Der We stpreuße Begegnungen mit einer unser europäischen Kulturregion danzig

70. Jahrgang Heft 3 Mai 2018 € 6 (D) 25 zł (PL)

ABSCHIED VON THORN S. Th. Soemmerrings Stammbuch von 1774

SCHLOSS RUNOWO Die Geschichte eines Guts bei Vandsburg

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 1 Aus dem Inhalt

VORSPANN 6 3 vorab

4 Damals war's 5 Auf ein Wort

PANORAMA 6 Der Ausbau des Bahnhofs von 7 Notizen aus der Dreistadt, aus Elbing, Marienburg und Thorn Ein neuer Bahnhof 11 Kultur-Informationen aus dem »Land am Meer« für Marienwerder

REISEN UND ERKUNDEN 12 Strasburgs »Grüne Lunge« AUSSTELLEN UND ERFORSCHEN 12 16 16 Groß Waplitz – eine »polnische Insel« in Westpreußen 19 Einladung zu Sonderausstellungen

GESCHICHTE UND KULTUR 20 Erinnerungen an die Heimat : Der Anatom Samuel Thomas Soemmering aus Thorn und sein Stammbuch Das Naturparadies Polnischer Adel 26 Ein »Westpreuße par excellence«. von Strasburg in Westpreußen Zum Tode von Hans-Jürgen Schuch 28 Die Herrschaft Runowo. Schlossruine erzählt Vergangenheit 35 Zum 50. Geburtstag von Artur Becker 35 hörens-, sehens- und wissenswert 20 POLITIK UND GESELLSCHAFT 36 Vertriebene als Akteure auf Augenhöhe : Fünf Fragen an Axel Müller MdB 37 Was bringt die Große Koalition für die Vertriebenenpolitik ? 38 Nachrichten

Sinn-Bilder und Sentenzen RUBRIKEN aus einem Erinnerungsspeicher 3 »Der Westpreuße« ? 39 Impressum / Autorinnen und Autoren 40 Zum guten Schluss

TITELBILD Das Elbinger Rathaus (vormals 28 36 Heinrich-von-Plauen-Schule) im Frühling Foto: Ryszard Biel

PASSWÖRTER für die digitalen Fassungen der letzten drei Westpreußen-Ausgaben Januar / Februar 2018 : heft-1-2018-eee März / April 2018 : heft-2-2018-ebm Getrennte Geschichte – Mai / Juni 2018 : heft-3-2018-avt Die Ruine von Runowo – Chancen und Impulse SymbolGemeinsame der Vergänglichkeit Erinnerung 20 des Koalitionsvertrages

2 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) VORSPANN

Strasburger Naturschutzpark : Dies gilt nicht dern stets auch über die Gegenwart der vorab nur für die opulente grafische Gestaltung, die europäischen Kulturregion Westpreußen deutlich macht, welche Möglichkeiten die zu berichten. Eine Persönlichkeit, die ent- erhöhte Druckqualität für das Angebot an schieden für dieses doppelte Interesse an His- Liebe Leserinnen, liebe Leser, Fotoreportagen bietet ; vielmehr erweitert torie und Gegenwart stand, war Hans-Jürgen nun ist es bereits zwei Jahre her, dass Sie die der Artikel auch das inhaltliche Spektrum der Schuch, von dem wir vor wenigen Wochen erste im Farbdruck erschienene Ausgabe des noch jungen Rubrik Reisen und Erkunden um Abschied nehmen mussten. Westpreußen in der Hand hielten. Die dama- den Gesichtspunkt der zeitlosen Naturschön- Daher erinnern wir in dieser Ausgabe nicht lige Umstellung war einer von mehreren heiten. Weitere Akzente werden wir in den nur an unseren langjährigen Autor und Men- Schritten eines längeren Reformprozesses. kommenden Ausgaben setzen – beispiels- tor, sondern veröffentlichen auch postum Sein Ziel war und ist es, den alten, jedoch weise mit Vorstellungen und Besprechungen den letzten Beitrag aus seiner Feder : eine auch mehr und mehr neuen Lesern eine von Landkarten und Reiseführern, aber auch regionalgeschichtliche Mikrostudie über das ansprechende wie informative Zeitschrift für mit Beiträgen zur regionalen Gastronomie. Gut Runowo. Zugleich möchten wir mit den das Land an der unteren Weichsel zu bieten. Bei aller Neuartigkeit einer solchen thematisch und regional vielfältigen Inhalten Dieser anhaltende Prozess ist geprägt Berichterstattung – im 70. Jahrgang dieser dieses Heftes ein Zeichen dafür setzen, dass durch ein Zusammenspiel aus Kontinuitäten Zeitschrift steht sie doch in der Tradition der wir – gerade auch im neuen Erscheinungs- und Neuerungen. Hiervon – so hoffen wir – vorigen Westpreußen-Jahrgänge : Anliegen bild – in der publizistischen Tradition stehen, gibt auch die vorliegende Ausgabe anschau- der Zeitung war es stets, nicht nur über die die Hans-Jürgen Schuch wesentlich mit- liche Beispiele wie etwa der Beitrag über den Geschichte der preußischen Provinz, son- geprägt hat. Ihre DW-Redaktion

Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe und der gemeinsamen »Der Westpreuße« ? deutsch-polnischen Geschichte einen wichtigen Orientierungsraum. Nicht zu vergessen sind überdies die vielen Familienforscher Wenn das »größte Magazin« einer Stadt den Namen Der Ham- und kulturhistorisch Interessierten, die auf unterschiedlichen burger trägt, leuchtet diese Benennung sofort ein, und auch Wegen mit dieser Region in Kontakt kommen und sich vertiefend dass eine Zeitung Der Nordschleswiger heißt, wird niemanden mit deren Geschichte und Gegenwart beschäftigen wollen ; schließ- befremden – aber : Der Westpreuße ? lich bilden Danzig und das Land an der unteren Weichsel – mit den »Westpreußen« weckt sehr unterschiedliche historische Assozia- ­UNESCO-Welterbestätten Marienburg und Thorn – höchst beliebte tionen – an die preußische Provinz, die Friedrich II. 1772 bei der Ers- Reiseziele, so dass nicht zuletzt auch etliche Touristen, gleichviel ob ten Teilung Polens erwarb und der er ein Jahr später diesen Namen sie zunächst nur erste Eindrücke haben sammeln können oder ob gab, oder an das Kerngebiet des Territoriums, das im Mittelalter vom sie schon zum wiederholten Male kommen, an soliden Hintergrund- Deutschen Orden beherrscht wurde, aber auch an das »Königliche informationen über »Westpreußen« interessiert sind. Preußen« (»Prusy Królewskie«), das Putzig P r e g e l für mehr als 300 Jahre mit der Polni- Königsberg

schen Krone verbunden war. Neustadt/ Zugleich erinnert »West- Wpr. preußen« an die einschneidenden N N Danzig E R Karthaus Veränderungen, die das Deutsche S E Elbing S Reich nach dem Ende des Ersten Dirschau Berent W U e M i E c Marienburg Weltkrieges hinnehmen musste,­ h R Preußisch s

e P

M Stargard l Stuhm S T aber auch an den »Reichsgau W E S O O T P Marienwerder Allenstein R E Danzig-Westpreußen«, der die Re- U Rosenberg P Schlochau S Konitz S gion von 1939 bis 1945 nochmals Tuchel E

N w zu einer­ Verwaltungseinheit zu- o Graudenz d Schwetz Neumark d B ü r

a Strasburg sammenzwang. K h Kulm Deutsch Flatow e Briesen

Krone z In der Gegenwart ist »West- - Wirsitz Gollub n e D N w E r e N preußen« vor allem eine Er- D Thorn D A N Schneidemühl Bromberg A N e t z e L B R innerungslandschaft für Menschen, S G die von dort stammen und für R P S B U O S N E Die Provinz Westpreußen deren Familien dieses Land oft jahr- U 1878–1920 kreisfreie Stadt hundertelang Heimat war. Zugleich R Kreisstadt Grenzen der zum 1.1.1999 eingerichteten eröffnet es als historische Kategorie 0 10 20 30 40 50 km Woiwodschaften den heutigen Bewohnern bei ihrer © stefan walter

Der Westpreuße 3/2018 (Mai /Juni) 3 Damals war's

Liebe Leserinnen und Leser, wie war das damals vor 60 Jahren ? Bei einigen von Ihnen werden Erinnerungen an die 1950er Jahre wach – für andere, jüngere eröffnet der Blick in die Vergangenheit neue Perspektiven. Daher geben wir seit Januar 2016 an dieser Stelle exemp- larische Artikel aus dem Westpreu- ßen – und seit 2017 auch aus Unser Danzig – vor 60 Jahren wieder. Lesen Sie hier in diesem Monat somit einen im Mai 1958 in Der Westpreuße erschienenen Beitrag.

n unserer Kolumne Auf ein Wort er- innert Hartmut Koschyk, der frühere Be- Iauftragte der Bundesregierung für Aus- siedler und nationale Minderheiten, an die politische Verantwortung Deutsch- lands für die „deutschen Gemeinschaften in Nord- und Südamerika, aber auch in anderen Regionen der Welt“ als „Teil der deutschen Kulturnation“. Zu diesen Ge- meinschaften gehören nicht wenige Deut- sche – bzw. deren Nachfahren –, die nach der Vertreibung aus den deutschen Reichs- des Landes, einer Region, die alternativ go de Chile. 1910 anlässlich des 100. Jahres- und Siedlungsgebieten im Osten nicht im „Kleiner Süden“ oder „Chilenische Schweiz“ tages der chilenischen Unabhängigkeit ge- Deutschland der Nachkriegszeit bleiben genannt wird. stiftet, wurde der Brunnen im Oktober 1912 wollten. Als Auswanderer zog es sie nach Die letztere Landschaftsbezeichnung eingeweiht. Finanziert hatte ihn die deut- Australien und Nordamerika ebenso wie gibt uns bereits einen Hinweis darauf, dass sche Minderheit, um hiermit ihren Dank für etwa nach Süd- und Südwestafrika oder die Chile-Deutschen nicht nur aus dem die Aufnahme in dem lateinamerikanischen eben nach Südamerika, wie es im Falle der Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Staat zum Ausdruck zu bringen. Auch wenn Autorin unseres hier wiedergegebenen Deutschland nach Chile migrierten. Viel- sie sich nicht dazu geäußert hat, dürfen wir Textes der Fall war : der aus Westpreußen mehr kamen sie auch aus der k. u. k. Doppel- vermuten, dass der Chile-Deutschen Vera gebürtigen Vera Herrmann – Cousine des monarchie bzw. Österreich oder waren Herrmann dieses Denkmal sehr wohl ver- westpreußischen Landeskundlers und spä- Deutschschweizer. Verbindendes Kriterium traut war. ❧ teren Generalsekretärs des Bundes der Ver- war die deutsche Sprache, die triebenen Hugo Rasmus. für 40.000 der 500.000 Chile- Die Gruppe der Deutschen in Chile – be- nen einer entsprechenden Ab- sitzen sie noch eine deutsche Staatsbürger- stammung bis heute Mutter- schaft, werden sie meist als „Chile-Deutsche“ sprache ist. bezeichnet, sind sie chilenische Staats- Vom Selbstbewusstsein der bürger deutscher Abstammung, meist als deutschen Gemeinschaft wie „Deutsch-Chilenen“ – sind seit dem 19. Jahr- von ihrer Verbundenheit zur hundert ein integraler Bestandteil des öf- chilenischen Mehrheitsgesell- fentlichen Lebens, in Kultur und Wirtschaft schaft zeugt der Fuente Ale- ebenso wie in der Politik. Anders als Vera mana (Deutscher Brunnen) von Herrmann, die ihr Lebensweg von Zoppot Gustav Heinrich Eberlein, einem

in die chilenische Hauptstadt Santiago führ- bedeutenden Vertreter der Ber- WIKIMEDIA VIA 3.0 CC SILVERNET2 FOTO: te, siedeln die meisten Deutschen im Süden liner Bildhauerschule, in Santia-

4 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) VORSPANN Auf ein Wort

Hartmut Koschyk

ir brauchen einen Masterplan für die Dieser Teil der deutschen Kulturnation hat sich Bewah­rung und Fortentwicklung des geschicht- lange Zeit von der deutschen Politik nicht hin- lichen und kulturellen Erbes aus dem Osten. reichend ernst genommen gefühlt. Die damit ver- W bundene politische Agenda stand lange Zeit am Nach einer extrem lang andauernden Regierungs- Rande und ist erst in der Selbstfindung der deut- bildung ist der politische Alltag wieder in Deutsch- schen Nation nach der deutschen Einheit stärker land eingekehrt. Die vierte Große Koalition in in die Mitte der politischen Debatte unseres Lan- Deutschland aus Union und SPD hat es sich zum des gerückt. zentralen Ziel gesetzt, eine neue Dynamik für Deutschland, einen neuen Aufbruch für Europa Dieser Prozess braucht im Sinne der Leitbegriffe und einen neuen Zusammenhalt für unser Land zu des Koalitionsvertrages jetzt »neue Dynamik« und bewirken. »neuen Aufbruch«, um »neuen Zusammenhalt« ge- Dieses Ziel darf nicht nur wirtschaftlich-materiell rade im geistig-kulturellen Bereich zu stiften. und technologisch-wissenschaftlich, sondern muss Dafür muss der geschichtliche und kulturel- auch geistig-kulturell erfolgen. Auch für die deut- le Blick unseres Landes insgesamt stärker nach schen Heimatvertriebenen und Aussiedler, für die Osten gerückt werden. Die Kenntnis über die jahr- nationalen Minderheiten in Deutschland sowie für hundertelange schicksalsträchtige Verwobenheit die deutschen Minderheiten in Europa und der ehe- Deutschlands mit der Mitte, dem Osten und Süd- maligen Sowjetunion enthält der Koalitionsvertrag osten Europas bis nach Russland und Zentralasien wichtige Wegmarken. darf nicht nur ein geschichtliches und kulturelles Gute Politik für Deutschland und Europa sowie Nischenthema der Heimatvertriebenen und Aus- das weitere nachbarschaftliche Umfeld bedürfen siedler, der nationalen Minderheiten in Deutsch- aber entsprechender geschichtlicher und kultureller land und der deutschen Minderheiten sowie deut- Grundlagen. Hier ist auf der einen Seite ein durch schen Gemeinschaften außerhalb Deutschlands entsprechende Bildungspolitik gefestigtes histo- bleiben. Hier geht es um ein wichtiges Element risch-kulturelles Bewusstsein unserer Bevölkerung deutscher Geschichte und Kultur, ohne dessen gefragt. Auf der anderen Seite geht es aber auch um dauerhafte Bewahrung und Weiterentwicklung Empathie und Sensibilität für unser nachbarschaft- unser historisches und kulturelles Erbe einen er- liches Umfeld in Europa und darüber hinaus. heblichen Substanzverlust erleiden würde. Hierzu bedarf es aber vor allem engagierter Bür- Daher wäre es jetzt an der Zeit, dass für die gerinnen und Bürger, die mit Kenntnis und Ver- Bundesregierung die Kulturstaatsministerin, die ständnis den gesetzten politischen Bilderrahmen zu Bildungsministerin und der neue »Heimat- einem lebendigen Bild ausgestalten. Es geht um eine minister« gemeinsam mit den Betroffenen und mit menschliche Brückenfunktion, die geschichtliche den Bundesländern einen Masterplan entwerfen, Erfahrungen, kulturelles Bewusstsein, Mentali- diesen Teil unseres Geschichts- und Kulturerbes täten, Identitäten sowie Glaubens- und Wertüber- wirklich dauerhaft zu sichern und in zeitgemäßen, zeugungen grenzüberschreitend miteinander ver- die junge Generation ansprechenden Formen auch bindet. weiter zu entwickeln. ❧ Genau diese Rolle kommt den deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedlern, den nationa- len Minderheiten in Deutschland sowie den deut- Der Autor war von 1987 bis 1991 Generalsekretär des Bun- des der Vertriebenen, von 1990 bis 2017 Abgeordneter des schen Minderheiten in Europa und der ehemaligen Deutschen Bundestages und gehörte u. a. als Parlamen- Sowjetunion zu. Nicht zu vergessen hierbei sind tarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finan- die deutschen Gemeinschaften in Nord- und Süd- zen und als Beauftragter der Bundesregierung für Aus- siedler und nationale Minderheiten der Bundesregierung amerika, aber auch in anderen Regionen der Welt. an. Er ist Autor des vor kurzen im EOS-Verlag St. Ottilien erschienenen Buches Heimat – Identität – Glaube.

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 5 grünes licht für tiefgreifende modernisierungen Der Ausbau des Bahn- hofs von Marienwerder

Gegenwärtig wird im Streckenabschnitt von der Woiwodschaftsgrenze bei Garnsee bis nach Marienburg intensiv an der Erneuerung der Eisenbahnlinie Nr. 207 gearbeitet. Der Umfang dieses ehrgeizigen Pojekts, das bis zum Herbst 2019 abgeschlossen werden soll, lässt sich am gegenwärtigen Zustand der Station Marienwerder ermessen. fotografien Tomasz Sułkowski

Im Rahmen dieses Programms werden insgesamt 70 Gleiskilometer und 126 tech- nische Bauwerke erneuert. Dabei erhält der Bahnhof von Marienwerder zwei neue Bahnsteige, eine Unterführung sowie drei Aufzüge. Zudem wird die Verzweigung der Linien, die Gleisharfe, um drei Weichen und zwei zusätzliche Spuren erweitert. Die sichtliche Kennzeichnung der Bahnsteige. meisten Gleise und Weichen sind schon Überdies wird die Anlage auch für Men- abgerissen worden. Die Schienen und schen mit Behinderungen leicht zugäng- Betonfundamente liegen bereit. Auch die lich sein und Abstellmöglichkeiten für Überdachung und die Beleuchtungsanlage Fahrräder bieten. des Bahnsteigs No. 2 sind inzwischen de- Selbst angesichts der hohen Kosten des montiert. Beide werden nach Maßgabe Gesamtprojekts – sie belaufen sich auf und unter der Kontrolle des zuständigen einen Betrag von 218,8 Mio. Złoty, von Konservators wiederhergestellt. denen 180,5 Mio. Złoty aus EU-Mitteln die Strecke zukünftig nicht nur mit einer hö- Späterhin wird auch der Service für stammen – handelt es sich offenbar um heren Betriebssicherheit passieren, sondern die Fahrgäste erheblich verbessert. Dazu eine höchst sinnvolle Investition : Durch können dabei eine Geschwindigkeit von bis werden Wartezonen mit bequemen Sitz- die Verbesserungen der Infrastruktur zu 120 km/h erreichen, so dass sich die Fahr- gelegenheiten und eine hinlängliche Be- dürfte sich die Zufriedenheit der Fahrgäste zeit von Graudenz nach Marienburg um etwa leuchtung ebenso beitragen wie elektro- und die Attraktivität der Bahn deutlich er- 13 Minuten verkürzen wird. nische Informationstafeln und eine über- höhen, und nicht zuletzt werden die Züge PKP Polskie Linie Kolejowe / DW

6 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) PANORAMA Notizen aus … der Dreistadt

PÜNKTLICHER FLUGBETRIEB Das bri- tische, international operierende Unter- nehmen Official Airline Guide ­Worldwide BERNSTEIN IM ZENTRUM Vom 21. bis (OAG) koordiniert Flugpläne und ist zum 24. März fand in Danzig zum 25. Male eine anerkannte Instanz für Flugver- die AMBERIF, die internationale Messe für kehr-Statistiken. Im jüngsten Pünktlich- Bernstein, Schmuck und Edelsteine statt. keitsrapport für kleine Flughäfen rangiert Diese Messe ist der weltweit wichtigste Ort der Lech-Wałęsa-Flughafen weltweit unter für die Präsentation aller mit Bernstein ver- den zehn Bestplatzierten. bundenen aktuellen Trends und zugleich die größte Veranstaltung für Juweliere in

