1 21 Januar

Familien- bande

Simone Forcart–Staehelin Die Hüterin des Familienbuchs

Die Geburt der modernen Familie Von Familie Feuerstein zum Flickwerk

Neues Erbrecht Die Familie bleibt im Zentrum

BVB Pilotprojekt Mit dem Rollator-Rest Bus fahren (Seite 50) Das vergangene Jahr war schwierig. Und doch hat uns diese Corona-Pandemie para- doxerweise auch sehr viel Freude beschert. Selten haben wir bei Pro Senectute beider so viele Zeichen der Anerkennung und aufmuntern- de Worte erhalten, wie in den letzten Monaten. Selten konnten wir im Alltag und bei unseren Projekten auf so viel praktische Unterstützung zählen. Und selten haben wir so viele berührende Wir sagen Momente erleben dürfen wie im 2020. Dafür möchten wir uns bei allen bedanken, die von ganzem Herzen: sich solidarisch und tatkräftig für das Wohl und die Würde der älteren Menschen eingesetzt Danke ... haben.

... und wünschen allen das allerbeste Jahr 2021! EDITORIAL

2 KURZ & BÜNDIG Liebe Leserin, Inhalt 3 Impressum lieber Leser 36 IHRE SEITE

Eines ist sicher: Familie SCHWERPUNKT 37 MEDIEN-TIPPS haben wir alle. Während 4 Die Geburt der modernen Familie 38 KULTUR-TIPPS sie für die einen das Von Familie Feuerstein zum höchste Glück auf Erden Flickwerk ist, dem sie alles andere 7 Der besondere Saft PRO SENECTUTE BEIDER BASEL unterordnen, haben Das Blut von Verwandten ist 40 Aktuell andere ein zwiespältiges Ver- ähnlicher hältnis zu den Vor- und Nachfahren und 40 Sport und Bewegung Outdoor 10 Gespräch mit Familienforscherin zu ihren Familienbanden. Und während 44 Matineen, Führungen, Vorträge Annette Cina die einen mühsam nach ihren weni- Wer bin ich? Woher komme ich? 46 Sprachen: Online-Kurse gen, oft verschütteten Wurzeln suchen, 47 Digitale Medien Der gelungene Spagat zwischen pflegen andere ihren weit verzweigten 14 den Kulturen 50 Beratung und Unterstützung Stammbaum über Jahrzehnte und sogar Mit dem Rollator bequem und Jahrhunderte. Auch der Staat hat Familie: 16 Simone Forcart-Staehelin stabil Bus fahren Etwa beim Erbrecht, in dem die Familie Die Hüterin des Familienbuchs Titelfoto: Simone Forcart-Staehelin (Foto: Roland Schmid) auch in der neuen Version zentral bleibt. 21 Die Familie im Wandel der Zeit Oder bei der KESB, die eine steigende 24 Kolumne Nachfrage von betagten Alleinstehenden Gotthelf 2.0 erhält, die mit den Anforderungen des Alltags nicht mehr klarkommen, aber nie- 26 Das neue Erbrecht Die Familie bleibt im Zentrum manden mehr haben, den sie um Hilfe bitten können. 31 Familienbande bei den Primaten Wen laust der Affe? Zu diesem breit gefächerten Thema hat sich die Redaktion des Akzent Maga- 34 Baseldytsch Skandal-Gschichten iber zins einige Fragen gestellt. So wollte dr Basler «Daig» Andreas Schuler wissen: Was genau ist eigentlich eine Familie – und entstand die moderne, monogame Kleinfamilie tatsächlich schon in der Steinzeit? 31 Markus Sutter hat sich im Basler Clara- Familienbande bei den Primaten spital bei der Hämatologin Monika Ebnöther auf die Spuren des Blutes und der Blutsverwandtschaft gemacht, und Evelyn Braun auf jene der Wurzeln bei der Fribourger Familienforscher- in Annette Cina und beim Basler Migmar Wangdu Christoph Raith. Und ich war bei Simone Forcart-Staehelin in zu Besuch, die das Familienbuch der 7 «Stähelin – Staehelin – Stehelin» betreut. Es beginnt 1620 mit der Aufnahme Die Hämatologin Monika Ebnöther über den «besonderen Saft». eines Handwerkers aus Süddeutschland ins Basler Bürgerrecht.

