Nr. 189 II / 2005 A 3109 F MITTEILUNGEN der HUMANISTISCHEN UNION E .V. für Aufklärung und Bürgerrechte

Datenschutz ––– ein bedrohtes Grundrecht Peter Schaar Der Datenschutz, also das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, bindet – wie jedes Grundrecht – Gesetz- geber, Verwaltung und Rechtsprechung. Zum Grundrechts- schutz gehören die unabhängigen Datenschutzbeauftragten als Beratungs- und Kontrollorgane, die über ihre Tätigkeit den Parlamenten regelmäßig Bericht erstatten, um früh- zeitig auf Gefahren und Fehlentwicklungen hinzuweisen. Als Bundesbeauftragter für den Datenschutz habe ich nach § 26 Abs. 1 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes den Deut- schen Bundestag und die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen des Datenschutzes zu unterrichten. Diesen Auftrag habe ich in der Vergangenheit wahrgenommen und werde mich nicht davon abbringen lassen, dies auch in Zukunft zu tun. Mein Tätigkeitsbericht für die Jahre 2003 und 2004, den ich vor Kurzem dem Präsidenten des Deutschen Bundestages übergeben und im der Öffentlichkeit vorgestellt habe, zeigt, dass das Grundrecht auf informationelle Selbst- bestimmung durch den rasanten technologischen Fortschritt und andere Entwicklungen – insbesondere bei der öffent- lichen Sicherheit – bedroht ist. lich besonders kritisch diskutiert worden; im Hinblick auf So wurden immer wieder – nicht erst nach den terroris- ihre praktische Bedeutung, also ihren Einsatz durch die tischen Anschlägen vom 11. September 2001 – zusätzliche Ermittlungsbehörden, bleiben sie aber weit hinter anderen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden eingeführt. Die Liste gesetzlichen Befugnissen zurück, insbesondere hinter der der realisierten und geforderten Grundrechtseinschränkun- Überwachung der Telekommunikation. So ist nicht nur der gen ist lang, und ein Ende ist leider noch nicht abzusehen: Straftatenkatalog für die Telekommunikationsüberwachung Die – im letzten Jahr vom Bundesverfassungsgericht bean- immer wieder erweitert worden, auch die Anwendung dieser standeten – Regelungen zum „Großen Lauschangriff“, also Befugnisse hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. zur akustischen Wohnraumüberwachung, sind zwar öffent- Weil es sich beim Datenschutz um ein Grundrecht handelt, Inhalte: müssen diejenigen, die ihn einschränken wollen, den Beweis Datenschutz – ein bedrohtes Grundrecht 1 antreten, dass der geforderte Eingriff erforderlich ist und Gedanken zur Situation der Bürgerrechte 4 dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die Mit der Reichsbahn in den Tod 6 bloße Behauptung, diese oder jene Maßnahme diene der Informationsfreiheit für Bayern 7 Bekämpfung des Terrorismus oder der allgemeinen Stellungnahme zum Großen Lauschangriff 7 Kriminalität, reicht bei weitem nicht aus. Und auch die Werteunterricht in 8 Befugnisse, die staatlichen Stellen bereits eingeräumt Wahlergebnisse der Delegiertenwahlen 10 wurden, müssen regelmäßig überprüft und gegebenenfalls Delegiertenkonferenz in Mainz 11 zurückgenommen werden. Anträge zur Delegiertenkonferenz 12 Öffentlichkeitsarbeit der HU 14 Dies gilt auch für die nach den Anschlägen 2001 als „Sicher- Nachrufe 15 heitspakete“ befristet eingeführten Befugnisse. Sie müssen Service (Ortsverbände, Termine) 18 auf ihre Effizienz und Erforderlichkeit hin überprüft werden, Rezension: Recht ist, was den Waffen nützt 20 wie es bereits im damaligen Gesetzgebungsverfahren Impressum 20 vorgesehen war und seinerzeit als wichtige Voraussetzung für ihre Verabschiedung gesehen wurde. Ich halte es für Positionen dringend erforderlich, die bei der „Evaluation“ verwendeten 17. Februar 2005. Als Alternative zur generellen und Kriterien und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu massenweisen Datenspeicherung auf Vorrat könnte die machen, damit die politische Debatte auf Basis einer Strafverfolgungspraxis in den USA dienen, bei der auf gesicherten Faktenlage geführt werden kann. Dies ist Ersuchen der Strafverfolgungsbehörden zwar in begründeten deshalb besonders wichtig, weil über die Fortsetzung von Einzelfällen die elektronischen Daten von den Dienstean- Grundrechtseingriffen zu entscheiden ist, bei denen der ver- bietern weiter zu speichern sind, aber nur herausgegeben fassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt werden müssen, wenn innerhalb von 90 Tagen ein ent- bleiben muss. Eingriffsbefugnisse, die nicht gebraucht sprechender richterlicher Beschluss vorgelegt wird. Ein werden oder die sich nicht bewährt haben, sind zurückzu- solcher Ansatz wäre wesentlich datenschutzfreundlicher und nehmen. Einen Automatismus darf es bei der anstehenden würde den geltend gemachten Belangen der inneren Verlängerung nicht geben. Eine generelle Entfristung der Sicherheit in gleicher Weise gerecht. Befugnisse, wie sie vom Bundesinnenminister gefordert Ein weiterer wichtiger Punkt sind biometrische Systeme und wurde, lehne ich ab. Verfahren, die in mehreren Bereichen kurz vor der Für nicht angemessen hielte ich es, wenn im Prinzip jedes Anwendung stehen, um die Identifikation von Personen zu Ergebnis als Argument für die Beibehaltung oder gar Aus- erleichtern. Sie ermöglichen es jedoch auch, den Einzelnen weitung der Grundrechtseingriffe verwendet würde. So heimlich zu überwachen. Noch in diesem Jahr sollen die überzeugt es nicht, wenn eine geringe oder völlig fehlende ersten Pässe mit biometrischen Merkmalen ausgegeben Nutzung der neuen Befugnisse als Beweis für einen werden. Die Biometrie hält aber häufig nicht, was man sich „verantwortungsvollen Umgang“ damit gewertet und daraus von ihr verspricht. Vor allem ist sie kein Allheilmittel zur zusätzliche Forderungen abgeleitet würden, zugleich aber – Gefahrenabwehr oder Kriminalitätsbekämpfung. Wissen- wie bei der Telekommunikationsüberwachung – eine starke schaftliche Untersuchungen und Anwendungstests zeigen Nutzung als Beleg dafür angeführt wird, dass neue vielmehr, dass sie oft nicht so zuverlässig funktioniert, wie Eingriffsbefugnisse erforderlich seien. es für ihren flächendeckenden Einsatz erforderlich wäre. Im Hinblick auf die geplante Einführung der Biometrie-Pässe „Für nicht angemessen hielte ich es, hat das Bundesinnenministerium kürzlich erklärt, Tests wenn im Prinzip jedes Ergebnis als hätten die Zuverlässigkeit der Verfahren belegt. Was spricht Argument für die Beibehaltung oder dann dagegen, diese Untersuchungen zu veröffentlichen? gar Ausweitung der Grundrechts- Schließlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, zu eingriffe verwendet würde.“ erfahren, welche Konsequenzen die Ausstattung der Personalpapiere der EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des digitalem Gesichtsbild und Fingerabdruck auf einem Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in kontaktlos auslesbaren Funkchip haben wird. Ich halte eine mehreren Entscheidungen eindrucksvoll unterstrichen. So offene und breit geführte Diskussion über biometrische betont das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Verfahren für unverzichtbar. Für die Einführung biome- Großen Lauschangriff vom 3. März 2004, dass ein unan- trischer Merkmale in Reisepässen erscheint mir deswegen tastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung vor jeg- ein Moratorium angebracht, zumal die entsprechenden licher Überwachung geschützt bleiben muss. Diese Vorgaben der EU-Verordnung erst Mitte 2006 und nicht Entscheidung hat Konsequenzen weit über die akustische etwa in diesem Jahr umgesetzt werden müssen. Wohnraumüberwachung hinaus, insbesondere für die Auch bei anderen elektronischen Verfahren, die derzeit dis- Telefonüberwachung. Denn das Gericht hat am gleichen Tag kutiert werden oder unmittelbar vor der Einführung stehen, in einer weiteren Entscheidung festgestellt, dass die aufge- muss der Grundsatz gelten, Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. stellten Grundsätze auch bei der Befugnis zur präventiven Dies gilt sowohl für die Gesundheitskarte als auch für die Telekommunikationsüberwachung durch das Zollkriminalamt JobCard, zwei anspruchsvolle elektronische Verfahren, die zu beachten sind. Ich erwarte deshalb von der Bundes- auch für den Datenschutz eine große Herausforderung regierung, dass sie noch in dieser Legislaturperiode einen darstellen. Die damit verbundenen Probleme sind sicherlich Gesetzentwurf zur Begrenzung und Neuregelung der Tele- lösbar, aber Entwicklung und Einführung müssen gründlich kommunikationsüberwachung vorlegt. und sorgfältig vorbereitet werden, nicht zuletzt damit diese Kritisch sehe ich die auf europäischer Ebene diskutierte Karten auf die zwingend erforderliche Akzeptanz bei den Initiative zur Einführung einer Verpflichtung zur Speiche- Betroffenen stoßen. Im Mittelpunkt stehen dabei das rung von Telekommunikationsdaten. Diese Daten (Wer hat Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten und wann mit wem telefoniert? Wo hat er/sie sich dabei aufge- die Vertraulichkeit der medizinischen Daten. halten? Unter welcher IP-Adresse wurde im Internet gesurft Leider hat die Entwicklung technologischer Instrumente, mit und welche Seiten wurden dabei angesehen?) sollen in denen sich der Einzelne gegen die Erfassung seiner Daten Zukunft generell zwölf bis 36 Monate aufbewahrt werden. schützen kann, nicht mit der allgemeinen technologischen Dies wäre datenschutzrechtlich bedenklich, wie der Entwicklung Schritt gehalten. Umso wichtiger ist es, bei Deutsche Bundestag mehrfach mit großer Mehrheit fest- neuen Systemen den Datenschutz bereits in der Entwick- gestellt hat, zuletzt in seinem einstimmigen Beschluss vom lungs- und Konzeptionsphase zu berücksichtigen, wie dies

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 2 Positionen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) bereits seit 2001 Telekommunikationsgesetz Strafverfolgungs- und Sicher- vorsieht. Offenbar hat diese Erkenntnis noch nicht alle heitsbehörden einräumt, drastisch angestiegen ist. Im Jahr Beteiligten erreicht. So musste ich feststellen, dass selbst bei 2004 wurden in fast drei Millionen Fällen Stammdaten von einem Großprojekt wie der Umstellung der Arbeitslosen- und Telekommunikationskunden in einem automatisierten Ver- Sozialhilfe auf das Arbeitslosengeld II elementare Daten- fahren bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation schutzanforderungen bei der Systemgestaltung nicht und Post nachgefragt (2001: 1,5 Mio.). Diese hat daraufhin beachtet wurden. insgesamt rund 10 Millionen Abfragen bei Telekommunika- tionsunternehmen gestellt (2001: 3,2 Mio.). Diese aus- Von grundlegender Bedeutung sind auch die neuen Erkennt- ufernde Abfrage der Stammdaten von Telekommunikations- nisse bei der Erforschung des menschlichen Genoms und die kunden sollte gesetzlich begrenzt werden. daraus erwachsenen Anwendungsmöglichkeiten. Aus der DNA lassen sich sowohl die Identität und die Abstammung feststellen als auch Hinweise auf persönliche Eigenschaften „Es darf nicht nur den Datenschutz- und über die Veranlagung zu Krankheiten gewinnen. Die beauftragten überlassen bleiben, auf Kontroversen um die Nutzung der DNA als „Fingerabdruck Gefährdungen für den Datenschutz des 21. Jahrhunderts“ und über die Zulässigkeit heimlicher hinzuweisen.“ Vaterschaftstest sind dabei nur ein erster Ausdruck für die Umwälzungen, die sich aus den neuen Erkenntnissen Die grenzüberschreitende Datenverarbeitung und vor allem ergeben. Die hiermit verbundenen Fragen gehen weit über die Datenübermittlungen zwischen den nunmehr 25 Mit- das kodifizierte Datenschutzrecht hinaus. Die kommenden gliedstaaten der EU nehmen deutlich zu. Zwar ist die Jahre werden entscheidende Weichenstellungen bringen, ob Europäische Datenschutzrichtlinie inzwischen durchgehend angesichts dieser qualitativ neuen Möglichkeiten das in nationales Recht umgesetzt; sie bezieht sich jedoch nicht Persönlichkeitsrecht bewahrt werden kann. Vor diesem auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Sicher- Hintergrund mag zwar der sog. „Richtervorbehalt“ bei der heitsbereich. Wenn Polizei- und Strafverfolgungsbehörden DNA-Identitätsfeststellung bei anonymen Tatortspuren ver- intensiver zusammenarbeiten und dabei auch personen- zichtbar sein, seine weitere Einschrän- bezogene Daten ohne Rücksicht auf nationale Grenzen kung, etwa bei Vorliegen zweifelhafter, austauschen sollen, wie dies im Haager weil nicht wirklich freiwilliger Ein- Programm beschlossen wurde, muss der willigungen, geht jedoch zu weit. Datenschutz auch auf diesem Gebiet europäisiert werden. Ausgangspunkt Unverändert kontrovers bleibt auch die müssen dabei die Datenschutz-Grund- staatliche Kontenabfrage, die auch das rechte der Europäischen Grundrechte- Bundesverfassungsgericht beschäftigt. charta sein, die unverändert in den Auch wenn das Bundesministerium der Entwurf für eine Europäische Verfas- Finanzen inzwischen mit einem sung übernommen wurden. „Anwendungserlass“ den datenschutz- rechtlichen Bedenken zum Teil Rech- Aber auch der nationale Gesetzgeber nung getragen hat und jetzt eine Infor- bleibt weiter gefordert, denn angesichts mation der Betroffenen vorsieht, sind der rasanten technologischen Entwick- noch nicht alle Einwände ausgeräumt. © Bundeskriminalamt Wiesbaden lung ist eine stetige Weiterentwicklung Ich rege deshalb an, dass zumindest die bereits in dem der geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen zwin- Anwendungserlass geregelten Vorgaben zur Gewährleistung gend erforderlich. Leider herrscht hier aber eher Stillstand: des Datenschutzes in das Gesetz übernommen werden. Das für den Vollzug des BDSG 2001 erforderliche Daten- Generell stellt sich jedoch weiterhin die Frage, ob die in dem schutzauditgesetz, das vom Bundestag seit langem ge- Gesetz vorgesehene Verpflichtung der Banken, die Konto- forderte Arbeitnehmerdatenschutzgesetz und das dringend stammdaten generell für sehr vielfältige staatliche Aufgaben notwendige Gendiagnostikgesetz lassen weiter auf sich zum Online-Abruf bereitzuhalten, mit dem Grundsatz der warten. Auch die angekündigte grundlegende Modernisie- Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist. rung des Datenschutzrechts kommt nicht voran. Lediglich in einigen gesetzlichen Spezialregelungen konnten erfreuliche Dieses Beispiel macht im Übrigen deutlich, wie staatliche Ergebnisse erreicht werden, etwa bei der Gesundheitskarte. Stellen zunehmend Zugriff auf Datenbestände der privaten Wirtschaft nehmen, die zu ganz anderen Zwecken angelegt Es darf nicht nur den Datenschutzbeauftragten überlassen worden sind. Dies ist eine Entwicklung, die in ihrer Tragweite bleiben, auf Gefährdungen für den Datenschutz hinzu- von vielen Bürgerinnen und Bürgern noch gar nicht wahrge- weisen. Vielmehr müssen die Bürgerinnen und Bürger ihr nommen worden ist und grundsätzliche Fragen zur Struktur Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aktiv und Wirksamkeit unseres Datenschutzrechts aufwirft, da die wahrnehmen und den hierfür erforderlichen gesetzlichen klare Trennung zwischen der Datenspeicherung für ge- Rahmen einfordern. Denn gerade für bedrohte Grundrechte schäftliche Zwecke und für staatliche Aufgaben ver- gilt, dass sie sich nur behaupten werden, wenn sie in schwimmt. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch, Anspruch genommen und verteidigt werden. dass die Nutzungshäufigkeit von Befugnissen, die das Der Autor ist Bundesbeauftragter für den Datenschutz.

