FRIEDENSZEITUNG 15-15 Fortsetzung Von Seite 1 Afghanistan. Die Ausweitung Auf Weitere Sonen
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frieDeNszeitUNg Nr. 15 Dezember 2015 1 Wie mit dem ‹Islamischen Staat› umgehen? 12 Zum Friedensnobelpreis 2015 an Tunesien 4 Die Kurden – ein Volk zwischen zwei Reichen 16 Interview mit einem PWS-Beobachter in Guatemala 8 Hoffnung auf Friedensabkommen in Kolumbien 22 Nachruf auf Aline Boccardo, Frauen für den Frieden 10 Jane Addams und Clara Ragaz – zwei Friedensfrauen 24 Der letzte Jubiläumsanlass des Friedensrates Wie umgehen mit dem ‹Islamischen Staat›? Verhandeln, vernichten, anerkennen oder austrocknen? Auf die Terroranschläge des soge- und erhöhten umgehend die Angriffe britische Beteiligung an den Luftangrif- nannten ‹Islamischen Staat› (IS) in ihrer Luftstreitkräfte auf die IS-Milizen fen verwehrten. Nur wenig gemässigter Paris sowie gegen ein russisches Pas- in Syrien und im Irak. bezeichnete auch der deutsche Bundes- sagierflugzeug über Ägypten haben präsident Joachim Gauck die Anschläge die meisten westlichen Regierungs- / Andreas Zumach / des IS als eine «neue Form des Krieges», politiker und auch viele Medienkom- in dem sich die angegriffene «zivilisierte mentatoren mit mehr oder weniger Ähnlich äusserte sich auch der briti- Welt» nur mit militärischen Mitteln be- martialischen Kriegserklärungen re- sche Premierminister David Cameron, haupten könne. agiert. Man werde den IS «vernichten» dem allerdings zunächst noch einige Russlands Präsident Wladimir Putin oder «eliminieren», verkündeten die besonnene Abgeordnete in der eigenen stimmte in die Kriegsrhetorik ein. Be- Präsidenten Frankreichs und der USA, konservativen Regierungspartei die er- François Hollande und Barack Obama, forderliche Parlamentsmehrheit für eine Fortsetzung Seite 2 FRIEDENSZEITUNG 15-15 Fortsetzung von Seite 1 Af ghanistan. Die Ausweitung auf weitere sonen. Denn im Unterschied zu sämtli- Länder und Regionen ist absehbar. chen Organisationen, Gruppen, Netz- reits seit Ende September bombardie- Ein Ende dieses Krieges oder gar ein werken oder Personen, die seit Ende ren russische Kampfflugzeuge in Syrien Sieg sind nicht absehbar. Daher gibt es des Zweiten Welkrieges als Terroristen nicht nur Ziele des IS, sondern zunächst keinen Grund zu hoffen, die jüngste Es- bezeichnet und behandelt wurden – wie vor allem diverse Oppositionsmilizen, kalationsstufe dieses Krieges, nämlich aktuell die Taliban, die PKK in der Tür- die von den Streitkräften der Regierung die militärische Bekämpfung des IS mit kei, die Tamil Tigers in Sri Lanka oder von Bashar al-Assad bekämpft werden. dem Ziel seiner «Vernichtung», könne früher die PLO unter Yassir Arafat, die Erfolg haben. Zumal der IS in vielerlei IRA in Nordirland oder Nelson Mande- Erneut in der Falle des Terrorismus Hinsicht stärker ist als alle islamistischen las Befreiungsbewegung ANC in Südaf- Mit diesen Reaktionen sind die genann- Terrorgruppen, die bis heute aufgetre- rika während der Apartheid –, hat der ten Regierungen erneut in die Falle des ten sind. Der IS verfügt über weit mehr IS keinerlei politische Forderungen an islamistisch gerechtfertigten Terroris- finanzielle Ressourcen und militärische irgendeine Adresse. mus gelaufen. Genauso wie