Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/118

Deutscher

Stenografischer Bericht

118. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11476 A a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Stabili- (CDU/CSU) ...... 11477 A tätshilfe zugunsten Griechenlands Heinz-Joachim Barchmann (SPD) ...... 11479 A b) Antrag des Bundesministeriums der Finan- Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... 11479 D zen: Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages, Johannes Kahrs (SPD) ...... 11481 C der Hellenischen Republik Stabilitäts- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 11482 D hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung (CDU/CSU) ...... 11484 A über ein Memorandum of Understan- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) (Erklärung ding zwischen der Hellenischen Repu- nach § 30 GO) ...... 11485 D blik und dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus (ESM) Drucksache 18/5780 ...... 11455 B Namentliche Abstimmung...... 11486 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF ...... 11455 C Ergebnis ...... 11487 C Dr. (DIE LINKE) ...... 11458 D Nächste Sitzung ...... 11489 D (SPD) ...... 11462 A

Dr. (BÜNDNIS 90/ Anlage 1 DIE GRÜNEN) ...... 11464 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11491 A (CDU/CSU) ...... 11465 D (Erfurt) (SPD) ...... 11467 B Anlage 2 (DIE LINKE) ...... 11468 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 11469 D , , (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten (CDU/CSU) ...... 11470 D Tackmann, Frank Tempel und Dr. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- DIE GRÜNEN) ...... 11472 C mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 11473 A den Beschlusses des Deutschen Bundesta- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 11474 A ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu Norbert Spinrath (SPD) ...... 11475 A gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Memorandum of Understanding zwischen der fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung Hellenischen Republik und dem Europäi- über ein Memorandum of Understanding zwi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- schen der Hellenischen Republik und dem ordnungspunkt 1 b) ...... 11492 A Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) ...... 11495 A (CDU/CSU) ...... 11495 B Anlage 3 Klaus Brähmig (CDU/CSU) ...... 11496 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Sylvia Kotting-Uhl, , Michael Brand (CDU/CSU) ...... 11496 A , Beate Müller-Gemmeke, (CDU/CSU) ...... 11497 B Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 11497 C chen Abstimmung zu dem Antrag des Bun- Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 11498 A desministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . 11498 C schen Bundestages, der Hellenischen Repu- (CDU/CSU) ...... 11499 A blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung (CDU/CSU) ...... 11499 C über ein Memorandum of Understanding zwi- Dr. (CDU/CSU) ...... 11500 C schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Bettina Hornhues (CDU/CSU ...... 11501 B (Tagesordnungspunkt 1 b) ...... 11492 D (DIE LINKE) ...... 11501 C (SPD) ...... 11502 A Anlage 4 (BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 11503 C und (CDU/CSU) ...... 11504 B (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums (SPD) ...... 11504 D der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- Dr. (CDU/CSU) ...... 11505 B den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 11506 B hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 11506 C gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen Alois Rainer (CDU/CSU) ...... 11507 A der Hellenischen Republik und dem Europäi- (SPD) ...... 11507 C schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) ...... 11493 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11508 C Dr. (SPD) ...... 11509 C Anlage 5 (CDU/CSU) ...... 11510 A Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ ministeriums der Finanzen zur Einholung DIE GRÜNEN) ...... 11510 B eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Dr. (CDU/CSU) ...... 11510 D schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- (CDU/CSU)...... 11511 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11455

(A) (C)

118. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. der Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- herzlich zur 118. Plenarsitzung des Deutschen Bundesta- neten der SPD) ges. Die heutige Sitzung habe ich gemäß Artikel 39 Ab- satz 3 Satz 2 des Grundgesetzes einberufen, und ich gehe Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- davon aus, dass Sie nachweislich Ihrer bemerkenswert zen: starken Anwesenheit mit der Einberufung dieser Sitzung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent- einverstanden sind. Die Unvermeidlichkeit war ja auch scheidung über ein weiteres Hilfsprogramm für Grie- hinreichend gut erkennbar. chenland fällt nicht leicht. Die Debatten zu den Hilfen Nun rufe ich unsere Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b für Griechenland waren und sind aus guten Gründen auf: streitig. Es gibt beachtliche Gründe dafür und es gibt be- (B) achtliche Gründe dagegen – ökonomische und politi- (D) a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den sche; das ist unbestritten. Das liegt an der unvollständi- Bundesminister der Finanzen gen Konstruktion der Währungsunion, der eben eine Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands gemeinsame Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik fehlt. So konnten einzelne Euro-Länder Entscheidungen b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums auf Kosten der Gemeinschaft treffen, weil Verantwor- der Finanzen tung und Haftung immer wieder auseinanderzufallen Einholung eines zustimmenden Beschlusses drohten. des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Im Zuge der Euro-Krise haben wir die Währungs- Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanz- union seit 2010 stabiler gemacht: mit den neu eingeführ- hilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- ten Regeln für den Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit rung über ein Memorandum of Understanding dem sogenannten Six-Pack, und mit dem Fiskalpakt. So zwischen der Hellenischen Republik und dem ist es gelungen, Verantwortung und Haftung näher zu- Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sammenzuführen. Mit der Bankenunion haben wir den Drucksache 18/5780 Teufelskreis zwischen Staatsschulden und Bankenkrisen durchbrochen. Mit gezielten Reformprogrammen haben Die Anhänge zu diesem Memorandum liegen als Un- wir die Wachstumskräfte in der Währungsunion gestärkt. terrichtung zu diesem Antrag vor und sind allen Mitglie- Das war erfolgreich: in Irland, in Portugal, in Spanien dern des Hauses zugegangen. Über den Antrag des Bun- und in Zypern. Es hat bis zum letzten Jahr auch in Grie- desministeriums der Finanzen werden wir am Schluss chenland funktioniert. Dabei war Griechenland von An- der Beratung namentlich abstimmen. Zu diesem Antrag fang an ein außergewöhnlich schwieriger Fall. des Bundesministeriums der Finanzen liegt auch ein Ent- Vor dem ersten Programm hatte Griechenland 2009 schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Haushaltsdefizit und ein Leistungsbilanzdefizit von vor. jeweils 15 Prozent – vor der Euro-Krise. Dazu kamen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für und kommen die schwierigen institutionellen Rahmen- die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- bedingungen, schwache Strukturen der Verwaltung und rung 125 Minuten, also gut zwei Stunden, vorgesehen. der Justiz, hohe Sozialleistungen und ein überdimensio- Ich darf auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen. – Das nierter Beamtenapparat. Trotzdem war Griechenland bis ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das so be- Ende vergangenen Jahres auf gutem Weg. Griechenland schlossen. hatte Wachstum; es hatte im vergangenen Jahr eine hö- 11456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) here Wachstumsrate als die meisten anderen Länder der vorbereitet, für den ich im Deutschen Bundestag um Zu- (C) Euro-Zone. Griechenland hatte einen Handelsbilanz- stimmung ersuche. überschuss, einen Primärüberschuss, und auch die Ar- Das Programm für die nächsten drei Jahre sieht Fi- beitslosigkeit begann zu sinken. nanzhilfen von bis zu 86 Milliarden Euro vor. Die erste (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 50 Prozent Tranche soll 26 Milliarden Euro betragen. Sie dienen der Jugendarbeitslosigkeit!) Ablösung der schon im Juli beschlossenen Brücken- finanzierung zur Bedienung der fällig gewordenen aus- – Sie ging zurück. Sie war vorher so hoch, Herr Kollege. wärtigen Verbindlichkeiten – mit über 12 Milliarden Das ist in Krisen so. Ich kann Ihnen einmal die Zahlen Euro –; etwas mehr als 3 Milliarden Euro werden für die aus anderen Ländern sagen. Griechenland war auf einem Erfüllung aufgelaufener Zahlungsverpflichtungen in guten Weg, auf einem besseren, als viele zu hoffen ge- Griechenland zur Verfügung gestellt, damit die griechi- wagt haben. sche Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann. Denn Nun ist auch wahr: Die Wiedergewinnung tragfähiger wenn Rechnungen nicht bezahlt werden, dann kommt öffentlicher Finanzen als Voraussetzung für Wachstum, die Wirtschaft nicht in Schwung. Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätze Darüber hinaus werden Griechenland 10 Milliarden erfordert von der Bevölkerung in jedem Fall erhebliche Euro auf einem gesonderten Konto beim ESM für die Anpassungsleistungen. Je länger die Anpassungsleistun- Bankenrekapitalisierung bereitgestellt; denn die zügige gen dauern, umso schwieriger ist es auch für eine Bevöl- Rekapitalisierung der Banken in Griechenland ist wiede- kerung, dafür den politischen Konsens und den sozialen rum notwendig, damit die Kapitalverkehrskontrollen Konsens aufrechtzuerhalten. Aber sie sind unverzicht- schrittweise aufgehoben werden können. Auch das ist bar, insbesondere wenn man Mitglied in einer Wäh- wichtig, damit die griechische Wirtschaft wieder Fuß rungsunion ist. Die Entscheidung, ob man solche Anpas- fasst. sungsleistungen zu tragen bereit und in der Lage ist, liegt ausschließlich im jeweiligen Land. Aber für die Mit- Die weiteren im Programm vorgesehenen Tranchen gliedschaft in der Währungsunion sind sie unverzichtbar. werden Zug um Zug mit erfolgreichen Programmüber- prüfungen in den kommenden Jahren gezahlt. Diese Das Problem des griechischen Ministerpräsidenten Konditionalität mit Überprüfungen ist Bestandteil und war, dass er vor und nach der letzten Wahl versprochen Bedingung eines jeden europäischen Stabilisierungspro- hatte, genau diese Entscheidung zu vermeiden. Er hatte gramms. Die Institutionen werden die Umsetzung der versprochen: Griechenland bleibt in der Euro-Zone, Auflagen alle drei Monate überprüfen. Auf der Grund- ohne Reformen, ohne Programm. Dies hat sich als ein lage dieser Überprüfungen wird in der Euro-Gruppe nicht haltbares Versprechen herausgestellt. Jetzt muss er (B) bzw. im Board des Europäischen Stabilitätsmechanismus (D) das Gegenteil von dem machen, was er versprochen über die jeweiligen Auszahlungen beschlossen, wobei hatte. Darüber ist die Einheit seiner Partei ganz offen- der Deutsche Bundestag jeweils im Rahmen des ESM- sichtlich schweren Belastungen ausgesetzt. Finanzierungsgesetzes über die Entscheidungen infor- Erst als die Unausweichlichkeit der Entscheidung klar miert oder daran beteiligt wird – so wie das in unserer war, haben sich die Verantwortlichen in Griechenland Gesetzgebung beschlossen und geregelt ist. Die erste für einen neuen Anfang entschieden. Wenn der Minister- Überprüfung soll im Oktober 2015 stattfinden. präsident im Parlament und öffentlich gesagt hat – ich Ziel der Reformmaßnahmen ist, dass Griechenland zitiere –, dass Griechenland jetzt all das umstürzen wirtschaftlich möglichst schnell wieder auf eigenen Bei- müsse, was Griechenland in diese Krise geführt habe, nen stehen kann. Deshalb ist es erforderlich, dass Grie- um dauerhaft zu Wachstum und Beschäftigung zu kom- chenland ab 2016 wieder Primärüberschüsse erwirt- men, dann ist das von seiner Seite die Bestätigung, dass schaftet. Ich will daran erinnern: Griechenland hatte im es richtig war, Griechenland die Notwendigkeit, diese vergangenen Jahr einen Primärüberschuss. Wir hatten Wahl zu treffen, deutlich vor Augen zu führen. Dazu hat die Aussicht, dass in diesem Jahr ein ansteigender Pri- die Euro-Gruppe, dazu hat Deutschland beigetragen. Das märüberschuss entstehen würde. Das ist leider durch die ist im Interesse Griechenlands und im Interesse Europas. Entwicklungen der letzten acht Monate unmöglich ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden. Aber ab dem kommenden Jahr soll wieder ein der SPD) kleiner und dann ansteigender Primärüberschuss erwirt- schaftet werden: 0,5 Prozent im kommenden Jahr, Die Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs 1,75 Prozent in 2017 und ab 2018 ein Primärüberschuss vom 12. Juli 2015 enthält die Rahmenbedingungen. Da- von 3,5 Prozent. nach haben die Institutionen die Vereinbarungen mit der griechischen Regierung erarbeitet. Die Institutionen sind Die Reformmaßnahmen betreffen insbesondere eine die Europäische Kommission, die Europäische Zentral- verbesserte Haushaltsplanung, eine größere Steuerge- bank und der Internationale Währungsfonds. Früher ha- rechtigkeit, eine Modernisierung der Arbeits- und Pro- ben wir diese Einrichtungen Troika genannt, jetzt nen- duktmärkte und der öffentlichen Verwaltung, eine Priva- nen wir sie Institutionen. Sie haben die Vereinbarungen tisierungsstrategie und eine Rentenreform. Insgesamt mit der griechischen Regierung erarbeitet, das soge- sieht das Programm zahlreiche und umfangreiche Ein- nannte Memorandum of Understanding, und abgeschlos- zelmaßnahmen vor, von denen ein Großteil – das ist das sen. Auf dieser Grundlage hat die Euro-Gruppe am Neue – bereits vorab im griechischen Parlament verab- vergangenen Freitag völlig einmütig einen Beschluss schiedet worden ist. Wichtige konkrete Reformmaßnah- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. 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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) men umfassen unter anderem die Liberalisierung des spezifiziert, die jetzt auf den Weg gebracht werden müs- (C) Energiemarkts, die Abschaffung von Steuerbegünstigun- sen. gen, die Bekämpfung von Korruption in der Verwaltung, (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt den Umbau des Renten- und Gesundheitswesens, die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wiederherstellung von Liquidität und Kapitalausstattung angeschlagener Banken, den Umgang mit notleidenden – Frau Göring-Eckardt, die Konditionalität, die wir im Krediten und die Einrichtung eines Privatisierungsfonds. MoU vereinbart haben, ist mit dem IWF zu 100 Prozent gemeinsam festgelegt. Bei den Bankenrekapitalisierungsmaßnahmen, die sich in dem Programm, im Rahmen der 86 Milliarden Der IWF hat zwei zusätzliche Punkte – hinsichtlich der Euro, auf bis zu 25 Milliarden Euro belaufen können – je Rentenreform und der Banken-Governance – genannt, die nachdem, was durch die europäische Bankenaufsicht als bis Oktober 2015 geklärt werden müssen – auch das ist Notwendigkeit ermittelt wird –, ist sichergestellt, dass einvernehmlich – und die dann auch in das europäische über die ersten 10 Milliarden Euro hinaus zunächst der Programm übernommen werden sollen, damit wir eine tatsächliche Bedarf durch einen Stresstest der europäi- völlige Identität der Konditionalität von ESM-Programm schen Bankenaufsicht ermittelt wird. Darüber hinaus ist und IWF-Programm haben werden. Voraussetzung, dass die Programmüberprüfung im Okto- Des Weiteren gehört zu diesen Maßnahmen natür- ber 2015 erfolgreich abgeschlossen wird. Darüber hi- lich auch die gemeinsame Beurteilung, dass die Schul- naus wird das Bail-in-Instrument für Anleihegläubiger dentragfähigkeit gegeben ist. Da haben wir im Augen- erstrangiger Schuldtitel gelten. Die Beteiligung von Ein- blick die Situation, dass die europäischen Institutionen legern bleibt vor Inkrafttreten der Bankenrestrukturie- – Kommission und EZB – zu der Einschätzung gekom- rungsrichtlinie ausgeschlossen. men sind, dass die Schuldentragfähigkeit bei konse- Für das den Banken zur Verfügung zu stellende Kapi- quenter Umsetzung der Programmvereinbarungen und tal, also bis zu 25 Milliarden Euro, sollen entsprechende durch Maßnahmen zur Schuldenerleichterung ohne ei- Anteile an den unabhängigen Privatisierungsfonds über- nen Schuldenschnitt erreicht werden kann. tragen werden. Dieser Privatisierungsfonds soll bis Ende Zwar werden die bisher vereinbarten Zielwerte für die 2015 unter der Aufsicht der relevanten europäischen Schuldenstandsquote aufgrund der Verwerfungen der Institutionen seine Arbeit aufnehmen. Den ersten Ent- vergangenen Monate erst deutlich später erreicht werden wurf dafür muss Griechenland schon im Oktober 2015 können – das ist unbestreitbar –, aber in jedem Fall wird vorlegen. In diesen Fonds sollen während der Laufzeit die Schuldenstandsquote schon während der Programm- des Programms – über die im MoU vereinbarten Privati- laufzeit bis 2018 ihren Kulminationspunkt überschrei- (B) sierungen hinaus – werthaltige Vermögenswerte transfe- ten, ab dem sie dann wieder zurückgeht. Denn die Schul- (D) riert werden, die sich im Wert entwickeln sollen, damit denstandsquote geht in dem Augenblick zurück, in dem sie nach Abschließen der Privatisierung zusätzlich zur der Überschuss höher ist, und deswegen hängt das davon Schuldenreduzierung und zur Förderung von Investitio- ab, wie sich das Wachstum entwickelt und die Reduzie- nen in Griechenland beitragen können. rung der Haushaltsdefizite erfolgt. Der Kulminations- punkt muss also noch vor 2018 erreicht werden, sodass (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE die Schuldenstandsquote dann wieder rückläufig ist. GRÜNEN]: Das klappt doch nie!) Der Verschuldungsgrad ist im internationalen Ver- Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der In- gleich extrem hoch, obwohl es Länder gibt – ich nenne ternationale Währungsfonds mit seiner besonderen Exper- nur Japan –, die eine viel höhere Schuldenstandsquote tise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter an Bord bleibt. haben. Deswegen hat man in den vergangenen Jahren in- Die Euro-Gruppe teilt diese Auffassung, und sie hat dies ternational mehr und mehr darauf abgehoben, dass die in ihrer Erklärung vom Freitag ausdrücklich niedergelegt. entscheidende Größe für die Schuldentragfähigkeit ei- Der Internationale Währungsfonds wird seinerseits über gentlich nicht der Schuldenstand ist, sondern die Frage: eine weitere Beteiligung nach einer Überprüfung des Pro- Liegt der jährlich zu leistende Dienst für Zins und Til- gramms im Herbst entscheiden. gung, die sogenannte Bruttofinanzierungsbelastung pro Jahr, unterhalb von 15 Prozent der gesamtwirtschaftli- Man muss daran erinnern: Das eigentliche Programm chen Leistungskraft oder nicht? Diese Beurteilung wird des Internationalen Währungsfonds hatte eine Laufzeit gemeinsam von Internationalem Währungsfonds und eu- bis Ende März kommenden Jahres. Durch die Nichtbe- ropäischen Institutionen mit zugrunde gelegt. Diese dienung einer Zahlung Ende Juni, Anfang Juli dieses 15 Prozent werden – jedenfalls nach den heutigen, noch Jahres an den IWF ist das Programm außer Kraft getre- vorläufigen Zahlen – bis weit in die 2020er-Jahre hinein ten. Deswegen hat der IWF schon bei den Verhandlun- eingehalten werden können. Ob das für die gesamte Pro- gen der Staats- und Regierungschefs am 12. Juli 2015 er- grammlaufzeit der Fall sein wird, muss man im Oktober klärt, dass ein neues Programm für den IWF notwendig 2015 im Lichte der dann zu aktualisierenden Zahlen be- ist und dass der IWF darüber erst im Oktober 2015 nach urteilen. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich, dass wir einer ersten Programmübersicht – im Lichte der einge- im Oktober 2015 zu einer gemeinsamen Beurteilung der tretenen Verzögerungen bei der Bedienung von IWF- Schuldentragfähigkeit kommen werden. Verbindlichkeiten – nach IWF-Regeln entscheiden wird. Aber seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer weiteren Dementsprechend werden wir, wenn es dann notwen- Beteiligung hat der IWF erklärt, und er hat Maßnahmen dig ist, noch einen begrenzten Spielraum in der Frage 11458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) der Laufzeit der Kredite haben, vielleicht auch in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) Frage von tilgungsfreien Perioden. Aber auch da sind ja der SPD) die bisherigen Laufzeiten und die tilgungsfreien Perio- den schon so umfangreich, dass der Spielraum für wei- Wenn Griechenland zu seinen Vereinbarungen steht und tere Schuldenerleichterungen ein begrenzter ist; das wenn das Programm entschlossen und vollständig umge- muss man immer wieder sehr klar sagen. Wiederum ist setzt wird, dann kann die griechische Wirtschaft in den auch klar, dass ein Schuldenschnitt nicht möglich ist. Er nächsten Jahren wieder wachsen. Die Chance ist gege- ist nach den europäischen Verträgen, nach übereinstim- ben. Ob sie genutzt wird, entscheiden allein die Grie- mender Beurteilung aller Fachleute und nach der Erklä- chen. rung der Staats- und Regierungschefs für die Mitglieder Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen oft Ent- der Europäischen Währungsunion nicht zulässig. scheidungen treffen, bei denen es gute Gründe dafür und gute Gründe dagegen gibt; das ist Politik. Es ist nicht so, Es war bereits in der Erklärung vom Juli dieses Jahres dass immer alle Argumente nur dafür sprechen. enthalten, dass der IWF erst im Oktober 2015 über seine Beteiligung an einem neuen Programm entscheiden wird. ( [SPD]: Leider!) Aber unter der Voraussetzung der entsprechenden Ände- rungen im Rentensystem und der Banken-Governance Bei den meisten Entscheidungen ist es übrigens so, und unter der Voraussetzung, dass eine Einigung über die dass man zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht ganz Schuldentragfähigkeit erzielt wird, hat die Generaldirek- sicher sein kann, wie sich das in der Rückschau in eini- torin des IWF am vergangenen Freitag zugesagt, sich im gen Jahren darstellen wird; wir können zukünftige Ent- Oktober 2015 in den IWF-Gremien für eine weitere finan- wicklungen nicht antizipieren. Deswegen müssen wir zielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds ein- die Argumente sorgfältig abwägen. Insofern sage ich zusetzen. Genau in dieser Form wurde bei allen bisheri- mit allem Ernst: Wir haben uns alle Mühe gemacht, un- gen europäischen Programmen die Beteiligung des IWF serer Verantwortung für Europa, für europäische Soli- vereinbart; denn der IWF entscheidet unabhängig. darität gegenüber Griechenland, aber natürlich auch gegenüber dem Souverän in jedem anderen Mitglied- Die Zusage seiner Generaldirektorin, dass man sich staat und gegenüber den Steuerzahlern in allen Ländern für eine weitere Beteiligung einsetzen wird, ist von den der europäischen Währungsunion gerecht zu werden. Gremien des IWF in der Vergangenheit, wenn die Vo- raussetzungen erfüllt waren, immer honoriert worden. Wir wissen – darin sind wir uns alle einig –, wir brau- Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass das chen aus vielen, vielen Gründen ein starkes, ein hand- auch in diesem Jahr der Fall sein wird. Die Euro- lungsfähiges Europa, und das geht nicht ohne Verläss- lichkeit, ohne Vertrauen, und das erfordert Solidarität. (B) Gruppe ihrerseits hat entsprechend der Position der (D) Bundesregierung klar gesagt, dass eine weitere Beteili- Ich glaube, dass ich sagen kann, dass ich nicht weniger gung des Internationalen Währungsfonds an diesem als irgendjemand sonst um diese Entscheidung gerungen Programm auch finanziell unverzichtbar ist. habe. Weil das so ist, kann ich Sie alle mit voller Über- zeugung bitten: Stimmen Sie dem Antrag des Bundes- Mit all den Vereinbarungen im MoU und mit den Er- finanzministeriums zu. klärungen der Euro-Gruppe sind also die Beschlüsse des Europäischen Gipfels vom 12. Juli 2015 umgesetzt. Alle (Anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Beteiligten waren sich einig, dass in den letzten Wochen CDU/CSU und der SPD) ein grundsätzlicher Wandel in Griechenland zu verzeich- nen ist. Dass das zu Auseinandersetzungen innerhalb der Präsident Dr. Norbert Lammert: die dortige Regierung tragenden Kräfte führt, spricht für Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol- die Ernsthaftigkeit des Wandels; wenn es ohne Aus- lege Dr. Gysi für die Fraktion Die Linke. einandersetzung ginge, dann wäre das irgendwie überra- schend. Aber weil dieser Wandel wirklich offensichtlich (Beifall bei der LINKEN) ist und mit Händen zu greifen war – viele haben gesagt, man glaubt fast, dass man in einer anderen Welt lebt; wie Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): gesagt, die meisten Prior Actions sind inzwischen vom Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich griechischen Parlament beschlossen worden –, waren zur Euro-Krise und zu Griechenland komme, einige we- wir uns unter den Finanzministern am Freitag völlig ei- nige andere außenpolitische und innenpolitische Bemer- nig, dass wir auf dieser Grundlage den Abschluss eines kungen: Hilfsprogramms empfehlen können und empfehlen müs- sen. Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Online- plattform netzpolitik.org Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es nach den Erfahrungen der zurückliegenden Monate und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe Jahre keine Garantien, dass das alles funktionieren wird, von der CDU/CSU: Oh!) und Zweifel sind immer erlaubt. Aber angesichts der wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats Tatsache, dass das griechische Parlament einen Großteil und Preisgabe von Staatsgeheimnissen eingeleitet. der Maßnahmen bereits beschlossen hat, wäre es unver- antwortlich, die Chance für einen neuen Anfang in Grie- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Thema ver- chenland jetzt nicht zu nutzen. fehlt!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11459

Dr. Gregor Gysi (A) Anzeigenerstatter war der Verfassungsschutz, und Gut- An der Grenze zu Syrien stehen Bundeswehrsoldaten (C) achter darüber, dass das Staatsgeheimnisse sind, war mit Patriot-Raketen. Als sie dorthin gestellt wurden, ha- auch der Verfassungsschutz. ben wir Ihnen gesagt, wir würden Teil des Nahostkon- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Thema ver- flikts. Das ist durch nichts zu rechtfertigen; aber Sie wa- fehlt!) ren ja, wie immer, schlauer und haben das beschlossen. Jetzt, Frau Merkel, haben auch Sie es verstanden und Es ist übrigens eine völlig neue Rechtsansicht, dass der eingesehen. Sie ziehen die Soldaten und Raketen ab. vermeintlich Geschädigte auch die Gutachten über sich Wieder einmal hören Sie auf uns – aber spät, sehr spät. abgibt. Abgesehen davon wissen wir inzwischen: Das Ich sage Ihnen: Sie müssen sich künftig diesbezüglich Bundeskanzleramt und das Bundesinnenministerium mehr beeilen. waren vorab informiert. Das heißt, es handelte sich um einen schwerwiegenden politischen Angriff auf die Pres- (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [We- sefreiheit. sel I] [CDU/CSU]: Sie waren schon mal bes- ser!) (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wollen Sie von Ihrem Versagen in der Eine dritte Bemerkung will ich machen, und zwar zur Griechenland-Frage ablenken, Herr Gysi?) Flüchtlingsproblematik, die unsere Gesellschaft sehr be- schäftigt. Ich möchte gern ganz kurz vier Forderungen Ich sage Ihnen: Dass der Generalbundesanwalt in den formulieren: vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde, löst das Pro- blem nicht. Das ist ein Bauernopfer. Wir brauchen hier Erstens. Das Leben jedes Flüchtlings im Mittelmeer vollständige Aufklärung. muss gerettet werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine zweite Bemerkung: Seit Jahrzehnten unterdrü- cken die türkischen Behörden die Kurdinnen und Kur- Zweitens. Alle Flüchtlinge müssen bei uns anständig den in der Türkei, und zwar kulturell, sozial und recht- behandelt und untergebracht werden, und die Kommu- lich. nen müssen endlich entlastet werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kön- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna nen Sie noch einmal die Überschrift der De- Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) batte lesen?) Nebenbei bemerkt: Der Linken-Ministerpräsident von – Ich weiß, Sie meinen, das gehört nicht zum Thema. Thüringen, , leistet diesbezüglich eine (B) Aber die Leute interessiert das, und das ist das Entschei- sehr gute Arbeit. (D) dende. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordne- (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abge- ten der CDU/CSU) ordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [We- sel I] [CDU/CSU]: Zu Griechenland nichts zu – Weil Sie ihn nie loben, muss ich das ja machen. Verste- sagen, oder wie?) hen Sie das? Im Kampf dagegen bildete sich die PKK. Nach vielen ( [Heidelberg] [SPD]: Das ist Jahrzehnten hat endlich ein so schwieriger und wichtiger kein Thema für einen Bauchladen! Das wäre Friedensprozess begonnen, und den zerstört Erdogan ge- ein eigenes Thema hier!) rade durch Bomben. Ich weiß, dass auch die PKK Fehler Drittens. Nicht die Flüchtlinge, aber die Kosten müs- begeht, aber Erdogan begeht viel schwerwiegendere sen innerhalb der Europäischen Union gerecht verteilt Fehler, und er ist viel mächtiger und stärker und hat des- halb ganz andere Verpflichtungen. Aber der Höhepunkt werden. ist, dass die Bundesregierung uns bestätigen musste, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dass Erdogan den „Islamischen Staat“, diese einzigartige terroristische Organisation, regelmäßig unterstützt, wäh- Viertens. Ernsthaft – das sage ich Ihnen – muss be- rend die PKK die entscheidende Kämpferin gegen den gonnen werden, die Fluchtursachen zu bekämpfen, das „Islamischen Staat“ ist. heißt Krieg, Hunger, Elend und Rassismus. Wir aber sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Ich sage (Beifall bei der LINKEN) es Ihnen so ernsthaft wie möglich: Wenn wir nicht be- Schon deshalb müssen wir endlich das Verbot der PKK ginnen, die Weltprobleme zu lösen, werden sie täglich in Deutschland aufheben. und verschärfter zu uns kommen. Ich sage Ihnen auch: Sie müssen mit der türkischen (Beifall bei der LINKEN) Regierung ganz anders sprechen. Wie würden Sie denn Aber nun zur Griechenland-Krise mit anderen Regierungen, die den „Islamischen Staat“ unterstützen, umgehen? Ganz anders. Bloß weil das ein (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – NATO-Partner ist, machen Sie nichts. Das ist durch Aha! – Juchhu! – Doch noch zum Thema?) nichts zu rechtfertigen; das will ich Ihnen ganz klar sa- – ich hoffte auf Ihre Begeisterung, die habe ich schon er- gen. reicht – und zum dritten Hilfspaket. Es geht um 86 Mil- (Beifall bei der LINKEN) liarden Euro, davon erstens für Altschulden 54 Milliar- 11460 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Gregor Gysi (A) den Euro. Das heißt, man macht neue Schulden, um alte nur, wenn es Schuldenerleichterungen für Griechenland (C) Schulden zu begleichen, und aus diesem Kreislauf gibt. kommt man nicht mehr heraus. Zweitens. Für Pleiteban- Na ja, was tun? Frau Merkel hat angedeutet, man ken – statt Insolvenzen von Banken mit Erstattung der könnte ja vielleicht die Rückzahlungspflichten zeitlich Guthaben hinzunehmen – stellen wir, nein, nicht wir, strecken; vielleicht könnte man auch noch die Zinsen sondern die entsprechenden europäischen Einrichtungen stunden; ein Schuldenschnitt käme nicht infrage. Aber wieder 25 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Dritte immerhin, über diese beiden Dinge könnte man nach- – das stimmt, was Herr Schäuble gesagt hat –: 11 Mil- denken. Interessant ist: Das sind die Elemente, die für liarden Euro dienen dazu, offene Rechnungen des Staats- Deutschland 1952 auf der Schuldenkonferenz in London apparates zu begleichen, Löcher zu stopfen. Für die drin- hinsichtlich der Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg gend notwendigen Investitionen wird von diesen Euros beschlossen wurden. Wir machen also nichts anderes als nicht einer verwendet. Nicht einer! das, was wir auch erfahren haben, wenn auch in etwas Aber es könnte ja auch Positives geben. anderer Zeit. Ich bin gespannt, wie das ausgeht. Noch ist ja nichts entschieden. Warten wir es ab! Ich komme zum Ersten. Griechenland hat ja aus ande- ren Fonds bis zum Jahre 2020 Anspruch auf 36 Milliar- Sie wissen – Sie werden es gleich wieder bestreiten –: den Euro, die man tatsächlich für Investitionen verwen- Ich bin ein Anhänger von Logik. den könnte. Das Problem ist nur: Bisher hat Griechenland (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – davon keinen Euro bekommen, weil es die Eigenmittel Johannes Kahrs [SPD]: Erklären Sie dann mal, nicht aufbringen kann, die dafür gefordert sind. Da geht warum Sie dagegenstimmen!) es Griechenland so wie unseren armen Kommunen, die nicht an Fördergelder herankommen, weil sie die Eigen- – Ich wusste es. mittel nicht aufbringen. Das ist dieselbe Struktur. Nun ist (Johannes Kahrs [SPD]: Dann können Sie jetzt in Aussicht gestellt worden, die Eigenmittel zu reduzie- ja mal erklären, warum Sie dagegenstimmen!) ren – aber nur in Aussicht gestellt; es ist noch nichts be- schlossen. Warum haben Sie denn nicht jetzt beschlossen, – Ja, jetzt kommt ja meine Logik. Passen Sie auf! die Eigenmittel auf null zu setzen, damit endlich das Geld (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh, fließen und Investitionen stattfinden können? jetzt wird es spannend!) (Beifall bei der LINKEN) Erstens. Deutschland hat bisher in der Krise keinen Zweitens. Es sollen ja jetzt ernsthaft Korruption, einzigen Euro an Griechenland gezahlt. Diese Tatsache müssen wir immer wieder benennen. (B) Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bekämpft (D) werden, und sogar ein Stück mehr Steuergerechtigkeit (Beifall bei der LINKEN – Thomas soll hergestellt werden. Übrigens sage ich Ihnen noch Oppermann [SPD]: Aber wir haften für eine einmal – das wissen Sie auch, Herr Schäuble und Frau ganze Menge!) Merkel –: Das ist nur mit dieser Regierung möglich. Bei allen vorhergehenden Regierungen, die von Ihren Zweitens. Die Bundesregierung hat gegen unseren Schwesterparteien gestellt wurden, von den Konservati- Willen allerdings unterschrieben, für 27 Prozent der ven und von den Sozialdemokraten, war das undenkbar; während der Krise aufgenommenen Schulden von denn die haben die Korruption in Griechenland organi- Irland, Spanien, Portugal, Zypern und Griechenland zu siert und erfunden. Also mussten wir hier einen neuen haften. Das gilt auch für die jetzt geplanten 86 Milliar- Weg gehen. den Euro. Drittens. Wenn eines – oder mehrere – dieser Länder (Beifall bei der LINKEN) in die Pleite getrieben und zahlungsunfähig wird, dann Abgesehen davon soll ja auch die Einkommensteuer re- also haften wir dank Ihrer Unterschrift, Frau Merkel und formiert werden – das ist eine Chance, dass auch der Herr Schäuble, und zwar im Umfange von 27 Prozent. Spitzensteuersatz erhöht wird –, und Immobilien sollen Viertens. Wenn ein Staat pleitegeht, bedeutet dies für endlich angemessen bewertet werden. die dortige Bevölkerung eine schlimme Verarmung, Drittens sollen die Militärausgaben – wenn auch nicht Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, ein Netz von genug – gesenkt werden. Suppenküchen, also eine Katastrophe. Es bedeutet für unsere Bevölkerung, dass wir dann im Milliardenum- Viertens. Die angestrebten Überschüsse im Haushalt fang zahlungspflichtig werden. Das heißt, auch bei uns wurden der Realität angepasst, sodass möglicherweise leitete sich ein weiterer Verarmungsprozess ein. gewisse Spielräume für die Regierung entstehen. Fünftens. Also müssen wir doch genauso wie die iri- Aber nun passiert etwas Interessantes – deshalb, Herr sche, spanische, portugiesische, zypriotische und grie- Schäuble, haben Sie ja so lange vom Internationalen chische Bevölkerung für einen Auf- und nicht für einen Währungsfonds, vom IWF, gesprochen –: Sie stecken Abbau dieser Länder streiten. doch in einem Interessenkonflikt. Denn Herr Schäuble (Beifall bei der LINKEN) besteht darauf, dass der IWF beteiligt ist. Auf der ande- ren Seite will er aber keine Schuldenerleichterungen für Dann ginge es sowohl den Menschen dort als auch bei Griechenland. Nun sagt aber der IWF, er beteilige sich uns besser. Für Griechenland bedeutete das endlich In- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11461