3 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Positionen Relativierungen & Herausforderungen ––– Gedanken zur Situation der Bürgerrechte I. Relativierungen Dass darin ein Verstoß gegen das Folterverbot liegt, wurde in der von Daschner ausgelösten Debatte von keinem be- Der gegenwärtige Zustand der Bürgerrechte in Deutschland zweifelt. Juristen wie vox populi stritten hernach jedoch kann nicht beschrieben werden, ohne auf drei Vorgänge aus über Ausnahmen und Grenzen des Folterverbots, also den vergangenen zwei Jahren einzugehen. Es sind drei darüber, ob und in welchen Situationen der Staat sich viel- Vorgänge, die aus dem täglichen Kampf um die Bürger- leicht doch der Folter bedienen dürfe. rechte, aus dem üblichen Ringen zwischen Sicherheit und Freiheit herausragen und in mehrfacher Hinsicht etwas Liest man die Gründe des Urteils des Landgerichts Besonderes sind. Obwohl sie für sich genommen jeweils vom 15. Februar, so muss man zunächst der Frankfurter nichts miteinander zu tun haben, können sie in einem Polizei Respekt zollen, denn es wird deutlich, wie sehr übergeordneten Zusammenhang gesehen werden. Daschner mit seiner Absicht, eine Aussage von Gäfgen notfalls durch die Zufügung von Schmerzen zu erzwingen, 1. Mitte 2003 kommt eine neue, vom Bonner Staatsrechts- trotz der mittlerweile sehr zugespitzten Situation und der professor Matthias Herdegen verfasste Kommentierung zu beharrlichen Obstruktion des Angeklagten, alleine stand. Das Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) im Grundgesetzkom- Bemerkenswerte dieses Falles ist, dass die Gewaltandrohung mentar Maunz/Dürig heraus. Über Juristenkreise hinaus nicht auf einen Kollegen an der Front zurückgeht, der unter wäre dies vermutlich nicht weiter aufgefallen, hätte nicht dem Druck der Erwartungen die Nerven verloren hatte, Ernst-Wolfgang Böckenförde diese Neubearbeitung in einem sondern gegen zähen Widerstand und an der offiziellen tiefgründigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Hierarchie vorbei von der Behördenleitung durchgedrückt analysiert. wurde. Die zuständigen Abschnittsleiter hielten an ihren Erwähnenswert ist dieser Vorgang, weil er schlaglichtartig ermittlungstaktischen Alternativen (der Gegenüberstellung eine sich über die Jahre vollziehende Veränderung in der mit Jakobs Schwester) auch in dieser Situation fest. Interpretation der Menschenwürdegarantie markiert. Günter Dies zeigt, dass zu dieser Zeit das Folterverbot in den Poli- Dürig, der (Mit-)Begründer des wohl angesehensten Grund- zeistrukturen so fest verankert war, dass – außer Daschner – gesetzkommentars, verstand die Menschenwürdegarantie keiner auf die Idee einer illegalen Aussageerpressung kam. des Artikel 1 Absatz 1 GG als objektiv-rechtliche Konstrukti- Ja sogar noch als die verführerische Vorstellung vom onsmaxime des seinerzeit neu entstehenden Staates. Dem amtierenden Chef der Behörde ausgesprochen und ange- Grundkonsens der Nachkriegsgesellschaft entsprechend, die ordnet war, seine Untergebenen dieses Vorgehen ablehnten Barbarei der Nazi-Diktatur noch in den Gliedern, inter- und zu umgehen versuchten. pretierte er die Menschenwürde als einen jedem Menschen kraft seines Mensch-Seins, unabhängig von Entwicklungs- Die Frage ist: hat sich an dieser tiefen Verwurzelung des stand, persönlichen Fähigkeiten, Leistung usw. zukom- Folterverbots in den Polizeistrukturen seit dem Urteil des menden absoluten Wert. Durch seine vorpositivistische Frankfurter Landgerichts etwas verändert? Verankerung sollte er dem inhaltlichen Zugriff entzogen Daschner und der Beamte, der Gäfgen die Befragung unter sein. Nach seinem Verständnis wurde durch die Menschen- Schmerzen angedroht hatte, wurden zwar vom Landgericht würdegarantie ein dem Staat und der Gesellschaft vorge- wegen Nötigung verurteilt. Das Urteil hielt das Folterverbot lagerter sittlicher Wert ‚deklaratorisch’ in das positive Recht aufrecht und entzog sich zunächst allen Rechtskniffen einer übernommen. Relativierung (bspw. durch übergesetzlichen Notstand, In Herdegens Neuinterpretation spiegelt sich unsere heutige Verbotsirrtum usw.). Fragwürdig ist jedoch die Rechtsfolge, Unbefangenheit im Umgang mit den Vermächtnissen der die das Landgericht über die beiden Angeklagten verhängte: jüngeren Vergangenheit: im Bewusstsein der sich gefestig- eine für von einem Jahr zur Bewährung ausgesetzte ten demokratischen Gesellschaft unterwirft er Artikel 1 Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen für Daschner, 60 für Absatz 1 GG dem interpretatorischen Zugriff. Er löst ihn von den ihm unterstellten Beamten – das Strafmaß bewegt sich der vorpositivistischen Verankerung und sieht allein den dabei in Größenordnungen der Straßenverkehrsgefährdung. Verfassungstext und dessen Exegese als normativ relevant Bei formaler Aufrechterhaltung des Folterverbots macht das an. Die Menschenwürdegarantie wird Interpretationssache. Landgericht zugleich klar: so ganz ernst gemeint ist das Auswirkung hat dies vor allem dort, wo durch die doch nicht; wer als verantwortlicher Polizeiführer in Weiterentwicklung der Biotechnologien neue Antworten ähnlichen Situationen Folter androhen oder anwenden lässt, gefunden werden müssen (s.u. II.). hat fortan wenig zu befürchten – nicht mal einen Karriereknick, denn das Disziplinarverfahren gegen Daschner 2. Der zweite Vorgang, der hier anzuführen ist, ist der Fall wurde ohne Disziplinarmaßnahme beendet. Daschner. Der ehemalige Frankfurter Vize-Polizeipräsident hatte dem Entführer Magnus Gäfgen die Zufügung von 3. Der dritte hier zu erwähnende Vorgang ist das am 18. Juni Schmerzen „ohne Verletzungen“ androhen lassen, um von 2004 von der Regierungskoalition beschlossene und am 15. diesem das Versteck des Entführungsopfers Jakob Metzler zu Januar 2005 in Kraft getretene Luftsicherheitsgesetz. Es erfahren, und war offensichtlich auch dazu entschlossen, enthält in § 14 Absatz 3 eine Ermächtigung zum Abschuss nötigenfalls über die bloße Androhung hinaus zu gehen. von (Passagier-)Flugzeugen, wenn diese von Terroristen als

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 4 Positionen Waffe gegen andere Ziele eingesetzt werden sollen. Trotz aller einschränkenden Voraussetzungen und verschleiernden Sprache: Im Kern enthält diese Norm die nach 1945 undenkbare Ermächtigung, über das Leben von Menschen zu richten, die nicht Verursacher der Gefahr sind – die einen zu töten, um die anderen zu retten. Auch dieser Vorgang wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur umfänglich erör- tert. Das Bemerkenswerte ist: sogar der Bundespräsident zweifelte. Allein: er wankte zwar, doch fiel er nicht. Trotz tiefgreifender Zweifel unterschrieb Horst Köhler das Gesetz untereinander... Mitunter stellt das auch das Konzept der und schob den schwarzen Peter per Brief an die Fraktionen Bürgerrechte vor gänzlich neue Fragen, die sich nicht unter des Bundestages und das Bundesverfassungsgericht weiter. Rückgriff auf ihre traditionelle Systematik lösen lassen. Die Menschen- resp. Bürgerrechte sind in dieser Zeit auch 1. Staat und Gesellschaft sind „verbürgert“: die alten Stände durch viele andere Vorgänge unter Druck geraten: durch bzw. Klassen – Adel, Klerus, Handwerk, Bauern, auch das neue Sicherheitsgesetze, durch die Einführung neuer Über- Industrieproletariat – haben sich aufgelöst, der für die wachungstechnologien, durch die Verabreichung von Brech- Bürgerrechte konstitutive Gegensatz von Staat und mitteln, durch Abschiebungen usw. Diese drei Vorgänge Gesellschaft ist überwunden. Unserer Staat ist kein Feudal- verdienen aber, besonders benannt zu werden. Gemeinsam staat, die Beamten keine exklusive Kaste mehr, er ist ein ist ihnen, dass Staat des Bürgertums geworden, ein Instrument in der Hand der Bürger. Die große Mitte der Gesellschaft erlebt die - sie gedanklich Fundamente unseres Menschenrechtsver- Staatsmacht nicht mehr als Bedrohung, sondern als Garant ständnisses in Frage stellen, ihrer Entfaltungsmöglichkeiten und ihrer Sicherheit. Als - sie sich von der starken Stellung abwenden, die nach dem Bedrohung wird nicht mehr die Macht des Staates, sondern bisherigen Verständnis der Menschenrechte dem Individuum seine Ohnmacht gegenüber externen Bedrohungen wahrge- gegenüber Staat und Gesellschaft zusteht und den Einzelnen nommen – Terrorismus, Zuwanderung, Asylsuchende, Ver- für Zwecke des übergeordneten Großen in die – sogar brecher usw. Der machtvollste Teil der staatlichen Exekutive, tödliche – Pflicht nehmen. die Polizei, ist zu der gesellschaftlichen Institution gewor- den, die in der Bevölkerung am meisten Vertrauen genießt. - es sich nicht um Ansichten oder Forderungen von den Rändern der Gesellschaft oder um Äußerungen der vox 2. Von existenzieller Bedeutung sind Menschenrechte für populi handelt, sondern die Protagonisten Teile der Pfeiler diejenigen, die – von der Mitte der Gesellschaft aus gesehen sind, auf denen das Staatsgebäude ruht: Rechtswissen- – die wahrgenommene Bedrohung verkörpern. Das setzt den schaft, Justiz, Gesetzgeber. Ansatz der Menschenrechte unter Druck, denn er hat keine natürliche Verankerung in der Mitte der Gesellschaft, Diese Vorgänge unterhöhlen den Rechtsstaat von innen sondern wird als lästig und hinderlich in der Auseinander- heraus: Rechtsstaat setzt voraus, dass der Einzelne stets setzung mit den Bedrohungen empfunden. Rechtssubjekt ist, dass er der Exekutive niemals restlos aus- geliefert wird, dass immer sein Rechtsstatus als autonomes 3. Trotz der Auflösung der Klassen und der (fast) allgemei- Subjekt geachtet wird. Und genau dieses Fundamental- nen Verbürgerlichung findet in unserer Gesellschaft eine prinzip des Rechtsstaates wird durchbrochen: Die Folter zielt neue Segregation statt. Die Chancen zur Teilhabe an den auf totale Unterwerfung und will alle Widerständigkeit gesellschaftlichen Gütern sind höchst ungleich verteilt, die gegen eine Kooperation mit der Staatsmacht brechen. Auch Gegensätze haben sich in den vergangenen Jahren ver- die gezielte Tötung unschuldiger Bürger zur Abwehr von schärft. Und niemals zuvor hat sich die Gesellschaft so um- Gefahren für andere lässt keinerlei Raum mehr für Auto- fassend der Rationalität der Wirtschaftsgesetze unterwor- nomie. (Hier wird argumentiert, die Autonomie sei den fen. Die soziale Dimension der Menschenrechte gewinnt Betroffenen schon von den Entführern genommen worden, damit gegenüber den Freiheitsrechten an Bedeutung. es handele sich quasi schon um lebende Tote. Doch trägt 4. Technische und wissenschaftliche Entwicklungen erlauben diese Argumentation nicht, sie kommt einer juristischen einen Zugriff auf den Menschen, wie wir ihn bislang nicht Vorverlagerung des Todes gleich. Da der Mensch den Verlauf gekannt haben. Beschränkungen, die dem Zugriff von Staat zukünftiger Ereignisse nicht vorherwissen kann, gibt es den und Gesellschaft auf den Einzelnen durch den Stand der Rechtsstatus des noch lebenden Toten nicht.) Technik gesetzt waren, entfallen und verlangen teilweise völlig neue Antworten, die nicht ohne weiteres aus dem II. Veränderungen traditionellem System der Bürgerrechte abgeleitet werden können. Unsere Gesellschaft verändert sich – verglichen mit voran- gegangenen Epochen – rasant. Diese Veränderungen betref- So erlaubt uns bspw. der Fortschritt der Gentechnik den fen alle Lebensbereiche: die technologische und die Wissen- Zugriff auf Stadien der menschlichen Entwicklung, der uns schaftsentwicklung, die Art des Wirtschaftens, das soziale bislang verwehrt war: Wir können Embryonen außerhalb des Gefüge der Gesellschaft, die Bindungen der Menschen Mutterleibes technisch herstellen und am Leben halten, wir

