MITTEILUNGEN Der HUMANISTISCHEN UNION E .V
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Nr. 189 II / 2005 A 3109 F MITTEILUNGEN der HUMANISTISCHEN UNION E .V. für Aufklärung und Bürgerrechte Datenschutz ––– ein bedrohtes Grundrecht Peter Schaar Der Datenschutz, also das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, bindet – wie jedes Grundrecht – Gesetz- geber, Verwaltung und Rechtsprechung. Zum Grundrechts- schutz gehören die unabhängigen Datenschutzbeauftragten als Beratungs- und Kontrollorgane, die über ihre Tätigkeit den Parlamenten regelmäßig Bericht erstatten, um früh- zeitig auf Gefahren und Fehlentwicklungen hinzuweisen. Als Bundesbeauftragter für den Datenschutz habe ich nach § 26 Abs. 1 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes den Deut- schen Bundestag und die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen des Datenschutzes zu unterrichten. Diesen Auftrag habe ich in der Vergangenheit wahrgenommen und werde mich nicht davon abbringen lassen, dies auch in Zukunft zu tun. Mein Tätigkeitsbericht für die Jahre 2003 und 2004, den ich vor Kurzem dem Präsidenten des Deutschen Bundestages übergeben und im Anschluss der Öffentlichkeit vorgestellt habe, zeigt, dass das Grundrecht auf informationelle Selbst- bestimmung durch den rasanten technologischen Fortschritt und andere Entwicklungen – insbesondere bei der öffent- lichen Sicherheit – bedroht ist. lich besonders kritisch diskutiert worden; im Hinblick auf So wurden immer wieder – nicht erst nach den terroris- ihre praktische Bedeutung, also ihren Einsatz durch die tischen Anschlägen vom 11. September 2001 – zusätzliche Ermittlungsbehörden, bleiben sie aber weit hinter anderen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden eingeführt. Die Liste gesetzlichen Befugnissen zurück, insbesondere hinter der der realisierten und geforderten Grundrechtseinschränkun- Überwachung der Telekommunikation. So ist nicht nur der gen ist lang, und ein Ende ist leider noch nicht abzusehen: Straftatenkatalog für die Telekommunikationsüberwachung Die – im letzten Jahr vom Bundesverfassungsgericht bean- immer wieder erweitert worden, auch die Anwendung dieser standeten – Regelungen zum „Großen Lauschangriff“, also Befugnisse hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. zur akustischen Wohnraumüberwachung, sind zwar öffent- Weil es sich beim Datenschutz um ein Grundrecht handelt, Inhalte: müssen diejenigen, die ihn einschränken wollen, den Beweis Datenschutz – ein bedrohtes Grundrecht 1 antreten, dass der geforderte Eingriff erforderlich ist und Gedanken zur Situation der Bürgerrechte 4 dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die Mit der Reichsbahn in den Tod 6 bloße Behauptung, diese oder jene Maßnahme diene der Informationsfreiheit für Bayern 7 Bekämpfung des Terrorismus oder der allgemeinen Stellungnahme zum Großen Lauschangriff 7 Kriminalität, reicht bei weitem nicht aus. Und auch die Werteunterricht in Berlin 8 Befugnisse, die staatlichen Stellen bereits eingeräumt Wahlergebnisse der Delegiertenwahlen 10 wurden, müssen regelmäßig überprüft und gegebenenfalls Delegiertenkonferenz in Mainz 11 zurückgenommen werden. Anträge zur Delegiertenkonferenz 12 Öffentlichkeitsarbeit der HU 14 Dies gilt auch für die nach den Anschlägen 2001 als „Sicher- Nachrufe 15 heitspakete“ befristet eingeführten Befugnisse. Sie müssen Service (Ortsverbände, Termine) 18 auf ihre Effizienz und Erforderlichkeit hin überprüft werden, Rezension: Recht ist, was den Waffen nützt 20 wie es bereits im damaligen Gesetzgebungsverfahren Impressum 20 vorgesehen war und seinerzeit als wichtige Voraussetzung für ihre Verabschiedung gesehen wurde. Ich halte es für Positionen dringend erforderlich, die bei der „Evaluation“ verwendeten 17. Februar 2005. Als Alternative zur generellen und Kriterien und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu massenweisen Datenspeicherung auf Vorrat könnte die machen, damit die politische Debatte auf Basis einer Strafverfolgungspraxis in den USA dienen, bei der auf gesicherten Faktenlage geführt werden kann. Dies ist Ersuchen der Strafverfolgungsbehörden zwar in begründeten deshalb besonders wichtig, weil über die Fortsetzung von Einzelfällen die elektronischen Daten von den Dienstean- Grundrechtseingriffen zu entscheiden ist, bei denen der ver- bietern weiter zu speichern sind, aber nur herausgegeben fassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt werden müssen, wenn innerhalb von 90 Tagen ein ent- bleiben muss. Eingriffsbefugnisse, die nicht gebraucht sprechender richterlicher Beschluss vorgelegt wird. Ein werden oder die sich nicht bewährt haben, sind zurückzu- solcher Ansatz wäre wesentlich datenschutzfreundlicher und nehmen. Einen Automatismus darf es bei der anstehenden würde den geltend gemachten Belangen der inneren Verlängerung nicht geben. Eine generelle Entfristung der Sicherheit