Dr. Gregor Gysi (A) vestitionen in Bildung, Solarindustrie, Tourismus und die übrigens überwiegend im öffentlichen Eigentum der (C) Schiffsindustrie. Wenn Sie die anderen zerstören, zerstö- Bundesrepublik steht. Das ist also eine Privatisierung öf- ren Sie auch unser Land. Diese Tatsache müssen wir ver- fentlichen Eigentums in Griechenland zugunsten öffent- deutlichen. lichen Eigentums in Deutschland. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn! (Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie da- Aber das ist ja nicht so!) gegen?) Aber Sie bauen dennoch weiter und schlimmer ab. Mehr als merkwürdig! Der Preis ist übrigens ein fantasti- Jetzt werde ich es Ihnen sagen: scher Dumpingpreis. Damit kann die griechische Regie- rung die von Ihnen geplanten 50 Milliarden Euro für Pri- Erstens gibt es weitere Kürzungen bei Renten und So- vatisierungen niemals realisieren. zialleistungen, noch einmal. Das bedeutet eine geringere Kaufkraft. Griechenland hat einen kleinen Exportsektor (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wie haben und lebt überwiegend von der Binnenwirtschaft. Wenn Sie die denn bewertet?) Sie die Kaufkraft reduzieren, geht die Binnenwirtschaft Jetzt kommt der fünfte Punkt. Unvorstellbar, aber zurück, wird sie geschwächt. Dann gibt es geringere wahr: Die griechische Regierung darf keinen einzigen Steuereinnahmen, und damit wird die Regierung weni- Bankchef, keinen einzigen leitenden Angestellten einer ger rückzahlungsfähig und kann gar keine Investitionen Bank entlassen oder einstellen. Das machen europäische tätigen. Institutionen. Wie wollen Sie eigentlich so wirksam Kor- ruption bekämpfen? Zweites Beispiel: Sie erhöhen die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Wir nicht! – Es ist eine ungeheure Einschränkung der Souveränität. Thomas Oppermann [SPD]: Wir nicht, Der Höhepunkt ist, dass die Regierung einen Gesetz- Syriza!) entwurf ohne Genehmigung dieser europäischen Institu- – Ja, Sie bestehen darauf und erpressen die Griechen, tionen nicht einmal öffentlich diskutieren, geschweige dass sie es machen. So ist es richtig formuliert. Sie denn in das Parlament einbringen kann. Das zerstört die haben recht, Herr Oppermann; ich sollte das genauer parlamentarische Demokratie. Da können wir beim bes- formulieren. ten Willen nicht mitmachen. Die Mehrwertsteuer steigt auf 23 Prozent; die Aus- (Beifall bei der LINKEN) (B) nahmen bei Inseln werden zurückgenommen. Das aber Aber all das ändert nichts an unserer Solidarität mit (D) bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung belastet wird, der griechischen Bevölkerung, mit Syriza und auch auch der ärmere Teil, und es bedeutet darüber hinaus, nichts an meinen guten Beziehungen zu Ministerpräsi- dass der Tourismus zurückgedrängt wird. Das sind wie- dent Tsipras. der weniger Steuereinnahmen. Damit kann die Regie- rung weniger zurückzahlen und nicht investieren. Ich (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist ja nun wirk- verstehe diese ganze Logik nicht. lich verlogen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist mit Varoufakis?) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Bisher hat Deutschland entgegen den Behauptungen Johannes Kahrs [SPD]: Dass Sie nichts verste- einer sehr stark bebilderten Zeitung nicht einen Euro für hen, ist das Problem! – Weiterer Zuruf von der Griechenland bezahlt, und wenn es je dazu kommen SPD: Das ist das Problem!) sollte, dann nur durch eine verfehlte Politik der Bundes- Drittens. Außerdem sollen Massenentlassungen deut- regierung. lich erleichtert werden. Auch das ist eine Katastrophe. Aber was die bebilderte Zeitung und auch Sie immer Dagegen war die Sozialdemokratie früher übrigens ein- verschweigen, ist die Tatsache, dass Deutschland laut mal; aber es ist lange her. Berechnung eines Wirtschaftsinstituts inzwischen Viertens. Außerdem verlangen Sie von Griechenland 100 Milliarden Euro an der Krise verdient hat, und zwar, eine umfassende Privatisierung der öffentlichen Güter weil auf Druck der Bundesregierung die Europäische und Daseinsvorsorge. Also, das ist ja schon an sich Zentralbank die Zinsen Richtung null gefahren hat, so- falsch. Sie hat nirgendwo im Interesse der Bevölkerung dass wir dieses Geld einsparen konnten. Allerdings muss funktioniert, weder in London noch bei uns. Aber wenn man erwähnen, dass die Bürgerinnen und Bürger das sie auch noch unter Druck und Zwang erfolgt, dann führt dadurch bezahlt haben, indem ihre Sparguthaben ent- dies natürlich automatisch zu extrem niedrigen Preisen. sprechend entwertet wurden. Übrigens, Herr Schäuble, nun lese ich, dass die (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So einen 14 rentablen Regionalflughäfen in Griechenland ganz Blödsinn habe ich selten gehört!) zufällig an die deutsche Firma Fraport gehen sollen, Also, 100 Milliarden Euro haben wir daran verdient. (Zurufe von der CDU/CSU: Na und, ist das Außerdem wurden bis Mitte 2015, Herr Gabriel, ent- was Schlimmes? – Die hat die Ausschreibung gegen Ihrer Reduzierungsankündigung so viele Rüs- gewonnen!) tungsexporte genehmigt wie im gesamten Jahr 2014. 11462 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: schen Bundestag unterstützen die linksradikale Opposi- (C) Herr Kollege. tion gegen Tsipras. Ich finde, das ist ein schwacher Ab- gang, den Sie als Fraktionsvorsitzender gewählt haben. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Ich bin sofort fertig. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ kommt der übliche Dialog! Wir warten auf den CSU]: Das war schon mal ein guter Start!) üblichen Dialog!) Meine Damen und Herren, kaum jemand hatte nach Unter den Empfängerländern befinden sich auch auspeit- den dramatischen Wochen, die wir im Juni erlebt haben, schende, verstümmelnde und höchst undemokratische damit gerechnet, dass uns heute hier ein Hilfsprogramm Staaten wie Saudi-Arabien. Deutschland verdient also vorliegt, das, wenn es Punkt für Punkt umgesetzt wird, auch noch an jedem Krieg. Glauben Sie wirklich an eine Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine brin- sinnvolle Zukunft unseres Landes, wenn wir so extrem gen kann. von Krisen und Kriegen profitieren? Ich nicht. (Widerspruch bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Nach monatelanger destruktiver ideologischer Aus- [CDU/CSU]: Das war aber auch nicht so be- einandersetzung hat seinen irrlichternden deutend!) Finanzminister Varoufakis entlassen, das Kabinett um- gebildet, sich entschieden, für den Verbleib in der Euro- Präsident Dr. Norbert Lammert: Zone zu kämpfen, und sich auf konstruktive Verhandlun- Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann gen eingelassen. für die SPD-Fraktion. (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Ergebnis zeigt: Es war absolut richtig, dass wir hier vor vier Wochen den Weg für Verhandlungen mit Grie- Thomas Oppermann (SPD): chenland frei gemacht haben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) heute Gregor Gysi natürlich ganz aufmerksam zugehört. Es war wohl seine letzte oder vorletzte Rede als Frak- Zum ersten Mal seit dem Amtsantritt der Syriza- tionsvorsitzender. Regierung haben viele europäische Kolleginnen und Kollegen und auch Finanzminister Schäuble, die mit der (B) (D) ( [DIE LINKE]: Mischen Sie griechischen Regierung direkt zu tun hatten, den Ein- sich nicht in unsere Redeplanung ein!) druck, dass diesmal nicht nur über Reformen geredet Ich habe gedacht: Heute kommt das politische Ver- und verhandelt wird, sondern dass es auch den Willen mächtnis von Gregor Gysi an seine eigene Fraktion. gibt, diese Reformen umzusetzen. Ich finde, das ist ein Aber ich muss sagen, Herr Gysi: Ich bin von Ihrer Rede ermutigendes Zeichen. maßlos enttäuscht. Auch wenn in Griechenland viele immer noch nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – restlos überzeugt sind und die Regierungspartei Syriza Zurufe von der LINKEN: Oh!) vor der Spaltung steht, so ist doch die ganz überwie- gende Mehrheit im griechischen Parlament und auch die Sie wollten sich hier als ein Meister der politischen ganz große Mehrheit in der griechischen Bevölkerung Logik präsentieren. Aber die politische Logik ist ganz der Meinung, dass wir lange genug gestritten haben. einfach und nicht so kompliziert, wie Sie sie dargestellt Jetzt haben wir uns geeinigt. haben. Jetzt muss entschieden werden. Jetzt müssen die (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Dinge umgesetzt werden, meine Damen und Herren. Wenn Sie heute bei diesem Hilfsprogramm mit Nein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stimmen, dann fallen Sie damit Ihrer Schwesterpartei der CDU/CSU) Syriza in Griechenland in den Rücken. Dafür gibt es gute Argumente. Ich finde, dieses Hilfs- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie programm hat eine andere, eine neue Qualität, weil es bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sich in einem ganz wesentlichen Punkt von den bisheri- GRÜNEN) gen Programmen unterscheidet. Es ist nämlich nicht nur, Sie sind kein Meister der politischen Logik. Sie sind ein wie bisher, allein auf die fiskalischen Einsparziele Meister der politischen Rabulistik. Ihnen ist kein argu- fixiert, sondern es setzt erstmals auf den Umbau von mentativer Eiertanz zu schade, um am Ende zu dem Er- Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Griechenland, und gebnis zu kommen, mit Nein zu stimmen. nur so können die vielen verschiedenen, tiefliegenden und einander wechselseitig verstärkenden Defizite die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ses Landes gelöst werden. In Athen kämpft Alexis Tsipras um den Verbleib Drei Beispiele dazu machen das sehr gut nachvoll- Griechenlands in der Euro-Zone, und Sie hier im Deut- ziehbar. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11463

Thomas Oppermann (A) Erstens. Weil es in Griechenland keine funktionie- terstützung von Strukturreformen nach Kräften personell (C) rende soziale Absicherung gibt, kam es zu einer syste- unterstützt. matischen Flucht in die Frühverrentung. Nirgendwo in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Europa gibt es so viele junge Rentner und Rentnerinnen der CDU/CSU) wie in Griechenland. Deshalb sind die Rentenlasten auch kaum noch bezahlbar. Jetzt soll eine soziale Grundsiche- Dieser neue Service muss helfen, dass Griechenland die rung geschaffen werden, damit die arbeitsfähige Bevöl- schwierigen Probleme bewältigen kann. Denn die grie- kerung nicht mehr vorzeitig in den Ruhestand geschickt chische Regierung – auch wenn sie uns nicht gefällt – werden muss. Das ist doch sehr vernünftig, meine Da- muss jetzt Erfolg haben. Nur sie kann Griechenland re- men und Herren. formieren, und nur sie kann Glaubwürdigkeit, Verläss- lichkeit und Vertrauen wiederherstellen, was für einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wirtschaftlichen Aufschwung notwendig ist. Das sollten der CDU/CSU) wir unterstützen. Zweitens. Ein großer Teil der griechischen Wirtschaft Der IWF ist am neuen Programm vorerst nicht finan- existiert als Schattenwirtschaft, in der keine Steuern ge- ziell beteiligt, weil die Schuldentragfähigkeit nach sei- zahlt werden. Jetzt soll endlich eine effektive Finanzver- nen Kriterien noch nicht gegeben ist. Die Euro-Gruppe waltung aufgebaut werden, die in der Lage ist, Steuern hat deshalb nochmals deutlich gemacht, dass sie bereit einzutreiben, und zwar nicht nur von den kleinen Leuten, ist, die Schuldentragfähigkeit zu sichern. Wir alle wis- sondern auch von den Reichen des Landes. Dazu passt, sen, dass ein glatter Schuldenschnitt unter vertragsrecht- dass die Steuerprivilegien für Landwirte und Reeder aus- lichen Gesichtspunkten eher schwierig ist. Aber es sind laufen, für die es ohnehin keine Rechtfertigung gibt. Ab- Erleichterungen bei den Zinszahlungen und den Laufzei- gesehen davon: Griechenland ist ein armer Staat, und ein ten möglich, die dem IWF den Einstieg und Griechen- armer Staat kann sich keine Steuersubventionen für rei- land eine langfristige Schuldenrückzahlung ermögli- che Reeder leisten. Gut, dass das jetzt zu Ende geht, chen. meine Damen und Herren. Einige hätten sich diese Erleichterungen schon heute (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- gewünscht, allen voran die griechische Regierung. Aber ruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) ich muss sagen: Ich bin eigentlich froh, dass es eine Drittens. Ihnen geht es um die Menschen in Griechen- klare Bedingung für diese Erleichterungen gibt. Erst land. Aber das Leben in Griechenland ist in vielen Berei- wenn die Überprüfung des Programms im Herbst ergibt, chen für viele Menschen gemessen an ihren kleinen Ein- dass die Reformen auch erfolgreich umgesetzt worden (B) kommen viel zu teuer, weil es zu wenig Wettbewerb sind, reden wir über Schuldenerleichterungen. Alles an- (D) gibt. Das gilt für Energie, Lebensmittel und Medika- dere wäre auch nicht im Sinne der griechischen Bevölke- mente. Jetzt werden Generika zugelassen, Subventionen rung; denn es sind die Menschen in Griechenland, die für Landwirte abgebaut und Monopole im Strommarkt zuerst darauf angewiesen sind, dass dort ein handlungs- aufgebrochen. Auch das ist vernünftig und sozial ge- fähiger Staat entsteht. recht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Aber umgekehrt gilt auch: Wenn Griechenland sich CDU/CSU) erfolgreich reformiert, dann muss es auch Schuldener- Das alles steht im Memorandum of Understanding, leichterungen geben. Dieses Versprechen hat Griechen- und zwar nicht als bloße Absichtserklärung, sondern es land von der Euro-Gruppe, dieses Versprechen hat Grie- ist detailliert mit Einzelmaßnahmen unterlegt. Natürlich chenland auch von dieser Koalition, und dafür bietet das hätte man sich an der einen oder anderen Stelle noch dritte Hilfsprogramm eine sehr gute Grundlage. Deshalb, mehr wünschen können. Aber am Ende ist das Pro- meine Damen und Herren, wird meine Fraktion heute gramm eben ein Kompromiss, der zwar den Griechen dem Programm mit großer Geschlossenheit zustimmen. und uns gleichermaßen schwerfällt, aber es ist ein ambi- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tionierter Kompromiss, der die Grundlage für wichtige gesellschaftliche Veränderungen in Griechenland sein (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – kann. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der SPD auch nicht besonders typisch, oder? – Gegenruf der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Kümmert der CDU/CSU) euch um eure Geschlossenheit! Da habt ihr ge- Dieses Programm ist auch deshalb besser als seine nug zu tun! – Gegenruf des Abg. Johannes Vorgänger, weil es so konstruiert ist, dass die einzelnen Kahrs [SPD]: Kommen die alle nicht, oder? – Finanzhilfen mit der Umsetzung einzelner Reformen Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ verknüpft sind. Diese Reformen muss die griechische CSU]: Wer den Ärger hat, braucht für den Regierung jetzt Punkt für Punkt einlösen. Finanzhilfen Spott nicht zu sorgen!) gibt es nur Zug um Zug gegen Reformen. Wir alle müs- sen ein Interesse daran haben, dass diese Veränderungen Präsident Dr. Norbert Lammert: gelingen. Deshalb bitte ich die Bundesregierung darum, Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für dass sie den neuen Dienst der EU-Kommission zur Un- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 11464 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer nur im Verschwurbelten und immer nur im Unklaren (C) NEN): oder schlimmstenfalls in Klischees zu bleiben? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Merkel, Sie haben erst vor kurzem be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kannt gegeben – – Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich muss die (Lachen bei der CDU/CSU) griechische Regierung Strukturreformen ergreifen, zum Beispiel so etwas wie eine vernünftige Steuerverwaltung – Was finden Sie daran so ungewöhnlich, dass man Frau einführen und so etwas wie einen vernünftigen Staat Merkel anspricht? Ist es so ungewöhnlich für Sie, dass schaffen. Natürlich muss sie sich trauen, sich mit mäch- sie da ist, dass man sie einmal erwähnt? Oder ist es, weil tigen, reichen Familienunternehmern wie den Reedern Sie sozusagen gar nicht auf sie hören? anzulegen, damit auch die endlich einmal Steuern zah- Frau Merkel, Sie haben vor kurzem in den Medien len. Aber ausgerechnet Sie, Frau Merkel, die Sie es in und in der Öffentlichkeit gesagt, dass es nichts bringt, den letzten zehn Jahren noch nie gewagt haben, eine ris- zur griechischen Regierung oder zur griechischen Bevöl- kante, eine schwierige Reform anzugehen, ausgerechnet kerung nett zu sein. Sie haben bekannt gegeben, man Sie, die Sie meistens noch eine Umfrage abwarten, bevor müsse hart sein und den Griechen so richtig zeigen, wo Sie sich überhaupt öffentlich äußern, ausgerechnet Sie es langgeht. Aber sind das denn irgendwelche politi- sagen, die griechische Regierung müsse mal Härte zei- schen oder gar ökonomischen Kriterien? Geht es darum, gen und mit der griechischen Regierung müsse man mal nett oder hart zu sein, oder geht es darum, ein Paket zu hart umgehen. Ist Ihnen das nicht eigentlich selber pein- stricken und so zu gestalten, dass die griechische Wirt- lich? schaft wieder funktioniert und es den Menschen wieder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besser geht? Ist Ihnen nicht klar, dass wir nur dann, wenn es Griechenland wieder besser geht, wenn die Re- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es formen so gestaltet sind, dass sie nicht besonders hart haben ja viele vor, Nein zu sagen. sind, sondern besonders wirkungsvoll sind, eine Chance (Johannes Kahrs [SPD]: Stimmen die Grünen haben, wenigstens einen Teil des Geldes, für das wir und denn alle dafür?) die anderen europäischen Regierungen bürgen, wieder- zusehen? Man hat den Eindruck, dass Sie überhaupt nicht mehr in der Lage sind, eine vernünftige Bewertung dessen vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zunehmen, was innerhalb Europas passiert, was inner- Schauen wir uns an, wie Sie als Kanzlerin und Sie, halb der Europäischen Union, innerhalb der Euro-Zone (B) Herr Schäuble, in den Verhandlungen agiert haben und passiert. (D) wie Sie, Herr Gabriel, sich öffentlich vor den Verhand- Bei Ihnen gibt es den Wunsch, Griechenland aus dem lungen geäußert haben, wie Sie mit Grexit, dem Raus- Euro zu schmeißen, mit Griechenland einfach, damit das schmiss Griechenlands aus der Euro-Zone, gedroht Ganze zu Ende geht, eine Art Ende mit Schrecken zu in- haben! Eine deutsche Regierungsspitze, die so agiert, szenieren. Ist Ihnen nicht klar, dass, wenn Griechenland schadet dem Zusammenhalt in Europa, und damit scha- aus dem Euro rausbricht, die Lage in Griechenland noch det sie auch Deutschland; denn Sie schaden damit unse- schlimmer wird, dass die Lage für die Menschen noch rem Standing in Europa. Sie schaden dem Zusammen- problematischer wird, wobei die Lage ohnehin schon halt in Europa. schlimm ist, und dass das eben kein Ende mit Schrecken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist? Es mag vielleicht bei Ihrer eigenen Parteibasis im sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wahlkreis ganz gut klingen, wenn man sagt: Pah, ich habe es den Griechen mal gezeigt, und ich habe mich ge- Ich frage mich schon, Frau Merkel: Haben Sie denn traut, hier mit Nein zu stimmen. Ich habe mich vielleicht inzwischen solche Töne nötig? Haben Sie das inzwi- sogar getraut, anders abzustimmen als Herr Kauder. – schen nötig, um Ihre Leute hinter sich zu bringen? Müs- Aber ist das irgendwo eine vernünftige Haltung? Glau- sen Sie denn wirklich diese Klischees und Stereotype be- ben Sie ernsthaft, dass damit das Problem gelöst ist? dienen? Ist das wirklich nötig? Was wird am Ende sein, wenn Griechenland aus dem (Lachen der Abg. [CDU/ Euro rausbricht? Dann wird es entsprechend ein humani- CSU]) täres Paket für Griechenland geben müssen; denn Grie- chenland verschwindet ja nicht aus der Europäischen Wäre nicht etwas anderes nötig? Wäre es nicht end- Union. Griechenland hört ja nicht auf zu sein. Glaubt ir- lich notwendig, dass Sie gegenüber der deutschen Be- gendwer hier im Saal, dass wir es uns leisten können, völkerung und gegenüber der Öffentlichkeit erklären, mit Griechenland einen gescheiterten Staat in dieser warum Sie die Politik machen, die Sie machen, dass Sie noch dazu geopolitisch schwierigen Region zu haben? erklären, warum Europa zusammengehalten werden Deshalb kann ich nur sagen: Geben Sie sich alle einen muss, warum der Euro für uns wichtig ist? Ruck, und sagen Sie zu diesem – wenn auch sehr ( [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zu- schwierigen – Paket Ja! hören!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wäre es nicht notwendig, dass Sie mal klar und deutlich sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes erklären, warum diese Politik notwendig ist, anstatt im- Kahrs [SPD]: Ja sagen wir auch!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11465

Dr. Anton Hofreiter (A) Frau Merkel, merken Sie eigentlich nicht, dass Sie In diesem ganzen Paket stecken natürlich auch noch (C) mit Ihren pragmatischen Trippelschritten, mit diesem Unmengen Wunschdenken drin. Herr Schäuble, Sie ha- pragmatischen Vor-sich-hin-Wurschteln, das Sie seit ben wieder von diesen wunderbaren Privatisierungserlö- fünf Jahren praktizieren, am Ende nicht weiterkommen? sen gesprochen: 50 Milliarden Euro Privatisierungser- Ich meine, es klingt im ersten Moment immer gut: Ich löse. Jetzt mal ehrlich: Sie können doch einigermaßen fahre auf Sicht. Die Zukunft ist im Dunkeln. mit Zahlen umgehen. (Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was (Volker Kauder [CDU/CSU]: Einigermaßen?!) denn jetzt? Wenn es dunkel ist, kann man nicht Sie wissen doch selber, dass es diese 50 Milliarden Euro auf Sicht fahren! nie geben wird. Es ist doch reines Wunschdenken, was Ich mache einen pragmatischen Schritt nach dem ande- Sie hier verbreiten. Seien Sie doch einfach einmal ehrli- ren. – Aber allein der Umstand, dass wir schon wieder cher! über die Euro-Krise reden, dass wir seit fünf Jahren über Seien Sie ehrlich, was den IWF angeht! Der IWF hat diese Euro-Krise reden, zeigt doch, dass dieses pragma- in dem Punkt recht: Wir brauchen eine Schuldenerleich- tische Durchwurschteln am Ende nicht funktionieren terung. Seien Sie entsprechend ehrlich: Es wird diese wird. 50 Milliarden Euro an Privatisierungserlösen niemals Wir brauchen endlich einen vernünftigen Plan: Wie geben. geht es mit der Euro-Zone weiter? Wie kommen wir zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion? Wie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) kommen wir zu einem wirklichen Zusammenhalt in der Europäischen Union? Wir erwarten von Ihnen als Regie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion rungschefin des größten und damit auch mächtigsten wird trotz der demokratischen, sozialen und ökonomi- Euro-Landes, dass Sie sich da einmal etwas überlegen, schen Schwierigkeiten und Irrtümer, die in diesem Paket dass Sie da vorangehen – denn Sie sind immerhin diese stecken, mehrheitlich zustimmen. Aber: Diese Zustim- Regierungschefin –, mung ist ein Ja zu Europa, ein Ja zu einem europäischen Kompromiss und kein Ja zu dieser Bundesregierung, die (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist mal rich- in den Verhandlungen zum Teil populistisch, zum Teil tig!) uneuropäisch und zum Teil unverantwortlich gehandelt dass Sie da einmal etwas leisten und damit klar sagen, in hat. Wir stimmen zu, weil wir wissen: Wenn das Geld an welche Richtung es gehen soll. Griechenland nicht fließt, dann wird Griechenland aus dem Euro brechen. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Auch die Linksfraktion muss sich mal fragen, was das Das braucht Europa auch bei weiteren Fragen. Diese bedeutet. Ja, wir wissen, dass die Lage in Griechenland Euro-Krise ist ja nicht einmal das schwierigste Problem, für viele Menschen schwierig ist und das Paket die Pro- das wir im Moment in Europa haben. Schauen Sie sich bleme am Ende nicht lösen wird. Aber die Alternative ist die Flüchtlingstragödien an, die sich im Moment im Mit- einfach schlichtweg noch schlimmer; telmeer, im Nahen Osten, auf den griechischen Inseln er- eignen! Schauen Sie sich an, wie armselig Europa da (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es gibt an- agiert, wie armselig die nationalen Regierungen agieren! dere Alternativen! – Dr. [DIE Man kann sich noch nicht einmal über die Verteilung LINKE]: Es gibt zwei Wege!) von einigen Zehntausend Flüchtlingen einigen. Das zeigt die Verheerungen für die griechische Wirtschaft und für doch, wie notwendig wir einen deutlicheren Zusammen- die Menschen in Griechenland wären noch schlimmer. halt in der Europäischen Union brauchen, wie sehr wir Deshalb: Geben Sie sich einen Ruck, und üben Sie Soli- eine Vision für Europa brauchen. darität mit Griechenland und mit den Menschen in Grie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chenland! sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank. Natürlich sehen wir, dass in diesem Paket auch eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganze Reihe von Defiziten drinsteckt; denn in diesem sowie bei Abgeordneten der SPD) Paket gibt es automatische Ausgabenkürzungen, die am Ende prozyklisch sind und damit de facto die Krise ver- längern und nicht aus der Krise herausführen. Natürlich Präsident Dr. Norbert Lammert: ist in diesem Paket wieder keine vernünftige Schulden- Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder erleichterung drin. Dabei wissen doch am Ende alle: das Wort. Griechenland wird nicht in der Lage sein, die hohe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Schuldenlast entsprechend zurückzuzahlen. Aber Sie neten der SPD) sind schlichtweg zu feige, diese Wahrheit gegenüber der deutschen Bevölkerung und hier gegenüber dem Deut- Volker Kauder (CDU/CSU): schen Bundestag zu äußern. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen und Kollegen! Wenn wir uns an die letzte Sondersit- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zung und daran, worüber wir da diskutiert haben, um den 11466 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Volker Kauder (A) Weg für Verhandlungen frei zu machen, erinnern, dann ein Thema. Aber es wird nicht am Thema Griechenland, (C) stellen wir fest, dass doch bei vielen eine gewisse Un- das für viele abstrakt ist, beurteilt werden, ob wir wirk- sicherheit herrschte, ob dies tatsächlich zu einem guten lich die Kraft haben, ein Problem anzupacken und zu lö- Ergebnis führt. Zu viel ist in den Wochen davor an Dis- sen, sondern am Thema Flüchtlinge und Asyl, das den kussionen und an Hin und Her der griechischen Regie- Menschen persönlich immer näher kommt. Hier wird es rung geschehen. Man hat deshalb durchaus Verständnis darauf ankommen, dass wir nicht nur in Deutschland, haben können, wenn einige gesagt haben: Dies kann gar sondern in Europa eine Lösung finden. Ich finde, Europa nicht zu einem guten Ergebnis führen. – Wenn wir jetzt muss noch einmal einen energischen Schritt machen. Es aber das Ergebnis anschauen, dann zeigt sich rückbli- kann nicht heißen: Jetzt haben wir uns mit Griechenland ckend, dass es richtig war, noch einmal den Versuch zu beschäftigt und sind froh, dass wir jetzt eine Lösung auf machen, diese griechische Regierung auf einen richtigen den Tisch gelegt haben, und jetzt ist erst einmal Atem- Weg zu führen. pause. – Es muss heißen: Die Gemeinsamkeiten, die wir für Griechenland gefunden haben, sind erst der Anfang, Wenn man das Ergebnis anschaut, bleiben natürlich um auch Gemeinsamkeiten bei diesem zentralen und auch Fragen. Wolfgang Schäuble hat darauf hinge- wichtigen Thema des Umgangs mit Flüchtlingen zu fin- wiesen, dass die allermeisten Fragen, über die wir zu den. entscheiden haben – übrigens nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in anderen Bereichen –, Abwä- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gungsfragen sind, wo es Gründe dafür und Gründe dage- Es wird immer wieder in die Diskussion hineinge- gen gibt und wo es nicht hundert zu null steht. In diese bracht, dass die Deutschen in Bezug auf Griechenland Abwägung müssen die folgenden Fragen einbezogen besondere Forderungen haben und besonders streng werden: Welche Konsequenzen hat ein Verhalten, also sind. Herr Hofreiter, Sie haben vorhin gesagt, man wäre ob ich so oder anders entscheide? Welche Möglichkeiten so streng gewesen. bietet eine Entscheidung, dem anderen doch noch einmal zu helfen, über die Hürde zu kommen, die notwendig (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE ist? Vielleicht bietet eine solche Abwägung auch die GRÜNEN]: Ich habe gesagt: Es ist kein Krite- Möglichkeit, Dinge einzubeziehen, die nicht unmittelbar rium! Ob es funktioniert oder nicht, das ist ein etwas mit dem Gegenstand zu tun haben, um den es jetzt Kriterium!) geht. – Ja, aber ich sage Ihnen einmal: Ich bin felsenfest davon Natürlich stimme ich zu, dass alle den Erfolg Europas überzeugt, wenn die deutsche Bundesregierung in ihrer wollen und dass auch diejenigen, die sagen: „Wir kön- Verhandlungsführung nicht so streng gewesen wäre, hät- nen diesen Weg jetzt nicht mitgehen“, der Meinung sind, ten wir dieses Ergebnis heute nicht erzielt. Deswegen (B) (D) dass dies dazu dient, dass Europa vorankommt. Aber zur war dieser Weg notwendig. gleichen Zeit gilt auch, dass wir hier im deutschen Parla- (Beifall bei der CDU/CSU) ment nicht allein im luftleeren Raum entscheiden, son- dern dass wir in Europa in einer Gemeinschaft sind, wo Auf der anderen Seite müssen wir sagen: Wir haben die Deutschen zwar ein bedeutendes Wort zu sagen ha- einen guten Kompromiss gefunden. Jetzt müssen wir in ben, aber nicht allein sind. Hier gilt es abzuwägen, ob Europa verlangen, dass wir auch in den Asyl- und das, was wir erreicht haben, so weit trägt, dass wir sagen Flüchtlingsfragen zu einem Ergebnis kommen. Wenn können: Jawohl, wir gehen diesen Weg mit. schon international festgestellt wird, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufnimmt, während andere Länder in Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen, dass Europa dies nicht tun, dann ist das doch eine Herausfor- beim letzten Mal die Finanzminister in der Euro-Gruppe derung. Hier muss ich sagen: Europa wird seine Stärke zu einem großen Teil anderer Meinung waren. Dieses nicht nur dadurch zeigen, dass wir jetzt in der Euro-Zone Mal aber war die Meinung dahin gehend einheitlich, zusammenbleiben. Die Menschen werden die Stärke Eu- dass jetzt etwas erreicht worden ist, was tragfähig sein ropas suchen, wenn es darum geht, Möglichkeiten zu könnte. Deshalb kommt es auch darauf an, in diesem Eu- finden, die Probleme beim Thema Flüchtlinge und Asyl ropa zusammenzubleiben. Deswegen glaube ich, dass es zu lösen, und nicht bei einem anderen Thema. viele gute Gründe gibt, diesem Antrag, den Wolfgang Schäuble erläutert hat, jetzt zuzustimmen. Hierzu kann ich nur aus leidvoller Erfahrung sagen – es gibt einige Kollegen, die dies miterlebt haben –: Als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 1991/92 die Zahlen von Flüchtlingen und Asylbewer- neten der SPD) bern enorm gestiegen sind, haben wir uns eine partei- Es gibt sicher aber auch andere Gründe, zuzustim- politische Diskussion geleistet, die zu verheerenden Er- men, etwa weil in diesem Europa Aufgaben vor uns lie- gebnissen geführt hat. Erst nachdem wir uns diese gen, die sich vielleicht als schwerer herausstellen könn- Diskussionen geleistet haben, sind wir in die Lage ge- ten als die Aufgaben, die wir im Augenblick schon als kommen, miteinander einen guten Kompromiss zu fin- schwer wahrnehmen. Wir sehen, dass Europa mit dieser den. gemeinsamen Entscheidung für Griechenland einen rich- (Zurufe von der LINKEN) tigen Weg beschritten hat, nämlich zusammenzubleiben und eine Lösung zu finden. Für die Menschen – das sage Deswegen sage ich auch im Hinblick auf die eine oder ich aufgrund meiner vielen Begegnungen und Erfahrun- andere aktuelle Äußerung: Ich rate allen dringend dazu, gen aus meinem eigenen Wahlkreis – ist Griechenland das Thema Flüchtlinge und Asyl nicht zu einem partei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11467