nach den Mittel (hochmoderne Waffen, überwie- Der IS schafft einfach Tatsachen Anschlägen vom 11. September 2001. gend aus US-Produktion, Kämpfer mit – nämlich sein Kalifat – und bemüht Am Tag nach diesen Anschlägen rief Erfahrung aus Aufstandskriegen sowie sich, dieses Kalifat zu konsolidieren und US-Präsident Georg W. Bush den «Krieg ehemalige hohe Offiziere der irakischen geographisch auszuweiten. Selbst wenn gegen den Terrorismus» aus. Und Armee, die seit 1980 vier klassische zwi- es zu Geprächen mit dem IS kommen fast alle Regierungen der anderen 192 schenstaatliche Kriege geführt haben) sollte: Was wäre der Gesprächsgegen- UNO-Mitgliedstaaten unterstützten die- sowie über eine hochmoderne Propa- stand, was die Verhandlungsmasse? Soll sen ‹Krieg› – wenn nicht militärisch, so gandamaschine, die sämtliche neuen man dem IS etwa anbieten: Ihr dürft die doch zumindest politisch. Wer damals und klassischen Medienformate sowie Millionenstadt Mossul im Nordirak be- dafür warb, die Terroranschläge nicht Kommunikationstechnologien für ihre halten, dafür verpflichtet Ihr Euch aber als «Kriegsakt» einzustufen, sondern Zwecke zu nutzen versteht. Vor allem dazu, keine Menschen mehr zu ent- als «Verbrechen gegen die Menschlich- aber ist das Ziel des IS, die Gründung haupten? keit», und die unmittelbaren Täter, Hin- und Ausweitung eines eigenen Staates – termänner und Financiers mit allen ver- des Kalifats –, um vieles attraktiver als Anerkennung des Kalifats? fügbaren nationalen wie internationalen der globale Dschihad, den Al-Qaida und Wenn politische Verhandlungen mit dem juristischen und polizeilichen Mitteln andere Organisationen propagieren. IS nicht möglich sind und der IS auch mit zu verfolgen und vor Gericht zu brin- militärischen Mitteln nicht überwunden gen, wurde höhnisch ausgelacht oder als Mit dem IS verhandeln? werden kann – welche Optionen bleiben ‹Weichei› diffamiert. Aus Teilen der Friedensbewegung wer- dann? Etwa die Anerkennung des IS und 14 Jahre später wäre eine kritische den Verhandlungen mit dem IS vorge- des von ihm gegründeten Kalifats? Die Bilanz des «Krieges gegen den Terroris- schlagen. Diesem Vorschlag wird – oft italienische Terrorismusexpertin Loret- mus» mehr als überfällig. Doch sie wird mit grosser Empörung – entgegenge- ta Napoleoni befürchtet in ihrem Buch von den kriegsbeteiligten Regierungen halten, man dürfe mit Menschen, die «Die Rückkehr des Kalifats – der Islami- verweigert. Denn diese Bilanz fällt ver- so schwere Gräueltaten begehen und sche Staat und die Neuordnung des Na- heerend aus: Der bisherige «Krieg gegen Frauen so verächtlich behandeln wie hen Ostens» (Rotpunkt Verlag Zürich, den Terrorismus» ist gemessen an den der IS, niemals verhandeln. Ähnliche 2015), dass es zu diesem Punkt kommen damals erklärten Zielen nicht nur völlig Reaktionen gab es auch schon in den könnte. Sie schreibt: gescheitert, sondern er hat sich als kon- 2000er-Jahren auf damalige Vorschläge, «Ist es denkbar, dass europäische traproduktiv erwiesen und das Problem mit den Taliban in Afghanistan zu ver- Staatsoberhäupter al-Baghdadi eines des islamistisch gerechtfertigten Terro- handeln. Diese Reaktionen sind zwar Tages die Hand schütteln werden? Auch rismus und die von ihm ausgehende Be- emotional