5 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Positionen können per PID ihre genetische Qualität erkunden (und dann Jahre später sind wird dort angekommen und fühlen uns danach entscheiden, welcher in den Mutterleib eingepflanzt sauwohl dabei. und welcher „verworfen“ wird), wir können klonen und künstliche Chimären aus menschlichen und tierischen Zellen III. Herausforderungen herstellen, wir können die Keimbahnzellen manipulieren (so dass sich die Manipulationen auf die Nachkommen über- Die Humanistische Union muss sich diesen Herausforde- tragen), und wir können genetisch bedingte Krankheiten rungen stellen: Auf die Veränderungen muss sie Antworten erkennen, die sich noch gar nicht manifestiert haben. finden, gegen die Relativierungen die Bürgerrechte wieder in der Mitte der Gesellschaft verankern. Das bedeutet konzep- Diese Zugriffsmöglichkeiten stellen grundlegende Fragen an tionelle Arbeit: sie muss das Konzept der Bürgerrechte fit das Konzept der Menschenrechte. Wann ist ein Mensch ein machen für das 21. Jahrhundert. Mensch? Wann wird er zum Träger von Grundrechten und Menschenwürde? Welche Zugriffe auf die menschliche Ent- Für diese Aufgaben braucht die HU Diskussions- und Bünd- wicklung zu welchen Zwecken sollen zulässig sein? All dies nispartner: nicht nur die anderen alt-ehrwürdigen Bürger- sind Fragen, die auch aus bürgerrechtlicher Sicht beant- rechtsverbände wie die -Initiative oder wortet werden müssen. das Grundrechte-Komitee, sondern auch: Gewerkschaften, Verbände, Kirchen, NGOs usw. Auch die Entwicklung der Informationstechnologie hat eine ganz neue Qualität von Zugriffsmöglichkeiten geschaffen: Entscheidend wird schließlich sein, ob es gelingt, die Idee über Handys, GPS, Mautsysteme u.ä. lassen sich theoretisch der Bürgerrechte auch wieder für jüngere Menschen inte- Profile der physisch-realen Bewegungen fast jedes Bürgers ressant zu machen. Wie andere Bürgerrechtsvereinigungen herstellen; die virtuellen Bewegungen im Netz hinterlassen auch leidet die HU unter Überalterung und Mitglieder- an jeder Serverkreuzung ihre Spuren, Patientenkarten sollen rückgang. Dies wird einerseits organisatorische Antworten intime Gesundheitsdaten sammeln, elektronische Warenver- erfordern – dass GHI und HU nun in Bürogemeinschaft ar- waltungssysteme können Konsumgewohnheiten offen legen beiten, ist ein Schritt in die richtige Richtung –, zwingt aber usw. Mit riesigen Schritten nähern wir uns dem gläsernen auch zum Nachdenken über Kommunikations- und Kam- Menschen. Als Anfang der 80er Jahre die Volkszählungsvor- pagneformen. haben zu massenhaftem Protest führte, hatten viele das Jochen Goerdeler Orwell-Jahr 1984 als Horror-Vision vor Augen. Zwanzig

„Mit der Reichsbahn in den TodTod““““ Ein zu realisierendes Erinnerungsprojekt Am 4.5.2005 fand in Freiburg in den Räumen des und Fotos zeigt. Diese Ausstellung wird gegenwärtig in mittelalterlichen Kaufhaussaales eine denkwürdige Veran- französischen Bahnhöfen gezeigt und die Eröffnung fand als staltung statt. Dass der übliche Kreis gesellschaftlicher Ver- Zeichen dessen Unterstützung durch den französischen antwortungsträger (GEW, VVN-BdA/DGB, Gegen Vergessen Ministerpräsidenten Chirac statt. Das Bestreben, auch in Für Demokratie e.V., iz3w.org, Friedensform Freiburg und die deutschen Bahnhöfen eine solche Wanderausstellung zu HU) zu der von der Aktion „Stolpersteine für Freiburg“ ermöglichen, scheiterte bisher am kategorischen Nein der (Marlies Meckel) vorbereiteten Veranstaltung eingeladen Deutschen Bahn AG und ihres Vorstandes. Rüdiger Minow, hatten, erklärt wohl nicht die für Freiburger Verhältnisse Schriftsteller und Filmer, zitierte aus dem unsäglichen enorme Zahl von gezählten 320 Teilnehmern. Es war eher Briefwechsel zwischen der deutschen Initiativgruppe und der Name der Referentin des Abends, Beate Klarsfeld, die dem Vorstand der Bahn AG. Diese will die Bahnhöfe denk-, das Thema der Vernichtung von Juden und Andersdenkenden erinnerungs- und damit auch verantwortungsfrei erhalten einer erneuten Aktualisierung und Begreiflichkeit zuführte. und jede Konfrontation der Reisenden mit der Deutschen Für mich und nicht wenige meiner Altersgenossen war der Reichsbahn als Teil der Nazi-Mordmaschine vermeiden. Das Knall der Ohrfeige der jungen Beate Klarsfeld für das sollte nicht gelingen. NSDAP-Mitglied und Kanzler der Großen Koalition Kiesinger Die Initiative hat einen Flyer vorbereitet, der darauf wartet, im Jahre 1968 der Eingang zum Erinnerungskanal unserer massenhaft in den Zügen der Bahn verteilt zu werden. Die Nazi-Geschichte. Initiative verdient jede Unterstützung, damit nicht dem Im andauernden Bestreben, den Gemordeten Gesichter und historischen Skandal durch die bisherige Weigerung der Namen zu geben und die Mauer des Unfassbaren zu über- Deutschen Bahn AG ein aktueller Skandal nachfolgt. winden, hatte Beate Klarsfeld in Frankreich in Zusammen- Udo Kauß arbeit mit den französischen Staatsbahnen eine Wanderaus- Informationen zur Kampagne im Internet unter: stellung organisiert, die den Anteil der zivilen Eisenbahn an www.german-foreign-policy.com der Deportation und Ermordung von 11.000 Kindern aus Frankreich, davon 500 aus Deutschland und hier auch des Unterstützungsadressen für den Aufruf an die Deutsche Freiburger Raumes, darstellt und in exemplarischen Lebens- Bahn AG können gesendet werden an: läufen Kinder, deren Familien, Schicksale und Namen nennt [email protected]

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 6 Meldungen Informationsfreiheit für Bayern: Aktionsbündnis gegründet Zur Durchsetzung der Informationsfreiheit in Bayern hat heitsgesetze. In der EU haben nur Luxemburg und Deutsch- sich in diesen Tagen ein Bündnis konstituiert. Ziel ist es, ein land keinen gesetzlich geregelten Anspruch auf Information bayerisches Informationsfreiheitsgesetz (IFG) einzuführen. vorzuweisen. Auf Bundesebene wird noch in diesem Jahr ein Damit haben alle Bürger ein allgemeines Einsichtsrecht in Bundesgesetz in Kraft treten. Die darin verabschiedeten die Akten der bayerischen Behörden. Regelungen gelten jedoch ausschließlich für Bundesbe- hörden. Auf einem Pressehearing des Aktionsbündnisses am Diens- tag, den 3. Mai, im Münchner Presseclub haben namhafte Das Ergebnis erster Gespräche mit der Bayerischen Staats- Experten über Umfang und Auswirkungen des IFG infor- regierung ist: Es wird keine Gesetzesinitiative auf Landes- miert. Die beiden Expertinnen aus Schleswig-Holstein, Anke ebene geben. Daher verfolgt das Bündnis die Strategie, Spoorendonk (Vorsitzende der SSW-Landtagsgruppe) und Iris Informationsfreiheit auf kommunaler Ebene einzuführen. Hertel (Referentin des Datenschutzbeauftragten), berichte- „Wenn sich die Staatsregierung mehr Transparenz ver- ten von ihren Erfahrungen mit dem IFG, das im nördlichsten schließt, werden wir sie mit den Kommunen überholen", so Bundesland bereits vor fünf Jahren eingeführt wurde. So Roman Huber, Sprecher des Aktionsbündnisses. "Wir suchen seien 90 Prozent aller Anträge auf Auskunft innerhalb einer Bürger und Gemeinderäte, die in Ihren Orten mehr Transpa- Woche bearbeitet worden. Ebenfalls 90 Prozent aller renz einführen wollen." Anträge wurde stattgegeben, bei nur einem Prozent wurde Die Initiative hat eine Satzung entworfen, die Gemeinden im keine Auskunft erteilt, weil ein Geschäfts- oder Betriebsge- Gemeinderat oder per Bürgerentscheid beschließen können. heimnis geschützt werden musste. Ein Drittel der Anträge Weiteres steht im Internet: www.informationsfreiheit.org wurde abgelehnt, weil den Behörden keine Unterlagen vorlagen. Diese Initiative unterstützen neben der Humanistischen Union Bayern: Bayerischer Journalisten-Verband, Bund Naturschutz, Deutsche Anders als in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Nord- Journalistenunion (DJU) in Bayern, Förderkreis IT- und Medien- rhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gibt es in Bayern wirtschaft e.V., Mehr Demokratie e.V., Netzwerk Recherche, Omnibus bis zum heutigen Zeitpunkt keine gesetzliche Regelung. In gGmbH, Transparency International - Deutschland über 60 Ländern der Welt existieren solche Informationsfrei- Anzeige Großer Lauschangriff im Bundestag verabschiedet Bürgerrechte & Polizei/CILIP CILIP 80 (1/2005) Bei der Verabschiedung des Gesetzes zur akustischen Wohn- raumüberwachung am 12. Mai 2005 wurde wieder einmal Anti-Terrorismus – deutlich, wie wenig sich die parlamentarische Mehrheit um eine Zwischenbilanz die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts schert. Das Anti-Terror-Gesetzgebung, Gesetz unterläuft nach Auffassung der Humanistischen Bilanz der Rasterfahndung, Zuwanderungsgesetz und Anti- Union in zahlreichen Punkten die konkreten Anforderungen, Terror-Politik, Anti-Terrorismus die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom in Spanien, Großbritannien und 3. März 2004 für die Neuregelung der akustischen Wohn- den USA, G8/EU: Geheimver- raumüberwachung aufgestellt hatte. fahren gegen Terroristen? Daschner-Urteil, Brechmitteltod Wesentlicher Kritikpunkt ist der nach wie vor unzureichende in Bremen, Datensammlungen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Der der Schweizer Polizei

Gesetzgeber hat es versäumt, im Gesetz klar zu definieren, unter welchen konkreten Umständen der Lauschangriff Bestellungen an: Preise: verboten ist. Es kann nicht sein, dass eine weitere „Exempli- Bürgerrechte & Polizei/CILIP c/o FU Berlin Einzelheft: 7,20 EUR Malteserstr. 74-100 · 12249 Berlin fizierung“ in diesem Bereich der Rechtsprechung überlassen Tel.: (030) 838-70462 · Fax: (030) 7751073 Abonnement (3 Hefte): E-Mail: [email protected] · www.cilip.de 18,50 EUR (inkl. Porto) wird und bis dahin der Lauschangriff ausgereizt wird.

An dem verabschiedeten Gesetz kritisiert die Humanistische Für die Humanistische Union ist die Konsequenz klar: Auf Union ferner, dass es den vom Bundesverfassungsgericht das Instrument des Großen Lauschangriffs ist zu verzichten, benannten „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ nur in wenn es anderenfalls nur unter Verletzung des absolut Privatwohnungen verortet. Persönliche Gespräche in der geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung einge- Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz fallen jedoch auch unter setzt werden kann. diese Privatsphäre. In der Anhörung des Rechtsausschusses Die ausführliche Stellungnahme der Humanistischen Union vom 16.3.2005 beklagten die Polizeiexperten, durch den ist im Internet unter: http://www.humanistische-union.de/ vorliegenden Gesetzentwurf wäre der Lauschangriff prak- stellungnahme.gl.pdf abrufbar bzw. kann in der Bundesge- tisch kaum noch durchführbar. schäftsstelle angefordert werden.