Volker Kauder (A) politischen Kampffeld zu machen, liebe Kolleginnen Warum ist das so? Was wären die Konsequenzen, (C) und Kollegen. Dazu ermahne ich alle. wenn wir hier Nein sagen würden? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Erstens. Die Griechen haben nach einem halben Jahr bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE der Turbulenzen und des Selbstfindungsprozesses der GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- Regierung jetzt sehr eindeutig die Kurve gekriegt. Der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mal mit Ministerpräsident kämpft um Reformen in seinem Land. der CSU gesprochen? Mit Herrn Seehofer? – Er hat begriffen, dass sich Griechenland nur selbst hel- Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) fen kann. Insofern ist es absolut zu begrüßen, dass die Griechen sowohl die Bekämpfung von Korruption und – Es würde mich schon enttäuschen, wenn dieser Appell Steuerhinterziehung als auch die Wiederbelebung des so endete wie jetzt bei Ihnen, Frau Kollegin. Ich habe wirtschaftlichen Wachstums angehen, indem Struktur- doch gerade darauf hingewiesen, dass wir versuchen reformen in diesem Land durchgeführt werden, die dazu müssen und sollen, gemeinsame Lösungen zu finden. führen, dass es zu mehr wirtschaftlicher Beteiligung in Das ist nicht nur ein Thema der Bundesregierung, das ist Freiheit kommt. Das soll endlich gelingen. Das unter- nicht nur ein Thema des Deutschen Bundestages, son- stützen wir, und das haben wir Sozialdemokraten auch dern das ist auch ein Thema des Bundesrates und der immer gefordert. Bundesländer. Das ist ein Thema, das uns alle bewegt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Zweite ist: Wir haben eine längere Perspektive. Wissen Sie, das ist jetzt das dritte Programm. Wir haben Deswegen setze ich schon darauf – dafür wäre ich sehr viele Debatten über die Programme geführt, und ich dankbar –, dass wir hier, in dieser Demokratie, bei einer habe oft im Bundestag gesagt – auch entgegen dem, was Herausforderung, die nicht nur CDU/CSU, SPD und an- Teile der damaligen schwarz-gelben Regierung gesagt dere betrifft, sondern alle betrifft, die Regierungsverant- haben: „Wir geben kein Geld, das kostet alles nichts, es wortung in diesem Land haben, zu gemeinsamen Lösun- ist nur ein Paket und dann nie wieder“ –: Es kann durch- gen und Beschlüssen kommen und damit Europa zeigen: aus sein, dass wir auch über ein drittes Programm reden So wie wir handlungsfähig sind, so muss auch Europa müssen; man muss dem klar ins Auge sehen. handlungsfähig werden. Jetzt zitiere ich einmal eine Zeitung, die der SPD Wir haben jetzt beim Thema Griechenland schwierige nicht unbedingt nahe steht, Die Welt vom 18. August, die Diskussionen auch gerade in meiner Fraktion. Aber ich titelt: „Wie die drei Affen – und das jahrelang“, also: sage Ihnen: Letztlich werden wir daran gemessen, ob wir nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. – Und weiter: (B) (D) das Thema Asyl und Flüchtlinge sachgerecht lösen. „Unionspolitiker wollten nie über ein drittes Hilfspaket Herzlichen Dank. und einen Schuldenerlass für Athen reden. Nun kommt wohl beides.“ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will nicht ausschließen, dass beides kommt, ins- besondere was den Schuldenerlass betrifft. Es hängt Präsident Dr. Norbert Lammert: auch sehr stark vom Wachstum in Griechenland ab, ob Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD- das notwendig ist. Aber klar ist, dass man mit einer kla- Fraktion. ren Haltung, mit Überzeugung herangehen muss, auch (Beifall bei der SPD) mit der Konsequenz, innenpolitisch unangenehme Dinge zu sagen, also der Bevölkerung zu sagen: Es ist wichtig, dass wir den Euro – in allen Ländern – behalten. Es ist Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): unsere Währung, es ist unser Geld. – Damit spielt man Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nicht, und schon gar nicht, um innenpolitisch kurzfristig möchte doch noch mal zu dem Thema kommen, über das Erfolg zu erzielen. wir heute abstimmen werden – nämlich die Frage der Finanzhilfen für Griechenland in den nächsten drei Jah- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda ren –, und zu den Konsequenzen, die sich mit dieser Ab- Hasselfeldt [CDU/CSU]) stimmung verbinden. Das hat die SPD auch nie getan, sondern wir haben uns Vor vier Wochen hat der Bundestag der Regierung, sehr stark – selbst in der Opposition – dafür eingesetzt, dem Finanzminister einen Verhandlungsauftrag erteilt. dieses übergreifende europäische Projekt zu vollenden. Damals gab es ein sehr uneinheitliches Bild auch im (Zuruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ Bundestag selbst: Ablehnung bei der Linksfraktion, bei CSU]) den Grünen war es gemischt – da war alles dabei –, die Union unsicher. Es ist aber eine der ganz zentralen Fra- Ich will nun aufgreifen, was der Bundesfinanzminis- gen in dieser Legislaturperiode, wie unsere Währung, ter zu Beginn gesagt hat. Er hat von einer unfertigen wie Europa zusammengehalten wird. Ich glaube, dass Währungsunion gesprochen. Das stimmt, sie ist unfertig, das, was wir jetzt als Ergebnis vorliegen haben, viel bes- weil wir noch in ganz vielen Bereichen Autonomie ha- ser ist als das, was der Verhandlungsauftrag und die Ver- ben, insbesondere was die Steuer- und Haushaltspolitik abredung der Staats- und Regierungschefs vom Juli vor- betrifft. Die Frage, die sich damit für die Zukunft stellt, sahen. lautet: Wie geht es weiter? Gehen wir zurück zu einem 11468 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Nationalstaat, oder gehen wir in Richtung eines starken beispielsweise die Liberalisierung von angestammten (C) und gerechten Europas, insbesondere auch bei der Frage Berufen wie Notaren oder mehr Wettbewerb herzustel- der Besteuerung von Konzernen? len. Hier denke ich an die Mövenpick-Steuer, die Hotel- steuer, die die schwarz-gelbe Regierung damals zur Be- Wir Sozialdemokraten sind ganz klar auf dem Weg, günstigung der Hotels in Deutschland eingeführt hat. zu sagen: Wir wollen ein starkes Europa, das diese Damals haben Sie dagegengestimmt. Da waren Sie wie Aufgaben, die Herr Kauder hier eben auch zu Recht be- wir der Auffassung: Es ist unsinnig, das so zu machen. – schrieben hat, bewältigen kann. Das geht nur gemein- Jetzt soll in Griechenland die Steuer erhöht werden, und sam, und deswegen ist es richtig, dass wir als Sozialde- Sie sagen, das sei unsinnig. mokraten heute – und deswegen werbe ich auch dafür – dem Antrag der griechischen Regierung sehr geschlos- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Mehrwertsteuer sen stattgeben und ihr helfen wollen, ihr Land in den ist eine für alle und trifft nicht nur Hotels!) nächsten drei Jahren wieder auf Vordermann zu bringen. Das ist keine Logik, das ist auch keine Dialektik – viel- (Beifall bei der SPD) leicht verstehe ich Sie auch nicht –, es ist jedenfalls un- sinnig. Es ist gut, dass der Grexit vom Tisch ist. Es ist gut, dass den Griechen – entgegen dem ursprünglichen Pro- (Beifall bei der SPD) gramm – auch noch geholfen wird, indem nämlich in Herr Kollege Ernst, noch ein Wort zu den Zinsen: Se- den nächsten ein, zwei Jahren nicht so viel gespart wer- hen Sie, Herr Gysi hat gesagt, die unabhängige EZB den muss – das ist der sogenannte Primärüberschuss –, habe jetzt auf Druck Deutschlands dafür gesorgt, dass sondern es einen langsameren Pfad gibt, auf dem der die Zinsen für die Staatsanleihen Deutschlands gesunken Überschuss erbracht werden muss. sind, teilweise auf null. Das ist ganz großer Blödsinn. Ich habe mich, Herr Gysi, doch einigermaßen über ( [SPD]: Ja!) Ihre Rede gewundert, in der Sie – wie Herr Kauder – ja auch andere Themen angesprochen haben, aber nicht Denn erstens ist die EZB unabhängig; es gibt keinen das, worüber wirklich zu reden gewesen wäre. Druck auf sie. Im Gegenteil: Ich komme noch einmal zu dem Griechenland-Punkt (Lachen bei der LINKEN) zurück: Im Februar haben weite Teile Ihrer Fraktion Es ist eher andersherum. – das fand ich bemerkenswert – gesagt: Wir stimmen der Verlängerung des zweiten Hilfspakets zu. Zum Zweiten. Die Staatsanleihen Deutschlands wer- den am Markt gehandelt. Das sind insgesamt fast 2 Bil- (B) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Zeit gewinnen!) lionen Euro. Die werden pro Jahr sechsmal umgeschla- (D) Jetzt lehnen Sie den Antrag der Syriza-Regierung ab, gen; da geht es um circa 10 Billionen Euro. 80 Prozent der Investoren sind Ausländer. Die Preise werden am (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie stellen den Markt festgestellt. Ich bin froh, dass wir nicht so viel Antrag, nicht die Griechen stellen den An- Zinsen zahlen müssen wie geplant, dass wir diese trag!) 100 Milliarden Euro sparen, sie vielmehr investieren können und keine Schulden dafür machen müssen. Da- in dem wir sogar eine Drei-Jahres-Perspektive haben. rüber bin ich froh und nicht wie Sie der Auffassung, wie Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Sie haben ge- Sie es hier gesagt haben, dass wir beim deutschen Sparer sagt, die Mehrwertsteuererhöhung und -vereinheitli- sparen. Das ist doch absoluter Blödsinn. chung für die Hotels auf den Inseln wäre wirtschaftspoli- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max tisch unsinnig. Straubinger [CDU/CSU]) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind zwei Themen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn überhaupt, dann muss die Zwischenfrage jetzt Präsident Dr. Norbert Lammert: gestellt werden, oder die Redezeit ist vorbei. – Bitte Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Ernst eine schön, Herr Kollege Ernst. Zwischenfrage stellen? Klaus Ernst (DIE LINKE): Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Danke schön. – Sie haben es so dargestellt, als wür- Gleich. Ich will nur den Punkt zu Ende bringen. den wir den Antrag von Syriza ablehnen. Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass hier der Antrag der Regie- Sie haben gesagt, dass das wirtschaftspolitisch unsin- rung zur Abstimmung steht und nicht der Antrag von nig sei. Sehen Sie, in dem MoU stehen viele Sachen, was Syriza. – Das ist insofern interessant, als Sie daran den das Land wirtschaftspolitisch machen muss. Das sind Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik erkennen viele kluge Dinge, können. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Beschäftigten- Wir stimmen hier nicht darüber ab – wie der Kollege rechte! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Privati- Oppermann behauptet hat –, ob wir die „linksradikale sierung der Banken!) Position“ von Syriza unterstützen – die steht überhaupt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11469

Klaus Ernst (A) nicht zur Debatte –, sondern wir stimmen über den Weg (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (C) ab, den die Bundesregierung also auch mit Unterstüt- Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und vorher war al- zung der Sozialdemokraten vorschlägt, der dazu beiträgt, les in Ordnung, ja?) dass das Wachstum in Griechenland weiter geschwächt Ich stelle fest: Im Februar waren Sie noch für die Ver- wird, der im Ergebnis dazu führt, dass die Steuereinnah- längerung des zweiten Hilfsprogramms. men in Griechenland weiter sinken werden, was im Er- gebnis dann wiederum dazu führen wird, dass Griechen- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Wir ha- land nicht in die Lage versetzt wird, seine Schulden ben dem Zeitgewinn zugestimmt!) zurückzuzahlen. Darüber stimmen wir ab. Das war noch härter als das, über das wir jetzt abstim- Ich bitte Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass men. Die Primärüberschüsse, die man durch das vorhe- wir hier in Deutschland nur über Dinge abzustimmen ha- rige Programm erzielen wollte, lagen bei 3,5 oder ben, die wir beeinflussen können. Wir haben die Regie- 4,5 Prozent. Jetzt reden wir über einen geringeren Pri- rung hier zu kontrollieren und nicht die griechische. Die märüberschuss im Jahr 2015 von minus 0,25 Prozent. Regierung in Deutschland trägt maßgeblich dazu bei, die Minus! In 2016 beträgt er nicht einmal 1 Prozent. Das Erpressung der griechischen Regierung fortzusetzen, sie heißt: Griechenland muss weniger sparen als ursprüng- trägt dazu bei, die Austeritätspolitik, die übrigens von lich geplant, und dem haben Sie zugestimmt. Ich stelle der Sozialdemokratie oft kritisiert wurde, fortzusetzen. fest: Der linksradikale Flügel der Linkspartei und Frau Solch einer Politik können wir nicht zustimmen, obwohl Wagenknecht haben sich durchgesetzt, nicht der realisti- wir Syriza unterstützen. Das möchte ich in aller Deut- sche Flügel, den Sie in Teilen vertreten. lichkeit sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der wichtigen Entscheidung, vor der wir heute stehen, sage Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): ich: Die Sozialdemokratie wird dem Hilfspaket zustim- Herr Kollege Ernst, zunächst einmal vielen Dank, men. Wir werden nachhalten, dass die Reformen in Grie- dass ich ein paar Bemerkungen zu den Positionen der chenland auch umgesetzt werden. Ich glaube auch, dass Linkspartei machen kann. wir noch mehr für Wachstum in Griechenland tun müs- sen. Mit einem klaren Kurs und einer klaren Haltung Zu Griechenland. Es gab Wachstum in Griechenland; sind wir für die Zukunft gut gewappnet. Deutschland ist Finanzminister Schäuble hat zu Recht darauf hingewie- in den Händen einer Regierung, an der wir Sozialdemo- sen. Für 2015 wurden fast 3 Prozent Wachstum erwartet. (B) kraten beteiligt sind – das zeigt gerade die heutige De- (D) Nachdem dann die Regierung von Herrn Tsipras gewählt batte –, gut aufgehoben. wurde, ist es zurückgegangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Katja Kipping [DIE LINKE]: Nee, nee, nee! der CDU/CSU) Es ist vorher um 25 Prozent gesunken!) Es ist auch eindeutig, warum es zurückgegangen ist: Präsident Dr. Norbert Lammert: Diese Regierung wusste nicht, ob sie im Euro bleiben Das Wort erhält nun die Kollegin Gesine Lötzsch für will oder nicht. Sie wollte uns erpressen. Das war die Si- die Fraktion Die Linke. tuation. Das hat zu großer Verunsicherung geführt. Die (Beifall bei der LINKEN) Wahlversprechen, die Syriza gemacht hat – Grundsteuer soll es nicht mehr geben etc. –, die Sie in Teilen auch Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): machen, konnten alle nicht eingehalten werden. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sind Sie der ren! Es ist hier häufig das Wort „Solidarität“ gebraucht Pressesprecher von Herrn Schäuble?) worden. Uns als Linken ist vorgeworfen worden, wir wären nicht solidarisch mit Griechenland. Trotzdem haben die Griechen gesagt: Die haben es ver- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zu sprochen, deswegen zahlen wir jetzt alle keine Grund- Recht!) steuer mehr. – Deswegen sind die Steuereinnahmen zu- rückgegangen. Niemand hat mehr investiert, weil keiner Ich werde Ihnen einmal sagen, was wirkliche Solidarität wusste, ob der Euro bleibt oder nicht. mit Griechenland bedeuten würde, nämlich eine echte Schuldenerleichterung; wenn Sie schon das Wort Die Griechen selbst haben darüber abgestimmt, ob sie „Schuldenschnitt“ nicht über die Lippen bekommen. dieser Regierung vertrauen, indem sie ihr Geld von den Das würde echte Solidarität bedeuten. Konten geholt haben. Das war eine Abstimmung mit den Füßen. (Beifall bei der LINKEN) Solidarität mit Griechenland bedeutet, echte Investi- Diese Unsicherheit, die ein halbes Jahr gedauert hat, tionen zu ermöglichen, zum Beispiel aus unseren im- hat Griechenland extrem viel Zeit und wahrscheinlich mensen Zinsgewinnen. Das wäre Solidarität. wirtschaftliche und soziale Substanz gekostet. Das war ein großer Fehler. (Beifall bei der LINKEN) 11470 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Gesine Lötzsch (A) Solidarität hieße: Respekt vor den demokratischen Insti- zin bei einer Krankheit nicht wirkt, dann ist es doch ab- (C) tutionen in Griechenland statt Erpressung und Entmün- solut absurd, zu sagen, dass diese Krankheit dadurch be- digung. Das ist Solidarität. kämpft wird, dass diese Medizin in fünffacher Dosis verschrieben wird. Nein, wir sagen: Diese falsche Medi- (Beifall bei der LINKEN) zin muss endlich abgesetzt werden. Man muss dieser Regierung auch einmal Zeit zum (Beifall bei der LINKEN) Arbeiten geben. Sie ist seit sechs Monaten im Amt. Am Sonntag war die Wahl, am Montag haben sie angefan- Ich sage Ihnen noch ein Wort zu unseren Zinsgewin- gen, zu regieren. Gucken Sie sich einmal an, wie das in nen: Diese Zinsgewinne haben dazu beigetragen, dass Deutschland ist: Da fängt eine Regierung nach sechs wir hier in Deutschland etwas erreichen konnten, womit Monaten im besten Fall an, zu arbeiten. Ich finde, das sich der Finanzminister gerne schmückt, nämlich die be- muss man anerkennen. Man muss ihnen die Gelegenheit rühmte schwarze Null. Dass diese schwarze Null zu ei- geben, ihre Programme durchzusetzen. Man sollte nicht nem großen Teil aus Zinseinsparungen infolge der so tun, als müsse man Syriza und Herrn Tsipras überre- Schuldenkrise resultiert, haben nicht wir ausgerechnet, den, die Reichen im Land zu besteuern. Das war ein zen- sondern das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung traler Punkt seines Wahlprogramms. Alles andere, was Halle berechnet, gewiss keine Vorfeldorganisation der hier behauptet wird, ist eine Diffamierung dieser Partei Linken. und dieser Regierung, und das lassen wir nicht zu. Wir haben von der Griechenland-Krise bisher profi- (Beifall bei der LINKEN – Norbert Spinrath tiert. Das ist das Gegenteil von Solidarität. Ich finde, [SPD]: Aber sie haben es nicht gemacht!) wahre Solidarität besteht darin, Programme aufzulegen, die erstens die europäische Idee und den europäischen Ich sage Ihnen: Solidarität bedeutet nicht, Griechen- Zusammenhalt stärken und zweitens dafür sorgen, dass land ein Programm aufzuzwingen, das wirtschaftlich fa- in Griechenland die Wirtschaft wieder auf die Beine tal ist, das Sozialabbau und Privatisierungen erzwingt. kommt. Das, was jetzt beschlossen wurde, ist eine große Das ist keine Solidarität, sondern das Gegenteil von eu- Hilfe für die Banken, die mit Steuergeldern gerettet wur- ropäischer Solidarität. den, und auch eine Hilfe für die herrschende Politik hier in Deutschland. Jeder muss wissen, worüber wir abstim- (Beifall bei der LINKEN) men. Wir stimmen nicht über Hilfen für Griechenland Bereits mit dem ersten und dem zweiten sogenannten ab, sondern über ein böses Spiel mit den Menschen in Hilfspaket hat die Bundesregierung Griechenland an den Griechenland, und dagegen wird die Linke immer kämp- wirtschaftlichen Abgrund geführt. Die Zahlen sprechen fen. (B) eine klare Sprache – ich nenne Ihnen nur zwei –: Die (Beifall bei der LINKEN) (D) Kindersterblichkeit in diesem europäischen Land ist um 43 Prozent gestiegen, und über 3 Millionen Menschen Präsident Dr. Norbert Lammert: haben keine Krankenversicherung. In Griechenland herrscht ein humanitärer Notstand. Dieses Land braucht Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. wirkliche Hilfe und keine Kürzungsdiktate. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – [Essen] [SPD]: Deswegen stimmen Sie dagegen!) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Wir hier in Deutschland haben es 2008 doch ganz an- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ders gemacht; das wissen auch Herr Schäuble und Frau will nur einige wenige Bemerkungen in die Debatte ein- Merkel. Wir haben in der Finanzkrise 2008/2009 eine werfen. völlig entgegengesetzte Entscheidung getroffen. Auf Vorschlag der Linken – ursprünglich kam er von der Lin- Erstens. Die griechische Regierung und das griechi- ken, wurde dann aber von anderen übernommen – wurde sche Parlament haben inzwischen offensichtlich den in Deutschland ein großes Investitionsprogramm gestar- Ernst der Lage erkannt. Sie sind zu Reformen bereit, ja, tet. Hinzu kamen die Verlängerung der Bezugsdauer des sie haben mittlerweile sogar im Vorgriff auf das Ver- Kurzarbeitergeldes und die Einführung der Abwrackprä- handlungsergebnis eine ganze Reihe von Gesetzen be- mie. schlossen. Das alles zeigt: Athen hat begriffen, worum es geht. In Athen wird verstanden, dass es keinen (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das war auch von schmerzfreien Weg aus dieser Schuldenkrise in Grie- Ihnen? Ich glaube es ja!) chenland gibt. Ich finde, es ist an der Zeit, dass auch die Linke bei uns im Parlament dies endlich begreift. Ich frage Sie alle: Warum haben die Kanzlerin und der Finanzminister Griechenland eine Medizin ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schrieben, die sie für Deutschland nie akzeptiert hätten? neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Zweite Bemerkung. Es bleibt bei dem wichtigen SES 90/DIE GRÜNEN) Grundsatz: Europäische Solidarität kann es nur in Ver- bindung mit den notwendigen nationalen Reformen ge- Nach dem Misserfolg der ersten beiden Programme hätte ben, meine Damen und Herren. sich die Bundesregierung doch sagen müssen: Stopp, das läuft falsch; hier müssen wir etwas tun. Wenn eine Medi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11471

Gerda Hasselfeldt (A) Das darf nicht nur auf dem Papier stehen; denn dafür darauf hingewiesen; deshalb brauche ich das nicht zu (C) gibt es gute Gründe: wiederholen. Ich sage nur: Das war und ist auch notwen- dig, und zwar deshalb, weil durch die verlorenen sechs Erstens wird das Programm keinen Erfolg haben, Monate in diesem Jahr, durch das bisherige Versäumen wenn nicht auch zügige Reformen durchgeführt werden, von Reformen durch die griechische Regierung die Reformen, die dazu geeignet sind, die Wettbewerbsfä- Situation nicht besser, sondern schlechter geworden ist. higkeit der Wirtschaft wiederherzustellen, die aber auch Es ist auch notwendig, strengere, engmaschigere Kon- dazu geeignet sind, den Staat wieder in Ordnung zu brin- trollen zu machen, weil das Vertrauen in den letzten Mo- gen und effizient zu gestalten. naten durchaus gestört wurde; da brauchen wir uns Zweitens ist Europa keine Schuldenunion. nichts vorzumachen. Dieses Vertrauen, das zerstört wurde, muss jetzt wieder aufgebaut werden. Das ist Sa- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE che der griechischen Regierung, und ich hoffe sehr, dass GRÜNEN]: Ach!) wir da nicht enttäuscht werden. Solidarität bedeutet nicht Übernahme der Schulden und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vergemeinschaftung der Schulden. der SPD) (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: 27 Prozent!) Eine vierte Bemerkung will ich machen. Sie betrifft Nicht zuletzt deshalb haben wir uns in unserer Fraktion die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds. Wir seit Jahren immer wieder erfolgreich dagegen gewehrt sind fest davon überzeugt, dass der IWF auch künftig – das haben wir auch europäisch durchgesetzt –, dass es mit an Bord sein muss. Der Internationale Währungs- Euro-Bonds und eine Vergemeinschaftung der Schulden fonds hat große, jahrzehntelange Erfahrung in der Be- gibt. Jedes Land muss seine Hausaufgaben selbst ma- wältigung von Staatsschuldenkrisen. chen. Es erfährt vorübergehende Hilfe von uns, aber die Hausaufgaben müssen selbst gemacht werden. Deshalb (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE kann es keinen Verzicht auf die notwendigen Reformen GRÜNEN]: Na ja!) geben. Der Internationale Währungsfonds hat eigene Regeln, er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat einen unabhängigeren Blick als die europäischen Be- teiligten. Drittens. Die Ergebnisse in Spanien, in Portugal, in Irland zeigen doch, dass dieser Weg – Solidarität in Ver- (Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter bindung mit den notwendigen nationalen Reformen – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) richtig und erfolgreich war. Auch die harte Haltung in Aus all diesen Gründen ist die Beteiligung des Interna- (D) Griechenland zeigt, dass dies notwendig ist. Wir haben tionalen Währungsfonds auch künftig notwendig. ja in Griechenland erlebt, dass dann, wenn der Reform- druck weg ist, wenn frühere Reformen zurückgenom- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men werden, die wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilität des Landes nachlassen und die Probleme für Der Bundesfinanzminister hat vorhin auf die verfahrens- die Menschen größer werden. Nur durch den Druck, der mäßigen und rechtlichen Probleme hingewiesen. Der in den letzten Monaten erzeugt wurde, hat sich auch in IWF war an allen Verhandlungen beteiligt, und er hat das Griechenland etwas bewegt. Auszahlungen sind nicht er- Verhandlungsergebnis auch begrüßt. Das ist eine ganz folgt, weil Verabredungen nicht eingehalten wurden. Eu- wesentliche Grundlage für alles, was weiterhin kommt. ropa hat sich nicht erpressen lassen. Wir haben der grie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und chischen Regierung damals nicht nachgegeben. Nur der SPD) deshalb war es auch möglich, dass in der griechischen Regierung und im griechischen Parlament das notwen- Wir werden das, was Griechenland zu erledigen hat, dige Umdenken eingesetzt hat, das die Grundlage für bei der ersten Überprüfung im Herbst gemeinsam mit dieses Programm ist. dem Internationalen Währungsfonds sehr genau über- prüfen und bei dieser Gelegenheit auch über mögliche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schuldenerleichterungen sprechen. Man kann über Fris- Das trägt eindeutig die deutsche Handschrift. Unser ten, über Laufzeiten sicherlich reden; aber ein nominaler Bundesfinanzminister und unsere Bundeskanzlerin ha- Schuldenschnitt verbietet sich nicht nur rechtlich, son- ben hieran maßgeblich mitgewirkt. Sie haben sich des- dern ist auch politisch nicht geboten. Wir wollen und wir halb – ich sage das mit voller Überzeugung – um die Sta- brauchen keine Schuldenunion in Europa. bilität unserer gemeinsamen Währung, um dieses (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gemeinsame europäische Haus große Verdienste erwor- ben. Nun bleibt – das ist meine letzte Bemerkung – die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frage: Behindert dieses Programm eventuell Investitio- nen und Wachstum? Trägt es dazu bei oder nicht? Ich Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren. will zunächst einmal feststellen: Ein solches europäi- Dieses Programm ist geprägt von strengeren Auflagen, sches Rettungsprogramm – das gilt nicht nur für dieses von strengeren, intensiveren, engmaschigeren Kontrol- hier – ist kein Investitionsprogramm, sondern ein Pro- len. Es wurde in verschiedenen Debattenbeiträgen schon gramm, das dazu dient, dass sich das jeweilige Land 11472 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Gerda Hasselfeldt (A) wieder am Kapitalmarkt finanzieren kann. Der Zugang (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) zu den Kapitalmärkten ist das Ziel dieses Programms, neten der SPD) (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Präsident Dr. Norbert Lammert: und dazu wird befristete Hilfestellung geleistet. Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nun frage ich Sie: Wer wird denn in einem Land in- (Johannes Kahrs [SPD]: Ruhig bleiben, Sven!) vestieren, in dem der Staat nicht funktioniert, in dem die rechtsstaatlichen Fundamente nicht vorhanden sind, in Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einem Land, das verschuldet ist? Ich sage Ihnen: Nie- NEN): mand! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das hat auch die Situation in Griechenland in den Kollegen! Am Anfang nur ein Wort zu Ihrer Rede, Herr letzten sechs Monaten gezeigt. Die Grundvoraussetzung Kauder. Sie haben gesagt, Sie wollten das Thema Asyl für Investitionen sind doch nicht irgendwelche Pro- und Flüchtlinge nicht parteipolitisch ausschlachten; das gramme, sondern die Grundvoraussetzung für Investitio- ist auch richtig. Aber genau das haben Sie in Ihrer Rede nen ist, dass der Staat funktioniert, dass er verlässlich ist, gemacht, nämlich das Thema parteipolitisch ausge- dass es einen verlässlichen, funktionierenden Staatsauf- schlachtet. Das finde ich scheinheilig und unwürdig. bau und ein Staatswesen gibt, durch das sich auch wett- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bewerbsfähige Wirtschaft entfalten kann. und bei der LINKEN) Genau da setzt dieses Programm mit an, nämlich Zu Griechenland. Mit diesem dritten Kreditprogramm durch Auflagen hinsichtlich verschiedener Reformen im wird der Grexit abgewendet. Damit ist auch klar: Ihre Arbeitsmarktbereich, im Steuerbereich, im Verwaltungs- Versuche, Finanzminister Schäuble, Griechenland aus bereich, im Rentenbereich und in vielen Bereichen mehr. der Euro-Zone rauszumobben, sind gescheitert, weil Ita- Das – und nicht allein irgendein Programm – ist der lien, Frankreich und die EU-Kommission das verhindert Schlüssel zu Investitionen. Die Strukturen müssen wie- haben. Das ist heute die positive Nachricht im Rahmen der so gesetzt werden, dass sich Investitionstätigkeit ab- des Beschlusses über dieses Programm. spielt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- neten der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan (B) Liebich [DIE LINKE]) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand hier im Haus macht sich die Entscheidung leicht. Wir haben ja Mit diesem Programm wird Zeit gekauft. Eine nicht nur gestern und heute gerungen, sondern wir disku- zentrale Grundvoraussetzung ist aber, dass jetzt die un- tieren seit langem immer wieder über die Frage: Wie säglichen Grexit-Debatten der letzten Monate wirklich können wir die Probleme in Griechenland gemeinsam aufhören, damit Investoren nach Griechenland zurück- lösen? kommen. Deswegen muss für diese Bundesregierung, die diese Debatte befeuert hat, klar sein: Grexit isch Für mich gilt: over. Griechenland bleibt im Euro-Raum – Punkt. Das muss jetzt die klare Linie der Bundesregierung sein. Erstens. Das Prinzip Solidarität und Eigenverantwor- tung ist in diesem Programm nicht nur gewahrt, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN besonders stark ausgeprägt. sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Zweitens. Die Auflagen sind strenger, stringenter. Die Leider haben das viele in der Union noch nicht ver- Kontrolle ist engmaschiger, was auch notwendig ist. standen. Deswegen ist Herr Kauder auch so nervös. Drittens. Die Hartnäckigkeit der Bundesregierung hat Viele wollen weiterhin den Grexit. Christian von Stetten sich bewährt. Sie hat dazu geführt, dass in Griechenland schlägt einen eigenen Untersuchungsausschuss vor – ge- ein Umdenken stattgefunden hat. gen die eigene Regierung wohlgemerkt. Viertens. Dieses Programm ist ein gemeinsames, eu- (Widerspruch des Abg. Christian Freiherr von ropäisches Programm, dem alle europäischen Länder zu- Stetten [CDU/CSU]) stimmen. Volker Kauder hat die Mitglieder seiner eigenen Frak- Mit all seinen Maßnahmen bietet dieses Programm tion bedroht. All das hat nichts genützt. Es gibt weiterhin eine gute Chance für Griechenland, die Staatsschulden- rund 60 Abweichler. Man muss klar sehen: In der Union krise zu bewältigen. Es ist eine gute Grundlage für eine brennt die Hütte. Diese 60 Abweichler sind ein klares weitere positive wirtschaftliche und politische Entwick- Misstrauensvotum, nicht nur gegen Volker Kauder, son- lung in Europa, ja, für weitere wirtschaftliche und politi- dern auch gegen . sche Stabilität in Europa. Dies brauchen wir, wenn wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die anderen Probleme, die gerade angesprochen wurden, wie beispielsweise die Asylproblematik, gemeinsam lö- Der Heilsbringer soll jetzt der IWF sein. Ich finde, da sen wollen. Deshalb empfehle ich Zustimmung. hat man sich den falschen Propheten ausgesucht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11473