STRANDRAUB Nach den Investitions- Mittelosteuropa. Aussteller sind sowohl AMBERIF.AMBEREXPO.PL.PL QUELLE: plänen der Danziger Hafengesellschaft soll große und renommierte als auch kleine, noch unbekannte Firmen. Das Spektrum reicht die Infrastruktur in einen Teil des beliebten von den Herstellern von Schmuckstücken mit Bernstein und Edelsteinen bis zu Produ- Strandes von Heubude (Stogi) hinein er- zenten und Importeuren von einschlägigen Geräten, Werkzeugen und Technologien. weitert werden. Nach diesen Plänen wird In diesem Jahr hatten sich über 470 Aussteller aus 14 Ländern angemeldet. Traditions- der Ausbau insgesamt 50 ha des Geländes gemäß wurden auch diesmal mehrere renommierte Preise vergeben. Eine wichtige beanspruchen. Die Einwohner wehren sich Komponente des Programms bildete jenseits der kommerziellen Interessen eine Ta- heftig gegen diesen „Strandraub“. Auf den gung mit dem Titel „Bernstein – Wissenschaft und Kunst“. Dort konnten mehr als 50 an- 10. April hatten die Stadtbehörden nun die erkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler miteinander Resultate und Proble- Einwohner zu einem Treffen eingeladen, me der Bernsteinforschung diskutieren. Einen ästhetischen Genuss bot schließlich eine um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihren Veranstaltung im Shakespeare-Theater, bei der Mannequins auf einem Laufsteg die Widerspruch gegen dieses Vorhaben zu ar- neuesten Schmuck-Kreationen vorführten. tikulieren. Am meist umstritten ist ein 10 ha großes Gelände, das Partien des Strandes und der Dünen umfasst und nur 250 Meter Elbing vom Eingang zum Freibad entfernt liegt. GEGENWIND Das Vorzeigeprojekt der STIEFMÜTTERCHEN-KRIEG Am Pfarrer- Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ Bronisław-Komorowski-Platz in Danzig-­ (PiS) findet bei den Behörden der Woiwod- Langfuhr ließ die Stadtverwaltung in bester schaft Pomorze keine sonderliche Gegen- Absicht ein Blumenbeet in der Namenform liebe : Zum geplanten Durchstich der Fri- „Wrzeszcz“ [Langfuhr] anlegen. Es musste schen Nehrung bei Bodenwinkel (Kąty

allerdings bald danach entfernt werden, da GDANSK.PL VIA PASZLIŃSKI DOMINIK FOTO: Rybackie) stellte die Verwaltung in einem es auf entschiedenen Widerstand von Fans sowie der Bibliothek der Polnischen Schreiben vom 5. April gegenüber dem der Fußballmannschaft Lechia Gdańsk stieß, Akademie der Wissenschaften. Im offenen Seeamt in Gdingen (Gdynia) fest, dass diese die mit der völligen Zerstörung der ein- Wettbewerb für das Denkmal-Projekt erhebliche, kostenintensive Investition gepflanzten Blumen drohten. Der Grund : gewann ein Entwurf von Adam Arabski, der wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen sei. Die Stiefmütterchen waren gelb und blau – den Geehrten auf einer Ruhebank sitzen Zudem wies sie darauf hin, dass sich etwa diese Farben sind aber diejenigen des geg- lässt. Derartige Denkmäler erfreuen sich in 90 % der Bewohner des Haffs gegen dieses nerischen, wenn nicht feindlichen Clubs Polen seit einiger Zeit großer Beliebtheit. Vorhaben ausgesprochen hätten. Arka Gdynia. Das bekannteste von ihnen in Danzig ist zurzeit das Grass-Bänkchen, auf dem der EIN WEITERES BÄNKCHEN Am 10. April Schriftsteller zusammen mit seiner Figur wurde in Danzig ein Pelczar-Denkmal ent- Oskar aus der Blechtrommel gezeigt wird. ABBILDUNG: SEEAMT GDYNIA SEEAMT ABBILDUNG: hüllt. Marian Pelczar war ein verdienst- Joanna Szkolnicka voller Danziger Bibliothekar, der erste Nachkriegs­direktor der Stadtbibliothek Virtuelle Darstellung des geplanten Schifffahrtsweges

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 7 MEHR GASTARBEITER Der Ausländer- Stadtpräsidenten Janusz Nowak sowie anteil an den Arbeitnehmern in der Stadt mit ihren Elbinger Kollegen, die vom Vor- ist erheblich gewachsen. Dabei stellen sitzenden des Stadtrats, Marek Pruszak, an- Ukra­iner und Weißrussen die größten Grup- geführt wurden. Der Erfahrungsaustausch pen. Mehrere Hundert Personen, die nicht betraf alle einschlägigen Bereiche der kom- über die polnische Staatsangehörigkeit ver- munalen Verwaltung und Finanzen. Zu- fügen, sind 2017 von ihren Arbeitgebern bei dem wurden Möglichkeiten einer noch en- der Sozial-Versicherungsanstalt (ZUS) in El- geren Zusammenarbeit verabredet – z. B. bing angemeldet worden. Am Jahresende beim Jugendaustausch oder der gegen- ergab sich damit eine Gesamtzahl von 1.814 seitigen Repräsentanz bei städtischen Ver- ausländischen Arbeitnehmern. anstaltungen und Festlichkeiten wie dem regelmäßig im September stattfindenden FRÜHJAHRSPUTZ Das Ordnungsamt Elbinger „Brotfest“. Die Gäste besichtigten hat im Rahmen der Aktion „Posesja 2018“ auch die Altstadt und die Elbinger Braue- [Liegenschaft 2018] 63 Immobilien und rei und besuchten die Deutsche Minder- hen jetzt 29 Verhandlungssäle sowie vier Grundstücke auf ihren Zustand hin über- heit. Beim ausführlichen Rundgang durch Zellen für inhaftierte Angeklagte zur Ver- prüft. Am meisten vernachlässigt und ver- das Archäologisch-Historische Museum fiel fügung. Die Errichtung des 11-stöckigen schmutzt waren Besitzungen, die unbebaut ihnen auf, dass sich zwischen dem längst Baus kostete 77 Mio. Złoty. sind, in Außenbezirken liegen oder deren untergegangen Rathaus von Elbing und Eigentümer nicht in der Stadt wohnen. Das dem zur gleichen Zeit – Ende des 19. Jahr- SANIERUNGSPLÄNE Ordnungsamt bereitet mehrere Anzeigen hunderts – errichteten Rathausgebäude vor und verhängte unmittelbar vier Straf- von Leer deutliche architektonische Ähn- mandate. Lech Słodownik lichkeiten erkennen lassen.

GEDENKTAFEL BÄCKERGESELLE GETAUFT Der ­tapfere Bäckergeselle, der einer alten Sage nach die Stadt am 8. März 1521 vor dem so- genannten „Großen Anlauf“ rettete, bekam nun einen Namen. Eine Kommission, die von Vertretern der Stadtverwaltung, des Der gegenwärtige Zustand Archäologisch-Historischen Museums und des Internetportals PortEl gebildet wurde, wählte aus 150 eingegangenen Vorschlägen den Namen „Pietrek“. Diejenigen Bürger, FOTOS: JOANNA SZKOLNICKA JOANNA FOTOS: die Wert darauf legen, dass der Retter der Am Gebäude der Sprachschule Regent in Stadt weiterhin ein namenloser Bäcker- der Królewiecka (Königsberger Straße) geselle bleiben soll, können ganz beruhigt wurde eine Gedenktafel enthüllt. Sie soll sein : Der Wettbewerb hatte einen eher daran erinnern, dass in diesem Gebäude spielerischen Charakter und führt zu keinen ABBILDUNG: EURO PROJEKT GRZEGORZ LATECKI der kommunistische Staatssicherheits- offiziellen Konsequenzen. Die Veranstalter Konzept für die Neugestaltung dienst von 1945 bis 1951 seinen Sitz hatte. beabsichtigten lediglich, durch diese Dis- Hier wurden „Staats-“ und „Verfassungs- kussion daran zu erinnern, dass bis ins Jahr Der fast 50 Jahre alte Marktplatz, der mit feinde“, zu denen damals der auf der Tafel 1772 hinein am 8. März stets ein offizielles seinen heruntergekommenen Buden ge- eigens hervorgehobene Bolesław Nieczu- Stadtfest gefeiert worden war – und diese wiss keinen sonderlich guten Eindruck ja-Ostrowski gehörte, verhört und dabei Tradition vielleicht wieder zum Leben er- hervorruft, wird demnächst gründlich sa- auch brutal misshandelt. Dieses Schicksal weckt werden könnte. niert. Die Arbeiten sollen im Herbst dieses erduldeten vor allem die Angeklagten im Jahres beginnen. Vorgesehen ist die Er- sogenannten „Elbinger Fall“ von 1949, dem HOCH HINAUS Die Stadt besitzt jetzt richtung von neuen Überdachungen für Gipfel des stalinistischen Terrors in Elbing. eines der höchsten und modernsten Ge- die Marktstände und 12 Geschäftspavillons, richtsgebäude in Polen (überragt wird es so dass dort insgesamt etwa 180 Handels- BESUCH AUS LEER Am 4. und 5. März nur noch von demjenigen in Tarnobrzeg). treibende Platz finden; zudem werden kamen die Stadträte der deutschen Im März begann der Umzug der einzel- Parkplätze sowie eine Fußgängerzone an- Partnerstadt Leer (Ostfriesland) zu Besuch. nen Abteilungen des Land- und des Amts- gelegt und eine Straßenbeleuchtung instal- Sie trafen sich mit dem stellvertretenden gerichts in den neuen Dienstsitz. Dort ste- liert. Joanna Szkolnicka

8 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) PANORAMA

WIE NEU blick in seine wiederum höchst ehrgeizigen Marienburg Editionsvorhaben. Im Jahre 2018 sollen vom Marienburger Postamt 1 Sonderbrief- marken mit den folgenden Motiven aus- VON DER BURG IN DIE STADT­ Seitdem gegeben werden: »Die Hohen Lauben« (im sich die Burgführer auch innerhalb der April), »Das Stadtmuseum Marienburg« (im Stadt engagieren, finden ihre Angebote Juni) und »Die Marienburger Eisenbahn- dort immer größere Resonanz. Die von brücke 1888« (im September). ihnen geleiteten Rundgänge durch die Altstadt, bei denen sie sachkundig die Zu- sammenhänge der Stadtgeschichte er- Das 45-jährige Bestehen der Paderew- läutern, sind nicht nur bei Touristen äußerst ski-Musikschule wurde feierlich mit gefragt; vielmehr nehmen seit einiger Zeit Ansprachen und einem von Schülern und auch die Mitglieder der Seniorenuniversität Lehrern getragenen Musik-Programm und andere Einwohner Marienburgs sehr begangen. Zu der Veranstaltung konnte die Entwürfe der gerne daran teil. Direktorin Danuta Kuczewska den Bürger- Sonderbrief- meister der Stadt, Marek Charzewski, den marken VOGELWELT Marcin Węsiora vom Informa- Landrat Mirosław Czapla und viele mit Häusern in den „Hohen tions- und Umwelt-Bildungszentrum Dan- geladene Gäste begrüßen. Seine besondere Lauben“ zig empfing im Marienburger Stadtwald Bedeutung erhielt dieser Festtag dadurch, eine große Zahl von Interessierten zu einer dass das gesamte Gebäude kurz zuvor mit Lehrvorführung über die Welt der Vögel. finanzieller Unterstützung der EU renoviert TAG DER OFFENEN TÜR Die 22. Taktische Während eines ausgedehnten Rundgangs und mit einer Wärmeisolierung versehen Luftwaffenbasis in Königsdorf veranstaltet wurden die verschiedenen Vogelarten be- worden war. Bevor dort die Musikschule ihren diesjährigen »Tag der offenen Tür« stimmt. Im Anschluss daran rückten The- einzog, diente der Komplex, der in am 9. Juni. Das Kommando rechnet wieder men wie die Beringung in den Fokus, und Sichtweite des neuen Marienburger mit mehreren tausend Besuchern aus ver- die Teilnehmer bekamen überdies Hinweise Rathauses gelegen ist, als Haus der schiedenen Woiwodschaften und bietet ein auf die Kriterien und Verfahren, bei den ein- Kommunistischen Partei sowie als Kultur- umfangreiches Programm mit der Präsenta- gefangenen Vögeln die Merkmale Alter, Ge- zentrum. tion von Flugzeugen und technischer Aus- wicht und Geschlecht festzustellen. Diese rüstungen, mit Rundflügen und Fallschirm- Veranstaltung wurde mit großem Beifall NEUE PHILATELISTISCHE ­LECKERBISSEN sprüngen sowie mit einem vielseitigen aufgenommen, und es ist bereits ein weite- Jerzy Zimnik, der Vorsitzende der Marien- Unterhaltungsprogramm für Erwachsene rer Kurs in Planung. burger Philatelisten-Vereinigung, gab Ein- und Jugendliche.

ERÖFFNUNGSTERMIN Am 18. Juli soll die Vernissage der Ausstellung stattfinden, die der Förderverein des Jerusalem-Hos- pitals auch in diesem Jahr veranstaltet. Das Thema lautet diesmal: »Brauereien in West- und Ostpreußen damals und heute«. Die Ausstellung hat im Wesentlichen das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen konzipiert und gestaltet. Als Sponsoren

FOTOS: ANDRZEJ GILEWSKI konnten deutsche und polnische Braue- reien gewonnen werden. Bei der Termin- ERINNERUNGSPOLITIK Am Denkmal-Sockel des Panzers, der vor der Marienburger setzung haben sich die Organisatoren von Kaserne steht, war bislang in russischer wie in polnischer Sprache die folgende Wid- der Hoffnung leiten lassen, dass – wie in mung zu lesen : „Im Gedenken an die Helden der Roten Armee am 20. Jahrestag der den Vorjahren – während der Urlaubszeit Befreiung. – Die Einwohner der Stadt und des Landkreises, Marienburg, 17. März 1965“. viele Marienburg-Touristen aus der Bundes- Aufgrund der neueren Gesetzgebung, die dazu anhält, die Spuren der kommunisti- republik Deutschland wieder die Gelegen- schen Zeit zu löschen, ist dort nun eine neue Tafel angebracht worden. Auf ihr wer- heit nutzen, auch dem Jerusalem-Hospi- den etliche technischen Daten genannt, und die Überschrift lautet jetzt : „Mit diesem tal einen Besuch abzustatten und dort die schweren Panzer vom Typ ISU– 1225 war die Polnische Arme von 1944 bis 1960 aus- Ausstellung zu besichtigen. gestattet“. Bodo Rückert

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 9 PANORAMA

Wirtschaft“, „Innovationen im Energie-Sek- Kirche, ein neues Denkmal errichtet. Es Thorn tor“, die „gemeinsame Landwirtschafts- wird an die Opfer der antipolnischen Ver- politik in der EU“, „Herausforderungen der nichtungsaktionen erinnern, die im Ok- DIE VERFEMTEN Der 1. März ist in Polen modernen Medizin“ oder die „Zukunft der tober 1939 in Pommerellen durchgeführt der nationale Gedenktag für die so- polnischen Eisenbahn-Infrastruktur“. worden sind. Bei diesen verbrecherischen genannten Verfemten Soldaten, der über- Parallel zu diesen Diskussionen standen Maßnahmen, die sich vornehmlich gegen all feierlich begangen wird. In Thorn ver- vertiefte bilaterale Gespräche über die die polnische Oberschicht wie Ärzte, Pries- sammelten sich aus diesem Anlass Vertreter polnisch-weißrussische Wirtschafts- ter, Lehrer, Beamte oder Gutsbesitzer rich- der Stadtverwaltung, des Marschallamtes beziehungen auf dem Programm. teten, wurden nach seriösen Schätzungen und der Armee sowie Veteranen und Bür- etwa 30.000 polnische Staatsbürger er- ger der Stadt. Nach den Festreden wurden GEDENKSTÄTTE mordet. – Am 3. April hat die erste Sitzung Kränze niedergelegt, das Militärorchester des Baukomitees im Marschallamt statt- intonierte einige getragene Komposi- gefunden. Zbigniew Mikielewicz ist der tionen, und die Ehrenkompanie schoss Schöpfer des neuen Denkmals. Sein zentra- drei Ehrensalven. Als „Verfemte“ oder les Element stellt ein „zerschossenes Haus“ auch „Standhafte Soldaten“ wird die anti- dar. Im großen Einschussloch befindet sich kommunistische Untergrund-Armee be- eine Metallplatte mit etwa 400 eingeritzten zeichnet, die nach 1944, d. h. nach der Be- Namen von Ortschaften, die von diesen setzung Polens von den Sowjets, weiter- Mordaktionen betroffen waren. Die Ge- kämpfte. Sie wollte die in Polen neu denkstätte wird in eine gepflegte Grün- errichtete, fremdbestimmte Ordnung nicht anlage eingebettet ; das Hauptelement Denkmal-Entwurf von Zbigniew Mikielewicz akzeptieren und widersetzte sich auch aber wird auf einer „Narbe in der Erde“ ste- gegen die Provisorische Regierung der Na- Bis Anfang Oktober wird in der Nähe der hen, die ein Massengrab symbolisiert. Diese tionalen Einheit, die unter dem Einfluss von ehemaligen Fabrik Drewitz, d. h. zwischen „Narbe“ soll, nach der Idee des Künstlers, Moskau stand. Man rechnet dem polni- dem Busbahnhof, der Poliklinik, dem Frei- nie von Gras bewachsen werden, sich also schen Untergrund rund 200.000 Mitglieder lichtmuseum und der evangelischen niemals schließen. Piotr Olecki sowie weitere 20.000 Partisanen zu. Die- jenigen, die nicht gefallen oder vom kom- munistischen Regime ermordet worden sind, wurden erst nach 1989 als Freiheits- kämpfer anerkannt.

„WELCONOMY“ VIELVERSPRECHENDER BEGINN Das Kopernikus- Gymnasium kann 2018 den 450. Jahrestag seines Be- FOTO: ARTUR NOWAK ARTUR FOTO: stehens begehen. Die Das Konzert im Jordanki Reihe der Feierlichkeiten, die aus diesem Anlass stattfinden, ist am 15. März eröffnet worden. Auf diesen Tag hatte der Marschall der Woiwodschaft, Piotr Całbecki, zu einem Sonderkonzert im Kultur- und Zum 25. Male hat – am 12. und 13. März – Kongresszentrum Jordanki eingeladen. Das Ensemble Laboratoire de la Musique spielte das „Welconomy Forum Toruń 2018“ Kompositionen des Barock, und das Symphonieorchester der Stadt führte gemeinsam stattgefunden. Dieses internationale mit dem Chor der Nikolaus-Kopernikus-Universität Mozarts Krönungsmesse in C-Dur, Treffen von Wissenschaftlern, Politikern KV 317, auf. Am nächsten Tag trafen sich Schüler, Eltern, Lehrer und Vertreter der Stadt- und Geschäftsleuten, das im Kultur- und und Woiwodschaftsverwaltung im Artushof. Für diese feierliche Veranstaltung zeichne- Kongresszentrum Jordanki stattfand, te Stadtpräsident Michał Zaleski verantwortlich. Bei dieser Gelegenheit wurden etliche beschäftigte sich mit den aktuellen Schüler ausgezeichnet, und die Direktorin, Elżbieta Glur, verlieh Piotr Całbecki und Michał Herausforderungen der globalisierten Welt. Zaleski die Medaille „Für Verdienste um die Schule“. Sodann hielt Dr. Katarzyna Tomkowi- Die Schirmherrschaft hatten nicht nur die ak einen Vortrag über das Thema „Die Geschichte des Thorner Gymnasiums 1568–2018“. Regierung der Woiwodschaft Kuja- Schließlich gab der aus Thorn stammende, höchst renommierte Singer-Songwriter Ma- wien-Pommern, sondern auch mehrere riusz Lubomski ein Konzert. – Dieser fulminante Beginn der Feierlichkeiten macht auf Warschauer Ministerien übernommen. deren Fortsetzung gespannt : Einen Höhepunkt wird im September gewiss ein Treffen Behandelt wurden Themen wie die bilden, zu dem Absolventen aus aller Welt nach Thorn eingeladen werden. „Entwicklungsstrategie der polnischen

10 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) Andenken aus der eigenen Familien- Kultur-Informationen geschichte zu übergeben. Diese Stücke aus der Nachkriegsgeschichte werden aus dem »Land am Meer« dann den Exponaten aus den Jahren bis 1945 an die Seite gestellt, die dem Faszination Shakespeare Museum vom Heimatkreis Marienburg Ein ebenso abwechslungsreiches wie ehrgeiziges Programm hat übergeben worden sind. das Danziger Shakespeare-Theater für 2018 angekündigt. Geplant sind z. B. eine „Estnische Woche“ und ein „Festival der chinesischen Polnische Klänge Bühnenkunst“. Im Herbst soll eine Veranstaltungsreihe angeboten Liebhaber der klassischen Musik sollten keinesfalls das Danziger werden, die thematisch um den 100. Jahrestag der Einführung des Musikfestival versäumen, das vom 11. bis zum 19. Mai stattfinden Frauenwahlrechts in Polen kreist. Zudem bemüht sich die Direktion, wird. Da sich bekanntlich in diesem Jahr die Wiedererlangung der für das jährlich stattfindende Shakespeare-Festival international wie- staatlichen Unabhängigkeit zum 100. Male jährt, steht das Programm der spannende Werk-Inszenierungen einzuwerben. So werden etwa verstärkt unter dem Vorzeichen der polnischen Musikkultur. Ensem- Ein Sommernachtstraum aus dem Iran und eine Dramatisierung der bles wie die Camerata Vistula und die Cappella Gedanensis spielen Shakespeare-Sonette aus Moskau zu sehen sein. neben Kompositionen von Mozart, Brahms, Händel oder auch Maxi- milian Dietrich Freißlich viele Werke Frédéric Chopins oder ande- »Prinzessin« in Neustadt rer polnischer Meister der Romantik und des Romantizismus. Nicht Frances Hodgson Burnett hatte 1903, zwei Jahre vor der Veröffent- zuletzt ist eine Aufführung der bedeutenden, 1906 entstandenen lichung des Romans Die Kleine Prinzessin, bereits ein gleichnamiges Symphonischen Dichtung Odwieczne pieśni [Ewige Lieder], op. 10, Theaterstück verfasst. Musikalisch bearbeitet, wurde das Sujet der von Mieczysław Karłowicz vorgesehen. „Mała księżniczka“ nun am 15. März in einer Diplomaufführung in der „Kaschubischen Philharmonie“ dargeboten. Alicja Araszkiewicz, die Sündenbock vom Libretto bis zur Choreographie die gesamte Bühneneinrichtung vorgenommen hatte und auch die Hauptrolle spielte, verlieh der Inszenierung Lokalkolorit, indem sie in die szenische Ausstattung Fotografien der Stadt aus den 1920er Jahren sowie Aufnahmen von Innenräumen des bekannten Neustädter Hotels Marmułowski inte- grierte.

