGB ledig- schlägigen Strafnormen. Wo viel verdient wird, weit ist, könnten sie aber auch in ihren »selbst- lich darauf an, ob der Sinn einer Verbotsnorm funktioniert eine zivilrechtliche Kontrolle, je- ständigen« Beschäftigungsverhältnissen dem der Schutz einer Vertragspartei vor solchen denfalls besser als abenteuerliche Konstruktio- Beispiel der Damen im Arabella-Eros-Center Geschäften ist. Wenn das Verbot der Ausbeutung nen wie Vermögensstrafen, Verfall und erweiter-

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ten Verfall in Strafverfahren, die letztlich auslän- gegenüber der übrigen weiblichen Bevölkerung, Gesetzesentwurf zur sog. Freierbestrafung, SZ vom derrechtliche Ziele verfolgen. was wenig verwunderlich ist, aber angesichts der er- 25.01.2005. heblichen Differenz dennoch aussagekräftig ist. 4Nur dann können sie eine befristete Aufenthaltser- Wer es genauer wissen will, wird zwischen jungen laubnis erhalten. Fußnoten: und älteren Prostituierten unterscheiden und er- 5 Fischer, Tröndle/Fischer § 180 a Rdnr. 27 überträgt kennen, dass insbesondere die Jugendlichen auf diese Rechtsprechung neuerdings auch auf die aus- 1 So auch Christian Pfeiffer, Kriminalistik 2005, 217, dem Straßenstrich viel Brachialgewalt erleben, beuterische Prostitution und Zuhälterei, vgl. ferner allerdings mit anderen Berechnungen. während erwachsene Prostituierte in entspre- § 291 Rdnr. 17. Die Kommentierung in diesem 2Wer nichts gegen den weiten Gewaltbegriff von chenden Wohnungen ihr Leben sehr viel geregelter praktisch bedeutsamen Kommentar ist seit der 52. Ursula Müller in der vom BMFSFJ am 24.09.2004 organisieren können, vgl. Leopold/Grieger, Das Parla- Aufl. 2004 ausgesprochen offen für derartige Pro- vorgestellten Gewaltstudie hat, kann im Internet in ment vom 20.12.2004 B 52 – 53/2004. Ein entspre- bleme, was zeigt, dass die Rechtsprechung eher der Zusammenfassung (S.24) nachlesen, dass Pro- chendes Forschungsvorhaben von Kavemann/Leo- fortschrittlicher ist als die oft populistische Gesetz- stituierte und inhaftierte Frauen mit 92 % gegenü- pold, von den GRÜNEN in Auftrag gegeben, geht gebung. ber 58 % (Hauptstudie) durchgängig angeben, in dem noch genauer nach. 6 Beate Leopold/Elfriede Steffan, Evaluierung unter- ihrem Leben bereits sexuell belästigt worden zu 3»Das war doch widerlich und gehört bestraft« kom- stützender Maßnahmen aus der Prostitution (EVA- sein. Auch die Gewalterfahrung ist deutlich höher mentierte Siegfried Kauder und initiierte einen CDU- Projekt). SPI-Forschungs-GmbH, Berlin 1997.

Einwände gegen den am 19.02.2005 neu gefassten Straftatbestand des Menschenhandels in § 232 Abs. 1 StGB Monika Frommel und Martin Schaar

er den an die Stelle des alten § 180 b an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstra- schied zur ebenfalls sehr weit gefassten sexuellen StGB getretenen Auffangtatbestand fe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Nötigung (vgl. die Urteilsanmerkung zu § 177 Wdes Menschenhandels liest, erkennt un- Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einund- Abs. 1 Nr. 3 StGB – sexuelle Nötigung unter Aus- schwer, dass hier weder ein Gewalt-, noch ein zwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der nutzung einer schutzlosen Lage – in diesem Täuschungsdelikt geschaffen worden ist, auch Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten Heft) beim oben zitierten Auffangtatbestand keine Spezialvorschrift zur Willensbeugung (wie sexuellen Handlungen bringt. nicht mit einer individualisierten Täter-Opfer- Thoma in diesem Heft unterstellt), sondern eine (2) Der Versuch ist strafbar. Beziehung zu tun, sondern mit dem problemati- Strafnorm, welche illegale Märkte kontrollieren schen Versuch, jede Vermittlung in schwarze will. Illegal sind diese Märkte aber in erster Linie Behandelt wird hier nur dieser Auffangtatbe- und graue Märkte zu sanktionieren und bei Ge- wegen des Ausländerrechts. Kritisiert werden soll stand, der von der Gesetzgebung bewusst so werbsmäßigkeit sogar als Verbrechen (§ 232 im folgenden nicht der gesamte Komplex der weit wie möglich gefasst worden ist und jede Abs. 3 Nr. 3 StGB). Geschützt werden soll durch §§ 180 b, 181 des alten und der seit 2005 in den Vermittlung von ausländischen und jungen § 232 StGB nicht das sexuelle Selbstbestim- §§ 232 ff neu gefassten Tatbestände, sondern nur Frauen und Männern unter 21 Jahren in die mungsrecht (dies war auch in § 180 b StGB ein Ausschnitt: die Vermittlung von Nicht-EU- Prostitution bestraft. Ausübung von Zwang oder nicht das Rechtsgut), sondern die wirtschaftli- Bürgern und/oder jungen Frauen unter 21 Jah- Täuschung ist hier – im Unterschied zu Abs. 4 – che und soziale Bewegungsfreiheit von Men- ren in die Prostitution. Unberücksichtig bleiben nicht notwendig. Verfolgt wird also nicht nur schen, die in einer oft erst durch das Ausländer- hier also die §§232 Abs. 4, 233 ff. StGB, deren die sog. Zwangsprostitution, sondern fast jede recht geschaffenen Notlage und/oder einer un- Unrecht bis zum 19.02. 2005 im Verbrechenstat- grenzüberschreitende Prostitutionsvermittlung. abhängig davon existierenden wirtschaftlichen bestand des § 181 StGB (schwerer Men- Setzt der Täter Gewalt, Drohung und List ein, Zwangslage »zu fast allem bereit« sind. Außer- schenhandel) geregelt und nun lediglich mit dann wird er nach § 232 Abs. 4 StGB erheblich dem werden heranwachsende Prostituierte wie Qualifikationen versehen worden sind, welche härter bestraft (vgl. den Gesetzestext anbei). Jugendliche behandelt, also weitgehend von der einerseits eine härtere, andererseits aber wegen Zwar bestimmt der moralisch aufgeladene Be- Legalisierung sexueller Dienstleistungen ausge- der vorgesehenen minderschweren Fällen eine griff der Zwangsprostitution das Thema Men- nommen. milde Bestrafung, sogar eine Informalisierung er- schenhandel, aber diese Assoziation ist vor- möglichen. schnell und irreführend. Kritisiert wird hier also Die Struktur eines solchen Tatbestandes unter- nicht der in § 232 Abs. 4 StGB normierte Ver- scheidet sich erheblich von der des lange um- § 232 StGB (neu gefasst am 19.02.2005): brechenstatbestand des schweren Menschen- strittenen § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB (der sexuellen handels, der klare Täter-Opfer-Situationen und Nötigung unter Ausnutzung einer schutzlosen (1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer klare Tathandlungen beinhaltet (Gewalt, Dro- Lage), aber es gibt Gemeinsamkeiten. Immerhin Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem hung und List), schließlich wird die Ausübung benutzt die Gesetzgebung auch hier den Begriff Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, von Zwang auch sonst strafrechtlich verboten, des »Ausnutzens« einer Lage, die entweder mit ei- zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution etwa als Erpressung, und Täuschungen kennen ner erhöhten Schutzlosigkeit oder wie in § 232 oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie wir auch, allerdings überrascht die weite Tat- mit einer Unfreiheit verbunden ist. Ähnlichkei- ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einem handlung der List. Derartiges würde für Betrug ten bestehen auch zu der im übrigen so gut wie Dritten vor oder von dem Täter oder einem Dritten nicht genügen. Auch haben wir es im Unter- nicht praktisch umgesetzten Jugendschutznorm

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des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Gemeinsam sind die- gen organisiert, wenn er oder sie dabei die §§ 180b, 181 StGB überlegten sich Staatsanwalt- sen Tatbeständen diffuse Zwangslagen. Der Zwangslage, auslandsspezifische Hilflosigkeit schaften sehr genau, ob sie anklagen oder nicht, Zwang ist hier ein sozialstruktureller. Allgemeine und/ oder die jugendspezifische (ein noch weil sie wissen, dass die Gerichte hohe Anforde- wirtschaftliche Bedrängnis und fehlende Sprach- unbestimmterer Begriff) Hilflosigkeit der frei- rungen an den Tatnachweis dieser Absichtsdelikte kenntnisse, ggf. auch die Angst vor der drohen- willig und ohne Täuschung dort tätigen Pro- gestellt haben. Das bis Februar geltende Straf- den Abschiebung bei Menschen ohne Aufent- stituierten ausnutzt. recht zum Frauenhandel war nicht objektivier- haltsbestimmung (der klassische Fall einer ● Das »Ausnutzen« der Zwangslage lässt sich bar, aber auch der seit dem Februar 2005 geltende »auslandsspezifischen Hilflosigkeit«, der zudem nicht als Tathandlung fassen, da diese Grundtatbestand des § 232 kollidiert mit dem deutlich macht, dass wir es der Sache nach mit schließlich vorgefunden wird. ProstG und kann gar nicht so umgesetzt werden verkapptem Auslanderrecht zu tun haben). Er- ● Grundsätzlich muss ein verbotenes und vom wie es der Wortlaut nahe legt. Das alte wie das fasst werden bei dieser Opfergruppe typische Si- Täter angestrebtes Handlungsziel entweder neue Recht erschöpfen sich mehr oder weniger in tuationen fehlender oder verminderter Entschei- selbst eine Straftat sein, hier wäre etwa an der Missbilligung des Erwerbstriebs der »Frauen- dungsfreiheit. ausbeuterische Prostitution oder ausbeuteri- händler«. Die Probleme der Betroffenen könnten sche Zuhälterei nach §§ 180a, 181 a StGB zu durch Straftatbestände wie Wucher und Erpres- Zu dieser Struktur des Tatbestandes passt auch denken. Dann ließe sich das Unrecht als sung sehr viel besser gelöst werden. Vermutlich der Verweis in der 2. Alternative (sexuelle Hand- selbstständig vertypte Beihilfe zu diesen De- wird es deshalb bei der Strategie der Vermeidung lungen, durch die sie ausgebeutet werden) auf likten definieren. § 232 Abs. 1 StGB ist aber einer gerichtlichen Überprüfung bleiben. Fragen das Verbot der Ausbeutung von Prostituierten nicht so konstruiert. Da eine »Ausbeutung« wir deshalb, wie wir selbst in der Richterrolle ver- (geregelt in §§ 180 a und 181 a StGB). Aber der vermittelten erwachsenen Prostituierten fahren würden: schon der Wortlaut des 2002 neu gefassten § 180 nicht erforderlich ist. Die in ihrer Entschei- a Abs. 1 StGB ist unklar. Verboten sind danach dung eingeschränkten Personen müssen Ungenaues Strafrecht, das überdies Straftatbe- nicht schon – in Anlehnung an den Wuchertat- nicht in einen solchen Bordellbetrieb (im stände der Organisierten Kriminalität betrifft, bestand – unfaire Arbeitsbedingungen, sondern weitesten Sinne) vermittelt werden, für den schafft in erster Linie Ermittlungsparagrafen. nach der Begründung zu diesem Gesetz, welche ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung Die Polizei erhält Befugnisse zur Beobachtung die Rechtsprechung strikt beachtet, nur solche, und Entgelt charakteristisch ist, Wucher nach von Szenen, die ihr dubios erscheinen3 und die welche die Prostituierte in einer persönlichen § 291 StGB, sondern schlicht zur Prostitution, sie deshalb überwacht4. Bei den sog. »Schlepper, oder wirtschaftlichen Abhängigkeit zu halten d.h. einem unter jedem denkbaren Gesichts- Schleußer, Frauen- und Menschenhändler« geeignet sind. Damit sind die Maßstäbe sehr punkt legalen Verhalten. kommt noch hinzu, dass der Zweck der Beob- hoch angesetzt. Außerdem rechtfertigt die Ein- ● Nicht ausbeuterische Prostitution, sondern achtung in erster Linie der ist, die Grenzen (ge- willigung der Prostituierten in überhöhte Preise, jede grenzüberschreitende Vermittlung und meint sind beim Thema Frauenhandel zur Zeit etwa das zu teuer vermietete Zimmer (es sei denn Beschäftigung soll demnach als organisierte die Grenzen zu den Staaten der erweiterten EU die Einwilligung ist unwirksam, weil sie »abhän- Kriminalität bestraft werden. Da ein derartiges im Osten und zu den noch nicht oder auch gigkeitsbedingt« ist). Die Gesetzgebung hat also Anliegen aber ausschließlich eine Sache des künftig nicht der EU beitretenden Ländern Ost- die Chance vertan, diese hohen Hürden zu rela- ebenfalls notorisch umstrittenen Ausländer- europas) nur so weit zu öffnen, wie es nun ein- tivieren. Sie hat sie nun eher gefestigt als gelo- rechts2 ist, werden beim Thema »Menschen- mal unumgänglich ist. Es kommt also viel zu- ckert1. Zwar ist es hM, dass es auf die persönliche handel und Zwangsprostitution« gezielt sammen bei dieser Art der Prävention. Abhängigkeit der Prostituierten ankomme, mit emanzipativ klingende Floskeln in einen aus- der Folge dass eine strafrechtliche Kontrolle leer länderrechtlichen Kontext eingestreut, um läuft, aber eine Begründung hierfür fehlt. publikumswirksam jeden ›Handel mit der Wann und wie kann man ungenaues Ware Mensch‹ anzuprangern. Der Sache nach Strafrecht präzisieren? Sinnvoll wäre es eine Korrektur der geschlos- soll aber nur der ›Handel mit Nicht-EU- senen Verträge bzw. der faktischen Arbeitsver- Bürger‹ erschwert werden; denn nur diese Die Methode ist immer dieselbe. Man fragt, was hältnisse durch Zivil-, Miet- und Arbeitsrecht an- sind typischerweise ohne Aufenthaltserlaub- die Gesetzgebung bezweckt hat, ob dies legitim zustreben und sich die dort gegebene Orientie- nis tätig und deshalb in einer »auslandsspezi- ist oder ob sie dabei über das Ziel hinausge- rung an § 242 BGB zunutze zu machen (wieso fischen Hilflosigkeit« gefangen. Nur bei ih- schossen ist und überlegt dann, welche Worte dies nicht geschieht, Frommel, in diesem Heft). nen kann die Kontrolle des Ausweises ein restriktiv ausgelegt werden müssen bzw. ob so Aber dann müsste man Zivilverfahren anstren- Strafverfahren nach sich ziehen, in dessen etwas wie ein ungeschriebenes Tatbestands- gen; denn strafrechtsdogmatisch kommt man Verlauf es für die Beschuldigten interessant merkmal eingeschoben werden sollte, um einen nicht weiter, weil fast in allen Fällen zu hohe werden kann, als Zeuginnen aufzutreten. klar erkennbaren Rechtsgüterschutz zu errei- Preise durch die Einwilligung der Prostituierten chen (teleologische Restriktion). gerechtfertigt wären. Es ist also ziemlich unrea- Auf der strafrechtlichen Arena werden also be- listisch den Markt für sexuelle Dienstleistungen wusst Wertungswidersprüche zum ProstG hinge- Ein legitimer Zweck des hier zu interpretieren- strafrechtlich regulieren zu wollen. Selbst Marx nommen und die im Zivilrecht 2002 getroffenen den § 232 Abs. 1 StGB n.F. wäre der Schutz der so- hätte sich 1867 gescheut, einen Tatbestand: Entscheidungen ignoriert. Danach ist nun ein- zialen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit »Ausbeutung ist verboten!« als Lösung für einen mal Prostitution als solche nicht verboten, so von Prostituierten vor Ausbeutung. Im Gegensatz unkontrollierten Kapitalismus zu empfehlen. dass es auch wenig gute Gründe gibt zur Verfol- zum Straftatbestand der sexuellen Nötigung oder Aber im Ergebnis wird § 232 StGB damit zu ei- gung derer, die lediglich die freiwillige Prostituion dem schweren Menschenhandel (dort werden nem ziemlich sinnlosen Straftatbestand, wenn Erwachsener organisieren. Dennoch ermittelt die auch Lagen erfasst, die als Zwang und Täuschung man den Betroffenen damit helfen will. Polizei und überlässt es StA und Rechtsprechung, mit herkömmlichen strafrechtlichen Kategorien ● Die eigentliche Tathandlung, das Zuführen ob angeklagt wird und wie für den Fall, dass es zu gefasst werden können), greifen Straftatbestände, (»bringen«) erwachsener Personen zu einem einer Anklage gekommen ist, angemessene Kon- welche ausschließlich strukturelle Zwangslagen allenfalls anrüchigen Gewerbe ist ein legales turen herausbildet. Auf derartige Zumutungen berücksichtigen wollen, erheblich weiter. Verhalten, ist kein »Unrecht«. kann man kaum angemessen reagieren. Schon ● Bestraft werden soll dennoch, wer entweder bei den nicht minder unbestimmten §§ 180 a, Umso schlimmer, dass das Wort »Ausbeu- selbst vermittelt oder aber die Dienstleistun- 181 a StGB und den bis Februar 2005 geltenden tung« in unterschiedlichen Gesetzestexten

