DER Freitag 20.$3.$2015(5. Jahrgang( 5.– www.tageswoche.ch Nr. Gerbergasse 30 4001 12 T 061 561 61 61

SP-Präsident Christian Levrat zelebriert seine Partei als letzte Bastion wider die SVP. Bei den Wahlen Seite will er nochmals Zeichen setzen. 28 TAKTGEBER

Stadtplanung Wer baut die Stadt? DER Bei der SCHEIDEGGER Mitwirkung hapert es RANZISKA F

: Seite in Basel. 6 FOTO

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INHALTStadtplanung!FOTO: HANS-JÖRG WALTER

Seit zehn Jahren haben Anwohner in Basel das verfassungsmässige Recht auf Seite Mitwirkung bei grossen Bauprojekten – doch noch hapert es mit der Mitsprache. 6

Fessenheim!FOTO: STEFAN BOHRER Kunstmuseum!FOTO: JULIAN SALINAS

Ohne AKW wird Fessenheim zum Seite Kunst für die Königin: Basel beglückt Seite Geisterdorf, fürchten die Bewohner. 20 Madrid mit Picassos und Prominenz. 42

Nachrichtendienst Marco Papiro S. 4 Bestattungen S. 22 Mehr Überwachung bedeutet Kulturflash S. 39 Sie, er, es S. 44 mehr Sicherheit, glaubt eine Impressum S. 44 Mehrheit im Nationalrat. Kultwerk S. 45 Eine falsche und gefhrliche Wochenendlich S. 46 Seite Gleichung. 26

TagesWoche 12/15 EDITORIAL PORTRÄT 4

Der Krampf mit der Mitwirkung Marco Papiro von Benedikt Sartorius m 23. März feiert der Paragraf 55 in der Musiker, Grafiker und moderesistent: Basler Verfassung einen runden Geburts- Ein Besuch bei Marco Papiro. Der tag. Seit zehn Jahren kann die Bevölkerung Weiterlesen, S. 6 Basler gestaltet das Cover für die neue Dani Winter A Platte des US-Musikers Panda Bear. ihre Anliegen einbringen, wenn der Kanton Pro- Redaktionsleiter jekte plant, die ihre Interessen und Bedürfnisse r hat einen Instrumentenkofer ins Haus der elektronischen besonders tangieren. Ein grosses Fest wird es «Die Pläne sind Künste mitgebracht. Er ist voller kaum geben. Den meisten Baslerinnen und Bas- längst gemacht», analoger Synthesizer, die Marco Thema, EPapiro auch schon als seine «Haustiere» be- lern dürfte nicht einmal bewusst sein, dass der tageswoche.ch/ zeichnet hat – und denen der Mann mit dem Mitwirkungsparagraf existiert. +5f741 verwuschelten Afro später am Abend grun- zende, singende, pfeifende und knurrende Dabei gibt es durchaus Beispiele, bei denen Geräusche entlockt. die Anliegen der Anwohner Einfluss gefunden ha- Geräusche, die er zu einer elektroni- schen Musik verdrahtet, die nirgendwo ben. Gut funktioniert das bei überschaubaren richtig hingehört. Nicht in die Clubs, denn Projekten. Wenn es etwa um die Erhöhung der dazu fehlen ihr die fetten Bässe, nicht in die strengen Kunstsalons, fr die sie viel zu Verkehrssicherheit geht wie beim neu gestalteten neugierig gestaltet ist, und auch nicht auf Erasmusplatz, um die Aufwertung der Feldberg- die grosse Prog-Rock-Konzertbühne, da ihr strasse im Kleinbasel oder um die bedürfnis- jegliche Protzigkeit abgeht. gerechte Ausgestaltung von Spielplätzen. Seine knurrende und Schwierig wird es dort, wo der Kanton gros- pfeifende Musik gehört ses Entwicklungspotenzial ortet wie im Hafenge- biet Klybeck/Kleinhüningen. Hier engagiert sich nirgendwo richtig hin. seit Jahren eine Begleitgruppe, damit das Mega- «Haustiere, das tönt so, als seien die Ins- trumente meine Schätze», sagt Papiro projekt nicht allein wirtschaftlichen Interessen einen Tag vor seinem Konzert in einem untergeordnet wird. Die letzte Sitzung der Be- Basler Café. Aber jeder Musiker habe nun Online mal einen Bezug zu seinen Geräten, die gleitgruppe fand vor einem Jahr statt. Das Verhält- bei ihm ein Eigenleben fhren dürfen: «Ich nis zur Verwaltung ist auf dem Gefrierpunkt. Auch entdecke während dem Spielen Sachen, die ich so nicht geplant habe.» bei der Arealentwicklung des Felix-Platter-Spitals Bewusst geplant hat der 39-Jährige auch haben die ersten «Mitwirker» bereits resigniert. «Rheinhattan: die Instrumentenwahl nicht – es sei eher so Die Lust und gewesen, dass die Moogs und Korgs und all Ein Teil der Probleme rührt aus der Komple- der Frust der die Geräte mit den wohlklingenden Mar- xität solcher Grossprojekte. Ein anderer aus dem Mitwirkung», kennamen ihn gefunden haben. Einst spiel- tageswoche.ch/ te der Sohn einer Sizilianerin und eines Missverständnis, dass das Angebot zum Mitreden +v38e7 Sizilianers Geige, war Teil von Jugend- kein Recht auf Mitbestimmung ist. Ein weiterer in orchestern, ehe er Mitte der 1990er-Jahre diese Geräte entdeckte – auf Flohmärkten, der Kommunikation unter den Beteiligten. wo die alten Synthies 50 Franken kosteten, Die Verwaltung sieht sich punkto Mitwir- oder in einem Schrank eines Freundes. «Total verstaubt» seien die Instrumente ge- kung «noch in einem Lernprozess». Dass sie die Weiterlesen, S. 13 wesen, die in der heutigen retroseligen Anliegen der Bevölkerung gerade bei der Aufwer- Popkultur gesuchte Stücke sind. Fast zeitgleich mit diesen Entdeckun- tung von Quartieren besser ernst nehmen sollte, gen ereilte ihn eine «Epiphanie», wie es zeigen verschiedene in jüngerer Vergangenheit Papiro ausdrückt, «der Moment, in dem der «Der Kanton Horizont breiter und alles möglich wird». realisierte Projekte. Ein Spaziergang durch das wünscht sich mehr Diese Erleuchtung war seine Entdeckung Voltaquartier oder die bald vollständig mit Hasen- aktive Bürger», der Psychedelik in der Musik. Das psyche- tageswoche.ch/ delische Element ist in allen musikalischen ställen verbaute Erlenmatt genügt. +yitqq Projekten von Papiro spürbar, sei dies in tageswoche.ch/+7ux0a × der Noise-Formation Mir, auf seinen Solo-

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Marco Papiro vor seinen «Haustieren», die der Musiker nicht gesucht hat, die ihn aber gefunden haben. FOTO: STEFAN BOHRER platten (aktuell die semi-religiöse «Teo- da Bear, dem hochgehandelten Solopro- piro derweil kritisch: Gestaltung diene zu patia») oder in der befreundeten Brüder- jekt des Animal-Collective-Musikers Noah oft als edle Fassade. «Im schlimmsten Fall band Roy and the Devil’s Motorcycle, die er Lennox. «Es ist sicherlich meine bisher ex- gibt sie dir vor, was du zu denken hast, bei- zuweilen verstärkt. Was all diese Projekte ponierteste Produktion, denn Panda Bear spielsweise wenn ein Plakat fr ein Punk- kennzeichnet, ist die Konstante im Leben hat ja einen gewissen Namen, zumal im Konzert auch so aussieht wie ein Punkkon- von Papiro: seine Moderesistenz. Ausland», sagt Papiro. zert-Plakat. Das wirkt so, als erzähle jemand «Ich versuche gar nicht erst, aktuell zu einen Witz und erklärt dann die Pointe», sein. Nostalgisch bin ich aber auch nicht. Von der Neugierde zur Aufregung sagt Papiro und fgt an: «Ich bin viel zu Wenn überhaupt, dann interessiert mich Anders als andere Papiro-Arbeiten ist eklektisch, um so etwas zu schätzen.» die Zukunft», sagt der gelernte Grafiker, das Cover fr «Panda Bear Meets Te Grim Eklektisch, das ist auch seine Platten- der nach der Matura «aus pragmatischen Reaper» überaus bunt geworden. Dass es sammlung. Er erzählt begeistert von Feld- Gründen» nicht das Konservatorium, son- dennoch sein Werk ist, ist an den versteck- aufnahmen aus Burundi, die er auf dem dern den Vorkurs an der Schule fr Gestal- ten Buchstaben abzulesen, die erst auf den Flohmarkt gefunden hat, oder von japani- tung besucht hat. zweiten oder dritten Blick erkennbar wer- scher Trommelmusik, die sein kleiner Sohn Wahrscheinlich ist es gerade das konse- den. Diese erschwerte Lesbarkeit gehe «ge- gerne hört. Was all das zusammenhält, ist quente Wirken abseits der überhitzten gen alle Regeln, aber wenn man mich fr seine Neugierde, seine Lust am Unforma- H ypes, das ihm kürzlich einen beneidens- etwas fragt, muss man damit rechnen, das tierten und Unkonkreten. «Wenn du neu- werten Auftrag beschert hat: Papiro gestal- die Lesbarkeit auf einer anderen Ebene gierig bist, ist ziemlich viel aufregend.» tete die Hülle fr das neue Album von Pan- stattfindet». Über die Grafik äussert sich Pa- tageswoche.ch/+irel0 ×

TagesWoche 12/15 6 Stadtentwicklung Plant der Kanton Neues, will der Anwohner mitreden – egal, ob es um Hochhäuser oder Fussgängerstreifen geht. Doch Frust ist programmiert. Denn mitreden heisst nicht mitbestimmen. DIE PLÄNE

SIND LÄNGST GEMACHT von Andreas Schwald

ird in Basel geplant, ist die den Möglichkeiten der Mitwirkung im Pla- Grund eigentümer sei mangelhaft. Ent- Bevölkerung dabei – zumin- nungsprozess. In einem engagierten Bei- scheidend fr Mitwirkung ist aus seiner dest der direkt betrofene trag im «Speaker’s Corner» der Tages- Sicht: Die richtigen Fragen zum richtigen Teil. So will es die Kantons- Woche beklagte Daniel Kurmann unter Zeitpunkt stellen. Und er fgt an: «Für uns Wverfassung, und so wird es seit zehn Jahren anderem fehlende Informationen seitens Laien ist es schwierig abzuschätzen, zu wel- auch praktiziert. Grundlage ist der Verfas- des Kantons, Resignation seitens der chem Zeitpunkt welche Fragen entschei- sungsparagraf 55: «Der Staat bezieht die Teilnehmer und das Brechen von Verein- dend sind.» Dabei wäre eine zeitnahe Infor- Quartierbevölkerung in seine Meinungs- barungen mit der Verwaltung. Kurmann mation mit allen nötigen Fakten fr eine und Willensbildung ein, sofern ihre Belan- empfand das Verhalten des Kantons «als Mitsprache auf Augenhöhe entscheidend. ge besonders betrofen sind.» erniedrigend» und zog die Konsequenzen: Und genau hier stösst der so einfach for- Ein Hauptsatz, ein Nebensatz, beide ak- Er trat aus der Begleitgruppe aus. mulierte Mitsprache-Ansatz des Paragrafen 55 tiv formuliert: So einfach kann Verfassung Einem aktuellen Aufruf folgend, mel- an seine Grenzen. Bis zu welchem Grad sol- sein. Und doch ist dieser eine Satz ein Stein dete sich auch ein Leser, der in der Begleit- len denn die Anwohnerinnen und Anwoh- des Anstosses fr viel Frust und Unlust in gruppe zur Arealentwicklung des Felix- ner miteinbezogen werden? Welche der Bevölkerung. Aktueller Fall: Die Be- Platter-Spitals Einsitz hat. Er hält das Informationen soll und darf die einbezoge- gleitgruppe zur Hafen- und Stadtentwick- Verfahren bislang für ernüchternd, die ne Bevölkerung überhaupt erhalten? Und: lung kritisiert die aus ihrer Sicht mangeln- Kommunikation via Fachstellen und Heisst mitreden nicht auch mitentscheiden?

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«Im St. Johann geht es vor allem darum, die Aufwertung so zu gestalten, dass alle Bevölkerungskreise davon profitieren können.» Peter Jossi, Präsident Stadtteilsekretariat Basel-West (St.!Johann, Iselin, Bachletten/Neubad)

FOTO: BASILE BORNAND

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«Speziell am Gundeli ist die Vielfältigkeit. Eine gute Vernetzung ist die grosse Herausforderung.» Cristoforo Graziano, Präsident Quartierkoordination Gundeldingen

FOTO: BASILE BORNAND

Nein, denn letztlich liegt die «Meinungs- aller Beteiligten» abgeschlossen werden Sie weist auch darauf hin, dass einige und Willensbildung» beim Staat und nicht können, schreibt der Kanton in seinem Dienststellen der Verwaltung deutlich nä- bei der Bevölkerung. Die Quartierbewoh- Leitfaden und verweist dabei auf die Umge- her bei der Bevölkerung sind als andere. So ner bezieht er nur mit ein. So steht es in der staltung des Erasmusplatzes. Andere aber habe die Stadtgärtnerei früh ein Sensorium Kantonsverfassung. harzen. Meist sind es Grossprojekte wie die fr die Bedürfnisse der Einwohner gezeigt. Harsche Worte also von Beteiligten aus landläufig «Rheinhattan» genannte Stadt- Der Tiefau dagegen sei noch eher auf die der Bevölkerung. Der Kanton sieht sich entwicklung am Hafen oder die Arealent- geplante Umsetzung der Projekte bedacht. aber seinerseits in einem Lernprozess (sie- wicklung des Felix-Platter-Spitals. So ergibt sich ein diferenzierteres Bild he Seite 13) : Die neue Verfassung ist erst seit im Bereich Mitwirkung und vor allem Mit- zehn Jahren in Kraft, die Verordnung zur Die Anwohner wollen sprache. Nicht überall herrscht Hafenpla- Mitwirkung gibt es in dieser Form erst seit nungsfrust. Bei Grossprojekten allerdings acht Jahren. Per September 2014 hat der ernst genommen werden. ist der Miteinbezug der Bevölkerung nach Kanton Basel-Stadt 39 dieser Verfahren wie vor eine schwierige Sache, wie die Be- nach Paragraf 55 durchgefhrt, oder er Sie brauchen die richte der Mitwirkenden aus der Bevölke- wickelt sie noch ab: vom Bläsiplätzli über rung zeigen. die Erlenmatt bis eben zur Hafen- und nötigen Informationen Denn letztlich erhält die Mitwirkung Stadtentwicklung am Klybeckquai. hier die entscheidende Flughöhe. Bei der «Das Spektrum der Projekte, fr die ein zur richtigen Zeit. Neugestaltung eines Platzes mitreden, ist Mitwirkungsverfahren eröfnet wurde, ist gut und recht. Doch wenn es ums Einge- sehr unterschiedlich», sagt Claudia Greter Die betrofenen Interessen unter einen machte geht, also wenn sich die Frage stellt, vom Basler Präsidialdepartement. Bei ihr Hut zu bringen, sei schwierig genug, sagt ob Basel eine Hafen-Skyline im Sinne von laufen die Anträge auf Mitwirkung ein, und Theres Wernli vom Quartiersekretariat «Rheinhattan» oder eine «Öko-Insel» nach sie leitet die Anträge an die zuständigen Kleinbasel. Seit über zehn Jahren hat sie die dem Konzept von «Greenhattan» bekommt, Departemente weiter. Darüber hinaus lädt Bedürfnisse und Befindlichkeiten von erhält eine Begleitgruppe ein anderes Ge- Greter auch die antragstellenden Quartier- Quartierbewohnern und Vereinen ange- wicht. Denn selbst wenn jemand nur mit- organisationen und zuständigen Verwal- hört und viele dieser Projekte begleitet. spricht und nicht mitentscheidet: Er will tungsstellen zu Auslegeordnungen ein, in Dazu gehört auch das Hafenareal. Es gebe ernst genommen werden. Dafr braucht er denen das weitere Vorgehen gemeinsam viele Details im Prozess, die das Vertrau- die nötigen Informationen zur richtigen besprochen wird. ensverhältnis beeinträchtigten, so Wernli, Zeit. Er muss orientiert werden. Unterstüt- «aber der Prozess wird weitergehen». Gera- zen die Fachstellen die Bevölkerungsver- Unterschiedliche Erfahrungen de die Verwaltung lerne dabei tatsächlich, treter dabei nicht, wird der Paragraf 55 per- Dass dabei vor allem Bau- und Stadtent- wie mit der Bevölkerung umzugehen sei. vertiert: Anstatt miteinbezogen wird die wicklungsprojekte im Fokus stehen, ist kein Doch nicht nur die Verwaltung muss ler- Bevölkerung weiter ausgegrenzt. Wunder. Von diesen Umwälzungen in der nen: «Wir müssen immer wieder darauf hin- Und obwohl sich die Mitwirkenden ge- direkten Lebensumwelt sind die meisten weisen, dass es sich um einen ‹Kann-Artikel› rade bei diesen Prozessen im Sinne von Da- Einwohnerinnen und Einwohner betrofen. handelt, dass es um einen Mitsprache- und niel Kurmann «weder als ewigen Nein- So divers die Anträge, so unterschied- nicht um einen Mitbestimmungsprozess Sager noch als Verhinderer» verstehen, fllt lich sind die Erfahrungen. Einige Mitwir- geht, dass die Verwaltung die Anliegen auf- dann eben doch das Urteil: «So nicht!» kungsverfahren hätten «zur Zufriedenheit nehmen kann und nicht muss», sagt Wernli. tageswoche.ch/+5f741 ×

TagesWoche 12/15 9 Stadtentwicklung Nicht immer fhren Mitwirkungsverfahren, wie sie in Basel seit 2005 Gesetz sind, zu breit abgestützten Resultaten. Das zeigen die heftigen Debatten im Gundeli. Das Mitwirken will erst noch gelernt sein von Daniela Gschweng

as Gundeldinger Quartier hat in Beatrice Isler, Vorsitzende des Neutralen Widerstand gegen ein Projekt formiert Sachen Mitwirkung eine be- Quartiervereins Gundeldingen. Die Gele- sich oft erst, nachdem konkrete Pläne auf wegte Geschichte. Vor zwei genheit zur Mitwirkung sei den Einwoh- dem Tisch liegen und durch die Medien Jahren etwa schlug das Ver- nern umfassend angekündigt worden. kommuniziert werden. Bis dahin ist das Dkehrskonzept Gundeli hohe Wellen und Warum wehrten sich dann ausgerechnet Verfahren aber meist weit fortgeschritten. scheiterte dann. Derzeit stehen die Neubau- diejenigen, die am Mitwirkungsverfahren Ist das ein genereller Fehler im System? pläne der SBB am Bahnhofeingang Süd in nicht teilgenommen hatten? «Es gibt immer «Nein», findet Isler. «Mit der medialen der Kritik. Baulich, so viel ist klar, gibt es Leute, die man nicht erreicht», sagt Isler. Berichterstattung erreicht man einfach jede Menge Konfliktpotenzial im Quartier. Das Mitwirkungsverfahren, findet sie, sei eine neue Gruppe Menschen. Leute, die Liegt die Streitbarkeit der Quartierbe- zu früh abgebrochen worden. Es sei zu we- sich fr den Mitwirkungsprozess nicht in- wohner in Gestaltungsdingen noch im Be- nig erklärt worden, warum man sich fr die teressieren oder die man vorher nicht reich einer fruchtbaren Meinungsvielfalt? präsentierte Alternative entschieden habe. erreicht hat, werden dann mit einem Ergeb- Kann man manchen Leuten einfach gar Günstiger wäre es gewesen, mehrere Alter- nis konfrontiert, das ihnen vielleicht nicht nichts recht machen? Oder ist sie Zeugnis nativen vorzustellen – als Diskussions- gefllt. Dann werden sie aktiv.» fr ein lebendiges Interesse am Quartier? grundlage fr das Quartier. Bereits am Beispiel Tellplatz, fr dessen Wollten die Gundeldinger in erster Linie Aufwendiges Verfahren Neugestaltung sich die Quartierorganisa- weniger Verkehr, nicht anderen Verkehr, Isler könne sich schon vorstellen, dass es tionen sehr eingesetzt haben, scheiden sich wie es ihnen vom Bau- und Verkehrsdepar- fr Kantonsmitarbeiter schwierig sei, wenn die Geister. Der wäre ja gut, wenn er genau tement vorgeschlagen wurde? Und fhlten viel Widerspruch aus der Bevölkerung so, aber ein klein bisschen anders wäre – sie sich deshalb veräppelt? «Ja auch», sagt kommt. Aus ihrer Erfahrung heraus rät sie vom Boulevard Güterstrasse gar nicht zu re- Isler, «da gab es aber sehr verschiedene zur Geduld. 2007 trat die Verordnung über den. Die Blumenkübel könnten noch ein Beweggründe. Es haben sich zu meinem die Mitwirkung der Quartierbevölkerung paar Zentimeter weiter rechts oder links ste- Erstaunen sehr viele Leute gegen das in Kraft. Nun müssen laut Isler eben alle Be- hen, die am Platz ansässige Gastronomie Verkehrskonzept Gundeli gewehrt, die aus teiligten lernen, damit umzugehen. noch ein paar Tische mehr oder weniger meiner Sicht keine grossen Nachteile oder «Wir müssen Mitwirkung auch leben», aufstellen – und so weiter. sogar Vorteile von der Umstellung hatten.» betont sie. «Ich denke, da muss man auf Für Dispute sorgt auch der Gundeli - Das gescheiterte Projekt hinterliess zu- allen Seiten noch sehr viel lernen.» Für den Tunnel, der weit über die Quartiergrenzen mindest stellenweise Spuren. Ein ähnliches Einzelnen sei es schwer, sich Gehör zu sehr umstritten ist. Szenario wollte Susanne Brinkforth vom v erschafen, gibt die Präsidentin des Neut- Fachbereich Freiraumplanung nicht und ralen Quartiervereins zu. «Man muss schon Streitpunkt Verkehr holte die Einwohner gleich zu Beginn mit organisiert sein», antwortet sie auf eine ent- Verkehr ist, genauso wie die Gestaltung ins Boot. Auf breite Mitwirkung angelegt sprechende Frage. des öfentlichen Raums, ein Dauerthema wurde ihr Projekt zur Grün- und Freiraum- Das Gefhl, dass Anwohner vom Kanton im diesbezüglich sehr belasteten Gundeli. gestaltung im Gundeli. Bisher ein nahezu nur abgespeist und nicht einbezogen zu Immer wieder wird beklagt, wie viel Verkehr vorbildliches Beispiel zur Mitwirkung. Lan- werden, hat Isler aber nicht.Dafr, dass sich nun durchs Quartier rollt. Es gibt zahlrei- ciert wurde in den letzten Wochen die Akti- manchmal nur wenige Anwohner wirklich che Verbesserungsansätze, die aber wieder- on «Unser Hinterhof». Zu anderen Temen in das Mitwirkungsverfahren einbringen, um zum Teil fr heftige Debatten sorgen. liegen noch keine konkreten Pläne vor. gibt es ihrer Ansicht nach andere Gründe: Im Juni 2013 wurde vom Amt fr Mobili- Das Verfahren ist sehr aufwendig. Nicht tät das Verkehrskonzept Gundeldingen Widerstand formiert sich oft zu spät jeder Quartierbewohner könne das zeitlich präsentiert, das neben mehreren verkehrs- Konkrete Pläne und sogar ein architek- und organisatorisch leisten. beruhigten Zonen auch die Umverlegung tonisches Modell gibt es dagegen fr den Die Gundelianer seien zwar streitbar, der Buslinie 36 in die Güterstrasse vorsah. Umbau des SBB-Bahnhofeingangs Süd aber keine Bremsklötze, resümiert sie. Auch Vorbereitend fanden mehrere Arbeits- nebst begleitender Bautätigkeiten am gingen erfolgreiche Mitwirkungsprozesse sitzungen mit Vertretern des Quartiers Meret-Oppenheim-Platz, gegen die der oft vergessen. Gut funktioniert hätten im statt. Neutrale Quartierverein Einsprache ein- Quartier etwa die Eröfnung der Kontakt- An einer Podiumsdiskussion im Sep- reichte. Das Quartier sei bei der Planung und Anlaufstelle fr Drogensüchtige, die tember 2013 wehrten sich Anwohner dann übergangen worden, so die Begründung. Einbettung dreier Asylbewerberheime und lautstark gegen das Projekt. Vor allem die Bauherr sind allerdings die SBB und die Integration der Randständigen, die die neue Verkehrsfhrung stiess auf Kritik. Der nicht der Kanton. Ziel der Einsprache sei es Wärmestube Soup & Chill frequentieren. Verein IG Verkehrt lancierte eine Petition nicht, das Bauprojekt zu stoppen, darauf Und zum Schluss: «Allen Leuten recht gegen das Verkehrskonzept, das Ende 2014 legt der Neutrale Quartierverein wert. «Wir getan, ist eine Kunst, die niemand kann.» «wegen unüberwindbarer Diferenzen» sis- haben die einzige Möglichkeit zur Mitspra- tageswoche.ch/+uvrpc × tiert wurde. Projektleiter Florian Mathys che genutzt, die uns zur Verfgung steht», verstand die Welt nicht mehr. betont Beatrice Isler. «Wir möchten als Was war schiefgelaufen? An der Einbin- Quartierbevölkerung und als Kunden der dung könne es nicht gelegen haben, sagt SBB ernst genommen werden».