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: verbindet, ist der Internationale Währungsfonds. Das (C) Herr Kollege Kindler, darf der Kollege von Stetten, Problem ist aber, dass Sie sich einen falschen Heilsbrin- der sich offenkundig persönlich angesprochen fühlt, eine ger und Propheten ausgesucht haben. Man kann nicht Zwischenbemerkung machen? den Internationalen Währungsfonds weiter an Bord hal- ten und gleichzeitig seine Botschaft, die richtige Analyse Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zur Schuldentragfähigkeit und zur Schuldenerleichte- NEN): rung, ablehnen. Das macht doch keinen Sinn. Das ist wi- Ja, gerne. dersprüchlich und peinlich. Es versteht keiner draußen im Land, warum Sie den Internationalen Währungsfonds Präsident Dr. Norbert Lammert: weiter dabeihaben wollen, aber gegen Schuldenerleich- Bitte. terungen sind. Diese Position müssen Sie in der Union klären und sich klar dazu bekennen, dass es bei dem Pro- gramm Schuldenerleichterungen braucht. Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Kollege, Sie haben gerade behauptet, dass ich ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen Untersuchungsausschuss gefordert hätte. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Ich kann Ihnen mitteilen Die Schuldenerleichterung wird sowieso kommen, – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –, dass ich mit oder ohne IWF. Das ist jedem klar. Denn eine Ver- gefragt worden bin, warum ich die rechtlichen Fragen schuldung von 200 Prozent des BIP im nächsten Jahr jetzt gelöst haben möchte, und dass ich darauf geantwor- nach den Prognosen ist nicht tragfähig. Aus unserer tet habe: Wir müssen sie heute lösen, weil ich nicht in ei- Sicht wäre es allerdings besser, wenn man das ohne den nigen Jahren vor einem Untersuchungsausschuss unan- IWF macht, weil Europa das Problem alleine lösen kann. genehme Fragen gestellt bekommen möchte. Ich habe Der IWF sieht höhere Zinsen und geringere Laufzeiten mit keinem Wort einen Untersuchungsausschuss gefor- vor. Damit erhöhen sich die Kreditkonditionen für Grie- dert und werde auch der Einsetzung eines solchen Aus- chenland, und die Umschuldung wird erschwert. schusses nicht zustimmen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis Deswegen sagen wir: Wir Grünen glauben an Europa. zu nehmen. Wir glauben, dass der ESM das alleine schaffen kann. Er Herzlichen Dank. hat das notwendige Volumen. Griechenland braucht zwar eine Schuldenerleichterung, aber lieber ohne den (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an den IWF. Das wäre die bessere Antwort. Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Das haben Sie wie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der falsch gelesen!) (B) Ich finde, gerade in Deutschland muss man verstehen, (D) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass Schuldenerleichterungen besonders wichtig sind, damit ein Land und seine Gesellschaft wieder auf die NEN): Beine kommen. Natürlich haben die griechischen Regie- Herr Kollege von Stetten, es ist ziemlich interessant, rungen in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Das dass Sie jetzt deutlich zurückrudern. Aber warum haben ist völlig unbestritten. Sie haben sich überschuldet und Sie diese Bemerkung eigentlich gemacht? Sie haben das müssen jetzt Reformen durchführen. Aber das, was die Wort „Untersuchungsausschuss“ in die Medien gebracht griechische Regierung gemacht hat, ist nichts im Ver- und klargemacht, dass Sie deutliche Zweifel an Ihrer ei- gleich zu dem, was Deutschland im letzten Jahrhundert genen Regierung bzw. Ihrer eigenen Fraktion haben. verbrochen hat, und trotzdem hat es massive Schulden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schnitte und Schuldenerleichterungen gewährt bekom- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) men. Rund 60 Abgeordnete haben es ebenso gemacht. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Laut Handelsblatt sind 15 Abgeordnete nicht aus ih- – Warum schreien Sie bei der Union? Man muss doch rem Urlaub zurückgekehrt, weil sie heute nicht mit Nein einmal auf die historische Wahrheit hinweisen. stimmen wollten, weil sie anscheinend Angst vor Herrn Kauder und davor haben, dass sie aus den Ausschüssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entfernt werden. Sie haben gestern nur eine Stunde dis- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) kutiert, obwohl Sie so viele Fragen haben. Deutschland hat den Vernichtungskrieg angefangen und (Widerspruch der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] die Schoah, die Ermordung der europäischen Juden, zu [CDU/CSU]) verantworten, und trotzdem haben wenige Jahre danach die Gläubiger, die Länder, denen Deutschland viel Leid Deshalb frage ich Sie: Wie nehmen Sie Ihre Verantwor- – schreckliches Leid – und Blut gebracht hat, diesem tung als frei gewählter Abgeordneter in der Unionsfrak- Land eine große Schuldenerleichterung gewährt, auch tion wahr? Wo machen Sie dort klar, welche Position Sie Griechenland übrigens. Deswegen muss man auch auf- haben? grund der historischen Erfahrung und der historischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung jetzt für eine Schuldenerleichterung für sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Griechenland sein. Das ist unsere Aufgabe. Die letzte Klammer, die Sie, Herr von Stetten, und die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ anderen Abweichler mit der gesamten Unionsfraktion DIE GRÜNEN und der LINKEN) 11474 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: – Sie können das gerne im Protokoll nachlesen. (C) Herr Kollege Kindler, lassen Sie noch eine Zwischen- frage des Kollegen Nüßlein zu? ( [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie haben gesagt, Sie sähen die historischen Zusammen- NEN): hänge anders. Gerne. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Ganz schwach! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Kollege Kindler, vielen Dank. – Sie reden viel Zu dem zweiten Punkt, den Sie angeführt haben: Man über Fehler und Verantwortung, im Übrigen auch in his- muss doch einfach klarmachen, dass es keine Entschei- torischen Zusammenhängen, die ich persönlich an der dung alleine Deutschlands war, Stelle so nicht sehen möchte. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Un- ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE glaublich!) GRÜNEN]: Die gibt es aber! – Weitere Zurufe sondern eine Entscheidung der Europäischen Union, der vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von europäischen Verantwortungsträger, Griechenland in die der LINKEN) Euro-Zone aufzunehmen. Natürlich wissen wir heute, Ich möchte Sie aber fragen: Wenn Sie über Fehler und dass es damals auch falsche Zahlen gab. Aber es ist doch Verantwortung sprechen, würden Sie dann bitte auch klar, dass es keine Entscheidung alleine Deutschlands einräumen, dass Griechenland ohne den großen Fehler war, sondern aller europäischen Verantwortungsträger, der damaligen rot-grünen Bundesregierung gar nicht den das zu machen. Anscheinend sind Sie in der Union im- Euro hätte? mer noch der Meinung, dass Griechenland nicht in der Euro-Zone sein sollte. Das ist der fundamentale Unter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schied zu uns. Wir sind der Meinung, dass Griechenland Würden Sie bitte dazu einmal Ausführungen machen? in der Euro-Zone bleiben sollte und zur Euro-Zone ge- Im Übrigen ist die Aufnahme damals wider besseres hört, weil Griechenland zu Europa gehört. Wissen erfolgt. Ich habe das in diesem Hause schon ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mal formuliert. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Im Jahr 2000 hat der Abgeordnete Dr. Gerd Müller, KEN) (B) heute Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ganz Das Paket, über das wir heute abstimmen und dem (D) klar gesagt: Herr Eichel, das war ein schwerer Fehler, wir Grüne mit großer Mehrheit zustimmen werden, ent- die Griechen in die Euro-Zone aufzunehmen. Die Zahlen hält Licht und Schatten. Das muss man, glaube ich, zum sind gefälscht. – Das belegt, dass immerhin der Abge- Ende sagen. Zum Licht gehören die Strukturreformen im ordnete das damals gewusst hat. Die damalige Bundesre- Justizbereich und der Kampf gegen die Korruption in der gierung will es nicht gewusst haben. Aber wenn Sie über Steuerverwaltung. Das sind Reformen, die notwendig Fehler und Verantwortung sprechen, dann sollten Sie sind und die wir als Grüne lange gefordert haben. auch etwas dazu sagen, dass die rot-grüne Bundesregie- rung damals den Fehler gemacht hat, Aber es gibt auch Schattenseiten. Gerade die zu gerin- gen Investitionen sind ein großes Manko in diesem Pa- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE ket. Das liegt auch daran, dass die Fehler der Vergangen- GRÜNEN]: Das ist ja jetzt ein großartiger Bei- heit mit einer prozyklischen Haushaltspolitik wiederholt trag!) werden. In der Rezession, die Griechenland droht, soll Griechenland gegen besseres Wissen und trotz der schon weiter gekürzt werden. Damit werden wir negative damals fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Wachstumseffekte in Griechenland haben, damit werden die Euro-Zone aufzunehmen. mehr Menschen arbeitslos werden, und damit werden zu wenige Investitionen nach Griechenland kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- Deswegen fordern wir auch, dass das Programm über- NIS 90/DIE GRÜNEN) prüft wird – es sind Überprüfungen vorgesehen –, und wir wollen, dass die Politik des Kaputtsparens, die ge- scheitert ist, überwunden wird und dass Griechenland Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- jetzt endlich ein Programm bekommt, das ihm Luft zum NEN): Atmen lässt, ein echtes Investitionsprogramm, damit die Erst einmal will ich antworten, dass ich es unglaub- Wirtschaft wieder auf die Beine und das Land wirklich lich finde, dass Sie die historische Verantwortung aus der Krise kommt. Darum muss es jetzt gehen. Des- Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg und die Schoah wegen werden wir heute dem Programm zustimmen. hier in Abrede stellen wollten und bestreiten, dass es da- Wir werden es aber auch weiter kritisch begleiten und nach einen klaren Schuldenerlass gab. Veränderungen einfordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11475

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Überzeugung ist, dass wir gut daran tun, euro- (C) Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Norbert papolitisch Konsequenzen aus diesem Vorgang zu zie- Spinrath für die SPD-Fraktion. hen. Deutschland darf keine Zweifel mehr aufkommen lassen, dass die europäische Integration, ihre Wahrung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Vertiefung, nicht nur Staatsziel ist, sondern immer der CDU/CSU) und überall auch Grundlage unseres Handelns ist und bleiben muss. Norbert Spinrath (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen haben viele von uns zahlreiche wütende, teils aufgebrachte E- Wir müssen die Zweifel an der Zuverlässigkeit, die Mails oder Briefe von Bürgerinnen und Bürgern anläss- zum Teil der EU entgegengebracht werden, ernst neh- lich unserer heutigen Debatte erreicht. Es war immer der men. Wir müssen durch konsequente Weiterentwicklung gleiche Tenor: Griechenland sei ein Fass ohne Boden, in diese Zweifel entkräften. Dazu, liebe Kolleginnen und dem die europäischen Gelder seit Jahren wirkungslos Kollegen, bedarf es einer Weiterentwicklung der Wirt- versickerten. schafts- und Währungsunion, wie sie die Wirtschafts- minister Deutschlands und Frankreichs, Gabriel und (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ Macron, und sehr ähnlich auch die Präsidenten der fünf CSU]) EU-Institutionen beschrieben haben. Auf Dauer bedarf Dieses beliebte Sprachbild von all denen, die weitere es eben auch eines echten europäischen Währungsfonds, Hilfen für Griechenland ablehnen, ist schlichtweg falsch. der hinreichend stark ist, europäische Probleme ab- Es zeigt aber eines: Es gibt eine hohe Verunsicherung schließend auch in Europa zu lösen. und einen großen Vertrauensverlust auf allen Seiten. (Beifall bei der SPD) Richtig bleibt aber, dass Griechenland in den nächsten drei Jahren bis zu 86 Milliarden Euro an ESM-Finanz- Auch wenn wir für die heutige Debatte unseren Ur- hilfen erhalten soll. Dieses Geld versickert aber keines- laub unterbrechen mussten, bin ich froh, dass wir heute wegs im Nirgendwo, sondern es fließt in ein ambitio- in dieser Sondersitzung über das dritte Rettungspaket de- niertes Reform- und Sparprogramm. battieren. Dass es jetzt zu einem schnellen und positiven Ergebnis gekommen ist, war keineswegs selbstverständ- Das uns heute zur Bewertung vorgelegte MoU enthält lich. Die EU-Institutionen und die griechische Regie- erstmals ein sozialverträgliches Reformpaket, verbunden rung haben in den letzten Wochen ruhig, besonnen, mit (B) mit einem engmaschigen Korsett aus Konditionen und hoher Kompetenz und sehr erfolgsorientiert verhandelt. (D) Überprüfungsmechanismen. Es ist das klarste, es ist das Das ist zum Erfolg geworden. Es zeigt aber auch, dass realistischste Programm der letzten Jahre. Europa nur durch solidarisches und geschlossenes Han- deln die aktuelle Krise bewältigen kann. Dieser Weg (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird kein leichter sein. Griechenland steht vor einer gro- Es bietet nun endlich die Chance, Griechenland zu mo- ßen Herausforderung, die Reformen eben nicht nur als dernisieren. Es bietet die Chance, eine leistungsfähige Gesetze durch das Parlament zu bringen, sondern sie tat- Verwaltung aufzubauen, eine leistungsfähige Rentenver- sächlich auch umzusetzen. sicherung aufzubauen, eine leistungsfähige soziale Si- In dem Zusammenhang, Frau Lötzsch: Natürlich war cherung aufzubauen, eine leistungsfähige Gesundheits- es ein zentrales Wahlversprechen von Herrn Tsipras, vorsorge aufzubauen, und es gibt dem Land die Chance, Steuern einzutreiben. Warum haben sie es denn nicht ge- sich zu befähigen, sich selbst – mit der Unterstützung macht? durch EU-Investitionsprogramme – wieder auf den Pfad von Wachstum und Beschäftigung zu führen. Es bietet (Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!) aber auch die Chance, die schlimmsten sozialen Verwer- fungen der letzten Jahre umzukehren oder zumindest Sie hatten doch sechs Monate lang Zeit dazu. deutlich zu lindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE Es bietet die Chance auf Wachstum in Griechenland, LINKE]: Sie wissen doch genau, dass das un- und das ist es, was das Land braucht. Ohne wirtschaftli- terbunden wurde!) che Entwicklung, ohne Wachstum ist jede Schuldentrag- fähigkeitsdiskussion hinfällig. Nun aber sollten wir auch einmal expressis verbis an- erkennen, dass das griechische Parlament bereits 40 der Es gilt jetzt, diese Chancen zu nutzen. Das gilt für die im MoU vereinbarten Maßnahmen beschlossen hat. Die Menschen in Griechenland, aber auch für Europa. Des- übrigen 17 sollen bis zum Oktober verabschiedet wer- halb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werde ich diesem den. Es braucht einen langen Atem, bis sich die neue Programm zustimmen. Es muss endlich Schluss sein mit Handschrift im MoU, die auch eine soziale ist, in der der unsäglichen Grexit-Debatte, die insbesondere das Realität durchsetzt. Vertrauen zwischen allen Verhandlungspartnern nach- haltig gestört hat, die aber auch zur Verunsicherung in Es zeigt sich aber auch, dass die griechische Regie- der Öffentlichkeit und zu diesen E-Mails und Briefen ge- rung Vertrauen schaffen und die positive Dynamik für führt hat. sich nutzen muss – gegenüber seinen Bürgerinnen und 11476 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Norbert Spinrath (A) Bürgern, gegenüber Europa. Griechenland muss neue kam das eigentlich? Herr Schäuble, Sie haben heute (C) Strukturen schaffen, muss dabei Misstrauen aufgeben extrem rational den Inhalt dieses Pakets vorgetragen, der und Unterstützungsangebote annehmen. Investitionsmit- Licht und Schatten hat, der aber meiner Ansicht nach tel aus dem MFR und aus dem Juncker-Plan müssen nicht so schlecht ist wie der Deal im Juli; ich glaube, das sinnvoll genutzt werden, und die Wirtschaft in Griechen- sehen Sie vielleicht anders. land muss angekurbelt werden, weg ausschließlich vom Import hin zu einer exportorientierten Wirtschaft. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das war kein Deal! Wir haben doch nur gesagt, wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb komme ich nehmen Verhandlungen auf!) zu dem Fazit: Das Bild von Griechenland als Fass ohne Boden taugt nicht dazu, die Situation zutreffend zu be- Ich glaube, die Essenz Ihrer ruhigen und sachlichen schreiben. Griechenland wird in den kommenden Jahren Rede war, dass Sie sich mit Ihren Vorstellungen eines harte und tiefe Einschnitte in seinen Strukturen und bei zeitweiligen Grexits nicht durchsetzen konnten. Das seiner Verwaltung vornehmen müssen, um das ambitio- analysiert man auch in dem Punkt, dass Sie sich schwer- nierte Reformkonzept umzusetzen und soziale und wirt- getan haben. Warum haben Sie sich mit diesem Deal schaftliche Stabilität zu erreichen. Am Ende gilt aber denn so schwergetan, wenn er offenkundig zumindest dann trotzdem: Manchmal braucht es eben einen langen besser ist als die alten Programme? Weil Sie sich mit Atem, um angestrebte Ziele zu erreichen, oder – um im Ihren eigenen Vorstellungen, Griechenland herauszu- Bild zu bleiben –: Das Fass hat einen Boden in einem so- drängen, bei diesem Deal nicht durchsetzen konnten, lidarischen, in einem sozialen Europa. und das muss festgehalten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Sie haben auch gesagt: Ein starkes Europa geht über Präsident Dr. Norbert Lammert: Verlässlichkeit. – Wenn wir diesen Streit über den Grexit Manuel Sarrazin ist der nächste Redner für die Frak- sozusagen einmal zur Seite packen und sagen, da haben tion Bündnis 90/Die Grünen. die Grünen gegen Schäuble gewonnen – man kann es auch anders diskutieren: vielleicht Merkel gegen (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt dürfen die Grü- Schäuble oder so –, und wir Ihren Punkt aufgreifen, ein nen klatschen!) starkes Europa braucht Verlässlichkeit, dann stimme ich Ihnen zu, Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Da sehe Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ich keinen roten Faden!) (B) Frau Merkel, ich habe einen Vorschlag für Sie: Wir ha- (D) ben ja gelernt, dass es vor dem Hintergrund des Pro- möchte Ihnen aber sagen: Ich erwarte von dieser Bun- blems in Ihrer Fraktion mit den 56 Kollegen, die nicht desregierung Verlässlichkeit, dass das Thema Grexit genau wissen, wie sie abstimmen sollen, für Sie eigent- damit jetzt auch vom Tisch ist, denn Griechenland lich am besten wäre, wenn Griechenland eine Erfolgsge- braucht politische Stabilität. Da ist es auch unsere Auf- schichte schriebe, wenn es jetzt bergauf ginge, wenn es gabe, dafür zu sorgen, dass das nicht wieder passiert. Wachstum gäbe und man wieder sagen könnte: Es klappt doch und alles läuft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie doch Die letzten Wochen haben uns doch gezeigt, dass Eu- gesagt! – Dr. Angela Merkel, Bundeskanzle- ropa anders agieren kann als in diesem Kampf nationaler rin: Ist doch klar!) Interessen, Dann würden vielleicht auch die 56 Kollegen zu der Ein- ( [CDU/CSU]: Dass Tsipras sicht kommen, dass man tatsächlich etwas für Griechen- die Unsicherheit gebracht hat!) land tun sollte und der Grexit eine blöde Idee ist. Viel- leicht ist bei dem Punkt dann sogar noch ein 57. Kollege die auf Gipfeln in einem großen Showdown aufeinander- dabei. Dazu sage ich gleich noch etwas. krachen und wo es dann Gewinner und Verlierer für die Debatten zu Hause braucht. Das zeigt, dass, wenn man Ich würde Ihnen vorschlagen: Geben Sie Griechen- Vertrauen in europäische Institutionen und in gemein- land mehr Möglichkeiten für Investitionen und wirklich same Verhandlungserfolge hat, man dann auch etwas essenzielle Schuldenerleichterungen im Oktober, um den erreichen kann, was die Menschen in verschiedenen positiven Weg von Herrn Tsipras, den er jetzt beschrei- Öffentlichkeiten nicht gegeneinander aufbringt. Deswe- ten kann, abzustützen und um Ihre eigene Regierung in gen müssen wir jetzt endlich die Frage der demokrati- diesem Land zu retten. Das wäre mein Vorschlag für Sie. schen Integration in Europa angehen und die Institutio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen, die Europa zusammenführen können – wie das Europäische Parlament, die Europäische Kommission –, Wir haben heute etwas Bemerkenswertes erlebt. stärken, damit sie auch in solchen Krisenfragen mehr Wenn man sich die Reden angehört hat, die heute ge- Einfluss haben und mehr zu konstruktiven, positiven, halten wurden – von Herrn Schäuble, von Herrn immer noch nicht perfekten, aber besseren Lösungen als Oppermann –, dann stellt man fest: Da fehlte eine Ton- vorher beitragen können. lage, die in den letzten Monaten so viel zwischen Deutschland und Griechenland kaputt gemacht hat. Wie Danke. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11477

Manuel Sarrazin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der eine Teil ist, dass es netto rund 86 Milliarden (C) sowie bei Abgeordneten der SPD) Euro Hilfen für Griechenland gibt, die sich wie folgt zu- sammensetzen – auch das muss an dieser Stelle einmal Präsident Dr. Norbert Lammert: gesagt werden –: 37 Milliarden Euro zur Bedienung der Das Wort erhält nun der Kollege Ralph Brinkhaus für Altschulden, das heißt, es ist eine Umschuldung, 17 Mil- die CDU/CSU-Fraktion. liarden Euro für Zinsen auf diese Altschulden. Weiter geht es um 7 Milliarden Euro für Rechnungen, die die (Beifall bei der CDU/CSU) griechischen Behörden bisher nicht bezahlt haben und damit unter anderem den griechischen Mittelstand Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): schwer geschädigt haben. Es geht um die Handkasse Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr – das sind auch noch einmal 7 Milliarden Euro –, die je- Sarrazin, ich finde es rührend, wie Sie um unsere Regie- des Land braucht, um bestehen zu können. Und, Herr rung besorgt sind. Wahrscheinlich ist das die Angst da- Gysi, es geht um bis zu 25 Milliarden Euro für die Ban- vor, irgendwann einmal selbst Regierungsverantwortung ken. Ja, 25 Milliarden Euro für die Banken. Wir sind, zu bekommen; denn die Beiträge der Grünen waren meine Damen und Herren, in den letzten fünf Jahren nicht dazu angetan, Hoffnung zu machen, dass das dann sehr dafür kritisiert worden, dass wir angeblich die Ban- vernünftig läuft. ken gerettet haben. Manchmal ist es schwierig, Dinge zu erklären, aber manchmal kapiert auch eine linke Partei Meine Damen und Herren, wir können uns hier treff- wie Syriza – wenn der Crash da ist –, was es bedeutet, lich darüber streiten, was der richtige Weg für Griechen- wenn man nicht vorausschauend gehandelt hat. Der land ist; darüber ist in verschiedenen Debattenbeiträgen Crash war da: Die Banken haben in Griechenland zuge- gesprochen worden. Es war nicht alles richtig, aber Herr macht, die Menschen konnten kein Geld mehr aus den Gysi hat einen richtigen Satz gesagt; ich gebe das mal Geldautomaten bekommen, die Unternehmen konnten sinngemäß wieder. Herr Gysi, Sie haben gesagt, wenn weder im Inland noch im Ausland überweisen. Man hat wir die Probleme nicht vor Ort lösen, dann kommen die gesehen, dass Banken mehr sind als Aktionäre, als Gläu- Probleme zu uns. Das sehen wir momentan auf ganz biger und Einleger. Banken sind Infrastruktur. Banken verschiedenen Politikfeldern, ob das die Flüchtlinge sind die Straßen, die man braucht, damit eine Wirtschaft sind, die zu uns kommen, oder ob das Sicherheitspro- bestehen kann. Deshalb ist es wichtig – ob es uns gefällt bleme oder sonstige Probleme sind. Deswegen scheidet oder nicht –, dass wir an dieser Stelle mit den 25 Milliar- bei dieser ganzen Beschäftigung mit dem Komplex Grie- den Euro – vielleicht wird es weniger – die Banken stüt- chenland eine Sache aus: dass wir Griechenland hängen zen. lassen und wir Griechenland sich selbst überlassen. Ich (B) glaube, das ist auch Konsens in diesem Haus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi Der zweite Teil des Paketes ist ein sehr ambitioniertes [DIE LINKE]) Reformprogramm. Es ist schon in verschiedenen Reden Wenn das ausscheidet, dann hat man drei Optionen, darauf hingewiesen worden. Es geht um das Steuer- wie man mit Griechenland und seiner Bevölkerung um- system, um das Sozialversicherungssystem, um das geht. Die erste Option ist: Wir helfen ihnen, nachdem sie Gesundheitssystem, um ausgeglichene Haushalte, um insolvent bzw. in den Bankrott gegangen sind. Zweite Institutionen, die besser funktionieren sollen, um Kor- Option: Wir helfen ihnen außerhalb des Euros. Dritte ruptionsbekämpfung, um die Öffnung von Arbeitsmärk- Option: Wir helfen ihnen innerhalb des Euros. ten und von Produktmärkten. Ich denke, dass wir alle der Meinung sind, dass dieses Paket, wenn es tatsächlich Es ist so, dass wir uns in der gesamten europäischen umgesetzt wird, dazu geeignet ist, Griechenland wirklich Rettungspolitik dafür entschieden haben, dass es zu- zu helfen. nächst besser ist, innerhalb des Euros zu helfen. Wir waren, meine Damen und Herren, darin gar nicht so un- Ich will das einmal erläutern. Wenn ich einen Staat zu erfolgreich: bei Spanien, bei Portugal, bei Irland, bei sanieren hätte, dann würde ich Folgendes machen: Ich Zypern und – der Bundesfinanzminister hat es angespro- würde kurzfristige Reformen auf den Weg bringen, die chen – bis zum Dezember letzten Jahres auch bei mir Geld bringen, damit ich handeln kann. Das ist in die- Griechenland. Die griechische Regierung hat in den letz- sem Paket enthalten. Ich würde langfristige Reformen ten Monaten nicht viel Anlass gegeben, um Vertrauen auf den Weg bringen, damit ich wieder ein Geschäfts- aufzubauen. Das ist richtig. Das ist überhaupt keine modell habe, also Verbesserung der Verwaltung, Verbes- Frage. Nichtsdestotrotz müssen wir sehen, dass nach serung der Investitionen, Wirtschaftsförderung. Das ist dem Referendum zumindest beim Finanzminister, aber in diesem Paket enthalten. Ich würde das Zahlungssys- auch bei dem Ministerpräsidenten eine Verhaltensände- tem, das Bankensystem stabilisieren, weil sonst kein rung eingesetzt hat. Deswegen kann ich nur nachhaltig Staat leben kann. Das ist in diesem Paket enthalten. Ich dafür werben, dass wir versuchen, Griechenland inner- würde mir die Zeit erkaufen – auch das ist richtig –, um halb des Euro zu helfen. Das Paket, das uns heute vor- mir die Gläubiger vom Hals zu halten, damit ich alles liegt, ist so ausgerichtet, dass wir das schaffen können, umsetzen kann. Ich würde noch etwas Viertes machen – wenn die Griechen mitspielen. Das Paket besteht aus darüber stimmen wir heute nicht ab, aber es gehört auch zwei Teilen. dazu –: Ich würde Investitionen auf den Weg bringen. 11478 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Ralph Brinkhaus (A) Wir haben über 30 Milliarden Euro europäische Mit- müsst fünf Jahre lang reformieren!“. Es war zwar total (C) tel, die nur darauf warten, von Griechenland abgerufen richtig, Reformen einzufordern, weil Griechenland von zu werden für Investitionen unter anderem im Kampf einem ganz schlimmen Ausgangspunkt kam. Aber die gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Insofern ist dieses Menschen in Griechenland, die im Übrigen nie das Ge- Paket ein gutes Paket, fühl hatten, dass sie dort ein falsches Leben gelebt hätten oder alles nicht richtig gewesen wäre, sahen zu Beginn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dieser fünf Jahre kein Licht am Ende des Tunnels; sie sa- neten der SPD) hen nicht, dass sich irgendetwas verbessert. Man muss wenn es denn umgesetzt wird. Da haben wir natürlich auch irgendwie dafür sorgen, dass es kurzfristige Erfolge Zweifel: Wird es denn umgesetzt? Ist die Regierung in gibt. Deswegen ist es wichtig – Kollege Oppermann hat Griechenland so stabil, dass sie die Mehrheit hat, dass es angesprochen –, dass in diesem Paket auch Aussagen sie auch den Willen hat, das Ganze umzusetzen, wenn es zu Mindestlöhnen und zur sozialen Stabilität getroffen unterschrieben ist und wenn die erste Tranche geflossen werden. Wir müssen bei allen Paketen, die wir zukünftig ist? Die Bundesregierung hat hier Folgendes gesagt: auf den Weg bringen, mehr daran denken; denn wir dür- Leistung nur gegen Gegenleistung. Deswegen ist es auch fen die Menschen in dem Land, in dem die Reformen so wichtig, dass, bevor die erste Tranche gezahlt wird – stattfinden, nicht verlieren. der Kollege Spinrath hat darauf hingewiesen, über (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 50 Maßnahmen sind im Rahmen der Prior Actions vom neten der SPD) griechischen Parlament schon umgesetzt worden; noch nicht in der Praxis, auch das gehört zur Wahrheit –, das Wenn ich die ganze Sache zusammenfasse, dann sage Prinzip „Leistung gegen Gegenleistung“ als essenzieller ich flapsig – erste Bemerkung –: Griechenland bleibt so Bestandteil dieses Paketes sichergestellt ist. oder so auf unserem Deckel. Zweite Bemerkung: Dieses Reformpaket ist gut angelegt, auch angesichts der Tatsa- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir che, dass wir Griechenland Zeit geben. Dass die Gläubi- lassen uns gerne von Ihnen beschimpfen, wenn wir sa- ger das Land nicht angreifen können oder nichts gegen gen: Wir haben an dieser Stelle zu hart verhandelt. Ich das Land machen können, ist richtig. Wenn das Paket glaube, das ist wichtig, damit dieses Paket erfolgreich denn vernünftig umgesetzt wird. Das ist die Frage, die ist. niemand klären kann. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, sinnvoll zu ver- Es ist so, dass wir wirklich hart verhandelt haben. Es handeln und zu sinnvollen Ergebnissen zu ist auch so – das gilt zumindest für die Union –, dass das kommen!) Paket, wenn wir es alleine hätten backen können, sicher- (B) lich an der einen oder anderen Stelle schärfer oder (D) Insofern ist es auch uns zu verdanken, dass es so ist, wie anders gewesen wäre, dass die Ziele verbindlicher gewe- es ist. sen wären, dass die Zeitpläne ehrgeiziger gewesen wä- ren. Das ist überhaupt keine Frage. Aber eines ist auch Trotzdem, meine Damen und Herren, bleiben immer richtig: Wir sind 19 Länder in der Euro-Zone. Bei noch Restzweifel: Wird das Ganze Erfolg haben, oder 19 Ländern kann man nicht sagen, dass alles so ticken wird es keinen Erfolg haben? Diesen Restzweifel kann und laufen muss, wie es in Deutschland für richtig erach- ich Ihnen nicht nehmen. Auch ich weiß nicht, was im tet wird. Da muss man Kompromisse eingehen. Ich Herbst passiert. Ich weiß nicht, ob wir hier irgendwann glaube, wir als Deutsche sind in einer ganz besonderen wieder stehen und sagen, wir brauchen ein viertes Paket, Verantwortung, diese Kompromisse zu organisieren. Wir ob der IWF sagt, dass es soundso nicht geht, oder ob sind eines der größten und wirtschaftsstärksten Länder in eine griechische Regierung eine Reform doch nicht um- Europa. Wenn wir diese Kompromisse nicht organisie- setzt. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist ein langsa- ren, wer soll es dann machen? Wir haben eine Verant- mer, mühsamer Prozess. Wir haben in der Politik immer wortung für dieses Europa. gerne die Schwarz-Weiß-Lösung, bei der man sagt: Jetzt machen wir etwas, und das funktioniert. Aber das wird (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auf europäischer Ebene nie funktionieren. Deswegen ist es ein mühsamer Prozess, der vor uns steht. Aber ich Weil das so ist, halte ich dieses Paket – bei allen Be- glaube, dass es sich am Ende des Tages lohnt, sich auf denken auch von einigen Kolleginnen und Kollegen aus diesen Prozess einzulassen und unsere Kraft in diesen meiner Fraktion, die ich respektiere und zum Teil sogar Prozess zu investieren. teile – unter dem Strich für nachvollziehbar und für ver- tretbar und werbe um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Danke schön. Wir müssen an dieser Stelle vielleicht aber auch etwas (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) selbstkritisch zurückblicken, und zwar insofern, dass es nicht von ungefähr gekommen ist, dass man im Januar in Präsident Dr. Norbert Lammert: Griechenland eine Regierung gewählt hat, die nach un- Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Heinz- seren Maßstäben absurd war und damals auch absurd ge- Joachim Barchmann für die SPD-Fraktion. handelt hat. Wir müssen selbstkritisch eines sehen: Man kann den Menschen in einem Land nicht nur sagen: „Ihr (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11479