Stürmischer Beginn ETHNOGRAFISCHES MUSEUM WDZYDZE ETHNOGRAFISCHES MUSEUM

/ Das Danziger Museum des II. Weltkrieges, das – entgegen vielerlei Pro- teste – kurze Zeit nach der Eröffnung mit dem Museum der Wester- platte und des Krieges von 1939 vereinigt wurde, feierte am 6. April seinen ersten „Geburtstag“. An diesem Tag galt ein symbolischer Ein-

trittspreis von nur einem Złoty, und als „Ausstellungsstück des Jahres“ KACZMAREK KRZYSZTOF FOTO: wurde auf dem Vorplatz ein inzwischen erworbenes amerikanisches Am 20. Mai wird im Freilichtmuseum in Wdzidze das festliche Ritual Militärfahrzeug vom Typ Dodge WC 52 präsentiert. Besucht wurde das Ścinanie kani [Die Enthauptung des Milans] vollzogen. Dieser kaschu- Museum während seines ersten Jahres von 500.000 Personen, 3.850 bische Brauch war bis ins 19. Jahrhundert hinein lebendig. Danach Exponate konnten beschafft werden, und es fanden bereits zehn wurde er nicht mehr gepflegt ; der kaschubische Schriftsteller und Sonderausstellungen statt. Besondere Aufmerksamkeit erweckte politische Aktivist Florian Ceynowa aber hielt ihn in seinen ethno- das Haus allerdings vor allem durch die von der Museumsleitung graphischen Arbeiten fest und gab nachfolgenden Generationen, durchgesetzten zwölf „Verbesserungen“ der Dauerausstellung, die die sich für die folkloristischen Traditionen engagieren, die Möglich- dazu dienen sollten, die nationale Perspektive auf die Vorgänge zu keit, ihn wiederzubeleben. Im Mittelpunkt des Spektakels, das von betonen und die Erinnerung an die polnischen Kriegshelden in den symbolischen Figuren wie dem Schultheiß, dem Richter und dem Vordergrund zu rücken. Henker getragen wird, steht der Milan, der angeblich die Schuld an einer Dürre­plage trägt und von der Gemeinschaft nun zum Sünden- Gemeinsam bock auserkoren wird. Früher musste ein lebendes Tier – ein Milan, Unter dem Motto „Wir machen ein Museum gemeinsam“ werden ersatzweise aber auch eine Krähe oder ein Huhn – blutig geopfert alle Einwohner von Marienburg dazu eingeladen, sich an der Vor- werden. Heute genügt allerdings eine künstliche Vogel-Gestalt oder bereitung der ersten Ausstellung im neu gegründeten Stadtmuseum eine Strohpuppe. – Das Fest in Wdzidze wird von weiteren Attraktio- zu beteiligen, die am 16. Juni eröffnet werden soll. Der Aufruf soll sie nen begleitet, u. a. von Spielen, dem Flechten von Kränzen oder vom dazu animieren, ganz allgemein Wünsche und Vorschläge zu äußern gemeinsamen Schmücken der Bauernhäuser mit Zweigen und Feld- oder dem Museum als Geschenk oder Leihgabe Dokumente und blumen. ❧ Joanna Skolnicka

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 11 LAGE DES PARKS IN WESTPREUSSEN

Kaliningrad Puck P O S T S E E regolja Wejherowo Gdynia (Gdingen) Sopot (Zoppot)

Kartuzy Pa s a Gdańsk ł Łyn e˛ O k a W - Nowy Dwór Gdański Z T Ó D O Elblag˛ E W K W W O J S E O J Koscierzyna Tczew I N I P E W R M O Ó D W A K M Z T W O R S O O StarogardW Z U W - R S M A T K I E Gdański i

s

Z O ł Olsztyn D I a Ó E W N E Chojnice O J D I W O K W H d S Człuchów a A C R Tuchola Iława Z O (Dt. Eylau) M Osa O a Swiecie P d Grudziadz˛ Nowe Miasto ˛ B w Sepólno O r Lubawskie G Krajeńskie d Brodnicadnica W E a T Chełmno Z I D K Wałcz Złotów Wabrzezno˛ ca Ó e˛ W C w J E E Brodnickir Park W O I Bydgoszcz D W Piła Toruń Krajobrazowy O Golub- M A S W Dobrzyń Notec O J K E W U Ó D J Z T W O A W kreisfreie Stadt S K P O O - Kreisstadt W W M O O R Wisła (Zoppot) deutscher Name einer I J E S K I E E W Ó nach 1945 eingerichteten L D Z K T W O Kreis- bzw. kreisfreien Stadt O P O L S K I E Gebiet der historischen 01020304050 km Provinz Westpreußen

Dembno See (Jez. Dębno)

12 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) REISEN UND ERKUNDEN

Strasburgs „Grüne Lunge“

VON RAFAEL GROSCH

Schon seit vielen Jahren haben Touristen Strasburg (Brodnica) als lohnendes Reiseziel entdeckt. Eine große Bedeutung haben dabei auch die mannig- fachen Urlaubsmöglichkeiten gewonnen, die der Strasburger Naturschutzpark, der „Brodnicki Park Krajobrazowy“ (BPK), bietet.

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 13 FOTO: STEFAN.LEFNAER VIA WIKIMEDIA WIKIMEDIA VIA 3.0 CC STEFAN.LEFNAER FOTO:

Gremenzwald (Gaj-Grzmięca) Der Verkannte Wasserschlauch (­utricularia Gr. Partenschin See australis r.br.) befindet sich auf der ­Liste (J. Wielkie Partęczyny) der gefährdeten Torfmoorarten.

Robotno See (Jez. Robotno) Das Gottes-Gnadenkraut (gratiola officinalis), kurz auch Gnadenkraut, ist stark im Rückgang begriffen und europaweit gefährdet.

ls Mitte der 1970er Jahre die Strasburger Seen- Zbiczno (Zbiczno), Goßlershausen, Strasburg und Polnisch platte bei Urlaubern immer mehr Zuspruch fand Brzozie (Brzozie), andererseits aus Ermland und Masuren die und dort große Erholungszentren geplant wurden, Gemeinden Bischofswerder (Biskupiec Pomorski) und Kauer- drohte eine unkontrollierte Entwicklung einzu- nik (Kurzętnik). Asetzen, die das ökologische Gleichgewicht der Region empfind- Im Landschaftspark BPK entfalten über 40 Seen einen un- lich hätte stören können. Daher entschieden sich die Behörden, widerstehlichen Reiz. Zu den größten und bekanntesten ge- das zwischen den Städten Goßlershausen (Jabłonowo Pomors- hören der Große Partenschin See (J. Wielkie Partęczyny) mit kie), Strasburg und Neumark (Nowe Miasto Lubawskie) gelegene 324 ha, der Bachottek See (211 ha), der See von Großlinker Gebiet mit seinen prächtigen Wäldern und dem dichten Netz (Łąkorz) mit 162 ha und der Zbiczno See (129 ha). Die Tiefe der von klaren Seen unter besonderen Schutz zu stellen. Seen beträgt in der genannten Reihenfolge 28,5 m, 24 m, 30 m Nach längerer Vorbereitung wurde am 29. März 1985 eine und sogar 41 m. Die Gewässer bieten Möglichkeiten für viele entsprechende Resolution verabschiedet, durch die das erste Wassersportarten – vom Segeln über Paddeln bis zum Wind- Naturschutzgebiet in der damaligen Provinz Thorn eingerichtet surfen ; und selbstverständlicher Weise kommen auch Angler wurde. Im Jahre 2005 wurden dem Landschaftspark zudem die auf ihre Kosten. An einigen Seen gibt es zudem gekennzeichnete Umgebung des Bachottek Sees und das Sumpfgebiet Tama Brod- Zeltplätze sowie regelrechte Gästehäuser und Ferienwohnungen. zka, das ein wertvolles Refugium für Wasservögel bietet, hinzu- Innerhalb des Parks sind einzelne besonders geschützte gefügt. Seitdem umfasst er eine Fläche von 16.685 ha, die zu 60 % Zonen eingerichtet worden : Torfbiotope, Waldreservate, zu von Wäldern bedeckt wird und zu etwa 10% aus Gewässern be- denen die Baumallee in Zbiczno gehört, oder die Blumen-Insel steht. – Nach der Gebietsreform Ende des letzten Jahrhunderts im Großen Partenschin See. Die Flora des Parks zeichnet sich liegt ein größerer Teil des Geländes in der Woiwodschaft Ku- durch eine erstaunliche Vielfalt von Arten aus, von denen et- jawien-Pommern (12.349 ha), ein anderer, kleinerer in der liche geschützt sind. Beachtenswert sind zudem einige jahr- Woiwodschaft Ermland und Masuren (4.336 ha). An dem Gebiet hundertealte Bäume (Eichen, Buchen, Kiefern, Linden), denen beteiligt sind einerseits aus Kujawien-Pommern die Gemeinden inzwischen der Rang von Naturdenkmalen zukommt.

14 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) REISEN UND ERKUNDEN FOTO: LUKASZ LUKASIK VIA WIKIMEDIA CC 3.0 CC WIKIMEDIA VIA LUKASIK LUKASZ FOTO:

Gr. Partenschin See Vom Schwarzstorch (ciconia nigra), der auf der polnischen Roten Gremenzwald (Gaj-Grzmięca) (J. Wielkie Partęczyny) Liste steht, nisten im Strasburger Landschaftpark zwei Paare. FOTO: FRANZ XAVER VIA WIKIMEDIA CC 3.0 CC WIKIMEDIA VIA XAVER FRANZ FOTO:

Sumpfgebiet „Tama Brodzka“ Bachottek See (Jez. Bachotek) FOTOS: RAFAEL GROSCH

Als nicht minder mannigfaltig erweist sich die Fauna. Al- ÜBERSICHT ÜBER DIE NORDIC WALKING STRECKEN lein 135 Brutvogelarten können regelmäßig beobachtet werden. Dazu gehören auch der Seeadler, der größte Raubvogel des Lan- des, und geschützte Arten, die in der polnischen Roten Liste ver- zeichnet sind. Überdies ist gerade das Sumpfgebiet eine wichti- ge Station für Zugvögel bei deren Frühjahrsmigration. Auch an anderen Wirbeltieren, an Fischen, Amphibien, Reptilien und Säugetieren, ist das Gebiet überreich. Es gibt allein zehn Fleder- maus-Arten, der europäische Biber konnte dort wieder hei- misch gemacht werden, und auch Wildschweine, Rehe, Dam- hirsche, Hirsche oder sogar Elche finden im Park einen opti- malen Lebensraum. Für die Besucher öffnet sich somit ein weites Spektrum von Möglichkeiten, Natur zu beobachten, zu genießen, ihre At- mosphäre zu erleben – und sich in dieser Umgebung zugleich auch körperlich zu betätigen. Neben den schon erwähnten An- geboten für Wassersportler und Angler finden auch Wanderer, Radfahrer und Reiter zahlreiche attraktive Routen. Besonders hervorzuheben ist dabei das Wege-System, das die Anhänger des Nordic Walking (oder anderer Formen von Laufbewegungen) vorfinden : Es ist als Netz von vier unterschiedlich langen und sich wechselseitig überkreuzenden Strecken angelegt und ver- mag alle individuellen Trainingsbedürfnisse zu befriedigen. ■

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 15 Das Äußere des Palastes GROSS WAPLITZ – EINE »POLNISCHE von der Vorderseite INSEL« IN WESTPREUSSEN Text und Fotos Joanna Szkolnicka

Dass in Westpreußen Deutsche und Polen über Jahrhunderte friedlich zusammengelebt haben, zeigt sich beispielhaft an der Kultur des polnischen Adels, die auch nach 1772 – wenn auch in geringerem Ausmaß – fortbestanden hat, im Gesamtbild der Provinz allerdings nur selten berücksichtigt wird. Wer sich mit dieser Tradition eingehender beschäftigen möchte, sollte einmal das im Kreis Stuhm gelegene großzügige Haus der Sierakowskis in Groß Waplitz (Waplewo Wielkie) besuchen.

eit 2006 unterhält das Danziger Nationalmuseum dort eine Vom 1760 angelegten, 10 ha umfassenden Park sind nur kärg- eigene Abteilung, die der Wohnkultur des polnischen Adels liche Überreste der Gartenarchitektur und des Dekors erhalten gewidmet ist. Ein Besuch der Erinnerungsstätte lohnt sich geblieben – die Figur eines polnischen Adeligen, der mit dem insbesondere, weil sie von 2012 bis 2015 gründlich restau- traditionellen Kontusz bekleidet ist, sowie eine Laube im chine- riertS worden ist und dabei das Erscheinungsbild des Haupthauses sischen Stil. Die Gemäldesammlung, in der sich einst Werke von so weit wie möglich wiederhergestellt werden konnte. Mit den Meistern wie Tizian, Dürer, Tintoretto, Giorgione und Rubens Überresten der Wirtschaftsgebäude, einem Park und einer Grab- befanden, wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstreut – kapelle bewahrt das Palais das Andenken an ein wichtiges, wenn wieder aufgetaucht sind davon lediglich etwa 40 Werke, die sich auch kleines Zentrum des Polentums in Westpreußen. teilweise in Privathand, teilweise bei den Nachkommen der Siera- Im Palast weilten berühmte polnische Künstler und Schrift- kowskis und teilweise in polnischen Museen (darunter im Danzi- steller. Im »Weißen Saal« konzertierte Fryderyk Chopin, 1877 ger Nationalmuseum) befinden. Ein noch schlimmeres Schicksal kam Jan Matejko zu Besuch, der ein Bleistiftporträt der gast- erlitt die Bibliothek der gebildeten und belesenen Familie : von freundlichen Eigentümer – Maria und Adam Sierakowski – an- den 11.000 katalogisierten Büchern sind ganze zwei Bände er- fertigte. Der Schriftsteller Stefan Żeromski ergötzte sich – nach halten geblieben. seinen eigenen Worten – an der Schönheit der Parkanlage und den unschätzbaren Kunstwerken : Tatsächlich war der roman- Der Bau des Anwesens tische Park mit seinen Inselchen, Brückchen und Lichtungen Seit den Anfängen des 14. Jahrhunderts sind mehrere Guts- ebenso bewundernswert wie die Kunstsammlung, die, von Ka- besitzer nachgewiesen. In den 1640er Jahren errichtete dann Jan jetan Sierakowski (1753–1841) begründet, im Laufe von gut 100 Zawadzki eine steinerne Residenz, die mit Türmen, Galerien und Jahren erweitert und ergänzt worden war, bis sie schließlich etwa Arkaden einem Schloss ähneln sollte. Gut 100 Jahre später, 1759, 400 Gemälde umfasste. das Anwesen befand sich inzwischen in Händen der Familie Bag-

16 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) AUSSTELLEN UND ERFORSCHEN

Der »Weiße Saal« Elbinger Kamin aus dem 17. Jahrhundert und Zimmertür, abgeleitet von der Vorderseite eines Danziger Schrankes, im »Danziger Saal« niewski, wurde eine aufschlussreiche Urkunde verfasst, die heute bedingung, dass der Lehrer ein der polnischen Sprache mächti- im Danziger Staatsarchiv aufbewahrt wird, und zwar ein Inventar ger Katholik sein müsse. Selbst musikalisch begabt, hatte er im des gesamten Komplexes von Waplewo. Die Residenz bildete da- ­August 1827 den jungen Fryderyk Chopin zu Gast ; und durch mals ein zweistöckiges Gebäude mit 17 Räumen im Erdgeschoss ; den Kauf von etlichen Gemälden, die er in Italien erwarb, legte die Oberräume wurden als »leer«, die Treppen und Fußböden als er den Grundstein zu der späteren prächtigen Kunstsammlung. teilweise »schlecht« oder »verrottet« bezeichnet. Fast alle Zim- 1842 erbte Alfons Sierakowski (1816-1886) das Gut von seinem mer waren aber mit Öfen ausgestattet. Viel Aufmerksamkeit Vater. Er war ein tüchtiger und kenntnisreicher Landwirt, baute wurde in der Urkunde den Wandbezügen geschenkt, detailliert eine Brennerei und züchtete Schafe. Zugleich förderte er weiter- beschrieben wurde die Ausstattung der Hausapotheke sowie die hin das polnische Volksschulwesen, veranstaltete mit seiner Ehe- 165 Einheiten umfassende Büchersammlung, »von denen aber frau Maria national gesinnte »Polenbälle« und ließ Bühnenstücke die meisten deutsch« seien. Sitzmöbel, Beleuchtungskörper oder in polnischer Sprache aufführen. Von den preußischen Behörden Musik­instrumente tauchen in dem Verzeichnis allerdings nicht wurde er sogar beschuldigt, den »Januaraufstand« (1863/64) auf. Das Inventar legt den Schluss nahe, dass die Anlage damals unterstützt zu haben. Seine große Leidenschaft bildete der Wa- ihre ersten Glanzjahre wohl schon hinter sich hatte. plitzer Park, wo er neben einheimischen Pflanzen auch manche

Die ersten drei Generationen Wenige Jahre nach jener Bestandsaufnahme heiratete Teo- dor Sierakowski Teresa Bagińska, die verwitwete Eigentümerin von Waplewo. Von diesem Zeitpunkt an waren die Geschichte des Gutes und diejenige des Geschlechts Sierakowski untrenn- bar miteinander verflochten. Um 1782 heiratete die etwa 17-jäh- rige Tochter von Teodor, Anna Teodora, einen entfernten Ver- wandten, den letzten Kastellan von Słońsk, Kajetan Onufry Siera- kowski. Kajetan engagierte sich als Gesandter beim »Vierjährigen Sejm« (1788–1792), dessen Reformen er nachdrücklich unter- stützte. Seine Tatkraft kam auch Waplewo zu Gute, denn er för- derte die Entwicklung der Bibliothek und ließ den Park weiter ausbauen. Sein Sohn Antoni (1783–1842) trat in die Fußstapfen seines Va- ters. Nach dem Verlust der polnischen Souveränität blieb für poli- tische Tätigkeiten nur noch wenig Raum. Antoni konzentrierte sich stattdessen darauf, sein Gut nach den Verwüstungen durch die Napoleonischen Kriege wiedererstehen zu lassen. Dabei er- richtete er auch als einer der ersten Gutsbesitzer im Weichsel- Die Orangerie gebiet auf eigene Kosten eine Schule, – freilich unter der Vor-

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 17 exotischen Gewächse anpflanzte. Der polnische Literaturkritiker und Publizist Stanisław Tarnowski (1837–1917), der 1881 – noch zu Alfons’ Lebzeiten – das Gut besucht hatte, verfasste eine von gro- ßer Bewunderung bestimmte Beschreibung der Parkanlage und des Anwesens. Ihm schienen die exotischen Pflanzen farblich arrangiert wie »Seidenfäden zu einer Stickerei«. Das Innere des Hofes empfand er als bequem und geräumig, einige­ der Zimmer ließen – groß, sonnig und luftig – seiner Meinung nach Kinder gesund aufwachsen, andere hingegen – klein, gemütlich und mit Gegenständen erfüllt – begünstigten lange, vertraute Gespräche. An der Ausstattung hebt Tarnowski zudem hervor, dass sie auf »Goldverzierungen« oder »Glitzerschmuck« ebenso verzichte wie auf moderne Accessoires ; alles sei stattdessen alt und solide wie die Danziger Möbel im Esszimmer. Die Parkanlage