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Jan Gehl «Ich habe mein Archi- tekturstudium 1960 abgeschlossen. Das war der Tiefpunkt der Stadtplanung»: Char- mant-bissige Kom- mentare sind das Markenzeichen von Jan Gehl. Der 78- jährige Däne hat sich der Stadtplanung nach «menschlichem Mass» verschrieben. Es ist massgeblich seiner Arbeit zuzu- schreiben, dass Ko- penhagen seit Jahren zu den lebenswertes- ten Städten der Welt gehört. Mit seiner Firma Gehl Architects berät er Städte auf der ganzen Welt dabei, wie sie zu «Städten für Menschen» werden können. Dies ist auch der Titel eines Buches, das vor Kurzem auf Deutsch erschien.

«Mitwirkung ist gut, aber ihre Voraussetzung ist Aufklärung.» FOTO: BASILE BORNAND

TagesWoche 12/15 11 Stadtentwicklung Der öfentliche Raum soll zum «Wohnzimmer der Menschen» werden, fordert der dänische Stadtentwickler Jan Gehl. Das geht nur, wenn man die Menschen in die Planung einbezieht. «Architekten wissen zu wenig über Menschen»

von Matthias Oppliger

ur Begrüssung zupft Jan Gehl eine oder in meinen Büchern. In den letzten Bei Ihnen ergibt diese Frage aber Sinn. Visitenkarte aus seinem Stapel. fnfzig Jahren habe ich so eine riesige Bil- Also: Wie gefällt Ihnen Basel? Alle sind sie auf der Rückseite mit dersammlung aus fnf Kontinenten zu- Ich kann nicht viel dazu sagen, weil ich einem Foto bedruckt. Unsere sammengetragen. Bilder von Menschen noch nicht lange hier bin. Aber Basel fhlt Zzeigt ein gelb-rotes Tram der BLT. «Tis kann ich mir stundenlang ansehen. Bilder sich gut an. Noch viel wichtiger ist jedoch should be in », sagt er. Die Bil- von Gebäuden und Autos hingegen lang- mein Eindruck, dass die Planer und Politi- der auf seinen Visitenkarten hat Gehl auf weilen mich sofort. ker hier ernsthaft daran arbeiten, diese seinen vielen Reisen zusammengetragen. Stadt besser zu machen. Der dänische Architekt und Stadtplaner «Bilder von Menschen Viel interessanter ist die Frage, ist viel gereist. Obwohl seine Heimatstadt was Ihnen nicht gefällt. Kopenhagen zu den lebenswertesten Städ- kann ich mir stundenlang Mir ist aufgefallen, dass es in dieser ten der Welt gehört. Das ist auch sein Ver- Stadt sehr viel Asphalt gibt. Asphalt ist fr dienst. Mit seiner Firma Gehl Architects ansehen. Bilder von Autos, Busse und Fahrräder gedacht, nicht berät er Städte rund um den Globus dabei, fr Fussgänger. In Basel scheinen Autos wie sie zu «Städten fr Menschen» werden Gebäuden und Autos und Fussgänger gleich behandelt zu wer- können. Vor einigen Tagen war er in Basel den. Also habe ich den Planern empfohlen, zu Besuch, auf Einladung des Planungs- langweilen mich sofort.» über mehrere Jahre hinweg kontinuierlich amts. Wir trefen den 78-Jährigen auf dem sämtliche Fussgängerzonen und Gehwege Gundeldingerfeld, wo er am Abend zuvor Was haben Sie in Basel foto grafiert? mit Steinplatten zu verschönern. Die Bot- einen öfentlichen und äusserst gut be- Ich hatte nicht die Zeit, viele Bilder zu schaft muss sein: «Wir wollen, dass ihr hier suchten Vortrag über nachhaltigen Städte- machen. Wir haben sehr viel gearbeitet in seid.» Der öfentliche Raum soll das Wohn- bau gehalten hat. der kurzen Zeit, die ich hier war. zimmer der Stadt werden. Herr Gehl, wie viele Schritte sind Sie Was hat Ihr Interesse geweckt, als Sie Sie haben Kopenhagen zu einer der heute bereits gegangen? durch Basel spaziert sind? lebenswertesten Städte der Welt Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Auf meinem ersten Foto, das ich hier ge- gemacht. Wann fangen Sie in Basel an? Ich habe einen Schrittzähler. Der Bürger- macht habe, ist das kleine Fährboot über Montag hätte ich Zeit. meister von Kaliningrad hat ihn mir ge- den Rhein zu sehen. Es hat keinen Motor Hätte? schenkt. (Er nestelt an seinen Kleidern und und wird nur durch die Strömung angetrie- Ich benötige schon eine ofzielle Einla- sucht ein kleines rotes Gerät hervor.) Oh, ben. Das ist genial. Auch den Münsterplatz dung. Aber ich kann mir vorstellen, wie das kann eigentlich nicht stimmen. An- habe ich fotografiert. Er ist ein schönes Bei- fruchtbar eine solche Zusammenarbeit scheinend bin ich heute erst 5000 Schritte spiel fr einen schönen alten Platz, der das sein könnte. gegangen. Also muss ich noch einmal so menschliche Mass berücksichtigt. Egal wo Welche Ratschläge haben Sie unseren viel gehen, um auf mein Tagessoll von man steht, man behält den Überblick. Mo- Stadtplanern gegeben? 10)000 Schritten zu kommen. derne Plätze sind oft viel zu gross, sodass Ich gebe keine Ratschläge, wenn ich Wo sind Sie heute schon überall man sich als Mensch schnell winzig und mich in einer Stadt nur knapp 24 Stunden gewesen? verloren vorkommt. aufgehalten habe. Ganz allgemein empfeh- Ich war mit diesen verrückten Leuten Vor einigen Jahren wurde der Müns- le ich jedoch allen Städten eine systemati- vom Planungsamt unterwegs. Sie haben terplatz noch regelmässig als Parkplatz sche Erhebung und Beobachtung des öf- mich kreuz und quer durch dieses Quartier benutzt. Nun ist es endlich gelungen, fentlichen Lebens. Genau das, was Ver- (Gundeldingen, Anm. d. Red.) gefhrt. die Autos loszuwerden. kehrsplaner seit Jahrzehnten tun, muss Ich habe gelesen, dass Sie gerne Ich beobachte eine ähnliche Entwick- auch auf die Bewohner einer Stadt ange- spazieren und stets eine Kamera dabei- lung auf der ganzen Welt. Die Liebesbezie- wendet werden. Wir wissen alles über den haben. Was fotografieren Sie damit? hung von den Menschen zu ihrem Auto Verkehr, aber wir wissen kaum etwas darü- Menschen hauptsächlich. Menschen, flaut langsam ab. Viele Menschen fragen ber, wie die Menschen eine Stadt beleben die den öfentlichen Raum nutzen. Mich sich grade, ob es wirklich das Wahre ist, den und nutzen. Es ist erwiesen, dass man sich interessieren aber auch besonders gelun- Motorfahrzeugen derart viel Platz einzu- nur um die Dinge kümmert, über die man gene Lösungen planerischer Probleme. räumen. Bescheid weiss. Meine Botschaft ist: Lernt Und besonders dumme Lösungen. Ich zei- Es ist ein Klischee, einen Gast aus dem eure Stadt zuerst kennen und verbessert sie ge diese Bilder in meinen Präsentationen Ausland zu fragen, wie ihm Basel gefällt. dann, wo es nötig ist.

TagesWoche 12/15 12 Ihre Formel ist sehr einfach: Je weni- die Stadtplanung einbezogen werden sprengt. Nach fnfzig Jahren sehe ich end- ger Autos, desto höher die Lebens- kann. Mitwirkung ist ein heiss disku- lich, wie unsere Arbeit Anklang findet. Mei- qualität. In der Realität bricht bei tiertes Thema in Basel. ne Bücher wurden in dreissig Sprachen jedem Parkplatz, der wegfällt, ein Die Menschen interessieren sich stark übersetzt und meine Firma ist auf fnf Kon- Riesengeschrei aus. fr Fragen der Nachhaltigkeit. Sie wollen tinenten tätig. Nur wenn es nicht Gott ist, der den Park- mehr darüber erfahren, wie die Stadt in In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es platz entfernt. Wenn Gott auf Ihrer Seite ist, zehn, zwanzig Jahren aussieht, wenn ihre bei Architektur um den Raum zwi- haben Sie keine Probleme. Kinder und Enkel gross sind. Sie können schen den Häusern gehe, nicht um die Also sollen wir für weniger Verkehr gute von schlechten Alternativen unter- Form der Gebäude. Einige sogenannte beten? scheiden. Mitwirkung ist gut, aber ihre Vor- Stararchitekten würden dieser Aus- Oder Sie versuchen es mit Auflärung. aussetzung ist Auflärung. Die Menschen sage wohl vehement widersprechen. Das Verkehrsaufommen kann gesteuert müssen ganz genau wissen, worüber sie Sollen sie doch. An einer Konferenz in werden. Eine Stadt ohne Verkehr ist gesün- entscheiden können. Wenn man ohne vor- London ist kürzlich ein Typ aufgetreten, der, nachhaltiger und lebenswerter. Die Be- herige Information der Bevölkerung ver- der gesagt hat: «Ich bemitleide euch Archi- wohner verstehen das, wenn sie genügend kündet, sämtliche Parkplätze zu entfernen, tekten. Euer einziges Kommunikationsmit- und gute Informationen dazu bekommen. gibt es einen Aufstand. Ich erzähle immer tel ist das Bild. Alles, was man auf einem die gleiche Geschichte: Meine Frau und ich Bild sehen kan, ist Form. Deshalb kommu- «Der Verkehr lässt sich am feierten unseren 45. Hochzeitstag. Wir niziert ihr untereinander nur über Form r adelten Seite an Seite mit dem Fahrrad und ihr seid alle besessen davon. Was ihr einfachsten reduzieren, durch Kopenhagen zum Restaurant und macht, ist nicht Architektur, das ist Bild- zurück, beide waren wir rund 70 Jahre alt. hauerei.» Es geht nicht um Gebäude und wenn höhere Mächte Wir realisierten plötzlich, wie viel besser Strassen, es geht um die Interaktion zwi- unsere Stadt geworden ist. Es ist ein wahn- schen Leben und Umgebung. Diese Di- im Spiel sind. Erdbeben sinnig gutes Gefühl, jeden Morgen zu mension der Architektur wurde von den w issen, dass die Stadt ein wenig besser ist Modernisten komplett verneint. Wir brau- zum Beispiel.» als am Tag zuvor. Das gibt Hofnung fr chen neue Paradigmen der Stadtplanung: die kommenden Generationen. Gelingt es Städte müssen lebenswert, gesund und Wie ändert man Menschen und ihre einer Stadt, dieses Gefhl zu vermitteln, nachhaltig sein. Gewohnheiten? Jemand, der nicht zu werden die Planer auf wenig Widerstand Wir sind in Basel so stolz auf unsere Fuss gehen und das Fahrrad benutzen stossen. eigenen Stararchitekten, dass sie fast will, wird doch immer das Auto Sie haben eine urbanistische Vision. jedes grössere Bauprojekt realisieren bevorzugen. Wie verhindern Sie, dass sie durch dürfen. Sie bauen dann vorzugsweise Soll er doch. Auf der anderen Seite wird Kompromisse zunichte gemacht wird? Hochhäuser. es immer Menschen geben, denen Umwelt Es gibt immer Kompromisse. Und na- Hochhäuser sind aus der Ferne zwar nett und Gesundheit wichtiger sind. Ziel einer türlich hinterlassen wir nach jedem Auf- anzusehen, und auch die Aussicht vom nachhaltigen Stadtentwicklung sollte sein, trag einen fantastischen Plan, nur um dann obersten Stockwerk ist schön. Steht man den Anteil am öfentlichen Verkehr, der aus einige Jahre später festzustellen, dass bloss allerdings direkt daneben oder wohnt im eigener Kraft angetrieben oder mit öfentli- 60 Prozent davon umgesetzt wurden. Das dritten Stock, gibt es wenig Positives zu chen Verkehrsmitteln erledigt wird, lang- gehört eben dazu. Ich habe so viele Städte sagen über Hochhäuser. Wer oberhalb der sam und stetig zu erhöhen. Unsere Erfah- gesehen, die einen wunderbaren Wandel fnften oder sechsten Etage wohnt, gehört rung zeigt: Wenn es in einer Stadt schöne vollzogen haben. Ein schlechtes Beispiel ist nicht mehr zur Stadt, sondern zum Luft- Fahrradwege gibt, werden die Menschen London, wo die vielen verschiedenen Ko- raum. Es gibt gute Gründe, ein Hochhaus zu sie benutzen. Wenn der öfentliche Verkehr mitees noch immer über die Vorschläge be- bauen. Aber es muss umsichtig geschehen. gut funktioniert, werden die Menschen Bus raten, die ich vor zehn Jahren unterbreitet und Tram fahren. Verkehr verhält sich wie habe. Ein gutes Beispiel ist Perth in Austra- «Wer oberhalb der Wasser, er geht dahin, wo es Platz gibt. Und lien. Vor 22 Jahren habe ich dort meine Be- wenn es keinen Platz mehr gibt, versiegt er. ratung angefangen. In dieser Zeit ist Perth fünften oder sechsten Also ist es eine Fragen der Optionen, von einer furchtbaren zu einer wunderba- nicht der Regeln? ren Stadt geworden. Es hat also auch seine Etage wohnt, gehört nicht Als man in London die Innenstadtmaut guten Seiten, ein älterer Herr zu sein. eingefhrt hat, reduzierte sich der Verkehr Weil Sie Fortschritt beobachten mehr zur Stadt, sondern bereits tags darauf um 20 Prozent. Men- können? schen tendieren dazu, eine bestimmte Weil ich sehe, dass Dinge geschehen. zum Luftraum.» Situation fr gottgegeben zu halten. Wie Sie hatten Ihre erste Begegnung mit man in San Francisco sehen kann, lässt sich dem menschlichen Aspekt der Archi- Ihre Kritik an Architektur und Stadt- der Verkehr am einfachsten reduzieren, tektur dank Ihrer Frau, die Psycho- planung fällt scharf aus. Wie kommt es, wenn höhere Mächte im Spiel sind. Der login ist. Sie hat Sie gefragt, weshalb dass Sie trotzdem so optimistisch Embarcadero Freeway war die Haupt- Architekten nicht an die Menschen geblieben sind? schlagader der Stadt. Als er durch ein Erd- denken, wenn sie Häuser bauen. Sind Ich bin zunehmend optimistisch, weil beben beschädigt wurde, dachten alle, dass Psychologen die besseren Architekten? ich gesehen habe, wie viele Dinge besser die Stadt sterben wird. Drei Monate später Nein, das denke ich nicht. Aber Psycho- und vernünftiger geworden sind. Mir stellte sich jedoch heraus, dass es über- logen sehen die Welt aus einem anderen scheint, wir haben einen guten Weg gefun- haupt keine Probleme gab. Dank diesem Blickwinkel. Dank der Gespräche mit mei- den, die Probleme zu lösen, die uns die Erdbeben ist San Francisco heute eine viel ner Frau habe ich verstanden, dass die Ar- Modernisten mit ihrer Autoinvasion ge- schönere Stadt. Wenn wir in einer Stadt zu chitektur die menschliche Dimension bracht haben. Sorgen bereiten mir derzeit arbeiten anfangen, fragen wir deshalb im- komplett ausblendet. In den Architektur- vor allem die schnell wachsenden Städte mer: «Habt ihr Erdbeben in der Gegend, und Planungsschulen lernen die Studen- der Dritten Welt. Alle diese Dinge, über die die uns dabei helfen könnten, diese und ten noch heute fast nichts über die Men- wir gesprochen haben, können auch dort jene überflüssige Strasse loszuwerden?» schen und ihre Bedürfnisse. Erst in den angewendet werden. Denn es ist günstig, Nach Ihrer Vorlesung am Donnerstag Sechzigern wurden die Mauern zwischen eine Stadt lebenswerter und nachhaltiger hat jemand aus dem Publikum die den wissenschaftlichen Disziplinen ein- zu machen. Davon profitieren alle. Frage gestellt, wie die Bevölkerung in gerissen, Türen geöfnet und Grenzen ge- tageswoche.ch/+njnuv ×

TagesWoche 12/15 13 erprobt», so Amtsleiter Frank. «Wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse werden festgehalten und in die neuen Mitwir- kungsverfahren einfliessen.» Die Verfahren entwickeln sich. Seit 2012 findet zu Beginn eines Prozesses etwa erst eine Auslegeordnung zwischen Quartier- organisationen und Verwaltungsstellen statt. Dabei nimmt die Fachstelle eine Schlüsselrolle ein: Sie klärt mit den Verant- wortlichen Erwartungen, Handlungsspiel- raum und konkretes Vorgehen verbindlich ab. Danach ist die federfhrende Verwal- tungsstelle zusammen mit dem jeweiligen Stadtteilsekretariat fr den Prozess verant- wortlich. «Dieses Vorgehen hat sich sehr gut be- währt», so Frank. Dennoch ortet die Fach- stelle Entwicklungspotenzial. Etwa beim optimalen Beginn fr den Einbezug der Bevölkerung, aber auch bei der Transpa- Für Protest sorgen in Basel vor allem Grossprojekte wie die Hafenentwicklung. FOTO: MVRDV renz der Prozesse. Ein kritischer Punkt ist zudem die Er- Stadtentwicklung wartungshaltung der Quartierbevölkerung an den Mitwirkungsprozess: «Je nach Aus- gangslage sind die Erwartungen unter- Funktionieren Mitwirkungsverfahren? schiedlich.» Immerhin: Die Quartierbevöl- kerung mache dank ihres lokalen Wissens Ja, aber*… bilanziert der Kanton. die Verwaltung auf «wichtige Wahrneh- mungen» aufmerksam. «Diese können zu guten Lösungsansätzen fr anstehende Der Kanton wünscht Projekte beitragen.» Nur: Die Entscheidungen trift letztlich der Kanton. Die Ergebnisse aus den Mit- sich mehr aktive Bürger wirkungsverfahren würden gemäss dem am Anfang definierten Verfahren den Ent- scheidungsträgern übergeben, so Frank. von Andreas Schwald Das können eine Dienststelle sein, die be- trofenen Departementsvorsteher, der Re- itwirkung ist gut, aber ihre wie das Hafenareal oder das Areal des Felix- gierungsrat oder auch der Grosse Rat. Voraussetzung ist Aufklä- Platter-Spitals geht. rung»: Das sagt der Däne Dabei ist der Kanton seit zehn Jahren Kompromisse prägen das Stadtbild Jan Gehl, eine Koryphäe auf einer Mitwirkungskultur ausgesetzt, die Dennoch, die Kritik steht. Den Vorwurf, Mdem Gebiet der Stadtentwicklung, im In- sich mit unterschiedlichsten Projekten dass die Bevölkerung trotz Mitwirkung terview (siehe Seite 10). beschäftigt: Vom Spielplatz bis zur Gross- k eine Stimme hat, weist die Kantons- und Diese Aussage stützen Reaktionen von überbauung ist alles dabei, das birgt ent- Stadtentwicklung allerdings zurück. «Die Mitwirkenden aus der Bevölkerung bei sprechend Konfliktpotenzial. Die Fach- Bevölkerung hat jederzeit die Möglichkeit, staatlichen Planungsprozessen. Von stelle Stadtteilentwicklung nimmt dabei von der Verwaltung angehört zu werden. mangelhafter Kommuni kation ist etwa eine Schlüsselposition ein. Sie koordiniert Soweit möglich, werden die unterschied- die Rede, von Sachverhalten, die Laien beim Präsidialdepartement die Mitwir- lichen Anliegen berücksichtigt», so Frank. überfordern, wenn sie keine Hilfestellung kungsverfahren zwischen Bevölkerung Die Entscheidungsträger allerdings müs- erhalten. und Verwaltung. sen jeweils die Interessen gegeneinander Doch es gibt auch positive Beispiele. So abwägen: die fachliche Einschätzung der fhrt etwa Teres Wernli vom Stadtteilse- Trotz Mitwirkung – Verwaltung wie auch die unterschiedlichen kretariat Kleinbasel die Ackermatte und Stimmen aus einem Quartier. den Giessliweg an, die mit den Spielplätzen ganz am Schluss Trotz der positiven Zwischenbilanz also: zur Zufriedenheit aller gebaut werden Von Euphorie ist die Stimmung nicht ge- konnten (tageswoche.ch/+oj63r). entscheidet der Kanton. prägt. Die Basler Mitwirkung funktioniert Dieses Beispiel nennt auch die zustän- grundsätzlich. Auch wenn ein komplexes dige Stelle des Kantons. Darüber hinaus Die Bilanz: durchwegs positiv. Die Grossprojekt wie die Überbauung der verweist die Fachstelle auch auf die Über- M öglichkeiten zur Mitwirkung würden Klybeck-Insel noch nicht zum Vorzeige- bauung des alten Kinderspitals. Die Kom- unterschiedlich stark genutzt, schreibt Lei- modell fr Mitwirkungsprozesse gehört – munikation während des Prozesses habe ter Roland Frank auf Anfrage – «je nach Be- zumindest zum heutigen Zeitpunkt. gut funktioniert. trofenheit der Quartierbevölkerung». Ent- Dabei gilt letztlich auch, was der däni- Insbesondere die Zugänglichkeit des wicklungspotenzial sei aber noch vorhan- sche Stadtplaner Jan Gehl fr seine eigene Areals, quartierbezogene Nutzungen im den, konkret auch bei der Beteiligung der Arbeit feststellt: «Es gibt immer Kom- Erdgeschoss und Wohnungsgrundrisse, Quartierbewohnenden: Die könnte durch- promisse. Und natürlich hinterlassen wir die unterschiedliche Wohn- und Lebens- aus höher sein. nach jedem Auftrag einen fantastischen formen ermöglichen, seien dank der Mit- Und dann fllt auch wieder das Wort Plan, nur um dann einige Jahre später fest- wirkung ins Bauprojekt eingeflossen. Doch «Lernprozess». «Jedes Verfahren ist anders zustellen, dass bloss 60 Prozent davon um- gerade die harsche Kritik fllt auf – beson- und neue Formen des Einbezugs der gesetzt wurden.» ders wenn es um laufende Prestigeobjekte Quartierbevölkerung werden in der Praxis tageswoche.ch/+yitqq ×