(A) Heinz-Joachim Barchmann (SPD): Nur so können Staatseinnahmen generiert und Investitio- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen nach Griechenland geholt werden; denn eine politi- Über die verschiedenen Inhalte des ESM-Programms für sche und verwaltungstechnische Stabilität ist hierfür not- Griechenland wurde heute schon in aller Breite disku- wendig. Das kann zum Abbau von Massenarbeitslosigkeit tiert. Es ist viel über die zahlreichen Maßnahmen ge- führen. Ein weiteres großes Problem, was ich dabei sehe, sprochen worden, die Griechenland in den kommenden ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die weiter abgebaut drei Jahren umsetzen muss, als Gegenleistung für die werden muss, von der heute aber überhaupt noch nicht ge- Finanzmittel von bis zu 86 Milliarden Euro. Als Bericht- sprochen wurde; darauf möchte ich noch einmal beson- erstatter der SPD-Fraktion für Griechenland im Europa- ders hinweisen. ausschuss möchte ich hier nicht noch einmal auf die (Beifall bei der SPD) Zahlen eingehen, die mit dem Programm zusammenhän- gen, obwohl sie sehr wichtig sind. Ich möchte stattdes- Als letzten Punkt möchte ich die aktuelle Situation sen auf Punkte eingehen, die mir zum einen als Sozial- der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ansprechen. demokrat und alter Gewerkschafter wichtig sind und mir Jeder von uns hat mitbekommen, was auf der Insel Kos zum anderen als einfacher, normaler europäischer Bür- los ist. Die Frage der Flüchtlinge im Mittelmeer ist ein ger am Herzen liegen. gesamteuropäisches Problem, das von allen gemeinsam gelöst werden muss. Griechenland ist aufgrund seiner Aus sozialdemokratischer Sicht möchte ich hier noch geografischen Lage besonders davon betroffen. Die Fi- einmal deutlich machen, dass wir das Programm, wie es nanz- und Verwaltungskrise trägt allerdings zu einer jetzt ausgehandelt wurde, als deutlich ausgereifter anse- weiteren Verschärfung der Situation bei. Wenn kein Geld hen können als frühere Vorschläge, vor allem deshalb, da ist, können Menschen, die vor Krieg und Elend ge- weil bei diesem Programm viel stärker auf die sozialen flüchtet sind, nicht einmal mit dem Lebensnotwendigen Auswirkungen der Maßnahmen geachtet wurde, die von versorgt werden. Hier ist die europäische Solidarität ge- der griechischen Regierung nun umzusetzen sind. Diese fragt, und da müssen auch wir in Deutschland uns fra- Reformen können die Grundlage für eine vernünftige so- gen, ob wir als europäische Bürger an der einen oder an- ziale Basisabsicherung der griechischen Bevölkerung deren Stelle nicht noch mehr tun können. Da bitte ich um und auch für einen vernünftigen Zugang der Bevölke- Ihre Unterstützung. Ich denke, das ist eine ganz notwen- rung zur Gesundheitsversorgung legen. Die Strukturen, dige Sache, bei der wir Griechenland unterstützen müs- um diese Grundfunktionen sicherzustellen, werden mit sen. dem vorliegenden Programm geschaffen. Es geht nicht mehr nur ums Sparen. Auch die Auswirkungen auf die Danke schön. Menschen vor Ort werden nun endlich in den Blick ge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs (B) (D) nommen. Dies ist aus meiner Sicht eine klare Abkehr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) von der strikten Austeritätspolitik, die über einen viel zu langen Zeitraum in ganz Europa den Umgang mit der Fi- nanzkrise beherrscht hat und die auch von der letzten Präsident Dr. Norbert Lammert: Bundesregierung mit geprägt wurde. Michael Stübgen ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass es hier nun endlich zu Veränderungen mit einem viel stärkeren Fokus auf soziale Aspekte gekommen ist, Michael Stübgen (CDU/CSU): ist nach meinem Dafürhalten ganz besonders den Stim- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und men der deutschen und der europäischen Sozialdemo- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir hier kraten zu verdanken. Dafür haben wir uns seit Jahren vor etwas über vier Wochen – am 17. Juli – eine Sonder- starkgemacht. sitzung hatten, hat mir – ich will es ehrlich zugeben – die (Beifall bei der SPD) Fantasie gefehlt, mir vorzustellen, dass wir in vier Wo- chen in der Lage sein würden, über ein Memorandum of Die Abkehr von einem strikten Sparkurs und das Er- Understanding für Griechenland einschließlich eines öffnen von Perspektiven für die griechischen Bürgerin- dritten Hilfspakets, das auch nur ansatzweise tragfähig nen und Bürger ist der entscheidende Punkt. Mit dem ist, abzustimmen. neuen Programm werden dringend notwendige Struktur- veränderungen in Gang gesetzt, von denen Griechenland Ich gebe es ehrlich zu: Ich war vor vier Wochen em- hoffentlich langfristig profitieren wird. Mit dem Ziel, ef- pört darüber, welche europaweite Kampagne gegen Bun- fizientere Verwaltungsstrukturen zu schaffen und ein desfinanzminister Schäuble – auch in Deutschland – lief, transparentes, funktionierendes Steuersystem zu etablie- und dies nur deshalb, weil er eine fast triviale Wahrheit ren, werden genau die richtigen Akzente gesetzt. Das ausgesprochen hat. Er hat nämlich gesagt und argumen- Aufbrechen des oligarchischen und teilweise verkruste- tiert, dass es, wenn ein Euro-Mitgliedsland – in diesem ten Wirtschaftssystems wird zu mehr Berechenbarkeit, Fall Griechenland – fundamental und nachhaltig nicht mehr Stabilität, aber auch zu funktionierenden staatli- bereit sei, die Regeln des Euro-Systems einzuhalten, chen Strukturen führen, an denen es in der Vergangen- wenn es auch nicht bereit sei, und zwar auch noch durch heit oft gefehlt hat. ein Referendum bestätigt, Reformen vorzunehmen, um die fiskalische Tragfähigkeit wiederherzustellen, für die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ses Land keine Zukunft in der Euro-Zone geben werde. 11480 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Michael Stübgen (A) Er hat niemals gesagt, dass dieses Land rausgeworfen mer arbeitslos wird, bekommt er für eine befristete Zeit (C) werden soll. Im Übrigen haben 15 der 19 Finanzminister Übergangsgeld oder Arbeitslosengeld, aber dann be- der Euro-Gruppe dies genauso gesehen und sich dement- kommt er null Leistungen. Ein Arbeitsloser in Griechen- sprechend artikuliert. Ich werfe niemandem vor, dass er land steht also sehr bald vor der existenziellen Frage: eine andere Meinung hat und sie artikuliert. Nur die Art Kann ich meine Familie und mich überhaupt noch ernäh- und Weise dieser Kritik, die darauf abzielte, die persönli- ren? Wenn ich null Leistungen empfange, kann ich auch che Integrität des Andersdenkenden zu verletzen, hielt keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen, dann er- ich für absolut inakzeptabel. halte ich im Krankheitsfall nicht die notwendige Versor- gung. Dieses Leck gibt es in Griechenland übrigens (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie schon seit Jahrzehnten, also auch schon vor der Finanz- des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) krise. Diese Problematik ist im vorliegenden Memoran- dum of Understanding nun adressiert worden, um Grie- Außerdem war ich bestürzt über die in den Medien chenland die entsprechende Hilfestellung für den kursierenden öffentlichen Äußerungen von Regierungs- notwendigen Umbau zukommen zu lassen. Eine soziale vertretern aus Italien und Frankreich, gezielt gegen die Grundsicherung zu gewährleisten, halte ich für sehr rich- deutsche Bundesregierung gerichtet und in einem Ton tig und für sehr angemessen. Das hat meine volle Unter- und in einer Art und Weise, von der ich hoffte, dass wir stützung. sie in der Europäischen Union nicht haben. Hinzu kam, dass sich wenige Tage zuvor eine klare Mehrheit der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) griechischen Bevölkerung in einem Referendum dafür ausgesprochen hat, dass sie nicht bereit ist, Reformen Ich komme zum zweiten Punkt. Herr Gysi – ich sehe zur Wiedererlangung der fiskalischen Tragfähigkeit um- ihn nicht mehr – zusetzen. Vor diesem Hintergrund hatte ich Schwierig- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er kommt keiten, mir vorzustellen, was uns heute zur Abstimmung gleich wieder!) vorgelegt wird. hat heute – ich habe es erwartet – wieder Krokodilsträ- Ich will jetzt aufhören, Ihnen weiter über meine Ge- nen vergossen und gesagt: Dieses dritte Rettungspro- mütszustände zu berichten. Ich wollte nur sagen: Es war gramm beinhaltet zum großen Teil die Refinanzierung auch für mich ein sehr langer Weg vom 17. Juli bis und Bedienung vorhandener Schulden. Herr Gysi, Sie heute. Heute stehe ich hier und werbe voller innerer könnten sich auch darüber beschweren, dass ein Auto Überzeugung dafür, dass Sie diesem Memorandum of fährt. Aber das Wesen eines Autos ist, zu fahren. Das Understanding und dem dritten Hilfspaket für Griechen- Wesen des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanis- land zustimmen. mus, ist ganz eindeutig, einen ungeordneten Staatsbank- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und rott zu verhindern. Der passiert nämlich dann, wenn man (D) der SPD) den Schuldendienst nicht mehr leisten kann. Ungeordne- ter Staatsbankrott heißt Zusammenbruch sämtlicher So- Ich will das an einzelnen Beispielen deutlich ma- zialleistungen eines Staates – ich will das jetzt gar nicht chen. Ich kenne alle Memorandums of Understanding, weiter ausführen –; aber das sagt Herr Gysi nie dazu. die die Euro-Gruppe und Griechenland beschlossen ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben. Das erste Memorandum aus dem Jahr 2010 hat sich sehr stark dadurch ausgezeichnet, dass wir das Natürlich ist es das Wesen des ESM, dass wir einen Ausmaß der Krise und die wahre Situation in Griechen- Staatsbankrott in Griechenland verhindern – in anderen land maßlos unterschätzt hatten. Das zweite Memoran- Ländern haben wir das erfolgreich gemacht –, mit dem dum Anfang 2012, noch mit Papandreou, wurde nach Ziel, dass das Land seine fiskalische Stabilität wiederer- dem Sturz des Ministerpräsidenten nicht mehr umge- langt. setzt. Ende 2012 gab es ein drittes Memorandum of Understanding – auch dem hat der Bundestag zuge- Der dritte Punkt – auch da fließen Krokodilstränen, stimmt –, das dann umgesetzt wurde, einschließlich ei- und es wird regelmäßig gesagt –: Es werden ja bis zu ner deutlich über 50-prozentigen Reduzierung der 25 Milliarden Euro für die Banken gegeben, nicht für die Schulden aller privaten Gläubiger. Menschen, sondern für die Banken. – Was die Linken in diesem Zusammenhang niemals sagen, ist, dass bei den Ich kann Ihnen sagen: Das Memorandum, das uns griechischen Banken, die samt und sonders illiquide sind heute zur Beschlussfassung vorliegt, ist nach meiner und kurz vor dem Bankrott stehen, Millionen von klei- Einschätzung das beste, das fundierteste und das eng- nen Sparkonten von normalen Griechen geführt werden, maschigste, das es bisher gab. Es zeigt auch sehr deut- von Rentnern, die ein paar Hundert Euro angespart ha- lich, dass die Euro-Gruppe aus den Fehlern der letzten ben, und von Familien, die vielleicht ein paar Tausend Jahre gelernt hat. Ich möchte drei für mich ganz wesent- Euro angespart haben, um sich etwas leisten zu können. liche Punkte dieses Memorandums nennen. Es hat auch Bei einem ungeordneten Bankrott dieser Banken, bei ei- viel mit Fehleinschätzung und Nichtwissen zu tun. nem ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands wäre das alles weg und stünde auf null. Das heißt, Bankenre- Punkt eins. Höchste Priorität in diesem Memorandum kapitalisierung ist auch eine soziale Aufgabe, die wir er- hat die Unterstützung der sozial Schwächsten in Grie- füllen müssen. Deshalb stehe ich ausdrücklich hinter der chenland. Diese Priorität ist deshalb von so besonderer Bankenrekapitalisierung. Bedeutung, weil es in Griechenland – das können wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen – keine soziale (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Grundsicherung gibt. Wenn ein griechischer Arbeitneh- der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11481

Michael Stübgen (A) Lassen Sie mich ein Thema noch nennen, das vor al- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) len Dingen in meiner Fraktion in der Debatte eine we- Herr Kollege, wenn mich mein Eindruck nicht sentliche Rolle gespielt hat, wie ich glaube, zu Recht. Es täuscht – – geht um die Schuldentragfähigkeit. Es ist richtig, dass uns bis jetzt noch keine Schuldentragfähigkeitsbestäti- Michael Stübgen (CDU/CSU): gung für dieses Programm durch den IWF vorliegt. Es Wenn es dazu kommt – was wir alle hoffen –, dass ist auch richtig, dass gerade meine Fraktion immer klar eine Reformregierung die Mehrheit erhält, werden wir kommuniziert hat, dass das Vorliegen dieser Schulden- die Schuldentragfähigkeit erreichen. Wenn nicht, werden tragfähigkeitsbestätigung für uns eine ganz wesentliche wir, glaube ich, wieder über die Frage eines Verbleibs Voraussetzung ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich zu Griechenlands in der Euro-Zone diskutieren müssen. diesem Zeitpunkt trotzdem zustimme, warum ich das für Das will aber keiner von uns. ausreichend halte. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und für die Groß- Punkt eins. Wir wissen – das ist unter Ökonomen um- mut des Präsidenten. stritten, ein bisschen auch beim IWF –, dass die Betrach- (Beifall bei der CDU/CSU) tung allein des Nominalwerts der Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt nicht die gesamte Vielfalt der Präsident Dr. Norbert Lammert: fiskalischen Realität abdeckt. Wenn das stimmte, dürfte Das Wort erhält nun Johannes Kahrs für die SPD- es Japan als Industrienation längst nicht mehr geben. Fraktion. Punkt zwei. Ich halte die Analyse des ESM für sehr (Beifall bei der SPD) interessant und lesenswert. Darin wird die Schuldentrag- fähigkeit an der Bruttofinanzierungsquote festgemacht, Johannes Kahrs (SPD): also daran, was ein Land in den nächsten 15 Jahren an Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Schuldendienstleistungen im Verhältnis zum Gesamt- Kollegen! Wir Sozialdemokraten hatten, was Griechen- haushalt aufbringen muss. Klar ist, dass in den 2020er- land und die Rettungspakete angeht, immer eine klare Jahren, also bis 2030, diese Bruttofinanzierungsquote in Linie. Die SPD hat sich hier immer solidarisch gezeigt. Griechenland unter 15 Prozent liegen wird. Das gilt – das Die SPD hat aber auch immer gesagt: Hilfen gibt es nur, ist nachgewiesen – allgemein als tragfähig. Insofern ist, wenn die Griechen ihren Teil dazu beitragen. Das eine denke ich, heute ein ausreichender Ansatz bei der Schul- geht nicht ohne das andere. Wenn wir in Deutschland, dentragfähigkeit da. wenn wir in Europa leisten, helfen und unterstützen, (B) dann muss man auch sehen, dass die Griechen ihren Teil (D) Es bleibt aber dabei – Bundesfinanzminister dazu beitragen. – Wenn man sich dieses Hilfspaket an- Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen –: Für uns ist schaut, stellt man fest, dass es genau so ist, wie wir es eine aktive Beteiligung des IWF, auch eine finanzielle gefordert haben. Wie es die SPD von Anfang an gefor- Beteiligung, unverzichtbar. In wenigen Wochen werden dert hat, so ist es gekommen. Deswegen werden wir, die wir in diesem Hause darüber diskutieren, wie wir im Ok- SPD, dem auch zustimmen. Das, glaube ich, ist eine gute tober zu einer Beteiligung des IWF kommen können. Sache. Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch zwei (Beifall bei der SPD) kurze Sätze zu einem Thema – Wir Sozialdemokraten sind froh, dass dieses Paket, so wie es hier heute vorliegt, vorliegen kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) Nein, einer, Herr Stübgen. Wenn man sich dann aber anguckt, was der eine oder andere Kollege hier zu diesem Thema gesagt hat, dann Michael Stübgen (CDU/CSU): merkt man, dass Lernprozesse nicht nur in Griechenland – einer; ich danke für die Großzügigkeit –, das viele stattgefunden haben, sondern auch in diesem Hohen meiner Kollegen umtreibt. Es geht um die Frage: Wie Hause. Auch das ist gut, weil wir ja eine lernfähige Ein- groß kann eigentlich die Hoffnung sein, dass in Grie- heit sind, weil wir wieder feststellen können, dass man chenland jetzt alles anders wird, als wir das im letzten auch hier dazulernen kann; das haben wir bei vielen halben Jahr, aber auch in den letzten Jahren erlebt ha- Fraktionen gesehen. Das begrüße ich außerordentlich. ben? Ich glaube, es gibt genug Anzeichen dafür, dass es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) besser wird. Zum Ersten hat sich die Verhandlungssitua- tion deutlich verändert. Zum Zweiten gibt es eine breite Der Kollege Brinkhaus hat zu Recht gesagt: Wenn wir Mehrheit im Parlament, eine Nichtregierungsmehrheit, helfen, dann kann es sein, dass das nicht das Ende ist. – für diese Reform. Die Prior Actions sind durchweg um- Das wiederum ist eine Entwicklung, die man bei der gesetzt worden. Zum Dritten. Es wird mit allergrößter Union in der Vergangenheit so nie erlebt hat. Der Kol- lege Brinkhaus hat hier von einem möglichen vierten Wahrscheinlichkeit im September dieses Jahres Neu- Hilfspaket gesprochen. Das kann am Ende alles sein. wahlen in Griechenland geben. Wir werden sehr genau beobachten können, wie sich die Parteien dort aufstellen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) 11482 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Johannes Kahrs (A) Für uns ist es wichtig, dass die Entwicklung in Griechen- Wenn man sich vor Augen hält, was der Kollege Gysi (C) land positiv ist, dass sie so weitergeht, dass sie sich ir- hier unterhaltsamerweise zum Besten gegeben hat, dann gendwann selber tragen kann, und dass es dadurch auch muss man sagen: Die eine Hälfte seiner Rede hat er nicht eine Schuldentragfähigkeit gibt. Das alles kann aber über Griechenland geredet, sondern einen Kessel Buntes auch nur funktionieren, wenn die Griechen selber ihren präsentiert. Als er dann endlich zum Thema gekommen Teil dazu beitragen. ist, hat er es gründlich verfehlt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Kollege Kauder hat hier in der letzten Sitzung ge- sagt, dass Griechenland nur in Griechenland gerettet Er hat zum Beispiel gesagt, dass es nicht unsere Aufgabe wird. Ich glaube, er hat recht. Griechenland wird nur in ist, Banken zu retten. Ehrlich gesagt, wir retten ja nicht Griechenland gerettet – von den Griechen. die Banken um der Banken willen; das hat auch der Kol- lege Stübgen hier gesagt. Wir retten Banken, weil anders Die griechische Regierung hat sich verändert. Sie hat Wirtschaft, weil anders Staat nicht möglich ist, weil ihre Positionen geändert. Nachdem der unsägliche Herr Menschen gespart haben, weil es nur in einem funktio- Varoufakis nun nicht mehr Finanzminister ist und Herr nierenden Bankensystem zu wirtschaftlichem Fortschritt Tsipras gemerkt hat, dass er sich im Parlament neue kommt. Mehrheiten suchen muss, um sein Land zu retten und (Dr. [DIE LINKE]: Zypern!) das gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen hin- zubekommen, Wenn die Banken erst einmal pleite sind, ist es drei- mal, viermal schwieriger, sie neu aufzubauen – denen (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es mit den vertraut nämlich kein Mensch mehr –, als wenn man Linken! Die kannst du nicht gebrauchen!) Banken rettet und guckt, dass sie wieder auf eine ver- nünftige Spur kommen. Anders kann es doch gar nicht haben wir alle jetzt auch den Glauben, dass die griechi- gehen. Das hat Herr Gysi überhaupt nicht verstanden. sche Regierung Griechenland selber retten will, indem die notwendigen Strukturreformen durchgeführt werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ob es nun um das Steuersystem geht, ob man Grund- CDU/CSU) buchämter haben will, gegen Korruption oder die über- Dann hat Herr Gysi noch etwas gesagt. Dieses Ret- bordende Bürokratie vorgehen will oder für ein funktio- tungspaket ist ja dazu da, Geld umzuschulden, dauerhaft nierendes, finanzierbares Rentensystem sorgen will. Ich zu finanzieren und Banken zu retten. Wir in Europa wol- glaube, wir, auch die CDU/CSU, nehmen der griechi- len über ein Investitionspaket mit über 35 Milliarden (B) schen Regierung jetzt ab, dass sie das will. (D) Euro helfen, mit denen man in Griechenland das Gleiche Das wird man aber nicht in zwei, sechs oder zehn Mo- macht, was wir in der Krise in Deutschland gemacht ha- naten hinbekommen. Dafür braucht man Jahre. Das ist ben, als wir Konjunkturpakete hatten, als wir eine Ab- ein langwieriger Prozess. Wir im Deutschen Bundestag wrackprämie hatten, als wir Kurzarbeitergeld beschlos- werden die griechische Regierung, wenn sie erkennbar sen haben; das wird über dieses Investitionsprogramm diesen Weg geht und Erfolge vorzeigen kann, unterstüt- kommen. Herr Gysi hat gesagt, das könnten sich die zen, auch wenn das fünf, sechs oder zehn Jahre dauert. Griechen nicht leisten. Wir haben aber in Verhandlungen Wir haben nicht nur beim ersten und beim zweiten Hilfs- in Europa erreicht, dass der Eigenanteil der Griechen programm mitgemacht, sondern wir machen auch jetzt deutlich reduziert worden ist. Er liegt in den meisten beim dritten Hilfsprogramm und auch bei einem mögli- Programmen bei 5 Prozent. Das ist etwas, was es nir- chen vierten mit, wenn wir sehen, dass auch die Grie- gendwo anders gibt. chen ihren Teil tun. Ich glaube, die wirkliche Erkenntnis Wenn man das alles zusammenfasst, dann merkt man in dieser Debatte ist, dass es dafür in diesem Hause eine meines Erachtens, dass wir Sozialdemokraten, dass diese große Mehrheit gibt. Große Koalition ihre Aufgaben gemacht hat, dass es in Wenn man sich den Kollegen Stübgen, der vor mir Griechenland funktioniert hat: Die Griechen gehen die- gesprochen hat, angehört hat, dann hat man festgestellt, sen Weg. Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir dass auch er persönlich einen Weg gegangen ist. Der hier heute im Deutschen Bundestag alle solidarisch und Kollege Brinkhaus hat gesagt, man muss dafür sorgen, gemeinsam zustimmen. Dass die Linke schon angekün- dass die Menschen in Griechenland, die unter diesen digt hat, dass sie die Menschen in Griechenland, dass sie Sparprogrammen und unter diesen Reformen leiden Griechenland nicht unterstützen will, ist eine Schande. – denn das alles ist nicht einfach –, Licht am Ende des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tunnels sehen. Wir werden mit dafür sorgen müssen, der CDU/CSU) dass es dieses Licht am Ende des Tunnels gibt. Nur dann werden die Menschen in Griechenland diesen Weg mit- Präsident Dr. Norbert Lammert: gehen. Nur dann kann auch die griechische Regierung Das Wort erhält nun der Kollege Klaus-Peter Willsch. diesen Weg gehen. Das kriegen wir aber nur gemeinsam hin, liebe Kolleginnen und Kollegen. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Ich habe mich erst einmal vergewissert, wer hinter Abg. [CDU/CSU]) mir sitzt. – Herr Präsident! Liebe Kollegen! Der Grund- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11483

Klaus-Peter Willsch (A) tenor der Debatte, die wir heute führen, von all denen, aufgerufen hat, Nein zu sagen zu einem Reformpaket, (C) die sich für das dritte Rettungspaket aussprechen, lautet: und auch im Januar/Februar, als das Parlament neu ge- Athen hat verstanden. wählt wurde. Auch da ging es nicht gerade schonend und mit weichen Bandagen zu, sondern es wurde hart ge- (Johannes Kahrs [SPD]: Herr Willsch nicht!) kämpft. Nun glaube ich, dass man keine große Mühe braucht, um da ein bisschen Wasser in den Wein zu schütten. Ich Das liegt auch ein wenig im Wesen des politischen bin bei diesem Freitag nicht dabei gewesen, Herr Systems von Griechenland. Im Wahlkampf muss man Finanzminister, als es ja wohl so eine Art Pfingsterlebnis eine Mehrheit für sich gewinnen, um danach Regie- gegeben hat. Es ist zwar nicht der Heilige Geist, aber of- rungsämter zu bekommen und seine Hintersassen mit fenbar der stabilitätspolitische Geist ausgegossen wor- Regierungsposten und Posten in der staatlichen Industrie den. Nun müssen wir einmal überprüfen, ob das wirklich zu versorgen. eine breite Erscheinung ist oder ob das ein Momentein- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist das für druck war. ein Verständnis, wie Sie das übersetzen!) Ich höre nach wie vor von Tsipras, dass er gegen das spricht, was vereinbart worden ist; er sei dazu erpresst Deshalb ist das immer eine entscheidende Phase. Dass in worden. Ich lese in der Zeitung von seinem Vertrauten dieser Zeit der IWF überprüfen soll, ob in Griechenland – das ist also keiner von denen, die sich jetzt abspalten alles gut läuft: Mit Verlaub, da fehlt mir wirklich der wollen, sondern sein Vertrauter, Staatsminister Nikos Glaube, dass das realistisch ist. Pappas –: Wir alle – Sie genauso wie ich – werden doch von Die wirtschaftliche Erholung Griechenlands hänge vielen Menschen angeschrieben und angesprochen, die davon ab, dass die Gläubiger einen „konstanten dafür nur noch ein Kopfschütteln übrig haben. Ich meine Fluss von Finanzmitteln und eine Lösung der auch: Wenn man – jetzt übertrage ich die normale Le- Schuldenfrage“ garantierten. benserfahrung auf die Politik – zweimal mit Anlauf mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen ist, dann sollte man Dann geht es weiter: einmal gucken, ob es nicht irgendwo eine Tür gibt. In Syriza gehe es weiterhin um Umverteilung von diesem Fall ist die Tür der Grexit. Das haben Sie, Herr Mitteln in Griechenland und künftig um Finanzpro- Finanzminister, vor den Verhandlungen am letzten gramme für diejenigen, die durch die Reformver- Freitag erfreulicherweise sehr ordentlich vorgetragen. einbarungen von Kürzungen betroffen seien, etwa Griechenland wird es im Euro-Raum nicht schaffen. (B) (D) die Landwirte. Wir werden es nicht schaffen, die Euro-Zone mit Gewalt Es ist uns als wichtiger Erfolg verkauft worden, dass gegen den Willen der Bevölkerungen zusammenzuhal- diese Reform durchgeführt worden ist; hier wird ange- ten, wenn wir es nicht zulassen, dass die Euro-Zone kündigt, dass sie wieder konterkariert werden wird. – atmen kann. Das heißt, dass Griechenland den Euro- Dann geht es weiter: Raum verlässt und mit einer eigenen Währung die not- wendigen Strukturanpassungen währungspolitisch flan- Es gebe keinen Grund, warum Syriza nicht in Eu- kieren kann. Nach einer harten Anpassung und Rezes- ropa weiter für seine Ziele kämpfen solle, etwa für sion wird es ein Wachstum erleben, weil der Import eine Rolle der EZB als Garant für alle Staatsschul- zurückgeht und der Export anzieht. Viele Touristen wer- den, sagte Pappas. Er stimme der Idee des ehemali- den kommen, da der Urlaub in Griechenland günstiger gen italienischen Ministerpräsidenten Romano wird. Anders wird es nicht funktionieren. Prodi zu, dass sich Frankreich und Italien mit ande- ren Ländern gegen Deutschland verbünden sollten, Ich will noch eines zu der Frage sagen: Wer zahlt das … alles? In diesem Zusammenhang ist die neue Definition von Schuldentragfähigkeit ziemlich gefährlich. Wenn Ein dankbarer Schuldner klingt in meinen Ohren ein wir eine Grenze von 15 Prozent für Ausgaben für akzep- bisschen anders, und dass hier wirklich der Reformwille tabel halten, dann haben wir es in der Hand, immer neue mit Gewalt um sich gegriffen hätte, kann ich daraus auch nicht ablesen. Kredite zu geben. Durch eine beliebige Verlängerung des tilgungsfreien Zeitraums können wir die Schulden- Kollege Stübgen hat es dankenswerterweise ange- tragfähigkeit von außen mit Pseudokrediten herstellen. sprochen: Wir erwarten die Vertrauensabstimmung in Kürze, vielleicht schon morgen, wenn hier alles in tro- Was wir wirklich machen, wenn wir Kredite gewäh- ckenen Tüchern ist und die ersten Milliarden überwiesen ren und Laufzeiten um 30 oder 50 Jahre erhöhen, ist eine sind. Sie wird Herr Tsipras nach allen Vorhersagen, die Schenkung und nichts anderes. Das ist natürlich ein Ver- man aus Griechenland so hört, verlieren, und dann gehen stoß gegen das, was wir den Menschen versprochen ha- wir in den Wahlkampf. ben: Jeder in der Währungsunion muss für seine Schul- den selbst aufkommen. Es gibt kein Bail-out. Was Wahlkampf in Griechenland heißt, das haben wir dieses Jahr doch schon zweimal erlebt, einmal beim Wahlkampf für das Referendum, das im Übrigen zum Präsident Dr. Norbert Lammert: Gegenstand hatte, dass Herr Tsipras die Bevölkerung Herr Kollege. 11484 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Ein Kollege hat gestern in der Arbeitsgruppe Haus- (C) Zahlen – das ist der letzte Satz, Herr Präsident – wer- halt den Vorschlag gemacht, die Konditionen, die wir im den das nicht einmal mehr unsere Kinder, sondern deren dritten Hilfspaket mit Griechenland vereinbart haben, Kinder und Enkel. Über 2 Billionen Euro an Schulden mit Entwicklungsländern zu vereinbaren. Eine Konditio- haben diese Menschen abzutragen, und jetzt packen wir nierung bei Entwicklungshilfe: Das wäre aus meiner noch Schulden anderer drauf. Das ist den nachfolgenden Sicht dann auch die Alternative für Griechenland gewe- Generationen gegenüber unverantwortlich. Sagen Sie sen. Mich stört an der Debatte, dass man nur ganz einsei- bitte Nein. tig Haare in der Suppe findet und Situationen beschreibt, ohne auch darauf hinzuweisen, wo dieser Weg hinführen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) würde. Das stört mich ganz erheblich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Letzter Redner in der Aussprache ist der Kollege der SPD) Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. Den Grünen will ich eines sagen: Sie sprechen davon, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – dass Angela Merkel, und Wolfgang Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das Schäuble die Axt an die Grundwerte in Europa gelegt stimmt!) haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Verständ- nis von Solidarität in Europa ist, dass sie auch immer mit Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): eigener Verantwortung verbunden ist. Mein Verständnis Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von Hilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe, und mein Verständnis stimmen heute nicht über den kommenden Wahlkampf von Europa ist, dass nicht einer die Regeln bestimmt, in Griechenland oder darüber ab, ob sich Herr Tsipras wenn man sich in Europa Regeln gibt, sondern dass die der Vertrauensfrage stellt. Regeln, die alle vereinbart haben, auch von allen einzu- halten sind. Das ist mein Verständnis von Europa. (Beifall der Abg. Dr. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir stimmen heute über einen Antrag der Bundesregie- Hier hat die griechische Regierung einen Weg zurück- rung mit neun Anlagen ab. Ich finde, das, was in den legen müssen. Wer sich die Mühe macht, einen Blick in letzten Tagen vereinbart worden ist und was in diesem die Anlage 3 a zu werfen, sieht, dass die Maßnahmen Antrag steht, verdient Respekt. (B) 48 bis 56 – Kollege Poß, Sie nicken – jetzt unter dem (D) Ich gebe für mich ganz ehrlich zu: In dem Zeitraum Druck der Quadriga vom griechischen Parlament zu- Ende Juni/Anfang Juli, in dem die griechische Regie- rückgenommen werden. Das betrifft die Steueramnestie rung das Volk aufhetzte, in einem Referendum Nein zu für Reiche. Es geht auch zum Beispiel darum, dass die Reformen zu sagen, und das Volk mit Nein stimmte, gab hellenische Tourismusorganisation keine Grundsteuern es für mich zwei entscheidende Momente. Zum einen zahlen muss, und um die überzogenen Subventionen für waren das die Folgen in Form von Bankenschließungen Kleinerwerbslandwirte und Nebenerwerbslandwirte in und Kapitalverkehrskontrollen. Zum anderen war es die Griechenland. Man musste erst Druck aufbauen, liebe Tatsache – da widerspreche ich den Grünen ganz aus- Kollegin Lötzsch, bis Syriza das zurückgenommen hat, drücklich in ihrem Antrag, das war kein historischer was sie fehlerhaft im Februar und März beschlossen ha- Fehler –, in einer Debatte zu beleuchten, was für Grie- ben. Das haben sie nicht von alleine gemacht. chenland ein genereller Grexit oder ein zeitweiliger (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Grexit bedeutet hätte. der SPD) Es ist meine feste Überzeugung: Wenn in den letzten Kollege Hofreiter, Sie sind gegen Ausgabenkürzun- Wochen und Monaten von Angela Merkel und Wolfgang gen. Das verstehe ich nicht. Sie sind dagegen, dass in Schäuble, von der Bundesregierung insgesamt, nicht so den beiden kommenden Jahren im griechischen Militär- hart verhandelt worden wäre, hätten wir nicht das vorlie- haushalt eine halbe Milliarde Euro eingespart wird. Ich gende Ergebnis zur Abstimmung. Das ist an dieser Stelle bin dafür, dass da gekürzt wird. Wo denn sonst? Wo meine feste Überzeugung. sonst soll bei einer Armee von 175 000 Mann gekürzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- werden? neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Lieber Kollege Willsch, an der Grexit-Debatte stört der SPD) mich eins: Sie beschreiben nicht die Folgen. Ich bin aber auch genauso dafür – das will ich ganz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und klar und deutlich sagen –, dass im öffentlichen Dienst der SPD) die Mindestrenten eingefroren werden. Ich will Ihnen auch sagen, warum: weil die Renten in Griechenland, Griechenland bleibt in der Europäischen Union. Grie- und zwar die Renten im privaten Sektor und die Klien- chenland bleibt im Schengen-Raum. Griechenland bleibt telrenten, die über Jahre von Pasok, ND und wem auch in der NATO. immer im öffentlichen Dienst ausgereicht worden sind, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11485