7 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Meldungen Kulturkampf gegen gemeinsamen „Werteunterricht“ in Berlin In Berlin tobt ein Kulturkampf, vorgetragen vor allem von 360 Religions- bzw. Bekenntnisgemeinschaften. Mehr als die den Kirchen, der CDU und der FDP. Gegner in diesem Kampf Hälfte der Berliner Bevölkerung gehört keiner Bekenntnisge- sind die Berliner Regierungsparteien und all jene, die sich für meinschaft an. Derzeit gibt es bereits acht verschiedene einen gemeinsamen Unterricht aller Schülerinnen und Angebote von Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht in Schüler zu Wertefragen und Religionskunde und gegen die Berlin. Weitere Religionsgemeinschaften überlegen, ob sie Umwandlung des Religionsunterrichts in ein staatliches den Zugang zu den Schulen beantragen. Wahlpflichtfach aussprechen. Die Auseinandersetzung be- gann, als sich Ende Februar 2005 abzeichnete, dass es auf Diffamierung durch Kirchen, CDU und FDP dem SPD-Bildungsparteitag im April eine deutliche Mehrheit der Delegierten für ein integratives Unterrichtsfach und Viele haben die heftige Debatte in Berlin über die Medien gegen eine Abmeldemöglichkeit davon geben wird. Kurz vor mitverfolgen können. Ich möchte die Art und Weise, wie hier und nach dem Parteitag am 9. April 2005, auf dem drei seitens der Kirche diffamiert wurde, am Beispiel von Dr. Viertel der Delegierten für einen gemeinsamen Unterricht Wolfgang Huber darstellen, Bischof der Evangelischen stimmten, erreichte die Auseinandersetzung ihren Höhe- Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und punkt. Vorsitzender des Rates der EKD. Er erwies sich in dem maßgeblich von ihm verantworteten Kulturkampf als frag- würdiger Meister der Manipulation öffentlicher Meinung. So gab er einem vergleichsweise moderat formulierten Aufruf zur Unterstützung des kirchlich favorisierten Modells eines Wahlpflichtbereiches Religion/Ethik einen Begleitbrief mit faustdicken Lügen und Unterstellungen bei (www.ekibb.de – 4. April 2005). Unter anderem behauptete er nach der zutreffenden Feststellung „114.000 Schülerinnen und Schü- ler besuchen den evangelischen und katholischen Religions- Der Gegenvorschlag der Katholischen Kirche zum Werte unterricht unterricht in Berlin“: „Die regierenden Parteien wollen dies sieht jetzt eine „Fächergruppe“ vor, wobei neben der religiösen in Zukunft verhindern. Der Religionsunterricht soll ein für Unterweisung ein Lehranteil von 25 % für den Austausch mit den alle Mal aus der Schule verbannt werden.“ In Wahrheit anderen Religionen vorgesehen ist. haben weder die SPD noch die PDS die Absicht geäußert, den Religionsunterricht in Berlin abzuschaffen oder seine Die Grundsatzdebatte „Gemeinsamer Werteunterricht versus finanzielle Förderung einzustellen. Weiter heißt es, nun Wahlpflichtbereich Religion/Ethik“ ist bekanntlich nicht neu. offener diffamierend: „Die Religionsfreiheit in der Schule, die Seit mehr als 15 Jahren wird darum gestritten. Neu ist aller- sich in der Wahlfreiheit von Lehrangeboten widerspiegelt, dings die Maßlosigkeit, mit der die Gegner eines gemein- wird abgeschafft. Der Staat etabliert sich als Werte- samen Werteunterrichts diejenigen diffamieren, die sich vermittler. Dies ist mit Blick auf die deutsche Vergangenheit dafür einsetzen, dass Jugendliche gemeinsam über die ein gefährliches und verantwortungsloses Vorgehen.“ (Eine Grundwerte sprechen können, die unsere Gesellschaft tragen ähnliche Formulierung hat übrigens auch der Erzbischof der und lebensfähig erhalten, dass sie sich eine Grundbildung zu Katholischen Kirche Georg Sterzinsky gebraucht.) In Wahr- Kulturen, Religionen und Weltanschauungen aneignen und heit bleibt die Wahlfreiheit beim bekenntnisgebundenen lernen, trotz unterschiedlichster kultureller Prägungen, Religions- und Weltanschauungsunterricht auch in Zukunft religiöser bzw. weltanschaulicher Auffassungen miteinander erhalten. Niemand wird gezwungen, einen Bekenntnis- in den Dialog zu kommen. Der bisher freiwillige Religions- unterricht zu besuchen bzw. sich von ihm abzumelden. Das und Weltanschauungsunterricht soll ausdrücklich weiter Recht des Staates auf die Einrichtung von Pflichtfächern bestehen und weiter gefördert werden. Obwohl Berlin nach auch im ethischen Bereich ist kein Verstoß gegen die dem Grundgesetz – und einem Urteil des Bundesverwal- Religionsfreiheit, sondern sein verfassungsgegebenes Recht. tungsgerichts vom Februar 2000 – nicht verpflichtet ist, Der Bezug auf die „deutsche Vergangenheit“ bei Bischof Bekenntnisunterricht an den Schulen zuzulassen, wird dieser Huber wird in der Berlin-Brandenburgischen evangelischen Unterricht seit Jahrzehnten großzügig unterstützt. Die Wochenzeitung „Die Kirche“ (Nr. 12 vom 20.3.2005) durch Bekenntnisgemeinschaften erhalten die Personalkosten zu Reimar von Wedel, Gründer des „Notbundes für den evange- 90 Prozent erstattet – bei für staatliche Fächer erstrebens- lischen Religionsunterricht“ auf die Spitze getrieben, indem werten Gruppengrößen von unter 20 Schüler/innen. er die aktuelle Situation in Berlin direkt mit der zur Zeit des Ein gemeinsamer Unterricht wird von seinen Befürwortern Nationalsozialismus vergleicht. Er schreibt: „Viele, die unse- nicht zuletzt wegen der enormen Pluralität von Kulturen, ren Aufruf zur Bewahrung des Religionsunterrichts begrüßt Religionen und Weltanschauungen in Berlin als mögliches haben, stellen die Frage, warum dieser Vergleich: So Medium der Verständigung über freiheitlich-demokratische schlimm wie 1934, als Niemöller den Pfarrernotbund Grundwerte und interkulturellen Lernens unterstützt. In gründete, ist es doch heute nicht. Das ist richtig, aber es Berlin gibt es eine Vielzahl von Nationalitäten und mehr als kann so werden und manches ist schon heute vergleichbar.“

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 8 Meldungen Trotz der lautstarken und demagogisch agierenden Front der Runder Tisch zum Werteunterricht? Gegner hat das Vorhaben, in Berlin ein neues integratives Unterrichtsfach zu Wertfragen und interkultureller Bildung Der Landesverband Berlin-Brandenburg der Humanistischen einzuführen, nicht nur in Berlin eine klare parlamentarische Union, der das Vorhaben eines gemeinsamen Unterrichts Mehrheit, sondern auch viele Organisationen und Persön- bereits im Vorfeld der Berliner Entscheidungen mit der lichkeiten gefunden, die es befürworten. Organisation einer Veranstaltung im Berliner Abgeord- Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Einführung des neuen netenhaus unterstützte, erklärte bereits am Tag des SPD- Schulfaches ab dem Schuljahr 2006/2007 beginnend in den Parteitages seine Zustimmung und bot an, an der Debatte um 7. Klassen erfolgen soll – übrigens eine Rücksichtnahme auf die Ausgestaltung des neuen Schulfachs konstruktiv mit- die Bekenntnisgemeinschaften, deren Teilnehmer am zuwirken. In der Presseerklärung vom 9. April 2005 heißt es: Unterricht zu mehr als 70 Prozent in „Es ist vernünftig, dass sich die SPD für der Grundschule zu finden sind! ein religionskundliches Fach für alle Dabei ist der Name des integrativen und gegen eine Abmeldeklausel ent- Faches noch offen: Der SPD-Parteitag schieden hat. hat sich für „Lebensgestaltung-Ethik- Religionskunde“ (LER) ausgesprochen, Eine Abmeldeklausel wäre auf ein die PDS favorisiert „Interkulturelle Wahlpflichtfach Religion hinausgelau- Bildung“. fen. Ein solches Modell würde aber der religiös-weltanschaulichen Vielfalt in Bundesweite Bedeutung des Berlin nicht gerecht. Um die Religi- onsfreiheit aller bestmöglich zu ge- Berliner Vorhabens währleisten, muss Glaubensunterwei- Die seitens der Kirchen betriebene sung Sache der Religions- und Welt- Hetze, von der sich viele Kirchenmit- anschauungsgemeinschaften bleiben. glieder distanzierten, zeugt von ei- Die staatliche Schule kann und sollte nem bedenklichen Niedergang kirch- aber darauf hinwirken, dass Vielfalt licher Werte und zugleich von großer Welche Werte und Normen sollen Berliner Kinder akzeptiert wird, die Rechte Anders- Nervosität. Aus meiner Sicht ist ein lernen? gläubiger und Andersdenkender aner- wesentlicher Erklärungsansatz dafür, dass die Kirchen(lei- kannt und demokratische Spielregeln tungen) so unchristlich „aus der Rolle fallen“, in der nicht eingeübt werden. Dafür bietet ein gemeinsames Fach unbegründeten Furcht zu suchen, das neue Berliner Modell Lebensgestaltung–Ethik–Religionskunde (LER) neue Mög- integrativen werteorientierten Unterrichts könnte bundes- lichkeiten. weit Schule machen. Denn spätestens seit dem Urteil des Kenntnisse über die verschiedenen Religionen, Weltanschau- Bundesverwaltungsgerichts zum Ethikunterricht in Baden- ungen und Kulturen gehören zur Allgemeinbildung. Eine Württemberg vom 17. Juni 1998 ist klar, dass selbst in den Abmeldemöglichkeit von LER aus religiösen Gründen wäre alten Bundesländern (!) ein Pflichtfach Ethik für alle Schüle- ähnlich verfehlt wie entsprechende Abmeldungen vom rinnen und Schüler eingerichtet werden darf und Schülerin- Biologieunterricht oder vom Schwimmunterricht. Verfas- nen und Schüler, die konfessionellen Religionsunterricht sungsrechtliche Probleme kann die Humanistische Union als besuchen wollen, dies dann zusätzlich tun müssen (BVerwG Bürgerrechtsorganisation nicht erkennen. 6 C 11.97). Neuere bundesweite Umfragen weisen im Übrigen auf eine wachsende Akzeptanz für integrative Jetzt muss es darum gehen, das neue Fach zu gestalten. Wir Ethikfächer hin. Der kulturkämpferische Protest der Kirchen hoffen, dass die Kirchen nach den polemischen und halt- gegen das Vorhaben wird aber dennoch wohl in den nächs- losen Äußerungen der vergangenen Woche zu einem ten Jahren nicht beendet sein. Den Berliner Regierungs- sachlichen Diskurs zurückkehren. Dazu schlagen wir einen parteien und den Grünen ist Kraft und Konsequenz zu Runden Tisch vor, bei dem neben Inhalten und Methoden wünschen, dass sie trotz des anhaltenden Getöses der auch geklärt werden sollte, welchen Beitrag Bekenntnis- Kirchen, der CDU und der FDP (voraussichtlich auch im gemeinschaften zu dem neuen Fach leisten können. Die 2006er Wahlkampf) im Gespräch mit allen dazu bereiten Humanistische Union, die weder parteipolitisch noch welt- gesellschaftlichen Gruppen die Konzipierung, die gesetzliche anschaulich gebunden ist, stünde als Moderatorin für eine Verankerung und die Einführung des neues Schulfaches solche Diskussion gern zur Verfügung." vorantreiben. Pressemitteilung des Landesverbandes Berlin Gerd Eggers vom 9. April 2005

Zu der Auseinandersetzung über ein wertevermittelndes Unterrichtsfach hat der Autor eine ausführliche Pressedoku- mentation mit 570 Beiträgen zusammengestellt, die im Zeitraum vom 24. Februar bis zum 8. Mai 2005 gesammelt wurden. Die Dokumentation kann elektronisch bestellt werden unter [email protected].

9 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Verein Wahlergebnisse der Delegiertenwahlen 2005 Baden-Württemberg Hamburg Stimmberechtigte: 130 Stimmberechtigte: 65 Stimmen/Wahlbeteiligung: 61 46,9% Stimmen/Wahlbeteiligung: 40 61,5% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Delegierte Ja-Stimmen Anteil Rath, Christian 51 83,6% Hinze, Helgrid 26 65,0% Koll, Irmgard 50 82,0% Wessel, Edith 26 65,0% Schinzel, Brigitta 48 78,7% Wrocklage, Hartmuth H. 24 60,0% Kauß, Udo 47 77,0% Hessen Neumann, Johannes W. 42 68,9% Stimmberechtigte: 127 (mit Thüringen) Ersatzdelegierter Stimmen/Wahlbeteiligung: 60 47,2% Hartmann, Randolf 28 45,9% Ungültige Stimmen: 1 Bayern Delegierte Ja-Stimmen Anteil Stimmberechtigte: 202 (mit Sachsen) Scheunemann, Klaus 39 65,0% Stimmen/Wahlbeteiligung: 89 44,1% Hanke, Franz-Josef 37 61,7% Ungültige Stimmen: 1 Menne, Peter 37 61,7% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Pelzer, Marei 36 60,0% Killinger, Wolfgang 86 96,6% Pavlovic, Dragan 28 46,7% Hering, Heide 69 77,5% Ersatzdelegierte Clayton-Chen, Jennifer 68 76,4% Guthke, Kai 27 45,0% Hering, Wilhelm 64 71,9% Rink, Hans 16 26,7% Ebert, Theodor 56 62,9% Niedersachsen Nolte, Friedrich 56 62,9% Stimmberechtigte: 111 Fuchs, Ulrich 49 55,1% Stimmen/Wahlbeteiligung: 49 44,1% Ersatzdelegierter Delegierte Ja-Stimmen Anteil Seemann, Diethard R. 47 52,8% Goerdeler, Jochen 46 93,9% Berlin Gerdes, Jürgen 42 85,7% Stimmberechtigte: 186 Haupt, Johann Albrecht 41 83,7% Stimmen/Wahlbeteiligung: 74 39,8% Nordrhein-Westfalen Delegierte Ja-Stimmen Anteil Stimmberechtigte: 183 Otte, Roland 54 73,0% Stimmen/Wahlbeteiligung: 74 40,4% Rürup, Ingeborg 51 68,9% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Ahrendts, Katharina 49 66,2% Tjaden, Ursula 56 75,7% Helm, Nina 48 64,9% Bakker, Notker 55 74,3% Will, Rosemarie 46 62,2% Ladwig, Rudolf 55 74,3% Müller, Sebastian 41 55,4% Reichling, Norbert 51 68,9% Baur, Tobias 38 51,4% Hornung, Barbara 45 60,8% Ersatzdelegierte Sehrndt, Gustav A. 41 55,4% Eggers, Gerd 37 50,0% Rheinland-Pfalz Schiek, Sebastian 37 50,0% Stimmberechtigte: 60 (mit Saarland) Bruch, Christoph 32 43,2% Stimmen/Wahlbeteiligung: 23 38,3% Roggan, Fredrik 25 33,8% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Brandenburg Müller-Heidelberg, Till 23 100,0% Stimmberechtigte: 3 Kilali, Elisabeth 19 82,6% Stimmen/Wahlbeteiligung: 2 66,7% Huffer-Kilian, Werner 10 *1 43,5% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Ersatzdelegierte Engel, Helga 2 100,0% , Karl L.10 *1 43,5% Bremen Meier, Rolf 3 13,0% Stimmberechtigte: 30 Schleswig-Holstein Stimmen/Wahlbeteiligung: 16 53,3% Stimmberechtigte: 41 (mit Meck.-V.) Delegierte Ja-Stimmen Anteil Stimmen/Wahlbeteiligung: 12 29,3% Reinhardt, Anke 16 100,0% Delegierte Ja-Stimmen Anteil Leopold, Nils 11 91,7% *1 Entscheidung per Losverfahren Bizer, Johann 10 83,3%