TagesWoche 12/15 14 Stadtentwicklung Bei der Kleinbasler Lady Bar stösst Mitsprache an ihre Grenzen: Viele Anwohner unterstützen den Club, doch der Kanton will die Liegenschaft wirtschaftlich betreiben. Mitwirkung scheitert an finanziellen Interessen

von Dominique Spirgi

as DJ-Set von Timnah Sommer- «Zur Formulierung eines Leitbilds fr die im Hinterhof, der auch Platz fr «laute Nut- feldt wird am Samstag viel Pub- Erdgeschossnutzung der Liegenschaft sol- zungen» bieten sollte, oben auf. likum anlocken. Sie legt in einer len die Quartieranliegen möglichst reprä- Mit ihren Vorschlägen hatten die Teil- der angesagtesten Bars auf, die sentativ aufgenommen werden», heisst es in nehmer jedoch die Grenzen überschritten: Dsich mitten in der Stadt befindet und von der Verfahrensdefinition. «In der Projekt- Nur die Erdgeschossräume sollten Gegen- der Anwohnerschaft toleriert wird: in der entwicklung und in der daraufolgenden stand der Mitsprache sein, auch die Rah- Lady Bar. Als die Lokalitäten vor zwei- Vermietung soll diesem Leitbild innerhalb menbedingungen in Sachen Wirtschaftlich- einhalb Jahren neu eröfnet wurden, sahen der übergeordneten Rahmenbedingungen keit und Marktsituation wurden strapaziert. sich die Anwohner vom Ansturm des so gut wie möglich entsprochen werden.» «Schöne Ideen sind begrüssenswert, es stellt Ausgehpublikums geradezu überwältigt. sich am Schluss aber die Frage, wie sie fi- «In der Z wischenzeit hat aber ein Gewöh- «Übergeordnete nanzierbar sind», sagt auch Tom Brunner. nungsprozess stattgefunden», sagt Tom «Es handelte sich nicht wirklich um Brunner, Betreiber der Lady Bar und des Rahmenbedingungen» einen Mitwirkungsprozess, sondern um Restaurants Feldberg an der Ecke Feld- eine Anhörung», sagt denn auch Barbara bergstrasse und Klybeckstrasse. schränken Mitwirkungs- Neidhart, die als Delegierte von Immobi- Die Quartierbevölkerung empfinde die lien Basel-Stadt an den Gesprächen und Barkundschaft nicht mehr als Bedrohung, möglichkeiten stark ein. Workshops teilgenommen hatte. Nur: Die und die Betreiber achten darauf, dass die Veranstaltungen liefen ofziell unter dem Lautstärke der Gäste vor dem Lokal ge- Diese «übergeordneten Rahmenbedin- Titel «Mitwirkungsverfahren». dämpft und der Abfall weggeräumt wird. gungen» – erwähnt sind die Kosten, die «Wir sind auf null Reklamationen herunter- Wirtschaftlichkeit und die Marktsituation – Mehr versprochen als eingehalten gekommen», sagt Brunner. schränken aber die Mitwirkungsmöglich- Mit dieser Formulierung wurde mehr Doch die Lady Bar befindet sich just an keiten relativ stark ein. Dazu kommt, dass versprochen, als ein g ehalten werden konn- einer Schnittstelle zwischen öfentlicher die künftige Nutzung der Obergeschosse te. «Aus dem Prozess sind sehr gute Anre- Nutzung, Zwischennutzung und letztlich mit «Schwerpunkt Wohnen» von vornher- gungen an uns herangetragen worden, aber auch der Mitwirkung durch die Bevölke- ein ausgeklammert wurde. wir müssen uns an den Rahmen der Wirt- rung. Anders gesagt: Das Lokal ist ein quar- Bei der ersten Mitwirkungsversamm- schaftlichkeit halten», sagt Neidhart. «Im- tierpolitischer Brennpunkt. lung war das zahlreich anwesende Publi- mobilien Basel-Stadt darf über die Miet- Die Nutzung der Staatsliegenschaft mit kum altersmässig gut durchmischt. Aufal- preise keine Nutzungen subventionieren.» der Lady Bar, dem Restaurant Feldberg mit lend war, dass bei der Evaluation der Folgenlos soll der Anhörungsprozess Flüchtlingswohnungen darüber und der Quartieranliegen die aktuelle Zwischennut- aber nicht bleiben. «Wir nehmen die Anre- Lebensmittelgemeinschaft Basel im Hin- zung, namentlich der Club und das Restau- gung auf, dass im Erdgeschoss Räumlich- terhof ist beschränkt. Ursprünglich sollte rant, auch bei den älteren Teilnehmern am keiten fr öfentliche Nutzungen eingerich- bereits Ende März Schluss sein mit dem besten abschnitt. «Die Verteilung der Punk- tet werden sollen», sagt Neidhart. Ebenso Zwischennutzungsprojekt. Weil sich der te hat auch mich positiv überrascht», aufgenommen worden sei der Wunsch, Bericht der Denkmalpflege verzögerte, erinnert sich Brunner. In den späteren dass in den Obergeschossen günstiger wurde die Zwischennutzung um ein Jahr Workshops stieg der Altersdurchschnitt Wohnraum geschafen werden soll. bis Ende März 2016 verlängert. allerdings wieder. Auf die Liste der Nut- Wie geht es nun weiter? Aus dem Basler zungswünsche gelangten Ideen wie ein Kantonsblatt geht hervor, dass Immobilien Mitwirkungsprozess eingeleitet «Austoberaum für Kinder» oder eine Basel-Stadt «ein Generalplanerteam» fr Aber Zwischennutzung bleibt Zwi- «Schauwerkstatt» im Hinterhof. die «Instandsetzung und den Neubau Feld- schennutzung. Um nicht an den Bedürfnis- Doch der Wunsch, dass die künftige bergstrasse 47» sucht. Allzu viele Details sen der Quartierbevölkerung vorbeizu- Nutzung auch Raum fr laute Anlässe bie- enthält aber auch diese Ausschreibung planen, setzten der Kanton via Immobilien ten sollte, blieb als Forderung stehen. An nicht – mit einer Ausnahme: «Das beste- Basel-Stadt mit dem Stadtteilsekretariat der Ergebniskonferenz Ende November hende eingeschossige Hinterhofgebäude Kleinbasel ein Mitwirkungsverfahren in 2013 schwangen neben der weiteren Nut- soll durch ein mehrstöckiges Wohngebäu- Gang. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn zung des Hauptgebäudes als Restaurant de ersetzt werden.» die Auflagen schmälern den Spielraum. unter anderem ein Neubau des Gebäudes tageswoche.ch/+xdfc8 ×

TagesWoche 12/15 15

«Lebenswert und vielfältig soll das Kleinbasel sein – an der Entwicklung muss die Bevölkerung teilhaben können.» Heike Oldörp, Co-Leiterin Stadtteilsekretariat Kleinbasel

FOTO: BASILE BORNAND

TagesWoche 12/15 16 Wohnungsnot von Andreas Schwald Nach dem Nein zu «Wohnen fr alle» as Nein zu «Wohnen fr alle» sass der Basler SP in den Kno- fordert der Mieterverband Basel chen – besonders die Bemer- kung ihres Regierungsrats mehr kostengünstigen Wohnraum. DHans-Peter Wessels, der auf Facebook das Nein als «Vertrauensbeweis fr die Strate- gie zur Wohnraumfrderung der Basler Regierung» wertete. Parteifreunde äusser- ten sich aufgebracht, Juso-Vizepräsiden- tin Lavinia Fasciati bezeichnete die Äusse- Zu viel Markt, rung gegenüber der TagesWoche als schlicht r espektlos, worauf sich Wessels entschuldigte. Die Kernfrage, welche Art von Wohn- raum es in Basel braucht, beantwortet die zu wenig Politik Regierung mit einer einfachen Antwort: «Grundsätzlich entscheidet dies der Markt.» So formulierte es auch Regula Küng, Leiterin der Basler Fachstelle fr Wohnraumentwicklung, am Montag im In- terview mit der «Basler Zeitung». Dabei fhrt Küng auch an, dass der Kanton vor allem «etwas in der Förderung von gemeinnützigem und damit preis-

Kein Platz frei: Der bezahlbare Wohnraum ist zu knapp, findet der Mieterverband Basel. FOTO: KEYSTONE

TagesWoche 12/15 17 günstigem Wohnangebot» unternehme, Das Finanzdepartement von Eva Herzog den Stellenwert von Wohngenossen- so Küng im Interview: «Zudem hat der (SP) beherbergt mit Immobilien Basel- schaften in der Debatte relativiert: Kanton mit dem Wohnraumfrdergesetz Stadt (IBS) das breite staatliche Immobilien- «Auch beim Abstimmungskampf für die Möglichkeit bekommen, besonders Portfolio. Allerdings arbeitet IBS nach ‹Wohnen fr alle› wäre daher besser das benachteiligten Menschen, die auf dem marktwirtschaftlichen Kriterien: Der Be- Wort K ostenmiete als Genossenschaften Wohnmarkt immer den Kürzeren ziehen, trieb bewirtschaftet das Finanz- und gefallen.» ein Angebot bereitzustellen.» V erwaltungsvermögen des Kantons und Genossenschaften würden zwar Wohn- damit der Stadt. Das heisst, dass auch IBS raum zur Kostenmiete anbieten, gerade Der Markt spielt frei in Basel Rendite-Ziele erreichen muss. ältere Genossenschaften seien aber auf- Und genau gegen dieses noch junge Das sei schon strukturell problematisch, grund ihrer Struktur eher konservativ in Wohnraumfrdergesetz regt sich Wider- so BastA!-Politikerin Bernasconi, deren der Wohnungsvergabe, was sozial Schwä- stand. Das Gesetz ist seit einem halben Jahr Mieterverband zu den schärfsten Kritikern chergestellten selten zugute käme. in Kraft und wurde als Gegenvorschlag der von Immobilien Basel-Stadt gehört. Dabei Regierung zu einer Initiative des Mieter- sollte der Kanton – geht es nach dem Mehrere Initiativen geplant innen- und Mieterverbands Basel ange- Mieterverband – stärkere Leitplanken im Mit dem Nein zu «Wohnen für alle» nommen (MV Basel). Dieser kritisiert die sozialen Wohnungsbau setzen: Förderung ist der Widerstand gegen die Basler Wohn- Wohnraumförderung der Basler Regie- der Kostenmiete und Erhalt von günstigem raumpolitik daher noch lange nicht rung allerdings immer noch scharf. Wohnraum. Darüber hinaus seien raum- beerdigt. Der Mieterverband wird selbst «Natürlich ist es schade, dass ‹Wohnen planerische Massnahmen nötig, etwa spe- noch mehrere Initiativen zur Abstimmung fr alle› nicht angenommen wurde», sagt zielle Bebauungspläne, die einen spezifi- bringen. Das Ziel: Günstiger Wohnraum Patrizia Bernasconi, Co-Geschäftsfhrerin schen Anteil an bezahlbarem Wohnraum soll günstig bleiben. des MV Basel. «Die federfhrende SP hat verlangen. Ein sportliches Programm. Denn laut die Initiative auch nicht gut vermittelt: Viel «Das Wohnraumfördergesetz des BaZ rechnet auch der Kanton damit, zu oft war von Wohngenossenschaften Kantons ist aus unserer Sicht lediglich dass wegen der aktuellen Leerstandsquote die Rede. Die Stiftung hätte aber andere ein Investorenfrdergesetz», so Bernas- gerade bei Wohnungswechseln die Mieten Betätigungsfelder gehabt: zum Beispiel coni. Es ersetze keine soziale Wohnungs- teurer werden könnten. Liegenschaften zu erwerben, und sie so der politik, wobei Bernasconi diesbezüglich tageswoche.ch/+90340 × Spekulation zu entziehen.» Genau hier setze das Problem der Basler ANZEIGE Wohnraumfrderung an: «Die Regierung überlässt den Basler Wohnraum grund- EINTRITT FREI sätzlich dem Markt.» Statt Wohnungsbau nach sozialen Kriterien zu forcieren, etwa gezielt günstigen Wohnraum für sozial Schwächergestellte zu schafen, habe der Markt freie Hand. Der Kanton soll stärkere Leitplanken im WIESO ? ÖFFENTLICHE sozialen Wohnungsbau PUBLIKUMSVORTRÄGE setzen: Förderung von IN DEN UPK BASEL Kostenmiete und günstigem Wohnraum. Das widerspreche auch dem Erhalt von günstigem Wohnraum, der zugunsten PSYCHIATRISCHER höherer Renditen ersetzt würde, sagt Ber- GUTACHTER — nasconi. Dem Mieterverband seien Fälle bekannt, in denen eine sogenannte «sanfte RICHTER IN WEISS ? Sanierung» scheiterte, weil die Bank dem EIN REFERAT VON: Liegenschaftsbesitzer nur einen Kredit fr eine umfassende Sanierung gestatten PROF. DR. MED. MARC GRAF wollte. Darauf sei die Kündigung aller Miet- KLINIKDIREKTOR FORENSISCH-PSYCHIATRISCHE parteien erfolgt. «Auch das ist eine Folge KLINIK, KLINISCHER PROFESSOR des freien Marktes», so Bernasconi. FÜR FORENSISCHE PSYCHIATRIE AN DER Die Politik der Basler Wohnraumfrde- UNIVERSITÄT BASEL rung fusst hauptsächlich auf der Arbeit dreier Departemente, die von rotgrünen Regierungsräten gefhrt werden: Das Präsidialdepartement von Guy Morin DONNERSTAG (Grüne) koordiniert mit der Fachstelle von 26. MÄRZ 2015 Regula Küng die Wohnraumentwicklung. Das Bau- und Verkehrsdepartement 19—20 UHR von Hans-Peter Wessels (SP) plant vor- PLENUM 1, ÖKONOMIEGEBÄUDE www.upkbs.ch/

nehmlich und ermöglicht zum Beispiel WILHELM KLEIN-STRASSE 27 veranstaltungen S&C Arealentwicklungen wie Volta Ost oder die Erlenmatt.

TagesWoche 12/15 18 Verkehr Pro Velo möchte nun nicht darauf RTV Basel warten, bis die Regierung von selbst Teil- projekte aus dem Richtplan auf die politi- Initiative fr sche Traktandenliste setzt. «Uns geht es in diesem Fall darum, Druck hinter dieses Projekt zu setzen», sagte SP-Grossrat und Basler Velo-Ring Velo-Lobbyist Jörg Vitelli, der zusammen mit Politikerinnen und Politikern von der lanciert BastA! bis zur FDP Mitglied des Initiativko- mitees ist. von Dominique Spirgi Auch ein weiteres grösseres Bauvorha- ben – der Bau einer Velo- und Fussgänger- von Christoph Kieslich ro Velo hat eine kantonale Volksini- Rheinbrücke (Sevogelbrücke) auf der Höhe 6 tiative fr einen geschlossenen und der St.-Alban-Fähre – findet sich bereits im er RTV 1879 Basel klopft wieder an P sicher zu befahrenden Veloring Teilrichtplan der Regierung. Dieses Teilpro- die Tür der Nationalliga A. Mit dem durch die Basler Aussenquartiere lanciert. jekt aber möchten die Initianten, um ihr An- D sechsten Sieg in Serie haben die Bas- «An der Strecke zwischen Kannenfeld- liegen nicht mit hohen Kosten zu belasten, ler Handballer zum TV Endingen an der Ta- strasse und dem Zolli gibt es eigentlich we- noch ausklammern. So bleibt der Zollisteg – bellenspitze aufgeschlossen. Der jüngste nig auszusetzen», sagte Pro-Velo-Präsident vorerst – das einzige grössere Bauprojekt. Auswärtserfolg bei Yellow Winterthur hing und Präsident der Grünliberalen David am seidenen Faden, denn erst 23 Sekunden Wüest-Rudin. Ansonsten gäbe es aber viele 20 bis 25 Millionen kostet Umsetzung vor Ende gelang Max Dannmeyer der Trefer Punkte, die es zu optimieren gelte. Alles in allem geht es den Initianten um zum 27:26. Zum Beispiel die Strecke, die heute über die Einrichtung eines Velorings, der gefahr- Die Mannschaft von Trainer Silvio den unübersichtlichen Dorenbachkreisel los befahren werden kann, wo die Velofahrer Wernle hat nun noch fnf Partien zu bestrei- und weiter über das Dorenbachviadukt zum genügend Platz haben, um zu zweit neben- ten, als nächstes zwei Heimspiele: an diesem Bahnhof SBB fhrt. Hier stellt sich das Initi- einander fahren zu können, und wo sie, wenn Samstag, 21. März, (18 Uhr) gegen den STV Ba- ativkomitee als Alternative den Bau eines immer möglich, vortrittsberechtigt sind. den und am 28. März (20 Uhr) gegen den TV Velo- und Fussgängerstegs über dem Tras- Die Initianten rechnen mit Kosten von 20 Stefsburg. Am Donnerstag, 9. April, kommt see der Elsässerbahn bis zum Höhenweg bis 25 Millionen Franken fr die Route, die es dann in Endingen zum Showdown. auf der östlichen Seite des Birsigtals vor. die Dreirosenbrücke, den Kannenfeldplatz, Das Derby gegen Birsfelden in der Diese Idee mag auf den ersten Blick etwas die Sportanlagen Schützenmatte, den Bahn- 26. und letzten Runde wird gleichzeitig das kühn wirken, ist aber keine neue Wunschvor- hof SBB, das St.-Alban-Tor, das Wettstein- Abschiedsspiel sein fr Pascal Stauber, den stellung des Initiativkomitees. Die Idee des quartier, das Erlenmatt-Areal und wieder ewigen Goalie des RTV. Telebasel überträgt Zollistegs findet sich auch im Teilrichtplan die Dreirosenbrücke lückenlos miteinander die Partie am 18. April (18 Uhr) live. Damit Veloverkehr, den die Basler Regierung im verbinden. nicht genug des heissen Handball-Früh- letzten Herbst verabschiedet hat und der in lings: Am 9. Mai trift der RTV in Olten im diesem speziellen Fall eine Forderung auf- Ein Übersichtsplan des geforderten Halbfinal des Schweizer Cups auf Bern Muri. nimmt, die um Jahrzehnte älter ist. Velorings: tageswoche.ch/+mdmqg × tageswoche.ch/+uqt3n ×

Gesehen von Tom Künzli

Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 40-Jährige wohnt in Bern.

TagesWoche 12/15 19 Buddy Elias Als Filmschauspieler war er auch inter- Reaktionen aus national tätig. Zuletzt spielte er unter der der Community Regie und an der Seite von George Clooney von Dan Wiener Die Stimme im deutsch-amerikanischen Spielfilm «Te • Buddy wird uns Monuments Men» mit, der 2014 in die Kinos sehr fehlen! kam. Er fhlte sich aber Zeit seines Lebens der Schwachen mit Basel eng verbunden. «Ich habe zwar viele Jahre im Ausland verbracht», sagte er ist verstummt der TagesWoche, «aber mein Zuhause blieb immer Basel.» Hier wurde er unter anderem von Dominique Spirgi von der Christoph Merian Stiftung mit dem «Basler Stern» ausgezeichnet, als Dank fr uddy Elias hat zwei Leben gefhrt, die Leistungen fr die Stadt. sagte er 2012 in einem Interview mit In Basel lebte er bis zu seinem Tod zu- B der TagesWoche. Auf der einen Seite sammen mit seiner Schauspielerkollegin blieb er unvergesslich als Schauspieler und sich im Tagebuch als grosse «Schriftstelle- Gerti Elias, die er 1965 geheiratet hatte. Er Eisclown, der selbst in den USA grosse Er- rin» erwiesen. hinterlässt zwei Söhne, die ebenfalls als folge feiern konnte. Auf der anderen Seite Elias – geboren 1925 – verbrachte die Schauspieler Karriere machten, und fnf kämpfte er als letzter überlebender Ver- ersten Jahre in Frankfurt am Main gemein- Enkelkinder. Als Bewahrer des Vermächt- wandter von Anne Frank und als Verwalter sam mit Anne Frank und emigrierte 1931 nisses von Frank trat er nicht nur als Mah- ihres literarischen Nachlasses auch gegen mit seiner jüdischen Familie nach Basel ner gegen das Vergessen auf. Er warb auch das Vergessen der grossen Verbrechen des und überlebte dort den Holocaust – im Ge- auf nachahmenswerte Weise fr Toleranz: Naziregimes an. gensatz zu seiner Cousine, die 1945 im KZ «Ich dulde viel, ausser Ignoranz oder blin- Am Dienstag ist nun Bernhard Elias, wie Bergen-Belsen an Typhus starb. den Nationalismus. Aber wichtiger als To- der Basler mit bürgerlichem Namen hiess, leranz scheint mir Akzeptanz, Humanis- kurz vor seinem 90. Geburstag in seinem «Mein Zuhause blieb immer Basel» mus, Liebe.» Und nicht nur das, wie der Heim verstorben. Seine Arbeit aber bleibt. Elias war ein weitgereister Mann. Als be- Anne Frank Fonds in seinem Nachruf fest- Zusammen mit dem Stiftungsrat die rühmter Eisclown bei «Holiday on Ice» stellt: «Er erhob die Stimme zugunsten der Herausgabe und Dramatisierung des Tage- reiste er 14 Jahre lang zusammen mit sei- Schwachen, Benachteiligten und Ausge- buchs seiner Cousine. Für Elias ist das nem damaligen Showpartner Otto Rehorek grenzten in der Gesellschaft.» × weltberühmte Tagebuch «zum Wichtigs- um die halbe Welt. Elias war bekannt aus ten» in seinem Leben geworden, wie er Fernsehserien wie «Schwarzwaldklinik», Das Interview der TagesWoche mit Elias: 2009 sagte. Seine «Spielkameradin» habe «Traumschif», «Tatort» oder «Bella Block». tageswoche.ch/+axfup ×

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TagesWoche 12/15 20 Fessenheim Manche Fessenheimer haben Angst vor der Schliessung des nahegelegenen Atomkraftwerks. Dann drohe die 2300-Seelen- Gemeinde zum Geisterdorf zu werden, befrchten sie. Eine Gemeinde an der atomaren Nabelschnur

Kämpft für das AKW: Claude Brender, Maire von Fessenheim. FOTOS: STEFAN BOHRER von Michel Schultheiss

er Bäckerin ist sofort klar, dass die Medien nicht wegen ihren Pâtisseries hier sind. «Gehts um das Atomkraftwerk?», fragt sie Dmit einem müden Lächeln, als wir den La- den betreten. «Darüber möchte ich nicht sprechen», sagt sie klipp und klar. Ähnlich barsch fallen die Reaktionen der meisten Passanten aus. Die Medienmüdigkeit sticht in Fessenheim deutlich hervor. Das wenige Leben konzentriert sich an diesem Freitagmorgen auf den Banko- maten, die Dorfmetzgerei und die Mairie. Mit den pittoresken Bauernhöfen und sei- nem etwas verschlafenen Dorfzentrum un- terscheidet sich die 2300-Seelen-Gemein- de nicht von einer typischen Elsässer Ort- schaft – wären da nicht die weiten Felder und Äcker mit unzähligen Strommasten. Anderthalb Kilometer vom kleinen Dorfern entfernt, ein Katzensprung von der deutschen Grenze, befindet sich das älteste noch in Betrieb befindliche Atom- kraftwerk Frankreichs. Zwar hat der französische Staatspräsident François Hollande nach seinem Wahlsieg die Stillle- gung Fessenheims bis 2017 angekündigt – die baldige Umsetzung des Versprechens ist jedoch nach wie vor ungewiss, auch wenn die französische Umweltministerin Ségolène Royal ihrer deutschen Amtskolle- gin erst gerade eine Bestätigung gab.

Heisses Eisen Dieses heisse Eisen, welche die Elsässer Gemeinde immer wieder ins Rampenlicht rückt, fasst man in «Fàssene» nicht gerne an. So sind auch im Restaurant «Chez Vale- rie» die Reaktionen zaghaft. Gestandene Herren treten ein, um Lottoscheine zu fas- sen. Ein Gast, der die Pferderennwetten studiert, ist anfnglich interessiert, gibt dann aber das Wort an einen Tischnach- barn weiter, doch auch dieser winkt ab. Nur ein Rentner auf der Strasse äussert sich re- signiert zu einer möglichen Schliessung des Kraftwerks: «Das liegt in den Händen der Politik», meint er schulterzuckend.