in gleicher Weise gerecht. Befugnisse, wie sie vom Bundesinnenminister gefordert Ein weiterer wichtiger Punkt sind biometrische Systeme und wurde, lehne ich ab. Verfahren, die in mehreren Bereichen kurz vor der Für nicht angemessen hielte ich es, wenn im Prinzip jedes Anwendung stehen, um die Identifikation von Personen zu Ergebnis als Argument für die Beibehaltung oder gar Aus- erleichtern. Sie ermöglichen es jedoch auch, den Einzelnen weitung der Grundrechtseingriffe verwendet würde. So heimlich zu überwachen. Noch in diesem Jahr sollen die überzeugt es nicht, wenn eine geringe oder völlig fehlende ersten Pässe mit biometrischen Merkmalen ausgegeben Nutzung der neuen Befugnisse als Beweis für einen werden. Die Biometrie hält aber häufig nicht, was man sich „verantwortungsvollen Umgang“ damit gewertet und daraus von ihr verspricht. Vor allem ist sie kein Allheilmittel zur zusätzliche Forderungen abgeleitet würden, zugleich aber – Gefahrenabwehr oder Kriminalitätsbekämpfung. Wissen- wie bei der Telekommunikationsüberwachung – eine starke schaftliche Untersuchungen und Anwendungstests zeigen Nutzung als Beleg dafür angeführt wird, dass neue vielmehr, dass sie oft nicht so zuverlässig funktioniert, wie Eingriffsbefugnisse erforderlich seien. es für ihren flächendeckenden Einsatz erforderlich wäre. Im Hinblick auf die geplante Einführung der Biometrie-Pässe „Für nicht angemessen hielte ich es, hat das Bundesinnenministerium kürzlich erklärt, Tests wenn im Prinzip jedes Ergebnis als hätten die Zuverlässigkeit der Verfahren belegt. Was spricht Argument für die Beibehaltung oder dann dagegen, diese Untersuchungen zu veröffentlichen? gar Ausweitung der Grundrechts- Schließlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, zu eingriffe verwendet würde.“ erfahren, welche Konsequenzen die Ausstattung der Personalpapiere der EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des digitalem Gesichtsbild und Fingerabdruck auf einem Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in kontaktlos auslesbaren Funkchip haben wird. Ich halte eine mehreren Entscheidungen eindrucksvoll unterstrichen. So offene und breit geführte Diskussion über biometrische betont das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Verfahren für unverzichtbar. Für die Einführung biome- Großen Lauschangriff vom 3. März 2004, dass ein unan- trischer Merkmale in Reisepässen erscheint mir deswegen tastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung vor jeg- ein Moratorium angebracht, zumal die entsprechenden licher Überwachung geschützt bleiben muss. Diese Vorgaben der EU-Verordnung erst Mitte 2006 und nicht Entscheidung hat Konsequenzen weit über die akustische etwa in diesem Jahr umgesetzt werden müssen. Wohnraumüberwachung hinaus, insbesondere für die Auch bei anderen elektronischen Verfahren, die derzeit dis- Telefonüberwachung. Denn das Gericht hat am gleichen Tag kutiert werden oder unmittelbar vor der Einführung stehen, in einer weiteren Entscheidung festgestellt, dass die aufge- muss der Grundsatz gelten, Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. stellten Grundsätze auch bei der Befugnis zur präventiven Dies gilt sowohl für die Gesundheitskarte als auch für die Telekommunikationsüberwachung durch das Zollkriminalamt JobCard, zwei anspruchsvolle elektronische Verfahren, die zu beachten sind. Ich erwarte deshalb von der Bundes- auch für den Datenschutz eine große Herausforderung regierung, dass sie noch in dieser Legislaturperiode einen darstellen. Die damit verbundenen Probleme sind sicherlich Gesetzentwurf zur Begrenzung und Neuregelung der Tele- lösbar, aber Entwicklung und Einführung müssen gründlich kommunikationsüberwachung vorlegt. und sorgfältig vorbereitet werden, nicht zuletzt damit diese Kritisch sehe ich die auf europäischer Ebene diskutierte Karten auf die zwingend erforderliche Akzeptanz bei den Initiative zur Einführung einer Verpflichtung zur Speiche- Betroffenen stoßen. Im Mittelpunkt stehen dabei das rung von Telekommunikationsdaten. Diese Daten (Wer hat Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten und wann mit wem telefoniert? Wo hat er/sie sich dabei aufge- die Vertraulichkeit der medizinischen Daten. halten? Unter welcher IP-Adresse wurde im Internet gesurft Leider hat die Entwicklung technologischer Instrumente, mit und welche Seiten wurden dabei angesehen?) sollen in denen sich der Einzelne gegen die Erfassung seiner Daten Zukunft generell zwölf bis 36 Monate aufbewahrt werden. schützen kann, nicht mit der allgemeinen technologischen Dies wäre datenschutzrechtlich bedenklich, wie der Entwicklung Schritt gehalten. Umso wichtiger ist es, bei Deutsche Bundestag mehrfach mit großer Mehrheit fest- neuen Systemen den Datenschutz bereits in der Entwick- gestellt hat, zuletzt in seinem einstimmigen Beschluss vom lungs- und Konzeptionsphase zu berücksichtigen, wie dies HU-MITTEILUNGEN