Auf dem Weg in die Katastrophe Adam Sierakowski (1846–1912), der nächste Eigentümer von szewska, die ihren Familienbesitz nach der politischen Wende Groß Waplitz, muss eine außerordentliche Persönlichkeit ge- wiedererlangt hatte, Groß Waplitz dem Danziger National- wesen sein, denn er war Jurist, Reichstagsabgeordneter – und museum, das nun das »Museum der Polnischen Adelstraditionen« Weltenbummler, der Nordafrika, den Vorderen Orient, Indien sowie ein Zentrum für Kontakte mit Auslandspolen einrichtete. und Indonesien bereiste. Anspruchsvoll gestaltete er auch die Durch die eingangs genannten Restaurierungsarbeiten (2012– Hochzeitsfeierlichkeiten zu seiner Eheschließung mit der gali- 2015), für die etwa 8 Mio. Złoty zischen Edelfrau Maria Potocka im Jahre 1876. Neben der Be- zur Verfügung gestellt worden teiligung von einheimischen Blumenkindern wurde bengalisches waren, erstrahlt das Palais jetzt Feuer abgebrannt, und lebende Bilder stellten slawische und li- wieder in seinem ehemaligen tauische Gottheiten und Geister dar. Mit großer Genugtuung Glanz. Die Restaurierung der wurde bei diesem Fest übrigens vermerkt, dass die »deutsche« Innenräume war dank einer Kapelle aus Elbing zur Begrüßung des Paares »Noch ist Polen erhalten gebliebenen reichen nicht verloren« intoniert habe. photographischen Dokumen- Die letzten Besitzer von Groß Waplitz waren Helena und tation möglich ; so wurden u. a. Stanisław Sierakowski. Der Hausherr hatte an den Universitäten Fußböden aus Ölsandstein, in Berlin und Brüssel studiert und war Mitglied der polnischen Zimmertüren auf den Vorder- Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn. Gemeinsam mit seiner seiten der Danziger Schränke Frau setzte er sich für das nationale Schulwesen im Weichselgebiet sowie Glasfenster in der Diele Adam und Maria Sierakowski in und für ein propolnisches Votum bei der Volksabstimmung von und Orangerie wiederher- einer Zeichnung von Jan Matejko 1920 ein. Stanisław gehörte 1922 überdies zu den Gründern des gestellt. Originale Möbel oder »Bundes der Polen in Deutschland«. Ausstattungselemente konnten Als die Familie 1926 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, bot leider kaum auf ihre früheren Plätze zurückkehren. Sie sind ent- dies der deutschen Seite eine nicht unwillkommene Gelegen- weder verloren gegangen oder gehören nun zu anderen musealen heit, auf den Besitz zuzugreifen : Die von einer deutschen Bank Sammlungen. Lediglich ein manieristischer Kamin aus dem 1777 angebotenen Kredit-Konditionen waren derart unannehmbar, niedergebrannten Elbinger Rathaus sowie die Decke im »Danzi- dass – trotz eines Darlehens der polnischen Regierung – beinahe ger Saal« sind noch erhalten geblieben. Deshalb wurde das Inte- das gesamte Gut verlorenging : Mit Unterstützung des polnischen rieur mit passenden Möbeln und Gegenständen aus dem 17. bis Staates, der um jeden Preis die »Brückenköpfe« des Polentums im 19. Jahrhundert ausgestattet. Gräfin Sierakowska-Tomaszewska Reichsgebiet halten wollte, erwarb Kazimierz Donimirski noch schenkte dem Museum zudem eine kleine Sammlung von Ge- einen Teil, alles Übrige wurde aber unter deutschen Siedlern auf- mälden und Graphiken sowie einen Kristallspiegel und einen geteilt. Helena und Stanislaw zogen auf ihren Besitz in Osiek kostbaren, mit Schnitzereien verzierten Kasten. Es gibt in dem Rypiński, wo sie 1939 von den Nationalsozialisten ermordet wur- Museum somit viel zum Betrachten und Bewundern ; und die den. Von ihren sieben Kindern haben sechs den Krieg überlebt Attraktivität der gesamten Anlage wird sicherlich nochmals deut- und wurden in aller Herren Länder zerstreut. lich erhöht, wenn in absehbarer Zukunft auch die bislang ver- nachlässigten Parkanlagen sowie die vom Zerfall bedrohten Wirt- Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schaftsgebäude fachgerecht restauriert werden. ❧ Nach 1945 wurde das Gut verstaatlicht und als Zentrum für Viehzucht genutzt. 2006 übergab Izabella Sierakowska-Toma­

18 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) AUSSTELLEN UND ERFORSCHEN

EINLADUNG SCHLOCHAU Badezuber, Waschbretter, Wäscheklopfer, Wäscherollen, Rasier- pinsel und viele andere, allermeist in Vergessenheit geratene Gegenstände, die der Rei- ZU SONDER– nigung des Körpers und der Kleidung dienten, sind noch bis zum 13. Mai im Regional- AUSSTELLUNGEN museum im Schlochauer Schloss zu sehen. Die dort präsentierte Ausstellung Kąpiel w … im Land an balii. Zwyczaje higieniczne dawnej wsi [Bad in einem Badezuber. Hygienische Sitten der unteren damals auf dem Lande] verfolgt die Frage der Hygiene und Körperpflege vom Ende des Weichsel­ 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre hinein – als man noch zum Wäschewaschen Lauge sowie zur Haarwäsche Seifenkrautwurzel benutzte und Töpfe mit Sand scheuerte.

DANZIG Die Ethnographische Abteilung des Danziger Nationalmuseums präsentiert bis zum 6. Juni die Ausstellung Lalki japońskie. Magia, obyczaje, legendy [Japanische Puppen. Magie, Brauchtum, Sagen]. Gezeigt werden verschiedene Arten von Puppen, die im Land der Kirschbaumblüte einen wichtigen Teil der Kultur aus- machen und keineswegs nur als bloßes Spielzeug zu betrachten sind. So gibt es beispielsweise die Hina-Puppen, die im Februar anlässlich des Mädchenfestes vor vielen japanischen Häusern oder Wohnungen aufgestellt wer- den, Musha-Puppen, die demgegenüber mit dem Fest der Jungen verbunden sind, Ishō-Puppen, die Samurai oder Helden der japanischen Sagen widerspiegeln wie auch Daruma-Puppen – Glücksbringer, die sich auf den buddhistischen Mönch Bodhidharma beziehen –, und nicht zuletzt finden sich freilich auch Kokeshi-Puppen,

FOTO: NATIONALMUSEUM DANZIG NATIONALMUSEUM FOTO: die sich mittlerweile selbst in den westlichen Ländern einer großen Beliebtheit erfreuen. Puppe Musha kabuto ningy, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, hren, Zigarettenetuis, Thermometer, Schachteln, Tintenfässer, Broschen und viele andere DANZIG Sammlungen des Puppen­- UArt-déco-Gegenstände – gemeinsamst ihnen allen, dass sie aus Bernstein gefertigt wurden. Die 186 Expo- museums in Pilsen nate umfassende Ausstellung des Bernsteinmuseums in Danzig ist die bislang größte Ausstellung zum ent- sprechenden Kunstgewerbe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Polen. Die Ausstellungsstücke stammen sowohl aus dem Bestand des Museums als auch aus Sammlungen anderer Häuser wie des Schlossmuseums in Marienburg oder des Museums der Stadt Gdingen. Bewundert werden können beispielsweise eine Zigarettenspitze aus Bernstein mit Diamanten und Saphiren von Cartier oder ein Tintenfass, dessen Sockel aus einem Rohbernstein-Klumpen besteht. Ergänzt wird die Ausstellung um zwei Porträts : das eine, von Halina Gadomska-Dąbrowska, zeigt Tadeusz Gadomski mit einer Pfeife, deren Mundstück aus Bernstein gearbeitet ist, das andere, von Leon Kowalski, eine Frau mit Bernsteinkollier. Die Ausstellung Bursztynowe art déco. O bursztynie w dwudziestoleciu międzywojennym [Art déco aus Bernstein. Vom Bernstein in der Zwischenkriegszeit] läuft im Danziger Museum bis zum 30. September.

ULM Die Geschichte Rumäniens ist eng mit der Geschichte seiner deutschen Minderheiten – von den Siebenbürger Sach- … im sen, den Banater und Sathmarer Schwaben und Zipsern bis zu den Buchenland-, Bergland- und Dobrudschadeutschen – ver- deutschen Sprachraum bunden. Unter dem Titel Deutsche in Rumänien. Eine Minderheit – viele Geschichten widmen ihnen das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und die deutsche Botschaft in Bukarest eine umfassende Ausstellung. Bildreich und informativ umspannt sie einen Zeitraum vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die lebensweltliche Vielfalt, das Gemeinwesen und das rei- che Kulturerbe der Minderheit sind dabei ebenso Thema wie ihre Rolle als Vermittler in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Mai. (Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum, Schillerstraße 1, 89077 Ulm)

DÜSSELDORF Vom 23. Mai bis zum WUNSIEDEL In der Fichtelgebirgs- 4. Juli können im Gerhart-Hauptmann-Haus halle wird bis zum 17. Juni die eindrucksvolle Briefmarken der Sowjetischen Besatzungszone Ausstellung Verschwunden – Orte, die es nicht 1945 bis 1949 betrachtet werden. Die Kabinett-Aus- mehr gibt gezeigt, die vom Zentrum gegen Ver- stellung (vor der Bibliothek) bildet den 6. Teil des treibungen als vierter Teil seines Ausstellungs- Zyklus Große Mächte in kleinen Formaten. (GHH, zyklus konzipiert worden ist. (Fichtelgebirgshalle Bismarckstr. 90, 40210 Düsseldorf) Wunsiedel, Jean-Paul-Straße 5, 95632 Wunsiedel)

ie vom Westpreußischen Landesmuseum in Zusammenarbeit mit dem WARENDORF D Historischen Museum der Stadt Danzig / Muzeum Historyczne Miasta Gdańska entwickelte Aus- stellung Bernstein – Das Gold der Ostsee aus dem Bernsteinmuseum der Stadt Danzig zeigt erstmalig ausgewählte Schätze der umfangreichen Sammlung des Bernsteinmuseums im Ausland. Sie präsentiert 150 Kunstwerke aus Bernstein, die aus einem Zeitraum von fünf Jahrhunderten stammen. Unter den ausgestellten Sammlungsobjekten befinden sich beispielsweise eine Madonnen-Skulptur des 17. Jahr- hunderts, seltene Inklusen (Bernsteineinschlüsse) und nicht zuletzt Kunstwerke des 21. Jahrhunderts, die von Absolventen der Danziger Kunstakademie, Abteilung Bernsteingestaltung, geschaffen worden sind. Die Ausstellung kann bis zum 7. Oktober besichtigt werden. (WLM, Franziskanerkloster, Kloster- straße 21, 48231 Warendorf) Bernsteinmadonna (Danzig, 17. Jahrhundert) FOTO: M. K. SZCZEREK

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 19 Albumblatt J. C. Treutners vom 6. Sep­tember 1774

ERINNERUNGEN AN DIE HEIMAT : Der Anatom Samuel Thomas Soemmerring aus Thorn und sein Stammbuch

m 18. Jahrhundert erfreute sich das Stamm- Wer war Soemmerring ? buch, auch Album amicorum oder Liber me- Samuel Thomas Soemmerring wurde am 28. Ja- moralis (Erinnerungsbuch) genannt, unter nuar 1755 als Sohn des Thorner Stadtphysikus und Studenten großer Beliebtheit. Die oft aus - praktischen Arztes Johann Thomas Soemmerring sagekräftigen und farbenfrohen Widmungen (1701–1781) in Thorn geboren, seine Mutter Regine dienten den damaligen Besitzern als »Erinnerungs- Soem­merring (1721 – nach 1781) war die Tochter des Imittel« und »Denkmal der Freundschaft«. Heute ge- Pastors der Thorner Marienkirche, Christoph Hein- währen sie biographisch und sozial­historisch For- rich An­dreas Geret (1686–1757), und eine Schwes- schenden Einblicke in die Herkunft und Bildungs- ter des Theologen, Gymnasialprofessors und Stadt- geschichte des Stammbuchbesitzers und ermöglichen geschichtsforschers Samuel Luther von Geret (1730– es darüber hinaus, persönliche und berufliche Um- 1797). Der Jurist und Thorner Stadtrat Johann Gottlob felder zu rekonstruieren. Auch das Album amicorum (1753–1812) war Soemmerrings älterer Bruder. eines aus Thorn stammenden Göttinger Studenten Bis heute zählt Soemmerring zu den einfluss- und späteren Universitätsprofessors ist bis heute er- reichsten Naturforschern und Ärzten der Goethe- halten. Das in der Handschriftenabteilung der Uni- zeit. Zu Lebzeiten bekannt als der Verfasser des fünf- versitätsbibliothek Frankfurt am Main aufbewahrte bändigen Standardwerks Vom Baue des menschlichen Büchlein gehörte dem Anatomen und Naturforscher Körpers ging er aber gerade wegen seiner anderen, Samuel Thomas Soemmerring. von vielfältigen Interessen zeugenden Schriften in die

20 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

Annalen der Anatomie- und Wissenschaftsgeschichte ein : Im Laufe seines 75-jährigen Lebens beschäftigte er sich mit Embryologie und Anthropologie, pub- lizierte über Sonnenflecken und menschliche Fehlbildungen, legte Abhandlungen über Flugsaurier- und Urzeitkrokodilfunde vor und entwickelte zudem ­einen elektrochemischen Telegraphen. Nach dem Besuch des Thor- ner Gymnasium academicum im- matrikulierte sich der junge Samuel Samuel Thomas wie sein älterer Bruder Johann Gott- Soemmerring.­ Kupfer- lob und zuvor sein gleichnamiger Onkel stich von Ambroise Tardieu nach einem Ge- 1774 an der noch jungen, dem Geist der Auf- mälde von J. V. Bender. klärung verpflichteten Universität Göttingen. Aus: Dictionnaire des Soemmerrings Fleiß und anatomisches Geschick Soemmerrings Stammbuch mit Schuber (Soemmerring- sciences naturelles. Bio- wurden von seinem medizinischen Umfeld gelobt, Nachlass, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main). graphie des naturalistes. Portraits dessinés et seinem von ihm geliebten Spezialgebiet, der Ana- gravés par Ambroise tomie, widmete er sich auch in seiner Freizeit mit Tardieu, 20. Heft. Paris: Leidenschaft. F. G. Levrault, 1826. Movens für die Zergliederung des menschlichen Nach dem Tod seiner geliebten Frau Betty, Marga- Körpers war für ihn das Bestreben, die Erkenntnisse rethe Elisabeth Soemmerring, geborene Grunelius und das Wissen der Naturgeschichte seines Jahr- (1768–1802), einer ausgebildeten Malerin, Zeichne- hunderts zu befördern. Ganz Kind seiner Zeit und rin und Kupferstecherin, verließ er die Stadt am Main geprägt vom Klima der Reformuniversität Göttingen, und folgte einem Ruf König Maximilians I. Joseph schrieb er über das nun angebrochene Zeitalter der (1756–1825), um als dessen Leibarzt und Mitglied der Aufklärung, es fördere die »Natur- und Menschen- Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Mün- kenntniß in unserm Vaterlande« und überwinde die chen zu leben. 1820 kehrte er nach Frankfurt zurück, Links: Samuel Thomas »dunkeln Jahrhunderte unsrer Vorfahren, wo das wo er 1830 nach einem erfüllten, an Ehrungen und Soemmerring im Alter ­eiserne Joch des unbarmherzigen Aberglaubens die persönlichen Würdigungen reichen Leben starb. von 39 Jahren (1794). Aquarell, gemalt von Vernunft drückte«. Zu Soemmerrings bis heute anerkannten Ver- seiner Ehefrau Betty. Soemmerrings Weg führte von Göttingen nach diensten auf dem Gebiet der Neuroanatomie, sei- Original im Privatbesitz. Kassel, wo er von 1779 bis 1784 eine anatomische Pro- ner Lieblingsdisziplin, gehört die Beschreibung der fessur bekleidete, dann nach Mainz und Frankfurt. Seh­nervenkreuzung und die Entdeckung des Gel-

Das von Daniel Berger gestochene Kupfer zeigt Skelett und Umriss in Anlehnung an die Mediceische Venus im Vergleich mit dem deformierten Rumpf der Trägerinnen von Schnürbrüsten. Tafel aus S. Th. Soemmerring, Über die Wirkungen der Schnürbrüste. Berlin: Voss, 1793.

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 21 ben Flecks im Auge, dem Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut. Seine Immanuel Kant gewidmete SchriftÜber das Organ der Seele (1796), von Friedrich Hölderlin mit einem Distichon gewürdigt, wurde je- doch ebenso wie sein Aufsatz über den Tod durch die Guillotine (1795) und das Buch über die Körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer (1785) kont- rovers diskutiert. Die Schriften über die Kasseler Mis- geburten (1791) und die Wirkungen der Schnür­brüste (1793) wurden in der belletristischen Literatur von Jean Paul und Wilhelm Heinse rezipiert. Soemmer- rings Freund Heinse griff den Appell gegen die Ein- schnürung des weiblichen Brustkorbs auf und wid- mete den Soemmerringschen Erkenntnissen in sei- nem »Sängerinnen«-Roman Hildegard von Hohenthal (1795) programmatische Zeilen :

Frau von Lupfen hatte ihre Stimme verloren, weil sie Albumblatt Georg Forsters vom 17. August 1779 mit der Widmung »Soemmerringio Suo / Hanc in ihrer ersten Jugend geschnürt worden war. […] Turdi minuti figuram / in amicitiae tesseram D[at] D[onat] D[edicat] / Georg Forster. Periegetà. Cassellis XVII Aug. MDCCLXXIX.” Der selige Hohenthal gestattete nie, daß man seine Tochter schnürte, und sie war frey, wie eine Sparta- nerin, eine Georgierin, herangewachsen.