verständlich. Aber grundsätz- wenn dieser Gedanke abwegig ist: Auch drohung noch erheblich verstärkt. lich gilt und zeigen auch alle einschlä- das Unwahrscheinlichste kann möglich gigen Erfahrungen der Vergangenheit: Ein Ende des «Krieges gegen den Wer einen Gewaltkonflikt deeskalieren Terrorismus» ist nicht absehbar und beenden will, muss zu Gesprächen Für jeden – überwiegend durch Luft- und Verhandlungen mit ausnahmslos und Drohnenangriffe der USA – getöte- allen an diesem Konflikt Beteiligten be- ten tatsächlichen oder mutmasslichen reit sein. Wobei man sich natürlich rote Terroristen sind zehn neue nachge- Linien für derartige Gespräche und Ver- wachsen. Und dieser Krieg hat seit sei- handlungen setzen muss. nem Beginn am 7. Oktober 2001 mit US-Luftangriffen auf Ziele des Al-Qai- Der IS stellt keine Forderungen da-Netzwerkes von Osama bin Laden in Im aktuellen Fall des IS stellt sich das Afghanistan eine enorme geographische Problem aber genau umgekehrt und Ausweitung erfahren: Inzwischen wer- damit sehr viel schwieriger. Der IS hat den Ziele bekämpft in Pakistan, Mali, Li- überhaupt keine Veranlassung, mit ir- byen, Syrien, Irak, Somalia, Jemen, dem gendjemandem zu verhandeln – einmal Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent ver- israelischen Gazastreifen und der ägyp- abgesehen von Verhandlungen über schiedener Zeitungen in Genf und regelmässiger tischen Sinaihalbinsel sowie weiterhin in Lösegeldforderungen für entführte Per- FRIEDENSZEITUNGS-Autor FRIEDENSZEITUNG 15-15 2 Editorial werden – ausreichend Konsens voraus- ben, wenn alle Staaten, die durch Luftan- Wie vor 100 Jahren: Aus lauter gesetzt. Zur Zeit der Abfassung dieses griffe, durch die Lieferung von Waffen, Buches (Juni–September 2014) sind Geld und Kämpfern an die eine oder an- Dummheit in einen Weltkrieg? Verhandlungen mit dem Islamischen dere innersyrische Konfliktpartei oder Staat ausgeschlossen. Aber sollte der logistische Unterstützung unmittelbar Irak aufgeteilt werden, und sollte es dem oder mittelbar an diesem Krieg betei- Der Abschuss eines russischen IS gelingen, in den sunnitischen Gebie- ligt sind, ihre Beteiligung endlich been- Kampfflugzeuges am 24. November ten Syriens und des Irak seinen eigenen den. Das meint in erster Linie die USA, 2015 im türkisch-syrischen Grenzgebiet Staat zu gründen und von hier nach Jor- Frankreich und Russland sowie Syriens über der syrischen Provinz Latakia durch danien, in den Libanon oder in andere Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Iran eine türkische Luft-Luft-Rakete zeigt auf, wichtige Regionen vorzudringen, wird und Türkei sowie Katar. Aber auch Staa- wie gefährlich nahe wir im Nahen Osten sich das Bild fundamental ändern. ten wie Deutschland oder die Schweiz an einer Eskalation mit unabsehbaren Würde der Rest der Welt einen sind durch ihre Rüstungslieferungen an Folgen sind. Einen vergleichbaren Zwi- Schurkenstaat an den Toren Europas die stark in den Syrienkrieg involvierten schenfall mit einem Nato-Staat gab es und Israels zulassen? Und könnte dieser Länder Saudi-Arabien und Katar an die- seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Könn- Protostaat, erschaffen durch barbarische sem Krieg mittelbar beteiligt. te es sein, dass wir wie die europäischen Gewalt,