Wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen in Beiden Deutschen Staaten Von 1946-1970
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UTOPIE kreativ, H. 103/104 (Mai/Juni) 1999, S. 102-109 102 JÖRG ROESLER Wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen in beiden deutschen Staaten von 1946-1970 Man war sich ganz sicher: Man hatte das passende Wirtschaftssy- stem gefunden. Im Osten schwor man seit 1948 auf die Planwirt- schaft, im Westen auf die soziale Marktwirtschaft. Jeder glaubte aus den Fehlern der Vergangenheit die einzig richtige Schlußfolge- rung gezogen zu haben. Was hatten die letzten vierzig Jahre Markt- wirtschaft schon gebracht? fragte Fritz Selbmann 1947: Inflation, Weltwirtschaftskrise, Aufrüstung, Weltkrieg. Es habe sich heraus- gestellt, daß die freie Wirtschaft nicht imstande ist, eine gleich- mäßige Versorgung sicherzustellen. Um Arbeit und Brot für alle zu sichern, mußte ein alternatives Wirtschaftssystem her. Planwirt- schaft sei das Gegenteil der kapitalistischen Marktwirtschaft, kon- statierte Fritz Selbmann. Schon deshalb muß sie erfolgreich sein.1 Sie ist es auch, sekundierte der CDU-Wirtschaftsexperte, Block- Jörg Roesler – Jg. 1940, freund Ganter-Gilmans 1948 nach einer Reise durch die Sowjet- Prof. Dr., Berlin. union: »Wer nur mit einem klaren Objektivismus die Dinge in der Studium der Wirtschaftsge- Sowjetunion beurteilt, muß erkennen, daß dort ungeheure Erfolge schichte an der Humboldt- Universität zu Berlin; zum Wohle des Volkes erzielt worden sind. Wenn man diese Erfol- Forschungen zur Wirtschafts- ge sieht, kann man nicht ohne Bewunderung an dieser neuen Wirt- geschichte der DDR und der schaftsform vorbeigehen.«2 osteuropäischen Länder. Drüben, an Rhein und Ruhr, hatte man nach dem Kriege auch das Erfolgsrezept gefunden: Nicht der blanke Kapitalismus der Weimarer Republik konnte der Anknüpfungspunkt sein, nicht die zentrale Wirtschaftslenkung des »Dritten Reiches«. Denn: » Die hi- storische Linie führt vom Kapitalismus zum sozialen Elend und von dort zum Kollektivismus, oder, anders ausgedrückt: Ein rück- sichtsloser Laissez-fair-Liberalismus zerstört die Gesellschaft, und eine zerstörte Gesellschaft sucht das Heil in totalitären Systemen«, so faßte der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Röpcke 1946 zu- sammen, was im Westen bald herrschende Meinung werden sollte.3 Erfolg konnte man nur haben, wenn man beide Extreme vermied. Das Erfolgsrezept hieß: Soziale Marktwirtschaft. Der Begriff stammte von einem anderen Theoretiker des neuen Weges, Alfred Der Berliner Verein zur För- Müller-Armack. Sein 1946 geschriebenes Buch »Wirtschaftslen- derung von Politik, Bildung kung und Marktwirtschaft« wurde zum Standardwerk. und Kultur »Helle Panke« Der Mann, der Röpckes und Müller-Armacks Reformvorstellun- führte am 13. und 14. März gen »mit Einsicht und Fortune«, wie sein Biograph schreibt, in die 1999 eine Tagung durch, die sich mit der Geschichte der Tat umsetzte, hieß: Ludwig Erhard. Er nutzte die Währungsreform 4 deutschen Zweistaatlichkeit vom Juni 1948, um daraus eine Wirtschaftsreform zu machen. zwischen 1949 und 1990 In (Ost) Berlin begann man fast zur gleichen Zeit, die Planwirt- beschäftigte. schaft umzusetzen: Halbjahrplan, Zweijahrplan. Der