TagesWoche 12/15 21

Der älteste Meiler Frankreichs: Das AKW Fessenheim soll 2017 endlich vom Netz gehen – verspricht die Regierung Hollande.

In der Brasserie «Au bon frère» lassen sich schliesslich Leute finden, die sprechen wollen. Philippe und sein Sohn David geniessen das sonnige Wetter während ei- ner Mittagspause in der Gartenbeiz. Sie stammen aus einem benachbarten Dorf und arbeiten seit vielen Jahren als Isoliertechni- ker im AKW. David nimmt das Tema mit Humor und meint, dass es keineswegs so zu- gehe wie bei den Simpsons mit Mr. Burns.

Angst vor Arbeitslosigkeit «Wenn das Kraftwerk heruntergefahren wird, wird Fessenheim zum Geisterdorf», prophezeit David. Er selbst müsste sich je- denfalls einen neuen Job suchen, in einem normalen Handwerksbetrieb würde er etwa die Hälfte seines jetzigen Einkommens ver- dienen. Sein Vater Philippe, der schon seit etwa 30 Jahren in Fessenheim arbeitet, sieht die Gemeinde als Spielball der Politik. «François Hollande steht halt unter dem Druck der Ökologiebewegung innerhalb seiner Wählerschaft», analysiert er. Freundlich ist der Empfang auch in der Fessenheim ist schon heute eine ausgestorbene Gemeinde. Mairie. Fessenheims Bürgermeister C laude Brender schlüpft gleich nach der

TagesWoche 12/15 22 Bestattungsanzeigen Basel-Stadt und Region

Basel Trauerfeier im engs- Trauerfeier Freitag, se 230). Trauerfeier 14 Uhr, Abdankungs- Brévine NE (Reichen- send Urnenbeisetzung Aeschlimann-Schad, ten Kreis. 27. März, 15.30 Uhr, Freitag, 20. März, halle Friedhof Brom- steinerstrasse 55, APH auf dem Friedhof Ruth, geb. 1920, von Hogerzeil-Müller, Friedhof am Hörnli. 15 Uhr, St. Franziskus hübel, anschliessend Käppeli). Aschen- Muttenz. Basel BS (Brantgasse 5). Adelheid Esther, geb. Schaub-Lehner, Hans, Kirche, . Beisetzung. beisetzung Dienstag, Pratteln 31. März 2015, 14 Uhr, Wurde bestattet. 1926, von Basel BS geb. 1925, von Basel BS Zürneck-Wirthwein, Marzahn-Tschauner, Allegretti-Tibis, Sigrid, geb. 1946, aus Friedhof Muttenz, Artero-Diaz, José- (Horburgstrasse 54). (Meret Oppenheim- Dieter Norbert Wil- Grazia, geb. 1931, aus Deutschland (Brom- anschliessend Trauer- Antonio, geb. 1952 Wurde bestattet. Strasse 62). Trauerfeier helm, geb. 1935, von Italien (Bahnhofstras- hübelweg 15, Stiftung feier in der ref. Kirche aus Spanien (Gustav Huwiler, Paulina, Mittwoch, 25. März, Riehen BS (Inzlinger- se 37, APH Madle). Obesunne). Trauer- St. Arbogast, Muttenz. Wenk-Strasse 14). geb. 1910, von Basel BS 14.30 Uhr, ref. Kirche strasse 243). Trauer- Wurde bestattet. feier Sonntag, 22. März Fust-Rütsche, Hed- Wurde bestattet. (Fischerweg 2). Trauer- Stephanus. feier Mittwoch, Büchler-Bütler, Anna, 25. März, 15.30 Uhr, am Rhein in Basel. wig, geb. 1921, von Bailleux-Sütterlin, feier im engsten Kreis. Sieber, Veronika Rita, geb. 1922, von Hergis- geb. 1938, von Basel BS Friedhof am Hörnli. Trefpunkt 13.30 Uhr Muttenz BL und Jacqueline, geb. 1928, Jucker-Fuchs, Marga- vor dem Restaurant wil bei Willisau LU (Totentanz 10). Trauer- Allschwil Mosnang SG (Tram- (Bahnhofstrasse 37, von Allschwil BL retha Maria, geb. 1925, Papiermühle. strasse 83, APH Zum von Basel (Realpstras - feier im engsten Kreis. Hirt-Lauber, Gertrud, APH Madle). Abdan- (Sperrstrasse 100). Wegmann-Baumann, Park). Wurde bestattet. Trauerfeier im engs- se 19). Wurde bestattet. Steudler, Klara geb. 1918, von Bachs kung und Beisetzung Edith, geb. 1932, Hänzi, Gerhard Rolf, im engsten Familien- ten Kreis. Kaufmann-Steiner, Helena, geb. 1933, von ZH (Muesmattweg 33). Trauerfeier und von Bannwil BE geb. 1945, von Meinis- kreis. Bossart-Grepper, Josef Alfred Alois, geb. 1926, Basel BS (Sennheimer- Beisetzung Freitag, (Bromhübelweg 15, berg BE (Aufenthalt Kaspar, geb. 1927, von von Knutwil LU (Non- strasse 44). Trauerfeier Duppenthaler, Wer- 27. März, 10.30 Uhr. Stiftung Obesunne). im Alterszentrum Altishofen LU (Davids- nenweg 3). Wurde Montag, 30. März, ner, geb. 1926, von Besammlung Kapelle Trauerfeier im engs- Birsfelden). Urnenbei- bodenstrasse 59). bestattet. 14.30 Uhr, Friedhof Melchnau BE (Bahn- Friedhof Allschwil. ten Familienkreis. setzung im engsten Trauerfeier im engs- am Hörnli. hofstrasse 37, APH Kaufmann-Willin, Birsfelden Familienkreis. Madle). Trauerfeier ten Kreis. Elfriede Liesbeth, geb. Tschudin-Baumeister, Jauch-Lahner, Fran- ziska Katharina, geb. Wüest, Helene, geb. Holenweg-Sutter, Freitag, 27. März, Burkhalter-Stoll, 1935, von Basel BS Clara, geb. 1925, von 1934, von Silenen UR 1925, von Brittnau AG Rudolf, geb. 1924, von 14 Uhr. Besammlung Irmgard, geb. 1925, (Im Surinam 83). Lausen BL (Nufenen- (Baselmattweg 198). (Am Stausee 16). Muttenz BL und Dorfirche Biel-Ben- von Langnau im Trauerfeier Mittwoch, strasse 53). Trauerfeier Beisetzung im engsten Abdankung im engs- Herzogenbuchsee BE ken, Kirchgasse 4, Emmental BE (Lau- 25. März, 13.30 Uhr, im engsten Kreis. Familienkreis. ten Familienkreis. (Reichensteinerstras- anschliessend Beiset- fenstrasse 46). Wurde Friedhof am Hörnli. Vökt-Wiederkehr, Pius Hölstein se 55, APH Käppeli). zung auf dem Friedhof bestattet. Krayer-Mosimann, Johann, geb. 1924, Minkowska, Jadwiga Wurde bestattet. Biel-Benken. Aleksandra, geb. 1918, Döbeli-Rudin, Hans, Cseh, Gabor Heinrich, Elisabeth, geb. 1918, von Basel BS (Hirz- brunnenstrasse 113). von Seltisberg BL und geb. 1926, von Seon AG Jourdan-Christen, Laubscher, Max, geb. geb. 1962, von Rudolf- von Basel BS Hulda, geb. 1930, von 1935, von Täufelen BE (St..Alban-Vorstadt 85). Wurde bestattet. Basel BS (Muesmatt- (Hauptstrasse 29). stetten-Friedlisberg Trauerfeier Mittwoch, Muttenz BL und (Hauptstrasse 21). Trauerfeier im engs- Willimann-Cina, weg 33). Trauerfeier AG (Gellertstrasse 45). 25. März, 14 Uhr, Lupsingen BL (Tub- Abdankung Mittwoch, ten Kreis. Alfred Franz, geb. und Beisetzung im Wurde bestattet. engsten Familien- und ref. Kirche. husweg 8). Urnen- 1. April, 14 Uhr. Künzi-Streuli, Ursula 1926, von Basel BS beisetzung Mittwoch, Besammlung Friedhof Elias-Wiedner, Bern- Freundeskreis. Lausen hard Paul Erich, geb. Ruth, geb. 1939, von (Mülhauserstrasse 35). 1. April, 14 Uhr, Fried- Blözen, Abdankungs- Basel BS (Friedrich Wurde bestattet. Schiele-Degen, Ger- De Luca-Fischbacher, hof Muttenz, an schlies- kapelle. 1925, von Basel BS hard Werner, geb. 1924, (Herbstgasse 11). Oser-Strasse 10). Ilse, geb. 1934, von send Trauerfeier Schultheiss, Johann, aus Deutschland Zürich ZH (Brühl- Trauerfeier im engs- Wurde bestattet. Buchheit-Schupp, in der ref. Kirche geb. 1940, von Düdin- (Binningerstrasse 45). strasse 14). Bestattung St. Arbogast, Muttenz. ten Kreis. Kuronen-Weinmann, Arlette Juliette Beisetzung im engsten gen FR (Vogelmatt- im engsten Familien- strasse 26). Abdankung Ernst-Brenzikofer, Niilo Toivo, geb. 1934, Hélène, geb. 1924, von Familienkreis. kreis. Letzkus-Dinkel, Paul, aus Finnland (Wasgen- Binningen BL (Chri- geb. 1922, von Gerla- und Beisetzung im Gertrud Katharina, Schmid-Leuenberger, geb. 1924, von Basel BS ring 90). Trauerfeier schonarain 135). Trau- Münchenstein fingen SO und Basel engsten Familienkreis. im engsten Kreis. erfeier im engsten Johanna, geb. 1929, Brugger-Leutwyler, BS (Germanenweg 4). (Burgfelderstrasse 34). von Allschwil BL und Reinach Trauerfeier im engs- Meyer-Heizmann, Kreis. Kurt Moritz, geb. 1925, Trauerfeier Mittwoch, Meury, Werner, geb. Stafelbach AG (Mues- von Weinfelden TG 25. März, 14 Uhr, ref. ten Kreis. Karl Ulrich, geb. 1924, Riehen mattweg 33). Trauer- 1957, von Reinach BL von Basel BS (Lange (Waidsteinstrasse 10). Kirche St. Arbogast, (Baslerstrasse 10, Glanzmann, Marcel, Dinger-Röthlisberger, feier und Beisetzung Abdankung und Muttenz. Aschen- geb. 1944, von Basel BS Gasse 5). Trauerfeier Alfred, geb. 1914, von Mittwoch, 1. April, Terwil). Wurde im engsten Kreis. Urnenbeisetzung beisetzung zu einem beigesetzt. und Escholzmatt LU Basel BS (Kornfeld- 10.30 Uhr. Besamm- Freitag, 20. März, späteren Zeitpunkt im (Dorfstrasse 26). Minder-Gasser, strasse 27). Trauerfeier lung Kapelle Friedhof 14 Uhr, ref. Dorfirche, engsten Familienkreis. Trauerfeier Mittwoch, Friedrich Walter, Dienstag, 31. März, Allschwil. Kirchgasse 2, Mün- Meyer, Bruno, geb. 25. März, 11.30 Uhr, geb. 1917, von Basel BS 14.30 Uhr, Friedhof Arlesheim chenstein Dorf. Friedhof am Hörnli. (St..Jakobs-Strasse 201). am Hörnli. 1969, von Muttenz BL Gruber, Carlo, geb. Gysin-Kobel, Elisa- (Untere Hauptgasse 6, Gubler, Lotti, geb. 1931, Trauerfeier im engs- Leuenberger-Loeb, ten Kreis. 1933, von Arlesheim beth, geb. 1944, von Tun). Urnenbeiset- von Lostorf SO (Her- Adolf Ernst, geb. 1924, BL (Dorfplatz 4). Wittinsburg BL und zung im engsten rengrabenweg 64). Neuhaus, Ulrich von Huttwil BE (Inz- Bestattung im engsten Münchenstein BL Familienkreis. Trauerfeier im engs- Hans, geb. 1949, von lingerstrasse 230). Familienkreis. (In der Einhägi 7). Recher-Eidam, ten Kreis. Gals BE (Holeestras- Trauerfeier Mittwoch, Abschied im engsten se 7). Wurde bestattet. 25. März, 10.30 Uhr, Herzog-Rupp, Hed- Evelyne Anna, geb. Häfele-Egger, Johann wig, geb. 1926, von Familien- und Freun- 1935, von Lenk BE und Friedhof Allschwil. deskreis. Friedrich, geb. 1927, Oswald-Heinis, Ennetbaden AG und Basel BS (Kreuznagel- von Basel BS (Weiher- Jeanne, geb. 1926, von Ohnemus-Peterhans, Pffers SG (Brom- Muttenz weg 6). Trauerfeier weg 92). Trauerfeier Basel BS (Hammer- Agnes Eugenia, geb. hübelweg 15, Stiftung Bohny, Max Oskar, Donnerstag, 26. März, Freitag, 20. März, strasse 88). Trauerfeier 1928, von Riehen BS Obesunne). Trauer- geb. 1923, von Muttenz 14 Uhr, ref. Kirchge- 15 Uhr, Marienkirche, Freitag, 20. März, (Römerfeldstrasse 17). feier Mittwoch, BL, Basel BS und meindehaus Feld- Holbeinstrasse 28, 15.30 Uhr, Friedhof Trauerfeier im engs- 25. März, 14 Uhr im Frenkendorf BL reben. Urnenbeiset- Basel. am Hörnli. ten Kreis. Dom Arlesheim, (Baumgartenweg 47). zung im engsten Häusler-Nesovic, Reichen, Robert Fritz, Ryffel, Regula Rosa, anschliessend Beiset- Trauerfeier Freitag, Familienkreis. Franz, geb. 1924, von geb. 1952, von Frutigen geb. 1939, von Lostorf zung auf dem Friedhof 20. März, 14 Uhr, ref. Uebelhart-Rossier, Rüschegg BE (Bünd- BE (Luzernerring 94). SO (Im Glögglihof 15). Bromhübel. Kirche St. Arbogast, Bernhard, geb. 1934, nerstrasse 54). Wurde Trauerfeier im engs- Trauerfeier Dienstag, Leuthardt-Kestenholz, Muttenz. Urnenbei- von Welschenrohr SO bestattet. ten Kreis. 24. März, 13.30 Uhr, Hanna Lydia, geb. setzung im engsten (Schützenhausstrasse Herzog-Funck, Kurt, Rolle-Truttmann, Friedhof am Hörnli. 1925, von Arlesheim Familienkreis. 36). Trauerfeier Mitt- geb. 1933, von Basel BS Maria Agathe, geb. Sartori-Mangili, BL (Pumpwerkstras- de Montmollin, Reine woch, 25. März, 14 Uhr, und Möhlin AG (Türk- 1928, von Basel BS Vittore, geb. 1922, aus se 3). Trauerfeier Sonia, geb 1920, von röm.-kath. Kirche heimerstrasse 5). (Lothringerstrasse 55). Italien (Inzlingerstras- Mittwoch, 8. April, Le Locle NE und La Muttenz, anschlies-

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Fast ganz vom AKW abhängig: Jeder zwölfte Einwohner von Fessenheim ist beim AKW angestellt.

Begrüssung im Büro in ein weisses Protest- einem allflligen Machtwechsel hat Sar- gewisse Verbitterung durch den Druck der T-Shirt und posiert damit lächelnd zwi- kozy das Weiterbestehen des Kraftwerks Presse – die Medien bevorzugen stets dieje- schen den Flaggen: «Geschlossenes Atom- zugesichert», sagt Maire Brender. Mindes- nigen, die gegen Fessenheim protestieren», kraftwerk = tote Region» ist darauf zu lesen. tens zehn zusätzliche Betriebsjahre soll ist der Maire überzeugt. «Es ist wahrscheinlich, dass das Kernkraft- Sarkozy versprochen haben. werk Fessenheim geschlossen wird», meint Auch mit den Gegnern des Kernkraft- Ideologische Mauer der Maire. Sollte dies eintrefen, sieht er werks hat Claude Brender viel zu tun. Er er- Dabei ist Brender aber zuversichtlich, schwarz fr die Gemeinde. hält regelmässig Post – viele atomkritische dass das AKW durchaus fr die nächsten Broschüren liegen auf seinem Schreibtisch. Jahre den modernen Standards angepasst Sarkozy verspricht weitere zehn Jahre Auch wenn von Kritikern unter anderem werden könne, wenn man nur wolle. Er Nicht nur fr die rund 300 Fessenhei- auf das Alter wie auch auf die Erdbeben- hoft auf die staatliche Elektrizitätsgesell- mer, die dort arbeiten, sondern fr die ge- und Hochwassersicherheit hingewiesen schaft Électricité de France und die Behör- samte Region hätte dies Konsequenzen. wird, relativiert er: «Kernkraftwerke wie de fr nukleare Sicherheit. Vieles hängt da- «Es stehen rund 2200 Arbeitsplätze auf dem Beznau sind schliesslich älter – im Ver- bei vom neuen Druckwasserreaktor beim Spiel», hält Brender fest. Weite Teile des Ge- gleich dazu ist Fessenheim viel näher bei Kernkraftwerk Flaman ville in der Norman- werbes und der Infrastruktur hingen daran. den Sicherheitsstandards.» die ab. Kommt dieser in Betrieb, wird als Zudem sorge das AKW fr den Löwenanteil Kompensation ein anderes geschlossen. des Geldes in der Gemeindekasse – laut Der Maire von Dass dabei Fessenheim heruntergefahren Brender etwa 80 Prozent des Budgets. wird, gilt als wahrscheinlich, ist aber in den Zur Verteidigung der in die Jahre ge- Fessenheim wirft den Augen von Brender noch nicht in Stein ge- kommenen Reaktoren wurde daher von meisselt. Gewerbevertretern das Aktionskomitee AKW-Gegnern «gezielte Auf dem Schreibtisch des Bürgermeis- «Fessenheim notre énergie» ins Leben ge- ters steht eine Schneckenfigur – das Tier, rufen. Schützenhilfe fr die AKW-Befr- Angstmacherei» vor. das auch im Wappen der Gemeinde zu worter kommt von prominenter Stelle. Der sehen ist. Ein Gehäuse scheint auch die Ge- ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy Zudem wirft er den Gegnern gezielte meinde von Paris zu trennen, wie der Maire hat dem Elsässer Dorf am 12. März einen Angstmacherei vor. «Man kann doch eine feststellt. «Es besteht halt eine ideologische Besuch abgestattet. Der Abgeordnete der Technologie nicht auf ihre Unflle reduzie- Mauer zwischen uns und der Regierung.» Nationalversammlung Michel Sordi ren», meint er. So sei etwa der Dichtungs- Dabei wähnt er mindestens 90 Prozent der (UMP), welcher das Anliegen ebenfalls un- defekt Ende Februar von AKW-Gegnern Bevölkerung Fessenheims hinter sich. Zu- terstützt, hat ihn ins Elsass geholt. falsch dargestellt worden – etwa mit dem mindest sei ihm bis jetzt im Dorf noch nie- Für das angekündigte Comeback bei Gerücht, es sei radioaktive Flüssigkeit aus- mand begegnet, der sich öfentlich gegen den Präsidentschaftswahlen 2017 wittert getreten. Dies erkläre auch die abweisen- das Atomkraftwerk gestellt hat. dieser nämlich Morgenluft im Elsass. «Bei den Reaktionen im Dorf. «Es herrscht eine tageswoche.ch/+7wazm ×

TagesWoche 12/15 24 Bildstoff 360° tageswoche.ch/360

Chongqing Vier Stockwerke waren zu viel: Dieses acht Monate alte Kätzchen hat bei einem Sturz seine Hinterbeine verloren. Einer Notoperation und zwei Rädern v erdankt es die neue Mobilität. CHINA DAILY /REUTERS

Tokio Der kommende Herbst und Winter werden eine haari- ge Angelegenheit, wenn man der Kollektion von Designer Takafumi Tsuruta an der Tokyo Fashion Week Glauben schenkt. Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten. YUYA SHINO /REUTERS

Frankfurt Die Eröffnung der Europäischen Zentralbank war eine heisse Angele- genheit. Ein grosses Polizeiaufgebot traf am 18. März auf die angestaute Wut von Antikapitalisten. KAI PFAFFENBACH/ REUTERS

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Genf Carla del Ponte hat noch immer den Durchblick, nun ermittelt sie für die UNO in Syrien. Am 17. März stellte sie die neusten Resultate der Sonderkommission in Genf vor. SALVATORE DI NOLFI/EPA

Port Vila Das Insel-Idyll Vanuatu wurde von einem ver- heerenden Sturm heimgesucht. «Pam» verwüstete die Bibliothek in der Hauptstadt. Aber nicht nur diese: Zwei Drittel der Insel im Süd- pazifik leiden unter den Sturm- folgen. NGOs warnen vor Krank- heiten und Hunger als Folge. EDGAR SU/REUTERS

TagesWoche 12/15 26 Nachrichtendienst-Gesetz von Jeremias Schulthess Mails, Facebook-Nachrichten, Whats- m Montag bestätigte der Natio- nalrat die grundsätzliche Hal- App: Der Nachrichtendienst soll künftig tung des Bundesrats, der dem Nachrichtendienst mehr Kom- Zugrif auf intimste Daten haben. Apetenzen geben will. In Zukunft soll der Nachrichtendienst verwanzen und abhö- ren, auch wenn kein Verdacht auf eine strafllige Handlung besteht. Der umstrittenste Punkt des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG) betraf Der Bürger soll die sogenannte Kabelaufklärung. Mit der Kabelauflärung soll der Schweizer Geheimdienst die Möglichkeit erhalten, den grenzüberschreitenden Internetver- kehr auf Schlagworte zu durchsuchen. gläsern werden Konkret heisst das: Jede E-Mail, jede Handynachricht, die über die Grenze hinweg verschickt wird, darf der Nachrich- tendienst künftig nach Stichwörtern durch-suchen. Die Kritiker des Gesetzes monieren, damit seien praktisch alle digitalen Kom-

Big Brother lässt grüssen: Die Kommunikation der Schweizer soll künftig fast grenzenlos abgehört werden dürfen. FOTO: BEN BIRCHALL

