Von Notstand Und Wohlstand
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Maria Meier Von Notstand und Wohlstand Die Basler Lebensmittelversorgung im Krieg, 1914–1918 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 6 / La Suisse pendant la Première Guerre mondiale 6 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 6 La Suisse pendant la Première Guerre mondiale 6 Maria Meier Von Notstand und Wohlstand Die Basler Lebensmittelversorgung im Krieg, 1914–1918 Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Der Doktortitel wurde im Jahr 2017 vergeben von der Kultur- und Sozial- wissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Erstgutachter: Prof. Dr. Aram Mattioli, Universität Luzern. Zweigutachter: Prof. Dr. Ernst Langthaler, Johannes Kepler Universität Linz. Weitere Informationen zum Verlagsprogramm: www.chronos-verlag.ch Umschlagbild: Volksküche Drei Rosen, Ausgabestelle (1917–1919), Foto Carl Kling-Jenny (Staatsarchiv Basel-Stadt, Bild 13, 605). © 2020 Chronos Verlag, Zürich Print: ISBN 978-3-0340-1575-2 E-Book (PDF): DOI 10.33057/chronos.1575 5 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg Die vorliegende Dissertation ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds in den Jahren 2012–2016 an den Universitäten Zürich, Bern, Genf und Luzern geförderten Forschungsprojektes. Unter dem Titel «Die Schweiz im Ersten Weltkrieg: Transnationale Perspektiven auf einen Kleinstaat im totalen Krieg» entstanden in den letzten Jahren insgesamt sechs Dissertationen mit vielfältigen gegenseitigen Bezügen. Neben den Aussenwirtschaftsbeziehungen, dem Voll- machtenregime und der teilweise prekären Lebensmittelversorgung wurden in diesem Projekt auch die Bedeutung der humanitären Diplomatie, Veränderungen in den Migrationsbewegungen sowie die umstrittene Rolle der schweizerischen Militärjustiz untersucht. Die Studien erforschen in unterschiedlicher Weise die Auswirkungen des Krieges und den wachsenden Einfluss der Krieg führenden Länder auf die Politik, Wirtschaft und Kultur eines neutralen Kleinstaates sowie dessen Handlungsspielräume nach innen und aussen. Hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 – und eingebettet in eine Viel- zahl nationaler und internationaler Forschungsprojekte – erhält dieses zentrale Transformationsereignis des 20. Jahrhunderts auch in der schweizerischen Ge- schichtsforschung die ihm schon lange zustehende Aufmerksamkeit. Zürich, Bern, Genf und Luzern im Sommer 2016 Jakob Tanner, Irène Herrmann, Aram Mattioli, Roman Rossfeld und Daniel Marc Segesser 7 Inhalt 1 Erschütterungen im Gemeinwesen 9 1.1 Ernährung im Ersten Weltkrieg 11 Globaler Wirtschaftskrieg und lokale Kriegswirtschaft 13 Alltagsleben und Kriegserfahrung an der «Heimatfront» 18 1.2 Relevanz, Methode, Quellen, Aufbau 21 2 Ernährungswelten: Städtische Lebensmittelversorgung vor 1914 31 «Das Versorgungsgebiet einer Stadt ist heute die halbe Welt» 36 Verkaufen und einkaufen in der Stadt um 1914 40 3 Beschaffungswesen, Ausfuhrkontrolle und städtische Anbauschlacht 45 3.1 Die Organisation der Lebensmittelbewirtschaftung 45 Erheben, berechnen und Vorräte verwalten 47 Die Gründung der staatlichen Lebensmittelfürsorgekommission 51 3.2 Grenzverkehr, Ausfuhrkontrolle und Schmuggelhandel 56 Der kleine Grenzverkehr in Basel 58 Blühendes Schmuggelgewerbe und ungenügende Grenzkontrolle 67 Der Ausfuhrschmuggel als Gefahr für die Landesversorgung 79 3.3 Hebung der Produktion und städtische Selbstversorgung 92 «Die Arbeit mit dem Spaten gehört zur Selbsterhaltung der Nation» 94 Von der Anbauförderung zum Produktionszwang 101 Intensivierung der Anbauschlacht 105 4 Der Lebensmittelmarkt im Krieg 119 4.1 Steigende Preise und Teuerungsbekämpfung 119 Erste Massnahmen 119 «Getrennt marschieren, aber vereint schlagen» 128 Von der kantonalen zur eidgenössischen Preispolitik 138 4.2 Alles eine Frage der Verteilung? 148 Milchnot – Verteilkrise und Knappheit in Basel 148 Die Rationierung 160 Reorganisation der Basler Lebensmittelfürsorgekommission 172 4.3 Das Kriegsfürsorgeamt im Jahr 1918 181 Den Mangel verwalten … 181 … und den Schwarzmarkt bekämpfen 209 4.4 Wissenslücken und statistische Mängel 240 Einschränkungen und veränderte Konsumgewohnheiten im Krieg 245 Von den Lebenshaltungskosten zum Reallohn – Lernprozesse einer Behörde 250 8 5 Fürsorgemassnahmen: Massenspeisungen und Notstandsaktion 255 5.1 Die Volksküche in Basel 255 Von «Rüstfrauen» und «Servierfräulein» 267 Es «haftet auch der Volksküche menschliche Unvollkommenheit an» 276 5.2 Die Notstandsaktion 294 «Normaler, jedoch nicht mehr auskömmlicher Verdienst» 294 Schwankende Normen: Einkommensobergrenzen und Existenzminimum 300 Schwieriger Abbau der Notstandsmassnahmen 312 6 Die Basler Lebensmittelversorgung in den Jahren 1914–1918 315 6.1 Phasen der Lebensmittelpolitik 315 6.2 Der Lebensmittelmarkt