Wahlkommission: Katharina Ahrendts, Roland Otte, Ingeborg Rürup (Ersatz: Thymian Bussemer, Nina Helm, Volker Mueller) Wahlleitung: Sven Lüders

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 10 Verein DelegiertenkonfDelegiertenkonferenzerenz am 18./19. Juni 2005 in Mainz Die 19. Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union Alle bisher vorliegenden Anträge sind auf den Seiten 12/13 findet – wie bereits angekündigt – am Wochenende des abgedruckt. Darunter befindet sich ein Antrag zur Änderung 18./19. Juni 2005 in Mainz statt. Der offizielle Teil der der Satzung (Antrag Nr. 4). Weitere inhaltliche Anträge Versammlung beginnt am Samstag, dem 18. Juni, um 10.00 können bis zum Beginn der Delegiertenkonferenz einge- Uhr und endet voraussichtlich am Sonntag gegen 13.00 Uhr. bracht werden. Wenn diese bis zum 8. Juni in der Bundes- Als Tagungsort haben wir das „Berliner Zimmer“ des Bürger- geschäftsstelle eingehen, werden sie den Delegierten vorab hauses Lerchenberg reserviert. (s.u.) Neben den satzungs- zugestellt. mäßig vorgegebenen Aufgaben der Delegiertenkonferenz – Auf der nebenstehenden Seite sind die Ergebnisse der darunter die Entlastung des alten und die Wahl eines neuen Stimmauszählung dokumentiert, die am 12. Mai in Anwe- Vorstandes sowie der Diskussion und Abstimmung über senheit einer Vertreterin der Wahlkommission (Ingeborg vorliegende Anträge – soll wieder möglichst viel Raum für Rürup) und des Wahlleiters (Sven Lüders) ermittelt wurden. inhaltliche Diskussionen gegeben werden. Wie üblich sind alle Mitglieder der HU – auch wenn sie nicht Für den Freitagabend ist ein informeller Auftakt geplant. als Delegierte gewählt wurden – recht herzlich zur Teil- Dafür steht das genaue Programm leider noch nicht fest. Es nahme an der Delegiertenkonferenz eingeladen! Die wird allen Delegierten kurzfristig bekannt gegeben bzw. Tagungsmappe mit weiteren Anträgen, den Finanzberich- kann in der Bundesgeschäftsstelle erfragt werden. ten und den Details des Programms für den Freitagabend Auf der Delegiertenkonferenz wird ein neuer Bundesvor- soll am 8. Juni an alle Delegierten verschickt werden. stand gewählt. Aus dem bisherigen Vorstand wollen Ulrich Mitglieder, die nicht als Delegierte nach Mainz fahren, Fuchs, Irmgard Koll, Sophie Rieger und Rosemarie Will können die Unterlagen in der Bundesgeschäftsstelle abrufen. erneut kandidieren. Weitere Kandidatinnen und Kandidaten (Tel. 030 / 204 502 56 bzw. [email protected]) sind ausdrücklich erwünscht! Sven Lüders

Programm der Delegiertenkonferenz Samstag, 18. Juni 10.00 Uhr Eröffnung und Begrüßung 1. Wahl der Tagungsleitung und Protokollführung 2. Beschluss der Geschäftsordnung 3. Wahl der Antragskommission 4. Verabschiedung der Tagesordnung 5. Vorstandsbericht des Vorsitzenden 6. Einzelberichte der Vorstandsmitglieder 7. Bericht der Geschäftsführung Tagungsort / Unterbringung 8. Berichte der Arbeitskreise 9. Bericht der Revisoren Als Veranstaltungsort haben wir das „Berliner Zimmer“ des Bürgerhauses Lerchenberg gewählt: Mittagspause ca. 13.00 – 14.00 Uhr Bürgerhaus Lerchenberg 10. Diskussion Hebbelstraße 2 11. Mandatsprüfung 55127 Mainz-Lerchenberg 12. Entlastung des Vorstandes 13. Bericht der Antragskommission Das Bürgerhaus ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom 14. Behandlung der Satzungsanträge Mainzer Hauptbahnhof zu erreichen (Fahrtzeit ca. 18 15. Behandlung der politisch-inhaltlichen Anträge Minuten): Vesper (ca. 18.00 – 19.00 Uhr) Buslinie 54 (-> Brucknerstraße, Mainz-Lerchenberg) Buslinie 68 (-> Klein-Winternheim Bahnhof) 16. Wahlen (ab 19.00 Uhr) jeweils bis zur Haltestelle „Hebbelstraße“ Vorsitzende/r, Vorstand, Schiedsgericht, Wahlkommission, RevisorInnen, Diskussionsredakteur/in Hotelbuchungen für Mainz sollten schnell vorgenommen werden, da an diesem Wochenende der ZDF-Fernsehgarten Sonntag, 19. Juni 9.00 Uhr aufgezeichnet wird (viele Zuschauer!). Eine Liste mit Hotels Fortsetzung der HU-Delegiertenkonferenz und Privatunterkünften der Mainzer Touristik Zentrale sen- 17. Behandlung politisch-inhaltlicher Anträge, Diskussionen den wir gerne auf Anfrage zu. Ferner werden wir uns bemü- 18. Organisatorisches / Verschiedenes hen, private Übernachtungsmöglichkeiten bei HU-Mitglie- dern aus Mainz und Umgebung zu vermitteln. Interessenten Ende der Delegiertenkonferenz ca. 13 Uhr melden sich hierzu bitte in der Bundesgeschäftsstelle.

11 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Verein Anträge zur Delegiertenkonferenz von kleineren Firmen tragen das ihre dazu bei. Und dennoch hört man immer noch: „Wer arbeiten will, der findet auch Antrag 1 Arbeit“, und dgl. Berichte in Zeitungen, Talkshows im Fern- Europäische Bürgerrechtsarbeit sehen vermitteln unterschwellig: die Arbeitslosen haben selber Schuld. Schon die letzten HU-Vorstände haben begonnen, der wach- Das hätten die Politiker auch gar zu gerne, wie das „Neue senden Bedeutung europäischer Rechtsetzung Rechnung zu Sozialgesetzbuch II“ (besser bekannt als Hartz IV) dem tragen. Die Bemühungen in diesem wichtigen politischen aufmerksamen Leser suggeriert. Hinter diesem Gesetzestext Feld müssen fortgesetzt werden. Eine erfolgreiche politische steht das Bild eines Erwerbslosen, dessen „Eigenaktivität Arbeit für Deutschland muss die Europäische Union beach- gestärkt“ werden müsse. Sein Mangel an Eigenaktivität sei ten, weil unsere nationale Gesetzgebung in steigendem die Hauptursache seiner Arbeitslosigkeit und könne nur Maße von der EU beeinflusst wird. Somit benötigen wir neue durch gewisse Maßnahmen behoben werden, wie (unsin- Einflussmöglichkeiten auf die EU-Gesetzgebung. nige) Bewerbungsvorschriften, Aufhebung des Berufs- Wir unterstützen alle Aktivitäten des neuen Vorstandes, die schutzes, Erweiterung der Zumutbarkeit, (völlig einseitige) auf eine effektive, europäische Bürgerrechtsarbeit ausge- „Eingliederungsvereinbarungen“, Zwang zu „1-Euro-Jobs“ richtet sind: und Androhung von Kürzung des ALG II um 30 % für drei 1. sei es zu spezifischen Themen mit anderen europäischen Monate. Organisationen zusammenzuarbeiten, Die hiervon Betroffenen sind inzwischen nicht nur Men- 2. sei es durch eine aktive Einbindung der HU in europaweite schen aus „dem unteren Rand“ unserer Gesellschaft; sie Bürgerrechts-Netzwerke oder kommen nach Werdegang und Status zunehmend auch aus 3. durch die Unterstützung einer europäischen Zweigstelle der sogenannten Mitte der Gesellschaft. von Bürgerrechtsorganisationen. Helgrid Hinze, Hamburg Auf dem nächsten Verbandstag berichtet der Vorstand in geeigneter Form über den Erfolg seiner europäischen Bürgerrechtsarbeit. Landesvorstand Berlin Antrag 3

Legalisierung der Sterbehilfe Antrag 2 Die Delegiertenkonferenz möge beschließen: Gegen die Ausgrenzung von Der Bundesvorstand setzt sich für die Straffreiheit der Arbeitslosen Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, ein, wenn die Tat Die HU möge geeignete Initiativen entwickeln und begangen wurde, um zu einem menschenwürdigen Ster- betreiben, um der Diffamierung und Ausgrenzung von ben zu verhelfen. Arbeitslosen durch Politik, Medien und Gesellschaft Der bisherigen Wortlaut des § 216 StGB: entgegenzutreten. Abs. 1 Ist jemand durch das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist Begründung: auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu Die HU wurde gegründet, um für die Rechte von konfes- erkennen. sionell ungebundenen Menschen gegenüber den Kirchen und Abs. 2 Der Versuch ist strafbar. dem kirchlich beeinflussten Staat einzutreten. Im Weiteren vertrat sie folgerichtig die Rechte auch aller anderen Zur Begründung: Minoritäten. Jetzt wurden die Erwerbslosen, besonders die Am 6. Mai 1985 nahm der frühere Bundesvorsitzende Prof. sog. „Langzeitarbeitslosen“ (das ist man i.d.R. schon ab Dr. Ulrich Klug an einem Hearing des Rechtsausschusses des einem Jahr) zu einer diffamierten Bevölkerungsgruppe. Deutschen Bundestags zur Sterbehilfe teil und legte eine Die Menschen unserer Gesellschaft definieren sich im umfassende Stellungnahme für die HU zu einem Fragen- Wesentlichen über ihren Beruf, ihre Arbeit. Der Verlust des katalog vor. Damit wurde zum ersten Mal der Vorschlag für Arbeitsplatzes kommt also schon fast einer „Entper- eine Ergänzung des § 216 StGB mit einem 3. Absatz sönlichung“ gleich; dazu wird der Mensch aus seinem täg- veröffentlicht: lichen, persönlichen Umfeld gestoßen. Finanzielle Engpässe „Der Täter/die Täterin handelt dann nicht rechtswidrig, wenn (zuerst meist weniger als 60 % des Nettogehaltes, später die Tat begangen wurde, um einen menschenwürdigen Tod 345,- Euro plus „angemessene“ Miete) schränken den herbeizuführen“. (Abs. 1 und 2 bleiben unverändert). Lebensraum weiter ein – und über allem die Aussichtslosig- Die langjährige Beschäftigung der HU mit der Patienten- keit, noch mal einen Arbeitsplatz zu finden! verfügung hatte gezeigt, wie wenig die Selbstbestimmung Täglich hören wir von Fusionen großer Firmen und folgenden der Patienten und der Sterbenden von Ärzten und Betreu- Massenentlassungen; Insolvenzen und „Rationalisierungen“ ungspersonen beachtet wurde.

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 12 Verein Das Grundgesetz erhebt die Würde der freien, sich selbst- Literaturempfehlung zum Thema Sterbehilfe: bestimmenden Person in Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Irene Nickel: Aktive Sterbehilfe und ihre Alternativen Absatz 1 GG zu einem hohen Rechtswert. Zu dieser Selbst- Online unter: http://www.beepworld.de/members42/ bestimmtheit des Menschen gehört von Verfassungs wegen irenenickelpolitik/aktivesterbehilfeua.htm) auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod in Würde und steht damit den Strafbestimmungen des § 216 StGB Dagegen ist ein Sterbenlassen dann pflichtwidrig, wenn die (auch den §§ 212, 213 u.a. StGB) entgegen. Diese entgegen- Patienten trotz Aufklärung über ihre lebensbedrohende Lage stehenden Handlungsgebote gilt es für die Sterbehilfe eine weitere Behandlung wünschen oder bei Bewusstlosen aufzuheben: das Gebot, Leben zu schützen einerseits und ein solcher Wunsch zu vermuten ist. Es steht also immer der das Gebot, die Menschenwürde mit dem Selbstbestim- mündliche oder aufgeschriebene oder gemutmaßte Wunsch mungsrecht zu wahren andererseits. des Patienten im Vordergrund. Daran sind Ärzte in jedem In diesem Spannungsfeld stehen jede Ärztin, jeder Arzt, jede Falle gebunden. Betreuungsperson, jeder Mensch, wenn es um Sterbehilfe Sterbehilfe und Euthanasie? Die Nationalsozialisten haben geht. Die Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht liegen unter dem Begriff Euthanasie Verbrechen begangen und überall dort, wo den Strafbestimmungen ein Rechtferti- damit diesen Begriff für eine humane Sterbehilfe diskredi- gungsgrund aus § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) oder tiert. Es muss hier nicht ausgeführt werden, was sie getan aus dem übergesetzlichen Rechtsfertigungsgrund der Pflich- haben. Demgegenüber würde die Legalisierung der aktiven tenkollision entgegensteht. Sterbehilfe ausschließlich dem Willen der Betroffenen Der Arzt ist von Verfassungs wegen schon heute sowohl Geltung verschaffen! beim positiven Tun als auch beim Unterlassen gerechtfertigt, Aus einer Umfrage von 1999: 78 % der BürgerInnen waren wenn seine Hilfe in Wahrung des genannten Verfassungs- dafür, dass erlaubt sein sollte, unheilbar Kranke, auf ihren gebots geleistet wurde. ausdrücklichen Wunsch hin, von ihrem Leiden zu erlösen Leider werden Rechtfertigungsgesichtspunkte in der Recht- und ihr Leben mit Sterbehilfe zu beenden. Und 58 % der sprechung des Bundesgerichtshofes nicht ausreichend BürgerInnen sprachen sich für eine gesetzliche Regelung berücksichtigt. Zur Klarstellung und um ÄrztInnen Rechts- aus, unter welchen Bedingungen diese Sterbehilfe geleistet sicherheit zu geben, braucht es deshalb die oben vorge- werden darf. schlagene Gesetzesergänzung durch einen neuen Absatz, der Auch daraus abgeleitet soll die HU diese Forderungen an den die Rechtfertigung klarstellen und dem Wunsch des Sterbe- Gesetzgeber unterstützen, den Mehrheitswillen der Bevöl- willigen Geltung verschaffen würde. kerung in einer Demokratie endlich umzusetzen. Dieser Auch würde hiermit ein Widerspruch der heutigen Rechts- Orientierung kam der Gesetzgeber bisher nicht in aus- ordnung beseitigt, den wohl kein Nicht-Jurist versteht: reichendem Maße nach. Dagegen gerichtete ideologische, Selbsttötung ist straffrei, folglich ist auch die Beihilfe zur religiöse oder philosophische Argumente/Tabus sind zwar in Selbsttötung straffrei. Der Arzt oder Angehörige, die einem einer freiheitlich strukturierten Gesellschaftsordnung zu Selbstmordwilligen Gift geben, damit dieser die Selbsttötung tolerieren, können aber weder eine rechtliche noch eine begehen kann, bleiben straffrei. Ist der Selbstmordwillige moralische Bevorzugung beanspruchen. Die Rechtsordnung jedoch gelähmt, so dass er das Gift nicht selbst einnehmen und der Gesetzgeber sind zur Neutralität verpflichtet. Sie kann, und verabreichen es ihm folglich Arzt oder Ange- müssen sowohl den Willen der Patienten schützen, als auch hörige, so ist das eine strafbare Tötung auf Verlangen. Kein ÄrztInnen und andere Personen, die Sterbehilfe leisten. vernünftiger Mensch versteht diesen Unterschied.