TagesWoche 12/15 27 Kommentar munikationskanäle betrofen, da fast der gesamte Internetverkehr über die Landes- grenzen hinweg läuft. Wer seine Nachrich- Das Nachrichtendienstgesetz folgt dem ten beispielsweise über den Internetdienst WhatsApp schreibt, wäre betrofen, da die Grundsatz: mehr Überwachung fr mehr Server von WhatsApp nicht in der Schweiz stehen. Sicherheit. Das ist widersinnig. Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli meinte, bei der Kabelauflärung gehe es darum, «ob der Nachrichtendienst Mini- NSA spielen darf». Er wollte den Artikel deshalb aus dem NDG streichen. Mit den zusätzlichen Daten werde bloss der Heuhaufen grösser, der Nachrichten- dienst würde die Nadel aber nicht einfa- cher finden, so Glättli. Sein Antrag zur Streichung der Kabelauflärung scheiter- as Wort «Terror» hatte an der te mit 116 zu 67 Stimmen. Debatte zum Nachrichten- dienstgesetz (NDG) Hochkon- Der Geheimdienst junktur. Wer die Wortproto- Dkolle zur NDG-Debatte durchsieht, findet soll den ganzen Internet- 62 Einträge zum Wort «Terror». Auf die Gesamtzeit der Nationalratsdebatte herun- verkehr, der über die tergerechnet heisst das: Im Durchschnitt Jeremias Schulthess ist Redaktor alle fnf Minuten erwähnten die Redner der TagesWoche Grenzen hinweg läuft, Terror, Terrorismus, Terroristen und so tageswoche.ch/+adohl weiter. abhören dürfen. Im NDG, das der Nationalrat am Diens- wachung durch US-amerikanische Ge- tag guthiess, taucht der Begrif vergleichs- heimdienste. Ebenfalls umstritten war, ob der Nach- weise selten auf. Der primäre Zweck ist die Und nun wollen Politiker die Raupe mit richtendienst sich im virtuellen Raum ver- «Sicherung der demokratischen und riesigen Datensätzen füttern. Mit der teidigen dürfe. Roland Fischer von der rechtsstaatlichen Grundlagen». Terror- Kabel aufklärung darf der Nachrichten- grünliberalen Partei stellte infrage, ob der abwehr ist ein wichtiges Betätigungsfeld, dienst praktisch jegliche Internetkom- Artikel zur Cyber-Abwehr überhaupt in das aber längst nicht das einzige. munikationen nach Schlagwörtern Nachrichtendienstgesetz gehöre. Der Der Terrorismus, so scheint es, wird in durch suchen. Hat der Nachrichtendienst Nachrichtendienst brauche nicht elektro- der politischen Debatte als Vorwand be- überhaupt die Kapazitäten, die Berge an nische Kriege zu fhren, er habe in erster nutzt, um die Überwachung auszuweiten. Daten sinnvoll zu verwerten? Wie arbeitet Linie präventive Aufgaben. Mehr Überwachung gleich mehr Sicher- der Nachrichtendienst mit der Polizei, mit Der Cyber-War-Artikel wurde im Vor- heit: Das ist das ewige Dogma der «Sicher- internationalen Fahndern, mit Psycholo- feld auch von Internetexperten kritisiert. heitsesoteriker», wie sie der Datenschützer gen, Schulsozialarbeitern zusammen? Martin Steiger von der Digitalen Gesell- Martin Steiger nennt. Fragen, die auch nach der Annahme des schaft sagte Anfang Februar, die Schweiz NDG ofen bleiben würden. begebe sich damit in Teufelsküche. Es ist nicht falsch, Der Nachrichtendienst soll die Bürge- «Was heisst es überhaupt, einen Cyber- rinnen und Bürger schützen. Aber muss er war zu fhren? Attackiert die Schweiz dann den Nachrichtendienst dazu ihre E-Mails und Facebook-Nachrich- einen anderen Staat im digitalen Raum?» ten durchforsten? Mit der Kabelauflärung Angesichts der Schweizer Neutralität sei im Gesetz zu verankern. enthält das NDG ein Instrument, das in dies äusserst brisant. Auch diesem Artikel k einem Verhältnis zwischen Mittel und stimmte der Nationalrat zu. Nur sollten die Mittel Zweck steht. Der Nachrichtendienst schiesst mit Streumunition auf unsichtbare Die linke Allianz verliert reiflich geprüft werden. Spatzen. Die Allianz zwischen Grünen und SP «Es ist nicht falsch, den Nachrichten- setzte sich im Nationalrat nicht durch. CVP, Der Nachrichtendienst soll laut NDG dienst im Gesetz zu verankern. Aber die BDP, FDP und SVP stimmten – mit wenigen die Bürgerinnen und Bürger schützen. Instrumente, die der Nachrichtendienst Ausnahmen – geschlossen fr die umfas- Ja, vor was eigentlich? Ginge es nur um erhält, sollten zuerst reiflich geprüft wer- senden Kompetenzen des Nachrichten- Terrorismus, so gäbe es einfachere Mittel: den. Es ist verständlich, dass Staatsschüt- dienstes. Grundsätzlich gegen das Gesetz mehr Polizisten, mehr Fahnder, mehr zer alle Daten wollen, die sie kriegen kön- waren nur die Grünen. Die SP stimmte zu internationale Zusammenarbeit. Und nen. Die Politik sollte ihnen aber Einhalt Beginn der Eintretensdebatte fr das NDG. das wahrscheinlich effektivste Mittel: gebieten. Nicht nur der Nachrichtendienst Nachdem keine Änderungen vorgenom- mehr Sozialarbeiter an sozialen Brenn- sollte die Bürgerinnen und Bürger schüt- men wurden, stimmten die SP-National- punkten. zen – die P olitiker müssen die Bürger auch räte dagegen. Damit verdienen sich Politiker aber kei- vom Nachrichtendienst schützen. × Der Ständerat wird voraussichtlich in ne Lorbeeren. Wer das Sicherheitsdogma der Sommersession über das NDG ent- nachbetet, wird von den Bürgerinnen und scheiden. Falls der Zweitrat das Gesetz in Bürgern gehört. Ja, der tut etwas, heisst es dieser Form ebenfalls durchwinkt, ist es ab- dann. Und diejenigen, die gegen mehr sehbar, dass die Stimmbürgerinnen und Überwachung sind und mehr Sozialarbei- Stimmbürger an der Urne darüber ent- ter fordern, stehen schön blöd da, wenn ein scheiden werden. SP-Nationalrat Cédric Terroranschlag geschieht. Wermuth deutete dies bereits während den Der Nachrichtendienst dagegen nimmt, Abstimmungen im Nationalrat an. was er kriegt. Er ist eine Raupe Nimmersatt – tageswoche.ch/+d2kym × das zeigt das Beispiel der e xtensiven Über-

TagesWoche 12/15 28 Interview Christian Levrat Der Präsident der SP Schweiz über Abstimmungsniederlagen, die Gefahren von rechts und neue Ideen gegen die Krise. «Wir verkörpern die Schweiz der Solidarität» von Jeremias Schulthess und Renato Beck

arteipräsidenten sind ein eigener demokraten zu den Wahlsiegern. Damit ver- kann ich nachvollziehen, ich würde das an Menschenschlag. Immer eine stummten auch die internen Kritiker, die ihrer Stelle wahrscheinlich auch tun. Wenn Spur zu laut, immer die Schlag- Levrat fr zu leichtgewichtig hielten. ich trocken analysiere, komme ich zum zeile im Kopf, immer auf der Kan- Christian Levrat, was läuft gerade Schluss: Die Leute haben im Moment ein- Pte zwischen Populismus und Prägnanz. schief bei der Linken? In Basel handelte fach unglaublich Angst vor Veränderungen. Christian Levrat weiss, wann er welchen sich die SP eine unerwartete Abfuhr mit Werden linke Projekte in unsicheren Ton trefen muss. Der immer noch erstaun- der eigentlich mehrheitsfähigen Zeiten als Luxus abgetan? lich junge Präsident der SP Schweiz be- Initiative für eine Wohnbaustiftung ein. Das betrift nicht nur linke Ideen, es be- herrscht auch in der Fremdsprache Die Niederlage hat viel mit dem Zeitgeist trift alles, was nach Veränderung aussieht. Deutsch die scharfe Rhetorik. Die Grün- zu tun. Initiativen und Reformen haben seit Ich bin zufrieden mit der klaren Ablehnung liberalen verspottet er im Interview als dem 9. Februar 2014 einen schwierigen der CVP-Familieninitiative und der von der Zauberlehrlinge, die CVP bezichtigt er des Stand, die Verunsicherung ist gross. Aber es GLP geforderten Energiesteuer. Aber die Klientelismus und die SVP, an der, daran hat mich etwas überrascht, dass es gerade Deutlichkeit ist nicht nur positiv zu werten. lässt der Fribourger keine Zweifel, wird die dieses Projekt erwischt hat. Bei den letzten Sie ist auch Ausdruck der Ablehnung von Schweiz zugrunde gehen. Abstimmungen über ähnliche Initiativen, Veränderungen. Die Leute haben gemerkt, Levrat ist einmal mehr unter Druck. Das selbst in bürgerlichen Kantonen, haben wir dass Sie am 9. Februar 2014 einen Bock ge- Wahlprogramm seiner Partei wird als zu sehr gute Ergebnisse erzielt. schossen haben, seither haben sie null Lust zahm taxiert, Niederlagen wie unlängst im Ein Anzeichen dafür, dass die Domi- auf Abenteuer. Reformprojekte, egal ob Baselbiet rufen die rechten Kommentato- nanz der SP in Basel-Stadt wackelt? von links oder von rechts, haben es gerade ren – und noch schlimmer fr Levrat: die Das glaube ich nicht, wenn ich mir das sehr, sehr schwer. Politologen – auf den Plan, die der SP kei- Wahlverhalten der Basler insgesamt an- Sie glauben nicht an eine allgemeine nen guten Wahlausgang im Herbst voraus- schaue. Unsere Gegner versuchen, die Nie- «Initiativmüdigkeit», wie sie Politologe sagen. Doch man sollte Levrat nicht unter- derlage als Wende auszulegen, gerade im Claude Longchamp konstatiert? schätzen. 2008 übernahm er das Präsidium Zusammenhang mit den missglückten Nein. Politologen brauchen immer eine der SP, drei Jahre später zählten die Sozial- Regierungsratswahlen im Baselland. Das Erklärung fr alle möglichen Ereignisse

TagesWoche 12/15 29 Christian Levrat Der 44-jährige Fribourger führt seit 2008 die SP Schweiz. Unter dem scharfen Rhetoriker konn- ten die Sozial- demokraten national zulegen. Seine politische Karriere begann der studierte Jurist und Politik- wissenschaftler bei den Jung- freisinnigen. Seit 2012 vertritt er seinen Heimat- kanton im Stän- derat. Levrat ist verheiratet und hat drei Kinder.

«Die Leute haben im Moment einfach unglaublich Angst vor Veränderungen.» FOTO: FRANZISKA SCHEIDEGGER

TagesWoche 12/15 30 und Phänomene, die auf irgendwelchen abstrakten Konzepten gründen. Das über- zeugt mich nicht. Seit drei Monaten bin ich fast jeden Abend in einem Saal irgendwo in der Schweiz. Was ich dort spüre, das ist die Angst vor der Zukunft und das schlechte Gewissen nach dem 9. Februar 2014. Auch die SP bedient die Abstiegsangst. Ihr Programm zielt auf Besitzstand- wahrung. Man will sichern, was man hat und macht keine gewagten Schritte. Ich finde unser Wahlprogramm mutig. Wir haben darauf verzichtet, Floskeln ein- zubauen wie «Wir wollen den bilateralen Weg beibehalten». Das hätte uns viel Kritik erspart, ist aber derart nichtssagend, dass wir es uninteressant gefunden haben. Ihre Wähler fänden es vielleicht interessant. Sie können mich alles fragen zu Europa, jederzeit. Ich finde es einfach langweilig, ununterbrochen die gleiche Botschaft zu wiederholen. Wir haben uns im Gegensatz zu anderen Parteien im Wahlprogramm auf konkrete Projekte konzentriert. Zum Bei- spiel wollen wir ältere Arbeitnehmer besser schützen. Wenn wir dort nichts tun, dann schrumpft das Vertrauen in die Behörden weiter. Die Leute fhlen sich im Stich gelas- sen. Sie haben den Eindruck, dass die Poli- tik nicht versteht, was auf dem Arbeits- «Unsere Wähler sind sicher anspruchsvoller als jene der SVP.» FOTO: FRANZISKA SCHEIDEGGER markt abläuft, sie haben Abstiegsängste. Jedenfalls ist das Wahlprogramm nicht von 1848. Dort haben wir klar Position bezo- ma.» Ich sehe es nicht so und lade Sie noch- visionär oder revolutionär. gen. Wir werden unseren Wahlkampf der mals dazu ein: Stellen Sie Fragen dazu. Revolutionär sind wir seit 1915 nicht Auseinandersetzung zum Bild der Schweiz Wie kommt Ihre Bundesrätin Simo- mehr. Als sich Robert Grimm mit Lenin an widmen. Die zehn Projekte, die wir machen, netta Sommaruga aus dem Schlamas- der Zimmerwaldkonferenz zerstritt, hat die kommen aus der Überzeugung, dass die sel mit der EU heraus? SP Schweiz ihren Weg gewählt. Wir sind Wähler mehr von uns erwarten als einfach Wir haben den Entscheid des Bundes- keine revolutionäre Partei. ein Plädoyer fr eine ofene Schweiz. Die rats begrüsst, was auch zeigt, dass wir eine Aber visionär? Wähler erwarten, dass wir konkrete Projekte klare Haltung in dieser Frage haben. Der Sicher. Und zwar im besten Stil der fr die kommende Legislatur vorantreiben. Bundesrat hat den richtigen Weg aufge- So zialdemokratie. Wir sind fr Reformen, So gesehen, sind unsere Wähler sicher an- zeigt. Für Drittstaaten-Angehörige gelten die den Kern unserer Gesellschaft betref- spruchsvoller als die Wähler der SVP, denen Inländervorrang und Kontingente wie bis fen. Es sind keine Marketingelemente oder es ofensichtlich reicht, ein paar Schweizer jetzt. Wenn die EU sich weigert, die Perso- Modeerscheinungen, mit denen wir Politik Fähnli vor die Nase gehalten zu bekommen. nenfreizügigkeit zu verhandeln, dann hat machen. Wir sprechen über den Generatio- die Personenfreizügigkeit Vorrang. Das hat nenvertrag, über die Verteilungsfrage, über «Wir sind die einzige der Bundesrat festgehalten. Energiewende, Familienpolitik – damit Die EU wird kaum verhandeln, die SVP ändern wir die Gesellschaft in ihrer Tiefe. grosse Partei, die wird wettern, wenn der Bundesrat die Sagen wir es so, Sie haben zehn Initiative nicht umsetzt. Punkte im Wahlprogramm, die SVP der SVP Paroli bietet.» Der Widerstand der SVP ist vor allem einen: die Schweiz zu verteidigen – Wahlkampfgetöse. Ich glaube indes, dass gegen was auch immer. Ein Thema ist Fakt ist auch: Sobald die SP die The- die Partei damit auf verlorenem Posten einfacher zu verkaufen als zehn. men Asyl, Migration und EU anpackt, steht. Die Masseneinwanderungsinitiative Auch in dieser Grundsatzfrage schafen verliert sie. ist ein folgenschwerer Unfall, der so nicht wir es, die Leute anzusprechen. Ich bin Was wollen Sie dazu wissen? Wir ver- geplant war. Sie wurde angedacht als Min- überzeugt, dass es die zentrale Auseinan- meiden keine Temen, wie Sie behaupten. derheitsposition, sie sollte die Opposition dersetzung im Wahlkampf sein wird, wel- Das ist allgemeiner Konsens. der SVP bekräftigen. Sie wurde nie als ef- che Schweiz wir wollen. Die Wahl wird das Dann biete ich Ihnen die Möglichkeit, fektive Verfassungsbestimmung konzipiert. Bild der Schweiz bestimmen. Ist es das na- mir dazu Fragen zu stellen. Sie werden fest- Nach dem 9. Februar 2014 hat man tionalkonservative Bild? Die Schweiz, die stellen, dass wir zu all diesen Fragen konso- hinter vorgehaltener Hand selbst in die Menschenrechtskonvention kündigt, lidierte Positionen haben. Wir haben der SVP Befürchtungen geäussert, der die Bilateralen opfert, eine Schweiz die es Monate verbracht, darüber zu sprechen. Bei Entscheid könnte der Partei schaden. zulässt, dass Flüchtlinge im Meer ertrinken. den Medien finden wir dafr kein Gehör. Bei kantonalen Wahlen, etwa in Oder ist es die Schweiz der Ofenheit, der Sie wollen das nicht zur Kenntnis nehmen. Baselland oder Bern, legte die Partei Solidarität? Diese Schweiz verkörpern wir. In der Zwischenzeit ist die Medienszene so aber weiter zu. Der Showdown zwischen SVP und SP? weit, dass, wenn die SP diferenziert über Ich bin überzeugt, dass der Entscheid Wir sind die einzige grosse Partei, die der Europa spricht und einen breiten Optio- vom 9. Februar der Partei massiv schadet. SVP Paroli bietet. Die CVP betreibt nenbericht fordert, die Pushmeldung raus- Mit ihrer neuesten Volksinitiative zur Kün- K lientelismus, die FDP ist orientierungslos geht: «SP will sofort der EU beitreten.» Und digung der Menschenrechtskonvention in dieser Auseinandersetzung zwischen den wenn wir das nicht umgehend dementie- begeht die SVP einen weiteren politischen Schweizer Werten von 1291 und den Werten ren, heisst es: «Die SP vermeidet das Te- Fehler. Sie bringt eine Initiative, die ausser

TagesWoche 12/15 31 den harten Kern ihrer Wählerschaft prak- Aber die Realität spricht sicher fr eine Mo- Das ist die grosse Auseinandersetzung tisch niemanden anspricht. Die SVP hat tion oder eine parlamentarische Initiative. im Wahljahr. Ich gehe davon aus, dass wir sich radikalisiert, marginalisiert. Oder eine Volksinitiative? vor einer Richtungswahl stehen, es ist die Der Wahlkampf könnte darauf hinaus- Nein, das wäre dann ein richtiges Pro- Wahl zwischen Nationalisten und einer laufen, wer die beste Lösung gegen die jekt. Aber ein solches starten Sie nicht ein- offenen Schweiz der Solidarität. Wir Frankenstärke präsentiert. Welche fach am Sonntagmorgen in der Zeitung. Es verkörpern diese Schweiz der Solidarität Rezepte haben Sie? muss in eine Gesamtstrategie eingebettet und der Öfnung. Was mich manchmal Wir haben vier Punkte: neuer Euro-Min- werden. Wir nehmen fr uns in Anspruch, deprimiert, ist, dass wir es weitgehend destkurs, Gelder für Innovation, keine unsere Initiativen langfristig zu planen und alleine tun müssen. Die FDP war in ihrer Lohnsenkungen und die Weitergabe von in eine Kampagne einzubetten. historischen Prägung eine progressive tieferen Importpreisen. Das sind konkrete Reden wir über Ihre Zukunft. Wie Partei. Derzeit ist sie jedoch völlig orientie- Massnahmen, die wir vorschlagen. Was wir lange machen Sie Ihren Job als Partei- rungslos. Die Partei kann sich nicht zwi- nicht brauchen, das sind Glaubenskriege. präsident noch? schen Blocher und dem bilateralen Weg Sie meinen Grundsatzfragen: mehr Ich mache gerne, was ich mache. Nach entscheiden. Wir haben sie als Verbündete Staat, weniger Staat. den Wahlen entscheide ich, ob ich noch fr fast verloren. Was ich von rechts wahrnehme, ist zur- vier weitere Jahre zur Verfgung stehe oder Die FDP bezieht Position in der EU- zeit nur Ideologie. Bürgerliche machen De- nicht. Die Frage ist: Führe ich die Partei in Frage. Philipp Müller betont immer regulierungsgipfel, planen Steuersenkun- die Wahlen 2019 oder nicht? wieder, wie wichtig die Bilateralen gen. Das hat nichts mit der Realität von Un- In welchen Momenten sagen Sie: Es sind. Orientierungslos scheint uns da ternehmen zu tun. Die Unternehmen, die war richtig, dass ich nicht Weinbauer, das falsche Wort. in Schwierigkeiten stecken, haben konkre- sondern Politiker geworden bin? Philipp Müller ist unfähig, sich zwi- te Probleme. Ihre Bestellbücher leeren sich, Wenn ich bei den Parteiversammlungen schen Blocher und der Rettung der Bilate- ihre Margen schrumpfen, sie kommen in bin. An kantonalen Veranstaltungen auftre- ralen zu entscheiden. Er behauptet, er wol- die Verlustzone. Und nun soll der Staat sa- ten, mit Leuten sprechen – das mag ich sehr. le Kontingente und Inländervorrang ein- gen: Ich habe eine gute Nachricht, wir wer- fhren und gleichzeitig die Bilateralen ret- den Steuererleichterungen einfhren? Ein «Wir stehen vor einer ten. Er ist ofensichtlich nicht in der Lage, Unternehmen, das rote Zahlen schreibt, sich klar zu den Bundesratsvorschlägen kann damit rein gar nichts anfangen. Richtungswahl zwischen zum Masseneinwanderungsartikel zu posi- Die SP plant einen Vorstoss gegen die tionieren. Er zögert seit Wochen. Er ist klug Frankenspekulation. Sie wollen eine Nationalisten und und weiss natürlich wie alle, dass Kontin- Steuer einführen, um Spekulanten gente und Personenfreizügigkeit nicht zu vom Franken fernzuhalten. Wie reif ist einer offenen Schweiz vereinbaren sind. Er kann es aber nicht zu- diese Idee? geben, weil es ihn zwingen würde, einen Wir sind dabei, einige Vorschläge ver- der Solidarität.» Entscheid in die eine oder andere Richtung tieft zu diskutieren. Ein zentrales Problem zu trefen. Er spielt den Juniorpartner der der aktuellen Frankenkrise ist, dass inter- In welchen Momenten bereuen Sie es, SVP auch bei der Umsetzung der Zweit- nationale Akteure massiv auf den Franken nicht Weinbauer geworden zu sein? wohnungsinitiative. Und hat der Vorladung spekulieren. Die Nationalbank geht davon Wenn ich mit der Schwerflligkeit des der SVP zum Deregulierungsgipfel Folge aus, dass die Aufwertung des Frankens vor Betriebs konfrontiert werde. Das Parlament geleistet. Orientierungslos, wirklich. allem spekulative Hintergründe hat. Die ist eine Geduldsschule. Sie müssen manch- tageswoche.ch/+6ypw7 × Überlegung des Fribourger Wirtschafts- mal Stunden um Stunden Voten anhören, professors Sergio Rossi ist bestechend ein- die andere schon fnfmal geäussert haben. ANZEIGE fach. Er sagt, wir müssen eine sehr geringe Hören wir da eine gewisse Blochersche Steuer auf spekulative Bewegungen bei Politikmüdigkeit heraus?

Frankenkäufen erheben. Sie generiert rie- Ganz und gar nicht. Das Parlament ist sige Erträge. Davon betrofen sind nur aus- das wichtigste Gremium unseres Politsys- ländische Spekulanten. tems. Aber es ist ein Gremium, das viel Ge- Wie wollen Sie verhindern, dass ein duld braucht. Deswegen auch meine Prog- solcher Vorstoss als «Sozialisten-Idee» nose: Der junge Roger Köppel wird nach abgetan wird? drei Jahren wieder gehen und sagen, dass Zurzeit gilt bei den Bürgerlichen sowie- das Parlament nichts nützt. Er wird diese so, was nicht in der «Weltwoche» als Gedan- Knochenarbeit nie über sich ergehen lassen. kengut daherkommt, ist als sozialistisch ge- Wagen wir einen Blick über die Landes- brandmarkt. Von daher besorgt es mich grenzen hinaus. Was können Schweizer nicht sehr, wenn sie unseren Vorstoss als so- Sozialdemokraten vom Wahlsieg der Ist es eine Kunst, über zialistisch betiteln würden. Das ist mittler- Syriza in Griechenland lernen? Sterben zu reden? weilen so etwas wie ein Pawlowscher Reflex Die Partei hat eine soziale Bewegung be- der Rechten. Der Wortschatz von FDP-Prä- gründet, die Achtung verdient. Es gelang Gast: Franz Hohler, sident Philipp Müller ist eigentlich direkt ihr vor allem, zu vermeiden, dass Rechts- Schriftsteller von der «Weltwoche» übernommen. Man aussen die Oberhand gewinnt. Viele Län- Moderation: Roger Ehret sollte ihm verbieten, diese Zeitung zu lesen. der Europas stehen zurzeit vor der Wahl Er spricht, wie die «Weltwoche» schreibt. zwischen Tsipras und Le Pen. Syriza ist es Donnerstag, 26. März 2015, Haben Sie Kontakt zu anderen Par- gelungen, dem griechischen Volk Hoff- 18.00 bis 19.30 Uhr teien, um die Idee einer Franken- nung zu geben auf eine Gesellschaft, in der Im Café des HMB – Museum für spekulationssteuer zu besprechen? die Solidarität stärker gelebt wird. Die an- Geschichte, Barfüsserkirche, Basel. Ja. dere Option der Griechen wäre die Antwort Eintritt CHF 10, Ticketvorverkauf Wäre es denkbar, dass eine Partei wie von Rechtsaussen gewesen: Fremden- bei Kulturhaus Bider & Tanner, die BDP diesen Vorstoss mitträgt. feindlichkeit, Nationalismus, vielleicht so- Aeschenvorstadt 2, Basel, Das muss man schauen. Wirkliche poli- gar Krieg. Das konnte Syriza verhindern. Tel. 061 206 99 96 tische Projekte werden auch nicht über Sie sehen die SP in der Schweiz auch Vorstösse entwickelt. Sie werden manch- zunehmend als Gegenblock gegen mal über politische Vorstösse angekündigt. Rechtsaussen.