nannte sich 103 ROESLER Wirtschaftspolitik 1946-1970 »Deutscher Zweijahrplan« im Unterschied zum »Marshallplan«: Wir betrachten die Forde- »Gegenüber den Kolonialmethoden des Marshall-Planes hat der rung nach Planung der Wirt- Deutsche Volksrat den Kampf um den deutschen Plan prokla- schaftsvorgänge als nichts miert«, verkündete Walter Ulbricht im Frühjahr 1948.5 anders als die Forderung, vernünftig zu wirtschaften. Das Attribut zum Zweijahrplan verriet es: Man schaute im Osten Jede Wirtschaft, die nicht auf die Konkurrenz im Westen. Fritz Selbmann warf ihr den Feh- geplant wird, unter den heu- dehandschuh hin. »Wir werden bis zur letzten Maschine, bis zur tigen Umständen, ist ein letzten Produktionseinheit der volkseigenen Industrie durchplanen, Zurückfallen in das Spiel der und dann werden wir sehen, wer ist stärker: die geplante volksei- privaten Interessen, von gene Industrie oder die nichtgeplante freie Marktwirtschaft. Denn Egoismus der einzelnen und der Kampf zwischen freier Marktwirtschaft und geplanter volk- einzelner Gruppen, bedeutet Fehlleitung großer wirtschaft- seigener Industrie wird sich in der Praxis vollziehen.« Wie der licher Werte und bedeutet Kampf ausgehen würde, daran gab es für Selbmann keinen Zwei- Verlust wirtschaftlichen fel: »Natürlich ist die geplante Wirtschaft stärker, natürlich werden Kapitals. Vortrag, gehalten die Dinge dort, wo sie der Mensch mit seiner Vernunft anpackt, während der Leipziger Früh- besser vorwärtskommen«.6 jahrsmesse 1847, in: Fritz Schaute man im Westen auf das Wirschaftsexperiment des anderen? Selbmann, Reden und Ta- Für Erhard war jede Art »Kollektivismus« ein Greuel, aber kein Geg- gebuchblätter 1933-1947, Dresden 1947, S. 110 f. ner, mit dem man sich auseinandersetzen mußte, keine Konkurrenz. Der Start verlief gut – in beiden Ländern. Obwohl das nicht hät- te sein dürfen, denn eigentlich konnte nur eine die richtige Wirt- schaftsart sein: die Planwirtschaft oder ihr Gegenteil, die Markt- wirtschaft. Der Start verlief allerdings nicht so gut, wie man es sich erträumt hatte. Hüben wie drüben. So wurde auf dem Papier ein wenig nachgebessert. Auf beiden Seiten. Im Westen unterschlug man, daß die Wirtschaft von Trizonien sich bereits vor Erhards ordnungspolitischem Glockenschlag vom Juni 1948 in Bewegung gesetzt hatte. Mitte der siebziger Jahre deckte dies ein Wirtschafts- historiker aus Bochum auf. »Nicht 1948, das Jahr der Währungs- reform, der Liberalisierung des inneren Marktes und des Marshall- plans, sondern das Jahr 1947,... das Jahr, in dem sich die Lücken der geschwächten Infrastruktur wieder schlossen und die Hor- tungslager füllten, ist das wirtschaftliche Gründungsjahr der Bun- desrepublik Deutschland«, stellte Werner Abelshauser fest.7 Es setzte Wirtschaftshistorikerschelte. In der »Zunft« hatte der Mann An Stelle einer Wirtschafts- einen schweren Stand. Er hatte eine heilige Kuh geschlachtet. planung soll für West- Denn, wenn der Aufschwung im Westen schon 1947 begann, bevor deutschland der Marshall- die soziale Marktwirtschaft geboren wurde, dann konnten weder Plan treten, dessen Ziel es nicht ist, die demokratische sie noch der Marshallplan hauptverantwortlich für das Wirtschafts- Wirtschaft zu fördern, son- wunder sein. Die