Christine Valentin, Redaktionsleiterin 16 Simone Forcart-Staehelin

Akzent Magazin 1|21 1 SCHWERPUNKT • Eine Basler Familie

Simone Forcart–Staehelin Die Familienarchivarin Simone Forcart-Staehelin mit Schäferhündin Leika.  Die Hüterin des Familienbuchs

Es gibt nur wenige Basler Familien, deren Stamm- Version des Ordners – gemäss der Fami- lienarchivarin eine kostspielige Angele- baum bis ins 16. Jahrhundert historisch verbürgt und genheit, da die Mitglieder der Familie bestens dokumentiert ist. Zu ihnen gehören Männer längst über die halbe Welt verstreut le- und Frauen, die den Namen Stähelin, Staehelin ben. Die früheren Generationen sind mit Pa- oder Stehelin tragen. ragraphen gekennzeichnet, die jünge- ren Nachkommen werden mit einem Text Christine Valentin · Fotos Roland Schmid Nummernsystem erfasst. Dieses Sys- tem hat der Historiker und frühere Bas- er Christoph Merian Verlag hat für den 3. Septem- ler Staatsarchivar Andreas Staehelin-Wackernagel zu D ber dieses Jahres zur Buchvernissage geladen, Beginn der 90er-Jahre aufgrund des neuen Ehe- und und die «lieben Cousins und Cousinen» strömen an Namenrechts eingeführt. Die Gleichberechtigung von diesem Sommerabend mit Masken ausgestattet in den Mann und Frau in der Ehe führte dazu, dass der bisher grossen Saal des Restaurants zur Mägd, um mehr über rein patrilineare Stammbaum der Familie seit damals das Buch «Stähelin, Staehelin, Stehelin – eine Basler Familie seit 1520» zu erfahren (siehe Seite 19) und auf ihre Familiengeschichte anzustossen. Immerhin eine Buchvernissage. Geplant war es anders: Eigentlich soll- Die heute 75-jährige Simone Forcart-Staehelin ist mit te das 500-Jahr-Jubiläum der Einbürgerung des Seilers Peter Forcart verheiratet und hat sich um ihre beiden Kin- Hans Stehelin aus Süddeutschland von seinen Basler der und den Haushalt gekümmert. Als junge Frau hat sie Nachkommen mit einem grossen Familienfest gefeiert nach der Schule auch einen Beruf gelernt, sie wurde Arzt- werden. Grösser als die «normalen» Familientage, die gehilfin. Doch es gefiel ihr nicht, nur «der Kuli für ande- schon seit Langem alle fünf Jahre stattfinden. Das Co- re zu sein und für alles zurechtgewiesen zu werden». Des- ronavirus hat diese Pläne geschreddert. Und so wer- halb hat sie ihre erste Stelle nach neun Monaten wieder den halt an der Buchvernissage die familiären Bindun- aufgegeben. Auf Arbeitssuche erhielt die junge Frau das gen erneuert und gestärkt. Eine Gelegenheit, die sich Angebot, sich im Lungenfunktions-Labor des damaligen Simone Forcart-Staehelin nicht entgehen lässt: Sie bit- Bürgerspitals während drei Jahren «on the job» weiter- tet die Familienmitglieder, ihr doch allfällige Geburten zubilden. Dabei sammelte sie auch Erfahrungen in Davos oder Änderungen im Lebenslauf mitzuteilen, damit sie und Amerika. Später arbeitete sie als Trainingsconsultant das Familienbuch aktualisieren kann. Das Buch ent- zur Einführung von Beatmungs- und Ultraschallgeräten hält die Stämme, Linien und persönlichen Daten der bei Roche, bis die Sparte an die Firma Kontron ging. Mit- Familienmitglieder mit den Namen Stähelin, Staehelin te der 70er-Jahre wurden die offenen Stellen in Basel rar. oder Stehelin – und zwar seit dem Stammvater Hans So wechselte sie nach Rheinfelden, wo sie ab der Eröff- Stehelin. Es wird von der bekannten Riehener Politike- nung des Kurzentrums bis zur Geburt ihrer Tochter das rin (siehe Kasten) seit über 20 Jahren akribisch geführt. Zentralsekretariat der Ärzte leitete. Ihre freie Zeit hat die tatkräftige Frau genutzt, um mit der Liberal-Demokrati- Der schwarze Ordner schen Partei (LDP) die Basler und Riehener Politik – unter Als gute Gastgeberin hat Simone Forcart-Staehelin für anderem als Grossrätin, Einwohnerrätin und Bürgerrats- mein E-Bike schon vorsorglich einen Platz in der Gara- präsidentin der Landgemeinde – zu prägen. Gleichzeitig ge reserviert. Ich bin nach Riehen gefahren, um mir bei hat sich Simone Forcart-Staehelin als Präsidentin in so- ihr das Familienbuch der Stähelins, Staehelins und Ste- zialen Organisationen wie der Haushilfe für Betagte, der helins anzusehen. Das Buch entpuppt sich als breiter Spitex Basel und der Alzheimer-Vereinigung beider Ba- A4-Ordner, der immerhin drei Kilogramm wiegt und sel engagiert. Dank ihrer Funktion als Familienarchivarin rund 3000 Einträge über Hochzeiten, Geburten und wurde sie zudem als erste Frau in die Familienkommis- Bildungsabschlüsse der Mitglieder der alteingeses- sion gewählt, welche die Familienstiftung und den Fami- senen und weitverzweigten Familie enthält. Alle fünf lienfonds verwaltet. Jahre erhalten die Nachkommen eine aktualisierte