TagesWoche 12/15 ANZEIGE

50001.c.01.15

Finanzdepartement des Kantons Basel-Stadt Steuerverwaltung

Abgabe der Steuererklärung 2014

Abgabe und Fristerstreckung Die Steuererklärung 2014 für natürliche Personen ist bis zum 31. März 2015 abzugeben. Die Frist für die Abgabe der Steuererklärung kann mit der Fristenkarte, im Internet oder telefo- nisch erstreckt werden. Die Fristenkarte liegt der Steuererklärung bei. Die Erstreckung der Frist für die Abgabe der Steuererklärung bis 30. September 2015 ist gebührenfrei. Für eine wei- tergehende Fristerstreckung oder für ein zweites Frist erstreckungsgesuch wird eine Gebühr von CHF 40.– erhoben. Eine Fristverlängerung über den 31. Dezember 2015 hinaus wird nur bei Vorliegen triftiger Gründe und bei Leistung einer angemessenen Akontozahlung bewilligt. Personen, welche neu eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Kanton aufnehmen, haben sich bei der Steuerverwaltung zu melden.

Fälligkeit der Steuern und Zinsausgleich Die kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern der Steuerperiode 2014 werden am 31. Mai 2015 zur Zahlung fällig. Dieser Fälligkeitstermin gilt unabhängig vom Zeitpunkt der Abgabe der Steuer erklärung oder der Zustellung der Veranlagungsverfügung. Die direkte Bundessteuer der Steuerperiode 2014 wird am 1. März 2015 zur Zahlung fällig. Bei Beendigung der Steuerpflicht infolge Wegzug ins Ausland oder Tod der steuerpflichtigen Person gilt ein besonderer Fälligkeitstermin. Bei einem Wegzug ins Ausland werden die kanto- nalen Steuern und die direkte Bundessteuer sofort fällig. Beim Tod der steuerpflichtigen Person werden die kantonalen Steuern 30 Tage nach Zustellung der Veranlagungsverfügung, späte- stens aber 12 Monate nach dem Ableben fällig. Die direkte Bundessteuer wird sofort fällig. Ein Zinsausgleich zu Gunsten der steuerpflichtigen Person erfolgt für alle vor Fälligkeit ge- leisteten Zahlungen. Verzinst werden Vorauszahlungen frühestens ab Beginn der Steuer- periode. Die Verzinsung ist nicht auf einen bestimmten Betrag beschränkt. Ein Zinsausgleich zu Lasten der steuerpflichtigen Person erfolgt für alle nach Fälligkeit geleisteten Zahlungen. Die aktuellen Zinssätze zu den kantonalen Steuern und zur direkten Bundessteuer sind im Internet unter www.steuerverwaltung.bs.ch veröffentlicht. Die Verrechnungssteuer und der zusätzliche Steuerrückbehalt USA werden als Vorauszah- lungen auf den Beginn des Kalenderjahres, in welchem die kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern fällig werden, angerechnet, vorausgesetzt die steuerpflichtige Person hat im Verlaufe dieses Jahres mittels einer vollständig ausgefüllten Steuererklärung Antrag auf Rückerstattung gestellt. Ansonsten erfolgt die Anrechnung auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung. Die Verzinsung der Anrechnung der Verrechnungssteuer und des zusätz- lichen Steuerrück behaltes USA richtet sich nach den Regeln über den Zinsausgleich.

Vorauszahlungen Die Steuern sind samt allfällig erhobenen Belastungszinsen und Gebühren spätestens innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Veranlagungsverfügung zu bezahlen. Vorauszahlungen erleichtern die Zahlung der Steuerforderungen und vermeiden die Anrechnung eines Bela- stungszinses. Der Vergütungszins auf Vorauszahlungen ist zudem steuerfrei. Vorgedruckte Einzahlungsscheine für Vorauszahlungen können im Internet unter www.steuerverwaltung. bs.ch oder bei der Steuerverwaltung unter Telefonnummer 061 267 98 05 bestellt werden.

Steuerverwaltung Basel-Stadt

Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt Fischmarkt 10, CH-4001 Basel Telefon 061 267 46 46, Telefax 061 267 42 82

E-Mail [email protected], Internet www.steuerverwaltung.bs.ch 50001.c.01.15 33 Andreas Gross Die Europäische Menschenrechts-Konvention und der S trassburger Gerichtshof sind revolutionäre Errungenschaften. Ein Segen fr die Schweiz von Andreas Gross

er sich bewusst wird, dass die der Schweizer mit entscheidender Hilfe Schweiz schon 1848 mehr anderer revolutionärer Europäer die Ver- von den Ideen, Werten und wirklichung einer vergleichsweise einzigar- Projekten der Französischen tigen Anzahl Ideen aus der Französischen WRevolution umgesetzt hatte als irgendwer Revolution. Kein anderer Staat in Europa sonst in Europa, der wundert sich, weshalb Mitte des 19. Jahrhunderts, auch Frankreich bis heute der internationale Schutz der nicht, konnte diesbezüglich mithalten. Menschenrechte nicht die gleiche Veranke- In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- rung im kollektiven Unterbewusstsein der derts gelang den engagierten Demokraten Schweizerinnen und Schweizer gefunden sogar die Verfeinerung und Erweiterung hat wie die Demokratie. ihrer von 1848 bis 1874 im Wesentlichen par- «Historische Blindheit» pflegt der g rosse lamentarischen Demokratie um die Volks- französische Rechtsgelehrte und Senator rechte (Referendum und Initiative) – in Robert Badinter all jenen vorzuwerfen, einer Zeit, in der den meisten anderen die Frankreich als das «Heimatland der Europäern sogar das allgemeine Wahlrecht Menschenrechte» bezeichnen. Denn sie Andreas Gross ist Politologe, SP-Natio- noch immer verwehrt wurde. verwechselten, so Badinter, der als Justiz- nalrat und Mitglied der Parlamenta- minister der ersten Regierung des Präsi- rischen Versammlung im Europarat. Konfliktintensiver Lernprozess denten Mitterrand 1981 gegen die Meinung tageswoche.ch/themen/Andi Gross Die andere Idee der Französischen Revo- der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger lution jedoch, die Gleichheit der Menschen, Frankreichs die Abschafung der Todes- die Idee, dass ihnen allen, unbesehen ihres strafe durchzusetzen verstand, das Heimat- tenz entsagen wie der Sklave, dem seine Geschlechts, ihrer Religion, ihrer Herkunft, land der «Menschenrechtserklärung» mit Grundfreiheiten vorenthalten werden. ihrer Gesinnung, ihres Status, die gleichen der «Heimat der Menschenrechte», was In der Menschenrechtserklärung Rechte und Freiheiten zukommen sollten, nicht das Gleiche sei. w erden die beiden revolutionären Errun- hatte es freilich auch in der Schweiz schwer. genschaften sogar genial miteinander Das dauerte und bedurfte noch jahrzehnte- Zwei Seiten des gleichen Projektes verknüpft: Die Demokratie und die ihr eige- langer mühsamer Lernprozesse, auch des Damit verweist Badinter auf den Unter- ne Gewaltenteilung, sprich der Wille der diplomatischen Drucks von aussen. schied zwischen Anspruch und Wirklich- sich selber regierenden Bürger, gewährleis- Dabei kamen die Schweizer – glücklicher- keit, wie er auch in der Schweiz beobachtet tet die Menschenrechte, so wie diese den weise – ohne die ambivalente «Katastrophen- werden kann. So verdrängen all jene unter Willen der Mehrheit begrenzen. Oder wie es hilfe» des 20. Jahrhunderts aus. Die meisten unseren Landsleuten, die immer wieder in der neuen Bundesverfassung von 1999 Europäer mussten in den Katastrophen des g erne die Schweiz als «älteste» oder gar formuliert ist: Jede Macht wird durch das 20. Jahrhunderts erfahren, wie wenig Staaten «beste» aller Demokratien bezeichnen, wie Recht begrenzt; auch die Macht der Mehr- ihre Menschenrechte schützen konnten. lange sie sich auf einige Privilegierte heit der Bürgerinnen und Bürger hat ihre Diese schmerzvolle Erfahrung überzeugte beschränkte, wie sehr Napoleon mit seiner Grenzen, im Recht und den Rechten,w elche die Mehrheit der Kriegsversehrten von der Armee nach der Französischen Revolution die gleichen Bürgerinnen und Bürger in der Notwendigkeit der UNO-Menschenrechts- «nachhelfen» musste; wie viele bis heute von Bundesverfassung gesetzt haben. erklärung von 1948 und der europarätlichen ihr ausgeschlossen werden, wie sehr sie vor Europäischen Menschenrechts-Konvention den Fabriktoren oder Bürotüren halt macht Jede Bürgerin und jeder (EMRK) von 1950, zu der auch der Strassbur- – der «Arbeiter-Bundesrat» Willi Ritschard ger Gerichtshof gehört. Dieser gewährleistet (1918–1983) pflegte von der «Sonntagsdemo- Bürger aller 47 Europarats- die Einhaltung der EMRK. kratie» zu sprechen –, wie schnell sie vielen Jede Bürgerin und jeder Bürger aller unter uns zu mühsam wird und wir Einwän- Mitglieder kann sich an 47 Europarats-Mitglieder kann sich an den de und Andersdenkende lieber überhören Strassburger Gerichtshof wenden, wenn er als ernst nehmen und auf sie eingehen. den Strassburger oder sie den Eindruck hat, eine staatliche Doch eines wurde in der französischen Behörde würde seine oder ihre Menschen- Menschenrechtserklärung von 1789, die, wie Gerichtshof wenden. rechte verletzen. Eine revolutionäre Errun- Badinter immer erinnert, auf älteren Texten genschaft im Interesse der Freiheit und zum aus England (der «Magna Carta» beispiels- Nach der «Regeneration» der 1830er- Schutz der Demokratie eines jeden Men- weise, die am kommenden 15. Juni ihren Jahre, während der in einigen Kantonen die schen in Europa, die auch fr die Schweiz 800. Geburtstag feiert) und den USA aufau- Volkssouveränität und bürgerliche Rechte ein Segen ist. Gut möglich, dass die neuste te, klar und deutlich gemacht: Die Demokra- wie die Presse-, Versammlungs- und Orga- Infragestellung von Sinn und Bedeutung tie und die Menschenrechte sind zwei Seiten nisationsfreiheit verankert wurden, sowie der EMRK und des Strassburger Gerichts- des gleichen revolutionären Projektes, einer vor allem mit der Bundesverfassung von hofes durch die SVP dazu fhrt, dass sie in Gesellschaft, die allen Menschen ein Leben 1848 mit ihren bürgerlichen Grundfreihei- den kommenden Jahren diejenige Veranke- in Würde garantiert. Ein Mensch, der sich ten, dem allgemeinen Männerwahlrecht rung in der schweizerischen Gesellschaft immer nur dem Willen anderer unterwerfen und dem obligatorischen Verfassungsre- finden, die sie längst verdient hätten. muss, muss genauso einer würdigen Exis- ferendum, gelang dem aufmüpfigen Teil tageswoche.ch/+05lbi ×

TagesWoche 12/15 34 James Bond bekannt geworden, einer international er- folgreichen Produktion über die Geschich- Mit Steueranreizen in Millionenhöhe te einer von Drogenbossen gekidnappten Schönheitskönigin. hat Mexiko Änderungen im neuen Die E-Mails deuten zudem darauf hin, dass die mexikanischen Behörden den Bond-Film «Spectre» durchgesetzt. zunächst geplanten Käfig-Kampf durch eine Verfolgungsjagd während Mexikos berühmter «Dia de los Muertos»-Feierlich- keiten sowie beeindruckende Luftauf- nahmen der Skyline von Mexiko-Stadt er- setzen wollen. Im Dienst Ihrer Wenn James Bond Sciarras Hubschrau- ber stiehlt und in den Himmel über Me- xikos Hauptstadt abhebt, sollen die Luftaufnahmen vor allem moderne Ge- bäude z eigen und so ein besseres Image Majestät – von Me xiko transportieren. Dafr wurden den Studiobossenw eitere sechs Millionen US-Dollar in Aussicht g estellt.

Herkunft des Geldes ist unklar und Mexikos MGM-Chef Glickman schien damit zu- frieden zu sein. «Sie haben einen tollen Job gemacht, uns die mexikanischen Vergüns- tigungen zu sichern. Lassen Sie uns weiter- schauen, welche Wege uns zur Verfgung stehen, diese Anreize zu maximieren», schrieb er an die Produzenten. In einem von Andreas Knobloch MGM, in einem E-Mail an die Produzen- anderen Mail schlug die frühere Co-Vor- ten des neuen Bond-Films. sitzende von Sony Pictures, Amy Pascal, ereits lange vor dem geplanten Ein schönes Beispiel, wie Steuerpolitik vor, dass Reisefilm-Material zusätzliche Kinostart im Herbst macht Entscheidungen von grossen, börsen- Mittel einbringen könnte. der neue James-Bond-Streifen notierten Unternehmen verändern kann – Unklar ist, welche mexikanischen Be- «Spectre» Schlagzeilen. Mit und wie Filme von Regierungen fr Image- hörden konkret beteiligt sind. Das mexi- Bg eschätzten 300 Millionen US-Dollar Kampagnen genutzt werden. kanische Filminstitut Imcine (Instituto Produktionskosten ist der von Regisseur Mexicano de Cinematografa), ofziell fr Sam Mendes («American Beauty») ge- Luftaufnahmen sollen die Förderung von Mexikos Filmindustrie drehte Film, in dem erneut Daniel Craig zuständig, hat jedenfalls erklärt, nichts mit den Geheimagenten seiner Majestät mimt, vor allem moderne der Sache zu tun zu haben. eine der teuersten Bond-Produktionen «Imcine ist in das Tema nicht invol- aller Zeiten. Gebäude zeigen und so viert», erklärte ein Sprecher. «Es gibt keine Da kommen 14 Millionen US-Dollar an Anreize, die von unserer Seite gemacht Steuervergünstigungen nicht ungelegen. ein besseres Image des wurden.» Und Luis Miguel Aguilar, Spre- So viel sollen die mexikanischen Behörden cher der Filmkommission von Mexiko- den amerikanischen Produktionsfirmen Landes transportieren. Stadt, erklärte gegenüber lokalen Medien, Sony Pictures Entertainment und Metro- die kolportierten Informationen seien «un- Goldwyn-Mayer S tudios Inc. (MGM) fr In einer frühen Drehbuch-Version des glaubwürdig». Änderungen am Drehbuch mindestens neuen Bond-Streifens, die sich unter den Unsicher ist ebenfalls, aus welchen geboten haben. von den Hackern entwendeten Daten be- Töpfen die Gelder stammen. Für staatliche Den Deal öfentlich gemacht hat das auf finden soll, verfolgt 007 in der Anfangs- Filmfrderprogramme, wie Fidecine (Con- Steuerthemen spezialisierte US-Webportal sequenz in Mexiko einen Auftragskiller vocatoria del Fondo de Inversión y Estímu- TaxAnalysts. Die Übereinkunft zwischen namens Sciarra. Dieser soll den Bürger- los al Cine) erfllt «Spectre» die Auflagen den mexikanischen Behörden und den meister von Mexiko-Stadt ermorden. Die nicht; andere wie Foprocine (Fondo para la Produzenten gehe aus E-Mails hervor, mexikanischen Behörden sollen darauf Producción Cinematográfica de Calidad) die bei einem Angriff von – angeblich bestanden haben, dass jener durch einen und Eficine (Estímulo Fiscal a Proyectos de nord koreanischen – Hackern auf Firmen- ausländischen Politiker ersetzt wird und Inversión en la Producción y Distribución computer von Sony Pictures Ende Novem- dass der Auftragsmörder keinesfalls Cinematográfica Nacional) würden nur ber 2014 erbeutet und ins Netz gestellt wor- Me xikaner sein dürfe. einen Bruchteil der aufgerufenen Beträge den waren. Eine weitere Forderung lautete: Die abdecken. mexikanische Polizei dürfe in dem Streifen Infrage käme Proav (Fondo Proaudiovi- Gekauftes Positiv-Image nicht auftauchen. Sie solle durch eine sual), ein Programm, das Steuervergünsti- Demnach haben die Studiobosse von «Spezialeinheit» ersetzt werden. Zudem gungen von bis zu 7,5 Prozent auf in Mexiko Sony und MGM auf Änderungen am Script solle die Frau, aus deren Hotelzimmer her- entstandene Kosten bietet, insofern die In- gedrängt, um in den Genuss von Steuer- aus der Geheimagent seiner Majestät die vestitionssumme 40 Millionen Pesos (rund anreizen zu kommen. Verfolgungsjad startet, von einer «bekann- 2,5 Millionen US-Dollar) übersteigt. «Wir stehen derzeit vor einem Budget, ten mexikanischen Schauspielerin» da r - Um auf 14 Millionen US-Dollar zu kom- das weit über dem liegt, was wir erwartet gestellt werden. men, müssten die Produktionskosten in hatten, und sind unter enormem Druck, Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, Mexiko allerdings bei utopischen 187 Mil- um die Zahl auf 250 Mil lionen abzüglich wird Stephanie Sigman das mexikanische lionen US-Dollar liegen. Eine andere Rabatte und Anreize zu reduzieren», Bond-Girl in «Spectre» spielen. Sigman M öglichkeit ist die Freistellung von der schrieb Jonathan Glickman, Präsident von war als Hauptdarstellerin in «Miss Bala» Zahlung der Mehrwertsteuer fr Produk-

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Teil des Deals: Die 28-jährige mexikanische Schauspielerin Stephanie Sigman erhält eine Rolle im neuen Bond-Film. FOTO: GETTY IMAGES tionen in Mexiko, die im Ausland kommer- Alcalá Ruíz von der regierenden PRI (Parti- Sicherheit herunterzuspielen. Laut Schät- zialisiert werden. do Revolucionario Institucional), hält sie zungen sind im Drogenkrieg seit 2006 in Klar ist: Generell ist es durchaus gän- dagegen fr richtig. «Wie viele Streifen ha- Mexiko über 1201000 Menschen umge- gige Praxis, mit Steuervergünstigungen ben wir gesehen, die in Frankreich gedreht kommen. grosse Filmproduktionen anzulocken. Das wurden?» Auch werde das Senatsgebäude «Es ist nicht ungewöhnlich, dass An- macht nicht nur Mexiko. fr den Film nicht umgebaut; vielmehr reize mit einer Reihe von Vertragsklauseln Ungewöhnlich aber ist die Höhe der w erde es Bilder geben, die «die Schönheit versehen werden», schreibt TaxAnalysts, genannten Summen. Denn insgesamt spie- des historischen Stadtzentrums zeigen». «aber die Veränderungen bei ‹Spectre› len nur rund vier Minuten zu Beginn des scheinen viel weiter zu gehen, da die Bond-Films in Mexikos Hauptstadt. Die Für wenige Minuten S tudios den mexikanischen Behörden Szenen werden derzeit gedreht. erlauben, Casting-Entscheidungen oder Für die Dreharbeiten hat unter anderem Film sollen die die Staatsangehörigkeit der Charaktere der Senat das frühere Parlamentsgebäude, zu diktieren.» die Xicoténcatl-Villa im historischen Stadt- US-Studios Millionen Das wiederum werfe andere heikle zentrum, kostenlos zur Verfgung gestellt. Fragen über die Möglichkeiten künstle- Das berichtet die mexikanische Tages- kassieren. rischer und inhaltlicher Einflussnahme zeitung «La Jornada». Ein Umstand, der zu durch Regierungen auf, so TaxAnalysts: Kontroversen gefhrt hat. Die Image-Kampagne ist im Zusam- «Wenn man fr 14 Millionen einen neuen Vor allem Oppositionspolitiker kriti- menhang mit den Bemühungen der Anfang kaufen kann, wie viel würde es kos- sierten die Entscheidung. Die Vorsitzende R egierung Enrique Peña Nieto (PRI) zu ten, das Ende zu ändern?» der Kulturkommission des Senats, Blanca sehen, die schwere Krise der öfentlichen tageswoche.ch/+ujt91 ×

TagesWoche 12/15 36 Ost-West-Konflikt von Georg Kreis Seit Beginn der Krim-Krise droht ein neuer n den letzten Monaten ist schon mehrfach die Sorge geäussert wor- Kalter Krieg – aber mit anderen Vorzeichen: den, dass der Kalte Krieg zurück- kommen könnte. Oder sogar die Russland ist keine Supermacht mehr. IBefrchtung, dass wir bereits mitten drin stecken. Darum auch die Zurückhaltung im Urteil über den Ost-West-Konflikt, der sich seit der Annexion der Krim vor einem Jahr wieder verschärft hat. Man möchte keine Neuauflage von Verhältnissen, wie sie – mit Schlechter ihren Konjunkturen – in den Jahren 1945 bis 1989 geherrscht hatten, das heisst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur grossen Wende. Dazwischen gab es bekanntlich die eine Verlierer oder andere Zuspitzung: 1961 etwa den Bau der Berliner Mauer oder 1962 die Kuba-Krise. Online An Letztere konnten wir uns erinnert fh- len (und das war wohl auch der Zweck der Aussage), als Kremlchef Putin kürzlich er- klärte, dass er ohne Zögern auch Atomwaf- fen eingesetzt hätte, wäre ihm der Westen bei der «Heimholung» der Krim entgegen- tageswoche.ch/ getreten. Themen/ Es wurde in westlichen Medien gesagt, Georg Kreis dass nie während des Kalten Kriegs eine Seite so leichtfertig mit der Idee gespielt

Traum von alter Grösse: Putins Politikstil erinnert an die Muskelspiele und Rankünen zur Zeit des Kalten Krieges. FOTO: REUTERS