Eckhardt Rehberg (A) ganz weit auseinandergehen. Wir haben auch eine Ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) antwortung gegenüber den Letten, den Esten, den Litau- der SPD) ern, den Slowenen und den Slowaken, die deutlich nied- Schauen wir uns an, was in den letzten sechs, sieben rigere Mindesteinkommen und ein deutlich niedrigeres Monaten gelaufen ist. Griechenland war 2010 pleite, Sozialniveau haben. Deswegen ist es richtig, auch bei weil die Griechen völlig über ihre Verhältnisse gelebt ha- den Klientelrenten in Griechenland einen Stopp für die ben. Griechenland hatte ein Haushaltsdefizit von 15 Pro- nächsten Jahre vorzusehen, liebe Kolleginnen und Kol- zent, im Jahre 2010 eine Schuldenquote von 150 Pro- legen. zent. Griechenland war Schritt für Schritt auf dem Weg (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zur Besserung. Der Direktor des ESM hat das im Mai in der SPD) beeindruckender Weise hier bei uns dargestellt. Grie- chenland war auf dem Weg der Besserung, und auch im Im Memorandum of Understanding sind 58 Maßnah- dritten und vierten Quartal 2014 war Licht am Ende des men mit 200 konkreten Terminen vorgesehen, von denen Tunnels. – das halte ich für sehr bemerkenswert – vier Fünftel heute schon zumindest im Parlament beschlossen, wenn Ich bin ähnlich wie du, Johannes, der Meinung, dass auch noch nicht umgesetzt worden sind. der unselige Finanzminister Varoufakis ruhig Motorrad fahren oder in seinem Häuschen seine Zeit verbringen Die entscheidende und härteste Bewährungsprobe in soll. Das soll mir recht sein. Da können die Bunten in den nächsten Wochen und Monaten wird übrigens die Europa schreiben, was sie wollen; das stört mich nicht. Umsetzung sein. Deswegen stimme ich dem Kollegen Ich hoffe, dass in Griechenland jetzt wirklich Verantwor- Thomas Oppermann zu, dass es richtig ist, dass wir tung von der griechischen Regierung wahrgenommen heute nicht über die Verlängerung von Kreditlaufzeiten wird und dass sie in erster Linie an die zurückliegenden und Schuldenerleichterungen reden – ein Haircut ist Wochen und Monate denkt und begreift, was es heißt, überhaupt nicht möglich –, sondern dass wir das erst wenn Banken schließen müssen und Kapitalverkehrs- dann in den Blick nehmen, wenn die griechische Regie- kontrollen eingeführt werden müssen. Das Entschei- rung gezeigt hat, dass sie das, was vereinbart worden ist, dende ist, dass dieses Paket jetzt in Griechenland ver- nicht nur im Parlament beschließen lässt, sondern es antwortungsvoll umgesetzt wird. Meine persönliche auch administrativ umsetzt. Es hilft überhaupt nichts, die Überzeugung ist, dass man dann auch in Griechenland Erhöhung der Mehrwertsteuern für die kleinen Inseln um Wachstum und Beschäftigung schaffen kann. 30 Prozent zu beschließen. Das Entscheidende ist nicht der Beschluss im Parlament, sondern dass die Steuern Ein Abschlusswort, Herr Kollege Gysi. Ich gebe Ih- auch eingenommen werden. Denn nur dann können sie nen einen guten Rat. Ich beziehe mich auf die 35 Milliar- (B) in den griechischen Haushalt fließen. den Euro, die Griechenland von der Europäischen Union (D) bekommt. Entweder wir zahlen nur 5 Prozent, oder die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und 5 Prozent werden von der Europäischen Investitions- der SPD) bank übernommen. Was Sie zu den Investitionen in Das ist aus meiner Sicht das, was Tsipras und die grie- Griechenland erzählt haben, ist der größte sachliche Un- chische Regierung jetzt leisten müssen. fug, den ich je im Deutschen Bundestag gehört habe. Herzlichen Dank. Lieber Johannes Kahrs, dieses Hilfspaket war kein Selbstläufer, und dieses Hilfspaket wird bis 2018 auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kein Selbstläufer sein. Ich persönlich würde mich sehr freuen, wenn wir zu Beginn des kommenden Jahres, Präsident Dr. Norbert Lammert: ähnlich wie nach einer gewissen Zeit im Falle von Spa- Zu einer persönlichen Erklärung zur Aussprache er- nien, Irland, Portugal und Zypern, im Haushaltsaus- hält jetzt der Kollege Nüßlein das Wort. schuss die MoUs, die Reviews, zur Kenntnis nehmen können und keine Stellungnahme abgeben, weil in dem (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Er hat vorhin Fall die Quadriga attestiert, dass das, was beschlossen schon etwas gesagt!) wurde, in Griechenland auch umgesetzt wird. Anschließend habe ich noch eine wichtige Mitteilung Wenn Sie sich das Memorandum of Understanding in zu machen. Insofern besteht durchaus Gelegenheit, sich seiner ganzen Breite anschauen, dann sehen Sie, dass noch einen Augenblick auf die Plätze zu setzen. Danach hiermit eine Basis gelegt worden ist. Hier hat aus meiner kommen wir zu der namentlichen Abstimmung. Sicht die Europäische Kommission eine große Verant- Bitte, Herr Kollege Nüßlein. wortung, nicht nur politisch zu agieren, sondern auch echte technische Hilfe vor Ort zu leisten, und zwar in Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): den verschiedensten Bereichen. Dann ist eine Chance gegeben, dass in Griechenland ein moderner, wettbe- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr werbsfähiger Staat entsteht. Kollege Kindler hat mich im Rahmen dieser Debatte in dieselbe Ecke wie Holocaustleugner gestellt. Ich möchte Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir ist relativ wurscht, das hier an dieser Stelle auf das Schärfste zurückweisen. welche Partei am Ruder ist. Für mich ist von Interesse, Herr Kollege Kindler, weder der Kontext Ihrer Einlas- dass das umgesetzt wird, was mit den europäischen In- sung noch der Kontext meiner Zwischenfrage gab dazu stitutionen vereinbart worden ist. Anlass. So etwas tut man auch nicht in schärfster rhetori- 11486 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Georg Nüßlein (A) scher und argumentativer Bedrängnis, nicht unter Kolle- im Intranet unter „Aktuelles“. Hier empfehle ich, sich (C) gen und nicht unter Demokraten. gegebenenfalls diese Empfehlungen und Handhabungen auszudrucken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Heiterkeit und Beifall) Sie dürfen davon ausgehen, dass ich mir der histori- Jedenfalls würde ich gerne vermeiden, dass nach den schen Verantwortung Deutschlands absolut bewusst bin. erheblichen und bemerkenswerten Anstrengungen, die Sie dürfen aber auch davon ausgehen, dass ich sehr wohl viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den vergange- der Auffassung bin, dass Deutschland jedenfalls für die nen Wochen vorgenommen haben, ich ab Mitte der Wo- Schuldenmisere in Griechenland nichts kann, dass wir che verzweifelte Anrufe von Kolleginnen und Kollegen aber eine Verantwortung dafür tragen, diese Problematik bekomme, sie hätten gehört, ab Montag wäre das System im Interesse Europas zu lösen. wieder verfügbar, sie kämen nur nicht rein. Deswegen Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kindler, wäre es schon ganz gut, wenn die dafür erforderlichen und würde mich freuen, wenn wir uns im Anschluss in Voraussetzungen auch individuell bzw. in den Büros ge- einem persönlichen Gespräch noch einmal austauschen troffen würden. Wenn es dazu Fragen oder Probleme könnten. Über eine Entschuldigung würde ich mich auch gibt, steht Ihnen unser IT-Support unter der bekannten freuen. Durchwahlnummer 117 auch über das Wochenende zur Vielen herzlichen Dank. Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Christine Lambrecht [SPD]: Was für ein neten der SPD) Service im Plenum!) So, und nun kommen wir zur Abstimmung über den Präsident Dr. Norbert Lammert: Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf den Ich schließe damit unsere Aussprache. Drucksachen 18/5780 und 18/5788 zur Einholung eines Bevor wir jetzt zu den Abstimmungen kommen, habe zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, ich noch einen wichtigen praktischen Hinweis mit Blick der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer auf die Arbeitsfähigkeit der Büros und auch der Kolle- Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- ginnen und Kollegen, die sich in den nächsten Wochen rung über ein Memorandum of Understanding zwischen vermutlich nicht dauerhaft in Berlin aufhalten wollen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi- und müssen. litätsmechanismus. (B) (D) Wie wir bereits mehrfach mitgeteilt haben, wird ab Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass der morgen Abend mit dem Neuaufsetzen der IT-Systeme Antrag auch die Zustimmung zur Auszahlung der ersten des Bundestages begonnen. Während der notwendigen Tranche der Finanzhilfe an Griechenland in Höhe von Arbeiten, die wir hoffen bis einschließlich des Wochen- 26 Milliarden Euro beinhaltet. Darüber muss also nicht endes im Kern erfolgreich durchführen zu können, so- etwa erst zu einem späteren Zeitpunkt gesondert abge- dass wir im Laufe des kommenden Montags hoffentlich stimmt werden. wieder in vollem Umfang arbeitsfähig werden, kann na- Im Übrigen nehmen wir zahlreiche persönliche Erklä- turgemäß die Bundestags-IT nicht zur Verfügung stehen. rungen zur Abstimmung, die wir erhalten haben, in be- Wir haben gestern Abend erneut in einer E-Mail an währtem Verfahren zu Protokoll.1) alle Kolleginnen und Kollegen und Büros darauf hinge- wiesen, was beim Wiederanfahren des Systems am Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktionen der Montag zu beachten ist. Bei der ersten Anmeldung an CDU/CSU und SPD über den Antrag namentlich ab. Ich das neue System ab Montag werden Sie bzw. die Mitar- bitte um einen Hinweis der Schriftführerinnen und beiterinnen und Mitarbeiter im Büro aufgefordert, das Schriftführer, ob die Urnen jeweils doppelt besetzt sind. Passwort zu ändern. So, das setzt voraus, dass einer da Ich gucke einmal von links über die Mitte nach rechts. – ist – ganz praktisch. Es sieht so aus. Dann eröffne ich hiermit die Abstim- mung. (Heiterkeit) Ist ein Mitglied im Saal anwesend, das seine Stimme An Parlakom-Geräten in den Büros in Berlin und in noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht erkennbar. den Wahlkreisbüros werden Sie über die Anmeldemaske Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und bitte die durch das Passwortänderungsverfahren geführt, das Ih- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- nen von auch früher üblichen Passwortänderungen be- lung zu beginnen. Da wir nur eine namentliche Abstim- kannt sein sollte. Insofern handelt es sich hier weder um mung haben, wird das vermutlich zügig gehen, sodass ein ungewöhnliches noch um ein aufwendiges Verfah- diejenigen, die ganz gespannt auf das Ergebnis dieser ren. Aber es ist ein unverzichtbares Verfahren, wenn Abstimmung warten, sich nicht allzu lange gedulden man im System arbeiten will. müssen, bis wir es vorliegen haben.2) Ein bisschen komplizierter ist die Passwortänderung für die persönlichen Smartphones oder Tablets. Dafür 1) Anlagen 2 bis 5 gibt es eine Anleitung für die verschiedenen Gerätetypen 2) Ergebnis Seite 11487 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11487

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- min ist. Sie bekommen aber rechtzeitig die entsprechen- (C) schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Informationen. auf Drucksache 18/5789. Wer stimmt für diesen Ent- (Unterbrechung von 12.03 bis 12.09 Uhr) schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Das sind ein paar mehr. Wer enthält sich? – Damit ist dieser Ent- schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Präsident Dr. Norbert Lammert: Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Ich teile Ihnen das von den Schriftführerinnen und Abstimmung unterbreche ich für einige Minuten die Sit- Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen zung und teile Ihnen dann das Ergebnis mit. Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Stabilitätshilfe zugunsten Griechen- Vorsichtshalber weise ich schon jetzt darauf hin, dass lands mit: abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben ge- die nächste Sitzung des Bundestages voraussichtlich am stimmt 454, mit Nein haben 113 Kolleginnen und Kolle- Dienstag, dem 8. September 2015, stattfinden wird. Ge- gen gestimmt, enthalten haben sich 18. Damit ist der hen Sie davon aus, dass das der späteste denkbare Ter- Antrag angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dirk Fischer (Hamburg) Hans-Werner Kammer Dr. Abgegebene Stimmen: 584; Dr. Steffen Kampeter Dr. Angela Merkel davon Steffen Kanitz Dr. Michael Fuchs Dr. ja: 453 Hans-Joachim Fuchtel Bernhard Kaster nein: 113 Ingo Gädechens Volker Kauder Karsten Möring enthalten: 18 Dr. Stefan Kaufmann Volker Mosblech Ja Dr. Dr. Gerd Müller CDU/CSU Hermann Gröhe Jürgen Klimke Carsten Müller Klaus-Dieter Gröhler (Braunschweig) (B) Michael Grosse-Brömer Dr. (D) Astrid Grotelüschen Hartmut Koschyk Markus Grübel Helmut Nowak Dorothee Bär Manfred Grund Dr. Georg Nüßlein Günter Baumann Monika Grütters Dr. Günter Krings Maik Beermann Dr. Rüdiger Kruse Florian Oßner Dr. André Berghegger Fritz Güntzler Dr. Dr. Roy Kühne Günter Lach Jürgen Hardt Uwe Lagosky Dr. Martin Pätzold Gerda Hasselfeldt Dr. Norbert Lammert Dr. Dr. Stefan Heck Dr. Maria Böhmer Ulrich Lange Jörg Hellmuth Barbara Lanzinger Michael Brand Dr. Alois Rainer Dr. Dr. Eckhardt Rehberg Philipp Graf Lerchenfeld (Potsdam) Dr. Dr. Dr. Christian Hirte Dr. Ralph Brinkhaus (Dortmund) Matthias Lietz Johannes Röring Gitta Connemann Andrea Lindholz Dr. Norbert Röttgen Alexandra Dinges-Dierig Franz-Josef Holzenkamp Dr. Claudia Lücking-Michel Erwin Rüddel Dr. Dr. Jan-Marco Luczak Anita Schäfer (Saalstadt) Michael Donth Margaret Horb Dr. Wolfgang Schäuble Marie-Luise Dött Bettina Hornhues Hansjörg Durz Charles M. Huber Karl Schiewerling Iris Eberl Anette Hübinger Thomas Mahlberg Norbert Schindler Jutta Eckenbach Dr. Thomas de Maizière Heiko Schmelzle Dr. Christian Schmidt (Fürth) Sylvia Jörrißen Gabriele Schmidt (Ühlingen) Dr. (Altötting) Ingrid Fischbach Bartholomäus Kalb Reiner Meier Nadine Schön (St. Wendel) 11488 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Dr. Ole Schröder Dr. (C) Dr. Kristina Schröder Marina Kermer (Spandau) (Wiesbaden) Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Sören Bartol Dr. Bärbel Kofler (Weil am Bärbel Bas Birgit Kömpel Rhein) Rita Schwarzelühr-Sutter Christina Schwarzer Dr. Hans-Ulrich Krüger Lothar Binding (Heidelberg) Helga Kühn-Mengel Norbert Spinrath Dr. Christine Lambrecht Martina Stamm-Fibich Bernd Siebert Christian Lange (Backnang) Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Dr. Frank-Walter Steinmeier Steffen-Claudio Lemme Christoph Strässer Dr. Petra Crone Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Karin Thissen Dr. Daniela De Ridder Kirsten Lühmann Franz Thönnes Rita Stockhofe Dr. Dr. Birgit Malecha-Nissen Carsten Träger Rüdiger Veit Max Straubinger Martin Dörmann Matthäus Strebl Elvira Drobinski-Weiß Hilde Mattheis Dirk Vöpel Siegmund Ehrmann Thomas Stritzl Michaela Engelmeier Thomas Strobl (Heilbronn) Petra Ernstberger Bettina Müller Andrea Wicklein Lena Strothmann Detlef Müller (Chemnitz) Michael Stübgen Karin Evers-Meyer Michelle Müntefering Waltraud Wolff Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Dr. Rolf Mützenich (Wolmirstedt) Dr. Dr. Gülistan Yüksel Elke Ferner Astrid Timmermann-Fechter Dr. Ute Finckh-Krämer Dr. Volker Ullrich Christian Flisek Thomas Oppermann Dr. Jens Zimmermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Manfred Zöllmer Dr. Aydan Özoğuz Michael Vietz BÜNDNIS 90/ (Kleinsaara) Sigmar Gabriel DIE GRÜNEN (B) Sven Volmering (D) Christel Voßbeck-Kayser Iris Gleicke Joachim Poß Dr. Angelika Glöckner (Bremen) (Minden) (Köln) Dr. Gabriele Groneberg Dr. Michael Groß Dr. Simone Raatz Ekin Deligöz (Hamburg) Uli Grötsch Katja Dörner Dr. Anja Weisgerber Bettina Hagedorn Mechthild Rawert Katharina Dröge Peter Weiß (Emmendingen) Rita Hagl-Kehl Stefan Rebmann Sabine Weiss (Wesel I) Gerold Reichenbach Dr. Thomas Gambke Karl-Georg Wellmann Ulrich Hampel Dr. Carola Reimann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Sönke Rix Katrin Göring-Eckardt Annette Widmann-Mauz (Peine) Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Britta Haßelmann Elisabeth Winkelmeier- René Röspel Dr. Anton Hofreiter Becker Dr. Bärbel Höhn Dr. Barbara Hendricks Michael Roth (Heringen) Barbara Woltmann Heidtrud Henn Susann Rüthrich Bernd Rützel Sven-Christian Kindler Heinrich Zertik Gabriele Hiller-Ohm Maria Klein-Schmeink Dr. Petra Hinz (Essen) Tom Koenigs Gudrun Zollner Annette Sawade Dr. Eva Högl Axel Schäfer (Bochum) Stephan Kühn (Dresden) SPD Christina Jantz Dr. Nina Scheer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Ingrid Arndt-Brauer Dr. Dorothee Schlegel Markus Kurth (Aachen) Nicole Maisch Johannes Kahrs Matthias Schmidt (Berlin) Peter Meiwald Christina Kampmann (Wetzlar) Özcan Mutlu Heinz-Joachim Barchmann Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11489

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) SPD Azize Tank (C) Dr. Marco Bülow Cem Özdemir Helmut Heiderich Dr. Thomas Jurk Brigitte Pothmer (Chemnitz) Jeannine Pflugradt Tabea Rößner Mark Helfrich Peer Steinbrück Claudia Roth (Augsburg) Uda Heller Manuel Sarrazin Dr. Heribert Hirte Birgit Wöllert DIE LINKE Elisabeth Scharfenberg Robert Hochbaum Hubertus Zdebel Alexander Hoffmann Jan van Aken Dr. Hubert Hüppe Dr. Dietmar Bartsch Dr. BÜNDNIS 90/ Kordula Schulz-Asche Dr. Egon Jüttner DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Strengmann- Matthias W. Birkwald Hans-Christian Ströbele Kuhn Dr. Karl A. Lamers Christine Buchholz Jürgen Trittin Andreas G. Lämmel Eva Bulling-Schröter Enthalten Dr. Dr. Doris Wagner Sevim Dağdelen CDU/CSU Beate Walter-Rosenheimer Dr. Klaus Ernst Wilfried Lorenz Dr. Valerie Wilms Hans-Georg von der Marwitz Dr. Andreas Nick Dr. Gregor Gysi Ulrich Petzold Nein Dr. André Hahn Dr. h. c. Heike Hänsel DIE LINKE CDU/CSU Dr. Dr. Inge Höger Stefan Liebich Thomas Bareiß Andrej Hunko Thomas Nord (Börde) Harald Petzold (Havelland) Veronika Bellmann Jana Schimke Richard Pitterle Ronja Schmitt Katja Kipping Dr. Bernhard Schulte-Drüggelte Frank Tempel Klaus Brähmig Dr. Axel Troost Cajus Caesar Thomas Dörflinger BÜNDNIS 90/ Hermann Färber DIE GRÜNEN Dr. Dr. Dr. Gesine Lötzsch (B) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Christian Freiherr von Stetten Uwe Kekeritz (D) Land) Birgit Menz Sylvia Kotting-Uhl Klaus-Peter Flosbach Cornelia Möhring Monika Lazar Steffi Lemke Alexander Funk Norbert Müller (Potsdam) Beate Müller-Gemmeke Dr. Lisa Paus Josef Göppel Peter Wichtel Corinna Rüffer Ursula Groden-Kranich Klaus-Peter Willsch Michael Schlecht Dr. Harald Terpe Dagmar G. Wöhrl Dr. Petra Sitte Dr.

Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Ta- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch gesordnung. ein paar hoffentlich ruhige, besinnliche und erholsame Tage. Die nächste Sitzung des Bundestages berufe ich hier- mit auf Dienstag, den 8. September 2015, ein, soweit (Schluss: 12.10 Uhr) nicht zwischenzeitlich andere Mitteilungen erfolgen.

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11491

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 19.08.2015

Dr. Castellucci, Lars SPD 19.08.2015 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/ 19.08.2015 DIE GRÜNEN Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 19.08.2015 Lips, Patricia CDU/CSU 19.08.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ 19.08.2015 DIE GRÜNEN Lühmann, Kirsten SPD 19.08.2015

Dr. h. c. Erler, Gernot SPD 19.08.2015 Dr. Miersch, Matthias SPD 19.08.2015

Freitag, Dagmar SPD 19.08.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ 19.08.2015 DIE GRÜNEN Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 19.08.2015 Müller (Erlangen), CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Friedrich (Hof), CDU/CSU 19.08.2015 Stefan Hans-Peter Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 19.08.2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.08.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 19.08.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.08.2015 (B) Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 19.08.2015 (D) Groß, Michael SPD 19.08.2015 Dr. Schabedoth, Hans- SPD 19.08.2015 Gunkel, Wolfgang SPD 19.08.2015 Joachim

Hartmann (Wackern- SPD 19.08.2015 Schieder, Marianne SPD 19.08.2015 heim), Michael Schipanski, Tankred CDU/CSU 19.08.2015 Hauptmann, Mark CDU/CSU 19.08.2015 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.08.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 19.08.2015 Stadler, Svenja SPD 19.08.2015 Ilgen, Matthias SPD 19.08.2015 Stauche, Carola CDU/CSU 19.08.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 19.08.2015 Stegemann, Albert CDU/CSU 19.08.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19.08.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 19.08.2015 Katzmarek, Gabriele SPD 19.08.2015 Tack, Kerstin SPD 19.08.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 19.08.2015 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015 Kolbe, Daniela SPD 19.08.2015 Vogler, Kathrin DIE LINKE 19.08.2015 Körber, Carsten CDU/CSU 19.08.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19.08.2015 Korte, Jan DIE LINKE 19.08.2015 Zimmermann (Zwickau), DIE LINKE 19.08.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 19.08.2015 Sabine

Lenkert, Ralph DIE LINKE 19.08.2015 Zypries, Brigitte SPD 19.08.2015 11492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Anlage 2 ohne es jedoch tatsächlich aufzugeben. Der Preis, den (C) Griechenland dafür zahlen muss, ist hoch und fand im Erklärung nach § 31 GO Memorandum vom Juli 2015 seinen Ausdruck. Es ist der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas ebenso Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der Europäi- Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard schen Union wie das hier zur Abstimmung stehende Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und „Hilfspaket“. Aber es ermöglicht eine neue Runde des Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentli- Widerstandes gegen die Austeritätspolitik in der EU und chen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- der Euro-Zone, eines Kampfes für eine solidarische und ministeriums der Finanzen zur Einholung eines demokratische Zukunft der Europäischen Union. zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- Wir können das Agieren der Bundesregierung in den destages, der Hellenischen Republik Stabilitäts- Verhandlungen zum neuen Hilfspaket nicht befürworten, hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu ge- denn diese Regierung vertritt heute mit die reaktionärs- währen, sowie zur Vereinbarung über ein ten politischen Positionen in der EU. Teile von ihr stre- Memorandum of Understanding zwischen der ben gar nach einem neoliberalen deutsch-dominierten Hellenischen Republik und dem Europäischen „Kern-Europa“. Davon ausgehend gibt es gute Gründe Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungs- zu diesem „Hilfspaket“ Nein zu sagen. punkt 1 b) Hiermit erklären wir, dass wir zur vorliegenden Be- Gleichwohl ist die griechische Regierung gegenwär- schlussfassung mit Enthaltung stimmen. tig der mit Abstand einzige machtpolitische Aktivposten der Europäischen Linken. Wir begrüßen, dass es ihr ge- Wir begründen das wie folgt: Die seit gerade einem lungen ist, die Differenzen zwischen den Gläubigern zu halben Jahr im Amt befindliche griechische Regierung nutzen, um deutsche Pläne für einen Grexit zu durch- ist mit den Versprechen angetreten, dass das Land ent- kreuzen und sich Chancen – wenn auch begrenzt – für sprechend dem Wunsch der deutlichen Mehrheit der politische Korrekturen der Gläubigerlinien zu erhalten griechischen Bevölkerung in der Euro-Zone bleibt und und zu schaffen: Dies sind die Frage des vom IWF ge- sich zugleich nicht mehr dem Diktat der „Troika“ beugt, forderten Schuldenerlasses, die zwischen IWF, der deut- dass die Austeritätspolitik und die daraus resultierende schen und der griechischen Regierung strittige Ausge- Verelendung der Bevölkerung sowie der Niedergang der staltung des sogenannten Treuhandfonds, die von der Wirtschaft beendet werden. Es war klar, dass sie diese EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel Versprechen gegenüber der eigenen Bevölkerung nur re- für Investitionen in die Wirtschaft zu erhalten und die im alisieren konnte und kann, wenn sie dafür aus anderen sogenannten „Paket“ enthaltene Möglichkeit – neben (B) europäischen Regierungen oder/und durch eine breite sehr rigiden sozialen Einschnitten –, auch in einzelnen (D) europäische Solidaritätsbewegung Unterstützung be- Bereichen soziale Reformen im Interesse der ärmsten kommt. Bisher ist diese nicht ausreichend zustande ge- Griechinnen und Griechen durchzuführen. kommen. Trotzdem hat die griechische Regierung auf der europäischen Ebene die Sinnhaftigkeit der neolibera- Wir haben Verständnis, wenn andere diese Chancen len und vor allem deutschen Austeritätspolitik infrage nicht sehen. Zugleich bestärkt uns die Auseinanderset- gestellt sowie in Griechenland selbst als auch in Europa zung in der Unionsfraktion darin, dass auch Abgeord- die soziale Frage wieder in die Debatte gebracht. Das nete der Regierungsfraktionen diese Möglichkeiten se- Lager der Befürwortung dieser Politik hat Risse bekom- hen und sie gerade damit ihr Nein begründen. Wir gehen men. Die Unterstützung der Haltung der griechischen davon aus, dass gerade diese Debatte in der Unionsfrak- Regierung durch die Mehrheit der griechischen Bevölke- tion ein Nachweis dafür ist, dass es Merkel und Schäuble rung durch ein Referendum hat diese Position gestärkt. nicht gelungen ist, das ihnen vom Bundestag erteilte Mandat bei den Verhandlungen eins zu eins umzusetzen, Zugleich stieß die Regierung Griechenlands an die dass sich der Kampf der griechischen Seite für die eige- Grenze ihrer Handlungsspielräume. Die Banken mussten nen Ziele weiter lohnt und dass es der Syriza-Regierung schließen, die Kassen des Landes waren leer, eine Zah- durchaus bei den kommenden Auseinandersetzungen lungsfähigkeit nicht mehr vorhanden, die Wirtschaft und helfen kann, dies auch mit unserem Abstimmungsver- die Gesellschaft standen vor dem allgemeinen Kollaps. halten deutlich zu machen. Alexis Tsipras musste einen Weg finden, um die Hand- lungsfähigkeit der griechischen Regierung wenigstens Deshalb haben wir uns der Stimme enthalten. teilweise wiederzuerlangen, ohne dabei die Unterstüt- zung der Mehrheit der Bevölkerung zu verlieren. Er hat sich dabei vor dem Hintergrund, dass ein Teil der Gläu- Anlage 3 biger, insbesondere der deutschen, die griechische Krise Erklärung nach § 31 GO nutzen wollten, um mit der Drohung eines Grexits ein deutsch-dominiertes „Kern-Europa“ durchzusetzen, für der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting- den Weg des „Kompromisses“ entschieden, um wenigs- Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller- tens Griechenlands Verbleib in der EU und im Euro zu Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald retten. Damit mussten die Grexit-Befürworter dem Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Druck insbesondere der sozialdemokratischen italieni- namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des schen sowie französischen Regierung nachgeben und die Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- rücksichtslose Durchsetzung ihres Zieles aussetzen, lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11493

(A) schen Bundestages, der Hellenischen Republik bel, und sie widersprechen auch den europäischen (C) Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- Verträgen, der europäischen Grundrechtecharta und sind tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über mit dem europäischen Sozialmodell nicht zu vereinba- ein Memorandum of Understanding zwischen ren. Nur mit wirkungsvollen Mindeststandards, Arbeit- der Hellenischen Republik und dem Europäi- nehmerrechten und gelebter Solidarität kann Europa ein schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- soziales und demokratisches Konstrukt bleiben. ordnungspunkt 1 b) Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm Mit dem dritten Hilfsprogramm kann das Ausscheiden eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- Griechenlands aus der Euro-Zone vorerst verhindert wer- quote wird nach den Vorhersagen der Troika schon bald den. Es wurde aber erneut versäumt, die notwendigen Be- die Marke von 200 Prozent übersteigen. Nach heutigem dingungen für eine wirtschaftliche Erholung und nachhal- Stand wird auch der Bruttofinanzierungsbedarf des Staa- tige Entwicklung zu schaffen. Es fehlt sowohl an einer tes perspektivisch die kritischen Grenzen überschreiten. konsequenten Investitionsförderung als auch einer garan- Griechenland wird nur dauerhaft aus der Krise kommen tierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Zu- und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkeh- dem wurde das jetzige Programm nicht auf Augenhöhe ren, wenn die Tragfähigkeit der Staatsschulden gesichert verhandelt. Die Maßnahmen wurden der griechischen Re- wird. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird hinge- gierung, die mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit der gen scheitern, wenn die Schuldenlast des Staates weiter Banken erpresst wurde, von außen aufgezwungen. So die ökonomische Gesundung hemmt. Dass der IWF sich wird die griechische Demokratie auf absehbare Zeit ent- machtet. Im Ergebnis steht das Land kurz vor Neuwahlen nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt, und weiteren Monaten der politischen Instabilität. Ange- zeigt, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind. sichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz haben wir uns Eine effektive Umschuldung bleibt in der Schwebe. Da- heute im Bundestag enthalten. Wir bedauern sehr, dass die mit kann aber auch ein Scheitern des Hilfsprogramms Bundesregierung nicht willens war, einen Kompromiss zu weiterhin nicht ausgeschlossen werden. erzielen, der für Griechenland eine belastbare Perspektive Griechenland wird zur Schuldenkolonie: Das neue schafft und Europa stärkt und die europäische Idee weiter Hilfsprogramm ist an massive Eingriffe in die staatliche entwickelt. Souveränität Griechenlands gebunden. Anders als im Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- bisherigen Prozess der europäischen Einigung handelt es terität: Es gibt durchaus positive Aspekte im beschlosse- sich dabei um einseitige Maßnahmen. So werden die nen Memorandum of Understanding. Dazu gehört der Fortschritte des neuen Programms nicht nur alle drei (B) intensivierte Kampf gegen Steuervermeidung, die höhe- Monate kontrolliert, Ministerpräsident Tsipras musste (D) ren Steuern für Reeder und die Kürzungen im griechi- sich außerdem dazu verpflichten, alle vorherigen Maß- schen Verteidigungshaushalt. Zugleich sind darin aber nahmen seiner Regierung zurückzunehmen, die nicht viel zu viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung mit der Troika abgestimmt waren. Darüber hinaus wird des schädlichen Austeritätskurses sorgen werden: bei- der einzurichtende Privatisierungsfonds unter externe spielsweise die Kürzung der Zusatzrenten, die Erhöhung Aufsicht gestellt, womit Griechenland faktisch die Kon- des Renteneintrittsalters und der Mehrwertsteuern auf trolle über sein öffentliches Eigentum verliert. Dieses den Inseln auf 23 Prozent. Unter diesen Umständen Vorgehen schwächt das Vertrauen in Europa und seinen scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüber- Sinn für Demokratie und Diversität. Das Ergebnis sind schuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch. In je- Vertrauensverlust in demokratische Strukturen, politi- dem Fall wird durch diese nach wie vor unrealistischen sche Instabilität und eine brachiale Staatsreform, die Sparziele ein großer Druck auf dem neu geschaffenen Tsipras unter dem ständigen Risiko von Neuwahlen Privatisierungsfonds lasten. Die Erfahrungen mit der durchsetzen muss. deutschen Treuhand zeigen, dass Zeit hierbei die ent- Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Griechen- scheidende Komponente ist. Kurzfristiger Handlungs- land ist weiter auf die Solidarität Europas angewiesen, druck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforde- und es wird unsere Aufgabe in Deutschland sein, weiter rungen wird einen Preisverfall des öffentlichen für diese Solidarität und für ein solidarisches Europa zu Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sa- werben und die öffentliche Auseinandersetzung darüber nierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen mit den nationalkonservativen Kräften zu suchen. Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Verkehr. Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunft. Anlage 4 Mit weiteren Sparmaßnahmen wird die Armut in Erklärung nach § 31 GO Griechenland steigen, und es ist auch nicht absehbar, wie eine Mindestsicherung kostenneutral eingeführt werden der Abgeordneten Christine Buchholz und kann. Zudem enthält das Memorandum of Understan- Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur na- ding die Forderung, dass in einem Konsultationsprozess mentlichen Abstimmung zu dem Antrag des die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt über- Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- prüft werden sollen. Schon die Eingriffe in die Tarifauto- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- nomie in den vergangenen Jahren waren nicht akzepta- schen Bundestages, der Hellenischen Republik 11494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- leihen zahlen, in die sich Kapitalanleger flüchten, Das (C) tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH, ein Memorandum of Understanding zwischen schätzt, dass seit der Krise der deutsche Staatshaushalt der Hellenischen Republik und dem Europäi- dadurch um gut 100 Milliarden Euro entlastet worden schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- sei. Dies seien mehr als die rund 90 Milliarden Euro, die ordnungspunkt 1 b) Griechenland Deutschland direkt und indirekt schulde. Die vorliegende Vereinbarung lässt der griechischen Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre- Regierung keinen finanziellen Spielraum und ist ein gierung und gegen die Vereinbarung mit Griechenland, Angriff auf die Demokratie. Wie schon bei den ersten die an die Kredite gebunden ist. Schäuble, Merkel und beiden „Rettungspaketen“ wird die Demokratie durch Gabriel setzen mit dem dritten Memorandum für Grie- die Kontrolle der Troika ersetzt. Die Vereinbarungen chenland die Politik des brutalen Kürzungsdiktats der werden wie bisher vierteljährlich von der Troika über- ersten beiden Memoranden fort. Gemeinsam mit der EU prüft und erst dann werden Gelder ausgezahlt. Die haben sie die griechische Regierung erpresst, die Verein- Regierung wurde verpflichtet, bestimmte jährliche barung zu unterschreiben. Dabei hat die EU ihren un- Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Dafür sind zusätzli- demokratischen und neoliberalen Charakter gezeigt. Die che Kürzungen vereinbart und laut Troika für das Jahr Vereinbarung zwingt die griechische Regierung, die 2018 wahrscheinlich. Nur wenn Griechenland bereits Ei- Renten zu kürzen, zahlreiche soziale und demokratische gentum im Wert von 25 Milliarden Euro privatisiert hat, Errungenschaften der Arbeiterbewegung abzuschaffen darf es von den weiteren Erlösen die Hälfte behalten. und öffentliche Unternehmen und Eigentum zu privati- Die andere Hälfte geht in den Schuldendienst. sieren. Die sogenannten Hilfsgelder gehen vor allem in den Schuldendienst, an die Institutionen und an die grie- Die Syriza-Regierung muss sechs der von ihr einge- chischen Banken. führten Gesetze zurücknehmen und kann Gesetze zukünftig nur mit Einverständnis der Troika beschließen. Schäuble, Merkel und Gabriel wollen der griechi- Errungenschaften der Arbeiterbewegung sollen abge- schen Bevölkerung nicht helfen. Deutsche und europäi- schafft werden. Die Gesetzgebung zu Massenentlassun- sche Unternehmen sollen massiv von den Privatisierun- gen, Streiks und Tarifverhandlungen darf die ILO, die gen und der Entrechtung griechischer Beschäftigter Internationale Arbeitsorganisation, zwar prüfen, aber die profitieren. So berichtet die FAZ, dass der Verkauf von Gesetze werden in Übereinstimmung mit der Troika ge- 14 griechischen Flughäfen zum „Schnäppchen“-Preis macht, und: Eine Rückkehr zum früheren kollektiven von 1,2 Milliarden Euro an die Fraport AG, die sich Tarifrecht, die die Syriza-Regierung versprochen und in den Verhandlungen gefordert hatte, ist ausdrücklich (B) mehrheitlich im Besitz des Landes Hessen und der Stadt (D) Frankfurt am Main befindet, eine der Bedingungen an ausgeschlossen. Selbst das Urteil des griechischen Griechenland war. Den Verkauf hatte die Syriza-Regie- Verfassungsgerichts wird umgangen. Es erklärte die rung zunächst gestoppt. Privatisiert werden sollen nun Rentenkürzungen des Memorandums von 2012 für ver- auch Post, Stromnetz und Stromversorgung, die Eisen- fassungswidrig. Nun soll es „gleichwertige Maßnah- bahn, der Athener Flughafen und weitere regionale Flug- men“ geben, die ihre Auswirkungen „vollständig aus- häfen, die Wasserversorgung der Regionen Attika und gleichen“. Thessaloniki, die staatlichen Erdöl- und Erdgasunterneh- Von den Maßnahmen, die die neue griechische Regie- men, die Häfen von Piräus und Thessaloniki sowie zehn rung im ersten Halbjahr ihrer Amtszeit auf den Weg regionale Häfen, die Autobahn und zahlreiche Immobi- gebracht hat, bleiben unter anderem das Armutsbekämp- lien. Darüber hinaus soll ein Privatisierungsfonds für fungsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro, die weitere Betriebe und Immobilien unter Aufsicht der EU Wiedereinrichtung der staatlichen Fernsehanstalt ERT, eingerichtet werden. die Wiedereinstellung einiger Angestellter im öffentli- Selbst unter der Voraussetzung von massiver Privati- chen Dienst, darunter der Reinigungskräfte im Finanz- sierung und Wirtschaftswachstum rechnet die Troika ministerium, sowie ein kleinerer Teil der Steueranhebun- damit, dass sich die Schuldenlast Griechenlands stark er- gen für höhere Einkommen. höht. Statt des dritten Kürzungsdiktats fordern wir einen Das zeigt, dass der jahrelange Widerstand der entlas- Schuldenschnitt für Griechenland. Unser Nein ist ein in- senen Putzfrauen des Finanzministeriums und der Be- ternationalistisches Nein aus Solidarität zum Widerstand schäftigten der staatlichen Fernsehanstalt ERT sowie die gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland und ganz Eu- breite Solidarität mit ihren Kämpfen der einzige Weg ropa. sind, der Troika etwas entgegenzusetzen. Der Kampf gegen die Privatisierungen und das Kürzungsdiktat in Diejenigen aus den Regierungsparteien, die heute mit Griechenland wird weitergehen. In dem Referendum Nein stimmen, befürworten im Gegensatz zur Linken vom 5. Juli 2015 haben 61 Prozent der Wählerinnen und das Kürzungsdiktat und die Erpressung der Bundesregie- Wähler zum Kürzungsdiktat der Troika mit Oxi, Nein, rung gegenüber der griechischen Bevölkerung. Sie schü- abgestimmt. Besonders stark war die Ablehnung unter ren chauvinistische Ressentiments unter anderem mit der jungen Menschen, Arbeitslosen, Arbeiterinnen und Ar- Falschdarstellung, „die Deutschen“ würden für „die beitern und Angestellten. Griechen“ zahlen. Der deutsche Staat profitiert finanziell von der Krise Griechenlands, denn er muss inzwischen Die Gewerkschaft der Beschäftigten der staatlichen lediglich extrem niedrige Zinsen für deutsche Staatsan- Häfen hat bereits im Juni angekündigt, gegen die Privati- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11495