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höchst uneinheitlich verwendet (von der 21-jährigen, dass auch bei ihnen eine wirtschaft- schränkt. Aber welchen Schutz Selbstständige Rechtsprechung aber einheitlich eng ausgelegt) liche Zwangslage ausgenutzt wird und für alle benötigen, bleibt offen. Noch unbefriedigender ist wird. Zum einen umschreibt § 232 Abs. 1 StGB Tatvarianten wäre zu verlangen, dass es sich der die m.E. viel zu kurz greifende Zusammenfassung der Wirkungen des ProstG aus polizeilicher Sicht n.F. einzelne sexuelle Handlungen, zu denen po- Sache nach um Vermittlungstätigkeiten für eine von Schmidbauer, NJW 2005, 871 ff. Beklagt werden tentielle Opfer gebracht werden, mit diesem Zu- ausbeuterische Prostitution im Sinne des § 180 a Kontrolldefizite, das ProstG als solches wird satz, nicht aber die Prostitution als solche. Das StGB handelt, um Wuchergeschäfte also. Struktu- attackiert, die üblichen Forderungen zu neuen poli- legt zumindest sprachlich nahe, den Relativsatz: relle Probleme können nun einmal nicht straf- zeilichen Befugnisnormen wiederholt statt die Pro- »durch den sie ausgebeutet wird«, nur auf die rechtlich geregelt werden. Hier kann man nur bleme der Praxis mit dem Markt sexueller Dienst- nach einem »oder« aufgeführten sexuellen arbeitrechtliche Regelungen auf EU-Level anstre- leitungen zu benennen. 2 Ein Instrument, das in Zeiten der erweiterten EU Handlungen zu beziehen. Dann bleibt die erste ben. Zwar wird dann der deutsche Markt unter zunehmend stumpf wird in den Augen der polizei- Variante des § 232 Abs. 1 StGB aber so uferlos Druck geraten, da die Nachfrage für osteuropäi- lichen Beobachter. weit, wie wir dies eingangs unterstellt haben. sche Sex-Arbeiterinnen riesig ist – aus Gründen, 3 Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erschei- Noch weiter ist die 2. Alternative, die Jugend- die wir hier nicht darlegen können, aber eines er- nungsformen organisierter Kriminalität, Untersu- schutznorm, da hier unter 21 Jahre alte poten- scheint uns klar zu sein: wegen der großen chungen und Forschungsberichte des MPI Freiburg 17, 2004. tielle Opfer allein ihres Alters wegen geschützt Nachfrage von einer gigantischen Organisierten 4 Exemplarisch hierfür sei nur auf den Bestrebungen 5 werden sollen . Eine nur vordergründig politisch Kriminalität osteuropäischer Banden zu reden, der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat hingewiesen. korrekte weite Auslegung des neu geschaffenen ist jedenfalls eine Verschiebung und auch eine Im Gesetzgebungsverfahren zielten diese darauf ab, § 232 Abs. 1 StGB würde also zum einen dazu Übertreibung, bei der sich interessanterweise die mit dem ProstG aufgehobene Strafbarkeit der führen, dass schon etwa der »gut gemeinte Rat« aber ganz unterschiedliche Lobbyisten beteili- Förderung der Prostitution wiederherzustellen, da eine wirtschaftliche Zwangslage mittels Aufnah- gen6. Märkte kann man nicht durch Strafrecht die Behörden der Strafverfolgung nun keine zurei- chenden Ermittlungsansätze mehr hätten, um in me der Prostitution abzumildern, dem Tatbe- regulieren, dies zeigen die §§ 232–233 a StGB das Rotlichtmilieu einzudringen (BT-Drs. 15/4380, stand des § 232 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB unterfiele mehr als deutlich. Wenn man strafrechtlich in- S. 2). Noch deutlicher formuliert wird dieses Anlie- und zum anderen, dass das 2002 geschaffene tervenieren will, dann muss man sich auf Phä- gen im bayerischen Antrag vom 24.02.2005 zur Prostitutionsgesetz durch die Jugendschutznorm nomene beschränken, die nachprüfbar den Na- Einführung einer Freierbestrafung. In dieselbe Rich- in S. 2 nicht nur de de facto, sondern de jure auf men »Zwangsprostitution« verdienen. Illegitim tung gehen Äußerungen insb. von Vertretern der Menschen über 21 Jahre begrenzt würde. § 232 ist es jedenfalls, der Mehrzahl der Migrantinnen Polizei, welche als Reaktion auf das ProstG den Ein- satz und Ausbau insb. der präventiven Telekom- StGB würde – weit ausgelegt – wie ein allgemei- abzusprechen, dass sie zumindest im Ansatz eine munikationsüberwachung vorschlagen, vgl. nur nes Verbotsgesetz für alle in diesem Gewerbe tä- rationale Entscheidung getroffen haben, wenn Schmidbauer, NJW 2005, S. 871ff. tigen Vermittler und Bordellbetreiber wirken sie sich für einen solchen riskanten Lebensweg 5 Denn auf das Ausnutzen einer Zwangslage wurde in und nachträglich den 2002 hergestellten Kom- entschieden haben7. Die Verwirklichungschan- der Jugendschutznorm des § 232 Abs. 1 S. 2 StGB promiss zurückschrauben. cen für eine Kontrolle der alten und neu ent- verzichtet. Sie beseitigt die Geltung des ProstG für Heranwachsende. standenen Märkte würden jedenfalls steigen, 6 Etwas vorsichtiger, aber im Ergebnis ebenso Elvira Die seit 1993 bestehenden und 2005 geän- wenn wir zumindest in Ansätzen ein EU-Arbeits- Niesner, Frauenhandel zwischen Tabuisierung, Dra- derten und teilweise ganz neu gefassten recht für sexuell Dienstleistungen hätten. matisierung und Instrumentalisierung – Herausfor- strafrechtlichen Regelungen des Men- derung für die feministische Forschung und Praxis schen- und Frauenhandels sind zumindest durch ein internationales und tagespolitisches Pro- in Teilen weder einleuchtend noch prakti- Fußnoten: blem, in: Hornung, Gümen, Weilandt (Hg,), Zwischen Emanzipationsvision und Gesellschaftskritik (2001) kabel und verbessern auch nicht die Lage 1 vgl. hierzu auch Thoma in diesem Heft. Die Recht- S. 238, 250ff., die darauf hinweißt, wie etwa bei der der Menschen, die zu Niedriglöhnen im sprechung betrifft meist die früher von der Polizei Homogenisierung der Opfer von Menschen – und sexuellen Dienstleistungssektor arbeiten. noch als verboten angesehene dirigistische Zuhäl- Frauenhandel GO’s und NGO’s zwar verschiedene terei und ist insoweit seit 2002 mehr oder weniger Ziele, aber ähnliche Strategien verfolgen. überholt, weil das Dirigieren von Prostituierten Teil 7 Vgl. Frommel in diesem Heft. Das BKA geht davon Ein Strafgericht muss also genau überlegen, ob des eingeschränkten Direktionsrechts ist. Umso die Gesetzgebung so weitgehende Folgen be- aus, dass 32,3 Prozent der Frauen bei der Anwer- wichtiger wäre eine angemessene Auslegung des Be- bung im Heimatland mit der Ausübung Prostitu- dacht hat und wird dabei erkennen, dass die Be- griffs »Ausbeutung«. Zu restriktiv ist die Definition tion im Zielland einverstanden waren, 23,5 Prozent ratungen insoweit höchst unergiebig sind. Es do- »Haltens in sozialer und wirtschaftlicher Abhängigkeit« der Frauen gingen bereits im Heimatland der Pro- minieren Schilderungen, welche eigentlich nur nach BGH NStZ -RR 2003, 361. Nicht gesehen wird stitution nach (Lagebild Menschenhandel 2003, ferner im Schrifttum, dass bestimmte Teilaspekte, S. 11f.); teilweise wird die »Freiwilligenquote« sehr das Phänomen der »Zwangsprostitution« um- welche Prostituierten typischerweise das Leben schreiben, nicht aber das ganz normale grenzü- viel höher, nämlich mit 40–50 Prozent angesetzt schwer machen, eigentlich bereits als verbotenes (Otholt, Prostitution – Frauenhandel – eine eindeu- berschreitende Vermittlungsgeschäft. Offenbar Wuchergeschäft nach § 291 StGB zu beurteilen tige Verbindung?, in: Gehl (Hg.), Die Ware Mensch, wollte man nicht nur – so unbemerkt wie nur wären. Die Auslegung müsste sich also an diesem Menschenhandel als Geschäftfeld der Organisierten möglich – das Prostitutionsgesetz einschränken, Straftatbestand orientieren. Auch Margarete von Ga- Kriminalität (2004), S. 21, 24). sondern extreme Missstände angehen. Dann len, Rechtsfragen der Prostitution, 2004, Rdnr. 367–368 m.w.Nachw. ist hier wenig weiterführend, aber müsste man den sprachlich uferlosen und da sie in erster Linie die entkriminalisierende Funk- Martin Schaar promoviert in Kiel zu diesem Thema, konturlosen Tatbestand einschränkend ausle- tion des ProstG betont und seine Gestaltungskraft Monika Frommel ist Mitherausgeberin dieser Zeit- gen. Verlangt werden müsste für die unter auf die Möglichkeit faktischer Arbeitsverträge be- schrift.

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Wandel in den Kriminalitäts- einstellungen der Bundesbürger – eine Zeitreihenanalyse anhand allgemeiner Bevölkerungsumfragen Jörg Dittmann

Zusammenfassung Derzeit gibt es zwar keine bundesweiten funden werden. Neben der emotionalen Kom- Längsschnittuntersuchungen, die Kriminalitäts- ponente gehört zur personalen Kriminalitäts- Im vorliegenden Beitrag wird die Entwicklung furcht umfassend untersuchen. In einigen Be- einstellung eine kognitive und eine konative im Kriminalitätsempfinden in Deutschland seit fragungen werden jedoch Teilaspekte davon be- Komponente, wobei die kognitive Dimension den 70er Jahren anhand allgemeiner Bevölke- rücksichtigt. Dazu gehören derzeit der ALLBUS, auf Risikoeinschätzungen gegenüber Opferwer- rungsumfragen nachgezeichnet. Entgegen der der Wohlfahrtssurvey, das Eurobarometer, die dungen abstellt, während sich die konative Ebe- weitläufigen Meinung zeigen die Sekundärana- R+V-Befragung, die Umfragen des Instituts für ne auf das Verhalten, insbesondere auf das indi- lysen insgesamt einen insbesondere seit Mitte Demoskopie in Allensbach sowie das in der kri- viduelle Schutz- und Vermeideverhalten kon- der 90er Jahre zu beobachtenden Bedeutungs- minologischen Forschung bisher noch wenig zentriert. Boers geht im Hinblick auf das rückgang hinsichtlich verschiedener Einschät- beachtete Sozioökonomische Panel (SOEP). Be- Konzept der personalen Kriminalitätseinstel- zungen zur Kriminalität. Zudem liegen insbe- vor die Ergebnisse der genannten Umfragen vor- lung davon aus, dass die aus Emotionen beste- sondere die Furcht vor Kriminalität als auch die gestellt werden, wird zunächst auf den derzeiti- hende Kriminalitätsfurcht mit zwei kognitiven Wahrnehmung von persönlichen Krimina- gen Forschungsstand zur Messung von Krimina- Bewertungsprozessen in Zusammenhang steht, litätsrisiken in Deutschland derzeit unter dem litätsfurcht eingegangen. und zwar mit der Bewertung einer bestimmten europäischen Durchschnitt. Neben der metho- Situation als gefahrvoll und einer Bewertung der dischen und theoretischen Einordnung der in persönlichen Fähigkeiten, um schließlich eine der Kriminalitätsfurcht-Forschung untersuch- 2. Bestimmung der Kriminalitätsfurcht solche Situation bewältigen (»coping«) zu kön- ten Aspekte und der Darstellung der wichtig- nen. In empirischen Studien hat sich immer sten Umfrageergebnisse zur Furchtentwicklung Was unter Kriminalitätsfurcht zu verstehen ist, wieder gezeigt, dass sich Frauen und ältere Men- werden Veränderungen in den Kriminalitäts- bleibt auch nach mehr als 25 Jahren intensiver schen verletzbarer fühlen, ihre Möglichkeiten einstellungen insbesondere anhand von Aus- wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem The- zur Bewältigung von Gefahren für gering ein- wertungen des Sozioökonomischen Panels ma weiterhin unklar. Vor allem die Frage, ob Kri- schätzen und nicht zuletzt aus diesen Gründen (SOEP) zu erklären versucht. Insgesamt legen minalitätsfurcht als spezifische, zeitlich überdau- mehr Furcht vor Kriminalität, insbesondere vor die Auswertungen der SOEP-Daten den Schluss ernde Einstellung zu verstehen ist oder sich ledig- Gewaltdelikten, haben.1 Weitere Ursachen für nahe, dass es in den letzten Jahren zu Bedeu- lich diffuse Ängste dahinter verbergen, konnte eine ausgeprägte Furcht vor Kriminalität ein- tungsverschiebungen in der Wahrnehmung so- bis heute nicht eindeutig geklärt werden. schließlich hoher Risikoeinschätzung werden in zialer Probleme, wie Arbeitslosigkeit, Krieg und direkten und indirekten Opfererfahrungen so- Kriminalität, gekommen ist. Zunehmend wird Kriminalitätsfurcht unter wie in der sozialen Desorganisation im sozialen Einstellungen von Menschen zur Kriminalität Nahbereich vermutet;2 aber auch die Medien subsumiert. Dabei wird zwischen allgemeiner tragen zu einem Bild persönlicher Bedrohung 1. Einleitung und spezifischer Furcht vor Kriminalität sowie bei, insbesondere dann, wenn die persönliche, zwischen personaler und sozialer Betroffenheit lokale oder räumliche Situation des Medienkon- Regelmäßig durchgeführte Befragungen zum Kri- unterschieden. Einerseits geht es um Fragen zur sumenten tangiert wird.3 minalitätsempfinden sind in Deutschland selten, persönlichen Betroffenheit von allgemeinen obwohl die Politik dafür großes Interesse zeigt. So oder spezifischen Kriminalitätsereignissen und Die soziale Dimension der Kriminalitätsein- nimmt die Bundesregierung laut des ersten perio- andererseits um die gesellschaftliche Dimension stellung bezieht sich bei Boers auf verschiedene dischen Sicherheitsberichts insbesondere die Kri- von Kriminalität. Kriminalitätsthemen, zu denen Kriminalität als minalitätsängste der Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliches Problem, Sanktionseinstellun- ernst und sieht es als eine wesentliche Aufgabe Die soziale und personale Dimension von Kri- gen (Punitivität) und Einstellungen zur Krimi- an, das Sicherheitsgefühl zu erhöhen (BMJ/BMI minalität ist in den letzten Jahren theoretisch nalpolitik gehören. Diese Einstellungen sind 2002, S. 604). Dennoch existiert in Deutschland ausdifferenziert und empirisch getestet worden. nach Boers durch das soziale Milieu beeinflusst, kein international vergleichbarer Survey. Umfas- Insbesondere das mehrdimensionale Konzept zu dessen Bestandteilen der sozioökonomische sendere Studien zur Kriminalitätsfurcht und zur von Boers (1991) hat zumindest im deutschen Status, der Lebensstil und milieuspezifische Nor- Opferwerdung werden meist einmalig durchge- Sprachraum vielfach Beachtung gefunden. Da- men gezählt werden. Außerdem wird ein erheb- führt und sind zudem aufgrund des unterschied- nach stellt Kriminalitätsfurcht eine primär emo- licher Einfluss der Medien auf die allgemeinen lichen Forschungsinstrumentariums nur schwer tionale Reaktion gegenüber Kriminalitätsereig- Kriminalitätssorgen unterstellt, wobei anders miteinander zu vergleichen. nissen dar, die als persönliche Bedrohung emp- als bei der persönlichen Bedrohtheit insbeson-

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dere überregionale Kriminalitätsberichte die Problem) und der Unzufriedenheit mit dem den kulturellen, politischen und sozialen Ver- Meinung über Kriminalität als gesellschaftliches Schutz vor Kriminalität abzeichnet, bleibt das änderungen in den neuen Bundesländern zu ei- Problem prägen. Eine Verbindung zur persona- persönliche Bedrohtheitsgefühl weitestgehend ner wachsenden allgemeinen Verunsicherung len Kriminalitätseinstellung besteht insofern, konstant und nimmt allenfalls in wenigen De- in der Bevölkerung geführt, zu der schließlich als das soziale Milieu des Befragten die Ein- liktsbereichen zu (vgl. Reuband, 1995, S.45 f.). auch die zunehmende Kriminalitätsfurcht ge- schätzung sozialer, psychischer und physischer hört.8 Erklärt wird der insbesondere in Ost- Verletzbarkeit beeinflusst, die wiederum dazu Es mag einerseits an der mangelnden wissen- deutschland zu beobachtende Anstieg der Kri- führt, dass die eigenen Fähigkeiten zur Bewälti- schaftlichen Beschäftigung mit Kriminalitäts- minalitätsfurcht dabei auch durch eine verstärk- gung persönlicher Kriminalitätsbedrohungen furcht und Unsicherheit liegen, dass der Bedeu- te Instrumentalisierung von Kriminalität vor geringer eingeschätzt werden.4 tungsrückgang zwischen 1970 und 1985 nicht nä- allem durch politische und mediale Kräfte. Da- her zu erklären versucht wurde. Andererseits lag mit ist u.a. gemeint, dass insbesondere die Zu- Die Unterscheidung von personaler und sozi- die mangelnde Beschäftigung mit der Entwick- kunftsängste und Verunsicherungen der Ost- aler Dimension bei Boers ist zwar plausibel und lung des Kriminalitätsempfindens in Deutschland deutschen nach dem Mauerfall durch die Politik auch die Ausdifferenzierung der personalen Di- auch an der im internationalen Vergleich, insbe- und durch die Medien zu einem großen Teil auf mension von Kriminalität empirisch begründet.5 sondere zu amerikanischen Großstädten, weitge- Aspekte der inneren Sicherheit reduziert wur- In seiner Gesamtheit konnte das Modell bisher hend geringen Furchtausprägung. Dass der Rück- den. Dies mag – und dies wird durch die poli- allerdings nicht empirisch getestet werden.6 gang der persönlichen Kriminalitätsbedrohung in zeilich registrierten Straftaten belegt – zu einem einer Zeit zu beobachten ist, in der sich nach den Teil damit zusammenhängen, dass Kriminalität Im Folgenden wird die Differenzierung zwi- Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) der Um- in den neuen Bundesländern vor allem in den schen personaler und sozialer Kriminalitätsein- fang registrierter Kriminalität – darunter auch der ersten Jahren nach der Wiedervereinigung tat- stellung beibehalten und beide Dimensionen Gewaltkriminalität7 – deutlich erhöht, spricht zu- sächlich zugenommen hat. Zum anderen weiß im Längsschnitt untersucht: Wie haben sich ins- mindest dafür, dass zwischen so genannten ob- die Politik von je her, dass in Zeiten großer all- besondere allgemeine und spezifische Krimina- jektiven Kriminalitätsrisiken und der Kriminali- gemeiner Verunsicherung durch populistische litätsfurcht und Risikoeinschätzungen sowie die tätsfurcht und Risikoeinschätzung in der Bevölke- Sicherheitsparolen sich leicht Gehör in Großtei- Meinung der Bundesbürger zur Kriminalität als rung kein Zusammenhang bestehen muss. len der Bevölkerung verschafft werden kann. gesellschaftliches Problem seit Beginn regelmä- Auch die Medien verbuchen, gerade in Zeiten ßig durchgeführter Umfragen in den 70er Jah- Während die Entwicklung in den Kriminali- gesellschaftlichen Wandels und allgemeiner ren verändert? tätseinstellungen in den 70er und 80er Jahren Verunsicherung, deutliche Absatzerfolge durch kaum diskutiert wurde, gibt es zahlreiche Erklä- Verlagerung der Berichterstattung auf Sicher- rungsversuche für den Anstieg zu Beginn der heitsthemen wie Kriminalität. 3. Forschungsstand zur Entwicklung der 90er Jahre. Die meisten vorgeschlagenen Erklä- Kriminalitätsfurcht in Deutschland rungen konzentrieren sich dabei auf die deut- Neben der besonderen Umbruchsituation in lich höhere und stärker wachsende Kriminali- der ehemaligen DDR trug schließlich die zuneh- 3.1. Kriminalitätseinstellungen zwischen tätsfurcht in Ostdeutschland. Danach haben die mende Beschäftigung mit dem Opfer in den 1970 bis zu Beginn der 90er Jahre im Zuge der Wiedervereinigung zu beobachten- 90er Jahren und der unterstellte Zusammen-

Kriminalitätseinstellungen in der Bevölkerung Abbildung 1: Kriminalitätssorgen in Deutschland 1971–2003 wurden in Deutschland erstmals in den 70er Jahren untersucht. Zwar wurde das Meinungs- 80 bild der Bevölkerung zur Kriminalität zwischen 1970 bis zu Beginn der 90er Jahre weniger regel- mäßig und ausführlich untersucht als heute, 70 dennoch existieren Umfragen aus dieser Zeit, anhand derer unterschiedliche Entwicklungen 60 skizziert werden können. Die Daten des IPOS, des Wohlfahrtssurveys und des Instituts für De- 50 moskopie in Allensbach (siehe Abbildung 1) zeigen, dass die Bedeutung von Kriminalität 40 von 1970 bis Mitte der 80er Jahre in Deutsch- land zurückgeht und seit Ende der 80er Jahre 30 wieder zunimmt. Dass die zu Beginn der 90er Jahre gemessenen Werte sogar die Ausgangs- 20 werte aus den 70er Jahren überschreiten, hängt Allensbach (W estdeutschland) Allensbach (Ostdeutschland) sicherlich zu einem Teil damit zusammen, dass 10 seit 1990 die in den neuen Bundesländern le- SOEP (W estdeutschland) SOEP (Ostdeutschland) benden Deutschen befragt wurden und diese 0 bereits in den ersten Jahren nach der Wieder- 1971 1976 1981 1986 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 vereinigung der Kriminalität eine größere Be- deutung zuschreiben als die Westdeutschen. Erläuterungen: Befragt wurden jeweils Deutsche über 16 Jahre; Quelle: Institut für Demoskopie Al- Eine Differenzierung zwischen personaler und lensbach; SOEP (eigene Berechnungen); Stichprobengröße: Allensbach: n= ca. 500–1000; SOEP: n= sozialer Kriminalitätsbetroffenheit zeigt dabei ca. 11000–24000. Verwendete Items Allensbach: »Darüber sind die Deutschen sehr besorgt: Dass die unterschiedliche Verläufe: Während für den Be- Kriminalität in Deutschland immer stärker wird« (trifft zu/trifft nicht zu; dargestellt: trifft zu).16 ginn der 90er Jahre sich in Deutschland eine SOEP: »Wie ist es mit den folgenden Gebieten – machen Sie sich da Sorgen?«....»Über die Entwick- Ausweitung der allgemeinen Bedrohung durch lung der Kriminalität in Deutschland«: große/einige/keine Sorgen (dargestellt: große Sorgen). Er- Kriminalität (Kriminalität als gesellschaftliches gebnisse sind jeweils ungewichtet.