TagesWoche 12/15 37 habe, die schreckliche Massenvernich- (Beck 2015). Ein Hauptargument der ehe- Wenn man den fhrenden Politikern tungswafe einzusetzen. maligen ARD-Korrespondentin: Die USA des Westens einen Vorwurf machen kann, Immerhin hatte die Sowjetunion in der hätten 2003 gegen den Willen Russlands dann sicher nicht, nach 1989 eine fortge- Suez-Krise von 1956 gegenüber Frankreich den Irak angegrifen und unilateral den setzte Dämonisierung des Ostens im Stil und Grossbritannien von diesem Mittel Weltpolizisten gespielt. Jetzt wolle Russ- des Kalten Krieges betrieben zu haben. Gebrauch gemacht und damit auch die land mit seinen expansiven Schritten, die Vielmehr haben sie sich von der echten USA erschreckt. Heute ist die Gefahr eines sich nicht auf die Ukraine beschränken, die Hofnung und auch etwas naiven Erwar- Atomkriegs zwischen Ost und West weitge- verlorene Rolle als Weltmacht zurück- tung leiten lassen, dass die Demokratie mit hend aus dem kollektiven Bewusstsein ent- gewinnen. Da schliesst der Vorwurf an, der beschwingten Schritten nun auch in Russ- lassen worden. Ofensichtlich ist aber bei amerikanische Präsident habe Russland land Einzug halten würde. Wie McDonald’s der schwächeren Seite die Versuchung ge- unnötig in der Öfentlichkeit als Regional- und Coca Cola. blieben, mit der Atomkeule zu drohen. macht abqualifiziert. Russland ist im aktuellen Konflikt zwar die Das bei Krone-Schmalz stark vorhande- Typisch «Westen» aggressivere, aber alles in allem doch die ne Bedürfnis, das eigene Umfeld zu beleh- Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schwächere Seite. ren, macht sie zu einer schwer erträglichen gab es während ein paar Jahren die erfreu- Gegenstimme. Wir müssen aber irgendwie liche Perspektive einer Annäherung zwi- Keine klare Teilung der Welt auch froh sein, dass es im Westen ein dissi- schen West und Ost. 1997 wurde zwischen Die Gefahr, dass es leicht zu einem gros- dentes Russlandverständnis dieser Art gibt. der EU und Russland das Partnerschafts- sen heissen Krieg kommen könnte, gehör- In Russland haben analoge Gegenstimmen und Kooperationsabkommen abgeschlos- te indessen nicht zu den Hauptcharakteris- keine Chancen. Sie werden nicht alle gleich sen. Jetzt stellt sich die Frage, inwiefern tika des Kalten Kriegs. Die wichtigsten Ei- ermordet wie Boris Nemzow oder Anna Konfrontation und Kooperation gleichzei- genheiten waren vielmehr die klare Teilung Stepanowna Politkowskaja. Sie kommen tig betrieben werden können. Die Grenzen der Welt in zwei ideologisch gegensätzliche aber nicht in die Talkshows, und vielen der Annäherungsmöglichkeiten sind von Lager. Klare und feste Teilung, wie sie in wird ein alternatives Denken bereits im An- der russischen Seite gesetzt worden. Zu der den Jahren 1917 bis 1941 bestand und nur vor satz unmöglich gemacht. wiederum fr den Westen bezeichnenden dem Hintergrund einer wenig soliden Ko- Selbstermahnung gehört, Russland nicht operation gegen Hitler 1941 bis 1945 nicht Russland wird von aus Europa hinausdrängen zu wollen. In mehr als Normalität eingestuft wurde. Russland selbst verstärkt sich aber die Ten- Auf beiden Seiten gab es und gibt es kon- einem Komplex regiert, denz, sich gegenüber Europa abzugrenzen. ventionelle und atomare Hochrüstung, um Zur Zweiteilung der Ära des Kalten Krie- in einem heissen Ernstfall nicht unterlegen der in der Opposition ges gehörte, dass die beiden sehr gegen- zu sein. Im Vordergrund stand aber gegen- sätzlichen Supermächte doch ein Paar bil- seitige Bekämpfung mit den Mitteln des kein Korrektiv, sondern deten, in dem sich die UdSSR als Macht auf Propagandakriegs. Dabei war – auch im Augenhöhe mit den USA sehen konnten. Westen – die Disziplinierung des eigenen eine Gefahr sieht. Das ist jetzt eindeutig nicht mehr der Fall. Lagers mindestens so wichtig wie die Kam- Während sich der Osten der Sowjetzeit – pagne gegen den äusseren Feind. Diese in- Der 92-jährige Historiker Ernst Nolte wenn auch mit Selbstbetrug – als Kraft der nergesellschaftliche Funktion hat ohne war in den 1970er-Jahren ein strammer Kal- Zukunft verstehen konnte, ist das heutige Zweifel die Ukraine-Frage wiederum fr ter Krieger, in Tauwetterzeiten also, die ge- Russland mit dem unerfreulichen Faktum das russische Regime. Auf der westlichen rade auch im Westen als gefhrlich empfun- konfrontiert, wenigstens derzeit so et was Seite spielt die Ukraine nicht diese Rolle, den wurden. In einem Punkt aber hatte er wie der Verlierer der Geschichte zu sein. die Regierungen setzen sie nicht zur recht, wenn er vom Westen sagte, die Bereit- Putin hat bekanntlich das Ende des Kalten Machtstabilisierung ein und könnten da- schaft, ja zuweilen sehnsüchtige Neigung, Kriegs nicht als Freudenstunde erlebt, son- mit auch keine Erfolge erzielen. auch das Gegenteil von etablierten Meinun- dern als traurigen Moment, der das Ende Dem Bild vom Kalten Krieg liegen zwei gen zu denken, sei ein Wesensmerkmal der grossrussischen Ära eingeläutet hat. Grundvorstellungen zugrunde: Die eine ist westlichen Denkens. Eine Stärke, die zuwei- tageswoche.ch/+2idg4 × asymmetrischer Art und sieht im einen der len als Schwäche missverstanden wird. beiden Kontrahenten den Angreifer und Andererseits sollten wir uns nicht aus ANZEIGE im anderen den Verteidiger. Die andere Furcht, wieder in die Muster des Kalten Vorstellung ist symmetrischer Art und ver- Krieges zu fallen, der Einsicht verschlies- teilt aggressive und defensive Haltungen sen, dass in Russland alte und entspre- einigermassen gleichmässig auf beide chend tief verankerte Einstellungen die Po- Seiten. Obwohl sich die unterschiedlichen litik bestimmen. Russland wird noch im- Vorstellungen im Prinzip gegenseitig aus- mer von einem intransparenten Komplex schliessen, dürften beide eine gewisse regiert, der in der Opposition nicht ein nö- LA SATIREURAUFFÜHRUNG 19.  21. UND Berechtigung haben. tiges Korrektiv, sondern eine Gefhrdung 26.  28. MÄRZ Für die Mehrheit im Westen, der sich des Staates sieht. Innere Defizite sollen mit DO  SA «HINTER SCHWEIZ 20.30 UHR neuerdings wegen Russlands Vorgehen Hurrapatriotismus überdeckt werden. Das CONTINUE UND RIEGEL» doch wieder vermehrt als gemeinsames Ausmass der von den Massenmedien ver- Mundart WWW.THEATERTEUFELHOF.CH Lager versteht, ist klar, wie die Rollen von breiteten Manipulation und der Hetzpro- Aggression und Abwehr verteilt sind. Es gibt paganda überbietet bei Weitem diejenige aber – fr den «Westen» typisch – auch der früheren Sowjetmedien. Stimmen, die gerne das eigene Lager fr An der Spitze des russischen Gesell- den aktuellen Konflikt in der west-öst lichen schaftssystems steht noch immer als unan- Übergangszone verantwortlich machen. greifare Instanz ein vermeintlicher Heils- Die Nato sei zu nahe an Russlands Sicher- bringer, dessen Aufgabe es ist, russische heitsgrenze herangerückt und habe dabei Grösse und Macht und zugleich das autori- ein 1990 gegebenes Wort gebrochen. täre System zu personifizieren. Er steht in Eine dieser Stimmen gehört der Publi- der Nachfolge der Zaren, von «Väterchen» zistin Gabriele Krone-Schmalz und ihrem Stalin und der folgenden, eher grauen Ge- Buch «Russland verstehen. Der Kampf um neralparteisekretäre, jetzt aber wieder mit die Ukraine und die Arroganz des Westens» der Unterstützung der orthodoxen Kirche.

TagesWoche 12/15 38 Bruno Spoerri von Marc Krebs Der Musiker spricht über wilde Jazzjahre er Mann wird in diesem Jahr 80 – und arbeitet noch immer in Basel, die Rebellion des Daig und mit einer beneidenswerten jugendlichen Neugierde: Bruno verrät, was er mit Geld von Jay Z macht. DSpoerri, Basler Jazzmusiker und Elektro- nikpionier, steht in seinem Zürcher S tudio und wirbelt mit den Händen durch die Luft. So erzeugt er etwa Klänge, wie wir sie aus Science-Fiction-Filmen kennen. Die Zukunft im Ohr, haben wir die «Basels Jazz- Vergangenheit vor Augen: Spoerri hat zwei Bücher zur Schweizer Jazz- und Elektro- nikgeschichte verfasst. Und jetzt auch noch zum neuen Buch «Jazz Basel» ein Kapitel beigesteuert. Rebellen kamen Dass er als Historiker wahrgenommen wird, ist ihm nicht ganz recht. Zugleich kann er sich freuen. Seit er uns vergangene Woche bestätigt hat, dass er den Rechts- streit mit Rapper Jay Z gewann, ist der aus dem Daig» Jazzer in aller Munde und dabei ganz gegenwärtig.

Bruno Spoerri denkt selbst im Triumph über Rapper Jay Z erst an seine Plattenfirma und hofft auf 80##000 Dollar. FOTO: KEYSTONE

TagesWoche 1412/1415 39 FLASH Bruno Spoerri, ein verrücktes Jahr liegt Sie denken zuerst an Ihre Plattenfirma: hinter Ihnen. sehr bescheiden! Stimmt, ja, es war überwältigend. Die Ja, aber diese Leute haben es auch ver- Geschichte mit Jay Z hat in ganz Europa fr dient. Sie nahmen das ganze Risiko auf KULTUR Schlagzeilen gesorgt. Bemerkenswert da- sich, als sie meine alten Sachen neu her- Performance bei: Dass keine US-Zeitung darüber infor- ausbrachten. Und ich war und bin froh, miert hat, obschon wir Fachzeitschriften dass durch sie meine Sachen wieder er- wie etwa das «Billboard» informiert hatten. hältlich gemacht worden sind. Doch wie Niemand wollte dort das Plagiat-Tema viel Geld am Ende bleibt, lässt sich nicht aufgreifen. Vermutlich sind die Platten- abschätzen. Mit den ersten Tantiemen industrie und deren Anwälte so mächtig, werden mal die Kosten fr die Rechtsan- dass viele Medien eingeschüchtert sind wälte gedeckt. Ich habe indirekt sehr viel und lieber schweigen. profitiert. So oft wie durch diesen Fall bin Sie aber haben nicht geschwiegen und ich seit Jahrzehnten nicht mehr in den sich mit einem Rap-Superstar angelegt. Medien erwähnt worden. Und ich habe Wie erfuhren Sie überhaupt davon, auch eine ganze Reihe an Engagements dass Jay Z und Timbaland ein Sample gekriegt. Festivals in Genf, Brüssel oder von einem Ihrer Stücke verwendet Hamburg haben mich verpflichtet. Der in- haben? direkte Gewinn ist eigentlich viel grösser Durch meine englische Plattenfirma, als der direkte. durch Andy Votel von Finders Keepers Re- Miet Warlop cords. Er rief mich an und machte mich auf «Die ersten Jazzlokale das Plagiat aufmerksam. Dann versuchte er Vor einem halben Jahr hat Miet Warlop am mit Timbaland Kontakt aufzunehmen. in Basel galten als Teater Festival mit «Mistery Magnet» eine Doch die Amerikaner reagierten lange nicht. Performance hingelegt, bei der, nach ihrer Was Sie verärgerte. unsittlich und eigenen Aussage, das Aufräumen länger Ja, auch weil Jay Z in einem BBC-Inter- dauerte als das Stück. Ein buntes Gemetzel, view dreist behauptete, dass Timbaland moralisch anrüchig.» hart aber heiter. Jetzt kommts ganz anders. und er das geschrieben hätten. Die Belgierin wird in «Dragging the Bone» Dabei ist es unüberhörbar, dass da Ihre Ihnen ging es gar nicht ums Geld? ganz allein auf der Bühne und alles in Musik verwendet wurde. Nein, sondern um den Umgang unter Schwarz-Weiss getaucht sein. Und wo letz- Absolut. Sie haben es nur einen halben Künstlern. Ich habe schon einige Mal gratis tes Jahr ein Haifisch die Bühne sprengte, Ton tiefer gelegt und den Beat verstärkt. was weggegeben. Aber sicher nicht bei ei- taucht Warlop diesmal ihren Körper in Wie gingen Sie als Urheber vor? Schal- nem dermassen kommerziell orientierten Gips – stiller und erst recht heiter. × teten Sie die Urheberrechtsgesellschaft Musiker wie Jay Z. Suisa ein? Durch die Demokratisierung des 26. bis 28. März, je 20 Uhr, Kaserne Basel, Ja, ich habe es dort gemeldet. Sie sperr- Internets wird auch immer darüber Klybeckstrasse 1b. ten die Auszahlungen der Schweizer Tanti- diskutiert, ob alles Wissen, alle • kaserne-basel.ch emen fr diesen spezifischen Song und Werke frei zugänglich sein sollen. informierten andere Urhebergesellschaf- Ihre Position? ten darüber, dass hier ein Plagiat vorliegen Ich habe Mühe damit. Weil die wirklich Sofalesung könnte. Aber solange nichts bewiesen war, kreativen Leute, die zum Beispiel ein Mu- war ihr Handlungsspielraum beschränkt. sikstück schafen, immer mehr enteignet Wie ging es weiter? werden. Das System schaft immer mehr Simone Lappert Andy Votel zog einen Musikexperten Zweitverwerter, die Kulturvermittlung und hinzu, der Computerbilder anfertigte und damit auch die ganze Administration der Mal schauen, wie es in der WG von Livia, die Deckungsgleichheit so nachweisen Kulturgelder ist viel stärker gewachsen als Roman und Ilayda aussieht. Schuhe aus- konnte. Timbaland gab dann auch zu, dass das gesamte Geld, das vorhanden ist. Das ziehen oder nicht? Fläzen oder aufrecht er gesampelt hatte. geht fr mich nicht auf. sitzen? Plaudrige Atmosphäre oder ganz Als Sie vor einem Jahr damit an die Es gab eine Zeit, da war Jazz noch still? Angenehm ofen ist das. Sicher ist: Medien gingen, kolportierte «Watson», völlig unangepasst, Sie haben die Die Wahlbaslerin Simone Lappert liest aus dass man Ihnen 25$#000 Franken Anfänge in Basel erlebt. Kann man von ihrem Debütroman «Wurfschatten», worin angeboten hatte. der ersten Jugendkultur hierzulande die junge Ada sehr originelle Wege findet, Es war ein lächerlich kleiner Betrag, mit reden? um mit ihren Ängsten zu kämpfen. Das dem wir uns nicht zufrieden geben durften. Ja, schon. Der Jazz war eine kleine Buch hat viel Resonanz bekommen: Still Doch die Rechtsabteilung blockte uns ab. J ugendkultur, allerdings nicht für alle und poetisch sagen die einen, Geschichte Weil sich nichts bewegte, schaltete ich eine Schichten. Die Arbeiterklasse interessierte eines verzogenen Wohlstandsgörs die an- Verlegerin ein, Frau Peterer. Sie hat zuvor sich nicht so dafr, vermutlich war ihr das deren. × schon solche Prozesse durchgefhrt, kennt zu verkopft. Die Jazzszene wurde von den sich auch im Dickicht der amerikanischen Mittelschülern getragen. Lustigerweise Sonntag, 22. März, 19 Uhr, Musikindustrie aus und schafte es, dass waren viele Jugendliche aus dem Daig. Breisacherstrasse 84. wir jetzt Verträge abschliessen konnten. Haben die Daig-Kinder auf diese Weise • literaturhaus-basel.ch Das heisst, Sie kommen endlich zu rebelliert? Ihrem Recht? Ja, durchaus. Die ersten Jazzlokale in Ja! Sie hat das direkt mit den Fachleuten Basel galten ja auch als unsittlich und Ausgehen in den USA eingefdelt, ich bekomme jetzt moralisch anrüchige Lokale, die vom Bür- 50 Prozent Urheberschaft an diesem Stück. gertum mit Argwohn betrachtet und von Eine Liste sämtlicher Kulturveranstal- Auch die Plattenfirma kommt zu ihren Pro- diesen auch gemieden wurden. tungen der Schweiz finden Sie in unserer duzentenrechten am Song. Ob jetzt aber Aktuell wird in Basel über die Schwie- Online-Agenda (Rubrik «Ausgehen») – sehr viel Geld reinkommt, ist eine andere rigkeiten diskutiert, mit denen Clubs täglich aktualisiert und nach Sparten Frage. Ich hofe sehr, dass Finders Keepers zu kämpfen haben. Gabs diese Kämpfe aufgelistet. 80$000 bis 100$000 Dollar erhalten. schon vor 60 Jahren?

TagesWoche 12/15 BASEL CAPITOL BESTIMMUNG – 3D [14/12 J] • RUNNING ON 40 13.15/15.45/18.15/20.45— EMPTY [12/10 J] Kinoprogramm Steinenvorstadt 36 kitag.com FR/SA: 23.15—SA/SO: 10.30 D SA: 20.00 E/d/f • CINDERELLA [4/4 J] • SEVENTH SON – 3D [12/10 J] • SERPICO [16/14 J] FR-MO/MI: 15.00/21.00— 13.30 D SA: 22.15 E/d Basel und Region DI: 14.00 D • AMERICAN SNIPER [16/14 J] • TERRAIN VAGUE [16/14 J] • KINGSMAN: 17.10—FR/MO/DI: 14.00— SO: 13.15 F THE SECRET SERVICE [14/12 J] FR/SA: 22.45—SA/MO/MI: 20.00 • THE SEA GULL [12/10 J] 20. bis 26. März FR-MO/MI: 15.00/18.00/21.00— D FR/SO/DI: 20.00 E/d/f SO: 15.15 E DI: 14.00/17.00 E/d/f • CINDERELLA [0/0 J] • LE FABULEUX DESTIN • AMERICAN SNIPER [16/14 J] FR-DI: 15.00— D’AMÉLIE POULAIN [6/4 J] FR-MO/MI: 18.00—DI: 17.00 E/d/f FR/SO/DI/MI: 18.00— SO: 18.00 F/d SA/MO: 20.20 D • THE PAWNBROKER [16/14 J] ANZEIGEN KULT.KINO ATELIER FR/SO/DI: 20.20—SA/MO: 18.00 E/d E/d/f SO: 20.15 Theaterstr. 7 kultkino.ch • ALIEN: • THE BOY NEXT DOOR [16/14 J] RESURRECTION [16/14 J] • DIFRET [10/8 J] FR/SO/DI: 15.00/19.00— E/d/f FR/SA/MO-MI: 12.10 Ov/d/f FR: 23.00—SA: 11.00— MO: 21.00 • HOMO FABER SA/MO/MI: 17.00/21.00 E/d/f • L’EXTRAVAGANT VOYAGE (DREI FRAUEN) [10/8 J] FR/SO/DI: 17.00/21.00— DU JEUNE ET PRODIGIEUX D T.S. SPIVET [6 J] FR/SA/MO: 12.10 SA/MO/MI: 15.00/19.00— E/d • UNE NOUVELLE AMIE [16/14 J] SA: 23.00—SO: 11.00 D MI: 18.30 F/d FR/SA/MO-MI: 12.15 • FIFTY SHADES STUDIO CENTRAL • LEVIATHAN [14/12 J] OF GREY [16/14 J] FR-SO/DI/MI: 14.00— 15.30—FR: 23.40— Gerbergasse 16 kitag.com FR-MO/MI: 20.15—DI: 21.00 Ov/d SA/MO/MI: 21.00—SO-MI: 18.10 D E/d/f • BIRDMAN OR (THE • SAMBA [10/8 J] FR/SO/DI: 21.00—SA: 23.40 UNEXPECTED VIRTUE 14.00/18.15/20.45 F/d • FOCUS [12/10 J] OF IGNORANCE) [12/10 J] • STILL ALICE – MEIN LEBEN 15.45/18.00— 14.15—FR-MO/MI: 20.15 E/d/f OHNE GESTERN [8/6 J] FR/SA/MO: 20.15—FR: 22.30— E/d/f D • LA FAMILLE BÉLIER [8/6 J] 14.15/18.00/20.30 MI: 20.20 F/d E/d/f 17.15 • SHAUN THE SA: 22.30—SO/DI: 20.15 SHEEP MOVIE [0/0 J] • HONIG IM KOPF [6/4 J] FRICK MONTI 16.15/18.30 ohne Dialog FR/SA: 18.10 D • USFAHRT OERLIKE [8/6 J] • OUIJA – SPIEL NICHT Kaistenbergstr. 5 fricks-monti.ch 16.30 Dialekt MIT DEM TEUFEL [16/14 J] • SHAUN DAS SCHAF – • DORA ODER DIE SEXUELLEN FR/SA: 23.30 D DER FILM [0/0 J] NEUROSEN UNSERER ELTERN • BAYMAX – RIESIGES FR: 18.00—SA/SO/MI: 15.00 D 16.45 D/f [16/14 J] ROBOWABOHU – 3D [6/4 J] • INSURGENT – DIE • DIE KRAFT DER SCHWACHEN SA/SO: 10.45 D BESTIMMUNG – 3D [14/12 J] SO: 11.00 Sp/d • AFRIKA – DAS MAGISCHE FR-MO/MI: 20.15 D • IRAQI ODYSSEY – 3D [10/8 J] KÖNIGREICH – 3D [6/4 J] • SAMBA [10/8 J] SO: 11.15 D SA/SO: 10.50 D SA: 17.00 D • FRAU MÜLLER • FÜNF FREUNDE 4 [6/4 J] • USFAHRT OERLIKE [8/6 J] MUSS WEG [6/4 J] SA/SO: 10.50 D SO: 11.00 Dialekt SO: 11.30 D • ASTERIX IM LAND • ASTERIX IM LAND DER GÖTTER – 3D [6/4 J] DER GÖTTER – 3D [6/4 J] KULT.KINO CAMERA SA/SO: 11.10— D D SO: 13.00 Rebgasse 1 kultkino.ch SA/SO/MI: 13.00—SA/MI: 15.00 • HONIG IM KOPF [6/4 J] • SPONGEBOB D • CHRIEG [14/12 J] SO: 17.00 Dialekt/d SCHWAMMKOPF – 3D [6/4 J] 20.45—FR-DI: 14.00 SA/SO: 11.30 D LIESTAL ORIS • SELMA [12/10 J] • HOME – 14.00 E/d EIN SMEKTAKULÄRER Kanonengasse 15 oris-liestal.ch • WHIPLASH [12/10 J] TRIP – 3D [0/0 J] E/d/f • CINDERELLA [0/0 J] FR-DI: 16.15 SO/MI: 13.30—SO: 15.00— FR: 18.00—SA/SO/MI: 15.30 D • DANCING ARABS [10/8 J] MI: 15.30 D Ov/d/f • INSURGENT – 3D [14/12 J] 16.30/21.00 • DER NANNY [6/4 J] FR-SO: 20.30 D • CITIZENFOUR [12/10 J] MI: 20.30 D E/d • INSURGENT [14/12 J] 18.30 LADIES NIGHT MO-MI: 20.30 D • CONDUCTA [12/10 J] Sp/d/f PATHÉ PLAZA • SHAUN DAS SCHAF – 18.45—SO: 11.45 DER FILM [0/0 J] • ELECTROBOY [12/10 J] Steinentorstr. 8 pathe.ch SA/SO/MI: 13.30 D SO: 11.30 Dialekt/d/f • INSURGENT – DIE • KINGSMAN: KULT.KINO CLUB BESTIMMUNG – 3D [14/12 J] THE SECRET SERVICE [14/12 J] FR/SO/DI: 13.00/18.00— SA/SO: 18.00 D Marktplatz 34 kultkino.ch SA/MO/MI: 15.30/20.30 E/d/f • REMBRANDT – • LA FAMILLE BÉLIER [8/6 J] FR/SO/DI: 15.30/20.30— DIE LETZTEN WERKE 15.00/20.45 F/d SA/MO/MI: 13.00/18.00 D SO: 11.00 E/d • IRAQI ODYSSEY [10/8 J] • HONIG IM KOPF [6/4 J] 17.30 D REX MO-MI: 17.45 D • NATIONAL GALLERY [16/14 J] Steinenvorstadt 29 kitag.com SO: 11.30 E/d SPUTNIK • INSURGENT – DIE Poststr. 2 palazzo.ch NEUES KINO BESTIMMUNG – 3D [14/12 J] FR/SA/MO/MI: 14.00—DI: 14.30 D • STILL ALICE [8/6 J] Klybeckstr. 247 neueskinobasel.ch FR-MO/MI: 17.00/20.00— E/d/f E/d/f FR-MO: 18.00—MI: 15.30 • LA HAINE DI: 17.30 • LA FAMILLE BÉLIER [8/6 J] FR: 21.00 F/d • SHAUN DAS SCHAF – FR-MO: 20.15—DI/MI: 18.00 F/d DER FILM [4/4 J] D • CONDUCTA [12/10 J] PATHÉ KÜCHLIN 14.15/16.15 Sp/d/f FR-MO/MI: 18.30/20.30 E/d/f SA/SO: 15.45 Steinenvorstadt 55 pathe.ch • USFAHRT OERLIKE [8/6 J] • HOME – Dialekt • KINGSMAN: EIN SMEKTAKULÄRER SO: 11.00 THE SECRET SERVICE [14/12 J] TRIP – 3D [4/4 J] • SAMBA [10/8 J] FR/SA/MO/DI: 12.50— SO: 14.00 D SO: 13.15 F/d FR/DI: 18.10—FR: 23.30— • WHIPLASH [12/10 J] SA: 10.10— STADTKINO DI/MI: 20.15 E/d SA/MO/MI: 15.30/ 20.50 (DLX)— SO: 18.10 (DLX) D Klostergasse 5 stadtkinobasel.ch SISSACH PALACE FR/SO/DI: 15.30— • MURDER ON THE Felsenstrasse 3a palacesissach.ch FR/DI: 20.50 (DLX)— ORIENT EXPRESS [12/10 J] SA/MO/MI: 18.10—SA: 23.30— FR: 16.15—MO: 18.30 E/d/f • SAMBA [10/8 J] SO: 10.10/20.50 E/d/f • BLACK COAL, FR-MO: 18.00 F/d • CHAPPIE [12/10 J] THIN ICE [16/16 J] • LA FAMILLE BÉLIER [8/6 J] 13.00—FR/SA: 22.40 D FR: 18.45 Ov/d 20.30 F/d • SAMBA [10/8 J] • UN LONG DIMANCHE • SHAUN DAS SCHAF – 13.00 D DE FIANÇAILLES [14/12 J] DER FILM [0/0 J] • SHAUN DAS SCHAF – FR: 21.00 F/d SA/SO/MI: 16.00 D DER FILM [0/0 J] • STELLA DA FALLA • HOME – 13.00/15.20/17.15/19.10 D SA: 15.15—MI: 21.00 Ov/e EIN SMEKTAKULÄRER TRIP • TRAUMFRAUEN [12/10 J] • DOG DAY AFTERNOON SO/MI: 14.00 D [0/0 J] 13.00/21.10 D [12/10 J] • HONIG IM KOPF [6/4 J] • INSURGENT – DIE SA: 17.30 E/d DI/MI: 18.00 D