16 Akzent Magazin 1|21 SCHWERPUNKT • xxxx

Die Familienarchivarin Simone Forcart-Staehelin mit Schäferhündin Leika. 

Akzent Magazin 1|21 17 SCHWER- PUNKT Eine Basler Familie Staatsarchiv-BS-PA-182a-Privatarchiv-Stähelin

Vier Generationen Elsässer Stehelin Die Fotografie von 1903 zeigt die erstgeborenen männli- chen Nachfahren des 93-jährigen Édouard Stehelin. Der Patriarch kam in Basel zur Welt und führte verschiedene Familienunternehmen im elsässischen Bitschwiller. Sohn, Enkel und Urenkel waren in der Textilbranche tätig, unter anderem in Cernay und Mulhouse. Staatsarchiv-BS-PA-182a-Privatarchiv-Stähelin auch mit den Linien von weiblichen Stähelins, Stae- helins oder Stehelins ergänzt wird. Für Simone For- Die verlorenen Namen der Mütter cart-Staehelin ein wichtiger Schritt: «Heute nehmen Ein Sommertag im Jahr 1937, die kleine Annemarie Feer liegt in den wir auch Frauen als Stammhalterinnen auf und unter- Armen ihrer Ururgrossmutter Marie Staehelin-Vischer (1848–1942). schlagen diese nicht mehr wie früher. Ich bin meinem Daneben stehen die Urgrossmutter (geborene Staehelin, verheirate- Vorgänger sehr dankbar», ergänzt sie, «dass er diese te Koechlin), die Grossmutter (Koechlin), sowie (sitzend) die Mutter Änderung damals als Familienarchivar eingeführt hat. (eine geborene Von der Mühll) von Annemarie. Im Stammbaum der Er fand, es könne ja nicht sein, dass die Kinder einer Staehelins sind jedoch nur die beiden ältesten Frauen erfasst. Staehelin, die den Namen der Mutter tragen, im Fami- lienbuch nicht vorkommen.»