Es hat sich bei der jahrelangen Arbeit der HU mit der Helga Killinger, Wolfgang Killinger, Wilhelm Hering und Diethard Patientenverfügung gezeigt, wie sehr die BezieherInnen der Seemann, Bayern Patientenverfügung klagen, dass sich oft Ärzte, Kranken- häuser und Pflegeheime weigern, einmal begonnene lebens- verlängernde Maßnahmen abzubrechen und damit den geäußerten oder dokumentierten Patientenwillen missach- ten. Sie alle berufen sich auf ihre Pflicht, Leben zu erhalten Antrag 4 oder fürchten, wegen „aktiver Sterbehilfe“ belangt zu Änderung der Wahlordnung werden. Eine zusätzliche Regelung der ärztlichen Pflichten zur Ster- Die Delegiertenkonferenz möge beschließen: behilfe sollte ÄrztInnen, die keine Sterbehilfe leisten können/ § 9 Ziffer 3 der Satzung der Humanistischen Union wird wie wollen, nur dann zur Sterbehilfe verpflichten, wenn unver- folgt geändert: „Sie wählt auf die Dauer von zwei Jahren in zügliches Eingreifen erforderlich ist. Ansonsten sind sie aber getrennten Wahlgängen die Vorsitzende oder den Vorsitzen- verpflichtet, andere KollegInnen heranzuziehen, die zur Ster- den, die übrigen Mitglieder des Vorstands, das Schieds- behilfe bereit sind. gericht [...]. Wählbar ist jedes Mitglied des Vereins. Gewählt Nicht vergessen werden soll, dass jede ärztliche Behandlung ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf der Einwilligung der Patienten bedarf, ansonsten sie eine sich vereint.“ Körperverletzung nach § 228 StGB ist. Katharina Ahrendts, Berlin

13 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Verein Öffentlichkeitsarbeit der Humanistischen Union Die Humanistische Union ist eine Lobbyorganisation. Ihre - Das neue HU-Faltblatt erhielt deutlich mehr Aufmerksam- Aktivitäten umfassen zu einem weiten Bereich Interessen- keit als sein Vorgänger. Das orange Quadrat ist ein Hin- vertretung für die Wahrung und den Ausbau von Menschen- gucker! Die ungewöhnliche Faltung führt dazu, dass in und Bürgerrechten. Für den Erfolg dieser Arbeit ist die vielen Fällen das Faltblatt nicht nur auf-/angenommen, Fähigkeit zum Transport ihrer Botschaften wesentlich. sondern auch gleich geöffnet und damit zumindest ansatz- Öffentlichkeitsarbeit, verstanden als Technik zur Verbreitung weise gelesen wird. der Positionen der Humanistischen Union, ist deshalb ein - In Bremen wurde das neue Faltblatt für Werbeaktionen in zentrales Aktivitätsfeld. Entscheidend für den Erfolg der HU der Fußgängerzone benutzt. Die Verteilung von 100 Falt- ist ihre inhaltliche Arbeit. Diese Einschätzung wird durch blättern erbrachte drei Anfragen nach mehr Information. den folgenden Bericht nicht relativiert. Was auf den ersten Blick als kleiner Erfolg erscheinen mag, Die große Bedeutung der „Verpackung“ für die Kommuni- ist in Wirklichkeit weit mehr. Eine „Response-Rate“ über kation von Inhalten erhielt in der HU lange zu wenig Auf- einem Prozent gilt unter professionellen Spendensammlern merksamkeit. Ungeachtet dieses Schattendaseins entwickelt (Fundraisern) als gutes Ergebnis. sich das zarte Pflänzchen HU-Öffentlichkeitsarbeit seit ca. - Beim „Fest der Demokratie“ besuchte unser Beiratsmitglied einem Jahr stetig: Claudia Roth den HU-Stand und wurde sofort auf das neue - Anlässlich der letzten Jahrestagung in Lübeck wurde ein Faltblatt aufmerksam. Dem Sprecher der Gustav Heine- neu getextetes und gestaltetes HU-Faltblatt vorgestellt. mann-Initiative gefällt das Faltblatt so gut, dass sie bei „unserer“ Graphikerin das neue GHI-Faltblatt gestalten - Im Kontext des „Faltblatt-Projektes“ wurde ein Deckblatt lassen möchten. entwickelt, mit dem die HU jetzt mehrseitige Stellung- nahmen „binden“ kann. - Für die Karikaturenaus- stellung der HU im Berliner - Als drittes Printprodukt Haus der Demokratie und wurde eine A4 Seite mit dem Menschenrechte konnte durch HU-Logo gestaltet, auf die die Verwendung der Ein- mit dem Laserdrucker Einla- ladungsvordrucke stilvoll ein- dungstexte bzw. Ankündi- geladen werden, ohne hohe gungen gedruckt werden Kosten zu verursachen. können. Diese Vorlage eignet sich auch für das ‚Groß- - Bei der letzten Verleihung kopieren’ auf das Format A3. des Fritz-Bauer-Preises wur- den für die Pressemappen die - Um HU-Drucksachen neuen Deckblätter verwendet. stimmig gestalten zu können, Für Spätanmelder zur Preis- wurde die Verwendung einer verleihung fehlten eigens bestimmten Schrift festge- gedruckte Einladungen. Diese legt. Der Stand des Berliner Landesverbandes am 1. Mai 2005 Lücke konnte durch die - Schließlich wurde das HU- Blanko-Einladungen geschlossen werden. Logo, das in keiner technisch gut zu verarbeitenden Form Die oben angesprochene große Bedeutung der Verpackung vorlag, von der Graphikerin, die das HU-Faltblatt gestaltet für die Kommunikation von Inhalten wurde am 8. Mai hat, nachgezeichnet und digitalisiert. Das digitale Logo ist anhand der Missachtung von Flugblättern zu den Themen jetzt in verschiedenen Versionen bei der Bundesgeschäfts- Biometrie- und Versammlungsfreiheit besonders anschau- stelle abrufbar. lich. Beide Texte waren versehen mit dem HU Logo auf DIN Diese Aktivitäten haben Kosten verursacht. Gewürdigt A5 Blätter kopiert worden. Neben den vielen gut gestalteten werden sollte auch, dass in der Herstellung des Faltblattes Auslagen der Stände, welche die Besucher des Festes bzw. der weiteren genannten Produkte viel Arbeit steckt, die passierten, blieben diese „hässlichen Entlein“ unabhängig von einer kleinen Gruppe engagierter HU-Mitglieder er- von der Qualität ihres Inhaltes weitgehend unbeachtet. bracht wurde. Beides, der Einsatz der HU-Mitglieder und die Aus dieser Erfahrung ist die Idee für das neueste Projekt der aufgewendeten Kosten leiten zu der Frage, wie der Nutzen AG-Öffentlichkeitsarbeit geboren worden: Wir werden ein des Projektes zu beurteilen ist. Blanko-Faltblatt entwerfen und drucken lassen, das die HU - Bei den neuen HU-Faltblättern wurde der Nutzen bei den in die Lage versetzt, in attraktiver Form und kleinen Auf- HU-Ständen zur 1.-Mai-Kundgebung in Berlin und kürzlich lagen allgemein verständliche Stellungnahmen zu aktuellen beim „Fest der Demokratie“ am 8. Mai vor dem Brandenbur- Themen zu produzieren, die bei Veranstaltungen ausgelegt ger Tor sehr deutlich. oder verteilt werden können. Christoph Bruch

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 14 Nachrufe Sieghart Ott Der 68er APOloge Dieter Kunzelmann bezeichnete ihn als kommerzielle Fernsehen einen sog. „Kabelgroschen“ bezah- „juristisch ausgefuchsten und in den Künsten bewanderten len sollten. Mit seiner Klage 1984 bis zum Bundesver- Verteidiger“. Und so kannten wir ihn auch: Unseren Münch- fassungsgericht hat er ein Urteil erstritten, das bis heute die ner HU-Rechtsanwalt Sieghart Ott. Er war ein Mann der Rundfunkfreiheit stärkt und die Finanzierung des öffentlich- ersten Stunde und hat sich gleich einen Namen gemacht rechtlichen Rundfunks sichert. Sieghart Ott war Mitinitiator durch erfolgreiche Verteidigung der Kunstfreiheit vor allem des Bildungswerks der HU Bayern und lieferte ihr nicht nur gegenüber bairischen klerikalen Zensurversuchen. Der diente die Satzung und manch erheiterndes Bonmot, sondern be- sein dtv-Bestseller aus dem Jahre 1968 „Kunst und Staat. geisterte auch als Vortragender. Dass er in allen Vereins- Der Künstler zwischen Freiheit und Zensur“. Schon vorher angelegenheiten erster Ansprechpartner war, versteht sich hatte er im Szczesny-Verlag eine „Dokumentation zur Frage von selbst angesichts des großen Erfolgs seines dtv-Bandes der Schwangerschaftsverhütung und der guten Sitten“ „Vereine gründen und erfolgreich führen“ (das dieser Tage in veröffentlicht: „Der Fall Dr. Dohrn“ (1964) und 1967 im 10. Auflage erscheint). Und so machten wir ihn denn auch Luchterhand-Verlag: „Das Recht auf freie Demonstration“, prompt zum Vorsitzenden des VORGÄNGE e.V. In diese Zeit- aus dem dann später der zusammen mit Hartmut Wächtler schrift hat er (bis zuletzt) viel Arbeit, Energie und Zeit inves- verfasste Kommentar zum „Gesetz über Versammlungen und tiert und hat sich auch jahrelang als „literarischer Maul- Aufzüge“ wurde (1996). wurf“ durch die juristische Fachliteratur gewühlt und die VORGÄNGE-Leser über alle wichtigen Neuerscheinungen Eines seiner gründlichsten, kritischsten und leider nach wie kritisch und witzig informiert. Jetzt müssen wir ohne seine vor aktuellen Bücher erschien 1968 (ebenfalls im Luchter- literarischen Schmankerl, ohne seinen wertvollen Rat, ohne hand-Verlag): „Christliche Aspekte unserer Rechtsordnung“. seine tatkräftige Hilfe, ohne seinen juristischen und Jahrelang war Sieghart Ott Mitglied des Ortsvorstands manchmal auch moralischen Beistand auskommen. München und musste immer wieder bei kniffligen juris- tischen Problemen (aber nicht nur bei diesen) helfen. So Johannes Glötzner wollte er verhindern, dass BürgerInnen in Bayern für das

Bianca Müller ––– Tod einer Polizistin „Tod einer Polizistin“ lautete der Titel eines 2000 von Dieter dungsprozesse unseres Verbandes vertrugen sich auf Dauer Schenk veröffentlichten Buches, das der Frage nachgeht, nicht mit ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit. So einigten welche Dynamiken in der hierarchischen, männlich wir uns schließlich gütlich, wieder getrennte Wege zu geprägten Institution Polizei tödliche Folgen haben können. gehen. Thematisch blieben wir verbunden, verloren sie aber Mit Erscheinen des Buches bricht auch eine Berliner zunehmend aus den Augen. Kriminalhauptkommissarin ihr Schweigen: Bianca Müller, die Ende April wurde Bianca Müller tot in ihrer Wohnung in ihre Karriere als Sven Müller begann. Couragiert erzählt sie Berlin aufgefunden. Der Presse war zu entnehmen, dass sie ihre Lebensgeschichte, setzt sie gegen die üble Nachrede, die bei ihrem Suizid einen Abschiedsbrief hinterließ, in dem sie sie nach der geschlechtsanpassenden Operation erfuhr. Mit erneut Mobbing-Vorwürfe erhebt. Die Polizei beeilte sich, ihren Medienauftritten klärt sie eine breitere Öffentlichkeit diese zurückzuweisen. „Unerfüllte Karrierewünsche“ seien darüber auf, dass nicht alle Menschen bei Geburt eindeutig der Hintergrund ihrer Beschwerden gewesen. Diese Reaktion einem von zwei Geschlechtern zuzuordnen sind. Als Kind erinnert in fataler Weise an die Umgangsweise mit Mobbing war sie gewaltsam auf das männliche Geschlecht festgelegt und Suiziden in der Polizei, die Bianca Müller immer wieder worden. Ihr „Wandel“ zur Kollegin stieß bei Kollegen auf kritisiert hatte. Auch wenn wir nach ihrem Austritt aus der Unverständnis. Die Auseinandersetzung mit Anfeindungen HU zu wenig Kontakt zu Bianca Müller hatten, um die wurde zu ihrem Lebensthema. Mit unendlich erscheinender letztlichen Umstände ihres Suizids beurteilen zu können, Energie setzte sie sich bundesweit für Mobbing-Opfer in der kannten wir sie zu gut, um uns damit abzufinden. Ihr Suizid Polizei ein. hatte eine Vorgeschichte. Sie handelt von unerträglichen Zur HU stieß Bianca Müller, nachdem die Bundesarbeits- Verhältnissen, denen Intersexuelle in dieser Gesellschaft und gemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten, deren Unangepasste in der Polizei ausgesetzt sind. Um an dieser Sprecherin sie war, durch Zivilklagen in die Insolvenz Situation etwas zu ändern, hat sie gekämpft: leiden- getrieben worden war. Hintergrund waren Pressemit- schaftlich, aus eigener Erfahrung kompetent, aus der teilungen, die Ausländerfeindlichkeit und Mobbing in der Außenperspektive mitunter verbissen, manches Mal am Polizei angeprangert hatten. In Form einer Arbeitsge- Rande der Verzweiflung – bis sie offenbar keine Kraft mehr meinschaft der HU suchte Bianca Müller die Arbeit der für diesen Kampf hatte. Über Bianca Müllers Tod ist die „Kritischen“ fortzuführen. Dabei war es ihr wichtig, unmit- Berliner HU traurig und bestürzt. Ihre politischen Anliegen telbar auf Ereignisse zu reagieren, die sie als Ungerechtigkeit bleiben unerledigte bürgerrechtliche Aufgaben. erkannte – notfalls als Pressemitteilung gleich nach einer Roland Otte Nachtschicht. Die langwierigen Abwägungs- und Entschei-