TagesWoche 12/15 41 skeptisch, wie mir zugetragen wurde. «Der Spoerri verreckt mal noch hinter seinen Synthesizern», soll er gesagt haben. Ein Jahr später hatte er aber selber einen ARP- Synthie und experimentierte mit elektroni- schen Klängen. Weggefährten wie George Gruntz leben nicht mehr. Wie verbringen Sie die Zeit? Gehen Sie noch jeden Tag in Ihr Studio? Nein, das nicht mehr, aber mehrmals die Woche. Ich experimentiere noch immer gerne mit Sounds. Im Moment zum Bei- spiel habe ich einen Game-Controller, den man fr Computerspiele braucht, zweck- entfremdet, sodass ich ihn wie ein Tere- min verwenden kann. «Das letzte Mal, als ich mir einen Roadie leistete, verschlang der ein Drittel meiner Gage!» Sie haben gesagt, dass Ihnen die Publicity zu neuen Auftritten verhol- fen hat. Was steht an? Im Herbst ein Auftritt in England, zuvor ein Festival in Holland, wo ich solo auftreten werde – und auch mit dem Schlagzeuger Julian Sartorius zusammen. Jay Z sponsert «grosszügig» die nächste Platte von Spoerri. FOTO: ROBIN HARPER/AP IMAGES Das Nächste aber wird ein Auftritt sein am Jazzfestival Schafausen mit einem Sex- Ja, mir scheint, als wiederhole sich das Mitglied der Partei der Arbeit, also selber tett von Supermusikern: Christina Jaccard, ständig. Ich erinnere mich, wie die Polizei umstritten. Big Zis, Dave Ruosch, Andy Schnellmann uns früher mal im Proberaum beim Bahn- Und wann wurde der Jazz akzeptiert? und Arno Troxler. hof, in der Nauenstrasse, besuchte. Ein Mitte der 1960er-Jahre, als viele der Hält Sie das vital? Sie werden ja in Nachbar hatte sich um 22.05 Uhr über die Jazzszene gesellschaftlich aufgerückt wa- diesem Jahr stolze 80 Jahre alt! Musik beschwert. Auf der anderen Seite ren. Mit Cheese Burckhardt etwa wurde Ja, auf jeden Fall brauche ich eine gab es aber auch einige Orte, wo Konzerte ein umtriebiger Jazz-Trompeter der ersten Beschäftigung. Aber natürlich ist die Ener- und Jazzmusik geduldet waren: im «Ode- Stunde Basler Regierungsrat. Die Jugend gie nicht mehr dieselbe wie in jungen Jah- on», im «Storchen», im «Atlantis», im Café hörte nun Rock und Beatmusik, was die ren. Nach einem Konzert bin ich einen Tag ABC oder in der «Spalenburg». Es lief älteren Generationen eher besorgte als der lang ausgelaugt. Die geistige Anspannung schon auch was in Basel. Jazz. Die Rolle des Bürgerschrecks ging macht müde, dann auch das Rumschlep- Hinzu kamen wilde Veranstaltungen. über auf diese neuen Musikszenen. pen der Instrumente etc. Eine schillernde Figur in der frühen Jazz- Eigentlich sollten Sie sich einen szene war ein Grafiker, Sandro Boccola. Er «Das erste Jazzbuch Roadie gönnen! veranstaltete in ganzen Häusern Konzert- Ja, das stimmt. Aber die werden immer partys – oft, bis die Polizei kam. schenkte mir der Vater teurer! Das letzte Mal, als ich mir einen Das würde man heute als «illegale Roadie leistete, verschlang der ein Drittel Party» bezeichnen. von Urs Widmer. Er eckte meiner Gage! Ja, das war damals in den 1950er-Jahren Den könnten Sie ja jetzt dank Jay Z mit der Underground. Und auch wenn wir Kra- selbst auch an.» den Tantiemen bezahlen. watte trugen, waren wir als Jazzer verrucht (lacht) Ja, stimmt. Wenn dann tatsäch- genug, dass uns manche Väter im Visier hat- Der Jazz war für Konservative das klei- lich einmal Geld hereinkommt, könnte ten. nere Übel als die Rockmusik? ich mir einen Roadie leisten – aber da Als etwa der damalige Basler Verkehrs- Ja, die Rolle verschob sich, der Jazz mache ich mir nicht allzu grosse Illusio- direktor Peter Hägler erfuhr, dass seine war nun einigermassen akzeptiert. Die nen. Ich habe mir vorgenommen, wenn Tochter mit mir ausging, erteilte er ihr strik- Mehrzahl der Jazzer fand die Rockmusik es Taler regnet, dann mache ich eine neue tes Ausgehverbot. Einige Lehrer hätten uns aber zu primitiv und konnte damit nichts CD mit der Notiz «generously sponsored auch am liebsten aus dem Gymi geworfen. anfangen. by Jay Z». Tatsächlich? Sie aber haben nie Scheuklappen tageswoche.ch/+4arxv × Ja. Mein Englischlehrer etwa hasste getragen, als einer der Ersten in der mich deswegen. Ich war in seinen Augen Schweiz elektronische Musik geschaf- Bruno Spoerri live: Der Musiker tritt unangepasst. Der Einzige, der mir positiv fen, unter anderem für Werbespots. am Jazzfestival Schaffhausen auf, 7. Mai, gesonnen war, war mein Französischleh- Haben das die anderen Jazzer im Kammgarn. rer, Walter Widmer – der Vater von Urs verstanden? Widmer, dem Schriftsteller. Er hat mir Nein, es gab und gibt natürlich immer Das Buch «Jazz Basel» ist am 18. März mein erstes Jazzbuch geschenkt. Er war auch Traditionalisten, die das verächtlich 2015 im Christoph Merian Verlag, Basel, selber eine Person, die aneckte, war kommentierten. Auch George Gruntz war erschienen.

TagesWoche 12/15 42 Kunst Das Kunstmuseum Basel hat 180 Werke nach Madrid geschickt. Auch wir haben uns auf die Reise gemacht und die Werke im Prado und im Reina Sofia besucht. Picassos kehren heim

von Karen N. Gerig

till und an einem geheimen Tag haben vor ein paar Wochen 180 Werke das Kunstmuseum Basel verlassen und sind mit Polizei- Sschutz und Sirenen in den Prado und das Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia gezogen. Dort entzücken sie nun ein ande- res Publikum. Besonders begeistert sind die Madrile- nen von den zehn Picassos, die sich zu ihren Vorbildern im Prado gesellen, denn das museale Heiligtum beherbergt kein einziges Werk des spanischen Künstlers. Und im Reina Sofia kann man zwar mit «Guernica» eine von Pablo Picassos be- rühmtesten Arbeiten bewundern – damit hat sichs dann aber auch schon. Grund ge- nug fr uns, einen Augenschein zu nehmen. Mehr zur Reise: tageswoche.ch/+mx51l × Montagmorgen: Die schweren Holztüren des Goya-Eingangs des Prado öffnen sich mit einem Knarren für die Medien. Ein Securitycheck wie am Flughafen, Röntgenapparillo für die Taschen, Pässe gezeigt – und dann sehen wir sie, «Los Dos Hermanos», wie Picassos «Deux Frères» auf Spanisch heissen. Sie bilden den Auftakt der Ausstellung der zehn Picasso-Gemälde im Herzen des Prado und empfangen die Besucher. Den Gang entlang grüssen links und rechts Gemälde von Tizian, Rubens oder Tintoretto, ein Blick in den Nebensaal erhascht Velazquez’ «Meninas». Die Picassos an Stellwän- den dazwischen, wo sie gar nicht wie Fremdkörper wirken. Darauf angesprochen, meint die Medienvertreterin des Prado: «Oh, wir behalten sie gerne!» Und lacht.

Szenenwechsel. Kurzer Spazier- gang zum Museo Reina Sofia. Die Medienkonferenz sollte beginnen, die Schweizer sitzen pünktlich auf dem Podest. Von rechts nach links: Matthias Hagemann (als Repräsentant der Sammlungen Im Obersteg und Staechelin), Kunstmuse- ums-Direktor Bernhard Men- des Bürgi, Regierungspräsident Guy Morin. Daneben die drei leeren Plätze der spanischen Vertreter, die mit einer Viertel- stunde Verspätung eintrudeln. Nach der Konferenz dürfen Fragen gestellt werden – es kommt eine einzige. Sie bezieht sich (natürlich!) auf Staechelin. Antwort von Guy Morin, der die Hoffnung einfach nicht aufzu- geben bereit ist: «Die Stadt Basel wäre sehr dankbar, wenn die Sammlung zurückkäme.» Tja. Dem ist nichts hinzuzufügen. 43

Ich treffe auf einen äusserst zufriedenen Bernhard Mendes Bürgi in der als im Prado. Im Lift hinauf in den vierten Stock, wo die Werke der Samm- Ausstellung «White Fire», die Werke von Ferdinand Hodler über Gerhard lungen Im Obersteg und Staechelin einträchtig nebeneinander hängen. Richter bis Steve McQueen versammelt. Eine Ausstellung in gänzlich weis- Eine kleine Kabinettausstellung im Vergleich zum Feuerwerk unten – aber sen Räumen, die selbst auf alte Bekannte wie Barnett Newmans «White ebenso hochkarätig. Warum nur muss man nach Madrid reisen, dass einem Fire» neues Licht werfen. Sehr schön, wenn auch etwas weniger charmant das mal wieder auffällt? FOTOS: JULIAN SALINAS

Am Abend rein in die High Heels, Guy Morin lädt zum Empfang. Und sie kamen alle, von Basel-Tou- rismus-Direktor Daniel Egloff über Kulturchef Philippe Bischof bis zu Schaulager-Direktorin Maja Oeri, Tinguely-Museum-Direktor Roland Wetzel und dem Architek- tenduo Christ & Gantenbein. Ein paar Botschaftsleute aus Madrid und dann natürlich zahlreiche Vertreter der Stiftung Im Obersteg. Es war fast wie in Basel. Nur Ru- dolf Staechelin fehlte. Apropos: Morin gibts zu – er bleibt ein unverbesserlicher Optimist in Sachen Staechelin. «Wir machen die Tür nicht zu», sagt er und hofft also weiter.

Der Dienstag gehört der Königin: Im Reina Sofia, wo sich erneut fast die gesamte Basler Delegation des Vorabends eingefunden hat. Plus ein Riesen- tross spanische Journalisten. In den Händen der Assistentin von Guy Morin drei Taschen mit Präsenten für die Königin – Sammlungskataloge des Kunstmuseums und (wie uns Morin schon am Vorabend verraten hat) einem Foulard von Matrix für die Hoheit. Er scherzte denn auch, man müsse nun wohl die «Gala» abonnieren, um herauszufin- den, ob sie ihn auch tatsächlich trägt. Und dann der grosse Moment: Letizia kommt forschen Schrittes. Die Ausstellung ist eröffnet – die Königin schreitet voraus und wir in gebührendem Abstand hinterher.

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Impressum

TagesWoche Chefredaktion Christoph Kieslich, Korrektorat Leitung Werbemarkt 5. Jahrgang, Nr. 12; Dani Winter (Redaktionsleiter), Valentin Kimstedt, Yves Binet, Balint Csontos, Kurt Ackermann verbreitete Auflage: Remo Leupin (Leiter Print) Marc Krebs, Felix Michel, Chiara Paganetti, Werbemarkt 23%846 Exemplare (prov. Wemf- Digitalstratege Hannes Nüsseler (Produzent), Irene Schubiger, Cornelia Breij, Felix Keller, beglaubigt, weitere Infos: Tom Nagy Matthias Oppliger, Martin Stohler, Hana Spada, tageswoche.ch/+sbaj6), Creative Director Florian Raz, Dominique Tommen Cheryl Dürrenberger Gerbergasse 30, Hans-Jörg Walter Jeremias Schulthess, Lesermarkt (Assistenz), Tel. 061 561 61 50 4001 Basel Redaktion Andreas Schwald, Tobias Gees Unterstützen Sie unsere Arbeit Herausgeber Amir Mustedanagić Livio Marc Stöckli Abodienst mit einem Jahresbeitrag Neue Medien Basel AG (Leiter Newsdesk), (Multimedia- Redaktor) Tel. 061 561 61 61, Supporter: 60 Franken pro Jahr Redaktion Reto Aschwanden Redaktionsassistenz [email protected] Enthusiast: 160 Franken pro Jahr Tel. 061 561 61 80, (Leiter Produk tion), Béatrice Frefel Verlag Gönner: 500 Franken pro Jahr [email protected] Renato Beck, Layout/Grafik Olivia Andrighetto, Mehr dazu: tageswoche.ch/join Tino Bruni (Produzent), Petra Geissmann, Tel. 061 561 61 50, Druck Die TagesWoche erscheint Yen Duong, Daniel Holliger [email protected] Zehnder Druck AG, Wil täglich online und jeweils am Karen N. Gerig, Bildredaktion Geschäftsleitung Designkonzept und Schrift Freitag als Wochenzeitung. Simon Jäggi, Nils Fisch Tobias Faust Ludovic Balland, Basel 45 Kultwerk #173 «Kolumnen, Kolumnen» Peter Bichsel wird 80 und hat mit dem Schreiben aufgehört. Lesen kann man ihn trotzdem immer wieder. Form vor Inhalt

von Andreas Schneitter

amals, in den frühen 1980er- spräch. «Die Frage nach dem Anfang bleibt Jahren, als der Volksschul- jedes Mal, ob ich als achtjähriger Bub oder lehrer Peter Bichsel fr eine 77-jähriger Greis schreibe. Und alles, was Poetik-Vorlesungsreihe nach man gelernt hat, wie man es machen sollte, DFrankfurt gerufen wurde, sagte er den Satz: ist nur ein Hindernis.» «Das Erzählen, nicht sein Inhalt, ist das Ziel Müsste man aus seinem verzweigten der Literatur.» Es war sein Credo als Werk, das noch immer veröfentlicht wird Schreiber. Dem Autor Peter Bichsel ging es (zuletzt erschien vor wenigen Wochen im um die Form, nicht um die Materie, um den Suhrkamp-Verlag «Über das Wetter reden», Präzis im Wort: Peter Bichsel. FOTO: R. WERNLI Fluss, nicht um die Tiefe. seine gesammelten Kolumnen von 2012 Geschichtenerzählen als kulturelle und bis 2015), eine Publikation heraussuchen, lektüre war er daher nicht geeignet, viel- soziale Technik: Es ist nicht erstaunlich, so wäre es wohl «Kolumnen, Kolumnen», mehr fr die vertiefte Lektüre, die Kontem- dass Bichsel die knappen Formen der erschienen vor zehn Jahren, die erste plation, durch die erst die Welt des Poeten Literatur fr sich ausgewählt hat. Die Kurz- grosse Sammlung von Hunderten seiner sich öfnet. «Letztlich bin ich am Inhalt geschichte, wie in seinem frühen Erfolgs- Zeitungstexte aus drei Jahrzehnten. dieser Texte fast nicht interessiert», sagte werk «Eigentlich möchte Frau Blum Bichsel, «sondern nur daran, mit Sprache den Milchmann kennenlernen», vor allem «Die Sprache dichtet für uns» umzugehen. Einen Satz zu schreiben, der aber die Kolumne. Jahrzehntelang schrieb Anders als in seinen Kurzgeschichten einen nächsten Satz provoziert. Und so Bichsel Kolumnen fr verschiedene Er- gab sich Bichsel in seinen Kolumnen ein w eiter. Schiller sagte: Die Sprache dichtet zeugnisse des Schweizer Pressemarktes, öffentliches Gesicht, sprach nicht als fr uns. Das ist sicher richtig. Die Sprache zuletzt für die «Schweizer Illustrierte». Erzähler, sondern als ofzielle Person. muss mir etwas erzählen.» Seine letzte erschien im Dezember 2014. Die politisch sein konnte, ohne zu politi- Und er liess sich von der Sprache provo- Dort schrieb er: «Ich habe nach Gesich- sieren. Die beobachtete, ohne zu definie- zieren, bis er nicht mehr konnte. Anstatt tern und Geschichten gesucht fr meine ren. Und die sich erinnerte, ohne zu von der Seele habe er sich die Texte in all Kolumnen, immer wieder verzweifelt romantisieren. Als Prosaminiaturen den Jahren «auf den Buckel geschrieben», danach gesucht, und war von Anfang an muss man diese Texte verstehen, denen notierte er am Ende, «und der Buckel ist jedes Mal überzeugt davon, dass mir das der journalistische Begrif der Kolumne voll, ich spür es im Rücken». Kurz vor nächste Mal nichts mehr einfallen wird.» nur formell genügt. seinem 80. Geburtstag am 24. März hat er Die Angst des Autors vor dem weissen Blatt, Nie ist Bichsel schwadronierend, nie also aufgehört. «Jetzt verabschiede ich sie blieb im Fall des Solothurners Bichsel sind seine Texte von einer beengenden mich und versuche, geradeaus zu gehen», zwar letztlich unbegründet, nicht jedoch Dichte, sondern stets minimalistisch und lautet sein letzter Satz. Als Leser darf man die Last des Schreibens selbst. «Schreiben derart präzis im Wort, dass sich zwischen noch etwas sitzen bleiben, mit den «Kolum- ist ein Geschäft fr Nichtkönner», sagte er seinen Sätzen grosse Zwischenzeilen und nen, Kolumnen» in der Hand. der TagesWoche vor drei Jahren im Ge- -räume öfnen. Für die beiläufige Zeitungs- tageswoche.ch/+ptlxz ×

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TagesWoche 12/15 46 Wochenendlich in Rethymno Festes Freunden der griechischen Küche fällt die Auswahl schwer. Wer Atmosphäre Die Hafenstadt zeigt eindrücklich die mag, sollte ins Restaurant Veneto – gemütlicher Terrassengarten und Einflüsse der unterschiedlichen höhlen-ähnliche Räume laden in der Religionen und Kulturen auf Kreta. Altstadt ein. Epimenidou 4. Flüssiges Das Nuvel Lounge Café serviert her- vorragende Kaffee-Kreationen und eine grosse Auswahl an alkoholischen Getränken. Nearchou 47, direkt am Etwas fr Hafen. Anstrengendes Die Samaria-Schlucht (100 km entfernt von Rethymno) zählt zu den High- jedermann lights: Besucher wandern bis zu 17 km durch teilweise enge Felswände, die Hunderte Meter emporragen. von Stephan Pruss

enn heute der Blick von den qualifizierte Informatiker bei Autovermie- Die Kreter lieben das Autofahren. Doch Türmen der Burg Fortezza tungen arbeiten, weil andere Branchen mit Geduld und einem Hauch Risikobereit- über die Weiten des Kreti- weiterhin um ihre Existenz kämpfen müssen. schaft dauert die Fahrt in die Berge nicht schen Meeres schweift, wirkt lange. Am Hang eines Ausläufers des Ida- Wdas beruhigend idyllisch. Früher war es gar Von der Burg zum Bauernhof gebirges liegt in der Nähe des Dorfes Adele überlebenswichtig. Ab dem 16. Jahrhun- Oberflächlich ist davon freilich wenig die Agreco Farm. Ein organischer Land- dert spähten hier Soldaten nach möglichen zu sehen. Zumindest während der Saison wirtschaftsbetrieb, der auch Hotels mit Angreifern – und die waren zahlreich in der von Anfang Mai bis Ende Oktober tum- Olivenpaste oder kretischem Raki beliefert. damaligen Zeit. meln sich scharenweise Reisende und Eine F ührung kostet fünf Euro und Nachdem das an der Nordküste gelege- Einwohner auf den Strassen und Plätzen beinhaltet ein Getränk, das mit Meerblick ne Rethymno mehrmals geplündert wor- Rethymnos. Die Gassen sind gesäumt mit noch etwas besser schmeckt. Der Blick den war, zogen die Venezianer um ihre Stadt kleinen Läden, in denen es Kräuter und über das Meer wirkt beruhigend und ist eine Mauer, von der heute noch das Tor Souvenirs gibt und im Zentrum locken wohl die einzige Gemeinsamkeit zwischen Porta Guora zeugt. Doch auch dies hielt die Markenboutiquen. Die Stadt ist überschau- einer Festungsanlage und einem Bio- Korsaren nicht davon ab, einzumarschieren bar, doch beim Verkehr ist jegliche Über- Bauernhof. und alles niederzubrennen. Eine neue Ver- sicht rasch verloren. tageswoche.ch/+yrodn × teidigungsstrategie musste her. Also bauten die Bewohner 1573 eine Festungsanlage auf Die Altstadt taugt nicht nur als farbenfrohes Foto-Sujet. FOTO: STEPHAN PRUSS dem Hügel Palaiokastro. Zwar hielt sie in den Jahrzehnten danach Angrifen stand, doch die Osmanen waren schier zu über- mächtig. 1646 eroberten sie die Festung und bauten die Moschee Sultan Ibrahim Han direkt neben die Bischofsvilla. Heute gilt die Fortezza als bedeutendste Sehenswürdigkeit der Stadt. Sie ist nur ein Beispiel, warum Rethymno – gar die ganze Insel Kreta – ein Schmelztiegel der Religio- nen und Kulturen ist. Besucher können sich an Kirchen und Moscheen sattsehen.

Touristen bringen Arbeit – und Geld Eine andere Kultur hat die junge Gene- ration unterhalb der Fortezza entwickelt. Am Hafen drängen sich Bars und Restau- rants nebeneinander. Einige zielen ofen- sichtlich auf Touristen als Kundschaft, andere sind bei Einheimischen sehr beliebt. Ein bisschen Sehen-und-Gesehenwerden gepaart mit einer Bloss-keine-Hektik- Mentalität. Und die Krise? Kreta spiegelt sicherlich nicht die Lage des ganzen Landes akkurat wider. Doch die griechische Tourismus- branche hat sich wieder erholt und schreibt Rekordwerte. Der Sektor zieht besonders auf Kreta viele Arbeitskräfte an. Der Wer- mutstropfen ist, dass auch Akademiker in Hotels und Restaurants servieren und

TagesWoche 12/15 regional, sympathisch, frisch

21.3. Tag der Basler Märkte – die Marktsaison ist eröffnet Willkommen zum Tag der Basler Märkte! Von 8.30 bis 16 Uhr gibt’s auf dem Marktplatz, dem Barfüsserplatz, dem Petersplatz sowie auf den Quartiersmärkten Attraktionen für die ganze Familie. Schauen Sie vorbei, wir freuen uns auf Sie.

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