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THEMEN

hang zwischen Opferwerdung und Kriminali- treten möchten. In den folgenden Befragungs- Einbruch, Überfall, Betrug und Körperverlet- tätsängsten ebenfalls zu einer vermehrten Erklä- wellen sinkt die Kriminalitätsfurcht massiv und zung) hinweg liegt die Angst 1999 im Durch- rungssuche bei, ohne allerdings die zeitliche Di- nähert sich sogar dem Furchtniveau in West- schnitt um 8% niedriger als 1994. Bemerkens- mension in besonderem Maße einzubeziehen. deutschland an. So fühlten sich im Jahre 2000 wert ist das Ergebnis, dass im europäischen noch 29,8% der 1281 befragten Ostdeutschen in Vergleich in Deutschland das spezifische Vikti- 3.2. Kriminalitätseinstellungen von 1990 bis ihrer Wohngegend unsicher. Die Ergebnisse der misierungsrisiko mit am geringsten eingeschätzt heute internationalen Vergleichsstudie des Eurobaro- wird. Laut den letzten hierzu erhobenen Daten meter11 verdeutlichen anhand eines ähnlichen des Eurobarometers aus dem Jahre 2002 ist die Fasst man die verschiedenen bundesweiten Furchtindikators ebenfalls einen Rückgang in Risikoeinschätzung für Diebstahls-, Einbruchs- Umfragen zu Kriminalitätseinstellungen zu- der affektiven Kriminalitätseinstellung. Wäh- und Raubdelikte im Vergleich zu den damaligen sammen, die seit Anfang der 90er Jahre bis heu- rend für 1996 immerhin 39% der ca. 2000 be- 14 EU-Mitgliedsländen neben Österreich am ge- te durchgeführt werden, so scheint es sich bei fragten Personen angaben, sich etwas oder sehr ringsten. dem seit Mitte der 90er Jahre zu beobachtenden unsicher zu fühlen, wenn sie bei Dunkelheit al- Bedeutungsrückgang nicht um eine kurzfristige leine in der Wohngegend unterwegs sind, waren Neben den Rückgängen in der persönlichen Sonderentwicklung, sondern um eine interpre- es für 2000 36% und im Jahre 2002 noch 33%. Bedrohtheit und Risikoeinschätzung nimmt tierbare Trendänderung zu handeln. Demzufol- Im Vergleich zu den damaligen 15 Ländern der auch die Besorgnis gegenüber der allgemeinen ge verliert das Kriminalitätsthema spätestens EU, deren Furchtniveau bezüglich des genann- Kriminalitätsentwicklung in Deutschland ab. seit 1997, nach einem weiteren Anstieg zu Be- ten Indikators bei durchschnittlich 35% liegt, Dies zeigen die Daten der bereits genannte R+V- ginn der 90er Jahre, insbesondere in den neuen nimmt Deutschland im Jahre 2002 damit eine Befragung, des Allensbacher Instituts für Demosko- Bundesländern deutlich an Bedeutung. Dies mittlere Position ein. Der Rückgang der Furcht pie sowie die Paneldaten des SOEP. Letztere er- gilt gleichermaßen für Kriminalität als gesell- ist auch in dieser Studie vor allem in Ost- heben innerhalb eines Fragenkomplexes zu an- schaftliche und persönliche Bedrohung. Im deutschland zu beobachten. Hier ging die Kri- deren sozialen Problemen seit 1994 jährlich bei Einzelnen kommen die verschiedenen Umfra- minalitätsfurcht zwischen 1996 und 2002 von den selben privaten Haushalten, Personen und gen zu folgenden Ergebnissen: 60% auf 36% signifikant stärker zurück. Familien ein Item zu den Kriminalitätssorgen. Sorgten sich im Jahre 1997 in den SOEP-Befra- Im Wohlfahrtssurvey9 wurde im Jahre 1998 das Die Angst vor spezifischer Opferwerdung, wie gungen noch über 60% der knapp 13200 Be- Risiko einer Opferwerdung für alle Deliktsberei- sie etwa durch das Allensbacher Institut für De- fragten über die Kriminalitätsentwicklung in che deutlich niedriger eingeschätzt als 1993. moskopie12 zu 4 verschiedenen Zeitpunkten er- Deutschland, so waren es 2003 noch 42,2% der Während ca. 44% der 2046 westdeutschen Be- hoben wurde, geht bundesweit ebenfalls seit gut 22500 Befragten (siehe Abbildung 1). Im fragten es in den nächsten 12 Monaten für eher Mitte der 90er Jahre zurück. Nach Rückgängen Vergleich zu anderen Sorgen zeigen die SOEP- bzw. sehr wahrscheinlich hielten, Opfer eines zwischen 1992 und 1993 und dem Anstieg im Daten für das Jahr 2003, dass die Sorgen über Diebstahls zu werden, waren es 5 Jahre später darauffolgenden Jahr scheint die Angst vor Kri- die Friedenserhaltung und die wirtschaftliche noch etwa 24% (von n=1922). Wie in anderen minalität zwischen 1994 und 1999 gesunken zu Situation erstmals über den Kriminalitätssorgen Studien, war auch in dieser Befragung die Risi- sein. Über alle abgefragten Delikte (Diebstahl, liegen (Abbildung 2). Auch in den R+V-Umfra- koeinschätzung in Ostdeutschland zu Beginn der 90er Jahre deutlich höher als gegen Ende. So Abbildung 2: Große Sorgen der Deutschen hielten 1993 nahezu 66% der 1016 ostdeut- schen Befragten das Risiko einer Opferwerdung 70,0 für wahrscheinlich bzw. sehr wahrscheinlich, während es 1998 noch ca. 38% (von n=1028) waren. Laut der bundesweiten Studie der R+V- 60,6 60,0 10 57,7 Versicherung , in der seit 1991 jährlich etwa 57,9 56,6 2000–2400 Deutsche befragt werden, nimmt die 55,1 53,3 Angst, Opfer einer spezifischen Straftat zu wer- 52,8 den, zwischen 1991 und 1995 für verschiedene 50,0 49,4 Deliktsbereiche zu; danach sinken die Risikoe- 46,9 inschätzungen deutlich. 42,2 40,0 Umfragen, in denen stärker affektive Aspekte der Kriminalitätsfurcht erhoben werden, zeigen

ebenfalls seit Mitte der 90er Jahre Bedeutungs- Anteil in % 30,0 abnahmen. So belegen die Daten des ALLBUS, dass die Kriminalitätsfurcht seit 1992 in den al- ten Bundesländern deutlich zurückgeht. Wäh- 20,0 rend im Jahre 1992 noch 37,9% der 2255 Be- fragten angaben, eine Gegend in ihrem Wohn- gebiet zu kennen, in der sie sich nachts nicht 10,0 alleine aufhalten möchten, lag der Prozentanteil Kriminalität Friedenserhaltung im Jahre 2000 noch bei 27,5% (n=2419). Bei den eigene wirtschaftliche Situation Umweltschutz in den neuen Bundesländern befragten Perso- wirtschaftliche Situation in Deutschland Ausländerfeindlichkeit 0,0 Arbeitsplatz nen lag die Kriminalitätsfurcht zwei Jahre nach 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 der Wiedervereinigung deutlich höher als in den alten Bundesländern. 1992 nannten 53,3% der 1044 in Ostdeutschland lebenden Befragten Erläuterungen: Quelle SOEP (eigene Berechnungen), befragt wurden jeweils Deutsche über 16 Jahre, einen Ort in ihrer Nähe, den sie nachts nicht be- die Ergebnisse sind jeweils ungewichtet.

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gen gibt es Hinweise für einen stärkeren Rück- tungskosten und wurde nur von der Angst vor Datenmaterials dennoch Erklärungsversuche gang der Kriminalitätsängste als Sorgen zu an- schwerer Erkrankung übertroffen. unternommen. deren Themen.13 So übertrafen im Jahre 2002 die Angst vor zunehmender Arbeitslosigkeit in 4.1 Gehen Änderungen der Kriminalitäts- Deutschland sowie vor Preisanstieg und Ver- 4. Erklärungen des Rückgangs in der furcht mit Änderungen von sozialen und schlechterung der wirtschaftlichen Lage die Kriminalitätsfurcht seit Mitte materiellen Ressourcen einher? Angstwerte vor spezifischen Opferwerdungen. der 90er Jahre Diese lagen im Jahre 2002 im mittleren bis un- Dass die sinkende Kriminalitätsfurcht Ausdruck teren Drittel aller erhobenen Ängste. Im Jahr Untersuchungen, die den seit Mitte der 90er von sich verbessernden Lebensbedingungen ist, 1995 waren kriminalitätsbezogene Ängste Jahre in den meisten Bevölkerungsumfragen muss tendenziell eher verneint werden. So zei- innerhalb des Ängstekatalogs dagegen noch hö- beobachtbaren Rückgang in den personalen gen Zusammenhangsanalysen mit den Daten her angesiedelt: Hier lag die Angst vor Vanda- und sozialen Kriminalitätseinstellungen zu er- des SOEP für die Jahre 2001 bis 2003, dass ver- lismus und Diebstahl auf Reisen ähnlich hoch klären versuchen, gibt es kaum. Nachfolgend besserte materielle (Haushaltseinkommen) und wie die Angst vor einem Anstieg der Lebenshal- werden anhand des vorliegenden empirischen soziale Ressourcen (feste/neue Partnerschaft) in

Weniger Tabelle 1: Bivariate Zusammenhangsanalysen zwischen Veränderungen in Kriminalitäts- den Sorgen, materiellen und sozialen Veränderungen sowie Änderungen in sorgen der Lebenszufriedenheit (SOEP-Daten 2001–2003) Weniger Weniger Sorgen über Kriminalitäts- die eigene sorgen X wirtschaftliche Situation

Weniger Sorgen Weniger über die 01/02: ,05** Sorgen eigene wirtschaft- 02/03: ,05** X über den liche Situation Frieden

Weniger Sorgen Mehr über den 01/02: ,23** 01/02:,08** Kriminalitäts- Frieden 02/03: ,20** 02/03:,05** X sorgen

Mehr Sorgen Mehr über die 01/02:,02** 01/02:,10** Kriminalitäts- eigene 02/03:,03** 02/03:,09** sorgen X X wirtschaftliche Situation

Mehr Sorgen über Mehr Sorgen die eigene 01/02:,03** 01/02:,04** 01/02: ,05** über die wirtschaftliche 02/03:,03** X 02/03:,03** 02/03: ,07** X Friedens- Situation erhaltung

Weiterhin in Mehr Sorgen fester 01/02:,13** 01/02:,04** 01/02: ,23** 01/02: ,07** über die Beziehung 02/03:12** 02/03:,04** 02/03: ,24** 02/03: ,06** Friedenserhaltung X X oder mit neuem Partner

Weiterhin in fester Gestiegene 01/02:,02 01/02: ,01 01/02: ,00 01/02: -,01 01/02: ,03* 01/02: ,00 Beziehung oder mit Lebens- 02/03:,00 02/03:,02 02/03: ,02 02/03: -,00 02/03:-,02 02/03: -,00 neuem Partner X zufriedenheit

Gestiegene Gestiegenes 01/02: ,01 01/02: ,04** 01/02: ,01 01/02:-,02 01/02:-,05** 01/02: ,00 01/02: ,06* Lebens- Haushalts- 02/03: ,01 02/03:,04** 02/03: ,02** 02/03:,01 02/03:-,03** 02/03: ,01 02/03:,08** zufriedenheit X einkommen

Gestiegenes 01/02: ,01 01/02: ,02** 01/02: ,01 01/02: ,01 01/02: -,02** 01/02:,00 01/02: ,03* 01/02: -,00 Haushalts- 02/03:,00 02/03: ,02** 02/03:,02** 02/03:,00 02/03:-,01 02/03:,01 02/03: ,01 02/03:,00 einkommen X

Erläuterungen: 01/02 bzw. 02/03: Veränderung zwischen den Jahren 2001 und 2002 bzw. zwischen den Jahren 2002 und 2003, verwendeter Korrelationskoeffizient: Pearsons r; *Signifikant auf dem 95%-Niveau (2-seitig), **Signifikant auf dem 99%-Niveau (2-seitig), Bei den mit X markierten Zellen wurden die Zusammenhänge aus inhaltlichen Gründen entfernt. Die Anzahl der in die Zusammenhangsanalysen einbezogenen Fälle schwankt zwischen 6655 und 21349.

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nicht nennenswertem Maße mit geringeren richtet wurde als noch Jahre zuvor. Laut Reu- Blendet man einmal die methodischen Ein- Kriminalitätssorgen korrelieren (Tabelle 1). Ge- band wurden kurz vor der Wende und in den wände bei der Gegenüberstellung von unab- ringe Kriminalitätssorgen gehen auch nicht mit ersten Jahren nach der Wiedervereinigung An- hängig voneinander erhobenen Viktimisie- höherer Lebenszufriedenheit einher. Dagegen stiege, insbesondere der registrierten Gewaltkri- rungs- und Furchtraten aus und betrachtet die sorgen sich die befragten Personen weniger minalität, in dramatischer Weise dargestellt.15 Entwicklung in den Opferraten vergleichbarer über die eigene wirtschaftliche Situation, wenn Selbst über Straftaten wie Sexualdelikte wurde bundesweiter Studien, die seit den 90er Jahren auch ihr Haushaltseinkommen steigt. Anders in dieser Zeit gehäuft berichtet, ohne dass ein vereinzelt durchgeführt werden, so kann kein als bei den Kriminalitätssorgen steigt mit sin- Anstieg im Hellfeld zu beobachten war.16 Inwie- eindeutiger Trend ausfindig gemacht werden. kenden Sorgen über die eigene wirtschaftliche weit der von Reuband beobachtete Rückgang in Ein Vergleich der ersten bundesweit durchge- Situation die Lebenszufriedenheit. der Kriminalitätsberichterstattung den bundes- führten Opferbefragungen, die einen vergleich- weiten Trend widerspiegelt und sich zudem in baren Straftatenkatalog untersucht haben, zeigt Ob Veränderungen im Kriminalitätsempfin- den folgenden Jahren fortgesetzt hat, bleibt zwar Opferprävalenzen für das Jahr 1988 von den grundsätzlich unabhängig von Änderungen empirisch unbeantwortet. Tatsache ist jedoch, 21,9% für die alten Bundesländer und für das in der sozialen und materiellen Situation des Be- dass mit den Terroranschlägen in den USA vom Jahr 1990 von 11,4% für Ost- und 15,0% für fragten sind, kann anhand der SOEP-Daten 11. September 2001 und dem Ausbruch des Westdeutschland.19 Die im Vergleich zu 1988 nicht genauer beantwortet werden. Da im Irak-Kriegs im Frühjahr 2002 das Thema Terro- niedrigeren Prävalenzraten im Jahre 1990 sind SOEP-Datensatz keine Informationen über die rismus und Frieden verstärkt von der Politik nach Meinung von Obergfell-Fuchs et al. (2003) persönliche Betroffenheit durch Kriminalität er- und den Medien aufgegriffen wurde. jedoch weniger das Ergebnis von tatsächlichen hoben wurden, kann nicht ausgeschlossen wer- Unterschieden in den Opferraten, sondern hän- den, dass sich Kriminalitätsfurcht und Risiko- Zwar verdeutlichen die deskriptiven Daten gen vielmehr mit der unterschiedlichen Erhe- einschätzung mit den Lebensbedingungen der (vgl. Abbildung 2), dass die Deutschen sich in bungsmethodik beider Studien zusammen.20 Menschen verändern.14 Insbesondere aus Vul- den letzten Jahren zunehmend mehr Sorgen nerabilitäts- und Coping-Gesichtspunkten er- über die Friedenserhaltung und die wirtschaftli- Anhand der in der Folgezeit vereinzelt durch- scheint es nachvollziehbar, dass bei Personen che Situation in Deutschland machen und um- geführten bundesweiten Opferbefragungen mit verschlechterten protektiven Faktoren (Ver- gekehrt die Kriminalitätsentwicklung weniger können ebenfalls keine eindeutigen Trends in lust der Arbeit, Einkommenseinbußen, Verlust sorgenvoll betrachtet wird. Dabei handelt es der Veränderung von Opferraten konstatiert des Partners etc.) sich die persönliche Krimina- sich jedoch nicht um einen Austausch der Sor- werden.21 Während die im Rahmen des Sozial- litätsangst und Bedrohtheit erhöht. Demzufolge gen. So belegen Zusammenhangsanalysen mit wissenschaftenBus (SWB) durchgeführten Erhe- müssten sich seit Mitte der 90er Jahre die Le- den SOPE-Daten der Jahre 2001 bis 2003, dass bungen sowohl für 1996 als auch für 1997 eine bensbedingungen speziell für die Bürger in den bei Personen, die sich weniger Sorgen über die Opferrate von ca. 20% ergaben, nahm die Vikti- neuen Bundesländern im Vergleich zu den Jah- Kriminalität machen auch die Sorgen über den misierungsrate in der ebenfalls auf den gleichen ren nach der Wiedervereinigung verbessert bzw. Frieden und die wirtschaftliche Situation zu- Referenzzeitraum von 12 Monaten und einem angeglichen haben. Möglicherweise besteht rückgehen. ähnlichen Deliktsspektrum bezogenen Mehr- zwischen materiellen und sozialen Lebensbe- themenumfrage (MTU) zwischen 1995 und dingungen und dem Kriminalitätsempfinden 4.3 Ist die »Kriminalitätsgefahr« zurück- 1997 von knapp 23% (Wohnungseinbruch: auch ein komplexerer Zusammenhang: Sich ver- gegangen? 2,1%, Raub: 1,4% KfZ-Diebstahl: 1,3%, KfZ-Tei- schlechternde materielle und soziale Bedingun- lediebstahl: 3,9%), auf knapp 16% (Wohnungs- gen, aber auch globale Bedrohungen wie der In der kriminologischen Forschung wird häufig einbruch: 1,7%, Raub: 0,8% KfZ-Diebstahl: Internationale Terrorismus, führen in diesem ein Zusammenhang zwischen Kriminalitäts- 1,1%, KfZ-Teilediebstahl: 2,5%) ab.22 Zwar hat es Sinne nicht zu einer auf das Thema Kriminalität furcht und direkter bzw. indirekter Opferwer- in den letzten Jahren vor allem im Rahmen bezogenen Verunsicherung, sondern beeinflus- dung postuliert.17 Im Sinne der Viktimisierungs- kommunaler Kriminalprävention eine Reihe sen die Meinung der Bürger bezüglich anderer perspektive müsste der Rückgang, insbesondere von regionalen Opferstudien gegeben. Auf- Problemfelder, z.B. die Bedrohtheitseinschät- in der personalen Kriminalitätsbetroffenheit, grund der örtlichen Begrenzung der Studien zung durch Terrorismus und Wirtschaftskrisen. demnach durch sinkende Opferzahlen erklärt und dem zum Teil recht unterschiedlichen werden. Untersuchungsdesign (d.h. vor allem Unter- 4.2 Ist es zu Problemverschiebungen gekom- schiede in der Stichprobenziehung, der Befra- men? Ist z.B. die Angst vor Krieg stärker in Eine empirische Überprüfung des Zusammen- gungsmethode, im gewählten Referenzzei- den Problemhorizont der Menschen hangs zwischen Kriminalitätsaufkommen, Kri- traum, in den verwendeten Items und des Fra- gerückt? minalitätsfurcht und Risikoeinschätzung im gekontextes) ist ein regionaler wie zeitlicher zeitlichen Längsschnitt ist bisher nicht möglich, Vergleich wenig aussagekräftig. Zudem müssen Abbildung 2 hat bereits einige Hinweise dafür da weiterhin keine regelmäßigen und bundes- diese Studien den bundesweiten Trend nicht gegeben, dass die Friedenserhaltung, aber auch weiten Opferbefragungen durchgeführt werden, widerspiegeln. die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Fragen sowohl zur Viktimisierung als auch in den letzten Jahren, verstärkt sorgenvoll von zur Kriminalitätsbetroffenheit enthalten;18 und Die Prävalenzraten für Wohnungseinbruch den Befragten eingeschätzt werden und umge- eine bloße Gegenüberstellung von Viktimisie- (1,9%), KfZ-Teildiebstahl (1,2%), Körperverlet- kehrt dazu Kriminalität an Bedeutung verliert. rungsraten bzw. Kriminalitätsraten und Raten zung: (1,0%) und Raub: (0,6%) in einer der letz- Möglicherweise steht gegenwärtig weniger Kri- persönlicher Kriminalitätsbetroffenheit, die un- ten bundesweit durchgeführten Umfragen (In- minalität im Zentrum der Öffentlichkeit, son- abhängig voneinander erhoben werden, birgt fratest 2001) liegen zwar unter den Prävalenzra- dern Themen wie Terrorismus, religiöser Fun- die Gefahr eventueller Scheinkorrelationen. Da- ten in den MTU-Befragungen der Jahre 1996 damentalismus, Arbeitslosigkeit und materielle mit ist gemeint, dass beide Merkmale trotz zeit- und 1997.23 Die im Vergleich zu den MTU-Be- und soziale Alterssicherung. Reuband (1998), licher Parallelentwicklungen auf der aggregier- fragungen niedrigeren Opferraten sind jedoch der die Presseberichte in Dresden vor und nach ten Ebene unabhängig voneinander sein kön- nicht nur wegen den unterschiedlichen Unter- der Wende (1988–1994) untersucht hat, kommt nen, da Viktimisierungs- und Furchtrate nicht suchungsanlagen beider Umfragen schwer zu zumindest zu dem Ergebnis, dass im Jahre 1994 bei der gleichen Untersuchungsgruppe gemes- interpretieren. Zudem sind bei der Hochrech- in den Medien weniger über Kriminalität be- sen wurden. nung der Prävalenzraten auf die Grundgesamt-