Damit alle Nachkommen existieren das System: «Ich als Simone Forcart-Staehelin bin im Eine geborene Stähelin, die ihrem Kind als ledige Mut- Familienbuch drin und habe unter meinem Namen ter den Namen vererbt, kann heute also ebenfalls eine meine Tochter und meinen Sohn vermerkt. So weiss neue Linie der alten Basler Familie gründen. Kompli- man, dass es da noch zwei Kinder einer Staehelin gibt, zierter ist es bei einer Frau, die als Lisa Stähelin gebo- die aber Forcart heissen wie ihr Vater. Aber meine Kin- ren wurde und später einen Albert Meier geheiratet der haben keine eigene Familiennummer mehr. Diesen und seinen Namen angenommen hat. Sie erhält inzwi- Eintrag habe ich auch bei meiner Schwester gemacht. schen zwar auch einen Platz im Familienbuch. Doch Denn ich finde: Was soll das eigentlich? Die Mädchen nur auf der Website der Familie führt Simone Forcart- sind ja da; sie sind kein Niemand, sondern sie sind das Staehelin in der genealogischen Datenbank die matri- Kind einer geborenen Staehelin.» Wichtig sind diese lineare Linie über mehrere Generationen hinweg fort. Einträge übrigens nicht nur wegen des Stammbaums. In der gedruckten Version des Familienbuches endet Denn die matrilinearen Nachkommen der Familie der Eintrag mit den Kindern der verheirateten Lisa sind sowohl beim Fonds als auch bei der Familienstif- Meier-Stähelin. tung anspruchsberechtigt. Diese hilft zum Beispiel, Simone Forcart-Staehelin: «Ich finde es eine Leistung, eine Aus- oder Weiterbildung zu finanzieren. Kinder zu haben und so für die Zukunft der Familie zu sorgen. Deshalb animiere ich diese Familien auch, Der elektronische Stammbaum dass sie mir die Kinder angeben – auch wenn sie mit Die Enkel hingegen kommen im gedruckten Familien- Nachnamen Meier heissen. Ich trage sie dann unter buch nicht mehr vor, sie sind nur in der elektronischen dem Paragrafen oder der Familiennummer der Frau Datenbank zu finden. «Hier machen wir den Unter- ein, damit sie als Nachkommen existieren.» An ihrem schied», erläutert die Familienarchivarin. «Wir haben eigenen Beispiel verdeutlicht die Familienarchivarin beschlossen, dass wir Vettern und Cousinen, die sich

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für ihre Herkunft und die Familiengeschichte interes- sieren, nicht ausschliessen wollen. Wenn mir die El- Ein Migrant tern mitteilen, dass sie ein oder mehrere Kinder haben, die von einer geborenen Stähelin – Staehelin – Stehelin wird Basler Bürger abstammen, dann vermerke ich diese mit dem Ge- burtsdatum in der elektronischen Form des Stamm- baums. Dort können die Kinder später, unter dem Zu- Bis heute ist die Familie Stähelin – Staehelin – Stehelin griff der Eltern, auch die mütterliche Seite nachverfol- eng mit der Geschichte Basels verknüpft. Ihre Wurzeln gen und nicht nur die Seite des Vaters.» haben die Nachkommen im Jahr 1520 festgelegt: Damals Simone Forcart-Staehelin gefällt die Arbeit, das Fami- erhielt der aus Süddeutschland eingewanderte Hand- lienbuch à jour zu halten, auch wenn sie sich wegen werker Hans Stehelin, ein Seiler, das Basler Bürgerrecht. ihres Alters inzwischen um eine Nachfolge kümmert. Im Familienarchiv, dessen Datenbank heute rund drei- Denn die Aufgabe bringt sehr viele interessante Kon- tausend Personen nennt, gilt Hans Stehelin deshalb als takte mit sich. «Ich bin eigentlich die ‹Aussenministe- Stammvater. rin› der Familie», lacht sie, «weil ich mit so vielen Mit- gliedern der Familie verbunden bin. Oft kommt zum Das reich bebilderte Buch zum 500-Jahr-Jubiläum der Beispiel aus Amerika ein Schreiben: Sind wir mit euch Familie zeichnet soziohistorisch nach, wie ausgehend verwandt? Dann muss ich beim Fragesteller recher- von einem Migranten des 16. Jahrhunderts innert we- chieren, wie die Grosseltern hiessen und von wem er ab- niger Generationen eine Familie entstand, die zum Pat- stammt. Ich interessiere mich für Menschen, ich finde riziat der Stadt zählte – zum sogenannten «Basler Daig». es spannend, Lebensgeschichten zu hören», ergänzt Das implizierte auch ökonomischen Wohlstand und po- sie ihre Motivation. «Wie ist zum Beispiel jemand an litischen Einfluss. Der soziale Aufstieg der Familie grün- diesen kleinen Ort in Arizona gekommen? Ich kann mir dete auf dem Handel mit Kolonialwaren, Lokomotiven, oft gar nicht vorstellen, dass man sich dort ein Leben Immobilien und Aktien sowie einer geschickten Heirats- aufbauen kann, so weit weg von der Kultur und ihren politik. Den Anfang der Familiengeschichte markiert die vielfältigen Angeboten. Mit dieser Frau, sie ist etwa Mit- , ohne die weder der protestantisch-bürger- te fünfzig, habe ich in letzter Zeit viel korrespondiert. liche Habitus des Basler Familienkerns noch ihr Status er- So erfahre ich interessante Fakten über ihre Jugend klärbar wäre. Im Lauf der Jahrhunderte verzweigten sich und Familie. Das ist für mich oft ein Highlight.» die Stähelins nach Frankreich, Kanada und Brasilien.