(A) sierung zu kämpfen. Bei der Abstimmung im griechi- fene Regeln und Vereinbarungen nicht eingehalten bzw. (C) schen Parlament am 15. Juli organisierte die Gewerk- „kreativ uminterpretiert“. schaft des öffentlichen Dienstes einen 24-stündigen Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zick- Generalstreik gegen das dritte Memorandum. In den zackkurs der griechischen Regierung, ihre verbalen Ent- Sommerferien streikten die griechischen Eisenbahnerin- gleisungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die nen und Eisenbahner und Fluglotsen gegen die Privati- Reformforderungen. Die Umsetzung der Auflagen mag sierungspläne. Die kommunalen Angestellten von jetzt zumindest in einigen Bereichen vom griechischen Thessaloniki verhinderten zum wiederholten Mal die Parlament in Gesetzesform gebracht sein, aber umge- Privatisierung der Stadtreinigung. Beschäftigte von setzt sind sie deshalb noch lange nicht. Papier ist gedul- Museen, unter anderem die Angestellten der Akropolis, dig. Neuwahlen stehen an. Das griechische Verfassungs- legten die Arbeit aus Protest gegen ausbleibende Lohn- gericht hat schon einmal die Umsetzung von Reformen zahlungen nieder. gekippt, und hochrangige Vertreter der griechischen Re- Unsere Solidarität gilt dem Widerstand gegen das gierung sagen offen, dass sie jetzt erst einmal zustim- Kürzungsdiktat in Griechenland, deshalb stimmen wir men, um das Geld zu bekommen und es dann nach eige- heute mit Nein zum Antrag des Bundesfinanzministe- nem Dafürhalten umzuverteilen. riums. Unabhängig von der Vertrauenswürdigkeit und der Reformwilligkeit der griechischen Regierung liegt eine weitere Kritik in dem viel zu geringen Anteil des Finanz- Anlage 5 paketes, der für Investitionen als Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgesehen ist. Mit gegen Erklärungen nach § 31 GO Krisen gerichteten Konjunkturprogrammen haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht. zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Ein- Griechenland ist so hoch verschuldet, dass es weder holung eines zustimmenden Beschlusses des in 32,5, noch in 60 oder 100 Jahren diese hohen Schul- Deutschen Bundestages, der Hellenischen Re- den zurückzahlen kann, da nicht zu erwarten ist, dass das publik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhil- Land innerhalb kürzester Zeit wirtschaftlich auf die fefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung Beine kommt oder gar exorbitantes Wachstum verzeich- über ein Memorandum of Understanding zwi- nen kann. Wir müssen also unsere heutige Entscheidung schen der Hellenischen Republik und dem Eu- nicht nur vor unseren Bürgern als heutigen europäischen ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Ta- Steuerzahlern verantworten, sondern auch noch vor un- (B) gesordnungspunkt 1 b) seren Kindern und Enkelkindern, möglicherweise noch (D) vor unseren Urenkeln. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An- Das Land wird einen deutlichen Schuldenschnitt trag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- brauchen. Das sagt auch der IWF. Für einen realen lung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Schuldenschnitt mit Zins- und Tilgungsfreiheit oder Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe Streckung der Laufzeiten ist der Spielraum, laut Bundes- in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie finanzminister Schäuble, sehr begrenzt. zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan- Allerdings passt ein solcher nominaler Schulden- ding zwischen der Hellenischen Republik und dem Eu- schnitt nicht in die europäischen Verträge, jedenfalls ropäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, nicht zustim- noch nicht. Ich gehe davon aus, dass im Oktober, wenn men. der IWF erneut die Schuldenlasttragfähigkeit prüfen und Gegenstand des Antrages ist es, der Hellenischen Re- über seine Beteiligung am Griechenlandhilfsprogramm publik nach dem ESM-Vertrag Stabilitätshilfe in Form entscheiden wird, es dann entweder eine wiederum sehr eines ESM-Darlehens zu gewähren. Die Maßgaben des „kreative“ Begründung geben wird, wie wir dennoch ei- ESM-Vertrages werden nicht erfüllt. Zum einen ist im nen Schuldenschnitt organisieren, oder wir führen das Antrag die Summe des Finanzbedarfs – „wird nach ESM-Programm erstmals ohne die Beteiligung des IWF Schätzung der vier Institutionen 86 Milliarden Euro be- weiter. Das ist ebenfalls eine Verletzung der Regeln, die tragen“ – nicht genau bestimmt. Insbesondere hinsicht- wir uns erst vor kurzem bei der Inkraftsetzung des ESM lich der veranschlagten 50 Milliarden Euro Privatisie- selbst gegeben haben. rungserlöse gilt offensichtlich weiterhin das Prinzip Problematisch bleibt in diesem Zusammenhang wei- Hoffnung. terhin die Verflechtung mit der EZB, die den Umfang der Notkredite an Griechenland aufstockt, die ihrerseits Des Weiteren ist selbst aus der Begründung zum An- aus den Rettungsschirmen gespeist werden. Das ist der trag erkennbar, dass die wesentlichen Bedingungen, Beweis, dass die EZB nunmehr verbotene Staatsfinan- nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag gewährt wer- zierung leistet. Damit hat auch dort ein Tabubruch statt- den können, wie Schuldentragfähigkeit und Systemrele- gefunden. vanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Bedingung war bisher immer, dass sich der IWF direkt an den Hilfspake- Europa entfernt sich damit immer mehr von einer ten beteiligt. Dies ist für das dritte Hilfspaket nicht ge- Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft, währleistet. Hier werden also früher verbindlich getrof- ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin 11496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im- Es ist auch in unserem nationalen Interesse, dass wir (C) mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind uns nicht mit wichtigen europäischen Partnern bei der nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und Lösung eines schweren europäischen Problems überwer- Schuldenunion, wir sind mitten drin in der Spirale. Es ist fen. Deutschland kann seine Position einbringen, zäh nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze und hart für sie kämpfen, wird aber am Ende sich einem Konstrukt der Währungsunion zersprengen. europäischen Kompromiss nicht verwehren können, wenn wir als stärkstes Land in Europa nicht die Axt an Klaus Brähmig (CDU/CSU): Hiermit zeige ich an, die europäische Einheit anlegen wollen. Und in einer im- dass ich in der Kontinuität meiner letzten Abstimmung mer stärker globalisierten Welt werden wir dieses einige gegen die Aufnahme von Verhandlungen eines dritten Europa in den kommenden Jahrzehnten noch sehr häufig Hilfspakets für Griechenland auch dem Verhandlungser- dringend brauchen. gebnis nicht zustimmen kann. Grund hierfür ist unter an- Das qualitativ neue Griechenland-Paket wird wiede- derem die bis zum heutigen Tage fehlende Einbeziehung rum mit auch deutschen Steuergeldern abgesichert. Dies des Internationalen Währungsfonds, IWF, in die Fortset- offen anzusprechen, gehört zur Ehrlichkeit dazu, es führt zung der Griechenland-Hilfe. Diese war immer eine kein Weg daran vorbei. Zur Ehrlichkeit gehört auch, da- Grundvoraussetzung für deutsche Hilfsleistungen. Die rauf hinzuweisen, dass es jenseits des Griechenland-Pro- Forderung des IWF nach einem Schuldenerlass für Grie- blems auch zur europäischen Wahrheit gehört, dass die chenland widerspricht dem sogenannten Bail-out-Ver- Kompromisse auf der europäischen Ebene schon in der bot. Die jetzt zu erwartende Zinsstreckung bis in das Vergangenheit meistens auch Geld gekostet haben. Jahr 2075 ist nur eine juristische Spitzfindigkeit, die sämtliche Probleme auf künftige Generationen abwälzt. Zum ersten Mal allerdings ist bei der letzten Einigung Hinzu kommt, dass ich nicht davon ausgehen kann, zu Griechenland ein Maß an strukturellen Anforderun- dass die zur Umsetzung wichtiger Reformmaßnahmen gen an einen Nationalstaat zur Änderung seines Staates notwendige effiziente Verwaltung in Griechenland auch gestellt worden, wie dies vor einem Jahr völlig unvor- nur ansatzweise vorhanden ist. In der Abwägung aller stellbar gewesen wäre. Diese von uns in Europa und un- Argumente werde ich dem Antrag nicht zustimmen. seren griechischen EU-Partnern lange geforderten struk- turellen Änderungen im griechischen Staatswesen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland in ei- Michael Brand (CDU/CSU): Seit dem Beginn der ner stärker von Wettbewerb geprägten Welt seine ver- Griechenland-Hilfe hat sich vieles verändert, manches diente Chance erhält. Das bezieht sich auf Finanzverwal- zum Besseren, anderes hat sich verschlechtert. Vieles in tung, Kampf gegen Korruption und Steuerprivilegien, den Annahmen zum ersten und zweiten Hilfspaket hat (B) Reform eines völlig verrückten Frühverrentungssystems, (D) sich bei Überprüfung als nicht richtig erwiesen. Auch Einführung einer soliden und vor allem finanzierbaren dies muss der Offenheit wegen festgestellt werden. sozialen Grundsicherung, einer effizienten Verwaltung In der Bilanz ist festzuhalten: Nachdem die griechische und vieles andere mehr. Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Tsipras zunächst versucht hat, die Erfolge der Vorgängerregierung Die aktuelle Hilfe in Höhe von insgesamt 86 Milliar- durch unverantwortliche Ausgaben im Staatshaushalt und den Euro, von denen mehr als die Hälfte an europäische Rücknahme der in ihren ersten Schritten sogar erfolgrei- Gläubiger zurückfließt, die Frage der sogenannten Schul- chen Konsolidierung zunichte zu machen, musste Tsipras dentragfähigkeit, die erwartete Beteiligung des IWF eine Kehrtwende um 180 Grad vornehmen. – über den der IWF entsprechend seiner internen Regeln erst im Oktober entscheidet – sind wichtig, und die Um- Zum ersten Mal seit langer Zeit sind einzigartige setzung wird erstmals penibel und zeitnah überprüft. Strukturreformen von Griechenland akzeptiert worden, die dem Nationalstaat von der internationalen Gemein- Es gilt, dass es Geld nur gibt gegen Gegenleistung. schaft zur Bedingung für weitere Hilfen gemacht wur- Die Gegenleistung sind strukturellere Reformen, und es den. Viele dieser Maßnahmen sind bereits vom griechi- geht um nichts weniger als um die grundlegende Moder- schen Parlament verabschiedet worden und werden nun nisierung eines Staates, der bislang europäischen Stan- in Kraft gesetzt. Diese Strukturreformen sind zwingend dards noch nicht genügt und daher erhebliche Probleme erforderlich, um Griechenland über eine lange Frist wie- in der Wirtschaft, im Staatswesen und im Ergebnis für der zurück in den Kreis nicht völlig verschuldeter Staa- die gesamte Bevölkerung hat. ten zu führen. Ohne die harte Haltung insbesondere des deutschen Finanzministers Schäuble und auch den Niemand in Deutschland oder darüber hinaus, der Druck aus dem Deutschen Bundestag wäre dies auf eu- politisch bei Verstand ist, will Griechenland aus der Eu- ropäischer Ebene nicht erreicht worden. ropäischen Union hinauswerfen. Dazu ist die strategi- sche Lage der Europäischen Union in dieser Region, Allerdings gilt auch hier: Deutschland steht hier nicht auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei und im gegen Griechenland, und Deutschland wird sich in Eu- Wettbewerb um Einfluss, zum Beispiel durch Russland, ropa auch nicht isolieren. Es ist das nationale Interesse zu ernst. unseres Landes, dass Europa stark ist, weil dies zum Wohle der Menschen in unserem Lande in politischer, Ob Griechenland entscheidet, den Weg der steinigen wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht stark bei- Reformen innerhalb der Euro-Zone zu gehen oder zu ei- trägt. nem bestimmten Zeitpunkt lieber außerhalb der Euro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11497

(A) Zone, aber innerhalb der Europäischen Union gehen was die griechische Seite bislang bereit war einzugehen. (C) will, kann im August 2015 niemand beantworten. Ein Großteil davon wurde bereits vom Parlament in Ge- setzen umgesetzt, bevor das Programm neu gestartet Was aber im August 2015 beantwortet werden kann, wurde. Dies ist nicht zuletzt der engagierten und konse- ist die Frage auf eine Risikoabwägung: Ist es riskanter, quenten Verhandlungsführung von Bundesfinanzminis- den erreichten Kompromiss auf der europäischen Ebene ter Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela platzen zu lassen, als wichtigstes Land der Europäischen Merkel zu verdanken. Union, oder den erreichten Kompromiss mit einer um- strittenen Regierung – die miserabel begonnen hat, viel Dennoch sind aus meiner Sicht weitere Schritte der Vertrauen zerstört hatte und dennoch am Ende in den griechischen Seite notwendig, um das in den vergange- letzten Wochen die europäischen Konditionen akzeptiert nen Monaten zerstörte Vertrauen wieder herzustellen. hat und konstruktiv am Ergebnis mitgewirkt hat – mit Deswegen ist es richtig, dass die nun vorgesehenen Mit- der notwendigen Vorsicht und der nun eingebauten Kon- tel in Tranchen freigegeben werden und regelmäßige trolle mit zu tragen? Überprüfungen durch die Troika stattfinden, ob und wie die Zusagen auch eingehalten und vor allem umgesetzt Meine Antwort ist aus der deutschen wie aus der eu- werden. Daran beteiligt sich auch weiterhin der IWF. ropäischen Sicht: Dieser neuen Qualität an europäischer Vereinbarung muss man den Mut haben, zuzustimmen. Alle anderen europäischen Regierungen bzw. Parla- Es wäre nicht zu verantworten, diese historische Chance mente, auch die von Spanien und Portugal, tragen diese auf einen Neuanfang nicht zu nutzen. Vorschläge mit und haben positiv entschieden. Ich sehe sehr wohl das Risiko, dass die Rettung der griechischen Das tue ich auch gegen erwartete, teils massive Kritik Volkswirtschaft immer noch schiefgehen kann. Anderer- von denjenigen, die einfach nur die mathematische Auf- seits erkenne ich Chancen im vorgelegten Paket. rechnung machen, ohne die politischen und später auch wirtschaftlichen Folgekosten für Europa und unser Land Deshalb komme ich trotz der Bedenken für mich zu mit zu bedenken. dem Ergebnis, dass ich heute mit Ja stimme. Europa ist für Deutschland oft kompliziert, komplex, ärgerlich – aber es ist für das Wohl unseres Landes völlig Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Erstmals seit dem unverzichtbar. Die aktuellen Herausforderungen, von Amtsantritt des griechischen Premierministers Alexis Flüchtlingszustrom, Bedrohung durch IS-Terrorismus Tsipras ist eine deutliche Reformbereitschaft in der bis zu anderen Fragen, machen jeden Tag deutlich: Eu- griechischen Regierung zu erkennen. So wurden Steu- ropa muss zusammenhalten, und es kann die immensen erprivilegien zurückgenommen, Reformen im Gesund- (B) Herausforderungen nur gemeinsam bestehen. Dazu gibt heits- und Rentensystem auf den Weg gebracht und (D) es in der Tat keine gute Alternative. Unser Wohlstand, Maßnahmen ergriffen, um den Bankensektor grundle- unsere Sicherheit und letztlich auch die Stabilität und der gend zu modernisieren. Zudem gibt es nun konkrete sub- Frieden unseres Landes, auch für unsere Kinder und für stanzielle Privatisierungsschritte. Damit besteht eine uns, liegen in diesem Europa. Damit zu spielen, ist nicht realistische Chance, an die Reformanstrengungen anzu- meine Art. knüpfen, die im vergangenen Jahr 2014 bereits erste Früchte getragen haben. Diese Chancen gilt es zu wah- Wir werden noch länger mit Problemen zu tun haben, ren. die größer sind als die Krise Griechenlands, in der Eu- ropa viel Steuergeld und politisch viel Lehrgeld bezahlt Ob die Reformbereitschaft ausreichen wird, um Grie- hat und dabei in einer weiteren großen Krise auch neue chenland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu Erkenntnisse und eine neue politische Qualität gewon- bringen, kann jedoch heute nicht verlässlich eingeschätzt nen hat, die uns bei anderen Projekten und Schwierigkei- werden. Viele Maßnahmen stehen erst in den kommen- ten zunutze kommen wird. den Wochen und Monaten zur Umsetzung an. Für die Zustimmung zum dritten Hilfsprogramm sind Michael Donth (CDU/CSU): Griechenland soll mit für mich folgende Maßgaben entscheidend: Unterstützung des ESM die Chance erhalten, als Volks- wirtschaft und Staat aus eigener Kraft zu bestehen. Dies – Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen ist klar war zuvor bereits mit zwei anderen Programmen ver- an den Reformfortschritt in Griechenland geknüpft. sucht worden. Für den Erfolg braucht es, mehr noch als Die Bundesregierung muss im ESM der Auszahlung finanzielle Unterstützung, den Willen und ernsthafte von Tranchen zustimmen. Ich erwarte, dass die Bun- Schritte in Griechenland, um Staat, Wirtschaft und Ge- desregierung ihre Zustimmung verweigert, wenn sellschaft zu reformieren, zukunftsfähig zu machen. Griechenland seine Reformzusagen nicht einhält. Dies kann nicht durch die Partner geschehen, dies – Der IWF hat seine grundsätzliche Bereitschaft zu kann nur durch Griechenland selbst geschehen. An die- weiteren Griechenland-Hilfen erklärt, falls die Schul- ser Einsicht mangelte es seither. dentragfähigkeit gewährleistet wird. Zudem hat er an zwei Stellen Verschärfungen der Reformmaßnahmen In den vergangenen vier Wochen haben die griechi- in Griechenland verlangt. Dies betrifft zum einen die sche Regierung und das griechische Parlament zu mei- Rentenreform und andere Maßnahmen zur Verbesse- nem Erstaunen Vereinbarungen mit den Verhandlungs- rung der Haushaltslage, zum anderen die Wiederher- partnern getroffen, die deutlich über das hinausgehen, stellung des Vertrauens in den Bankensektor. Der 11498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) ESM muss diese Forderungen zum Bestandteil der ten Hilfsprogramm wurden 50 Milliarden Euro aus Pri- (C) Bedingungen für die Auszahlung von Tranchen des vatisierungen angesetzt, eingegangen sind aber nur Hilfsprogramms machen. 2,6 Milliarden Euro! Ich kann auch nicht akzeptieren, dass nach wie vor die Privatisierung des Trinkwassers – Ein Schuldenschnitt innerhalb der Euro-Zone kommt verlangt wird, die wir in Deutschland strikt ablehnen. für mich weiterhin nicht infrage. Wir brauchen eine Richtungsentscheidung über den – Strukturreformen bleiben der Dreh- und Angelpunkt Charakter der Europäischen Union und eine wirksame für wirtschaftlichen Erfolg und finanzielle Stabilisie- Einbindung der Finanzmärkte über die Finanztransak- rung. Nur ein reformwilliges Griechenland darf auf tionsteuer. Letztlich haben die aufgeblähten Schulden- unsere Unterstützung rechnen. stände ihre Ursache im überbordenden Finanzsektor, der Angesichts der erheblichen Mittel, die nach Griechen- inzwischen das 90-fache Volumen der Realwirtschaft er- land fließen, ist ein konsequentes Monitoring des Re- reicht hat. formprozesses unerlässlich. Daher kommt es entschei- dend darauf an, dass auch der Deutsche Bundestag in Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Den vorlie- den kommenden Jahren den Reformprozess intensiv be- genden Vertragsentwürfen für ein drittes Hilfspaket für obachtet und hierzu in geeigneter Weise Informationen Griechenland stimme ich nicht zu. Es ist mir wichtig, zu einholt. Berichte vonseiten der Bundesregierung, der Eu- betonen, dass mit dieser Ablehnung keine Kritik an der ropäischen Kommission und des ESM gehören für mich Haltung der Bundesregierung oder der Kanzlerin einher- ebenso dazu wie unmittelbare Unterrichtungen in Grie- geht. Auch halte ich die Systematik der Stabilisierungs- chenland vor Ort. politik innerhalb der Euro-Zone grundsätzlich für sinn- voll und geeignet. Beispielhaft seien hier die positiven Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde einem zu- Effekte in Portugal, Irland und Spanien genannt. Auch stimmenden Beschluss zu einer Stabilitätshilfe auf Zypern befindet sich, ausweislich der jüngsten Pro- Drucksache 18/5780 nicht zustimmen. grammüberprüfung, auf einem guten Weg. Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu- Vielmehr verweise ich an dieser Stelle auf meine per- chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul- sönlichen Erklärungen vom 27. Februar 2015 und den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro- 17. Juli 2015 und mein darin festgestelltes mangelndes gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher Vertrauen in den Willen der griechischen Regierung, die sein können. Weniger als ein Viertel sollen für Investiti- mit den internationalen Partnern vereinbarten Reformen onshilfen zur Verfügung stehen, der Großteil geht sofort so umzusetzen. (B) wieder an internationale Gläubiger zurück. In Wirklich- (D) keit ist das ein Gläubigerschutzprogramm. Seit Tagen verdichten sich ferner die Hinweise, dass in wenigen Wochen Neuwahlen in Griechenland abge- Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro. halten werden sollen. Die Vergangenheit hat gezeigt, Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame dass Reformanstrengungen während des Wahlkampfes Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi- vollständig zum Erliegen kommen. Mit diesen Ankündi- nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi- gungen vonseiten des regierenden Parteienbündnisses schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir Syriza werden die sehr ambitionierten Zeit- und Reform- unserer Bevölkerung dann aber offen sagen! pläne bereits heute wieder infrage gestellt. Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts- Ein weiterer Punkt bestimmt meine ablehnende Hal- autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit tung. Insbesondere die Umsetzung des Griechenland-II- bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit- Pakets verdeutlichte, dass die Überführung von Parla- hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung mentsbeschlüssen in konkretes Verwaltungshandeln häu- zu überbrücken. fig an der mangelnden Funktionsfähigkeit staatlicher Strukturen in Griechenland scheitert oder zumindest ver- Mit dem traditionellen Mittel der Währungskorrektur langsamt wird. Mit der sogenannten Task-Force für kann Griechenland seine Überschuldung abbauen und Griechenland unterbreitete die EU-Kommission bereits anschießend mit einem neuen Ausgangswert wieder in im Juli 2011 ein umfassendes und zielgerichtetes Unter- den Euro einsteigen. stützungsangebot an staatliche Stellen in Griechenland. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine beglei- Ziel war es, den Behörden vor Ort technische Hilfe bei tete Unterbrechung der Euro-Zugehörigkeit. Während der Reform der öffentlichen Verwaltung zukommen zu dieser Zeit stehen Griechenland alle Investitionspro- lassen. Leider wurde dieses Angebot zu selten angenom- gramme und sozialen Gemeinschaftshilfen der EU offen. men und aufgegriffen. Sie kommen der griechischen Bevölkerung und ihrer Volkswirtschaft im Gegensatz zu den bisherigen Um- Insofern ist es zwar zu begrüßen, dass im nunmehr schuldungsprogrammen tatsächlich und unmittelbar zu- dritten Memorandum of Understanding der Stärkung gute. und Straffung von Behörden ein höheres Gewicht gege- ben wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch Das aktuelle Programm ist auch deswegen auf Sand aus meiner Sicht nicht ausreichend, um eine effektive gebaut, weil die erwarteten Privatisierungserlöse mit Umsetzung der so dringend notwendigen Reformen zu Notverkäufen nicht zu erzielen sind. Schon beim zwei- gewährleisten. Diese wiederum sind notwendig, um die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11499

(A) in der Schuldentragfähigkeitsanalyse angenommenen Hier geht es um eine Sachentscheidung und nichts an- (C) Wachstumszahlen des Primärüberschusses im Staats- deres. haushalt zu erreichen. Unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat wei- terhin mein vollstes Vertrauen. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die von den Mitar- beitern der Europäischen Kommission, von EZB, IWF und ESM verfassten Unterlagen sind nicht nur zum Teil Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- widersprüchlich, sondern wiederholen viele Maßnah- desfinanzministeriums, der weitere Kredite für Grie- men, die schon in den letzten Jahren erfüllt werden soll- chenland vorsieht, stimme ich zu. ten. Ein drittes Mal innerhalb weniger Jahre stimmt der Zudem verpflichten sie zu einer langen Phase von Deutsche Bundestag über Kredite für Griechenland ab. weiteren Zahlungen beziehungsweise zur Stundung von Auch wenn sich die Abstimmung formal einreiht in die Schulden zugunsten Griechenlands, ohne dass die Be- Debatten seit 2010, haben sich die Rahmenbedingungen, dingungen des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 oder die innerhalb derer wir diskutieren, grundlegend gewandelt. Bedingungen des IWF erfüllt sind. Die in Rede stehenden Kredite in Höhe von bis zu Die beim Euro-Summit am 12. Juli 2015 getroffene 86 Milliarden Euro bis 2018 sind nicht kleinzureden. Feststellung, dass neue ESM-Zahlungen nur erfolgen Dennoch gilt es, den genauen Zweck der Gelder im dürfen, „sofern alle in diesem Dokument aufgeführten Blick zu behalten. 54,1 Milliarden Euro stehen für den Voraussetzungen erfüllt sind“, ist nachweislich nicht er- Schuldendienst bereit, dienen also lediglich zur Ablö- reicht. Das bestätigt auch der Bericht der EU-Kommis- sung alter Kredite. Jeder Staat, auch die Bundesrepublik sion vom 14. August 2015. tut dies regelmäßig. Weitere 25 Milliarden Euro sind für die Rekapitalisierung der Banken bestimmt. Damit soll Weiterhin wird vielfach von der Rekapitalisierung der genau das verhindert werden, was die Lage in den ver- Banken als zentralem Element gesprochen. Dabei wer- gangenen Wochen so dramatisch machte – die Schlie- den erstmals Banken als nicht lebensfähig bezeichnet. ßung von Banken. Anders als von manchem vorgetra- Bisher wurde von der europäischen Bankenaufsicht im- gen, werden also nicht einfach Banken gerettet, sondern mer erklärt, dass alle griechischen Banken den Stresstest es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Zah- bestanden hätten. Zudem ist inhaltlich bisher in keiner lungsverkehr für jedermann weiter möglich ist. Weise erkennbar, wie diese Rekapitalisierung konkret stattfinden soll. Daten dazu sollen erst ab September be- Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren an- (B) kannt gegeben werden. ders entwickelt als alle anderen Länder, welche die Hilfe (D) der europäischen Partner in Anspruch nehmen mussten. Mit den heutigen Beschlüssen ist zudem klar, dass Der vereinbarte Reformweg wurde nie so umgesetzt, wie weitere Schuldenerleichterungen bzw. ESM-Zahlungen folgen werden. er vereinbart war, viele eingeleitete Reformen wurden unter der derzeitigen Regierung sogar zurückgenommen. Dies wird insbesondere vom IWF betont, weil nach Es gibt daher allen Grund, bei Griechenland im Allge- dessen Sicht die Gesamtverschuldung Griechenlands meinen, aber vor allem der links-rechts-radikalen Regie- über 200 Prozent steigen wird, auch wenn alle vorge- rung Tsipras auch weiterhin skeptisch zu bleiben. Wenn schlagenen Maßnahmen ausgeführt werden. die Regierung und auch die Bevölkerung Griechenlands nicht bereit sind, dauerhaft grundsätzlich diesen harten Sollte die griechische Regierung Neuwahlen ausru- Reformweg zu beschreiten, wird das Land nicht auf die fen, sind wohl viele der für September, Oktober und Jah- Beine kommen – nicht mit Krediten, auch nicht mit ei- resende 2015 vorgesehenen zentralen Forderungen nicht nem Grexit. Ich verstehe daher die Kollegen, die den mehr rechtzeitig erfüllbar, was weitere Abweichungen Glauben an die Zuverlässigkeit griechischer Zusagen verursachen wird. vollends verloren haben. Dennoch zeigen aus meiner Sicht die jüngsten Reformbeschlüsse, dass auch eine Aus ökonomischer Bewertung, wegen der fehlenden ideologisch getriebene Regierung sich nicht ewig den Faktendarstellungen und der enthaltenden Widersprü- che ist das vorgelegte MoU nicht überzeugend und damit Realitäten verweigern kann. aus dieser Sicht nicht zustimmungsfähig. Tatsächlich jedoch geht es längst um mehr als die Allerdings ist dies kein Votum gegen Bundeskanz- bloße Frage nach dem Umgang mit Griechenland. Bei lerin Dr. Angela Merkel und Bundesfinanzminister allen Schwierigkeiten und auch Enttäuschungen, die wir Wolfgang Schäuble, die in zähen Verhandlungen immer mit der griechischen Regierung erlebt haben, geht es um wieder intensiv arbeiten, um die gesamte Euro-Gruppe mehr. Es geht um den Zusammenhalt Europas. Es geht zu überzeugen und um den Euro langfristig zukunftsfä- um den Zusammenhalt in einer Welt, in der Konflikte hig zu halten. um uns herum bestehen. Wir brauchen einander, und wir brauchen gegenseitiges Vertrauen und Kompromissfä- Die gerade von vielen Medien betriebenen Aktionen, higkeit. Wir brauchen Partnerschaft und Kooperation in die Abstimmung über das MoU zu einem Vertrauensvo- Europa, auch und insbesondere mit Frankreich und Ita- tum für die Bundeskanzlerin zu machen, weise ich strikt lien. All dies möchte ich nicht opfern, nur weil die ak- zurück. tuelle griechische Regierung nicht vertrauenswürdig ist. 11500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Wir haben heute eine viel größere Verantwortung, als Bei aller Abwägung geht es letzlich gar nicht mehr (C) nur stur nach Athen zu schauen. Europa ist von vielen darum, was das genau Richtige ist, das einzig Wahre, Seiten unter Druck, die gesamte Weltlage viel konfuser sondern darum, eine vertretbare Lösung zu unterstützen, als noch vor drei oder vier Jahren. In dieser Situation ei- die unsere Regierung unter Verhandlungsleitung von nen Riss in Europa zu riskieren, hielte ich für fahrlässig. Wolfgang Schäuble und Angela Merkel dem Bundestag Wem wäre denn geholfen, wenn wir Griechenland jetzt zur Abstimmung vorlegt. Ich habe insoweit größtes Ver- pleitegehen lassen würden und damit am Rand Europas trauen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis in der ak- endgültig das völlige Chaos in der Flüchtlingsfrage aus- tuellen Situation den für Deutschland in der Summe brechen würde? Wir stimmen nicht allein über Geld für bestmöglichen Kompromiss darstellt. Ein Kompromiss, Athen ab, sondern darüber, ob wir Europa auch unter der allen Seiten viel abverlangt. Ein Kompromiss, der schmerzhaften Kompromissen zusammenhalten können. der Preis sein mag für manche Fehler der Vergangenheit. Ein Kompromiss, der mir in einer Zeit großer internatio- Es geht auch darum, ob sich in Europa unter unseren naler Verwerfungen erfolgversprechender erscheint als Partnern Mehrheiten für das wirtschaftliche und fis- das einseitige alleinige Beharren auf eigene Interessen. kalische „Modell Deutschland“ oder für das „Modell Mit meiner Zustimmung unterstütze ich daher auch den Frankreich“ finden. In diesem Sinn sind wir gerade in notwendigen weiteren Reformprozess in Europa. den letzten sechs bis zwölf Monaten große Schritte vo- rangekommen. Die Verhandlungsführung von Bundes- Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Griechenland und kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister seine Regierung unter Ministerpräsident Tsipras haben Wolfgang Schäuble war dafür die Grundlage. Sie haben sich seit der Aufnahme der Verhandlungen im Juli dieses ihren vom Bundestag erteilten Auftrag so ausgeführt, Jahres mit der Umsetzung eines Teils der sogenannten dass die Interessen Deutschlands bestmöglich gewahrt Prior Actions deutlich auf die Euro-Gruppe und insbe- wurden und zugleich das übergeordnete Interesse einer sondere auch auf Deutschlands Vorstellungen von einer europäischen Verständigung möglich wurde. Sie haben, erfolgreichen Politik und Verwaltung zu bewegt. im besten Sinn, Staatskunst bewiesen. Jedoch sind im jetzt vorliegenden Memorandum of Wir stehen heute tatsächlich an einem Scheideweg in Understanding gerade zentrale Punkte bisher nicht er- Europa. Wir müssen Fragen nach Vertiefung oder Ab- füllt bzw. lediglich durch noch nicht in der Praxis er- schwächung des Integrationskurses stellen, wir müssen probte Gesetze oder gar nur durch Absichtserklärungen über Bereitschaft, aber auch Grenzen von Solidarität und vorbereitet worden; die tatsächliche Umsetzung kann da- Transfers reden, wir müssen über unser gemeinsames mit – auch durchaus der kurzen Zeitspanne geschuldet – Außenverhältnis diskutieren, etwa in Bezug auf Russ- gerade nicht überprüft werden. (B) land oder auch die offenen Flüchtlingsfragen. Wir müs- (D) sen teils stark widerstreitende Grundüberzeugungen in Zu diesen zentralen Punkten gehören insbesondere: West- und Ost- sowie Nord- und Südeuropa so zusam- – Verabschiedung des neuen Haushalts 2016 (Oktober menbinden, dass weiterhin ein gemeinsamer europäi- 2015) scher Weg möglich bleibt. Diese schwierigen Fragen ha- ben das Potenzial, den Zusammenhalt Europas auch aufs – Anpassung der Umsatzbesteuerung (März 2016) Spiel zu setzen. Deutschland ist im wahrsten Wortsinn – Reform der Vermögensteuer (Januar 2017) bei all dem in einer Mittellage. Dies, unsere wirtschaftli- che Stärke, aber auch unsere Geschichte bringen uns in – Reform des Öffentlichen Beschaffungswesens (Sep- die zentrale Schlüsselposition. Deshalb bin ich zu der tember 2015) Überzeugung gekommen, dass wir nicht diejenigen sein – Rentenreform (Oktober 2015 mit Wirkung zum Ja- dürfen, die diesen Zusammenhalt aufkündigen. Ein kurz- nuar 2016) fristiger Jubel über ein Ende weiterer Kredite, etwa durch einen Grexit, würde langfristig niemandem helfen. – Arbeitsmarktreformen (zunächst zurückgestellt) Meine Zustimmung für ein drittes Hilfspaket ist deshalb – Schaffung eines Privatisierungsfonds (im Oktober das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, das ein 2015 soll zunächst nur eine „Arbeitsgruppe“ einge- schwieriger Weg einem anderen Weg vorzuziehen ist, setzt werden) dessen Ende ich als völlig ungewiss und derzeit höchst riskant einschätze. Die Möglichkeit der Überprüfung ist aber nach mei- nem Verständnis essenzieller Bestandteil der aus dem In der Vergangenheit habe ich mehrmals im Deut- Grundgesetz folgenden haushaltspolitischen Verantwor- schen Bundestag Hilfsprogrammen nicht zugestimmt, tung des Deutschen Bundestages, wie sie im ESM-Fi- etwa auch im Jahr 2011 bei der Abstimmung über nanzierungsgesetz, ESMFinG, niedergelegt ist: So sollen Kredite und Bürgschaften für Portugal. Nicht ohne Abgeordnete gerade nicht „ins Blaue hinein“ entschei- Demut muss ich heute feststellen, dass meine damalige den, sondern in Kenntnis aller Umstände. Letzteres ist Einschätzung eines Besseren belehrt wurde – zum hier gerade nicht der Fall, sondern es wird – zumindest Wohle Portugals und zum Wohle Europas. Der grund- für die erste Tranche – ein Freibrief gegeben, was ich sätzliche Mechanismus aus Krediten, harten Reformen nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Die darin und regelmäßiger Kontrolle durch die Gläubiger hat sich liegende Prüfung der „Konditionalität“ ist insbesondere dort wie in Spanien oder Irland als praktikabel und er- deshalb erforderlich, weil Mittel aus dem letzten Ret- folgreich erwiesen. tungspaket zwar als „Sanktion“ verfallen sind, nunmehr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11501