als Ort baselstädtischer Kriegserfahrung 318 6.3 Notstand und Wohlstand 324 7 Dank 329 8 Verzeichnis der Abbildungen, Grafiken und Tabellen 331 9 Abkürzungen 333 10 Quellen und Literatur 335 10.1 Archive 335 10.2 Zeitungen 336 10.3 Gedruckte Quellen und Literatur mit Quellencharakter 336 10.4 Sekundärliteratur 338 9 1 Erschütterungen im Gemeinwesen Am 30. Dezember 1918 wandte sich der Basler Regierungsrat Fritz Mangold1 in einem Brief an sein Ratskollegium und regte darin eine Publikation über den «Einfluss des Kriegs auf unser Staatswesen» an.2 Der Weltkrieg war erst einein- halb Monate zuvor mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes im franzö- sischen Compiègne zu Ende gegangen und hinterliess vor allem in Europa ein Trümmerfeld der Zerstörung. In mehr als vier Jahren forderte er das Leben von rund zehn Millionen Soldaten und schätzungsweise ähnlich vielen Zivilisten.3 Hinzu kamen über zwanzig Millionen Verletzte, zahllose seelisch und psychisch versehrte Menschen sowie Millionen von Vertriebenen. Mittendrin war die Schweiz mit der in ihrer nordwestlichen Ecke gelegenen Stadt Basel bis zuletzt von Tod, Verwüstung und Vernichtung verschont geblieben. Trotzdem wurde hier zu Jahresende 1918 eine «zusammenfassende Darstellung» der Kriegszeit in Basel angestossen, während sich das kriegsversehrte Europa noch in einer Schockstarre zwischen unsicherem Frieden, wirtschaftlichem Zusammenbruch und revolutionären Wirren befand. Der Antrag von Fritz Mangold für eine Reihe «kriegswirtschaftliche[r] Monographien» ist jedoch nicht als abschliessende Dokumentation eines fernen Ereignisses aus Sicht des unbeteiligten Beobachters zu verstehen. Im Gegenteil begriff Mangold, der die ganze Kriegszeit als Regierungsrat miterlebt hatte, die Stadt Basel als Teil der Welt und also den Weltkrieg auch als Teil von Basel. In seinem Antrag an den Gesamtregierungsrat schrieb er: «Die Zeit seit dem 1. Au- gust 1914 hat nicht nur unser ganzes Land, sondern auch unser baselstädtisches Gemeinwesen so bewegt, d. h. erschüttert, und zwar alle seine Teile, dass es mir richtig erschiene, wenn unter dem frischen Eindruck der Erlebnisse all das, was als Wirkung des Kriegs betrachtet werden muss, festgehalten werden würde.»4 Die Erschütterungen des Krieges waren in Basel unmittelbar spürbar und stell- ten die städtische Gesellschaft auf die Probe. Diese «Basler Kriegserfahrungen» wollte Fritz Mangold in seiner Publikation festhalten. Sein Vorstoss ist also ge- rade nicht als Versuch zu deuten, eine vergangene Episode ad acta zu legen, son- dern er entsprang der Betroffenheit. Fritz Mangold, dessen Biografie mit seiner deutschen (badischen) Herkunft, seiner Einbürgerung als junger Erwachsener sowie seiner politischen und wis- senschaftlichen Karriere in Basel gewissermassen für die Offenheit und Verflech- tung Basels mit dem nahen Ausland steht, erkannte die historische Bedeutung 1 Vgl. Degen, Fritz Mangold. 2 StABS, Sanität O 3.1, Fritz Mangold an den Regierungsrat von Basel-Stadt, 30. Dezember 1918. 3 Vgl. Leonhard, Pandora, S. 10. 4 StABS, Sanität O 3.1, Fritz Mangold an den Regierungsrat von Basel-Stadt, 30. Dezember 1918. 10 des Ereignisses. Sein Wunsch, das Buch als «Gedenkalbum für Familien» heraus- zugeben, hatte deshalb auch einen ermahnenden Charakter; die «Erinnerung an die bösen Kriegsjahre» sollte für die Nachwelt erhalten werden.5 Der vorgeschla- gene Projekttitel «Baselstadt während der Kriegszeit und ersten Uebergangszeit, 1914–1920» zeugt von Fritz Mangolds weitsichtiger Einordnung dieses globalen Ereignisses, dessen schwieriges Erbe noch lange nachwirken sollte. Die von Mangold angeregte Herausgabe eines Buches wurde nicht realisiert, obwohl der Regierungsrat am 14. Januar 1919 das Projekt bewilligte und ihn mit einem Ausführungsprogramm beauftragte.6 Zu Beginn des ersten «Friedensjah- res» wurde der parteilose Regierungsrat vom politischen Klima eingeholt, das gegen Ende des Krieges immer unversöhnlicher geworden und seit dem Landes- streik im November 1918 auf dem Tiefpunkt war. Fritz Mangold hatte während der Streiktage in Basel vermittelt und sich gegen das Aufgebot von militärischen Truppen gegen die Streikenden ausgesprochen. Später wurde ihm dies von bür- gerlicher Seite als unangemessenes Verständnis für den Landesstreik zur Last gelegt, woraufhin er im Januar 1919 dem politischen Druck nachgab und den Rücktritt einreichte.7 Mit Fritz Mangolds Ausscheiden aus der Basler Regierung verschwand auch das Buchprojekt von der politischen Agenda. Nicht nur politisch dauerten die Nachwirkungen des Kriegs in Basel fort. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen hielten an und verhin- derten im ersten Nachkriegsjahr den erhofften Preisabbau und den Übergang in die Friedenswirtschaft. Wie angespannt die wirtschaftliche, politische und soziale Lage in Basel