15 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Nachrufe

»Anzustreben ist nicht ein besserer Strafvollzug, sondern etwas, das besser ist als Strafvollzug.« Zum Tod von Helga Einsele Helga Einsele wurde am 9. Juni 1910 in Dölau bei peutischen Behandlung und der Unterstützung von Selbst- geboren. In einem liberalen Umfeld aufgewachsen, schloss hilfegruppen für Gefangene. sie sich während des Jura-Studiums in Heidelberg – nach Mögen die politischen und theoretischen Urheberschaften „Überwindung bürgerlicher Skrupel“ – bald sozialistischen an der Strafvollzugsreform der 70er Jahre umstritten sein, Studentengruppen an. Ihr Examen absolvierte sie bei dem Helga Einsele konnte von sich behaupten, mit ihrer Arbeit sozialdemokratischen Strafrechtler und Rechtspolitiker das praktische Vorbild der sozialliberalen Strafrechtsreform , dessen Aufmerksamkeit für die politischen abgegeben zu haben. Der Erfolg ihrer Bemühungen um einen und sozialen Probleme des Rechts sie tief beeindruckten. humanen Strafvollzug, die im Vergleich zu anderen Haft- Von ihm bezog sie auch die Überzeugung, dass es mit einer anstalten geringeren Rückfallquoten, waren der Beweis, dass Reform des Strafvollzugs nicht getan sei, dass vielmehr ein ein fürsorglicher Umgang mit Gefangenen nicht dem anderer Umgang mit Gesetzesverstößen notwendig ist. Schutzinteresse der Gesellschaft widerspricht. Solche Überlegungen müssen damals, lange vor der Reform der Strafanstalten, den Bemühungen um eine demokratische Das Engagement für die Gefangenen trug nicht immer zu Kontrolle der Gefängnisse und der Ausrufung des Resoziali- ihrer Beliebtheit bei. Als sie sich in den 70er Jahren für die sierungsziels wie eine Rechte der bei ihr inhaftierten RAF-Mitglieder einsetzte, ferne Utopie geklungen witterte das BKA darin haben. eine „Unterstützung terroristischer Kreise“. Helga Einsele aber Aber auch über den wollte nicht nur einer Kreis ihrer Haftanstalt Utopie anhängen. Über hinaus bewies Helga Gustav Radbruch und Einsele häufig Wider- – dessen spruchsgeist. Nach ih- Einsatz für die Entnazi- rem Eintritt in die SPD fizierungen sie begleite- (1953) wehrte sie sich te – wurden ihr nach gegen die Abkehr von dem Krieg zwei mög- sozialistischen Traditio- liche Positionen ange- nen und unterstützte tragen: vor die Ent- die Proteste gegen die scheidung gestellt, die Wiederbewaffnung West- Leitung der Polizeidirek- deutschlands, den tion oder eines Zucht- NATO-Beitritt und die hauses für Frauen anzu- Notstandsgesetze. Von Helga Einsele stammte eine der 16 nehmen, entschied sie sich kurzerhand für Letzteres. So Gegenstimmen bei der Verabschiedung des Programms von begann 1947 ihre Arbeit als Leiterin des Frauenvollzugs in , wofür sie den Rausschmiss aus der Partei Frankfurt-Preungesheim. In den kommenden 28 Jahren und letztlich auch ihre berufliche Stellung riskierte. baute sie hier ihr Lebenswerk auf. Helga Einseles oberstes Ziel war es, die Würde der Gefangenen zu achten und ihre Helga Einsele fand immer wieder Menschen, die ihre eman- Rechte weitgehend zu wahren. Sie forderte von den zipatorischen Ziele teilten. Die Humanistische Union würdig- Beamten einen respektvollen Umgang mit den Gefangenen te ihr Engagement für einen humanen Strafvollzug 1969 mit ein und setzte durch, dass Strafgefangene jetzt mit „Sie“ dem ersten Fritz-Bauer-Preis. Im gleichen Jahr trat sie in anstelle des vereinnahmenden „Du“ angesprochen wurden. den Beirat der Humanistischen Union ein. Nach ihrer Pen- Wo immer es ihr möglich erschien, bezog sie die Gefangenen sionierung im Jahre 1975 engagierte sie sich weiter für die in die Entscheidungen des Haftalltags ein und praktizierte Rechte der Gefangenen, hielt zu vielen von ihnen persön- Formen der Mitbestimmung, bevor diese als Insassenvertre- liche Kontakte. Aber auch andernorts engagierte sie sich bis tungen oder Vollzugsbeiräte institutionalisiert wurden. Ihre zuletzt: ob bei Ostermärschen, den Protesten gegen die populärste Entscheidung war sicherlich die Einrichtung eines Raketenstationierung in Mutlangen oder als Honorarprofes- Mutter-Kind-Hauses in ihrer Haftanstalt. Den Kindern blieb sorin für Kriminologie. dort die Einweisung ins Heim erspart, die ansonsten mit dem Helga Eisele starb am 13. Februar in Frankfurt am Main. Haftantritt der Mutter verbunden war. Wegbereiterin war sie darüber hinaus mit den ersten Angeboten einer thera- Sven Lüders

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 16 Diskussionen »Die Überlegungen bei mir gehen aus von würde das wohl sogar für unkameradschaftlich empfinden und also auch in inneren Druck kommen. Wenn er dem dann den Gesichtspunkten eines liberalen schließlich nachgäbe, so könnten zahllose Adressen in sehr Strafvollzuges.« bedenkliche Hände kommen, die es nun einmal im Straf- vollzug gibt. Das auszuschließen wäre unrealistisch. Es Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge eines Briefes, würde zu einer Überforderung des einzelnen Mannes führen. welchen Helga Einsele am 30. Juli 1978 an die damalige Das würde auch kaum anders zu bewerten sein, wenn die Bundesgeschäftsführerin der Humanistischen Union, Helga einzelnen Adressengeber zustimmen würden. Auch sie Killinger, schrieb. Sie greift in dem Brief die Idee einer Ver- können aus ihrem Idealismus heraus die realen Gefahren mittlung von Briefkontakten für Gefangene auf. Dass aus möglicherweise nicht übersehen. dieser Idee eine Realität geworden ist, die sich heute immer Hinzu kommt, dass die Weitergabe von Adressen für Kon- noch großer Nachfrage und Beliebtheit unter den Gefange- takte ja auch ein wenig sortiert werden müsste. (...) Wir nen erfreut, ist eine der Spuren, die Helga Einsele in der haben solche Aufgaben der Gefangenenmitverantwortung Humanistischen Union hinterlassen hat. übertragen. In Ihrem Falle könnte das einer HU-Gruppe in der jeweiligen Anstalt ja vielleicht übergeben werden. Frankfurt/M., den 30.7.1978 Nicht ganz verstanden habe ich, was Sie unter Zentralisie- rung in diesem Falle verstehen. Es könnte sich ja wohl nur Liebe Frau Killinger, um eine Zentralisierung in jeweils kleinen geographischen Entschuldigen Sie, daß ich erst heute Ihren Brief vom Einheiten handeln. Ich meine, solche Kontakte sollten mög- 18. Juli beantworte. Ich wollte die gestellte Frage gerne lichst so vermittelt werden, dass aus den Brief- gelegentlich auch mit einigen ehemaligen Gefangenen besprechen, auch Besuchskontakte werden können. Das aber schließt zu außerdem traf ich gestern Sozialarbeiter des Strafvollzuges. weite Entfernungen aus. Mir erscheint es am sinnvollsten Unsere Ansichten decken sich vollständig. Es geht um die für eine effektive Vermittlung – und darum geht es ja wohl Einrichtung einer zentralen Briefkontaktstelle bei einem doch – wenn jede Anstalt über Kontaktadressen verfügte inhaftierten HU-Mitglied. Die Überlegungen bei mir gehen und dann danach die Vermittlung übernehmen könnte. aus von den Gesichtspunkten eines liberalen Strafvollzuges. Ich hoffe, Ihr Anliegen richtig verstanden zu haben und Ich stimme im Ergebnis den Überlegungen des Bundes- grüße Sie herzlich. vorstandes zu. Theoretisch leuchtet die Haltung der Essener Helga Einsele Gruppe ein. Man möchte soviel wie möglich der Selbst- organisation der Gefangenen überlassen. Über den Wert der Literaturhinweis: Briefkontakte für Gefangene und deren Organisation müssen Die politische Autobiographie Helga Einseles ist erschienen wir ja wohl nicht diskutieren. Es geht also nur um die Praxis unter dem Titel „Mein Leben mit Frauen in Haft“ (Quell- unter den obwaltenden Umständen. Verlag, Stuttgart 1995, ISBN 3791817124) Ich habe in der Tat, wie Sie, Bedenken, wahllos Adressen von Ein politischer Nachruf von Günter Platzdasch und Heiner Bürgern in die Hände von Strafgefangenen zu geben. Den in Halberstadt ist im Internet zu finden unter: Aussicht genommenen Kontaktmann kenne ich – Gott sei http://www.linksnet.de/artikel.php?id=1541 Dank – nicht, meine Überlegungen sind also völlig neutral. Ja, ich unterstelle, dass dieser Mann, der sich wahrscheinlich erst in der Haft der HU angeschlossen hat, zuverlässig ist und keine der Adressen unlauter benutzen würde. Leider sind alle Selbsthilfeorganisationen von Gefangenen und Entlassenen bisher ins Zwielicht geraten (außer wohl in Norwegen, wo eine starke Gruppe „anderer“ die Organisation mitträgt). Die Gruppen sind immer wieder in strafbares Verhalten hineingeraten, was angesichts ihrer Situation verständlich ist. Deshalb verbinde ich mit dieser Feststellung kein Werturteil. Selbst die bisher renommierte „Prisoner Union“ in den USA hat schließlich offenbar auch einen solchen Weg gefunden, wenigstens neben ihren vernünf- tigen Aktivitäten. Doch selbst wenn solche Gefahren für den einzelnen betroffenen Mann auszuschließen wären, so muss man doch wissen, dass er mit seinem Adressenmaterial unter einen mächtigen Druck der Mitgefangenen geraten würde, direkt oder indirekt. Er würde sich diesem Druck, solche Adressen für Entlassungen herzugeben, kaum widersetzen können, www.planet-tegel.de

17 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] Service Aus den Landesverbänden