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heit so genannte Konfidenzintervalle zu berück- ren Zeitraumes, bis heute hat es unterschiedli- überzogene Kriminalitätsfurcht verstanden wer- sichtigen, innerhalb derer sich die »wahren« che Entwicklungen gegeben. Während der Be- den. Im Hinblick auf die von politischer Seite Opferraten in der Grundgesamtheit mutmaß- deutungsrückgang von 1970 bis Mitte der 80er geforderte Sicherung der Lebensqualität war in lich befinden und die sich aufgrund der gerin- Jahre in Deutschland aufgrund des unzurei- dieser Zeit weniger Kriminalität das eigentlich gen Unterschiede in den Opferraten und gerin- chenden Datenmaterials mit Vorsicht zu inter- zu lösende »Problem« als vielmehr die Krimina- ger Fallzahl weitgehend überlappen, so dass auf pretieren ist, ist ein Anstieg im Kriminalitäts- litätsfurcht. tatsächliche Unterschiede in der Grundgesamt- empfinden seit Ende der 80er sowie der Rück- heit nicht hinreichend sicher geschlossen wer- gang Mitte der 90er Jahre (spätestens jedoch Neben der Analyse von sich verändernden den kann. seit 1997) auf weitgehend gesicherter Daten- Problemlagen und Lebensverhältnissen auf der grundlage dokumentiert. Individualebene regt der Beitrag schließlich für Insgesamt kann anhand der bisher in die Zukunft an, den Einfluss der Medien und der Deutschland durchgeführten Opferbefragungen Insbesondere ist der Anstieg sowohl in der Politik auf das Kriminalitätsempfinden genauer weder ein Rückgang in der Kriminalität noch persönlichen Kriminalitätsbetroffenheit (Risi- zu untersuchen. Anhand der wenigen Studien ein Zusammenhang in der Entwicklung von koeinschätzung, Kriminalitätsfurcht) als auch gibt es zumindest Anhaltspunkte, die dafür spre- Viktimisierungsrate und Furchtniveau ausrei- die Wahrnehmung der Kriminalität als gesell- chen, dass die Medien das Kriminalitätsthema chend überprüft werden. Gegen die Erklärung, schaftliches Problem zu Beginn der 90er Jahre in der Mitte der 90er Jahre weniger in den dass für den Bedeutungsrückgang von Krimina- und dessen Rückgang in der 2. Hälfte der 90er Vordergrund der Berichterstattung gestellt ha- lität seit Mitte der 90er Jahre im Wesentlichen Jahre anhand der zugrunde gelegten Bevölke- ben als noch zu Beginn der 90er Jahre. Veränderungen in den Viktimisierungsraten in rungsumfragen empirisch gut belegt. Demzu- Frage kommen, spricht zumindest, dass bereits folge fühlen sich die Deutschen gegenwärtig we- So lange in Deutschland keine bundesweiten in Querschnittsstudien zur Opferwerdung keine niger von Kriminalität bedroht und fürchten und regelmäßigen Befragungen durchgeführt ausgeprägten Zusammenhänge zwischen Aspek- sich weniger vor Opferwerdungen als zu Beginn werden, die sowohl Fragen zur Kriminalitäts- ten der Kriminalitätsfurcht und der Risikoein- der 90er Jahre. Eine Dramatisierung der Diskus- furcht als auch zu den Lebensbedingungen der schätzung sowie der persönlichen Opferwer- sion über das Furchtniveau in Deutschland ist Befragten und zu Opfererfahrungen gemeinsam dung festgestellt werden konnten.24 nicht nur aufgrund des in den letzten Jahren zu erheben, basieren die meisten Erklärungen von beobachtenden Bedeutungsrückgangs nicht an- Veränderungen in der Kriminalitätsfurcht aller- Ein häufig eingeschlagener Weg zur Messung gebracht: Die letzte Vergleichsuntersuchung des dings auf empirisch weitgehend ungesicherter von Kriminalitätsveränderungen ist die Verwen- Eurobarometer aus dem Jahre 2002 zeigt, dass Grundlage. dung amtlicher Statistiken, namentlich der Po- die Kriminalitätsfurcht, vor allem jedoch die Ri- lizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Aber auch sikoeinschätzung hinsichtlich verschiedener anhand der PKS lässt sich nur äußert vage auf Opferwerdungen in Deutschland, deutlich ge- 6. Literatur tatsächliche Kriminalitätsveränderungen schlie- ringer ausgeprägt ist als in den meisten EU-Län- ßen. Zudem kann ein Zusammenhang zwischen dern. Boers, K.: Kriminalitätseinstellungen. Konzepti- der Kriminalitätsentwicklung und der Entwick- on für die Bevölkerungsumfrage Kriminalität lung des Kriminalitätsempfindens in der Bevöl- Während der insbesondere in den neuen und Sicherheit. Arbeitspapier. 3. Kolloquium kerung empirisch nur schwer überprüft wer- Bundesländern zu beobachtende Anstieg zu Be- über die regelmäßige Durchführung von Op- den.25 Hellfelddaten, wie die Polizeiliche Krimi- ginn der 90er Jahre als Folge der Wiedervereini- ferbefragungen. Juni 2002. Unveröffentlich- nalstatistik, werden zwar regelmäßig und gung und der damit einhergehenden sozialen, tes Manuskript 2002. bundesweit erfasst. Sie sind jedoch aufgrund der kulturellen und politischen Umbrüche erklärt Boers, K. / Kurz, P.: Kriminalitätsfurcht ohne Begrenzung auf die bekannt gewordene Krimi- werden kann, bleibt der allgemeine Rückgang in Ende?, in: Kühnel, W. (Hrsg.) Gewaltkrimina- nalität in ihrer Aussagkraft eingeschränkt. Zu- der Kriminalitätsfurcht seit Mitte der 90er Jahre lität zwischen Mythos und Realität. Frankfurt dem hängt die Polizeiliche Kriminalstatistik von erklärungsbedürftig. am Main 2002. Faktoren ab, die zeitlich unterschiedlich zum Boers, K.: Sozialer Umbruch, Modernisierungsri- Tragen kommen, wie etwa Änderungen im An- Die in dieser Studie durchgeführten Analysen siken und Kriminalität, in: Boers, K. / Gut- zeigeverhalten, im Kontrollverhalten der Poli- der Paneldaten des SOEP der Jahre 2001 bis sche, G. / Sessar, K. (Hrsg.): Sozialer Umbruch zei, Änderung der Straftatbestände und in der 2003 sprechen jedenfalls nicht für einen Ein- und Kriminalität in Deutschland. S. 3552. statistischen Erfassung. Aus diesem Grunde fluss von sich verändernden materiellen und Opladen 1997. können aus den Entwicklungen im Hellfeld kei- sozialen Lebensbedingungen auf die Einschät- Boers, K.: Kriminalitätsfurcht: Über den Entste- nesfalls Veränderungen von Viktimisierungsra- zung der Kriminalitätsentwicklung in Deutsch- hungszusammenhang und die Folgen eines so- ten im Dunkelfeld abgeleitet werden.26 Der land in den letzten Jahren. Es finden sich viel- zialen Problems, Pfaffenweiler 1991. Rückgang der polizeilich registrierten Straftaten mehr Hinweise, dass es zu Bedeutungsverschie- Bundesministerium des Innern / Bundesmini- seit 1995 (bis 2001), insbesondere auch im Be- bungen gekommen ist, dahingehend, dass sterium der Justiz: Erster Periodischer Sicher- reich von Wohnungseinbruch und Kfz-Dieb- Besorgnisse sich stärker auf die eigene wirt- heitsbericht. Berlin 2001. stahl, ist somit weder ein aussagekräftiges Indiz schaftliche Situation und Probleme der Frie- Ferraro, K.F. / La Grange, R.: The measurement für zurückgehende Opferraten noch wäre da- denserhaltung beziehen als auf die Kriminali- of the fear of crime, in: Social Inquiry, Jg. 57, durch die zurückgehende Kriminalitätsfurcht tätsentwicklung. 1987, S. 70–101. methodisch valide erklärt.27 Farrall, S. / Bannister, J. / Ditton, J. / Gilchrist, Vor dem Hintergrund, dass bis Mitte der 90er E.: Questioning the Findings from a major Jahre, insbesondere in den neuen Bundeslän- methodological study, in: British Journal of 5. Zusammenfassung dern, meist mehr als die Hälfte der befragten Criminology, Jg. 37, 1997, S. 658–679. Deutschen Kriminalitätsfurcht äußern und Kri- Heinz, W. / Dittmann, J. / Spiess, G.: Konstanzer Ziel des vorliegenden Beitrags war die Beschrei- minalität als großes Problem in der Gesellschaft Victim Survey 1997, unveröffentlichtes Ma- bung von Kriminalitätseinstellungen in einschätzen, kann der Bedeutungsverlust von nuskript. Deutschland im zeitlichen Längsschnitt. Von Kriminalität in den letzten Jahren letztlich auch Forschungsgruppe Kommunale Kriminalprä- 1971, dem Beginn des statistischen überblickba- als »natürliche« Anpassung an eine zeitweilig vention in Baden-Württemberg: Opfererfah-

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rungen, Kriminalitätsfurcht und Vorstellun- Durchführung von Opferbefragungen, 19. bis 15 Vgl. die Auswertung der Presseberichte in Dresden gen zur Delinquenzprävention. Ergebnisse 21. Mai 2001 in Bonn. von Reuband (1998) vor und nach der Wende von Bevölkerungsbefragungen im Rahmen Rüther, W.: Internationale Erfahrungen bei der (1988–1994). des Begleitforschungsprojekts »Kommunale Behandlung von Sexualstraftätern, in: Mo- 16 Über die zeitliche Entwicklung in der Berichter- stattung zu Kindesmissbrauch in den Medien und Kriminalprävention« in Baden-Württemberg, natsschrift für Kriminologie und Strafrechts- den amtlichen Statistiken vgl. Rüther (1998). in: Trenczek, T. / Pfeiffer, H. (Hrsg.): Kommuna- reform, Jg. 81, 1998, S. 246–262. 17 So z.B. Friedberg (1983). le Kriminalprävention. Paradigmenwechsel Schwind, H.-D. / Fetchenhauer, D. / Ahlborn, 18 Umgekehrt kann ein Zusammenhang zwischen und Wiederentdeckung alter Weisheiten, W. / Weiß, R.: Kriminalitätsphänomene im Viktimisierungsraten bzw. Kriminalitätsraten und Bonn 1996, S. 118–140. Langzeitvergleich am Beispiel einer deut- Furchtraten bestehen, obwohl beide Merkmale Friedberg, A.: America Afraid. New York 1983. schen Großstadt. Bochum 1975-1986-1998, sich auf der Makroebene zunächst unabhängig Kreuter, F.: Kriminalitätsfurcht: Messung und Neuwied 2001. voneinander zu verändern scheinen. methodische Probleme. Opladen 2002. 19 Die Studien der Jahre 1988 (n=5274) wurde im Sacco, V. / Glackman, W.: Vulnerability, Locus Rahmen einer international vergleichenden Un- Kury, H. / Dörmann, U. / Richter, H. / Würger, of Control, and Worry about Crime, in: Ca- tersuchung vom Max Planck Institut für Straf- M.: Opfererfahrungen und Meinung zur In- nadian Journal of Community Mental recht in Freiburg in Zusammenarbeit mit dem neren Sicherheit in Deutschland, BKA For- Health, Jg. 6, 1987, S. 99–111. Bundeskriminalamt durchgeführt (vgl. van schungsreihe, Band 25, Wiesbaden 1992. Van Dijk, J.J.M., / Mayhew, P.: Criminal victimi- Dijk/Mayhew, 1993). Die Studie aus dem Jahre Kury, H. /Lichtblau, A / Neumaier, A / Oberg- zation in the Industrialized World: Key fin- 1990 (n=4999 für Westdeutschland und n= 2027 fell-Fuchs, J., Kriminalitätsfurcht, SZK 2005, dings of the 1989 and 1992 International Cri- für Ostdeutschland) wurde ebenfalls vom Max 319. Planck Institut für Strafrecht in Zusammenarbeit me Surveys. The Hague: Ministry of Justice, mit dem Bundeskriminalamt durchgeführt (vgl. Kuttschreuter, M./ Wiegman, O.: Crime Preven- Department of Crime Prevention, 1992. tion and the Attitude Toward the Criminal dazu Kury et al. 1992). Die aufgeführten Präva- lenzraten beziehen sich jeweils auf Raten von Per- Justice System: The Effects of a Multimedia Jörg Dittmann ist Soziologe und arbeitet bei sonen, die hinsichtlich des erhobenen Straftaten- Campaign, in: Journal of Criminal Justice, Jg. ZUMA katalogs in den letzten 12 Monaten überhaupt 26, 1998, S. 441–452. Opfer geworden sind. Lamnek, S.: Kriminalitätsberichterstattung in 20 Die Untersuchung aus dem Jahre 1989 basierte auf Telephoninterviews, während in der Nachfolge- den Massenmedien als Problem, in: Monats- Fußnoten schrift für Kriminologie und Strafrechtsre- studie face to face Interviews durchgeführt wur- form, Jg. 73, 1990, S. 163–176. 1Vgl. Sacco/Glackman (1987); Pantazis (2000). den. Liska, A. E. / Baccaglini, W.: Feeling safe by 2Vgl. etwa die Ergebnisse des Victim Surveys 1997 21 Einen guten Überblick über bundesweite Opferbe- (Heinz et al., unveröffentlichtes Manuskript). fragungen in Deutschland findet sich bei Oberg- comparison: Crime in the newspapers, in: 3 Vgl. Kuttschreuter/Wiegman (1998). Zur Komple- fell-Fuchs et al. (2003). Social Problems, Jg. 37, 1990, S. 360–374. xität der Beziehung zwischen Medien und Krimi- 22 In den MTU-Umfragen von 1995 (n=20695) und Mirrlees-Black, C. / Mayhew, P / Percy, A.: The nalitätsfurcht vgl. Boers (1991, S. 164–175; 2003). 1997 (n=20069) wurden Personen ab 16 Jahren 1996 British Crime Survey: England and Wa- 4Vgl. Boers/Kurz (2003). befragt (deutschsprechende Bevölkerung). Quelle les, Home Office Statistical Bulletin, 19/96, 5 So ließen sich in der bundesweiten Opferbefragung der MTU-Befragung von 1995: Forschungsgruppe Research and Statistics Directorate, London, des Konstanzer Victim Survey 1997 die Items der Kommunale Kriminalprävention Baden Würt- personalen Kriminalitätseinstellung durch Fakto- 24 September 1996. temberg (1996). Quelle der MTU-Befragung von renanalysen in emotionale, kognitive und konati- Obergfell-Fuchs J. / Kury, H. / Philippe, R. / Zau- 1997: Heinz et al. (unveröffentlichtes Manus- ve Dimensionen trennen (Heinz et al., 2003, un- kript). berman, R. / Pottier M.-L.: Opferbefragungen veröffentlichtes Manuskript). 23 Befragt wurde die deutschsprechende Bevölkerung in Deutschland und Frankreich. Unterschied- 6 Teilaspekte des Modells wurden bereits empirisch ab 14 Jahren (n=2656) im Rahmen von face to liche Konzeptionen und Vorgehensweisen, untersucht: Zum Zusammenhang zwischen Bewer- face-Interviews. Quelle: Rosenbladt, B. v. /Gen- in: Monatsschrift für Kriminologie und Straf- tung der Copingfähigkeiten und personaler Krimi- sicke, T. (2001). rechtsreform, Jg. 86, 1990, S. 59–73. nalitätsfurcht vgl. Boers/Kurz, 2003, S. 133–135. 24 Vor allem Personen mit schwerer Opferwerdung Zum Zusammenhang zwischen sozialem Milieu (Gewalt-/Sexualdelikte) besitzen ein deutlich Pantazis, C.: Fear of Crime, vulnerability and und Kriminalitätsfurcht vgl. ebenfalls Boers/Kurz, poverty. Evidence from the British Crime höheres Furchtniveau als Personen, die (zumindest 2003, S. 136–142. Zum Zusammenhang zwischen im untersuchten Referenzzeitraum) nicht Opfer Survey, in: British Journal of Criminology, Jg. Medien und Kriminalitätseinstellungen vgl. Lam- schwerer Straftaten geworden sind (vgl. Heinz et nek, (1990), Liska et al. (1990). 35, 2000, S. 414–436. al., unveröffentlichtes Manuskript). 7 Allerdings dürfte sich die Zunahme in der regi- Reuband, K.-H.: Kriminalität, Kriminalitäts- 25 Dass erhebliche Diskrepanzen bestehen zwischen strierten Gewaltkriminalität zu einem erheblichen furcht und die Rolle der Medien. Eine Analy- Indikatoren der Kriminalitätsbelastung und -ent- Teil durch vermehrtes Anzeigen erklären. Vgl. dazu se von Veränderungen in der objektiven und wicklung auf Basis von Hellfelddaten einerseits Schwind, 2001, S. 347. und Dunkelfelddaten andererseits, zeigt sich etwa subjektiven Bedrohung am Beispiel der Städte 8Vgl. dazu Boers (1997). Dresden und Düsseldorf, 1995–2000, in: Cas- 9 http://www.gesis.org/Dauerbeobachtung/Sozialin- für die USA anhand der Gegenüberstellung des sani, A. / Maag, R. / Niggli M.A. (Hrsg.), Me- dikatoren/Daten/Wohlfahrtssurvey/WS_pdf Uniform Crime Report (Hellfeld) mit dem National dien, Kriminalität und Justiz. Chur, Zürich /10_Krimi.pdf Crime Victimization Survey (Dunkelfeld). So kön- 10 http://www.ruv.de nen insbesondere für die letzten 10 Jahre gegen- 2001, S.161–183. läufige Entwicklungen in der Gewaltkriminalität Reuband, K.-H.: Kriminalität in den Medien: 11 http://europa.eu.int/comm/public_opinion /archi- ves/ebs/ebs_181_en.pdf. zwischen Dunkel- und Hellfeld beobachtet werden Erscheinungsformen, Nutzungsstruktur und 12 http://www.ruv.de/index.htm?url=/presse/intro. (vgl. Bundesministerium des Innern / Bundesmini- Auswirkungen auf die Kriminalitätsfurcht, in: htm. Die Fallzahlen der Umfragen des Allensba- sterium der Justiz, 2001, S. 11). Soziale Probleme, Jg. 9, 1998, S. 122–153. cher Instituts schwanken dabei zwischen 500 und 26 Umgekehrt kann von der unentdeckten Krimina- Reuband, K.-H. / Rastampour, P:. Wie reliabel 2000 Personen. lität nicht auf die amtlich registrierte Kriminalität sind Fragen zur Kriminalität und Krimina- 13 Quelle: http://www.ruv.de/index.htm?url=/ pres- geschlossen werden. litätsfurcht? Ergebnisse einer Test-Retest-Stu- se/intro.htm 27 Darüber hinaus nehmen Straftaten die in der PKS und Gewaltkriminalität subsumiert werden, wie die, in: Soziale Probleme, Jg. 10, 1999, S. 14 Für die Messung von Veränderungen im Krimina- litätsempfinden kommt zudem erschwerend hin- etwa gefährliche und schwere Körperverletzung, 166–178. zu, dass das Sorgenkonstrukt im SOEP-Datensatz und bei denen noch am ehesten von einem furcht- Rosenbladt, B. v. / Gensicke, T.: Arbeitspapier, auf einer Skala mit lediglich 3 Ausprägungen verstärkenden Einfluss ausgegangen wird, in dieser zweites Kolloquium über die regelmäßige (große, einige, keine Sorgen) basiert. Zeit im Hellfeld zu.