Nicht nur mit Heinse, sondern auch mit Goethe pflegte Soemmerring einen regen Austausch. Man korrespondierte über englische Ferngläser oder opti- sche Phänomene und schickte sich Bücher oder ana- tomisches Anschauungsmaterial : Eine als »Porzellan- sendung« deklarierte Kiste enthielt einen von Soem­ merring zergliederten Elefantenschädel aus der Kasseler Menagerie, an dem Goethe seine Theorie vom Zwischenkieferknochen überprüfen wollte. Der engste Freund war der fast gleichaltrige Welt­ umsegler Georg Forster (1754–1794) aus Nassenhu- ben bei Danzig, den der junge Anatom während einer Studienreise nach Holland und England in London kennengelernt hatte. Zwischen den beiden Wissen- schaftlern, die gemeinsame Jahre in Kassel und später in Mainz verbrachten, bestand ein inniges und intel- lektuell befruchtendes »Seelenbündnis«. Albumblatt Johann Michael Wachschlagers vom 20. August 1774

Das Stammbuch Häufig wurden studentische Stammbücher weni- 1779 zählt zu den kunstvollsten und schönsten Er- ger als Album der Freundschaft, sondern als Thea- innerungsstücken. Es zeigt einen fälschlich als Tur- trum eruditorum (im Sinne einer Sammlung oder dus minutus (Zwergdrossel) bezeichneten Fliegen- Galerie der Gelehrten) genutzt. Man könnte also an- schnäpper, den Forster während seiner Weltreise mit nehmen, dass Soemmerrings Bekanntschaft mit den James Cook auf den Norfolkinseln gesehen und ge- berühmten Zeitgenossen auch in seinem Stammbuch malt hatte, gewidmet hat er das Bild »seinem« Soem- Niederschlag gefunden hätte. Das ist nicht immer merring. der Fall. Weder die Göttinger Medizinprofessoren Doch da die ersten Albumeintragungen von Thor- noch Besucher der Kasseler Anatomie wie Goethe ner Freunden und Bekannten der Familie kommen oder Johann Heinrich Merck (1741–1791) hinterließen (alle diese Widmungen tragen das Datum August Sprüche und Autogramme. Verewigt hat sich jedoch oder September 1774), kann man vermuten, dass das der Freund Forster. Sein Albumblatt vom 17. August Büchlein anlässlich der Abreise aus der Heimat an-

22 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

Albumblatt Nathanael Friedrich Gottsteins vom August 1774

gelegt wurde. Der erste Eintrag vom 20. August 1774 ist von Johann Michael Wachschlager, Stadtnotar und Mitglied der ältesten Thorner Patrizierfamilie. Das Albumblatt zeigt eine dezent kolorierte Tusch- zeichnung einer Flusslandschaft mit Brücke und Weg – vielleicht eine Passage an der Weichsel. Der darunter stehende Widmungsspruch lautet »Semper puta opti- mum, quod est tutissimum« [Nimm stets das Beste an, denn das ist am sichersten], den er dem Angedenken wegen (»mem[oriae] caus[a]«) aufgeschrieben hat. Ihm schließen sich der praktische Arzt Natha­nael Friedrich Gottstein (1724–1803), der Bildhauer Jo- hann Anton Langenhan mit der auf den Prediger Sa- lomo (»Vanitas, vanitatum, et omnia vanitas«) zurück- gehenden Titelzeile des Gryphius-Sonetts Es ist alles eitel­ und Christian Ernst Tynning mit dem Bild einer Flusslandschaft an. Tynnings eingeklebtes Bild über- Albumblatt Johann Anton Langenhans vom 10. September 1774 deckt seinen aus Johann Fürchtegott Gellerts Gedicht Selinde stammenden Widmungsvers : »Je minder sich der Kluge selbst gefällt : Um desto mehr schätzt ihn die Welt.« Eingebettet in eine Schäferinnenidylle in anti-

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 23 Albumblatt Christian­ Ernst Tynnings vom 13. September 1774

von denen die eine Göttingen und das nähere Umfeld der Stadt zeigen, wäh- rend die zweite Thorn sowie Alt-Thorn mit der Weichsel festhalten. Schwarz- weiß-Zeichnungen bilden der Dans- ker als Burgzugang und das ehrwürdige Thorner Rathaus mit seinem charakteris- tischen Turm sowie eine vermutlich Göt- tinger Kirche ab, eine Kreuzdame-Spiel- karte mit der Aufschrift »Regine« ver- weist auf Soemmerrings Mutter, der zudem eine Portraitzeichnung gewidmet ist. Der Scherenschnitt stellt entweder den jungen Medizinstudenten selbst oder den Vater dar, und der gezeichnete Brief- Albumblatt Johann Thomas Soemmerrings kisierter Umgebung platziert Gottstein seinen Sinn- umschlag mit dem Siegel mag wohl den demnächst vom 14. September 1774 spruch aus Ciceros Gesprächen in Tusculum : »Nul- einsetzenden Briefverkehr mit der Heimat symboli- lum The/atrum Virtuti/ Conscientia/ majus est« (Tu- sieren. sculanae disputationes 2, 26), frei übersetzt mit »Der Eine weitere kolorierte Zeichnung zeigt den Plan Tugend Schauplatz ist ihr Gewissen«. Und der mit all der Stadt Thorn, der sich an das bekannte Merian-Bild seinen akademischen Titeln unterzeichnende strenge von 1641 anlehnt. Die historische Darstellung wird Vater schließlich entlässt den Sohn zum Studium mit hier durch Orte jenseits der alten Stadtbefestigung dem den Benediktinern zugeschriebenen Motto Ora ergänzt : So sind ein Spital, eine Grützmühle, Gärten et labora am 14. September 1774 in die weite Welt. und ähnliches mehr verzeichnet. Da das Blatt nicht Es ist vor allem eine (auf S. 20 gezeigte) Bilder- signiert ist, könnte Soemmerring selbst, der ein be- collage, die das bevorstehende Neue und das mit gabter Zeichner war, der Urheber des Bildes sein. Die dem Abschied von der Heimatstadt Vergehende mit- Handschrift der Bildlegenden ist derjenigen Soem- einander verbindet : J. C. Treutner gestaltet am 6. Sep- merrings sehr ähnlich, auch die nicht eindeutig zu tember 1774 ein Ensemble aus Landkarten, Portraits entziffernde Jahreszahl (vrmtl. 1803) könnte auf einen und Stadtansichten, die der zurückgelassenen Stadt späten eigenen Eintrag hinweisen. Thorn und der neuen Heimat Göttingen Referenz er- Noch zwei weitere Thorner sind im Buch zu finden, weisen : Zu sehen sind zwei gezeichnete Landkarten, der Bruder und der Onkel : Der in Göttingen Rechte

24 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

Das Album als Träger der Erinnerung Noch heute wird der Betrachter des Stammbuchs von der Kunstfertig- keit und Sorgfalt der Widmungen an- gesprochen. Allegorische Darstellungen und anspielungsreiche Zeichnungen sowie die zahlreichen griechischen, lateinischen und französischen Zi- tate spiegeln den Bildungsstand der sich Verewigenden und des gelehrten Besitzers wider, Beispiele wüsten Studentenlebens mit Saufgelagen und Burschenherrlichkeit findet man auf den Blättern nicht. Man kann nur vermuten, nach wel- chen Kriterien Soemmerring die Perso- Albumblatt mit einem Plan der nen auswählte, denen er sein Stamm- Stadt Thorn, Zeichner unbekannt. buch vorlegte. Da die ganz berühmten Zeitgenossen, mit denen er zu Leb- zeiten Kontakte pflegte, fehlen, kann studierende ältere Bruder Johann Gottlob trägt sich man davon ausgehen, dass es ihm nicht darum ging, am 6. November 1774 in Göttingen mit dem auf Horaz’ die Autographen bedeutender Gelehrter und Schrift- Carmina (Liber secundus) zurückgehenden Spruch steller zu sammeln. Vielmehr nutzte er das Büchlein, Aurea Mediocritas (der goldene Mittelweg) ein ; die um enge Freunde und Verwandte in gutem Gedächt- Widmung Samuel Luther von Gerets vom 17. Septem- nis zu behalten : Das Album diente ihm als Ort und ber 1779 aus Thorn lässt vermuten, dass Soemmerring Speicher der Erinnerung, in dem auch das Andenken im Frühherbst 1779 seiner Heimatstadt einen Besuch an den Freundes- und Familienkreis aus der Thorner abstattete. Im Übrigen preist auch der vom Onkel Heimat bewahrt wurde. ausgewählte, auf die Fragmente der frühen Stoiker ❧ Ulrike Enke (Marburg) zurückgehende Sinnspruch » Ὂτι ­αὐταρκήζ αρετή Fotografische Reproduktionen der πρόϛ εὐδαιμουίαυ« [dass die Tugend zur Glückselig- Stammbuchblätter : Ursula Lang keit genügend – autark – sei] (SVF III 30.49) das Lob der Tugend.

SOEMMERRING-GEDENKEN IN THORN

Kassel, Mainz und Frankfurt am Main haben Straßen und Plätze nach Soemmer- ring benannt, und auch in Thorn wird das Andenken an den berühmten Sohn der Stadt gepflegt. Bereits 1868 hatte der Copernicus-Verein in Thorn an seinem Geburts- haus östlich des Altstädter Marktplatzes eine bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhaltene Gedenktafel angebracht. Flaniert man heute durch den Stadtkern, stößt man an der Rynek Staromiejski auf das Haus Nr. 33, wo am 28. Juni 2003 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft zwischen Göttingen und Thorn erneut eine Tafel enthüllt wurde. Sie zeigt das in Anlehnung an den Kupferstich von Ambroise Tardieu gestaltete Halbrelief des jungen Soemmerring, frisiert und gekleidet nach der Mode des ausgehenden 18. Jahrhunderts, und trägt in polnischer und deutscher Sprache die Inschrift : FOTO: CHRISTIAN-ULRICH BEHRING, 2014 BEHRING, CHRISTIAN-ULRICH FOTO:

Samuel Thomas Soemmerring, ein Gelehrter von Rang, Professor der Medizin, Tafel an Soemmerrings Geburtshaus in Erfinder des Telegraphen, ist in diesem Haus im Jahr 1755 geboren. der Thorner Altstadt (Stare Miasto, Rynek Staromiejski 33) gegenüber dem Rathaus.

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 25 Ein »Westpreuße par excellence«

Zum Tode von Hans-Jürgen Schuch

Von Udo Arnold

Nachdem Hans-Jürgen Schuch der Stiftung Nordostdeutsches Kulturwerk seit 1975 insgesamt 42 Jahre lang angehört hatte und im November des Vorjahres nach zwölfjährigem Vorsitz im Stiftungsrat sein Amt in jüngere Hände übergab, durfte ich ihn mit einer Laudatio ehren. Damals hätte niemand gedacht, dass ich ihn schon wenige Monate später neuerlich würdigen müsste, und zwar aus viel traurigerem Anlass – Hans-Jürgen Schuch ist am 14. März 2018 von uns gegangen.

ir alle haben unser eigenes Bild von ihm, das je nach Institution sehr unterschiedlich Wsein dürfte. Eins aber spürten wir alle : Er war, wie viele ihn respektvoll nannten, ein »Westpreuße par excellence«. Doch was ist ein »Westpreuße schlechthin« ? Auch hier werden wir alle ein unterschied- liches Bild haben, je nach unserer eige- nen Vorstellungswelt. Westpreußen ist eine Region, die ihr Gesicht im Laufe der letzten 800 Jahre, in denen sie im helleren Licht der Geschichte stand, immer wie- der gewechselt hat. Dieser Wechsel, fest- gemacht an seiner Heimatstadt El­bing, hat Hans-Jürgen Schuch fasziniert, ihm hat er nachgespürt, seit er die Heimat verloren hatte. Und damit entwickelte er sich zum besten Kenner Elbings, der mir jemals begegnet ist. Das galt sowohl für Beim Festvortrag auf der Feier zum 60-jährigen Bestehen der Landsmannschaft das mittel­alterliche Elbing als auch für das Westpreußen (2009) im Westpreußischen Landesmuseum Münster-Wolbeck neuzeitliche, vor allem aber für Elbing im 19. und 20. Jahrhundert. Diese Kenntnisse erwarb er sich nicht nur aus der Litera- tur und den mündlichen Überlieferungen deutsche Kulturarbeit aus. Schon 1986 unterschiedlich und sprach darüber oder der Erinnerung, sondern vor allem erhielt er das Bundesverdienstkreuz am tat dies – wie Hans-Jürgen Schuch – nicht. immer wieder durch eigene Anschauung. Bande, 2010 dasselbe Erster Klasse. Am 6. April 1949 wurde die Lands- Vor 60 Jahren reiste er zum ersten Male mannschaft Westpreußen gegründet, nach dem Krieg wieder in »seine« Stadt Am 15. Juni 1930 wurde Hans-Jürgen mitten in die Aufbruchszeit der sie- und wurde durch die vielfältigen Wieder- Schuch in Elbing geboren, dort besuchte ben Wochen später, am 23. Mai, be- holungen zum herausragenden Brücken- er die Oberschule und die Oberwirt- gründeten Bundesrepublik Deutschland bauer zwischen dem deutschen Elbing schaftsschule. Sein Vater leitete das städ- hinein. Hier sah er die Möglichkeit, für und dem polnischen Elbląg, welch letz- tische Amt für Bildung, Kultur und Sport. die verlorene Heimat zu wirken. So ge- teres ihm dies gedankt hat durch die Ver- 1944 wurde er noch kriegsdienstver- hörte er zu den Mitbegründern der West- leihung der Ehrenbürger-Würde. – Auch pflichtet – ein wahnsinniger Zeitpunkt all- preußischen Jugend 1949, ebenso der die Bundesrepublik zeichnete ihn für gemein, erst recht für einen 14-­Jährigen. Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der sein zivilgesellschaftliches Engagement Was folgte, kennen wir ebenfalls im All- Landsmannschaft. Seit 1958 war er im und seine große Bedeutung für die ost- gemeinen, im Einzelnen erlebte es jeder Vorstand, seit 1959 Stellvertretender Ge-

26 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

schäftsführer, seit 1963 hauptamtlicher Eine der herausragenden Initiati- Bundesgeschäftsführer und seit 1969 ven war jedoch die Gründung und der auch Stellvertretender Bundessprecher. Aufbau des Westpreußischen Landes- Bis 1999 hat er die Arbeit der Lands- museums ab 1975. Hans-­Jürgen Schuch mannschaft durch seine Tätigkeiten ent- hat dieses Museum – heute von Münster scheidend geprägt. nach Warendorf umgezogen – zu einem Dabei hat er recht früh erkannt, dass der bedeutenden Häuser im Ensemb- die Aufgabe einer Landsmannschaft le der Museen für ehemals ostdeutsche politische Ansätze immer stärker hinter Landschaften in der Bundesrepublik ge- kulturelle Fragen zurückstellen musste, macht. Er hat dieses Haus nicht nur be- hinter die Erarbeitung der Vergangen- gründet, er hat es auch 24 Jahre lang, bis heit der ehemaligen Heimat und die Be- Beim Rundgang nach der Eröffnung der zu seinem Ausscheiden aus der aktiven wahrung des kulturellen Erbes. Er stieg Sonderausstellung „Backsteinarchitektur landsmannschaftlichen Arbeit, geleitet. im Ostseeraum“ (2016) im Westpreußi- intensiv in die Erarbeitung der Geschich- schen Landesmuseum Warendorf Dabei ist es ihm gelungen, die institu- te, vor allem Elbings, ein und übernahm tionelle Förderung durch die Bundes- 1967 den Vorsitz der zehn Jahre zuvor be- regierung zu erreichen und es somit gründeten Truso-Vereinigung, eines Zu- krisensicherer zu machen als nur durch sammenschlusses für Geschichte, Kul- wusst also für einen breiteren Leserkreis, unsichere Beiträge Dritter und Spenden. tur und Wissenschaft Elbings und seiner ohne dass es allerdings der wissenschaft- Zudem gelang ihm nach langwierigen Umgebung, die bereits seit 1949 wieder lichen Fundierung entbehrte. Die Bei- Bemühungen sogar der Aufbau einer die Elbinger Hefte herausgab, eine quali- träge zur Geschichte Westpreußens, in- Außenstelle des Landesmuseums im fizierte Schriftenreihe mit vielfältiger zwischen vereinigt mit der Zeitschrift Heimatgebiet, in Krockow bei Danzig. Thematik. Ebenso erschienen seit 1951, Preußenland der Historischen Kommis- Das Landesmuseum ist sein Kind, auf später unter seiner Leitung, die Elbinger sion für ost- und westpreußische Landes- das er mit Recht stolz sein darf, auf das Nachrichten. Heimatzeitung für Stadt- forschung zum neuen Jahrbuch Preußen- wir alle stolz sein dürfen. und Landkreis Elbing, die erst ab 2011 mit land, und das Westpreußen-Jahrbuch er- dem Westpreußen vereinigt wurden. scheinen nach wie vor und sind von Mit Hans-Jürgen Schuch haben wir Er zählte auch 1961 zu den Begründern bleibender Bedeutung für die interessier- eine Schlüsselfigur der Arbeit für West- der Copernicus-Vereinigung für Geschich- te, wenn zahlenmäßig auch abnehmende preußen, aber vor allem auch der te und Landeskunde Westpreußens, deren Leserschaft. Erforschung und der musealen Präsen- seit 1967 erscheinende Beiträge zur Ge- In zahlreichen eigenen Beiträgen hat tation dieser ehemaligen preußischen schichte Westpreußens sich in der Wissen- sich Hans-Jürgen Schuch vor allem El- Provinz verloren. Es wäre eine verdienst- schaftslandschaft rasch einen geachteten bing und seiner Geschichte gewidmet, volle Aufgabe, seine wichtigen Veröffent- Stellenwert erarbeiteten, nicht zuletzt Beiträgen, die an Quellengrundlagen lichungen zusammenzustellen und in weil mit Horst Jablonowsky ein renom- und Kenntnissen keine Wünsche offen einer zusammenfassenden Publikation mierter Bonner Universitätsprofessor als ließen und ihn zum unangezweifelten vorzulegen – wir alle würden davon pro- Motor gewonnen werden konnte. Fachmann für seine Heimatstadt vor fitieren, wenn sie nicht in ihrer Streu- Hans-Jürgen Schuch wurde jedoch allem im 19. und 20. Jahrhundert mach- ung verloren gingen. Es wäre dies auch auch selber als Herausgeber für das ge- ten. So war es mir eine besondere Freu- ein nachhaltiger Dank an Hans-Jürgen samte Westpreußen aktiv. 1950 erschien de, dass die Historische Kommission Schuch, den wie postum noch auszu- der erste Band des Westpreußen-Jahr- für ost- und westpreußische Landes- sprechen vermögen. buchs, das er seit 1963 bis zum Band 50 forschung ihn 1988 unter meinem Vorsitz ❧ im Jahre 2000 redigiert hat. Es sollte zum Ordentlichen Mitglied berief. Wann keine streng wissenschaftliche Veröffent- immer es möglich war, hat er an den Ta- lichung sein, sondern breit gefächert bis gungen der Kommission teilgenommen, hin zu Erzählungen und Lyrik, ganz be- zuletzt noch im Mai 2017 in Marienburg.

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 27 Die Herrschaft Runowo Schlossruine erzählt Vergangenheit

Von Hans-Jürgen Schuch †

QUELLE: WWW.PALACRUNOWO.PL

ie von der Stadt Vandsburg im Land- Seit Anfang 2016 hat Hans-Jürgen Schuch in dieser Zeitung eine Reihe von größeren Artikeln veröffentlicht. Erinnert sei nur an die Beiträge zur Elbinger Innenstadt heute (4/2016) oder zum Hafen- kreis Zempelburg nach Südwesten in städtchen Tolkemit (6/2017). In früheren Jahrgängen waren des Öfteren auch umfangreiche Texte von den Landkreis Wirsitz zur Stadt Lob- ihm zur Familien-, Orts- oder Gütergeschichte erschienen. Bei der redaktionellen Reform des West- sens verlaufende Straße führt nach preußen hatten wir dann aber miteinander abgesprochen, dass wir solch ausführliche, einer sehr D4 km durch das Straßendorf Runowo. Auf der linken speziellen Thematik gewidmete Beiträge kaum noch ungekürzt würden veröffentlichen können. Dass Straßenseite des Dorfes befindet sich der im Laufe der uns Hans-Jürgen Schuch dennoch am 11. April 2017 ein – am Tag zuvor abgeschlossenes – ­Typo­skript Nachkriegszeit zu einem kleinen Wäldchen gewordene eines derartigen Aufsatzes zusandte, begründete er in seinem Begleitbrief folgendermaßen : »Da ehemalige Gutspark. Eine deutlich erkennbare Ein- mich Runowo nicht loslässt, übersende ich Ihnen den […] Text zur näheren Information. Ich stand vor fahrt erschließt die Zufahrt zum Schlossgelände des 39 Jahren zum ersten Mal vor der Ruine.« – Den Wunsch von Hans-Jürgen Schuch, seine Forschungen früheren Rittergutes Runowo. Sie führt zu der Stelle, zur »Herrschaft Runowo« unseren Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen, wollen wir postum an der 1860 hinter dem heute wald­ähnlichen Park jetzt gerne erfüllen und dem Autor auch auf diese Weise unsere Reverenz erweisen. DW das neue Herrenhaus gebaut worden ist. Es handelte