Vom Hufschmied zum Erfinder Die von der Familie unabhängigen Historiker Tobias Eh- Die aussergewöhnlichen Biografien haben es der Fami- renbold und Urs Hafner hatten Einblick in die Familien- lienarchivarin angetan: «Ich bin eine Mamme und kei- archive und sparen auch den Skandal um Marie-Louise ne Akademikerin. Deshalb finde ich Lebensläufe inte- Staehelin und ihren Enthüllungsbericht «Die Frau des Ge- ressant, die nicht so nach Akademie und Karriere rie- liebten der Mutter» nicht aus (siehe dazu die Kolumne chen. Wir haben einen Hufschmied, wir haben Lokomo- «Baseldytsch» auf Seite 34). Das lesenswerte Buch bet- tivführer – das gefällt mir.» Auch die Pioniere und Er- tet die Geschichte der Stähelin – Staehelin – Stehelin als finder der Familie schätzt Simone Forcart-Staehelin, Spiegel des Zeitgeschehens in die historischen Prozesse vor allem der nach Bitschwiller ausgewanderte Char- der Stadt ein. les Stehelin (1805–1848) hat es ihr angetan. Der Unter- nehmer trieb die Industrialisierung im Elsass voran Ehrenbold, Tobias; Hafner, Urs und baute auch die erste Elsässer Lokomotive. «Frü- «Stähelin, Staehelin, Stehelin. Eine Basler Familie seit 1520» her hat die Universität für die Würde innerhalb der Fa- Christoph Merian Verlag, 2020 ISBN 978-3-85616-902-2 milie eine masslose Rolle gespielt», kritisiert sie die einstigen Wertvorstellungen. «Ich bin überzeugt, dass das nicht richtig ist. Jemand, der eine Lehre gemacht hat oder dessen Werdegang etwas umständlicher war, der aber nachher ein gelungenes und offenes Leben ge- führt hat, dessen Lebenslauf ist genauso viel wert wie eine Universitätskarriere.»

Die Heiratspolitik verschwindet Geändert hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Heiratspolitik des sogenannten Daig, zu dem auch die Familie Stähelin – Staehelin – Stehelin gehört. Früher heirateten die alteingesessenen, wirtschaftlich mäch- tigen Basler Familien wie die Burckhardts, Vischers oder Sarasins häufig untereinander. Darauf legt man heute gemäss Simone Forcart-Staehelin keinen Wert mehr. Sie illustriert das an ihrer eigenen Familie: «Frü-