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Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber Die (er)neue(rte) in Deutschland diese Unsprungskonstruktion der Staatsanwaltschaft ändern möchte. Es ist keine grundsätzliche Reform der Staatsanwalt- Staatsanwaltschaft schaft in Planung, frühere Gesetzgebungsvorha- ben4, die Teilaspekte neu regeln sollten, sind ge- von Generalstaatsanwalt a.D. H.C. Schaefer, Leimen scheitert. Desgleichen fehlt es an einer Gesamt- konzeption für eine umfassende Reform der Strafprozessordnung. Der Gesetzgeber hat aller- dings durch eine Reihe von Einzeländerungen in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass er 1. Zielvorstellung zei, die sie eigentlich zu kontrollieren hat, auf die Rolle der Staatsanwaltschaft im Strafverfol- eine Stufe gestellt. Die von der Staatsanwalt- gungssystem nicht schwächen will.5 Die Staatsanwaltschaft, oft als Kind der Revolu- schaft ursprünglich auch gegenüber dem Ge- tion bezeichnet, ist vor über 150 Jahren in richt vorgesehene Wächterrolle bleibt weitge- Im Folgenden soll nun in verschiedenen Be- Deutschland eingeführt worden, um Rechts- hend unbeachtet oder gilt als überholt. reichen und Beziehungen der Staatsanwalt- staatlichkeit und Fairnis in das Strafverfahren schaft zu anderen Institutionen aufgezeigt wer- zu bringen. Sie löste den früheren Inquisitions- Im Verhältnis zur Politik erscheint die Staats- den, inwiefern es einer neuen oder besser er- prozess ab, in dem der Richter selbst ermittelt anwaltschaft als abhängig, weil sie nach gelten- neuerten Staatsanwaltschaft heute bedarf. und Recht gesprochen hatte. dem Recht weisungsunterworfen ist. Sie kommt dann in ein Zwielicht, wenn externe Weisungen Dazu sind keine gesetzgeberischen Maßnah- Aufgabe der Staatsanwaltschaft sollte sein, als im Allgemeinen und vor allem im Einzelfall das men nötig. Die Ursprungsidee von der Staatsan- »Gesetzeswächterin von Anfang an darauf hin- staatsanwaltliche Handeln vorschreiben. Gleich- waltschaft, die den Rechtswillen des Staates6 zuwirken, dass überall dem Gesetz ein Genüge zeitig weisen Politik und Gesellschaft zuneh- und nicht den politischen Machtwillen durch- geschehe«.1 Sie ist demnach zur Aufnahme von mend allgemeine Konflikte als Rechtsprobleme setzen, also mehr Rechtlichkeit und Fairnis in Ermittlungen verpflichtet, wenn der Verdacht der Staatsanwaltschaft zu. Der Zugriff des Straf- das Ermittlungs- und Strafverfahren einzubrin- einer Straftat vorliegt (Legalitätsprinzip) und hat rechts und damit die Aufgabenfelder der Staats- gen hat, ist nach wie vor aktuell, die Idee muss dabei nach beiden Seiten zu Gunsten wie zu Un- anwaltschaft werden ständig erweitert. Die Ge- aber an der einen oder anderen Stelle neu belebt gunsten des Beschuldigten zu ermitteln. In ih- sellschaft, vor allem die Medien, sehen dabei die und das Rollenverständnis der Staatsanwälte ren Händen liegt die Entscheidung über den Staatsanwaltschaft als Hüterin von Legalität und und Staatsanwältinnen darauf bezogen werden. Gang der Ermittlungen und darüber, ob sie An- politischer Moral mit der Folge, dass sich bei je- Dieses Verständnis von Staatsanwaltschaft in klage erhebt oder die Ermittlungen einstellt. der Verfehlung in Staat und Gesellschaft der dem ursprünglichen Sinne ist die Grundlage für Schließlich obliegt der Staatsanwaltschaft seit Blick zuerst auf die Staatsanwaltschaft richtet. eine erneuerte Staatsanwaltschaft. Da, wo dieses ihrer Einführung die rechtsstaatliche Kontrolle Mit dieser Aufgabenvermehrung wächst aber Verständnis fehlt oder verloren gegangen ist, über die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung. auch die Versuchung der politisch Verantwort- muss es wieder hergestellt werden. Sie hat die Sachleitungsbefugnis und unbescha- lichen mit ausgesprochenen oder unausgespro- det der eigenen Verantwortung der Polizei auch chenen Direktiven das staatsanwaltliche Han- die Kontrollfunktion für die Rechtmäßigkeit der deln zu beeinflussen. 2. Das eigene Rollenverständnis der einzelnen Ermittlungsschritte. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Staats- In der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion anwaltschaft entstehen zusätzlich durch ihre In der Anfangsphase nach ihrer Gründung hat- sind Zweifel darüber entstanden, ob die Staats- häufig anzutreffende Überlastung infolge man- ten sich die Vertreter der Staatsanwaltschaft anwaltschaft die ihr nach der Entstehungsge- gelhafter personeller und sachlicher Ausstat- entgegen der Vorstellung der Schöpfer der neu- schichte zugewiesenen Aufgaben noch vollstän- tung. en Institution in Deutschland meist einseitig dig erfüllt, d.h. ob Leistungsfähigkeit und dem vermeintlichen Staatswillen untergeord- Rechtsstaatlichkeit noch so von ihr verkörpert Alles in allem und ungeachtet der unbestrit- net und die Rechte der Beschuldigten weitge- werden, wie es sich die Schöpfer der Staatsan- tenen Leistungsfähigkeit und Qualifikation der hend außer Acht gelassen.7 In Zeiten totalitärer waltschaft vorstellten. Für viele Beobachter ist meisten Staatsanwälte und Staatsanwältinnen Regime ist die Staatsanwaltschaft zudem auch die Staatsanwaltschaft vom Idealbild der Entste- erscheint die Staatsanwaltschaft heute als eine bewusst zur Erfüllung einseitiger Staatsinteres- hungszeit weit entfernt. Sie hat nach verschie- Institution, die dringend einer Erneuerung be- sen instrumentalisiert worden. Diese Zeiten denen Richtungen deutlich an Terrain verloren: darf. Dabei kann die Entwicklung nach der Ent- sind heute vorbei, geblieben ist allerdings eine die Polizei hat die faktische Herrschaft im Er- stehung der Staatsanwaltschaft genau so wenig zumindest gelegentlich anzutreffende Überbe- mittlungsverfahren übernommen, die Staatsan- unberücksichtigt bleiben wie die vorauszuse- tonung eines einseitigen Strafverfolgungsan- waltschaft wird oftmals nur noch als Justitiar henden Perspektiven im Rahmen des im Aufbau spruchs durch Staatsanwälte und Staatsanwäl- der Polizei tätig.2 Sie leitet die Ermittlungen oft begriffenen gemeinsamen Europa. tinnen, ohne dass der Kontrollgesichtspunkt nicht mehr oder nur unvollkommen. bei der staatsanwaltlichen Rolleninterpretation Der Grundgedanke zur Schaffung der Staats- in einer angemessenen Relation dazu immer Im Strafverfahren gilt heute als besonderer anwaltschaft in Preußen und später in Deutsch- wahrgenommen würde. Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit der so ge- land vor über 150 Jahren ist jedenfalls heute nannte Richtervorbehalt. Die Staatsanwalt- noch so richtig wie damals, nämlich einen Ga- Die hierarchische Struktur der Staatsanwalt- schaft als Garantin für ein rechtsstaatliches und ranten für das rechtsstaatliche Ermittlungs- und schaft trägt gelegentlich zu einem Bild in der Öf- faires Verfahren geschaffen, wird dagegen in- Strafverfahren zu schaffen, der einerseits das Ge- fentlichkeit bei, das den einzelnen Staatsanwalt zwischen in der öffentlichen Wahrnehmung richt, andererseits die Polizei kontrolliert, zwi- als unfrei, gegenüber den Vorgesetzten wei- und teilweise auch der höchstrichterlichen schen beiden vermittelt und schließlich durch sungsunterworfen, unselbständig und mit anti- Rechtsprechung3 im Wesentlichen mit der Poli- das Gericht auch selbst kontrolliert wird. zipiertem Gehorsam darstellt. Dieses Bild ist si-

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THEMEN

cher insgesamt falsch. Die Staatsanwälte sind in der Staatsanwaltschaft, selbst wenn das Gericht solche Struktur wird auch ausdrücklich empfoh- der Mehrzahl heute wesentlich selbstbewusster meist die endgültige Entscheidung zu treffen len, wie es das Ministerkomitee des Europarates und selbständiger als es noch früheren Genera- hat und Staatsanwaltschaft sowie Verteidigung in seiner Empfehlung vom 06.10.200012 zum tionen eigen war. Sie begegnen auch Vorgesetz- diese Entscheidung zu beantragen bzw. vorzu- Ausdruck gebracht hat (»die Staaten tragen Sor- ten anders als es in den Zeiten üblich war, in de- bereiten haben. Die Entscheidung des Gerichts ge, dass einer hierarchischen Organisation der nen die Staatsanwaltschaft sich vorwiegend an kann zudem kein endgültiger Maßstab für die Vorzug gegeben wird«). der Erfüllung des mutmaßlichen Staatswillens Staatsanwaltschaft sein, an der Richtigkeit oder orientierte, der von den Vorgesetzten vorgege- Unrichtigkeit ihres Antrags zu messen ist. Auch Hierarchische Organisation der Staatsanwalt- ben wurde. die Begriffe »Sieg« oder »Niederlage« passen schaft und internes Weisungsrecht (§§146,147 nicht in dieses Bild. So wie das Gericht hat auch GVG) gehören zwingend zusammen. Eine Aus- Zu einem normalen und richtigen Verhältnis die Staatsanwaltschaft für die Gesetzmäßigkeit nahme sollte allerdings für die Hauptverhand- der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zu des Verfahrens zu sorgen. Sie ist Gesetzeswäch- lung gemacht werden. Da der Schlussvortrag auf Vorgesetzten – intern wie extern – gehört keine terin durch ihre Kontrolle auch gegenüber dem einer freien Würdigung der Beweise, die sich aus blinde oder gar antizipierende Unterwerfung Gericht, wie umgekehrt das Gericht die Staats- dem Inbegriff der Hauptverhandlung ergeben, sondern eine kritische Loyalität, zu der zwin- anwaltschaft zu kontrollieren hat. Die Staatsan- beruht, wird eine solche Weisung auch schon gend auch der gelegentliche Widerspruch gehö- waltschaft hat auch den ausdrücklichen Auf- nach geltendem Recht in der Fachdiskussion13 ren muss, allerdings auch die Reflexion über das trag, zur Rechtsfortentwicklung beizutragen, überwiegend als problematisch, zum Teil auch eigene Verhalten und die Bereitschaft, sich neu- was gelegentlich dazu führen muss, dass sie eine als unzulässig angesehen. en und anderen Erkenntnissen zu öffnen. gerichtliche Entscheidung nicht akzeptieren kann sondern höchstrichterlich überprüfen Umstritten sind in der öffentlichen Diskus- Im Verhältnis zu anderen Institutionen, mit lässt. In diesem Zusammenhang ist auch die sion allerdings das externe Weisungsrecht des denen die Staatsanwaltschaft im Rahmen der zweifelsfreie Berechtigung der Staatsanwalt- Justizministeriums und die Abhängigkeit der Strafverfolgung zusammen zu arbeiten hat, muss schaft zu sehen, gegenüber dem Gericht auf die Staatsanwaltschaft von der Regierung.14 Allein das richtige Verständnis von der Rolle der Staats- Förderung und zügige Erledigung des Verfah- schon die Existenz dieses Weisungsrechts trägt anwaltschaft immer zum Ausdruck kommen. rens hinzuwirken und notfalls anzumahnen. zu der Annahme bei, in politisch brisanten Ver- fahren werde auf die Staatsanwaltschaft massiv So ist das Verhältnis zur Polizei nicht ganz So wie es keine gerichtliche Überordnung Einfluss genommen. Deshalb wird von ver- einfach zu praktizieren: die Polizei ist einerseits über die Staatsanwaltschaft gibt, gibt es selbst- schiedenen Seiten die vom Justizministerium im Rahmen der Strafverfolgung der Partner der verständlich auch keine Überordnung der »unabhängige Staatsanwaltschaft« gefordert Staatsanwaltschaft, die entsprechend der staats- Staatsanwaltschaft über die Verteidigung. Auch und u.a. auf einige europäische Länder verwie- anwaltlichen Sachleitungsbefugnis zu ermitteln der Verteidiger hat eine gegenüber Gericht und sen, in denen eine solche Unabhängigkeit mehr und den Sachverhalt aufzuklären hat, anderer- Staatsanwaltschaft gleichwertige Aufgabe. oder weniger besteht. Zur Begründung einer sol- seits hat die Staatsanwaltschaft die Rechtstaat- chen unabhängigen Staatsanwaltschaft wird lichkeit des Verfahrens zu garantieren und da- Für die Staatsanwaltschaft ist der Verteidiger auch das Grünbuch der Kommission der Euro- mit auch die Polizei zu kontrollieren. Beide Ge- kein Feind. Er ist im kontradiktorischen Verfah- päischen Gemeinschaften vom 11.12.200115 sichtspunkte ausgewogen und gleichgewichtig ren der prozessuale Gegenpart, mit dem zu ko- »zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen miteinander zu vereinbaren, gelingt nicht im- operieren aber durchaus in geeigneter Prozesssi- Interessen der Europäischen Gemeinschaften mer. tiuation nach der Strafprozessordnung auch er- und zur Schaffung einer europäischen Staatsan- laubt ist. Zudem kann eine vernünftige waltschaft« genannt, wonach der europäische Die Begriffe »Herrin des Ermittlungsverfah- Kooperation zu einer guten Prozessatmosphäre Staatsanwalt, der allerdings funktional nur eine rens« und »Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft«8 und einer sinnvollen prozessökonomischen Er- auf die finanziellen Interessen der EU be- suggerierten lange Zeit ein Über- und Unterord- ledigung des Verfahrens beitragen ohne dass da- schränkte Kompetenz besitzen soll, keinem ex- nungsverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft bei der »Geruch der Kungelei« entstehen ternen Weisungsrecht eines anderen Organs der und Polizei. Eine solche Betrachtungsweise passt muss.10 EU unterworfen sein soll. schon lange nicht mehr in die Wirklichkeit der heutigen Strafverfolgungslandschaft. Vielmehr In der bereits erwähnten Empfehlung des Mi- sollte das Verhältnis trotz der unbestrittenen 3. Staatsanwaltschaft und Hierarchie nisterkomitees des Europarates vom 06.10.2000 Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft, »zur Rolle der Staatsanwaltschaft in der Strafge- partnerschaftlich ausgerichtet sein. Die Konstruktion der Entstehungszeit, die richtsbarkeit« wird es – im Unterschied zur Staatsanwaltschaft dem Justizministerium zu internen hierarchischen Struktur der Staatsan- Trotz offenkundiger Verschiebungen im Ver- unterstellen und damit in eine Hierarchie ein- waltschaft, die ausdrücklich empfohlen wird – hältnis Staatsanwaltschaft –Polizei und dem fak- zuordnen und nicht dem Gericht gleich als un- den einzelnen Ländern überlassen, ob sie eine tischen Übergewicht der Polizei bei den Ermitt- abhängige Institution auszugestalten, ist heute Regierungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaf- lungen muss die Staatsanwaltschaft deutlich umstritten. ten haben oder nicht.16 machen, dass sie die Sachleitungsbefugnis hat. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie alle Er- An der Notwendigkeit einer hierarchischen Die Überlegungen, die seinerzeit in Deutsch- mittlungsschritte begleitet, sie muss aber bei be- Struktur der Staatsanwaltschaft selbst bestehen land zur Einführung der Staatsanwaltschaft deutsamen Vorgängen und Problemen präsent in der öffentlichen Diskussion allerdings kaum führten und sie in eine Hierarchie stellten, sind sein und die notwendigen Entscheidungen tref- Zweifel.11 Es gibt nur wenige, die neben dem un- auch an dieser Stelle heute noch richtig und ak- fen.9 abhängigen Richter auch den unabhängigen tuell. Bei dieser Bewertung kann man offen las- Staatsanwalt fordern, oft ohne dabei zu beden- sen, ob die Staatsanwaltschaft nun wirklich, wie Das Verhältnis zwischen Gericht, Staatsan- ken, dass es dazu einer Grundgesetzänderung es die Vertreter der Justiz, von Savigny und Uh- waltschaft und Verteidigung ist von der Gleich- (Art. 97 GG) bedürfte. Im europäischen Raum den, damals unstreitig wollten, auf das französi- rangigkeit der jeweiligen Position bestimmt. Es existiert die Staatsanwaltschaft jedenfalls vor- sche Vorbild – Stichwort: Kind der Revolution – gibt keine Überordnung des Gerichts gegenüber wiegend als hierarchische Organisation. Eine und die liberalen Reformüberlegungen zurück-

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zuführen ist oder ob die politischen Entschei- anderer Weg, um in der Öffentlichkeit aufzuzei- anwaltschaft muss sich darum bemühen, ihre dungsträger der damaligen Zeit nicht auch mas- gen, dass es der Regierung bei der hierarchi- Entscheidungen in der Öffentlichkeit deutlich sive politische Eigeninteressen mit der Einfüh- schen Einordnung der Staatsanwaltschaft nicht zu machen und generell ihre Rolle immer wie- rung der weisungsabhängigen Staatsanwalt- in erster Linie darum geht, Einfluss auf die der verständlich zu erklären.21 schaft verbinden wollten. Es gelang jedenfalls, Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln zu erhal- »wesentliche Reformimpulse des Justizministe- ten, sondern um eine saubere, klare und für Die Auskunftspraxis der Staatsanwaltschaft riums hinüber zu retten«.17 Es galt und gilt die sachfremde Einflussnahmen nicht empfängli- wird immer zu berücksichtigen haben, welche oft gebrauchte Formel: die Staatsanwaltschaft che Beziehung zur Staatsanwaltschaft. Ein sol- Rechte und Interessen sie dabei berührt. Die und ihre Unterstellung unter das Justizministe- cher Weg – in gewisser Weise eine Art Selbstbin- wichtigste und stets zu bedenkende Einschrän- rium dienen der Durchsetzung des Rechtswil- dung – oder beschränkung – bestünde darin, kung bei Auskünften ist das Recht des Beschul- lens des Staates und nicht seines Machtwillens. durch eine Verwaltungsvorschrift (Richtlinie, digten auf Wahrung der Unschuldsvermutung Deshalb kam eine, damals durchaus diskutierte Leitlinie) an die Staatsanwaltschaften eines Lan- und seiner Persönlichkeitsrechte. Unterstellung unter das Innen-(d.h. Polizei)mi- des die besprochene Klarstellung vorzunehmen, nisterium nicht in Betracht. um die Staatsanwaltschaft aber auch den wei- Das Problem der Vorverurteilung und Stigma- sungsberechtigten Justizminister aus der Ecke tisierung eines Beschuldigten ist in unserer Ge- Die Nachteile der geltenden Regelung sind der Verdächtigung, für sachfremde Beeinflus- sellschaft und im Strafverfolgungssystem nach nicht so gravierend, dass eine Änderung zwin- sungen empfänglich zu sein, herauszuhalten. wie vor ungelöst. Die Aussage des Berichts der gend geboten ist. Der böse Anschein einer sach- Eine solche Regelung hätte zwar keinen Geset- Bundesregierung22, der auf einer Prüfungsbitte fremden politischen Einflussnahme auf die zescharakter aber doch den Vorteil, dass der Jus- des Bundestages im Jahre 1986 auf dem Höhe- Staatsanwaltschaften wird in jedem System an- tizminister eines Landes zu einer solchen Rege- punkt der ersten Parteispendenaffäre beruhte, zutreffen sein unabhängig von der Frage, ob das lung selbst befugt ist. »dass das gegenwärtige gesetzliche Instrumenta- Weisungsrecht in einzelnen Verfahren tatsäch- rium in StGB, StPO und GVG ausreichend sei, lich auch ausgeübt wird. Nach vorliegenden Er- Der Justizminister des Landes Nordrhein – um den Einfluss öffentlicher Vorverurteilung kenntnissen über die Weisungspraxis in einzel- Westfalen20 hat vor einiger Zeit entsprechende auf die Entscheidung wirksam zu reduzieren nen Verfahren in der Bundesrepublik Deutsch- Richtlinien entworfen und zur Diskussion ge- und dem von ihr Betroffenen verfahrensrecht- land ist festzustellen, dass, wenn überhaupt, nur stellt. lichen Schutz zu gewährleisten«, hat sich nach in ganz seltenen Fällen eine solche Einzelwei- den bisherigen Erfahrungen als nicht zutreffend sung erteilt wird.18 Dies schließt allerdings an- Eine Richt- oder Leitlinie der vorgeschlagenen erwiesen. Um so gewichtiger ist die Verpflich- dere möglicherweise sachfremde Einflussnah- Art, in der insbesondere Begriff und Umfang des tung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsver- men, die durchaus massiv sein können, etwa Rechtswillens und damit das genaue Ausmaß fahren, aus der ihr gebotenen Fürsorge und Fair- durch ständige Berichterstattung, Vorträge, Ak- der Weisungsabhängigkeit der Staatsanwalt- niss für die Rechte des Beschuldigten alles Mög- tenvorlagen u.a. nicht aus. Auch kann die deut- schaft präzisiert wird, kann dazu beitragen, die liche zu tun, um eine solche Vorverurteilung zu lich werdende Erwartungshaltung der vorge- Reputation und das rechtsstaatliche Ansehen vermeiden und die Vorläufigkeit der Vorwürfe setzten Dienststelle durchaus der Wirkung einer der Staatsanwaltschaft zu stärken, aber gleich- bis zur rechtskräftigen Verurteilung des Beschul- sachfremden Weisung gleich kommen, wenn zeitig das Verhältnis des Justizministeriums zur digten zu betonen. Auch hat sie nach Abschluss diese mit antizipiertem Gehorsam und nicht Staatsanwaltschaft aus dem Eindruck einer un- eines ( eingestellten ) Ermittlungsverfahrens im- mit der gebotenen kritischen Loyalität und Zi- sachlichen Einflussnahme herauszulösen, die mer zu prüfen, ob eine Rehabilitierungserklä- vilcourage entgegengenommen wird. Beide Sei- bei politisch brisanten Verfahren in der Öffent- rung für den Beschuldigten in Betracht kom- ten, Weisungsgeber wie Weisungsempfänger lichkeit mit der daraus gefolgerten Abhängigkeit men kann, um eine gelegentlich auch weiter an- sollten ihren Beitrag dazu leisten, dass es nicht entstehen kann. dauernde Stigmatisierung zu vermeiden. zu Missverständnissen und Missdeutungen kommen kann. 4.2 Staatsanwaltschaft im allgemeinen 4. Die Staatsanwaltschaft in der Öffent- gesellschaftlichen Diskurs Wichtig wäre allerdings im Verhältnis des Jus- lichkeit. tizministeriums zur Staatsanwaltschaft die Prä- Das Bewusstsein, dass alle gesellschaftlichen zisierung und Klarstellung des »Rechtswil- 4.1. Der Umgang mit den Medien Kräfte gebündelt werden müssen, um allgemei- lens«19, dessen Durchsetzung die Aufgabe der nen Problemen wie der Drogenkriminalität, der Staatsanwaltschaft und ihre Unterstellung unter Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft be- AIDS-Vorsorge, der wachsenden Gewaltbereit- das Justizministerium ist. Offensichtlich wird steht nicht nur in der Erfüllung ihrer sich aus schaft vor allem bei jungen Menschen, aber eine solche Klarstellung auch im europäischen dem Grundgesetz und den Pressegesetzen des auch der Zunahme von Korruption u.a. begeg- Raum als notwendig angesehen, wenn es in der Bundes und der Länder ergebenden Verpflich- nen zu können, hat in vielen Kommunen zur schon erwähnten Empfehlung Rec (2000)19 des tung, den Medien Auskunft zu erteilen, son- Bildung von allgemeinen Präventionsräten aber Ministerkomitees des Europarates zur »Rolle der dern auch darin, darzustellen, dass sie effektiv auch speziellen Drogen- oder Gewaltgesprächs- Staatsanwaltschaft in der Strafgerichtsbarkeit« und erfolgreich Strafverfolgung betreibt, gleich- runden geführt, an denen neben kommunalen unter Ziff. 13 heißt: »In den Ländern, in denen zeitig aber auch für Rechtsstaatlichkeit und Fai- Institutionen sinnvollerweise auch die Polizei die Staatsanwaltschaft von der Regierung ab- rnis sorgt. Die Reputation der Staatsanwalt- und die Staatsanwaltschaft teilnehmen. hängt oder ihr untersteht, trifft der Staat alle schaft hängt davon ab, wie sie sich darstellt Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Art und durch die Medien vermittelt wird. Es hat Es hat sich dabei als hilfreich erwiesen, dass und der Umfang der Befugnisse der Regierung früher unter Richtern und Staatsanwälten die die Staatsanwaltschaft als bisher ausschließlich gegenüber der Staatsanwaltschaft klar festgelegt weit verbreitete Auffassung gegeben, die Justiz auf die Repression ausgerichtete Institution werden.« habe sich nicht um ihr Image zu bemühen, sie auch bereit war und ist, sich über ihre eng defi- wirke allein durch ihre Entscheidungen und die nierte Aufgabe der Strafverfolgung hinaus in Da mit einer entsprechenden Klarstellung Hoheitlichkeit ihres Handelns. In der aktuellen diesen Gesprächsrunden zu öffnen. Sie kann durch den Gesetzgeber in Deutschland in ab- Medienwelt ist eine solche Einstellung nicht dort über ihre Erfahrungen berichten und sich sehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, bleibt nur ein mehr zeitgemäß und sinnvoll. Auch die Staats- zu der strafrechtlichen Relevanz eines Vorgangs