28 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

sich um ein aus zwei Flügeln bestehendes Schloss. Bei Von der Gründung bis zum Kriegsende 1945 wurde das stattliche Gebäude zu einer Ende des Ersten Weltkrieges Ruine : groß, eindrucksvoll und zum Nachdenken ein- Es waren Zisterziensermönche, die das Gut 1325 grün- ladend. In den letzten gut 70 Jahren hat sich kaum deten und anschließend 66 Jahre, bis 1391, als Klos- etwas verändert. Der lange Zeit rund um das Gebäude ter nutzten. Die unmittelbar folgenden Eigentümer herum liegende Schutt wurde dann doch beseitigt und sind nicht alle bekannt. Ein Dobislaus Runge wird die Wege wurden freigelegt. Vor der Hauptfront des bereits 1391 als Besitzer genannt. Aus dem Jahr 1511 Schlosses breitet sich heute eine große Wiese aus. Sie ist der Name Orzelski überliefert und 1595 soll ein wird von Zeit zu Zeit gemäht. Alles sieht sauber und Jan Orzelski das Gutshaus gebaut haben. Dieser Jan ordentlich aus, man möchte sagen : gepflegt – aber Orzelski war wohl auch 1607 der Bauherr der katho- dennoch vergessen. Die starken Mauern des aus- lischen Kirche aus Stein, die die Vorgängerkirche gebrannten Schlosses trotzen dem Wetter im Sommer aus Holz ersetzte. Im Laufe der Zeit gehörte das Gut wie Winter und auch sonstiger Unbill. An die Wiese nacheinander mehreren anderen polnischen Fami- grenzt der Kleine Runowoer See. Er ist verbunden mit lien. Im 17. Jahrhundert »lag Runowo wüst«. Erst um dem etwas weiter östlich gelegenen, sehr viel größeren 1670 wurde es wieder aufgebaut. 1694 wirtschafteten in Großen Runowoer See. Die heutige Wiese, das Wäld- Runowo fünf deutsche Siedler, 17 Fronbauern und sie- chen und die Runowoer Seen bildeten früher den 18 ha ben Gärtner. Ab wann die seit dem Fortzug der Mön- großen Schlosspark. Beide Seen lassen erahnen, wie che immer größer gewordene Begüterung »Herrschaft schön es hier wohl früher gewesen sein mag. Die Natur Runowo« genannt wurde, ob dies erst im 19. Jahr- ist es immer noch. hundert erfolgte oder schon etwas früher, ist nicht Das Schloss könnte wahrscheinlich jederzeit res- bekannt. In der von Johann Friedrich Goldbeck nach tauriert werden. Vermutlich gibt es jedoch keine 1772 verfassten Topographie (gedruckt 1789 in Marien- Nutzungsperspektive, die die nicht unerheblichen werder) wird Runowo als Adliges Dorf und Vorwerk Wiederherstellungskosten rechtfertigen würde. Nicht mit einer katholischen Kirche unter dem Patronat der aus jedem Schloss lässt sich ein Hotel, eine Tagungs- Gräfin (Theophila) Potulicka genannt. Im Landkreis oder Erholungsstätte machen. Die abseits der Straße Wirsitz wurden vier andere besonders große Ritter- und hinter Bäumen versteckt stehende eindrucksvolle güter ebenfalls als »Herrschaft« bezeichnet. Ruine erinnert an die wechselvolle Vergangenheit die- Das zunächst »Kleinpreußen« oder auch »Bren- Ausschnitt aus der ser einstigen Herrschaft Runowo. Aber wer sucht die- ckenhoffischer Distrikt« genannte Gebiet südlich „Karte von dem sen Erinnerungsort auf, wer lässt sich hier erinnern ? von Pommerellen – südlich und nördlich der Netze Flatowschen Kreise des Marienwerderschen­ Von der Geschichte dieser großen Begüterung wie gelegen – erhielt 1773 den Namen »Distrikt an der Regierungs- von derjenigen des Schlosses und seiner Bewohner Netze«. Diese provinzähnliche Verwaltungseinheit Bezirks“ (1838) liegt viel im Dunkeln, eine Menge unter dem Schutt war dem Oberpräsidenten Johann Friedrich von des Vergessens. Alles sollte freigelegt werden. Domhardt in Königsberg unterstellt, kassenmäßig

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 29 QUELLE: WWW.PALACRUNOWO.PL QUELLE:

Die Südfront mit Auffahrt des ­Schlosses Runowo vor der Zerstörung 1945. Das aber der Kammer in Marienwerder. In Bromberg Ab 1831 war der Graf Viktor von Szoldrski Eigen- Gebäude wurde 1860 wurde die »Königlich Westpreußische Kriegs- und tümer des Rittergutes ; von ihm erbte es seine Witwe. im Baustil der Neo-­ Domänenkammer-Deputation«, aber ohne eige- Im Jahre 1839 gehörte Runowo Friedrich von Pelet Renaissance errichtet. nen Präsidenten eingerichtet. Sie hatte das Vorrecht, Narbonne. Anschließend sind als Eigentümer ein Jaffe Die spitzen Dreiecks­ giebel sind Stufengiebel. ihre Berichte direkt an den König und das General- und 1852 Theodor von Bethmann-Hollweg überliefert. Dem Mitteltrakt ist im direktorium in Berlin zu richten. 1782 wurden auch in Im Jahre 1877 übernahm Ernst von Bethmann-Holl- Erdgeschoss ein Bromberg entsprechende Kassen eingerichtet. weg die Herrschaft Runowo, als Eigentümer 1896, Eingangsportal­ Der Netzedistrikt war in die vier landrätlichen und auf ihn folgten die Erben Theodor von Beth- vorgelagert. Darüber befinden sich ein Balkon Kreise Deutsch Krone, Camin, Bromberg und Ino­ mann-Hollwegs. Der damals bereits verstorbene und die drei großen wrazlaw (Hohensalza) eingeteilt. Zum Kreis Camin Theodor von Bethmann-Hollweg darf nicht mit Fenster des Saales. mit u. a. den Städten Camin, Lobsens, Wirsitz, Flatow, Theobald Theodor von Bethmann Hollweg aus dem Vandsburg und Zempelburg gehörte auch das Gebiet brandenburgischen Kreis Ober-Barnim in der Nähe um Runowo. Von 1775 bis 1816 amtierte in Runowo von Potsdam verwechselt werden, der 1899 eine kurze Landrat von Brun. Er war vermutlich in dieser Zeit Zeit von nur gut drei Monaten Regierungspräsident in der Gutsherr. In den wenigen Jahren von 1807 bis 1813 Bromberg war und von 1909 bis 1917 in Berlin Reichs- gehörte das Gebiet, wie auch das Kulmer Land außer kanzler. Dieser Bethmann Hollweg gehörte zu einem Graudenz, zu dem von Napoleon eingerichteten anderen Zweig der Familie. Sein Name wurde ohne Herzogtum Warschau. Bindestrich geschrieben. Der Reichskanzler soll übri- Auf dem Wiener Kongress wurde die Rückkehr gens 1916 Runowo besucht haben. des Netzedistriktes an das Königreich Preußen ent- Die Bethmann-Hollwegs auf Runowo waren be- schieden. Dieses schuf 1815 das Großherzogtum Posen, reits vor 1852 im Gebiet des späteren Kreises Wirsitz den dazu gehörenden Regierungsbezirk Bromberg ansässig. Ihnen gehörte 1773 oder bald danach das bei und an Stelle der vier landrätlichen Kreise mehrere der Stadt Mrotschen (Mrocza) gelegene, aber nicht moderne Landkreise wie den Landkreis Wirsitz mit zur Herrschaft Runowo gehörende Rittergut Wiele. dem Adligen Gut Runowo. Auf den Landrat von Brun Einhundert Jahre später war es von 1873 bis 1906 an folgte 1816 am neuen Amtssitz in der Stadt Wirsitz die Brüder Rudolf und Albert Prochnow verpachtet. Landrat von Bukuwiecki. Er war der erste Pole an der Nach Ablauf der Pacht verkaufte die Erbengemein- Verwaltungsspitze eines preußischen Landkreises. In schaft von Bethmann-Hollweg das zu diesem Zeit- diesem wichtigen Amt blieb von Bukuwiecki für 26 punkt 790 ha (= 3.160 Morgen) große Rittergut an Jahre bis 1842. Das Großherzogtum wurde zur Pro- die »Königliche Aussiedlungskommission für West- vinz Posen. preußen und Posen«. Diese teilte es in 43 Siedler-

30 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR stellen »verschiedener Größe« auf. Die Siedler kamen te. Er baute dort 1914 für seine Mutter Freda aus dem aus der Pfalz, aus Mecklenburg und Pommern. Nach Hause Arnim-Boitzenburg/Uckermark einen Alters- dem Ersten Weltkrieg wurden 1920 alle diese deut- sitz, der das »neue Schloss« genannt wurde. Bis zum schen Siedler vom polnischen Staat enteignet. Die alten Schloss waren es nur rd. 500 Meter. noch ziemlich neuen Bauernwirtschaften erhielten Damals kam es häufig vor, dass gleichnamige Land- Polen aus dem ehemaligen Kongresspolen, die dann gemeinden und von ihnen unabhängige – also selbst- wohl 1939 oder wenig später weichen mussten. ständige – Gutsbezirke nebeneinander anzutreffen Der erste von Bethmann-Hollweg und seine Nach- waren, bis später entweder die Gutsbezirke aufgelöst folger auf Runowo haben im 19. Jahrhundert gut ge- und mit den Landgemeinden oder mit anderen Guts- wirtschaftet und die Begüterung durch Zukauf ertrag- bezirken zusammengelegt wurden. Die auf einem Gut reicher gemacht und vergrößert. Daher war es auch arbeitende Bevölkerung lebte überwiegend im Guts- möglich, 1860 das imponierende Schloß zu bauen. bezirk. Es gab aber auch andere, die in der benach- Als Joachim von Bethmann-Hollweg die Herrschaft barten Landgemeinde wohnten. 1907 erbte, war sie ein wirklich ansehnlicher Land- Während die Katholiken ihre Kirche in Runowo wirtschaftsbetrieb mit viel Wald. Er konnte das Erbe hatten, mussten die evangelischen Einwohner zur Kir- rd. 22 Jahre, bis 1928/29, fortführen. che nach Vandsburg gehen. Das änderte sich 1890. Die Zur Herrschaft Runowo im Landkreis Wirsitz des Gutsherrin ließ in jenem Jahr im Dorf ein Pfarrhaus Joachim von Bethmann-Hollweg gehörten 1907 fol- errichten und im Park in der Reitbahn eine Kirche, gende Güter : die schließlich 1905/06, auf Rundhölzer gesetzt, aus dem Park ins Dorf gerollt und dort gegenüber dem 1. Rittergut Runowo (mit den Vorwerken Pfarrhaus aufgestellt wurde. Auf diese Weise entstand Gnielke, Waldungen und Rothof) �������� 3.726 ha das evangelische Kirchspiel Runowo. – Der nächst- 2. Gut Dreidorf ������������������������������������������������ 284 ha gelegene Bahnhof der Reichsbahn befand sich übri- 3. Gut Heidchen ���������������������������������������������� 251 ha gens seit der Eröffnung der Bahnstrecke Nakel-Konitz 4. Gut Joachimshöh ���������������������������������������� 508 ha 1887 in Waldungen. 5. Gut Joachimstal ������������������������������������������ 496 ha Im Dezember 1910 wurde im Bereich der Herr- 5.265 ha schaft Runowo folgende Bevölkerungszusammen- setzung festgestellt, die hier verkürzt festgehalten wer- Die Angaben zur Größe der Herrschaft Runowo vari- den soll : ierten von Jahr zu Jahr, auch innerhalb eines Jahres, und dies nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern auch Gutsbezirk Einwohner davon Deutsche im 20. Jahrhundert. Ursachen sind u. a. Landkauf Dreidorf 305 31 und -verkauf. Einige unterschiedliche Angaben las- Runowo * 752 309 sen sich nicht erklären. Außerdem werden gelegent- Ronowomühle 15 14 lich Ortsnamen und Namen erwähnt, die zur anderen Waldungen 132 88 Zeit unerwähnt blieben, weil sie größeren Betrieben 1.294 442 zugerechnet wurden. * zusammen mit den Gütern Heidchen, Im Jahre 1907 zählte die Herrschaft also um- Joachimshöh und Joachimstal. gerechnet 21.060 pr. Morgen. Damit bildete sie einen sehr großen Landwirtschafts- und Forstbetrieb. Bis auf Dreidorf, das ebenfalls ein eigenständiger Außerdem gehörten dazu in Runowo eine Dampf- Gutsbezirk im Landkreis Wirsitz war, 105 Einwohner ziegelei, eine Zementsteinfabrik, eine Molkerei, eine hatte und auch an der Straße nach Lobsens lag, bilde- Brennerei und ein Dampfsägewerk. Zwei andere ten die anderen vier zur Herrschaft gehörenden Güter Molkereien befanden sich in Joachimshöh und in zusammen mit dem Rittergut den Gutsbezirk Runowo Joachimstal. Das Gut Heidchen wurde vom Ritter- neben der benachbarten Landgemeinde Runowo mit gut Runowo mit bewirtschaftet. Die Güter Dreidorf, 752 Einwohnern. Joachimshöh und Joachimstal waren in der Regel verpachtet. Die Ortschaft Mühle Runowo (Runo- Landgemeinde Einwohner davon Deutsche womühle) war ein eigenständiger Gutsbezirk mit 14 Groß Dreidorf 230 108 deutschen und einem polnischen Einwohner. Sie ge- Klein Dreidorf 457 341 hörte 1907 weder zum Rittergut noch zur Herrschaft. Runowo 744 287 Sie war ein Otto Kumm gehörendes 128 ha großes Gut, 1.431 736 davon 70 ha Ackerfläche, mit einer Wasserdampf- mühle, das Bethmann-Hollweg 1910/11 kaufen konn- ▶

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 31 Die Zusammensetzung der Bevölkerung war dem- mann-Hollweg die Freude an dem Familienerbe ver- nach gemischt. Der polnische Anteil überwog mit gut gangen zu sein. Am 5. Februar 1928 berichtete die in 60 %. Die Evangelische Kirche hatte in den Ortschaften Bromberg erscheinende Tageszeitung Deutsche Rund- Klein Dreidorf und Runowo jeweils ein Kirchspiel mit schau in Polen, dass Joachim von Bethmann-Hollweg eigener Kirche eingerichtet. Die katholischen Ein- seinen gesamten Besitz mit einer Gesamtfläche von wohner gehörten zu den katholischen Kirchspielen 5.784 ha, davon 2.131 ha landwirtschaftlich genutzte Groß Dreidorf und Runowo. Fläche, an die polnische Bank Rolny [Landwirtschaft- In dem größten der drei Dörfer (Landgemeinden), liche Bank] verkauft habe. Das waren 176 ha mehr, als in Runowo, lebten zahlreiche deutsche, aber auch rd. drei Jahre vorher vorhanden waren. Die in Pom- polnische Bauern. Ihre landwirtschaftlichen Betriebe merellen, Posen und im historischen Kulmer Land als waren 10 bis 91 ha groß. Die Mehrzahl lag in der Ge- Minderheit verbliebenen Deutschen waren nicht nur markung, also außerhalb des Dorfes. überrascht sondern auch stark verärgert, ja sie fühlten Das Dorf Runowo war bereits im 19. Jahrhundert sich verraten. Ihnen kam es vor, als hätten sie selbst Schulort. Es gab vor 1920 eine evangelische Schule Eigentum verloren. Die vom Verkäufer genannten und eine katholische Volksschule. Danach sank nach wirtschaftlichen und anderen Gründe konnten sie und nach die Zahl der deutschen Schüler, weil die nicht überzeugen. Die erwähnte Zeitung formulier- deutschen Familien ihr Heimatland verließen oder te schließlich, was mindestens die Mehrheit der deut- verlassen mussten. Etwa ab 1922 übernahmen der schen Minderheit dachte: oder die Lehrer der polnischen katholischen Schu- Von Kennern der Sachlage wird bestritten, dass Herr von le auch die Unterrichtung der verbliebenen evange- Bethmann-Hollweg diesen aus nationalen Gründen völlig lisch-deutschen Schüler. unverständlichen Verkauf tätigen mußte. Das Kernproblem Die Zeit von 1920 bis 1945 wäre zu lösen gewesen, wenn der Eigentümer, der sich wohl mehr im Ausland als auf seinem Gut und Boden aufhielt, die Auf die für alle nicht leichten Jahre während des Ers- Wirtschaftsführung anderen Händen anvertraut hätte. An- ten Weltkrieges, in denen Runowo als Lazarett genutzt dere Gutsbesitzer haben unter schwereren Verhältnissen wurde, folgte 1920 die Versailler Grenzziehung. Diese dem Geschick getrotzt. Hier war Hilfe möglich, wenn ihre bedeutete für den Kreis Wirsitz einschließlich der Form auch unbequem erschien. Wir bedauern den Verlust Herrschaft Runowo die Abtrennung vom Deutschen um Boden, die Entlassung von vielen deutschen Beamten, Reich. Nun galt es für Joachim von Bethmann-Hollweg, Arbeiterfamilien, den Verlust des Verkäufers bedauern wir das Familienerbe in der Republik Polen zu erhalten nicht. und fortzuführen. Das gelang zunächst auch recht gut. Das polnische Güteradressbuch für das Gebiet Posen Das waren sehr deutliche, aber auch verbitterte Worte. aus dem Jahr 1926 nennt neun zur Herrschaft Runowo Chefredakteur der Zeitung war zu der Zeit (1925–1939) gehörende Güter (Vorwerke) : der sehr angesehene Gotthold Starke, ein Jurist, der 1896 in Runowo als Sohn des evangelischen Pfarrers Runowo...... 3.254 ha geboren worden war. Es sollte aber auch festgehalten Erikfelde...... 195 ha werden, dass die Familie von Bethmann-Hollweg Heidchen ...... 251 ha weder in der Landes- noch in der Kreisgeschichte Dreidorf ...... 449 ha erwähnt wird. Nur der erste von Bethmann-Holl- Joachimsthal...... 443 ha weg war zeitweise Mitglied des Reichstages. Ganz im Joachimshöh...... 499 ha Gegensatz zu anderen Besitzern großer Güter, schei- Marienau...... 180 ha nen die Herren auf Runowo unter sich geblieben zu Runowomühle ...... 125 ha sein. Waldungen...... 212 ha Der Verkäufer Joachim von Bethmann-Hollweg 5.608 ha hatte für sein Familienwesen fünf Millionen Dol- Nach dieser Auflistung ist der Gesamtbesitz gegen- lar erhalten. Der Dollar war damals noch eine Gold- über den Angaben von 1907 bis zum Jahr 1926 größer währung. Ein Dollar war ℛℳ 4,20 wert. Die polni- geworden, das Rittergut Runowo aber kleiner, auch sche Bank zahlte also für die Herrschaft Runowo um- wenn das Vorwerk Waldungen hinzugerechnet wird. gerechnet 21 Millionen Reichsmark. Mit dem Verkauf Bald danach war der Gutsherr gezwungen, »frei- der Herrschaft verloren tatsächlich zahlreiche deut- willig« 200 ha Land zu für ihn ungünstigen Be- sche Gutsarbeiter und Angestellte ihren Arbeitsplatz dingungen für Parzellierungszwecke abzugeben, und wie z. B. Bruno Raddatz, der bis dahin zehn Jahre die 1928 sollte er erneut 700 ha für diesen Zweck zur Ver- Brennerei geleitet hatte, oder der Gärtnereiverwalter fügung stellen. Da scheint dem Joachim von Beth- Max Eckhardt.