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Ahnenforschung

her war es normal, dass die Töchter und Söhne der al- ten Basler Familien in die Tanzstunde gingen, und zwar Detektivarbeit bei Frau Bickel. Ob wir wollten oder nicht, wir wurden einfach bei der Tanzschule angemeldet – die Mädchen ein, zwei Jahre vor der Konfirmation und die Knaben für die Nachkommen nach der Konfirmation. Wegen des Altersunterschieds waren diese Jungen für uns Mädchen schon ‹richtige› Wer interessiert ist, von wem er oder sie abstammt, hat Männer. Ich war 13 Jahre alt, als ich damals in die Tanz- zahlreiche Möglichkeiten, um sich auf die Spuren der stunde musste – und dazu musste ich auch noch die ers- Ahnen zu machen. ten Strümpfe anziehen. Ach, war das grässlich!» Laut Die Suche ist aufwendig, eine Anleitung oder ein Sche- Simone Forcart-Staehelin entwickelte sich jedoch aus ma F für die Recherche gibt es nicht. Sinnvoll ist es sicher, dieser Tanzstunde ein Freundeskreis, der bis heute Be- Familienfotos anzuschauen. Auch ein Gespräch mit der stand hat. Daraus, wie auch aus privaten Tanzanläs- Grossmutter oder dem Onkel sowie ein Blick ins Fami- sen, entstanden viele Ehen. «Es gab ja keine Disco» er- lienbüchlein können weiterhelfen. innert sie sich, «man ging nicht wie heute in den Aus- gang. Man ging in ein Privathaus zu einem privaten Weitere Quellen sind das Zivilstandsamt, lokale Archi- Tanzanlass. Da ging man chic angezogen hin, oft wa- ve oder Pfarrbücher. Die Letzteren werden in der Schweiz ren da über zwanzig Jugendliche, die es lustig mit- im Staatsarchiv aufbewahrt. Die Recherche durch die zu- einander hatten. So lernte man sich damals kennen. ständigen Verwaltungen ist jedoch oft kostenpflichtig. Schon meine Kinder haben ihre Ehepartner aber ganz Wichtig ist es, vorab zu klären, wie weit man in der Ah- anders ausgewählt», ergänzt die Familienarchivarin: nensuche zurückgehen will und wo man die Informatio- «Deshalb habe ich heute eine internationale Familie. nen ablegt. Auch elektronische Hilfsmittel wie Genealo- Meine Tochter hat einen Senegalesen geheiratet und gie-Programme (MyHeritage, Ancestry, MacStammbaum mein Sohn eine Inderin.»  oder FamilySearch) können einen bei der Detektivarbeit Quellen für die Nachkommen unterstützen. Website der Familie Stähelin – Staehelin – Stehelin Das Internet bietet ebenfalls einen reichen Fundus an  https://ststst.ch/de/ Tipps. Als Einstieg eignen sich die folgenden Webseiten:

Familienforschung Region Basel Die Genealogisch-Heraldische Gesellschaft der Regio Ba- sel (GHGRB) wurde 1937 gegründet. Der Verein fördert die regionale Familienforschung und Heraldik (Wappen- kunde). Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig in der Erstellung von Stammbäumen und Ahnentafeln. Neben Vorträgen bietet die Gesellschaft auch Kurse zur Familiengeschichte und zur Ahnenforschung an. Hier lernt man etwa die deutsche Kurrentschrift (15.–19. Jahr- hundert) lesen, die in alten Dokumenten verwendet wur- de. Zum Kurs gehört auch ein Forschungshalbtag im Staatsarchiv Basel-Stadt.  ghgrb.ch

Familienforschung Schweiz Schweizerische Gesellschaft für Familienforschung  sgffweb.ch

Familiennamenbuch der Schweiz  https://hls-dhs-dss.ch/famn/?lg=d

Staatsarchiv-BS-PA-182a-Privatarchiv-Stähelin Familienforschung international  comgen.de Der Basler Johann Jakob Schneider-Gyssler malte  familysearch.org Ende der 1870er Jahre den «Stammbaum Staehelin».  matricula-online.eu (Kirchenregister) Das Werk misst fast zwei mal zwei Meter und ist heute im Basler Staatsarchiv deponiert.

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