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äußern. Sie trägt damit der selbstverständlichen Vermehrung der personellen Ausstattung zu for- 9 vgl. auch den Vorschlag des Verfassers zu ei- Erkenntnis Rechnung, dass die Lösung oder Lin- dern. Mehr als bisher muss die Staatsanwalt- ner Art »Generalermächtigung« für die Polizei derung gesellschaftlicher Probleme nur im Zu- schaft ihre Kräfte bündeln und die vorhandenen in Kriminalistik 2004, S.753 ff sammenwirken aller gesellschaftlich verant- 10 vgl. hierzu auch den Aufsatz des Verfassers in Ressourcen gezielter einsetzen. Dazu gehören, AnwBL 5/98, S. 263ff und Matt/Ignor in Straf- wortlichen Kräfte erreicht werden kann, Prä- um aktuellen Kriminalitätslagen zu entsprechen, verteidiger 2002, S. 102ff vention immer Vorrang vor Repression haben durchaus auch Prioritätensetzungen, die dann 11 vgl. z.B. auch den Alternativentwurf zur Re- muss und zudem die Repression nur ultima ra- gegen das geltende Legalitätsprinzip nicht ver- form des Ermittlungsverfahrens, München tio sein kann. stoßen, wenn sie zeitlich begrenzt sind. Dazu ge- 2001, Beckverlag, S. 141ff hört weiter eine restriktivere Auslegung des »An- 12 Europarat, Empfehlung Rec ( 2000 ) 19 »zur Rolle der Staatsanwaltschaft in der Strafge- Die Staatsanwaltschaft sollte sich verstärkt in fangsverdachts«(§152 StPO), der ohnehin sehr richtsbarkeit« diese Gesprächsrunden einbringen ohne dabei niedrig schwellig ist25. Die bisher oft extensive 13 vgl. Beulke, Lehrbuch zum Strafprozessrecht, den gelegentlich anzutreffenden Eindruck zu er- Auslegung führt gelegentlich zu dem fatalen Ein- 4.Auflage, 2000, Rdnr. 84ff wecken, sie habe in diesem Bereich der Präven- druck, die Staatsanwaltschaft sei weniger eine 14 vgl. hierzu Rautenberg in DRiZ 2000, S. 141ff, tion eine wie immer geartete Entscheidungs – Strafverfolgungsbehörde als vielmehr der Om- Günther, DRiZ 2002, S. 55 und die Vorschläge oder Genehmigungskompetenz. Auch wird sie des Deutschen Richterbunds zu einer Reform budsmann oder Supervisor der Nation und für des Amtsrechts der Staatsanwälte in DRiZ darauf zu achten haben, von keiner Seite poli- jede Fehlentwicklung in der Gesellschaft zustän- 2003, S. 249ff tisch instrumentalisiert zu werden, was gele- dig. Auch sind die zu großzügige Annahme des 15 Kom Dokument ( 2001 ) 715 endg. 23 gentlich versucht wird. Anfangsverdachts und damit die Einleitung ei- 16 Vgl. Ziff. 13 der Empfehlung nes Ermittlungsverfahrens für den Betroffenen 17 Roxin in einem Festvortrag vom 1.10.96 zum 150jährigen Bestehen der Berliner Staatsan- mit vielfältigen und zumeist nachteiligen Folgen 5. Schlussbemerkung waltschaft, DRiZ 97, S. 109ff verbunden, die häufig in einem krassen Gegen- 18 vgl. das Interview des Justizministers von satz zu den Ermittlungsergebnissen stehen.26 Nordrhein-Westfalen in DRiZ 2002, S. 44 Es geht nach alledem darum, die Reputation der 19 Eine Klärung der Rechtstellung der Staatsan- Staatsanwaltschaft da, wo sie verloren gegangen Es ist aber auch klar, dass nicht alle Vorschlä- waltschaft wurde schon frühzeitig ange- ist, wiederherzustellen, zumindest sie in die mahnt, vgl. dazu Adolf Arndt und Eberhard ge, die der Erneuerung der Staatsanwaltschaft Schmidt in NJW 61, S. 1616 bzw. MDR 64, S. Nähe der Vorstellung zu bringen, die die Schöp- dienen und sie im Sinne einer leistungsfähigen fer der Staatsanwaltschaft vor über 150 Jahren 625 und rechtsstaatlichen Institution stärken sollen, 20 DRiZ 2002, S. 43 in Deutschland hatten. kostenneutral sein und die Verantwortung der 21 Zur Medienarbeit der Staatsanwaltschaften Politik ausklammern können. vgl. Huff in DRiZ 2003, S. 365 Auf dem Wege dorthin sollten die Schwächen 22 Bundestagsdrucksache 10/4608 gesehen werden, die sich zu einem großen Teil 23 vgl. den Aufsatz des Verfassers in »Rechtsstaat aus der Staatsanwaltschaft selbst ergeben, ihrem und Strafverfahren«, Schriftenreihe Deutsche Fußnoten Dienstleistungsbetrieb, dem Verständnis und Rol- Strafverteidiger e.V. , Band 25, Baden-Baden 2003, S. 91 1Promemoria der preußischen Justizminister lenverhalten der Staatsanwälte und Staatsanwäl- 24 Papier in NJW 2002, S. 2592ff von Savigny und Uhden vom 23.03.1846 tinnen und den Beziehungen zu anderen Verfah- 25 vgl. zur Problematik des Anfangsverdachts : 2 vgl. hierzu die Beiträge des Verfassers in Fest- rensbeteiligten und Institutionen. Viele dieser Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, schrift für Hanack, de Gruyter, Berlin 1999, S. Schriften zum Prozessrecht, Berlin 2003, Band Schwächen können durch eigene Anstrengungen 191ff und StrafFo 2002, S. 118ff 178 der Staatsanwaltschaft selbst überwunden wer- 3 vgl. BverfG vom 20.12.01 – NJW 2001, S.1121 26 vgl. Lange, Staatsanwaltliche Vorermittlun- den. Dienstaufsichts- und Fortbildungsmöglich- und den Kommentar des Verfassers hierzu in gen – ohne rechtliche Grundlage? In DRiZ keiten werden im Betrieb der Staatsanwaltschaft NJW 2001, S. 1396 2002, S. 264ff nicht so genutzt, wie es sein könnte, wobei bei 4 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ände- Dienstaufsicht weniger an Kontrolle und Über- rung des Rechts der Staatsanwaltschaft (STAÄG) von 1976 und Vorentwurf des BJM prüfung als vielmehr an Hilfe, Anleitung, Service zur Neugestaltung des Verhältnisses Staatsan- und Fürsorge zu denken ist. waltschaft – Polizei von 1979, vgl. hierzu auch Kriminalistik 1976, S. 545 Selbstverständlich gibt es im Betrieb der 5 Etwa durch die Abschaffung der gerichtlichen Staatsanwaltschaft auch viele Probleme, die Voruntersuchung, die Gewährung von nicht von ihr zu verantworten sind. Die perso- Zwangsbefugnissen (§161a StPO), die ständig nelle und sächliche Ausstattung ist Sache der erweiterte Möglichkeit der Verfahrenseinstel- lung gem. §§153ff StPO und die Beteiligung Exekutive und der Politik. Die insoweit bei der der Staatsanwaltschaft an den so genannten Staatsanwaltschaft bestehenden Mängel bei der neuen Ermittlungsmethoden wie dem Einsatz Erfüllung der staatlichen Justizgewährungs- verdeckter Ermittler gem. §110a StPO und im pflicht gehen zu Lasten des Staates, dessen Rahmen der Fahndung, § 131 StPO Pflicht es ist, »seine, das staatliche Gewaltmo- 6 vgl. E. Schmidt, Einführung in die Geschichte nopol besonders verkörpernde Justiz so zu orga- der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 1965, 3.Auflage, §289, S. 331 nisieren und finanziell auszustatten, dass sie ih- 7 vgl. Grosse in DRiZ 88, S. 53 rer verfassungsrechtlichen Verpflichtung effek- 8 Der Begriff »Herrin des Ermittlungsverfah- tiv zu entsprechen vermag. Kein Reformmodell rens« ist kein gesetzlicher Begriff, er stammt kann ihn davon befreien«24. aus der Kommentarliteratur. Dagegen waren die »Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft« Auch die Justiz und mit ihr die Staatsanwalt- in§152 GVG enthalten. Diese Vorschrift ist schaft werden gleichwohl die offenkundigen aber durch das 1. Gesetz zur «Modernisie- rung der Justiz« im August 2004 geändert gegenwärtigen finanziellen Nöte der öffent- und die »Hilfsbeamten der Staatsanwalt- lichen Hand zu berücksichtigen haben und des- schaft« durch Ermittlungspersonen« ersetzt halb davon absehen müssen, undifferenziert die worden

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Der Straftatbestand des Ausnutzens einer schutzlosen Lage des Opfers ist nicht zu unbestimmt. Das BVerfG zu §§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, Art. 103 GG, Bestimmtheitsgrundsatz und Grundsätze eines liberalen und rechtsstaatlichen Strafrechts – BVerfG, Beschluss v.1.7.2004 – 2 BvR 568/04 = NStZ 2005, 30 = NJW 2004, 3768 zu BGH 2 StR 351/03 = NStZ 2004, 440.

Monika Frommel

Sachverhalt: Vorgetragen wurde vom Beschwerdeführer, die und legte die Ausnutzungsvariante in BGH St Auslegung des neu eingefügten Merkmals ver- 45, 256 weit aus. Diese Rechtsprechung wird ie zum Tatzeitpunkt 9-Jährige Geschädigte stoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da mittlerweile trotz der kritischen Kommentie- begleitete den Angekl., ihren als LKW- eine lediglich gegen den Willen des Opfers rung in fast allen Kommentaren von allen Straf- DFahrer tätigen Groß-vater, im Jahre 2002 durchgeführte sexuelle Handlung keine Nöti- senaten (mit Einschränkungen beim 4. Strafse- in den Ferien bei Auslieferungsfahrten. Bei der gung sei. Gestützt auf die insb. von Fischer im nat) vertreten, vgl. BGH, NStZ 2004, 440. Aber ersten Tat begaben der Angekl. und die Geschä- Standard-Kommentar Tröndle/Fischer vertrete- der weltanschaulich geführte Kampf wurde den- digte sich nach dem Besuch eines Autobahn- ne, aber vom 2. Strafsenat, dem er vorsitzt, nicht noch – bis in die jüngste Vergangenheit – fortge- restaurants gegen 21:00 Uhr in den auf einem übernommene Doktrin, wonach eine Nötigung setzt. Autobahnparkplatz abgestellten LKW des An- begriffsnotwendig ein zweiaktiges Vorgehen gekl., um dort in zwei übereinanderliegenden voraussetze. Dieser angeblich unstreitige straf- Ohne das empirische Material zur Kenntnis zu Schlafkojen zu übernachten. Nachdem die sich rechtsdogmatische Begriff der Nötigung sei aber nehmen, das die Gesetzgebung 1997 zur Tatbe- mit einem T-Shirt und Slip bekleidete Geschä- vom Gesetzgeber bei der Neufassung des § 177 standserweiterung motiviert hatte, nämlich die digte eingeschlafen war, fasste der Angekl. den StGB im Jahre 1997 verwendet worden. Die Aus- spezifischen Rahmenbedingungen von Ohn- Entschluss die Abgeschiedenheit der Fahrer- legung durch die höchstrichterliche Rechtspre- macht und Dominanz in gestörten Geschlech- kabine zu nutzen und griff dem Kind unter das chung verstoße daher gegen den Wortlaut und terverhältnissen, begann umgehend nach der T-Shirt, streichelte ihre Brust und drückte diese damit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die- Einfügung der Ausnutzungsvariante in § 177 zusammen. Das deswegen erwachende Mäd- ser lautet: »Nötigen unter Ausnutzen einer Abs. 1 Nr. 3 ein m.E. nur vordergründig mit straf- chen entzog sich der Situation indem sie sich schutzlosen Lage«. rechtsdogmatischen Argumenten ausgetragener wegdrehte, woraufhin der Angekl. von ihr ab- Streit darüber, ob der erheblich weiter gefasste ließ. Tatbestand angemessen sei. Im Gegensatz zur Zur Vorgeschichte der Erweiterung des Nötigung oder dem Raub enthält der reformierte Bei der zweiten Tat, eine Woche später, näher- Tatbestandes in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB im Tatbestand der sexuellen Nötigung nämlich te sich der Angeklagte erneut unter Ausnutzung Jahre 1997 nicht nur die Nötigungsmittel »Gewalt« und der abgeschiedenen Lage dem Mädchen, das ge- »Drohung«, sondern eine weitere Variante, das gen 22:00 Uhr in der Schlafkoje im Begriff war Der neue Einheitstatbestand der sexuellen Nöti- Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Op- einzuschlafen. Wiederum drückte der Geschä- gung / Vergewaltigung trat nach mehr als zehn fers durch den Täter. Der Grund für diese Erwei- digte die Brust des Mädchen zusammen und griff Jahren und ziemlich ermüdenden Debatten im terung waren die in zahlreichen Strafverfahren ihr sodann unter ihre Leggin um zunächst an Juli 1997 in Kraft, welche heute in dieser Form der 1970er bis 1990er Jahre zutage getretenen der Scheide des Mädchens zu reiben und sodann undenkbar wären. Stein des Anstoßes war über Unstimmigkeiten, die damit zusammen hingen, zwei Finger bis zum Mittelgelenk in die Scheide Jahre der von der Rechtsprechung deliktspezi- dass eingeschüchterte Opfer sexueller Übergriffe einzuführen. Die sich im Halbschlaf befindliche fisch unterschiedlich ausgelegte Gewaltbegriff. sich nicht wehrten und ihre Passivität umschrei- Geschädigte erwachte und zog die Hand des An- Er wurde bei Sitzblockaden weit (§ 240 StGB) ben als »starr vor Schreck«. Die Beschuldigten gekl. aus ihrer Hose, der daraufhin von der Ge- und bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung (und ihre anwaltlichen Vertreter) deuteten dies schädigten abließ. sehr restriktiv gehandhabt. Auch konkludente als »Einwilligung« um, Gutachter bescheinigten Drohungen mit Gewalt wurden nicht angemes- damals sogar eine Art geschlechtsspezifische Si- Mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen sen berücksichtig, sondern als nur psychische tuationsverkennung, und die Revisionsgerichte wurde nicht die Verurteilung wegen sexuellen Beeinträchtigung abgetan1. Durch die Erweite- in den 1970–1990er Jahren tendierten dazu, der- Missbrauchs eines Kindes (unstrittig gegeben), rung des Tatbestandes der sexuellen Nötigung artige Konstellationen als »nur« psychische sondern nur die zusätzliche Verurteilung wegen schuf die Gesetzgebung nicht zuletzt deswegen Zwangslagen einzustufen, die weder unter den sexueller Nötigung beim ersten Übergriff sowie eine zusätzliche Tatmodalität, welche wie ein Gewaltbegriff noch den der Drohung mit einer die Annahme einer sexuellen Nötigung/Verge- Auffangtatbestand wirken sollte. Der BGH setzte gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben in waltigung beim zweiten Übergriff auf das Kind. unmittelbar nach der Reform dieses Ziel um §§ 177, 178 StGB a.F. zu subsumieren seien.

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RECHTSPRECHUNG

Nach empirischen Studien2 handelte es sich Aber wie so oft ist das erklärte Ziel der Reform Seiten des Täters eingesetzt werden, welches dabei immerhin um etwa die Hälfte aller Ermitt- 1997 klarer als die Begründung in den Gesetzes- dann den Nötigungserfolg herbeiführe – hier lungsverfahren und um etwa 20 % der durchge- materialien. Dort sind insbesondere keine Aus- das Dulden oder die Vornahme einer sexuellen führten Strafverfahren. Die Gesetzgebung änder- führungen darüber enthalten, ob das systemati- Handlung auf Seiten des Opfers (Wortlautargu- te daher die Anforderungen an die sexuelle Nö- sche Problem gesehen wurde, das sich daraus er- ment und systematisches Argument, begründet tigung und schuf eine flexibel zu handhabende gibt, dass normalerweise der Nötigungserfolg mit der begriffslogischen Struktur aller Nöti- Strafzumessungsnorm der Vergewaltigung (der (Beispiel: Wegnahme der Handtasche durch gungsdelikte). Da das Gesetz den Begriff des sog. Einheitstatbestand des § 177 Abs. 1 und 2, einen »Handtaschenräuber«) nicht mit der Nöti- »Nötigens« ausdrücklich im Zusammenhang mit welcher die §§ 177,178 a.F. ersetzte). Die Rechts- gungshandlung (heftiges Ziehen an der Tasche den ersten beiden Varianten von § 177 Abs. 1 prechung implementierte das Reformgesetz, leg- mit körperlicher Kraft, d.h. »Gewalt«) zusammen verwende, müsse dies auch für die dritte Varian- te die Ausnutzungsvariante also weit aus und fallen darf. Bei Sexualkontakten gegen den te gelten. Über die schutzlose Lage des Opfers provozierte in der strafrechtsdogmatischen Lite- Willen einer sich nicht wehrenden Frau ist es hinaus, sei daher eine eigenständige Zwangs- ratur begriffsjuristische Bedenken. Aus straf- aber schwierig, die Nötigungshandlung begriff- handlung seitens des Täters nötig7, anderenfalls rechtsdogmatischer Sicht könne sich eine »Nöti- lich von der erzwungenen sexuellen Handlung handele es sich lediglich um die bloße Missach- gung« begrifflich nicht in einer bloßen Willens- abzugrenzen, da zwar der erzwungene Beischlaf tung des entgegenstehenden Willens eines ande- beugung erschöpfen, sondern müsse zweiaktig »körperliche Kraft« kosten mag, diese aber wäh- ren, was aber noch keine Nötigung darstelle8. erfolgen, d.h. zunächst müsse der Täter mit Ge- rend, nicht davor entfaltet wird, wenn es gelingt, Darüber hinaus argumentiert diese Position walt oder Drohung auf das Opfer einwirken und das Opfer zur Duldung zu bewegen. Folglich gibt noch mit Blick auf eine sachgerechte Abgren- dann den Nötigungserfolg herbeiführen. Insbe- es eine Vielzahl von Fallkonstellationen, bei de- zung zu den Missbrauchsdelikten (§§ 176 und sondere Fischer, der Kommentator des am häu- nen die Doktrin der »begriffsnotwendigen« 179 StGB) systematisch. § 176 StGB laufe leer, da figsten benutzten Kurzkommentars (Tröndle/ Zweiaktigkeit der Nötigung in Schwierigkeiten beim Verzicht auf eine eigenständige Nöti- Fischer), machte sich stark für eine dieser Dok- geraten muss, man denke nur an überraschende, gungshandlung kaum Fälle des sexuellen Miss- trin folgenden Korrektur des Gesetzes durch Aus- überrumpelnde und solche Handlungen gegen brauchs von Kindern denkbar seien, in denen legung, fand aber innerhalb den BGH Richterin- den Willen eines zur Gegenwehr nicht fähigen nicht zugleich auch eine sexuelle Nötigung ge- nen und Richter keine Mehrheiten. Gegen ihn Opfers. Dem sexuellen Übergriff geht eben in geben sei, da diese Taten typischerweise gegen wurde (in seinem eigenen Senat) insbesondere etwa 50 % aller Fälle keine vorherige Gewalt vor- den Willen der Opfer und in Abwesenheit ande- ausgeführt, dass die Gesetzgebung schließlich aus und auch keine explizite Drohung (mit Leib- rer Personen, also in einer schutzlosen Lage, genau diese Doktrin für den Spezialfall der se- und Lebensgefahr). Zwar hätten gutwillige Ge- vollzogen werden9. Allerdings lässt diese zweite xuellen Nötigung habe ändern wollen (histori- richte in solchen Konstellationen mit der Kon- Argumentation zweierlei außer Acht: Zum einen sche Auslegung). Denn schließlich hätten vor struktion einer konkludenten Drohung operie- ist das von § 176 StGB geschützte Rechtsgut ein der Reform 1997 eine große zahl von Kritiker ren können, aber sie haben dies nicht getan und abstraktes Gefährdungsdelikt, es untersagt so- moniert, dass die Rechtsprechung bei den se- außerdem hilft auch eine solche Argumentation mit jeden sexuellen Kontakt mit Kindern, nicht xuellen Gewaltdelikten – gegen ihre Tendenz bei nicht immer weiter, insbesondere dann nicht, nur »unerwünschten«, eine Willensbeugung des der einfachen Nötigung und auch beim Raub – wenn das Opfer ohnehin dem Zugriff des Täters Kindes ist daher gerade nicht erforderlich. Zum einen deliktspezifisch zu eng ausgelegten Ge- schutzlos ausgeliefert ist, also gar nicht mehr anderen war schon vor der Einführung des waltbegriff benutze. Diesen abzuschaffen sei u.a. »konkludent« bedroht werden muss4. § 177 Abs. 1 Nr.3 StGB allgemein anerkannt, der Sinn der Reform gewesen, so dass sich nun dass bei erzwungenen Sexualkontakten mit Kin- eine Korrektur des gesetzgeberischen Willens Die Beschwerdeführer der abgewiesenen Ver- dern sexuelle Nötigung und sexueller Mis- verbiete. Im übrigen gibt auch Fischer die Unan- fassungsbeschwerde wollen alle diese Konstella- sbrauch von Kindern tateinheitlich vorliegen10 gemessenheit der Rechtsprechung zu den begrif- tionen, in denen keine brachiale Gewalt ausge- und sich nicht etwa ausschließen. fen der Gewalt und der Drohung in § 177 Abs. 1 übt und nicht explizit gedroht worden ist, das Nr. 1 und 2 StGB zu (seit der Übernahme der Opfer auch nicht aus Angst vor weiteren körper- Die herrschende Meinung in der Rechts- Kommentierung in der 49. Aufl. 1999). Aber er lichen Angriffen passiv bleibt, unter den Begriff prechung (und zumindest die Literatur, welche wollte die von der Rechtsprechung geschaffenen des sexuellen Missbrauchs subsumieren, wissend spezialisiert zum reformierten Sexualstrafrecht Lücken auf eine andere Weise schließen – durch dass immer dann, wenn das Opfer kein Kind gearbeitet hat, etwa neben den schon genannten allmählichen Rechtswandel. mehr und auch nicht so behindert ist, dass es Autoren das Lehrbuch von Laubenthal) geht über § 179 StGB geschützt wird, neue Lücken demgegenüber davon aus, dass die Gesetzge- Zur Erklärung des Vorwurfs, der Gewaltbe- auftreten werden. Durch den Beschluß des bung bewusst keinen für alle Nötigungsde- griff sei bei Sitzblockaden weit (bis zur Korrek- BVerfG ist dieser Streit nun vorläufig beendet, likte geltenden weiten Begriff der Gewalt tur der sog. Läpple-Entscheidung BVerfGE 73, was meint, dass die wichtigste Teilreform der Se- und Drohung normieren wollte (verworfen 206 durch BVerfGE 92, 1) und bei sexuellen xualdelikte zu einer nicht mehr rechtlich an- wurde etwa der Vorschlag, im Wege einer Legal- Übergriffen eng ausgelegt worden, sei an die greifbaren höchstrichterlichen Rechtsprechung definition den Gewaltbegriff zu erweitern). Man Kontroversen in den 1980er Jahren erinnert, die geführt hat. hat sich stattdessen darauf beschränkt hat, die sich immer wieder an vom BGH bestätigten spezifische Situation von Opfern sexueller spektakulären Freisprüchen entzündet hatten, Übergriffe zu verbessern, ansonsten aber die etwa dem sog. Wuppertaler Lehrherrn-Fall, ei- Anmerkung: hohen Anforderungen an die finale Verknüp- nem erzwungenen Beischlaf in einer vom Ange- fung von Gewalt und Nötigungserfolg zu belas- klagten herbeigeführten Zwangslage, um ein Die Beschwerdeführer stützen sich auf eine sen. Die Berufung auf irgendwelche sachlogi- noch sehr junges und von ihm abhängiges Mäd- Mindermeinung, welche sich bisweilen wie schen Strukturen eines deliktsunspezifischen chen gefügig zu machen. Angesichts der erkann- eine hM präsentiert, schon deshalb weil so gut Nötigungsbegriffes, der zwingend voraussetze, ten Aussichtslosigkeit von Gegenwehr, entschied wie alle namhaften Kommentare ihr folgen.5 dass die Nötigungshandlung und der Nötigungs- sich die junge Frau, wenigstens auf die Emp- Danach müsse auch nach der Reform die sexu- erfolg auch bei § 177 StGB begrifflich sauber zu fängnisverhütung zu achten. Diese minimale elle Nötigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB trennen sei, ist daher äußerst fragwürdig. Im Kooperation ließ nach Ansicht der Gerichte »Ge- »zweiaktig« konstruiert werden.6 Zunächst müs- übrigen kann es nun einmal sein, dass auch eine walt« entfallen.3 se eines der spezifischen Nötigungsmittel auf Gewalthandlung, wenn sie überraschend erfolgt