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Die landwirtschaftliche Fläche wurde bald nach dem Verkauf parzelliert. Es entstanden etliche 18 bis 20 ha große Siedlungswirtschaften. Sie wurden an polnische Siedler verkauft. Den größten Teil des Gutswaldes übernahm der polnische Staat, der 1928 die Försterei (Forstamt) Runowo mit Sitz im klei- nen Schloss in Runowomühle einrichtete. Ein 800 ha großes Restgut blieb in Runowo erhalten. Es sollte den Fortbestand der Brennerei sichern. Dieses statt- liche Restgut erwarb Wiktor Szulczewski aus Friede- berg (Neumark). Der neue Gutsherr bezog das mit dem Schloss und allen sonstigen Gebäuden und Ein- richtungen 1905 für den Gutsverwalter und Rentmeis- ter Franz Burckhardt erbaute Verwalterhaus. Nach seinem Tode erbten das Restgut seine Witwe Melanie und die Töchter. Das Schloss wurde nach 1928 zu einem Ferien-

objekt. Im Sommer erholten sich darin Offiziere SCHUCH HANS-JÜRGEN FOTO: der polnischen Armee. Ab 1935 wurde es von Polens Das Schloss Runowo mit der Hauptfront als Ruine (2016) Staatspräsident­ Ignacy Moscicki (1926–1933) als Fe- rien- und Jagdresidenz und als Konferenzort genutzt. Zuletzt traf er sich Weihnachten 1938 mit dem pol- sistorium in Danzig geordnet wurde, kamen die bei- nischen Marschall Edward Rydz-Smigly in Runowo, den Kirchengemeinden (Kirchspiele) Klein Drei- seit 1935 Nachfolger des verstorbenen Jozef Pilsudski dorf mit Pfarrer Ernst May (seit 1939) und Runowo im Amt des Generalinspekteurs der Streitkräfte. Seit mit Pfarrer Kurt Fuchs aus Tuchel (seit 1940) an den 1936 war er auch Oberbefehlshaber des Heeres. Der Kirchenkreis Lobsens. Zu diesem Kirchenkreis hatten Marschall war in jenen Jahren der starke Mann der sie auch bis 1920 gehört. Im Jahre 1942 änderte sich Republik Polen. dies. Die Kirchengemeinde Ruhnau/Runowo wurde Im Zuge einer Gebietsreform 1938 wurden dem Kirchenkreis Konitz II zugeteilt, der die Be- Woiwodschaftsgrenzen und auch Kreisgrenzen ver- zeichnung Kirchenkreis Zempelburg erhielt. In Runo- ändert. Das im Norden des Kreises Wirsitz gelegene wo wurde auch wieder eine deutsche Schule mit dem Kreisgebiet um die ehemalige Herrschaft Runowo Schulleiter Richard Schmidt eingerichtet. wurde abgetrennt und dem Kreis Zempelburg zu- Die Gemeinde Ruhnau bildete mit acht anderen geteilt. Bei Kriegsausbruch 1939 floh die Familie Szul­ Gemeinden den Amtsbezirk Vandsburg-Land. Sie czewski rechtzeitig, bevor die deutsche Wehrmacht war mit 3.064 ha und mit 232 Haushaltungen und 1.141 Runowo erreichte. Einwohnern die größte im Amtsbezirk, flächenmäßig Als im Oktober 1939 der Reichsgau Danzig-West- sogar die größte in dem kleinen Landkreis Zempel- preußen errichtet wurde, blieb der Landkreis Zempel- burg. Ruhnau gehörte 1943 – wie auch vor 1920 – zum burg einschließlich der Gemeinde Runowo mit dem Amtsgerichtsbezirk Lobsens. ehemaligen Rittergut Runowo bestehen. Im Juni 1942 Die ehemalige Begüterung Runowo wurde vom fand eine Namensänderung statt. Die Gemeinde hieß September 1939 bis Anfang 1945 von der »Reichs- seitdem und bis Kriegsende »Ruhnau bei Vandsburg«, land« (Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung gelegentlich auch »Runau« geschrieben. Die Be- mbH) als Treuhänderin verwaltet. Unklar ist, was im hörden, andere öffentliche Einrichtungen sowie Orts- Schloss untergebracht wurde. Möglicherweise hatte fremde kannten den neuen Namen. Als Postanschrift sich in ­einem Teil die Verwaltung der Treuhänderin war er zwingend. Die Bevölkerung des Ortes und einquartiert, andere Teile haben vielleicht dem Staat in der weiteren Nachbarschaft verzichtete dagegen und der NSDAP als Gästehaus gedient. Im Laufe des nicht auf die historische und ihr vertraut klingende Jahres 1942 – und weiterhin bis 1945 – begann die Namensform »Runowo«. Auch andere Ortsnamen deutsche Luftwaffe, das Schloss als Uniformlager zu wurden geändert. Einige Gemeinden in der Gegend nutzen. – Im Herbst 1939 soll Adolf Hitler Runowo erhielten den Namen, der schon seit Jahrzehnten von kurz besucht, wohl aber dort nicht übernachtet haben. der Be­völkerung benutzt wurde. Es wird zudem berichtet, dass während des Krieges Als 1939/40 das Evangelische Kirchengebiet einmal Hermann Göring Ruhnau / Runowo einen Be- Danzig-­Westpreußen mit einem evangelischen Kon- such abgestattet haben soll. Der Reichsjägermeister

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 33 herte, gelang es den Luftwaffensoldaten nicht, die im Schloss lagernden Bestände vollständig in Sicher- heit zu bringen. Lediglich zwei oder drei mit Uni- formen etc. beladene Lastkraftwagen konnten zum Weitertransport der Lagerbestände mit der Reichs- bahn zum Bahnhof Vandsburg gefahren werden. Der große Rest verblieb im Schloss, durfte aber dem Feind nicht in die Hände fallen. Daher wurde alles mit Ben- zin übergossen und angesteckt. Die kaum mit Waf- fen ausgerüsteten Soldaten setzten sich nach Westen ab. Seitdem ist das Schloss eine ausgebrannte Ruine. Was nicht verbrannte, fiel der zurückbleibenden pol- nischen Be­völkerung in die Hände. Noch immer exis- tiert in Vandsburg ein deutscher Pilotenhandschuh aus dem Schloss.

Der Kleine Runowoer See im Schlosspark der Herrschaft Die jüngere Geschichte Seit längerer Zeit ist die ehemals selbstständige Land- gemeinde Runowo eine Teilgemeinde der Stadt Vands- burg im Kreis Zempelburg. Das Schloß Runowo steht als Ruine abseits vom Wege in den restlichen Parkanlagen, die Privatbesitz sind. In Warschau ist das Schloss offensichtlich den- noch nicht vergessen. Am 12. November 2014 be- suchte der damalige polnische Staatspräsident Bro- nislaw Komorowski die Ruine. Er ließ sich durch den winterlichen Park und den schönen Wald kutschieren. Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem Restgut Runowo eine sogenannte polnische LPG (Landwirtschaftliche Produktions- genossenschaft). Das Verwalterhaus hatte den Krieg unbeschadet überstanden. In ihm wurden die Ver- waltung der LPG untergebracht und eine Arbeiter- wohnung eingerichtet. Das polnische Gesundheits- ministerium richtete im kleinen Schloss ein Heim für Kinder zur Vorbeugung von Atemwegserkrankungen ein. Man hatte festgestellt, dass das Klima in Runowo besonders gesund ist. Die LPG bestand bis zur politi- schen Wende in Polen 1989/90. Anschließend wurde sie von dem Agrarbetrieb Runowo Rola übernommen. 1998 kaufte ein Privatmann das Restgut einschließlich FOTOS: HANS-JÜRGEN SCHUCH HANS-JÜRGEN FOTOS: der Schlossruine mit dem Park. Einige Jahre später Die Schlossruine entstand unweit der Ruine, in einer Entfernung von Runowo mit der Ecke wollte wohl zur Jagd ? Oder sollte er sich doch für die gut 100 Metern, auf dem Grundstück der Pferdeställe zum Ostflügel Fliegerstiefel und die legendären Armbanduhren sei- das privat geführte Viersternehotel »Palace Runowo« ner Piloten interessiert haben ? mit Schwimmbad im Haus. Aus den Kriegsjahren ist ansonsten wenig über- Ein Enkel des letzten deutschen Eigentümers, des liefert. Bekannt ist, dass in dem kleinen Schloss in Joachim von Bethmann-Hollweg, lebt in England. Er Runowomühle ein Waisenhaus betrieben wurde. Das besuchte 2013 Runowo. Polen überreichten dem Be- Forst­amt Runowo war im Dorf untergebracht wor- sucher einige erhalten gebliebenen Familienandenken. den – oder doch im Schloss ? Auch die Ereignisse Auch konnte er feststellen, dass sich im Staatsarchiv in aus den letzten Kriegstagen sind weder dokumentiert, Bromberg noch »eine Menge« Archivalien befinden, noch sind entsprechende Aufzeichnungen bekannt. die an die Familie Bethmann-Hollweg und an die Als sich 1945 die Rote Armee Ruhnau / Runowo nä- Herrschaft Runowo erinnern. ❧

34 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) GESCHICHTE UND KULTUR

Ein „Kosmopole“ hörens-, sehens- und wissenswert

Artur Becker zum 50. Geburtstag STIFTUNG GERHART-HAUPTMANN-HAUS – DÜSSELDORF Artur Becker bei den Do, 3. Mai, 19.00 Uhr Vortrag Prof. Dr. Winfrid Halder : Ein Held unserer Zeit ? Zum Römerberggesprä- 100. Todestag Manfred von Richthofens (1892–1918) chen im April 2017 or zwei Jahren erschien ein umfangreicher Band mit Mo, 28. Mai, 19.00 Uhr Lesung und Buchvorstellung mit Dr. Christian Pantle : „Wir einer Vielzahl von Essays, sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret !“ Der Dreißigjährige Krieg : Als aber auch Zeitungsartikeln Deutschland in Flammen stand wie Rezensionen oder politischen Kommentaren, die der V Di, 12. Juni, 19.00 Uhr Lesung und Diskussion mit Dr. Gerd Koenen : Die Farbe Rot : Schriftsteller Artur Becker in den Jahren 2004 bis 2015 ver- Ursprünge und Geschichte des Kommunismus (GHH, Bismarckstr. 90, 40210 Düsseldorf) fasst hatte. Mit dieser Sammlung sieht sich der Autor, der am 7. Mai 1968 in Bartenstein (Bartoszyce) geboren wurde THEATER LÜBECK und seit 1985 in Verden (Aller) lebt, „Auf der Suche nach Do, 10. Mai, 19.30 Uhr sowie So, 10. Juni, 18.00 Uhr Die Blechtrommel von Günter einem europäischen Zuhause“, und er gab ihr den Haupttitel Grass nach der Bühnenfassung von Peter Schanz (Theater Lübeck Großes Haus, Kosmopolen. Dieses kluge Schachtelwort eröffnet ein wei- Beckergrube 16, 23552 Lübeck) tes Spektrum von spannungsvollen Bedeutungsaspekten – SCHLOSS ETTERSBURG – Pfingst.Festival vom „Kosmos“ und einem „Kosmopoliten“ bis zur „Polari- Mi, 16. Mai, 18.00 Uhr Thea Dorn & Jens Bisky : Wozu Patriotismus ?, in der Reihe der tät“ oder „Polen“, von der Vorstellung einer Mehrzahl von „Ettersburger Gespräche“ Menschen, den „Kosmopolen“, bis zur Bestimmung des – vielleicht utopischen – Landes „Kosmopolen“. Sa, 19. Mai, 20.00 Uhr „Dream“ – Clubkonzert von Kinga Glyk, gemeinsam mit Irek Wer Artur Becker bei dieser Suche begleitet, wird auf Glyk (drums) und Rafal Stepien (piano), im Gewehrsaal (Schloss Ettersburg, Am dem Wege – ungeachtet der unterschiedlichen Text-Zu- Schloss 1, 99439 Ettersburg) schnitte, -Formate und Stil-Lagen – mannigfache wertvolle KLAVIER-FESTIVAL RUHR Erfahrungen machen. Er lernt einen Autor kennen, der sich Do, 17. Mai, 20.00 Uhr «Héroïque» – Lucas Debargue spielt Werke von Frédéric zwischen zwei Kulturen bewegt : Die Beiträge werden von Chopin sowie die Sonate Nr. 2 in A-Dur op. 21 von Karol Szymanowski (Museum Berichten über Lesereisen umrahmt, die eine führt „Im Zug Kunstpalast – Robert-Schumann-Saal, Ehrenhof 4–5, 40479 Düsseldorf) durch Deutschland“, die andere „durch Polen“. Gerade aus dieser Wechselbeziehung, bei der ein Land nicht gegenüber HAUS DER GESCHICHTE – BONN dem anderen zurücktritt, zieht Artur Becker wesentliche Mi, 23. Mai, 19.30 Uhr Hans-Peter Schwarz (1934–2017) : »Von Adenauer zu Mer- Energien seines Reflektierens und Schreibens. Auch wenn kel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen«. Vorstellung des Buches und er seine schriftstellerischen Arbeiten seit 1989 nur noch auf Podiumsgespräch mit dem Herausgeber Prof. Dr. Hanns Jürgen Küsters (Uni- Deutsch verfasst, geht es ihm nicht um eine „Assimilation“. versität Bonn), Prof. Dr. Andreas Rödder (Universität Mainz) und Prof. Dr. Hans Wal- Vielmehr bemüht er sich, seinen hiesigen Lesern tiefere Ein- ter Hütter (Haus der Geschichte). Moderation : Dr. Ursula Weidenfeld (Haus der blicke in die Eigenständigkeit und Spezifik der polnischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Willy-Brandt-Allee 14, 53113 Bonn) Kultur zu vermitteln, ohne die ein „europäisches Zuhause“ OHNSORG-THEATER kaum bewohnbar wäre. (Dass er Polen, einschließlich seiner So, 10. Juni, 19.00 Uhr (Premiere, weitere Aufführungen bis zum 5. Juli) unverbrüchlichen Katholizität, dabei ernst nimmt, heißt für „Ankamen / An(ge)kommen“. Ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen und Vertriebenen ihn freilich zugleich, dass er seiner ursprünglichen Heimat von Michael Uhl, auf Hoch- und Plattdeutsch, im Studio (OhnsorgTheater, Hei- auch mit wachem kritischem Geist begegnet.) di-Kabel-Platz 1, 20099 Hamburg) „Kosmopolen“ lässt den renommierten Erzähler, Roman- autor und – nicht zu vergessen – Lyriker in noch hellerem MARTIN-OPITZ-BIBLIOTHEK – HERNE Licht erscheinen, gibt Einblicke in die autobiographische Do, 14. Juni, 18.00 Uhr Vortrag Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll (TU Chemnitz) : Das Rahmung seines Schaffens, zeigt ihn in seinem viel- Ende des monarchischen Zeitalters in Deutschland und Europa 1917/18 (MOB, Berliner schichtigen philosophischen, politischen oder auch theo- Platz 5, 44623 Herne) logischen Denken und verdeutlicht, dass dieser Autor für ZENTRUM FÜR HISTORISCHE FORSCHUNG BERLIN alle von großem Interesse ist, die sich tiefergehend für die Do, 21. und Fr, 22. Juni Konferenz: Der unvollendete Krieg? Erfahrungen des Esten Welt- schwierigen historischen und kulturellen Beziehungen zwi- kriegs und die Konstruktion der polnischen Identität (Zentrum f. Hist. Forschung Ber- schen den Nachbarn Polen und Deutschland interessieren. – lin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Majakowskiring 47, 13156 Berlin) Die DW-Redaktion wird Artur Becker deshalb im Blick be- halten und ihn auch noch genauer in den Blick nehmen. Im ST. NIKOLAIKIRCHE – POTSDAM Moment will sie sich aber darauf beschränken, diesem Autor So, 24. Juni, 19.00 Uhr Konzert Prof. Marek Stefanski (Krakau): Polnische Orgelmusik,

FOTO: DONTWORRY WIKIMEDIA VIA 4.0 CC FOTO: herzlich zu seinem Geburtstag zu gratulieren. DW im Rahmen des „Orgelzyklus“. (St. Nikolaikirche, Am Alten Markt, 14467 Potsdam)

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 35 Vertriebene als Akteure auf Augenhöhe

FÜNF FRAGEN AN AXEL MÜLLER MDB

Seit vergangenem Jahr gehört Axel Müller­ (­Weingarten / Baden-Württemberg) für die CDU dem Deutschen Bun- destag an. Unlängst ernannte ihn seine Fraktion zum Berichterstatter für Spätaussiedler, nationale Minderhei- ten, Vertriebenenangelegenheiten, Hilfen für deutsche Minderheiten im Ausland, verständigungs­politische Maßnahmen und Kriegsfolgenrecht. Im Interview spricht er über vertriebenenpolitische Gesichtspunkte

seines politischen Engagements und des neuen Koali- MÜLLER AXEL MDB BÜRO FOTO: tionsvertrages. Axel Müller MdB (rechts) im Gespräch Tilman A. Fischer

Im Bundestagswahlkampf 2017 war „Hei- Seine Familie war zwischenzeitlich nach sie leben, angepasst, und im Alltag geht mat“ ein zentrales Schlagwort Ihrer Kam- Kasachstan verschleppt worden. Er kehr- schnell der Blick für das Vergangene pagne. Was bedeutet „Heimat“ für Sie te nach Deutschland zurück und lebte verloren. Daher ist es wichtig, die Brü- persönlich ? hier bis zum Fall des Eisernen Vorhanges. cke von der Geschichte zur Gegenwart Heimat ist für mich nicht unbedingt Nach fast 40 Jahren sah er zum ersten zu schlagen. Damit die Tradition, ins- der Geburtsort, aber der Ort, an dem Mal seine Geschwister und Verwandten besondere aber auch die deutsche Spra- ich mich kulturell, sprachlich und ge- wieder. Als sein Bruder sagte, dass er sich che, in den ehemaligen Ostgebieten sellschaftlich sowie landschaftlich zu- nach seiner Ausreise aus der Sowjetunion weiterlebt und das Geschehene nicht in hause fühle. Es ist der Ort, an dem sich „daheim“ fühle, wurde mir bewusst, was Vergessenheit gerät. das Gefühl einstellt, hier gehöre ich her, diese Menschen erlebt haben, welche Ein in die Zukunft weisender Bei- hier will ich bleiben. Schicksale dahinter stehen, und mir war trag dazu ist es sicherlich auch, wenn klar, dass es sich lohnt, sich für sie und die Organisationen der Vertriebenen Seit Ihrem Einzug in den Bundestag sind ihre Interessen einzusetzen. Daher habe und der Volksgruppen in den Heimat- Sie Mitglied der Gruppe der Vertriebenen, ich mich für diese Berichterstattung be- gebieten zukünftig noch stärker als Ak- Aussiedler und deutschen Minderheiten worben. teure auf Augenhöhe wahrgenommen der Unionsfraktion und nun auch deren werden. Dass der Schwerpunkt ihrer Berichterstatter für dieses Arbeitsfeld. Was Wo sehen Sie – nach Ihren ersten Er- Wahrnehmung bisher eher der einer war Ihre Motivation, sich als gebürtiger fahrungen mit der Thematik auf bundes- Zielgruppe staatlich finanzierter Ver- Schwabe ohne familiären Vertriebenen- politischer Ebene und persönlichen Be- ständigungspolitik und Kulturpolitik war, hintergrund für diejenigen einzusetzen, die gegnungen etwa mit Bernard Gaida – die ist aus der Geschichte zu begründen, aber infolge des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat größten Herausforderungen in der Ver- nicht zukunftsfest. verloren haben bzw. nach Deutschland triebenen- und Volksgruppenpolitik ? aussiedelten ? Bekanntlich sollte man ja nicht in der Welches Potenzial bietet der Koalitions- Das hängt mit einem Schlüsselerleb- Vergangenheit schwelgen, sondern im vertrag der Großen Koalition für die Be- nis in meiner Jugend zusammen. Ein Hier und Jetzt leben und der Zukunft zu- wältigung dieser Herausforderungen ? Freund meines Vaters war Wolga-Deut- gewandt sein. Das bedeutet aber nicht, Die besondere Förderung der Kul- scher, der zu Beginn des zweiten Welt- dass man die eigene Herkunft und die tur der noch in den ehemaligen Ost- kriegs zur Wehrmacht eingezogen wurde Tradition deswegen vergisst. Dazu ge- gebieten lebenden Deutschen und ihrer und am Ende des Krieges in russische hören insbesondere auch die Kultur und Nachkommen bringt der Koalitions- Gefangenschaft kam. Er konnte bei sei- das Erinnern an die Geschichte. Die un- vertrag deutlich zum Ausdruck. Auch ner Entlassung aus der Gefangenschaft mittelbaren Zeitzeugen werden weni- soll bei uns dem durch entsprechende nicht sagen, wer er war und woher er ger. Die Nachkommen haben sich häufig Einrichtungen ausreichend Rechnung ge- kam, sonst wäre er hingerichtet worden. den Gegebenheiten der Länder, in denen tragen werden.

36 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) POLITIK UND GESELLSCHAFT

Eine praktische Frage für die hier le- vom Koalitionsvertrag nicht unbedingt Bei der CDU/CSU-Fraktion besteht benden Spätaussiedler sind die An- so gedeckt ist, würde es doch soziale Ge- nach meiner Einschätzung große Bereit- passungen ihrer Renten. Der schon ein- rechtigkeit schaffen und einen Ausgleich schaft, derartige Dinge umzusetzen. Bei mal von Bayern gemachte Vorstoß sollte für die besondere Lebensleistung der unserem Koalitionspartner müssen wir weiterverfolgt werden : Er zielte dar- Aussiedler und Übersiedler geben. Dafür dafür intensiv werben. Ich denke aber, auf ab, die für Spätaussiedler geltenden will ich mich einsetzen. dass wir über die von der SPD stark in rentenrechtlichen Vorgaben neu zu be- den Mittelpunkt gerückte Debatte um so- werten, um ihr spezifisches Altersarmuts- Wie schätzen Sie die Einsatzbereitschaft ziale Gerechtigkeit auch für diese Form risiko abzumildern. Hierfür könnte in Ihrer eigenen Fraktion, aber vor allem des sozialen Ausgleichs auf Verständnis Erwägung gezogen werden, Renten- auch Ihres Koalitionspartners ein, die an- stoßen. zahlungen aus dem Herkunftsland für die gestrebten Ziele umzusetzen – bzw. die Erschwernisse bei der Geltendmachung Bereitschaft der Oppositionsfraktionen, Die Fragen stellte Tilman Asmus Fischer. im Ausland nur zum Teil auf die deut- sich in die Bearbeitung dieser Fragen sche Rente anzurechnen. Wenngleich das gleichfalls konstruktiv einzubringen ?