Alfons Kenkmann, Dr. Boris Schafgans Landesverband Berlin-Brandenburg Tagung am 17.-19. November 2005 in Bocholt Landesgeschäftsstelle im Haus der Demokratie und Kosten: 85 € Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin Telefon: 030 - 204 25 04 Fax: 030 / 204 502 57 Ortsverband Essen / Landesverband NRW E-Mail: [email protected] Internet: www.hu-bb.de Bürozeiten: Di 10-15 Uhr und Do 16-20 Uhr Kronprinzenstr. 15, 45128 Essen Aktiventreffen am ersten Mittwoch des Monats um 19.00 Uhr Telefon: 0201 - 22 89 37 E-Mail: [email protected] Bildungswerk der HU NRW Ortsverband Frankfurt / Main Kronprinzenstr. 15, 45128 Essen Telefon: 0201 - 22 79 82 Fax: 0201-23 55 05 c/o Peter Menne, Speyerstr. 16, 63065 Offenbach, E-Mail: [email protected] Telefon: 069 - 800 47 17, E-Mail: [email protected] Internet: www.hu-bildungswerk.de oder Schatzmeister: Klaus Scheunemann, Wilhelm-Busch-Str. 45, 60431 Frankfurt, Telefon: 069 - 52 62 22 Ungarn - Geschichte und Gegenwart. Studienreise vom 16.- 25. September 2005 nach Budapest, Pécs und am Balaton Mittwoch, 25. Mai 2005, 19.00 Uhr Besuche von Museen, Geschichtsorten, Unternehmen, Gesprä- Die EU-Verfassung – was kommt auf uns zu? Menschen- che mit Wissenschaftlern, Gewerkschaftern rechte, Militarisierung, Mitbestimmungsmöglichkeiten: was Kosten: 800 € (darin enthalten: Zugfahrt nach Budapest/ West- wird wie geregelt? (mit Jürgen Bast) bahnhof oder Billigflug nach Budapest, Transfers durch Ungarn KoZ, Studierendenhaus, Uni Frankfurt, Mertonstraße 26-28 mit dem Reisebus, Übernachtung im Doppelzimmer (Mittel- (altes Uni-Gelände FfM-Bockenheim, U6/U7 Bockenheimer klasse-Hotels) HP, Programmkosten, EZ-Zuschlag 180 €) Warte) Überall lesen wir, in welchem europäischen Land das Volk oder HauptStadtZeitGeschichte. das Parlament über die neue EU-Verfassung abstimmt – aber Begegnung mit Berliner Vergangenheit und Gegenwartsproble- was steht in der EU-Verfassung eigentlich drin, insbesondere zu men. Studienseminar/Bildungsurlaub vom 9.-14. Oktober 2005 Bürgerrechten und politischen Partizipationsmöglichkeiten? Als in Berlin Prinz Harry im Nazi-Kostüm zu einer Party erschien, war das Kosten: 310 € (Unterbringung im DZ, HP, Eintritte, Transfers vor auch in England geschmacklos – aber von der Meinungsfreiheit Ort, EZ-Zuschlag 55 €) gedeckt. In Deutschland ist das Tragen von Nazi-Symbolen Deutsche Kriegsverbrechen, Verfolgung der Juden und Resis- strafbar. Bringt die EU-Verfassung einheitliche Rechtsstand- tenza in Italien 1943-1945. ards? Wenn ja, welche? Wird mehr direkte Demokratie gewagt? Studienseminar/Bildungsurlaub vom 2.-8. Oktober 2005 in Welche nationalen Besonderheiten bleiben? Oder werden Mit- Reggio Emilia/Italien. Kosten: 485 €, (Unterbringung im DZ, HP, wirkungsmöglichkeiten zurückgeschnitten? Eintritte, Transfers vor Ort) „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähig- Nordfrankreich und Ruhrgebiet: Regionale und nationale keiten schrittweise zu verbessern“ (Art. I-41). Wie verträgt sich Erinnerungskulturen. Exkursion vor allem zu Erinnerungsorten das mit der Idee von Abrüstung oder dem grundgesetzlichen des Ersten Weltkriegs und ins nordfranzösische Industrierevier. Verbot jedes Angriffskrieges? Gemeinsam mit den Jungdemo- Studienseminar/Bildungsurlaub vom 18.-23. November 2005 kraten/Junge Linke Hessen holen wir dazu Jürgen Bast nach Kosten: 550 € (Unterbringung im DZ, HP, Eintritte, Fahrt ab Frankfurt. Er ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck- Ruhrgebiet) Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Vom Malocherrevier zur Europäischen Kulturhauptstadt? Wandel durch Kultur. Studienseminar/Bildungsurlaub vom 24.- Auf soviel Diskussion und Information folgt der gemütliche Teil: 28. Oktober 2005 in Essen und Gelsenkirchen mit Exkursionen auch dieses Jahr stellt uns Monika Knaf ihren wunderschönen zu Orten der Industriekultur Garten für das Sommerfest zur Verfügung: Kosten: 240 € (Unterbringung im DZ, HP, Eintritte, Transfers vor Sa., 25. Juni 2005 ab 16:00 Uhr Ort, EZ-Zuschlag 75 €) Sommerfest der HU Frankfurt in HU-Steinheim Jüdisches Leben in Europa. Eine Fortbildung zum multimedi- bei Monika Knaf, Am Brückfeldgraben 4, Hanau-Steinheim alen historischen Lernen. Tagesveranstaltung am 14. Septem- Telefon: 06181 - 629 21, Linie S 8, Steinheim ber 2005 im Jüdischen Museum Dorsten Gern gesehene Mitbringsel sind Grillgut (auch vegetarisch), Salate, Kuchen, Säfte, Bier, Wein – und gute Laune. Alle HU- Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen Mitglieder sind herzlich eingeladen. Auch Nichtmitglieder sind zum Nationalsozialismus. Mit Vorträgen, Workshops und Ex- willkommen. kursionen über Geschichtsarbeit im Westmünsterland, Ge- schichtswahrnehmungen an der deutsch-niederländischen Grenze, Gedenkstätten-Führungen, digitalisierte Quellen und Internetarchive, das Geschichtsfernsehen des G. Knopp sowie einer Projektbörse – beteiligt sind u.a. Dr. Hans Derks, Annette Eberle, Christian Gudehus, Dr. Ralf Blank, Stephanie Marra, Prof.

HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 18 Service Landesverband Hamburg Die Radioreihe wurde am 18. Mai eröffnet mit dem Thema „Alles paletti für Frauen? Was verspricht das Antidiskrimi- c/o Hauke Borchert, Telefon: 040 - 7 39 51 34 nierungsgesetz?“. Seit 30 Jahren kämpft Heide Hering, HU- Ortsverband Bremen Beirat und ehemals Mitglied im HU-Bundesvorstand, mit der HU für ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund des c/o Christine Bodammer-Gausepohl, Telefon: 0421 – 252 879 Geschlechts verbieten soll. Wird dies der heftig umkämpfte und Thomas von Zabern, Telefon: 0421 - 59 0730 Entwurf der Koalition leisten und wird damit die Gleichstellung der Frauen erreicht? Darüber sprachen Wolfgang Killinger und Der Ortsverband Bremen der Humanistischen Union ist wieder Diethard Seemann mit Heide Hering, begleitet von Musik, die aktiv. Das nächste Treffen für Mitglieder und Interessierte findet sie ausgewählt hat. am 31. Mai um 20.00 Uhr in der Gaststätte Gerken, Feldstr. 77 statt. Der Regionalverband beteiligt sich am Aktionsbündnis für ein bayerisches Informationsfreiheitsgesetz. (s. Seite 7 dieser Mittwoch, 29. Juni 19.30 Uhr Ausgabe) Interessenten und Ansprechpartner aus Kommunen, Das neue Informationsfreiheitsgesetz (Bund) und die Chancen die ein IFG einführen wollen, melden sich bitte bei Wolfgang für ein Informationsfreiheitsgesetz für das Land Bremen Killinger. (Kontakt siehe oben) Vortrag von Dr. Christoph Bruch mit anschl. Podiumsdiskussion mit Mitgliedern der Bürgerschaftsfraktionen über Verwaltungs- transparenz und Informationsfreiheit in Bremen. Bildungswerk der HU Bayern e.V. Ort: Bremer Presseclub, Schnoor 27 Enhuber-Treff - Zentrum für Humanismus, Soziale Dienste, Kunst und Wissenschaft, Enhuberstr. 9, 80333 München Infos zu Büchern, Treffen und Terminen des Bildungswerks Raum Mainz-Wiesbaden der HU Bayern über Johannes Glötzner, Egerländer Str. 4, c/o Joachim John, Sedanstraße 7, 65183 Wiesbaden, 82166 Gräfelfing, Telefon: 089 - 8 54 26 09 Telefon: 0611 - 40 61 24, Fax: 01212 - 5 10 98 15 74 20. Juni 2005, 20.00 Uhr Ortsverband Marburg Selbsterkenntnis und Macht - Männerbünde am Beispiel der Freimaurerei c/o Franz-Josef Hanke, Furthstr. 6, 35037 Marburg Telefon: 06421 - 666 16, E-Mail: [email protected] Referent: Dr. med. Dr. rer. nat. Erwin Häringer, Dozent der Internet: www.hu-marburg.de Landesärztekammer und Autor, München. Der Diskussionskreis „Humanismus, Bürgerrechte, Seidl Villa, Nikolaiplatz 1b, München-Schwabing Friedensarbeit“ hat eine Mailingliste (Eintrag über rink@hu- marburg.de oder http://www.hu-marburg.de/hbf) 4. Juli 2005, 20.00 Uhr Erziehung zum Widerstand - Arbeit und Ziele antifaschis- Landesverband Niedersachsen tischer Organisationen in Deutschland Referent: Friedbert Mühldorfer, Historiker und Pädagoge, c/o Ute Kühling, Lister Str. 21, 30163 Hannover oder Klaus Rauschert, Akazienweg 13, 31832 Springe, München. Ort: Enhuberstr. 9, 80333 München Telefon: 05041-8369 12. September 2005, 19.00 Uhr Regionalverband Nordbayern / Ortsverband Nürnberg Zum Phänomen des Psychoterrors STALKING. 'Stalking' in Familie und Partnerschaft c/o Irene Maria Sturm, Augustinstr. 2, 92421 Schwandorf, Referent: RA Dr. Thomas Etzel, München und RAin Caroline Telefon: 094 31 - 4 23 48, Fax: 094 31 - 4 29 54, Kistler, München. Ort: Seidl Villa, Nikolaiplatz 1b, München- E-Mail: [email protected] oder Schwabing Sophie Rieger, Günthersbühlerstr. 38, 90491 Nürnberg, Telefon: 0911 - 59 15 24 Die Referenten haben sich als Anwälte mit dem Problem inten- siv beschäftigt und zeigen Möglichkeiten der Selbsthilfe und Regionalverband München / Südbayern zum rechtlichen Schutz für die Betroffenen auf. c/o Wolfgang Killinger, Paul-Hey-Straße 18, 82131 Gauting 10. Oktober 2005, 20.00 Uhr Telefon: 089 - 850 33 63, Fax: 089 - 89 30 50 56 (neue) E-Mail: [email protected] Geschichte und Entwicklung des Kosovo Internet: http://www.humanistische-union.de/suedbayern Referent: Shemsi Zeka, Visum e.V., München. Ort: Enhuberstr. 9, 80333 München Die HU macht Radio! 24. Oktober 2005, 20.00 Uhr Ab dem 18. Mai wird die HU München-Südbayern auf Radio Zur Lage der Menschenrechte in Deutschland - Arbeit und LORA Beiträge zu aktuellen Themen aus ihrer Sicht und mit Ziele des Menschenrechtsbundes ihren Forderungen bringen. In 2-monatigem Abstand, alter- Referent: Barthold Olbers, Vors. des Menschenrechtsbundes nierend mit dem Bund für Geistesfreiheit, jeweils am Hamburg. Ort: Enhuberstr. 9, 80333 München 3. Mittwoch des Monats von 20 bis 21 Uhr, folgen weitere Sendungen. Radio LORA kann empfangen werden auf UKW 92,4 MHz, im Kabelnetz auf 96,75 MHz. (Nicht-Bayern können Weitere Ortsverbände und Kontaktadressen sind über die Auszüge des Programms im Internet unter http://home.link- Bundesgeschäftsstelle der HUMANISTISCHEN UNION E.V. zu m.de/lora/ abhören.) erfahren.

19 HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005]

Buchbesprechung: Recht ist, was den Waffen nützt ––– Justiz

und Pazifismus im 20. Jahrhundert

Herausgegeben von Helmut Kramer und Wolfram Wette Aufbau-Verlag Berlin, 2004, 432 Seiten Der Umgang der Justiz in Deutschland mit jenen Menschen, die sich gegen Krieg und Militarismus einsetzen, war in Deutschland oft von Unverständnis und Abneigung geprägt. Immer wieder wurden Pazifistinnen und Pazifisten mit juris- tischen Mitteln verfolgt. Dass der Bundestag die Deserteure der Wehrmacht erst 1997 und gegen den erbitterten Wider- Impressum stand der Konservativen rehabilitiert hat, ist ein deutliches Verlag: Humanistische Union e.V. Beispiel. Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin Telefon: 030 – 204 502 56 Fax: 030 – 204 502 57 Auch in der wissenschaftlichen Forschung findet eine Aus- E-Mail: [email protected] einandersetzung mit der Instrumentalisierung der Justiz zu www.humanistische-union.de politischer Verfolgung kaum statt. Umso interessanter und Bank: Konto 30 74 200, BfS Berlin (BLZ 100 205 00) spannender ist darum das Thema des vorliegenden Buches. Diskussionsredaktion: Der Band vereint Beiträge von Juristen und Historikern, Franz Josef Hanke eröffnet somit unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema. Furthstraße 6, 35037 Marburg Geboten werden Schlaglichter zur Geschichte des Pazifismus E-Mail: [email protected] in Deutschland sowie vor allem Darstellungen von Gerichts- Redaktion: Martina Kant, Sven Lüders (via Verlag) verfahren gegen Pazifistinnen und Pazifisten. Das Buch Layout: Antje Wegwerth / Sven Lüders spannt einen Bogen vom wilhelminischen Kaiserreich über Druck: hinkelstein druck, Berlin die Weimarer Republik und das 3. Reich bis hin zur DDR und Erscheinungsweise der Mitteilungen: vierteljährlich der Bundesrepublik. Dabei gelingt der schwierige Spagat, die Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. unterschiedlichen Epochen darzustellen, ohne in unzulässige Für den Inhalt der namentlich gezeichneten Artikel sind die Autoren und Autorinnen vera ntwortlich. Kürzungen bleiben der Vergleiche zwischen den einzelnen Zeitspannen abzu- Redaktion vorbehalten. rutschen. Die Aufzählung der mit gerichtlichen Verfahren Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 15. Mai 2005 überzogenen Pazifisten und Kriegsgegner liest sich wie ein Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 30. August 2005 „who is who?“ der linken und linksliberalen Intelligenz des ISSN 0046-824X 19. und 20. Jahrhunderts. Neben der Beschreibung prominenter Einzelschicksale Elektronische Informationen werden auch grundsätzliche Merkmale der gerichtlichen Verfolgung untersucht: Ein Vergleich zwischen der Anzahl Für Mitglieder und Interessierte bieten wir a lternativ zur eingeleiteter Verfahren und der Zahl der tatsächlichen Ver- Papier form einen elektronischen Bezug der Mitteilungen und anderer Informationen der HU an. Das ist bequemer für urteilungen legt den Schluss nahe, dass eigentliches Ziel der Sie und spart Kosten. Einfach ausgefüllten Schnipsel an die Anklagen gegen PazifistInnen nicht so sehr eine strafrecht- HU-Geschäftsstelle senden: liche Aufarbeitung der Sachverhalte waren, sondern dass sie vielmehr und vor allem von der Absicht der gesellschaft- lichen Isolierung der Betroffenen geleitet waren. Name, Vorname In seinem Geleitwort stellt Hans-Jochen Vogel einen weiteren wichtigen Aspekt des Buches heraus: Der Band dokumentiert nicht nur das Versagen von Richtern und E-Mail Gerichten in Deutschland bei der Aufgabe, Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien zu schützen. Zugleich werden auch jene (zu wenigen) Angehörigen der juristischen Telefon Fax Berufe gewürdigt, die sich – ob als Anwälte oder Richter – Gewünschte Informationen (bitte ankreuzen): gegen den jeweils herrschenden reaktionären Zeitgeist O Mitteilungen elektronisch engagiert haben. Für eine demokratische, dem Schutz der O Newsletter Bundesverband Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität verpflichtete juristische Tradition ist die Erinnerung an sie unerlässlich. O Pressemitteilungen Bundesverband O Veranstaltungstermine Bundesverband Die in dem Band versammelten Aufsätze bieten somit einen O Informationen des Bundesvorstands (nur für Mitglieder!) guten Überblick über den Umgang der Justiz in Deutschland O Pressemitteilungen LV Berlin mit pazifistischem Gedankengut. Zum anderen leisten sie O Veranstaltungstermine LV Berlin einen eigenen Beitrag zur Rechtskultur in diesem Land. Thilo Scholle HU-MITTEILUNGEN 189 [MAI 2005] 20