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und dem Täter sofort eine körperliche Berüh- tive subsumiert werden, kann eine verstärkte 232; dies. »Rechtsprechung statt Rechtsverwei- rung ermöglicht, welche als Nötigungserfolg im Kontrolle von nicht brachial gewaltförmigen gerung«, NK 3/1993, 22. Sinne der sexuellen Nötigung (sexuelle Hand- sexuellen Nötigungen mit strafrechtlichen Mit- 4 Aber sie gingen dann ein Risiko ein, von Revi- sionsrichtern aufgehoben zu werden. Selbst lung) gelten muss, einaktig ist (überrumpelnde teln angemessen und effektiv sein. zur Ausnutzungsvariante wiederholt sich die- sexuelle Übergriffe mit physischer Kraftentfal- ses Muster beim 4. Strafsenat in seiner Ent- tung). Dasselbe gilt für konkludente Drohungen Wie so oft ist die höchstrichterliche Rechts- scheidung vom 1.07. 2004 – BGH NStZ, 2005, gegenüber eingeschüchterten Opfern. Alles dies prechung (noch) nicht ganz einheitlich. Der 267. Auch Susanne Folkers unterschätzt die war der Gesetzgebung 1997 bekannt und sie hat 4. Strafsenat des BGH höhere Anforderungen Probleme, die Instanzgerichte vor der Reform hatten und meint in ihrer auch sonst auffal- – gestützt auf empirische Studien – bewusst (zumindest an die tatrichterliche Begründung) lend wenig sorgfältig gearbeiteten Anmerkung 13 einen weiten Begriff der sexuellen Nötigung for- als die übrigen Strafsenate . Auch so gesehen ist eine Ehrenrettung für die Rechtsprechung ver- muliert und diesen als 3. Alternative in dieser Beschluss möglicherweise für die künftige gangener Zeiten liefern zu müssen, dies, NStZ § 177 Abs. 1 eingefügt. Dies bedeutet, dass je- Umsetzung des weiten Tatbestandes der sexuel- 2005, 181 ff, 183 linke Sp. oben. denfalls sexuelle Nötigungen – je nach Vorge- len Nötigung wichtig. Aber nicht verschwiegen 5Mit Ausnahme der Kommentierung im Münch- hensweise des Täters – zwei- oder einaktig sein werden soll auch an dieser Stelle, dass es mittler- ner Kommentar (Renzikowski) und im Nomos- 11 Kommentar (Frommel). Staatsanwältin Folkers können. Zur Verwirklichung des Ausnutzungs- weile Regelungsbereiche gibt, in denen Straf- hat dementsprechend auch in ihrer Bespre- tatbestandes genügt daher bereits die Vornahme recht nur noch als (Schein)Lösung für struktu- chung (NStZ 2005, 181 ff.) den Eindruck, als einer sexuellen Handlung gegen den Willen des relle Probleme eingesetzt wird. Aus diesem habe der BGH NStZ 2004, 440 und das BVerfG Opfers in einer körperlich wirkenden Zwangs- Grund dokumentieren wir in diesem Heft auch eine alte Tradition (in ihren Augen »ohne lage (unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage). eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Not«) beendet. In Wahrheit hat der BGH so- Einer darüber hinausgehenden gesonderten Nö- der sog. »Zwangsprostitution«, ein moralisch fort nach der Reform in BGH St 45, 253 ff. die Ziele der Reform umgesetzt. Die herkömmli- tigungshandlung bedarf es demnach nicht, diese aufgeladener Begriff, der in jüngster Zeit zuneh- chen Kommentare versuchten zwar diese Ten- erschöpft sich vielmehr in der Vornahme der mend dazu benutzt wird, um eine – aus welchen denz zu unterlaufen, aber ohne Erfolg, vgl. sexuellen Handlung in einer Zwangslage gegen gründen auch immer – unerwünschte Arbeits- hierzu im einzelnen Frommel, Nomos-Kom- den Willen des Opfers. Verlangt wird also auch migration (in nahezu willkürlich herausgegriffe- mentar zum StGB 2001 und 2. Aufl. 2005 zu § bei der Ausnutzungsvariante ein körperlich wir- nen Fällen) zu kriminalisieren. Auch hier wird 177, insb. Rdnr. 1, 6 ff., 20 ff., 48 ff (der 2. Aufl.). kender Zwang. Ausgeschlossen sind Fälle, in de- mit einem extrem weiten und konturlosen Be- 6 Fischer, NStZ 2000, 142 (143) und seit der 49. nen das Opfer – ohne um sein körperliches Wohl griff der »Ausnutzung einer Zwangslage« gearbei- Aufl. des Tröndle/Fischer, StGB, vgl. dort 52. besorgt zu sein, lediglich zur Vermeidung von tet (so in § 232 in der Fassung vom 19.02.2005, Aufl. (2004) § 177, Rn. 46; ihm folgen Schön- sozialen Nachteilen – einen an und für sich der gerade nicht erzwungenen, sondern nur or- ke/Schröder-Lenckner/Perron, StGB, 26. Aufl., nicht erwünschten Sexualkontakt über sich er- ganisierten Vermittlung in die Prostitution). Ge- (2001), § 177, Rn. 11 und Güntge, NJW 2004, gehen lässt. Diese können aber unter den Verge- leugnet wird hier nicht ein Regelungsbedarf, S. 3750 ff., 3752. Folkers a.a.O. folgt den ge- nannten Autoren, aber sie scheint die Ent- henstatbestand des § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB (etwa aber es stünden andere und effektivere rechtli- scheidung falsch zu verstehen. Gegenstand bei einer Drohung mit einem empfindlichen che Instrumente zur Verfügung (EU-Arbeits- war nicht die Fallgruppe des Missbrauchs einer Übel) fallen.12 Insgesamt ergibt dies ein abge- recht) zum Schutz abhängig arbeitender Migran- Schlafenden, da das Mädchen aufgewacht ist, stuftes System von Straftatbeständen, welche je tInnen. Offenbar verführen weit gefasste Tatbe- die sexuelle Handlung also bewusst erlebt hat. nach Konstellation eine angemessene Interven- stände in einem akzeptierten Regelungsbereich 7 Tröndle/Fischer § 177 Rn. 39 und 46. tion erlauben. zu »mehr vom selben« in höchst fragwürdigen 8 So auch Graul, JR 2001, S. 117, 118. 9 Güntge a.a.O. S. 3751; ähnlich Tröndle/Fischer 14 Kontexten. Aber dies ist ein anderes Kapitel . Rn. 37. Das BVerfG stellt nun fest, dass die weite 10 So schon BGH bei Dallinger, MDR 74, 546. Seit Auslegung der 3. Alternative nicht den mög- dem 1.04.2004 gilt dies auch für das Zusam- lichen Wortsinn des Wortes »Nötigen« über- Fußnoten mentreffen von Missbrauch Widerstandsun- schreitet und der Tatbestand der sexuellen Nöti- fähiger und sexueller Nötigung. 1 Im jüngsten Heft der NStZ kann man nachle- 11 So explizit BGH NStZ 2004, 440; NK-Frommel, gung dadurch weder konturlos noch unbe- sen, wie hoch der 4. Strafsenat am 1.07.2004, 2001 § 177, Rn. 21f und 45 ff.; in der dem- stimmt wird. Dabei lässt es bewusst offen, ob die d.h. zeitgleich mit der Entscheidung des nächst erscheinenden 2. Aufl., 2005, wird der höchstrichterliche Rechtsprechung »richtig« ist. BVerfG, die Anforderungen schrauben wollte, spezifische Begriff der sexuellen Nötigung prä- Sie verstoße aber jedenfalls nicht gegen das Be- und eine Seite weiter ist eine BGH-Entschei- zisiert. Danach muss die Ausnutzungsvariante stimmtheitsgebot. dung zum alten Recht abgedruckt, BGH NStZ als eine Form des körperlich wirkenden 2005, 268, welche alles bestätigt, was ich 1993 Zwangs interpretiert werden, um sie von diffu- als »Rechtsverweigerung« charakterisiert habe: sen Zwangslagen zu unterschieden, bei denen Nach der hier vertretenen Sicht macht es Frommel, Die höchstrichterliche Rechtspre- das Opfer lediglich soziale Nachteile befürch- durchaus Sinn, in einer so klar definierbaren Tä- chung zur Vergewaltigung und sexuellen Nöti- tet. ter-Opfer-Situation auch diffuse Zwangssituatio- gung — unverfroren und unbeirrbar, in: Vom 12 Entschieden vom BGH NStZ 2003, 534 = NJW nen zu erfassen, wenn entweder körperlich wir- Guten, das noch stets das Böse schafft, Böllin- 2003, 2250. Das Opfer muss sich also aus Sor- ger/Lautmann (Hrsg.), 1993; dies., Rechtspre- ge um sein körperliches Wohl dem Ansinnen kender Zwang oder eine Drohung (ggf. nur im chung statt Rechtsverweigerung, NK 1993, 22. Sinne des Vergehenstatbestandes § 240 Abs. 4 Nr. des Täters beugen. Ein struktureller Gewaltbe- 2 Udo Steinhilper zeigte 1986, dass etwa in der griff wird auch mit der Reform 1997 nicht 1 StGB) vorliegt. Nur dann kann das sexuelle Hälfte aller Ermittlungsverfahren die damals konstruiert. Selbstbestimmungsrecht symbolisch gestärkt gültigen §§ 177, 178 StGB a.F. sehr eng ausge- 13 BGH NStZ 2005, 267 (zur Vergewaltigung ei- und eine »Verhandlungsmoral« auch gegen die- legt worden sind und deshalb schon bei der ner Schutzbefohlenen im familiären Bereich). jenigen, die noch in alten Kategorien denken, Anklageerheung Schwierigkeiten bereitet ha- 14 Beiträge in diesem Heft zum Menschenhan- ben, so dass es im Vergleich zu anderen Delik- del. durchgesetzt werden. Sofern also der erweiterte ten deutlich überhöht zu Einstellungen nach Tatbestand der sexuellen Nötigung nicht ausu- § 170 Abs. 2 StPO (fehlender Tatnachweis) fernd ausgelegt wird und sichergestellt ist, dass kam, vgl. hierzu die ausführliche die Rezen- Entscheidungen in diffusen Zwangsla- sion von Frommel MSchrKrim 70/1987, 120f. gen, insb. in ökonomischer oder sozialer 3 Ein ehemaliger Bundesrichter verteidigte die Abhängigkeit nicht einfach als »Willensbeu- BGH-Entscheidung in der ZRP, Frommel repli- zierte: Mösl, ZRP 1989, 49, Replik in: ZRP 1989, gung« umgedeutet und unter die dritte Alterna-

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REZENSIONEN

Joachim Kersten über sen Szenen bedingt die heutigen schön funktioniert hat wie in den tions and Answers About Prison Re- Polizeilehrfilme Heiterkeitsausbrüche. Filmsequenzen. Das Polizei- form, in: The Public Interest 35, Zunächst führen die Autoren in liche Gegenüber (IV.) wird im Osten 1974, 22–54) keinesfalls um eine In vielen Ländern und Großstädten das Genre Polizeilehrfilm ein. Dieses (1976) zum Objekt der »Erziehungs- Rechtfertigung des Strafvollzuges. gibt es Polizeimuseen. Aber wer ein Mittel der Aus- und Fortbildung diktatur« DDR (S. 54): der nachläs- Er glaubte vielmehr, Argumente für Polizeimuseum besucht hat, kann nutzte schon die preußische Polizei sig oder vorsätzlich handelnde Um- dessen Abschaffung oder weitge- sich eigentlich den Eintritt für wei- in den 20er Jahren des vergangenen weltsünder, Ruhestörer, Vandale hende Vermeidung zu liefern. Er- tere Museumsbesuche dieser Art Jahrhunderts und insofern liefern und Alkoholiker. Die rigide Anwen- gebnis der von ihm dargestellten sparen (you’ve seen one, you’ve seen’ die Polizeilehrfilme Daten für eine dung von Stigmatisierungen durch Sekundäranalyse zur Wirksamkeit em all): Uniformen, historische und longitudinale Analyse der Ord- die sozialistischen Kontrollorgane von Behandlungsprogrammen für moderne Polizeiwaffen, Tatmittel, nungsmacht im Staat. Unterschie- zeigt gelegentlich die Kontinuitäten Straftäter war gerade nicht, dass berühmte Kriminalfälle…, nach ca. den wird zwischen dem Lehrfilm als zur Polizei vor 1945, obwohl man sich Behandlungsprogramme gene- einer halben Stunden hat man in eigentlichem Medium der Ausbil- der DDR Polizei nicht den Vorwurf rell als nutzlos und unwirksam er- der Regel das Wesentliche gesehen. dung von Polizisten und dem poli- machen kann, dass sie in ihren Rei- wiesen haben. Vielmehr fanden Ein Polizeimuseum der ganz ande- zeilichen Lehrfilm für die Allge- hen so viele Nazi-Polizisten unterge- sich Belege für die Austauschbarkeit ren Art ist der in der Stadt Münster meinheit. Die Befassung mit den aus bracht hat wie die Länderpolizeien konventioneller Formen von Be- gelegene ehemalige Sitz der Dienst- Archiven geretteten Filmen ist für des Westens. Die Westbeispiele zei- strafung durch ambulante sowie be- stelle des Befehlshabers der Ord- das Team der Villa ten Hompel ein gen das polizeiliche Vorgehen gegen handlungsorientierte Maßnahmen. nungspolizei im Wehrkreis VI, von Projekt des Lernens im Zusammen- »Rocker« anlässlich des Konzerts der Letztendlich wurde »Nothing wo während der Zeit der national- hang und anhand des Vergleichs: Beatles in Hamburg (1966) und die works«, ganz entgegen den Interes- sozialistischen Herrschaft Polizei- Welche Leitbilder erkennt man heu- dortigen Polizeikräfte im Umgang sen des Erfinders, zum Schlachtruf einsätze in den besetzten Gebieten, te in den jeweiligen Entwürfen der mit der Hausbesetzung in der all jener, die sich gegen eine Auf- unter anderem auch Transporte in vorbildlichen Polizei und was haben Ekhofstrasse (1973). weichung des Strafvollzugs durch die Vernichtungslager organisiert diese mit den gesellschaftlichen und Das Buch gibt Informationen Behandlung und Therapie ausspra- wurden. Wer dieses Museum, den politischen Vorgaben zu tun, in de- zum jeweiligen Filminhalt und lie- chen und Vergeltung und Siche- »Geschichtsort Villa ten Hompel« nen sie entstanden sind? fert Vorschläge wie die Lehrfilmbei- rung als dessen Ziele ansahen. besucht hat, wird das Wort Polizei- Die Filmsequenzen sind zwischen spiele didaktisch umgesetzt werden Nicht die Rechtfertigung des Straf- museum mit einem gänzlich ande- drei und achtzehn Minuten lang können. Es ist für Fortbildner, Aus- vollzuges wurde in Zweifel gezogen, ren Inhalt, darunter einer engagier- und in vier Bereiche unterteilt. Un- bilder und Studierende der Polizei sondern jene von ambulanten Al- ten didaktischen Gestaltung ver- ter der Überschrift Polizei und Poli- eine Fundgrube der besonderen Art, ternativen und Behandlungspro- binden können. tik (I.) beseitigt die Vopo 1976 eine für allgemein Interessierte ein aus- grammen. Mit der üblichen Verspä- Der hier besprochene Band, wur- Störung durch Rowdys, allerdings gezeichneter Einblick in Stationen tung gelangten »Nothing works« de herausgegeben von der Villa ten nur sehr abstrakt, während im West- der Polizeigeschichte in den deut- und die damit verbundene Debatte Hompel, die Autoren sind Stefan en der NPD-Parteitag von 1968 in schen Nachkriegsstaaten. auch nach Deutschland. Hier setzte Noethen und Volker Pade. »Bürger, Siegen handfest gegen Protestde- der Trend zu ambulanten Maßnah- Rowdys und Rebellen« enthält eine monstranten gesichert werden soll. Prof. Dr. Joachim Kersten ist Mither- men und alternativen Sanktionsfor- zeithistorische Analyse der Polizei In der Ost-Abteilung Polizeiliches ausgeber dieser Zeitschrift men erst später ein, konnte ein der deutschen Nachkriegszeit an- Selbstverständnis (II.) geht es um Stück weit von der Diskreditierung hand des von ihr in Form von das »Auskunftsersuchen«. Filmfans Stefan Noethen und Volker des Strafvollzuges und der dortigen Lehrfilmen produzierten Selbst- können hier den Schauspieler Klaus Pade/Geschichtsort Villa ten Resozialisierungsbemühungen pro- bilds. Polizeien, schreibt die Poli- Tilsner (der Straßenbahnschaffner Hompel (hrsg. von Alfons Kenk- fitieren. Aber auch in der Bundesre- zeiforschung, entwickeln sich mit im Oscar-preisgekrönten Kurzfilm mann/Christoph Spieker): Bür- publik setzte sich weniger die Er- der Geschwindigkeit von Glet- »Schwarzfahrer« von Pepe Dan- ger, Rowdys und Rebellen – kenntnis von der Austauschbarkeit schern. Und so ermöglicht die vor- quart) als Offizier der Volkspolizei Deutsche Polizeilehrfilme in der unterschiedlichen Sanktionsfor- liegende Untersuchung anhand der sehen, der die Auftritte von VP- West und Ost. Münster 2004, 90 men durch, als der Glaube an die auf der mitgelieferten DVD Film- Meister Steinert kommentiert. Letz- Seiten inklusive mitgelieferter Wirkungslosigkeit aller Bemühun- ausschnitte einen lebendigen Ein- tere (gefilmt 1977) entsprechen, so DVD mit Filmbeispielen gen der Beeinflussung von Straftä- blick von früheren Stationen der der Begleittext, eher dem polizei- tern und ihrer Verhaltensmuster. Geschichte der Polizei der BRD und lichen Selbstbild der Kaiserzeit als der Volkspolizei der DDR. Und ge- dem einer demokratischen Polizei Cornel/ Nickolai (Hg.): What works? Knapp 30 Jahre nach Martinson’s treu dieser Metapher vom »Glet- (S. 31). Anders der West-Ausschnitt Nothing works? Veröffentlichung veranstalteten die scher« lassen sich in beiden Teilen »Büttel oder Bürger in Uniform« Katholische Bundesarbeitsgemein- Deutschlands in den Entwürfen von 1965, der Zeugnis von den be- Das Schlagwort »Nothing works«, schaft Straffälligenhilfe und die des polizeilichen Selbstbilds nicht reits einsetzenden Verwerfungen im prägte die kriminalpolitische De- Evangelische Konferenz für Straf- nur Brüche, sondern auch fließen- polizeilichen Selbstverständnis, hier batte in den USA für Jahrzehnte. fälligenhilfe im Jahr 2003 eine Fach- de Übergänge von der Polizei als in Nordrhein-Westfalen, abgibt. Un- Behandlungseuphorie und Experi- woche mit dem Titel »What Obrigkeitsstaatsorgan zu einer eher ter »Polizei und Bürger« (III.) findet mentierfreudigkeit der frühen 70er works?«, die Referate dieser Ver- am Bürger orientierten Ordnungs- sich die ungewollt komisch erschei- Jahre machten einer großen Er- anstaltung liegen inzwischen in macht beobachten. Die Filmbei- nende 1965er BRD-Version polizei- nüchterung Platz, die Kriminalpoli- einem von Heinz Cornel und Wer- spiele von der Polizei des Arbeiter- licher Pop-Psychologie: Wie der vor- tik wurde zunehmend punitiver, ner Nickolai veröffentlichten, und Bauernstaats bringen den Zu- bildliche Polizist mit dem weniger der Resozialisierungsgedanke vom gleichlautenden Band vor. Mit dieser schauer gelegentlich zum Lachen, vorbildlichen Bürger reden soll, um Vergeltungsprinzip verdrängt. Da- Veranstaltung wurde der Abschied produziert wurden sie sicherlich im dessen Einsicht bzw. Unterordnung bei ging es R. Martinson, auf den der Straffälligenhilfe von der pessi- Geist preußischer Humorlosigkeit. zu erreichen. Man fragt sich, ob das das Schlagwort zurückzuführen ist, mistischen Überzeugung »Nothing Das Gestellte bis Gestelzte an die- in der Praxis auf der Straße jemals so (R. Martinson: What works? Ques- works« und deren »dramatische[n]