Was bringt die Große Koalition ge Bestandteile der kulturellen Identität Deutschlands. Wir wollen die im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes tätigen Einrichtungen für die Vertriebenenpolitik ? gemeinsam mit den Heimatvertriebenen, Aussiedlern und deutschen Zentrale Aussagen des Koalitionsvertrages Minderheiten als Träger dieses Erbes sowie im Sinne der europäischen Ver- ständigung für die Zukunft ertüchtigen und die Kulturstiftung der deut- ÆÆ Abschnitt : VII. Soziale Sicherheit gerecht schen Vertriebenen stärken. Wir wollen außerdem dafür Sorge tragen, dass und verlässlich gestalten | 1. Rente die Konzeption der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in der aktuel- „Für Härtefälle in der Grundsicherung im Rentenüberleitungsprozess wol- len Legislaturperiode erfolgreich umgesetzt und weiterhin europäisch aus- len wir einen Ausgleich durch eine Fondslösung schaffen. Entsprechendes gerichtet wird. Die Koalitionsparteien sehen die historische Aufarbeitung wollen wir auch für die Gruppe der Spätaussiedler und der jüdischen von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung als gesamtgesellschaft- Kontingentflüchtlinge prüfen.“ liches Anliegen.“ ÆÆ Abschnitt : X. Ein handlungsfähiger und starker

Staat für eine freie Gesellschaft | 4. Prävention Neue Köpfe im Bundes­­ministerium des Innern „Wir bekennen uns weiterhin zur besonderen Verpflichtung gegenüber ÆÆ Bundesminister : den Deutschen in Mittelosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjet- Horst Seehofer (CSU) union, die als Aussiedler und Spätaussiedler zu uns kamen oder als deut- Mit Horst Seehofer wird ein langjähriger Minister- sche Minderheiten in den Herkunftsgebieten leben. Wir wollen die natio- präsident Bundesinnenminister, der als bayerischer nalen Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten in Landesvater zugleich Schirmherr der Sudeten- Dänemark, in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der deutschen war. In dieser Funktion zeigte er bereits Sowjetunion weiter fördern. Wir wollen die Maßnahmen zum Erhalt des große Sensibilität für die Bedürfnisse der Vertriebenen und unterstützte kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen, der Aussiedler und der deut- den zukunftsorientierten Kurs der Landsmannschaft. schen Minderheiten unter ihrer Einbeziehung – gegebenenfalls auch ÆÆ Parlamentarischer Staatssekretär : strukturell – weiterentwickeln.“ Stephan Mayer MdB (CSU) ÆÆ Abschnitt : XII. Deutschlands Verantwortung für ­Frieden, Dem neuen Bundesinnenminister steht mit Stephan Freiheit und Sicherheit in der Welt | 5. Außenwirt- Mayer ein Parlamentarischer Staatssekretär zur Seite, schaftspolitik sowie Auswärtige Kultur- und Bildungs- der sich in den zurückliegenden Jahren nicht nur als politik | Deutsche Volksgruppen und Minderheiten Innenpolitiker, sondern zudem auch als BdV-Vize- „Die deutschen Volksgruppen und Minderheiten sind Teil unserer kul- präsident profiliert hat. turellen und historischen Identität, bereichern die kulturelle Vielfalt in ÆÆ Aussiedlerbeauftragter : ihren Ländern und stellen ein wichtiges Band der Verbindung zwischen Dr. Bernd Fabritius (CSU) Deutschland und seinen Partnerländern dar. Wir wollen sie weiter fördern Dr. Fabritius bezeichnete es als eine große Ehre, dass und unterstützen.“ ihm die CSU das Vertrauen ausgesprochen habe, ÆÆ Abschnitt : XIII. Zusammenhalt und Erneuerung – das Amt des Beauftragten der Bundesregierung Demokratie beleben | 2. Kunst, Kultur und Medien | für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Kulturelles Erbe, Kolonialismus, Flucht und Vertreibung zu bekleiden : „Diese wichtige Aufgabe ist für mich „Das kulturelle Erbe der Deutschen in Mittel- und Osteuropa und das eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle.“

FOTOS: GERD SEIDEL VIA WIKIMEDIA CC 3.0, TOBIAS KOCH VIA WIKIMEDIA CC 3.0, FREUD VIA WIKIMEDIA CC 3.0 CC WIKIMEDIA VIA FREUD 3.0, CC WIKIMEDIA VIA KOCH TOBIAS 3.0, CC WIKIMEDIA VIA SEIDEL GERD FOTOS: Kulturgut der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler sind wichti- DW

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 37 POLITIK UND GESELLSCHAFT

achrichten + + + Erika Steinbach wird 75 N DW – Die Ehrenpräsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika + + + Niedersachsen stärkt Arbeit Steinbach, begeht am 25. Juli ihren 75. Geburtstag. Steinbach für Vertriebene und Spätaussiedler war 1943 in Rahmel (bis 1920 Landkreis Neustadt i. Westpr.) BdV/DW – Am 6. März 2018 hat die nieder- geboren worden. Von 1990 bis 2017 gehörte Steinbach – bis sächsische Landesregierung die Landtags- Januar 2017 für die CDU, danach parteilos – dem Deutschen abgeordnete Editha Westmann zur Landes- Bundestag an. Dort war sie über mehrere Jahre Sprecherin für beauftragten für Heimatvertriebene und Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundes-

Spätaussiedler berufen und damit ein tagsfraktion und Mitglied des Fraktionsvorstandes. 1998 wurde sie zur Präsidentin des 3.0 CC WILIMEDIA VIA BUNDESTAG DEUTSCHER FOTO: Vorhaben aus der Koalitionsvereinbarung Bundes der Vertriebenen gewählt. In ihrer Amtszeit bis 2014 war sie die treibende Kraft zwischen SPD und CDU umgesetzt. Unter auf dem Weg zur Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. 2000 gründete sie der vorherigen, von Rot-Grün geführten gemeinsam mit dem sudetendeutschen SPD-Politiker Peter Glotz die Stiftung „Zent- Landesregierung hatte die Landesbeauf- rum gegen Vertreibungen“, der sie bis 2018 vorstand. Nachdem sie im Februar den tragte für Migration und Teilhabe, Doris Vorsitz der Stiftung abgegeben hatte, folgte ihr der frühere hessische Kultus- und Schröder-Köpf, diesen Bereich mitbetreut. Justizminister Dr. Christean Wagner im Amt. Editha Westmann ist seit 2003 Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag, war + + + SPD-Delegation fordert Schulen für die deutsche Volksgruppe Beauftragte der CDU-Landtagsfraktion für CN/DW – „Wir wollen Spätaussiedler und ist seit 2015 Vorsitzende die deutsche Minder- des BdV-­Landesverbandes in Niedersachsen. heit unterstützen und Austausche auf allen + + + BdV-Präsidium tagte im Hessischen Landtag Ebenen fördern“, so Christa Naaß (Foto: BdV/DW – Am 22. März 2018 tagte das Mitte), Mitglied im Präsidium des Bundes der Vertriebenen im Vertriebenenbeirat der Hessischen Landtag. Die Einladung hierzu bayerischen SPD-Land- hatte Landtagspräsident Norbert Kartmann tagsfraktion, nach einer (CDU) ausgesprochen. Ein Gespräch mit viertägigen Delega- Kartmann bildete den Auftakt der Sitzung. tionsreise nach Danzig Im Anschluss fand ein intensiver und offener

und Warschau im März. WWW.CHRISTA-NAASS.DE QUELLE: Meinungsaustausch mit dem Vorsitzenden Gerade angesichts der Erosion demokratischer Institutionen in Polen sei eine Intensi- der SPD-Fraktion, Thorsten Schäfer-Gümbel, vierung der bayerisch-polnischen Beziehungen vonnöten. In der Republik Polen hatten ein Arbeitsgespräch mit dem Hessischen sich die Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion – Reinhold Strobl, Volkmar Halbleib und Minister für Soziales und Integration, Stefan Georg Rosenthal (1., 2. u. 6. v. l.) – mit Vertretern aus Politik, Gesellschaft und der Grüttner MdL, sowie der Landesbeauftrag- deutschen Minderheit getroffen. Nach dem Austausch mit Rafal Bartek (3. v. l.), Vorsit- ten für Heimatvertriebene und Spätaussied- zender der sozial-kulturellen Gesellschaften im Oppelner Schlesien, und Bernard Gaida ler, Margarete Ziegler-­Raschdorf, statt. (3. v. r.), Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in + + + Posselt fordert Europäisches Polen, erklärte die SPD-Delegation : „Angehörige der deutschen Minderheit sind Volksgruppen- und Minderheitenrecht natürliche Brückenbauer für die deutsch-polnische Freundschaft. Es ist daher gut und PEU/DW – Vor einer „erneuten Vergötzung sinnvoll, die gewünschten Schulen zu unterstützen und den Deutschunterricht zu des Nationalstaates“ hat der Präsident der fördern.“ Der Delegation gehörte auch Albrecht Schläger (r.), Vizepräsident des Bundes überparteilichen Paneuropa-Union der Vertriebenen, an. Deutschland, Bernd Posselt (CSU), beim 49. Christlichen Europatag im März in + + + Polen-Analysen Kloster Andechs gewarnt. Sowohl die Die aktuellen Polen-Analysen (Nr. 215) befas- Schaffung eines Europäischen sen sich mit dem offiziellen polnischen ­Volksgruppen- und Minderheitenrechts als Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges auch die Entwicklung einer echten vor 100 Jahren. Der Historiker Peter Oliver föderalistischen Struktur für die EU seien Loew konstatiert : „Die Jubiläumsfeiern des dringend geboten. Er rief dazu auf, die Jahres 2018 werden von einem Komitee unter DPI ABB.: europäische Bürgerinitiative „Minority der Schirmherrschaft von Präsident Andrzej Duda als überparteiliche Abfolge Safepack“ für einen verbesserten europäi- zahlloser Veranstaltungen geplant, könnten aber Gefahr laufen, politisch instrumen- schen Minderheitenschutz zu unterzeich- talisiert zu werden, zumal im Herbst auch die Kommunalwahlen stattfinden wer- nen. den.“ – Die Polen-Analysen sind zu finden unter : www.laender-analysen.de/polen.

38 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) Impressum Autorinnen und Autoren

Herausgeber und Verlag : Professor Dr. Dr. h. c. mult. Udo Arnold : Prof. (i. R.) für Mittelalterliche und Neuere Landsmannschaft Westpreußen e. V. Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Universität Bonn ; Ehrenvorsitzender Der Bundesvorsitzende Ulrich Bonk (v. i. S. d. P. ) Mühlendamm 1, 48167 Münster-Wolbeck der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 1985–2016 Telefon 0 25 06 / 30 57-50, Fax 0 25 06 / 30 57-61 Präsident der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deut- Postbank Hamburg : schen Ordens ; Autor einer Vielzahl von Veröffentlichungen zur Geschichte des Deut- IBAN : DE13 2001 0020 0150 9572 04 schen Ordens vom Ende des 12. Jahrhunderts bis heute und Herausgeber umfangreicher BIC : PBNKDEFF oder Sparkasse Münsterland Ost, Münster : Quellen- und Forschungsreihen. IBAN : DE59 4005 0150 0034 0248 51 BIC : WELADED1MST Dr. Ulrike Enke studierte Germanistik und Biologie in Bonn und promovierte in Redaktionssekretariat, Abonnement-Verwaltung Gießen über die Rezensionstätigkeit des Anatomen Samuel Thomas Soemmerring ; und Anzeigenannahme : Esther Lüchtefeld ([email protected]) gegenwärtig leitet sie das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Emil von Beh- Redaktionsleitung : Prof. Dr. Erik Fischer ring (1854–1917). Person, Wissenschaftler, Unternehmer (Behring-Biographie)“ an der ([email protected]) Universität Marburg. Zahlreiche Publikationen zur Medizingeschichte Hessens, zu Ressort Panorama : Dr. Joanna Szkolnicka Samuel Thomas Soemmerring sowie zu Emil von Behring als Wissenschaftler und ([email protected]) Ressorts Vorspann sowie Politik und ­Gesellschaft : Unternehmer. Tilman Asmus Fischer ([email protected]) Rafael (Rafał) Grosch studierte Geschichte und Pädagogik an der Nikolaus- Korrespondentinnen und Korrespondenten : Kopernikus-Universität (UMK) in Thorn, arbeitet als freier Dolmetscher und Über- Peter Neumann (Troisdorf) für Danzig, Piotr Olecki (Toruń) für Thorn und Kujawien-­Pommern, Bodo setzer und engagiert sich seit vielen Jahren in der Familienforschung (u. a. Mitarbeit Rückert (Köln) für Marienburg, Lech Słodownik an diversen lokalen Projekten in Deutschland und Polen) sowie in der Erforschung der (Elbląg) für Elbing Regionalgeschichte, vornehmlich des Kreises Strasburg. Verlags- und Redaktionsadresse : Der Westpreuße Mühlendamm 1, 48167 Münster-Wolbeck Hans-Jürgen Schuch † – langjähriger Bundesgeschäftsführer der Landsmannschaft Telefon 0 25 06 / 30 57-50, Fax 0 25 06 / 30 57-61 Westpreußen, bis 2017 Vorsitzender der Truso-Vereinigung, 1975 Begründer und (bis [email protected] www.der-westpreusse.de 1998) Direktor des Westpreußischen Landesmuseums sowie Mitbegründer der Coper- nicus-Vereinigung ; zudem Ehrenmitglied im Bundesvorstand der Landsmannschaft Der Westpreuße / Begegnungen mit einer europäi- schen Kulturregion erscheint alle zwei Monate. Der Westpreußen, Mitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung Westpreußen und bis vor Bezugspreis beträgt halbjährlich oder jährlich wenigen Monaten Stiftungsratsvorsitzender des Nordostdeutschen Kulturwerks. € 18,– bzw. € 36,– sowie im Ausland jährlich €42,–. Für Privatpersonen in Polen gilt bei Direktbezug ein Vorzugspreis von jährlich 60 Złoty. Zusätzlich erscheint – jeweils um einen Monat versetzt – Der Westpreuße / Landsmannschaftliche Deutsches Polen-Institut Nachrichten und ergänzt diese Zeitschrift zu einer JahrbuchFolge von 12 Polen Monatsheften 2018 pro Jahr. Der Jahrbuch Polen 2018 Jahrbuch Polen 2018 JAHR- MythenBezugspreis eines entsprechenden Gesamtabon- In den letzten 25 Jahren ist es nicht gelungen, in Polen starke Symbole zu erschaffen, Mythen die nementsdie neue Mittelschicht beträgt gebunden hätten: halbjährlich junge Städter, Angestellte oder großer jährlich Kon - zerne, die Bewohner bewachter Wohnanlagen in den Vororten. Es ist nicht gelungen, aus€ ihrem 39,– Besitz bzw. ein gemeinsames € 78,–, Gefühl desim Stolzes Ausland zu erzeugen. Trotzjährlich des Wachs -€ 90,–. Für BUCH tums und der großen Veränderungen hat die Gegenwart keinen Mythos hervorge - bracht, der die Herzen erobert hätte. (…) SmolenskPrivatpersonen ist das neue Golgota, auf dem in ein Polen Teil der Gesellschaft gilt beifür immer Direktbezug verbleiben hier will. Smolensk ist eines der symbolischen Fundamente auf dem Andrzej Duda, von Lech Kaczyńskiebenfalls gesalbt, seinen ein Wahlsieg Vorzugspreis, errichtet hat. Smolensk wird und nicht verschwinden. zwar von jährlich Es wird zur polnischen Katharsis, zur Pforte und dem Symbol des Durchgangs. (…) Da ist auch der Warschauer Aufstand, der Smolensk wunderbar ergänzt. Es ist der al - POLEN les120,– umfassende ZłotyMythos, vor. dem man nicht mehr fliehen kann. Je geringer die Zahl der Zeitzeugen, umso größer die Gedenkmärsche. Sie verkünden, wie breit und lang das Land doch sei. An den Mauern blühen die Zeichen des „kämpfenden Polens“, auf den T- ShirtsDie die Symbole. MwSt. Dieses ist Jahr besondersmit 7 beliebt: % enthalten. das Aufstandslogo mit Bestellungen Blutflecken. beim Die Zelebrierung des Aufstands zieht immer weitere Kreise, sie hat einen besonders prägendenVerlag. Charakter. Der Bezug kann nur mit einer Frist von Michał Olszewski 2018 Dermindestens Mythos vom „Sieg über den drei Kommunismus, Monaten der den Polen zur geraubt Mitte wurde“ und oder den zum Ende eine starke Regierung den Polen zurückgeben sollte, indem sie den „Kampf gegen der Kommune“ zu Ende führt, der Mythos von der „Dekommunisierung“ und der Lustrati - MYTHEN on alsdes wichtigster Kalenderjahres Waffe in diesem Kampf, bei gekündigt einem völlig willkürlichen werden. und politisch Bei instrumentalisiertem Umgang mit wirklichen Biographien und der tatsächlichen Ge - schichte,Nicht der Mythos­belieferung von Polen als mächtiges bestehen Land, der sich im im Streben Fall nach absoluterhöherer Gewalt Herausgegeben vom Souveränität, vor allem gegenüber Brüssel, ausdrückt, schließlich die Märtyrermy - then, aus denen sich die Einzigartigkeit der polnischen Tradition ergeben soll, – all dies Deutschen Polen-Institut hatkeine sich als außerordentlich Ansprüche wirksam für gegen die politische denMobilisierung Verlag. erwiesen, Mitfür die Namen oder Machtergreifung durch die Partei, die mit diesen Mythen operiert. CezaryKürzeln Michalski gezeichnete Artikel geben nicht in jedem Darmstadt, Wiesbaden 2018, AufFalle die Frage, dieob es nun Meinung gut oder schlecht sei,des dass Verlagesdie Solidarność oder zum Mythos der ge - Redaktion 224 S., zahlreiche Abb. worden ist und ob sie nicht etwas Größeres hätte sein können, antworte ich, dass die Solidarność zu einem Mythos werden musste, doch wir haben ihr nicht gestattet, zu Preis: € 15,– (Abo € 13,50) so einemwieder. großartigen Nachdruck Mythos zu werden, wie nur sie es wohlmit verdient Genehmigung gehabt hätte. Indem des wir die Solidarność in eine Reihe mit vielen anderen Ideen stellten, haben wir uns den „NeigungenVerlages. des eigenen – Herzens” Zurzeit verwehrt, gilt wir haben die eine Anzeigenpreisliste Freiheit ohne Solidarität Nr. 2. gewählt, wir haben Institutionen, Recht und Prozesse geschaffen, aber wir haben dabei Geist, Sittlichkeit und Anstand vergessen, in denen sie hätten verankert und gestützt ISSN 1863-0278 sein sollen. Wir sind zu einem Land ohne Eigenschaften geworden. ElżbietaLayout, Ciżewska-Martyńska Bildbearbeitung und Druckvorlagen­ ISBN 978-3-447-10966-6 erstellung : Dirk Kohlhaas M. A. www.deutsches-polen-institut.de www.facebook.com/deutschespoleninstitut(www.mediengestaltung-­kohlhaas.de) Bestellung: [email protected] oder Herstellung und Verlagsauslieferung : Harrassowitz [email protected] C. Maurer GmbH & Co. KG, Schubartstraße 21, HarrassowitzVerlag Verlag 73312 Geislingen / Steige deutsches-polen-institut.de ISSN : 0043-4418, Auflage : 1.300 Exemplare

Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni) 39 ZUM GUTEN SCHLUSS

n Zeiten allgegenwärtiger Werbung ist ein einprägsa- mes Motto von größter Bedeutung. Das gilt längst Inicht nur für Produkte und Unternehmen, sondern auch für Orte, die Touristen auf sich aufmerksam machen möchten. Bis vor einiger Zeit warb die Weichsel-Stadt Mewe mit dem Spruch „Opanuj Gniew“ [Beherrsche Gniew] : Gniew ist der polnische Name von Mewe. Das Wort bedeutet überdies „Zorn“, ein Gefühl, das sich in solch einer entzückenden Stadt sicherlich leicht beherr- schen lässt. Inzwischen haben die Marketing-Bemühun- gen aber zu einem neuen Ergebnis geführt : Das Motto lautet jetzt : „Gniew – miasto z charakterem“ [Mewe – Stadt mit Charakter]. Dieser Slogan wurde zum Titel eines von der Woiwodschaft Pomorze und der EU finanzierten Projekts, das auf die Sanierung der Altstadt zielt. Dabei soll möglichst deren Atmosphäre um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wiederhergestellt werden. Ein Teil des Vorhabens betrifft das Pflaster der Straßen und Plätze, so dass es nahe gelegen hat, auch die Schacht­ deckel mit der entsprechenden Inschrift zu versehen. Joanna Skolnicka

Foto: Alexander Kleinschrodt

40 Der Westpreuße 3/2018 (Mai/Juni)