öffentliche Meinung umzukrempeln gelang dern an ihre Stelle die »freie Abelshauser damals nicht. Noch 1990 glaubten die meisten Politi- Unternehmerinitiative« zu ker und manche Wissenschaftler in der Bundesrepublik, daß man setzen, d.h. den alten, chao- im Osten nur die soziale Marktwirtschaft einzuführen brauche, tischen Zustand wiederher- damit sich das Wirtschaftswunder wiederhole. zustellen. Einer Meisterung Die Ergebnisse des Zweijahrplanes im Osten waren umso beacht- der Wirtschaftsgesetze, die wir erstreben, wird von deut- licher, als in einem ganz anderen Ausmaße als im Westen Repara- scher und ausländischer tionen geleistet wurden. Die wirtschaftlichen Folgen der Spaltung Seite das alte antagonisti- waren hier stärker zu spüren. Auch erfolgte keine Teilfinanzierung sche Spiel der Kräfte entge- des Starts von außen. Kein Wunder also, wenn die Zuwachsraten gengesetzt. der Industrieproduktion in der SBZ/DDR Ende der vierziger Jahre Bruno Leuschner: Wirtschaft hinter der der Bundesrepublik zurückblieben. 1950 erreichte die In- und Planung, Neues dustrie 75 Prozent des Niveaus von 1936. In der Bundesrepublik Deutschland v. 2. 3. 1948. ROESLER Wirtschaftspolitik 1946-1970 104 Planwirtschaft ist das Ge- waren es aber im gleichen Jahr 110 Prozent. Verkündet wurden genteil der kapitalistischen am Ende des Zweijahrplanes für die DDR-Industrie 111 Prozent. Marktwirtschaft... Planwirt- Man hatte nur »ein wenig« geschummelt und an Stelle des realen schaft ist nur denkbar als den nominalen Produktionsanstieg gemeldet, also die Preissteige- sozialistische Bedarfswirt- schaft..., wo die Produktion rungen auch für Produktionssteigerungen ausgegeben. Diese Katze von oben bis unten, von aus dem Sack ließ eine Statistikerin im Jahre 1953, das auch das vorn bis hinten durch Pläne Jahr des neuen Kurses, also einer gewissen Liberalisierung war.8 geregelt wird, wo jeder Wirt- Trotzdem, es war eine Unmöglichkeit, den »frommen Betrug« von schaftsvorgang, Rohstoffbe- 1950 zuzugeben. Dann hätte die Marktwirtschaft mehr gekonnt als schaffung, Transport, Verar- die Planwirtschaft. Die unsichtbare Hand besser als der Mensch beitung im Betrieb, Absatz- mit seiner Vernunft? Das konnte nicht sein. Um die Aussage der regelung durch Pläne vorher bestimmt wird. Margarete Schmidt legte sich ein Wall des Schweigens. Der schien Vortrag aus dem Jahre um so gerechtfertigter, als die Industrie der DDR tatsächlich in den 1948, gehalten an der Tech- fünfziger Jahren hohe reale Zuwachsraten erreichte – wenn auch nischen Hochschule Dres- nicht so hohe wie die der Bundesrepublik. den, in: Fritz Selbmann: Dort war Ludwig Erhard Chef des damals noch mächtigen Wirt- Demokratische Wirtschaft, schaftsministeriums. Er wurde einer der beliebtesten Politiker der Dresden 1948, S. 96. Bundesrepublik. Eine »Wahlkampflokomotive« für die in wechseln- den Koalitionen regierende CDU. Im Herbst 1952 machte er Mül- ler-Armack zum Leiter der wirtschaftspolitischen Grundsatzabtei- lung im Wirtschaftsministerium. Müller-Armack verband mit Er- hard eine weitgehende Gemeinsamkeit der wirtschaftspolitischen Grundsätze. In nicht unwichtigen Details gab es jedoch Differen- zen. Erhard war mehr liberaler als sozialer Marktwirtschaftler, kein Mann der CDU-Sozialausschüsse,