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Folgen für die Motivation und das Im folgenden Beitrag wird die beschreibt Kersten einen Besuch in rungen. Unterschiedliche Formen Berufbild« (S. 8) der Praktiker einge- Frage »What works?« auf alle Berei- einer japanischen Erziehungsanstalt. der Strukturierung werden einander läutet. Der Straffälligenhilfe war zu- che der Kriminalprävention ausge- Eindrücke und Irritationen aus die- gegenübergestellt. Zwischen den vor nur der Trost geblieben, »dass weitet. Dieter Rössner befasst sich sem exotischen Umfeld werden dazu Zeilen lässt sich herauslesen, welche man zumindest etwas Humanität mit der nachgewiesenen kriminal- verwendet, gängige Praktiken im ei- Animositäten zwischen Befürwor- verbreite, Krisenintervention be- präventiven Wirkung unterschied- genen Land zu hinterfragen. Kersten tern von Therapie und Training be- treiben könne und Schlimmeres ver- lichster Programme. Er betont die betont die Bedeutung integrativer ge- stehen und wie Effektivität und Effi- hüte« (S. 8). Wenn dagegen nun Wirksamkeit einer Stärkung der in- sellschaftlicher Normen und plädiert zienz im Konkurrenzkampf zu ent- doch resozialisierende Wirkungen formellen Kontrolle und sieht die für einen entspannteren Umgang scheidenden Argumenten werden. nachweisbar erscheinen, lässt dies Relevanz von formell-strafrecht- mit Formen abweichenden Verhal- Pecher plädiert mit der Psychothera- nicht nur auf einen Motivations- licher Kontrolle vor allem »im Zu- tens. Von zentraler Bedeutung ist pie für einen nicht wirklich neuen, schub bei Praktikern hoffen, son- sammenspiel mit der informellen »Achtsamkeit« im Umgang mit Per- aber bewährten Ansatz, kann aber dern auch auf eine Neudefinition Kontrolle« (S. 40). Als erfolgver- sonen und Sachen oder – um einen überraschenderweise wenig empiri- des Berufsbildes. Mit dem Anliegen, sprechende Maßnahme gegenüber in der sozialen Arbeit gebräuchliche- sche Belege für dessen Wirksamkeit »neue Ansätze der Straffälligenhilfe identifizierten Straftätern hebt ren Begriff zu verwenden – der Bezie- nennen. Der Vergleich von Therapie auf dem Prüfstand zu präsentieren« Rössner den Täter-Opfer-Ausgleich hungsaspekt. Kersten kritisiert man- und Training fällt insofern etwas un- (S. 9), verfolgte die Fachwoche somit hervor, in dem sich »präventive gelnde Wertschätzung der geleiste- fair aus, als die unterschiedlichen ein recht ambitioniertes Ziel. Notwendigkeit der strafrechtlichen ten pädagogischen Arbeit, findet Sichtweisen bezüglich Tat und Täter Intervention und konstruktive aber auch kritische Worte für be- nicht thematisiert und das psy- Im ersten Beitrag erläutert Ger- Konfliktregelung mit sozialen Lern- stimmte Formen von Sozialpädago- choanalytische Modell der Wirklich- hard Spiess den »Stand der interna- möglichkeiten« (S. 41) gut zu- gik und Jugendhilfe. Kersten bietet keit stillschweigend vorausgesetzt tionalen Wirkungsforschung zu sammenfügen. Allerdings kann er in seinem Beitrag Praktikern eine wird. Strafe und Behandlung im Strafvoll- wenig empirische Belege für die außergewöhnliche Möglichkeit, über zug« (S. 12). Ausgehend von Mar- Wirksamkeit des TOA präsentieren. den eigenen Tellerrand zu blicken. Grit Jokschies stellt in ihrem Bei- tinson’s Aufsatz und dessen Rezep- Rössner geht in seinem Überblicks- trag das zur Zeit in Berlin umgesetz- tion befasst er sich mit Straftheorien artikel auf eine schillernde Vielfalt Enger an der Fragestellung der Ta- te Trainingsprogramm »Denkzeit« und deren historischer Entwick- von Programmen und Ansätze ein, gung orientiert sich der Beitrag von vor und tritt somit als Vertreterin lung. Soll Strafe nicht bessern, kann von Boot-Camps, über kriminalprä- Helmut Kury, der sich mit den Mög- der Gegenseite auf. Sie geht sowohl eine fehlende resozialisierende Wir- ventive Räte, Programme gegen lichkeiten beschäftigt, die Frage auf die Hintergrundannahmen zur kung den Strafvollzug nicht delegi- häusliche Gewalt bis hin zur Video- »What works?« zu beantworten: Entstehung von jugendlicher Delin- timieren, sind die »ent-sozialisieren- überwachung bleibt nichts ausge- »Woher wissen wir, was wirkt?« (61). quenz ein, als auch auf die konkrete den Wirkungen des Strafrechts [...] spart. Dabei liegt sein Schwerpunkt Formen der Evaluation werden auf- Umsetzung eines Trainingspro- nicht systemwidrig« (S. 17). Die auf dem Bereich der primären und gezählt und Rahmenbedingungen gramms für Jugendliche und den Frage »What works?« wird nur dann sekundären Prävention. erfolgreicher Evaluationsforschung Ablauf der jeweils 40 Sitzungen. Das relevant, wenn Resozialisierung als benannt. Kury macht deutlich, wie Programm zielt auf die Vermittlung Vollzugsziel proklamiert wird, wie Joachim Kersten’s Beitrag besteht schwierig es ist, kriminalpolitische bestimmter sozialkognitiver Fähig- dies in der Bundesrepublik der Fall aus zwei Texten, die unverbunden Maßnahmen und Programme zu keiten, deren fehlende Ausprägung ist. Gestützt auf die internationale nebeneinander stehen und bereits evaluieren. Sein Schwerpunkt liegt als Prädikator für delinquentes Ver- Evaluationsforschung und mit Ver- anderweitig veröffentlicht wurden. eindeutig auf quantitativen Metho- halten angesehen wird (moralische weis auf bundesdeutsche Erfahrun- Zunächst beschäftigt er sich mit den, wenn er auch Autoren zitiert, Urteilsfähigkeit, Impulskontrolle, gen mit Geld- und Bewährungs- den Kennzeichen der gegenwärti- die sich für eine stärkere Einbindung die Fähigkeit zu abstraktem Denken strafe vertritt Spiess vehement die gen Kriminalitätsdebatte und be- qualitativer Methoden aussprechen. und die zur Wahrnehmung von Ge- These von der Austauschbarkeit der schreibt in Anlehnung an Young Deutliche Worte findet er für das fühlen und Absichten anderer). Sanktionen. Daraus leitet er die den gesellschaftlichen Übergang Fehlen von systematischen Evalua- Durch die Auseinandersetzung mit Empfehlung ab, »den Strafvollzug von der Inklusions- zur Exklusions- tionen sozialer Programme und eine sozialen Konflikten und morali- mit seinen desozialisierenden Fol- phase. Insbesondere die Bemerkun- nicht wissenschaftlich untermauerte schen Dilemmata sollen Lernpro- gen zu vermeiden« (S. 26). Spiess gen zu einer sichtbaren »Treibholz- Kriminalpolitik. Der Beitrag bietet zesse nachgeholt werden. Die von vertritt aber keine abolitionistische kaste« (52), die als »unzivilisiert einen groben Überblick über Metho- Jokschies gelieferte theoretische Be- Position, plädiert nicht für eine völ- und gefährlich« (53) wahrgenom- den und Probleme der Evaluation. gründung des Vorgehens überzeugt lige Abschaffung des Strafvollzugs. men wird und »Veränderungen im nicht ganz (wenn etwa 7 Sitzungen Pragmatisch geht er vielmehr von Verhalten und in den Einstellungen Mit dem Beitrag von Willi Pecher zu moralischem Urteilsvermögen einem »harten Kern« der Vollzugs- der Öffentlichkeit« (53) bewirkt, beginnt die Reihe jener Aufsätze, die veranschlagt werden, obwohl zuvor population aus, für den Alternati- analysieren aktuelle Entwicklungen sich mit konkreten Behandlungs- eingeräumt werden musste, dass ven zur Freiheitsstrafe nicht in Frage sehr präzise. Sehr lesenswert sind programmen für Straffällige beschäf- Delinquenz nicht zwingend mit be- kommen. Hier »kann eine metho- auch die Überlegungen zu Essentia- tigen. Aus der Perspektive eines im einträchtigter moralischer Urteilsfä- disch gut fundierte Behandlung lisierungstendenzen und den sich Strafvollzug tätigen Psychotherapeu- higkeit verbunden ist). Eine Evalua- günstigere Effekte erzielen als der daraus ergebenden Konsequenzen ten werden Unterschiede zwischen tion des Programms »Denkzeit« Verzicht auf Behandlung« (S. 33). In für Kriminalität und Kriminalitäts- Psychotherapie und Training sowie liegt noch nicht vor. diesem lesenswerten Aufsatz wird debatte. Brillante Analysen werden Defizite von Trainingsmaßnahmen nicht nur die Bedeutsamkeit der Fra- hier in konzentrierter, (möglicher- erläutert. Pecher’s Kritik gilt dem Mit einer ganz anderen Adressa- ge »What works« dargelegt, sondern weise etwas zu) knapper Form Versuch, Verhaltensänderung ohne tengruppe befasst sich Jürgen Pit- durch die Benennung von Struktur- wiedergegeben. Veränderung der Persönlichkeit zu zing. Er liefert zunächst empirische merkmalen erfolgreicher Behand- erreichen, und der Unterschätzung Belege für die Wirksamkeit von Be- lungsansätze auch bereits zu deren Im zweiten Teil »Zen und die der therapeutischen Beziehung als handlungsmaßnahmen für Sexual- Beantwortung beigetragen. Kunst einen Stein zu schleifen« (54), zentralem Wirkfaktor für Verände- straftäter und wendet sich dann der

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Behandlung dieser Tätergruppe bei den und dort bearbeitet werden. Da- tensänderungen zielen und lern- Kremerskothen: Arbeitsweisungen und Strafaussetzung zu. Pitzing stellt bei kommen die individual-zentrier- theoretisch fundiert sind, wird aber IMPRESSUM eine Diskrepanz zwischen Gesetzge- ten Modelle nicht sehr gut davon. aufgegriffen und in Form einer Illustrationen und Photos bung und tatsächlichen Behand- Kunstreich liefert hier eine präzise Gegenüberstellung von Therapie (Titel) Jan Frommel lungsmöglichkeiten fest. Mögliche Analyse der Grundlagen sozialer Ar- und Training thematisiert. Die Neue Kriminalpolitik Probleme bei der Behandlung die- beit und hinterfragt kritisch die ak- theoretischen Grundlagen der An- erscheint in der ser Tätergruppe werden aufgelistet, tuelle Praxis. Die vorausgehenden sätze und die jeweiligen Rahmun- als Beispiel für deren Lösung die Beiträge machen die Dominanz des gen von strafbarem Verhalten sind Psychotherapeutische Ambulanz in individual-zentrierten Modells in an anderer Stelle nachzulesen. Stuttgart vorgestellt. Pitzing präsen- der Straffälligenhilfe nur allzu deut- tiert hier eine erfolgreiche Bilanz lich und unterstreichen die Plausibi- Die Veranstalter der Fachwoche Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden der Arbeit dieser Einrichtung und lität seiner Position. gehen von einem Stimmungs- wirbt für eine bessere finanzielle wandel in der Kriminalpolitik aus, Druck und Verlag Ausstattung. Seine Aussagen zur Referate einer Tagung werden demzufolge nicht länger das Schlag- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Wirksamkeit der Therapien stützen nach anderen Kriterien zusammen- wort »Nothing works« die Debatte Co. KG, Waldseestraße 3–5, sich allerdings nur auf die Zahl der gestellt, als Beiträge zu einem the- dominiert, sondern die Frage »What 76530 Baden-Baden, Tel. (0 72 21) bekannt gewordenen Rückfälle der matisch eng umgrenzten Sammel- works?« zunehmend positiv gestellt 21 04-0, Fax (0 72 21) 21 04-27 behandelten Probanden. band. Eine genaue Lektüre aller Bei- wird. Gefängnisneubauten und Ver- Anzeigenannahme: träge ist für jene interessant, die schärfungen des Strafrechts deuten sales friendly • Bettina Roos Der abschließende Beitrag von sich nachträglich über den Verlauf allerdings nicht unbedingt darauf Reichsstr. 45-47, 53125 Bonn Timm Kunstreich befasst sich mit der Tagung informieren wollen. hin, dass man sich allgemein vom Tel. (0228) 9 26 88 35 den Grundlagen der sozialen Arbeit Beiträge des vorliegenden Bandes Schlagwort »Nothing works« verab- Fax (0228) 9 26 88 36 und stellt zwei gegensätzliche Mo- sind aber auch unabhängig von der schiedet hat und wieder intensiv [email protected] delle vor. Das individual-zentrierte Veranstaltung Fachwoche lesens- Resozialisierungsbemühungen zu- Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthal- Modell siedelt die Ursachen von Stö- wert und informativ. wendet. Gute Gründe, sich mit der tenen einzelnen Beiträge und Ab- rungen und Defiziten im Indi- Frage »What works?« auseinander bildungen sind urheberrechtlich viduum an und sucht diese über An- Zu Wort kommen sowohl renom- zu setzen, gibt es aber allemal. Soll geschützt. Jede Verwertung, die nicht amnese, Diagnose, Behandlung und mierte Theoretiker als auch erfahre- Strafe nicht bloß Übelzufügung und ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Evaluation zu beheben. Demgegen- ne Praktiker. Die Frage »What Vergeltung sein, entscheidet die Zustimmung des Verlags. Dies gilt über fragt das subjektorientierte Mo- works?« wird im vorliegenden Band Antwort darauf über die Legitimität insbesondere für Vervielfältigungen, dell danach, »was Menschen wollen nicht einfach mit einer Auflistung einzelner Maßnahmen und Ansät- Bearbeitungen, Übersetzungen, und können« (161) und zielt auf erfolgreicher Ansätze beantwortet, ze. Der Straffälligenhilfe bietet die Mikroverfilmungen und die »Anerkennung und Bestätigung des sondern auch gesellschaftliche Ent- Frage eine Chance, sich zu positio- Einspeicherung und Verarbeitung in jeweiligen Gegenübers« (163). Für wicklungen, öffentliche Debatten nieren und neu zu definieren. Wird elektronischem System. die Gegenwart stellt Kunstreich ein und theoretische Hintergrundan- die Wirksamkeit von Programmen Namentlich gezeichnete Artikel »(Wieder-) Erstarken individual-zen- nahmen thematisiert. Es überrascht nachgewiesen, kann sich die Straf- müssen nicht die Meinung der trierter Konzepte und Praxen« (161) nicht, dass die Ausgangsfrage nicht fälligenhilfe von ihrem eher karita- Herausgeber/Redaktion wiedergeben. fest. Dabei wird das klassische kli- abschließend beantwortet werden tiven Schattendasein befreien und Unverlangt eingesandte Manuskripte nisch-normative Modell zuneh- kann. Der Band liefert aber einen er- als erfolgreicher Dienstleister in Sa- – für die keine Haftung übernommen mend von einem modernisierten re- sten Überblick über Praktiken und chen Resozialisierung präsentieren. wird – gelten als Veröffentlichungs- vorschlag zu den Bedingungen des flexiv-klinischen Modell abgelöst, Arbeitsansätze. Kritisch anzumer- Der Nachweis einer Austauschbar- Verlages. Es werden nur unver- das auf den ersten Blick Subjektäu- ken ist, dass für keinen der »auf dem keit von Sanktionen könnte als öffentlichte Originalarbeiten ßerungen der Klienten mit einbe- Prüfstand« präsentierten Ansätze schlagendes Argument für ambu- angenommen. Die Verfasser erklären zieht, die Adressaten aber letztend- empirisch nachgewiesen wurde, was lante Maßnahmen und alternative sich mit einer nicht sinnentstellenden lich aus einer individual-psychologi- daran wie weshalb bei wem wirkt. Sanktionsformen ins Feld geführt redaktionellen Bearbeitung einverstanden. schen Perspektive heraus doch nur Der Band dokumentiert damit den werden und damit eine Ausweitung als behandlungsbedürftige Objekte ernüchternden Stand der Evalua- des eigenen Betätigungsfeldes er- Erscheinungsweise: 4-mal jährlich; betrachtet. Als exemplarisch für der- tionsforschung und macht erheb- reicht werden. sowie dem Jahrbuch für Rechts- und artige moderne individual-zentrierte lichen Handlungsbedarf deutlich. Kriminalsoziologie am Jahresende Programme wird Weidners Anti-Ag- Annette Bukowski und der Jahrgangs-CD-ROM. gressivitäts-Training vorgestellt. Die vorgestellten Ansätze sind Bezugsbedingungen: Abonnements- Kunstreich illustriert anhand von nicht immer ganz neu. Der aktuelle Heinz Cornel/Werner Nicko- preis jährlich 63,– € (inkl. MwSt.), Beispielen, wie soziale Ereignisse den Trend zu Programmen, die auf das lai (Hg.): What Works? Neue Studentenabonnement 43,– € zuzüg- grundlegenden Modellen folgend zu Antrainieren bestimmter sozial- Ansätze der Straffälligenhilfe lich Porto und Versandkosten (zuzüg- Fällen der Jugendgerichtshilfe wer- kognitiver Fähigkeiten und Verhal- auf dem Prüfstand, Lamber- lich MwSt. 7 %); Bestellungen neh- tus-Verlag Freiburg 2004, men entgegen: Der Buchhandel und ISBN 3-7841-1547-0, 180 S., der Verlag; Abbestellungen viertel- jährlich zum Jahresende. Zahlungen Vorschau: EUR 14,50 jeweils im Voraus an: Nomos-Verlags- Heft 3/2005 erscheint im Juli gesellschaft, Postbank Karlsruhe, Konto 73 636-751 und Stadtsparkasse Baden-Baden, Thema: Konto 5-002266 Wirkungsorientierte Forschung

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