(A) aber gleichwohl als Teilbetrag in das in der Diskussion Ich werde einem dritten Hilfspaket nach eingehendem (C) stehende neue Rettungspaket eingestellt wurden. Studium der vom Bundesfinanzministerium zur Verfü- gung gestellten Unterlagen die Zustimmung erteilen, da Zudem ist für mich bisher nicht erkennbar, wie die auf der Basis der deutlich veränderten Kooperationsbe- griechische Rentenreform nunmehr in Einklang mit grie- reitschaft der hellenischen Regierung in den Verhand- chischem Verfassungsrecht gebracht werden kann, nach- lungen der vergangenen Wochen umfangreiche Struk- dem die ursprünglich schon einmal verabschiedete turreformen und ein Privatisierungsfonds auf den Weg Reform in diesem Punkt vom griechischen Verfassungs- gebracht werden konnten. Die Auszahlung des Rettungs- gericht (Συμβούλιο της Επικρατείας) für verfassungs- paketes findet in kleineren Tranchen statt, und diese wer- widrig erklärt worden war. den nur ausgezahlt, wenn die vereinbarten Reformen Auch hat sich meine Einschätzung zur Schuldentrag- auch umgesetzt werden. In dem Bewusstsein, dass der fähigkeit Griechenlands nicht geändert. Wie auch der In- Erfolg dieses Hilfsprogramms vor allem von der Regie- ternationale Währungsfonds, IWF, in seiner letzten Stel- rung Griechenlands abhängt, ist es aber meiner Auffas- lungnahme ausgeführt hat, bin auch ich nicht der sung nach die richtige Entscheidung, um der Stabilisie- Ansicht, dass durch das geplante Rettungspaket eine rung der Währungsunion zu dienen. Schuldentragfähigkeit hergestellt werden kann. Viel- mehr bedarf es, was der IWF selbst auch zur Bedingung Andrej Hunko (Die Linke): Ich habe bei der heutigen für seine Teilnahme an einem Rettungspaket macht, an- Abstimmung im Bundestag über ein drittes Kreditpro- derer Maßnahmen, die dann offen und vorbehaltlos dis- gramm für Griechenland mit Nein gestimmt. Die folgen- kutiert werden müssen. den Gründe haben mich dazu bewogen: Insbesondere ist es fraglich, ob die bisher geplanten 1. Der Charakter des fälschlicherweise als „Hilfspro- Laufzeitverlängerungen und Stundungen von Zinszah- gramm“ bezeichneten Kürzungsdiktats bleibt falsch. Die lungen ausreichen werden. Vielmehr müsste hier ernst- im Memorandum of Understanding festgehaltenen Be- haft und ehrlich über einen echten Schuldenschnitt nach- dingungen werden die Krise nicht lösen, sondern weiter gedacht werden – und damit auch über ein Staaten- verschärfen. Insolvenzverfahren, das den Ablauf einer Restrukturie- rung sowohl für den betroffenen Staat als auch für des- Sie sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil die Er- sen Gläubiger vorhersehbar macht. höhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer, weitere Rentenkürzungen und ausbleibende Investitio- Zudem hat sich an meiner rechtlichen Einschätzung nen, jede Möglichkeit zur wirtschaftlichen Erholung der Voraussetzungen eines ESM-Hilfspakets nichts ge- massiv einschränken. (B) ändert. Auch zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Ge- (D) fahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes Sie zwingen die Regierung, ein gigantisches Privati- insgesamt oder seiner Mitglieder. Ich verweise hier auf sierungsprogramm umzusetzen und profitable öffentli- meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. che Unternehmen zu Ramschpreisen zu verkaufen. In jedem Fall möchte ich jedoch herausstellen, dass Sie sind sozial verheerend, weil sie die Kosten der mir die möglichen Folgen meiner Entscheidung – sollte Krise weitgehend auf Beschäftigte, Arbeitslose und sie von der Mehrheit des Deutschen Bundestages mitge- Rentnerinnen und Rentner abwälzen – wenn auch die tragen werden – bewusst sind. So würde ein Nein zu Syriza-Regierung Zugeständnisse zur sozialen Abfede- dem jetzigen Hilfspaket zunächst eine weitere Brücken- rung erkämpfen konnte. finanzierung nach sich ziehen – zu der den Mitgliedern des Deutschen Bundestages auch bereits ein Vertragsent- 2. Die Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro, für wurf zugeleitet wurde. Damit wäre eine Beschlussfas- die Deutschland mit 27 Prozent haftet, fließen erneut sung zum Beispiel im Oktober 2015 zu einem Zeitpunkt zum Großteil in den Finanzsektor und können nicht zur möglich, zu dem schon ein deutlich größerer Teil an Überwindung der Wirtschaftskrise eingesetzt werden. Maßnahmen in Griechenland umgesetzt sein soll und da- Durch das wirtschaftlich verheerende Kürzungs- und mit überprüfbar wäre. Zudem wäre dann eine Beschluss- Privatisierungsdiktat steigt die Wahrscheinlichkeit wei- fassung zusammen mit dem IWF möglich. ter, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden kön- nen. Bettina Hornhues (CDU/CSU): Nach reichlicher Ab- 3. Zwar sind im Vergleich zu den früheren Memoran- wägung der Sachverhalte möchte ich mein Abstimmungs- den einige wenige positive Veränderungen festzustellen verhalten zum heutigen Antrag (Drucksache 18/5780) des wie beispielsweise die Absichtserklärung, eine Gesund- Bundesministers der Finanzen erläutern. heits-Grundversorgung für alle einzurichten – auch für nicht Versicherte. Dass diese Maßnahmen tatsächlich Ich habe in den vergangenen Monaten stark an dem umgesetzt werden, ist angesichts der Kürzungsvorgaben Erfolg weiterer Griechenland-Hilfen und der Koopera- im Memorandum jedoch extrem schwierig. tions- und Reformbereitschaft der Griechen gezweifelt. Bereits im Februar habe ich der technischen Verlänge- 4. Das Zustandekommen des Griechenlandpakets ent- rung des zweiten Hilfspaketes nur mit den größten Be- spricht einem Diktat und ist undemokratisch. In einer denken zugestimmt. Ich verweise an dieser Stelle auf beispiellosen Erpressung haben die EU-Institutionen im meine persönliche Erklärung vom 27. Februar 2015 Verbund mit der deutschen Bundesregierung die griechi- (Plenarprotokoll 18/89). sche Regierung zur Kapitulation gezwungen. Diese 11502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Politik widerspricht zutiefst meinen Überzeugungen, diglich die im MoU in Aussicht gestellten, von Grie- (C) weshalb ich sie hier, im Parlament der Erpresser, nur chenland nicht abgerufenen Mittel der EU-Programme ablehnen kann. Ich mache hingegen keine Aussage 2007 bis 2013 in Höhe von gut 5 Milliarden Euro zur darüber, wie ich mich in Griechenland, im Parlament der Verfügung. Hinzu kommt, dass nach dem MoU die grie- Erpressten, verhalten würde. Dies ist allein Sache der chischen Haushaltsüberschüsse bis zum Erreichen des griechischen Abgeordneten. vereinbarten Primärüberschussziels, und bei Überschrei- ten des vereinbarten Primärüberschussziels teilweise, 5. Griechenland braucht unsere Hilfe, und ich bin zur Schuldensenkung verwendet werden müssen. Diese ohne Umschweife dafür, diese solidarisch zu gewähren. Mittel stehen also nicht für Investitionen und Konsum Das heute zur Abstimmung stehende Paket ist jedoch ein zur Verfügung, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiterer Rettungsring aus Blei. Unter diesen Bedingun- schwächen wird. Nennenswerte Wachstumsimpulse für gen kann ich nur mit Nein stimmen. die griechische Wirtschaft werden so auch mit dem neuen MoU nicht gesetzt, was ein Scheitern beim Errei- Thomas Jurk (SPD): Das nun vorliegende Memo- chen der mittelfristigen Wachstumsziele und damit auch randum of Understanding, MoU, für ein dreijähriges der Ziele bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen zur ESM-Programm zur Unterstützung Griechenlands ist Folge haben wird. keine ausreichende Grundlage für die dringend notwen- dige Stärkung der griechischen Wirtschaft und setzt Die Wachstumsziele sind ohnehin viel zu ambitio- unrealistische Ziele, welche sich schon bald als nicht niert. So wird in der aktuellen Schuldentragfähigkeits- umsetzbar erweisen werden. Dies wird maßgeblich dazu analyse der europäischen Institutionen im Basisszenario beitragen, den Zusammenhalt in Europa weiter zu unter- für Griechenland von einem langfristigen Wachstum des graben. realen BIP von 1,75 Prozent ausgegangen. Auf welchen Annahmen dieses Basisszenario beruht, wird in dieser Bei der geplanten Unterstützung für Griechenland Schuldentragfähigkeitsanalyse offengelassen. Demge- handelt es sich im Wesentlichen um eine Fortführung genüber geht der IWF davon aus, dass das langfristige bzw. Anpassung der Bedingungen der seit 2010 laufen- Wachstum des realen BIP 0,8 Prozent erreichen wird, den Hilfsprogramme. Das Ergebnis dieser bisherigen wenn die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote von Hilfe kann nach mehr als fünf Jahren nur als desaströs aktuell 11 Prozent bis 2019 auf 19 Prozent des BIP stei- bezeichnet werden: Das griechische BIP und die Real- gen, die Arbeitsmarktpartizipation den höchsten Wert in löhne sind seit 2010 um rund 20 Prozent zurückgegan- der Euro-Zone erreichen, die Arbeitslosigkeit auf das gen. Die Binnennachfrage ist in diesem Zeitraum um Niveau Deutschlands fallen und die Steigerungsrate der knapp 30 Prozent gesunken. Auch die gesamtwirtschaft- totalen Faktorproduktivität das durchschnittliche Niveau (B) liche Investitionsquote ist von 2010 bis heute von 17 auf in der Euro-Zone seit 1980 erreichen würde (siehe „IMF (D) 11 Prozent gefallen. Die Staatsschuldenquote Griechen- Country Report“ No. 15/165). Es ist aus meiner Sicht lands lag 2010 bei 145 Prozent des BIP und wird im abwegig, zu erwarten, dass Griechenland diese Voraus- kommenden Jahr – trotz eines Schuldenschnitts im Jahr setzungen für ein nachhaltiges Wachstum erfüllen kann. 2012 – bei rund 200 Prozent des BIP liegen. Die Arbeits- Deshalb können die von den europäischen Institutionen losenquote hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt und vorgegebenen Wachstumsziele und damit auch die liegt bei mehr als 25 Prozent. Die Armut ist in Griechen- Haushaltsziele nicht erreicht werden. land inzwischen zum Alltag vieler Menschen geworden. Der IWF hat es zunächst abgelehnt, sich an einem Ursache des Scheiterns der bisherigen Hilfspro- weiteren Hilfsprogramm für Griechenland zu beteiligen gramme für Griechenland ist in erster Linie nicht die und dies mit der nicht gegebenen Schuldentragfähigkeit mangelhafte Umsetzung von Reformen (siehe „Reform begründet. Laut IWF würde der Bruttofinanzierungs- Responsiveness Score“ 2007 bis 2014 der OECD in bedarf Griechenlands deutlich über dem als sicher „Going for Growth“ 2015), sondern das Außerachtlassen geltenden Schwellenwert von 15 Prozent liegen und grundlegender ökonomischer Zusammenhänge, insbe- langfristig weiter ansteigen. Auch wenn die aktuelle sondere hinsichtlich der Auswirkungen der Hilfspro- gramme auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institu- tionen in dieser Frage unkonkret bleibt, wird diese Dies wird mit dem nun vorliegenden MoU leider Einschätzung hier doch im Wesentlichen bestätigt. Um nicht korrigiert. So sollen beispielsweise im Rentensys- die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, werden von tem im kommenden Jahr Leistungen im Umfang von den europäischen Institutionen deshalb schuldensen- 1 Prozent des BIP eingespart werden, was entsprechende kende Maßnahmen vorgeschlagen. Diese Maßnahmen negative Auswirkungen auf Kaufkraft und Binnennach- müssten nach meiner Einschätzung einen erheblichen frage haben wird. Auch die im MoU aufgeführten Umfang haben und würden damit die Glaubwürdigkeit Maßnahmen zur Förderung von Investitionen oder zur des fundamentalen europäischen Grundsatzes, nicht für Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bleiben weit die Verbindlichkeiten anderer Staaten einzutreten, in hinter dem dringend Notwendigen zurück. So stehen zur Zweifel ziehen. Nicht angesprochen werden in der ak- Unterstützung Griechenlands in der laufenden EU-För- tuellen Analyse darüber hinaus die erheblichen Risiken derperiode von 2014 bis 2020 etwa 35 Milliarden Euro für die Schuldentragfähigkeit: So wird im MoU darge- an EU-Mitteln zur Verfügung. Dies sind zunächst einmal legt, dass in Zukunft möglicherweise zusätzliche Maß- 3 Milliarden Euro weniger als in der vorausgegangenen nahmen zur Abwicklung notleidender Kredite im Ban- Förderperiode 2007 bis 2013. Zusätzlich stehen nun le- kensektor erforderlich sind. Für mich bleibt außerdem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11503

(A) höchst zweifelhaft, dass die Privatisierungserlöse im ge- Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das (C) planten Umfang von knapp 14 Milliarden Euro bis 2022 Positivste vorneweg: Mit dem dritten Hilfsprogramm und weiterer 50 Milliarden Euro im neuen Privatisie- wird Griechenland für drei Jahre aus den Negativschlag- rungsfonds während der Laufzeit des neuen Darlehens zeilen kommen. Die bisher erreichten Reformen können erzielt werden, da in den vergangenen fünf Jahren tat- weitergeführt werden, und die europäische Idee hat wie- sächlich nur rund 3 Milliarden Euro Einnahmen aus Pri- der etwas Zeit, an Stärke zu gewinnen. Für drei Jahre vatisierungen erlöst wurden. Zusammenfassend bleibt werden die an der europäischen Idee zweifelnden CDU/ festzuhalten, dass die Schuldentragfähigkeit bei objekti- CSU-Abweichler ihre Grexit-Diskussion einstellen müs- ver Betrachtung nicht gegeben ist. sen. Finanzminister Schäuble, der noch immer für den Grexit ist, musste eine schwere Niederlage einstecken. Ganz unabhängig von den unrealistischen Zielen des Das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone ESM-Programms hinsichtlich Wirtschaftswachstum, wurde gegen seinen Willen vorerst verhindert. Haushaltsüberschüssen und Schuldentragfähigkeit ist auch die Erwartung, dass Griechenland die im MoU im Eine langfristige Lösung stellen die Abmachungen Einzelnen genannten Bedingungen vollständig und frist- aber nicht dar. Wieder einmal wurde es versäumt, die gerecht erfüllen wird, wenig überzeugend. So hat das Weichen für die nachhaltige Erholung des Landes zu Referendum vom 5. Juli 2015 in Griechenland deutlich stellen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investi- gezeigt, dass die griechische Bevölkerung mehrheitlich tionsförderung – dafür sind keine ausreichenden Mittel eine Fortsetzung der gescheiterten „Rettungspolitik“ ab- vorhanden – als auch einer garantierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Griechenland kann die lehnt. Diese Ablehnung wird zweifellos von der griechi- Schulden nicht völlig zurückzahlen. Deshalb wird es ein schen Regierung geteilt, deren Vertreter dies mehrfach viertes Kreditprogramm in drei Jahren geben. Die öffentlich zum Ausdruck gebracht haben. Stärker wiegt Chance, dieses zu verhindern, wurde durch Merkels und jedoch, dass die im MoU genannten Maßnahmen von Schäubles Weigerung, einen wirksamen Schuldenschnitt Griechenland – selbst bei gutem Willen aller Beteilig- durchzuführen, vertan. ten – bei sachlicher Betrachtung kaum umgesetzt wer- den können. So sind im MoU – neben den circa 50 Vor- Angesichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz habe abmaßnahmen, die bis heute noch nicht vollständig ich mich heute im Bundestag enthalten. Ich bedauere umgesetzt wurden – über 50 weitere Maßnahmen aufge- sehr, dass die Bundesregierung nicht daran interessiert führt, die bis September bzw. Oktober 2015 (das heißt war, einen Kompromiss zu erzielen, zu dem ich als über- innerhalb weniger Tage bzw. Wochen) umgesetzt wer- zeugter Europäer mit gutem Gewissen Ja sagen kann. den müssen. Darunter sind beispielsweise umfassende (B) Reformen der Tarifordnung für die öffentliche Verwal- Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- (D) tung, des Rentensystems, der Einkommensteuer sowie terität: Es gibt durchaus ein paar positive Aspekte im be- des Steuerverfahrensrechts, die Geltendmachung und schlossenen Memorandum of Understanding. Dazu ge- Beitreibung von Rückforderungen im Gesundheitssys- hören strukturelle Veränderungen im Steuerbereich, die tem oder die Veröffentlichung der seit über drei Monaten den Kampf gegen Steuervermeidung maßgeblich verbes- säumigen Steuer- und Sozialabgabenschuldner. Selbst in sern werden. Es wird höhere Steuern für Reeder und einem Staat mit funktionierender öffentlicher Verwal- Kürzungen im griechischen Verteidigungshaushalt ge- ben. Es sind aber auch viele Elemente enthalten, die für tung würde die Umsetzung jeder einzelnen dieser eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sor- Maßnahmen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb ist gen werden: beispielsweise die Kürzung der Zusatzren- – auch unter Berücksichtigung der technischen Hilfe – ten, die Erhöhung des Renteneintrittalters (in einem nicht davon auszugehen, dass Griechenland dies vollum- Land mit einer Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent und fänglich wird leisten können. einer Jugendarbeitslosigkeit von etwa 60 Prozent) und Unzweifelhaft ist es notwendig, dass Griechenland der Mehrwertsteuer. Unter diesen Umständen scheint eine effiziente Staatsverwaltung bekommt, ein funktio- der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüberschuss von nierendes Rechtssystem geschaffen und die Korruption 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch – welches Land bekämpft wird. Auch die Einführung einer sozialen hat denn tatsächlich einen solch hohen Primärüber- Grundsicherung und eine bessere Gesundheitsversor- schuss, und warum sollte ausgerechnet Griechenland diesen erreichen? gung der Bevölkerung sind dringend erforderlich. Ich begrüße auch ausdrücklich die dafür vorgesehene techni- Die unrealistischen Sparziele werden großen Druck sche Hilfe der EU. Trotzdem wird dies nach meiner auf den neu geschaffenen Privatisierungsfonds ausüben. Ansicht nicht ausreichen, um Griechenland wieder auf Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen, einen dauerhaften Wachstumspfad zu führen, welcher dass der Zeitfaktor hierbei die entscheidende Kompo- die Rückzahlung der gewährten Hilfen ermöglicht. Zur nente ist. Kurzfristiger Handlungsdruck angesichts nach Stärkung der griechischen Wirtschaft wäre zusätzlich wie vor hoher Einnahmeanforderungen wird einen eine große solidarische Anstrengung aller Mitgliedstaa- Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und ten der Europäischen Union unerlässlich. Einer – wenn verhindert die langfristige Sanierung und strategische auch modifizierten – Fortsetzung der bisherigen europäi- Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in schen „Rettungspolitik“ kann ich deshalb nicht zustim- ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Ver- men. kehr – eine schwere Hypothek für die Zukunft. 11504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm nierte Hilfe lehne ich weiterhin strikt ab. Die Euro- (C) eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- Gruppe hat ausdrücklich betont, dass sie das Engage- quote wird steigen und die Marke von 200 Prozent über- ment des IWF für unabdingbar erachtet. Die offenen steigen. Auch der Finanzierungsbedarf öffentlicher Gü- Forderungen des IWF können im Rahmen des vorliegen- ter hat längst die kritischen Grenzen überschritten und den Programms erfüllt und somit die Mitwirkung des stellt einen dauerhaften Hinderungsgrund für eine nach- IWF sichergestellt werden. Der Wille aller beteiligten haltige Entwicklung in Griechenland dar. Das ist auch Parteien, die Mitwirkung des IWF sicherzustellen, ist ge- ein Grund, warum Griechenland die gesamten Schulden geben. nicht begleichen können wird. Die Tragfähigkeit der Staatsschulden muss aber gesichert sein, damit Grie- Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister chenland wieder zu einem sich selbst tragenden Wirt- haben hart verhandelt und ein Ergebnis erzielt, dem schafts- und Sozialsystem kommen kann. Die Strategie letztendlich alle 19 Euro-Finanzminister zugestimmt ha- von Schäuble und Merkel wird deshalb scheitern, da die- ben. Ich vertraue diesem Kompromiss, da er keine un- ses Programm die Schuldenlast des Staates erhöht und konditionierte Hilfe verspricht, sondern an klare und letztlich eine ökonomische und soziale Gesundung ver- überprüfbare Reformvorgaben gekoppelt ist. Die letzte hindert. Das bestätigt auch der IWF, der sich nicht an der Tranche aus dem zweiten Programm wurde mangels Re- Auszahlung der ersten Tranche beteiligt. Das zeigt aber formfortschritten zurückgehalten. Diese Konsequenz er- auch, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern warte ich auch von dem neuen Programm. sind. Angela Merkel hat längst erkannt, dass Griechen- Griechenland ist reformierbar, sofern der politische land eine effektive Umschuldung benötigt, verschiebt Wille dazu besteht. Schon die ersten beiden Programme die Umsetzung dieser Erkenntnis allerdings in die Zu- hatten trotz ihrer Unzulänglichkeiten für Reformerfolge kunft und vergeudet damit wieder wichtige Zeit und er- gesorgt. 2014 verzeichnete Athen einen signifikanten höht damit das Risiko des Scheiterns. Damit verteuert Haushaltsüberschuss vor Schulden, ein erstes, leichtes sie in jedem Fall die Hilfsanforderungen Griechenlands. Absinken der Arbeitslosigkeit und ein spürbares Wirt- Im schlimmsten Fall könnte die Verweigerungshaltung schaftswachstum. Mit ihrem irrationalen Vorgehen hat Merkels ein Scheitern des Hilfsprogramms bedeuten. die neue griechische Regierung viele dieser Erfolge zu- Die europäische Idee darf nicht begraben werden: Der nichtegemacht. Das neue Programm bietet nun die Grexit ist und bleibt keine Alternative. Das Land wird Chance, auf den Reformpfad zurückzukehren. Als neue weiter auf die Solidarität Europas angewiesen sein. Aber Abgeordnete bin ich bereit, diese Chance letztmalig zu auch umgekehrt gilt: Wenn Griechenland scheitert, wird gewähren. Als deutsche Abgeordnete sind wir vor allem dies enormen Schaden für die europäische Idee bewir- dem deutschen Steuerzahler verpflichtet und müssen da- (B) ken. Kein Land Europas profitiert mehr von Europa als her den Reformwillen der Griechen einfordern und die (D) Deutschland. Es liegt also auch in unserem Interesse, die Fortschritte in den zuständigen Gremien konsequent europäische Idee zu verteidigen und dafür zu sorgen, überwachen. dass Europa demokratischer und solidarischer wird. Die Flüchtlingsdramatik in Griechenland zeigt uns, wie we- Ich sehe keine bessere Alternative zu diesem neuen nig Europa wirklicher Solidarität verpflichtet ist. In Reformprogramm. Ein unkoordiniertes Ausscheiden Deutschland müssen wir weiter die öffentliche Aus- Griechenlands aus der Euro-Zone würde ebenfalls be- einandersetzung mit den nationalkonservativen Kräften trächtliche Kosten verursachen. Europa darf es nicht zu- suchen, ihre Ideologie zurückdrängen und die europäi- lassen, dass ein geopolitisch so bedeutender EU-Staat sche Idee stärken. derartig destabilisiert wird. Griechenland hat aufgrund seiner geografischen Lage beim Schutz der EU-Außen- grenzen, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach gewissenhafter als NATO-Partner zahlreiche wichtige Funktionen zu er- Abwägung sämtlicher Aspekte stimme ich dem Antrag füllen, für die es in jedem Fall gesamteuropäische Unter- des Bundesministeriums der Finanzen zu, Griechenland stützung benötigt. Ein Ausscheiden Griechenlands aus im Rahmen eines dritten Reformprogramms weitere Un- der Euro-Zone bleibt für mich aber weiterhin eine Op- terstützung im Gegenzug für umfassende und überprüf- tion, sofern der nun gezeigte Reformwille nachlässt. Alle bare Reformen zu gewähren. Ausschlaggebend für beteiligten Institutionen sind aufgefordert, sich auf diese meine Zustimmung waren folgende Aspekte: Eventualität gewissenhaft und umsichtig vorzubereiten. Die in meiner Erklärung vom 17. Juli 2015 formulier- ten Forderungen sehe ich als erfüllt an. Das Programm Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zur Sta- dient der Stabilität der Euro-Zone, dem inneren Zusam- bilitätshilfe zugunsten Griechenlands – Einholung eines menhalt der Europäischen Union und der Wiederherstel- zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, lung von Solidität und Wettbewerbsfähigkeit in Grie- der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer chenland. Die Reformziele wurden im Gegensatz zu den Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- bisherigen Programmen inhaltlich wesentlich detaillier- rung über ein Memorandum of Understanding zwischen ter fixiert und mit zusätzlichen Fristen versehen. Re- der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi- formfortschritte können künftig besser überprüft und litätsmechanismus, ESM –, ist ein Votum für den Zu- konsequenter durchgesetzt werden. Das Grundprinzip sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte In- unserer Stabilisierungspolitik – Solidarität für solvenz Griechenlands. Es ist gleichzeitig gerichtet Reformen – wurde maßgeblich gestärkt. Unkonditio- gegen jeden Versuch, Griechenland aus dem Euro-Raum Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11505

(A) – oder der EU – zu drängen. Derartige Vorschläge halte seits aber zum damaligen Zeitpunkt und auf Basis des (C) ich für politisch und wirtschaftlich schädlich für die EU seinerzeit gegebenen Kenntnisstands nach einer schwie- und unser Land. rigen Abwägung meine Zustimmung nicht erteilen konnte, „grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines Dazu stelle ich allerdings fest: ESM-Darlehens nach Artikel 16 ESM-Vertrag zu ge- 1. Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat keine währen“. ökonomische Wende auslösen können, sondern vielmehr Es bestehen sicherlich auch weiterhin begründete die wirtschaftliche Situation der griechischen Unter- und Zweifel, ob die im ESM-Vertrag vorgesehenen grund- Mittelschichten verschlechtert. Statt diesen Weg weiter sätzlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von ESM- zu verfolgen, muss ein anderer, hin zu einem nachhalti- Darlehen überhaupt gegeben sind – insbesondere eine gen, solidarischen Wirtschaften und einer Erneuerung Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Gan- des Staates beschritten werden. Wir müssen uns auch in zes lag und liegt nach meiner Einschätzung nicht vor. Zukunft entschieden dafür einsetzen, Griechenland in der europäischen Familie und der Gemeinschaftswäh- Unabhängig davon habe ich die nunmehr vorliegende rung zu halten. Europa muss deutlich machen, dass in Vereinbarung im Einzelnen geprüft. Dabei habe ich ins- Krisenzeiten kein Land zurückgelassen werden darf. Die besondere auch die fachlichen Einschätzungen berück- vom IWF geforderte Entschuldung Griechenlands kann sichtigt, die das Bundesministerium der Finanzen vor dabei nicht ausgeschlossen werden. der Sitzung der Euro-Gruppe am 14. August 2015 abge- geben hat. 2. Griechenland benötigt ein Investitionsprogramm, um die ökonomische Wende zu schaffen. Aus eigener Zweitens. Bereits bei der Verlängerung des zweiten Kraft kann Griechenland nur schwer eine wirtschaftliche Rettungspakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer, Trendwende erzielen. Ein gezieltes Zukunftsinvestiti- noch Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit onsprogramm, das mittels EU-Investitionsfonds und der der griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr Mobilisierung privaten Kapitals angeschoben wird, ist gemachten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen dazu erforderlich. Durch die Investition in Zukunfts- auch tatsächlich einzuhalten. branchen kann auch ein Beitrag zur Binnennachfrage ge- Das Verhalten der griechischen Regierung bis Mitte leistet werden. Juli 2015 hat die schlimmsten Befürchtungen in dieser 3. Um die notwendigen Reformen umzusetzen, Hinsicht zunächst leider mehr als bestätigt. Ich nehme braucht Griechenland einen modernen und handlungs- zur Kenntnis, dass Regierung und Parlament in Grie- fähigen Staat. Statt vorgegebener Entlassungsquoten chenland sich nunmehr zu einem ambitionierten und not- (B) für öffentliche Bedienstete und erzwungenem Ausver- wendigen Reformprogramm verpflichtet haben. Dies ist (D) kauf der öffentlichen Infrastruktur müssen Rechts- und zweifelsohne ein großer Verhandlungserfolg der Bun- Sozialstaatlichkeit gestärkt werden. Die griechische deskanzlerin und des Bundesfinanzministers. Regierung hat hierbei umfassende Reformen angekün- Ob diese Verpflichtungen aber über mögliche Neu- digt. Griechenland benötigt dabei jedoch von der euro- wahlen im Herbst 2015 hinaus tatsächlich Bestand haben päischen Gemeinschaft konkrete Unterstützung sowie und die zugesagten Reformen nachhaltig und wirksam ausreichend Zeit und Spielraum, um diese rechtsstaatli- umgesetzt werden, daran bestehen allerdings weiterhin chen und sozialen Vorhaben zum Wohle des Landes durchaus erhebliche Zweifel. Dies betrifft insbesondere und der gesamten europäischen Gemeinschaft umzuset- auch die Frage der Erbringung der notwendigen Eigen- zen. mittel für die Bankenrekapitalisierung und den Abbau Das erzielte Verhandlungsergebnis ist unstrittig ein der öffentlichen Verschuldung im Rahmen des vorgese- enormes Austeritätspaket, das dem Land drastische Ein- henen Privatisierungsfonds. schnitte abverlangt. Der Verkauf von 14 Regionalflughä- Drittens. Selbst wenn die im Programm vereinbarten fen an den deutschen Flughafenbetreiber Fraport macht Reformen nunmehr erfolgreich umgesetzt werden, kann den Ausverkauf des Landes deutlich. Allerdings hat sich ich zum heutigen Zeitpunkt eine glaubwürdige Perspek- Griechenland damit in dieser Situation eine Perspektive tive zur Wiedererlangung von Schuldentragfähigkeit und erkämpft. Die griechische Regierung muss dabei unter- Kapitalmarktzugang Griechenlands in einem überschau- stützt werden. Außerdem muss die in der Erklärung er- baren Zeitraum nicht erkennen. hobene Forderung von Christine Lagarde, Geschäftsfüh- rende Direktorin des IWF, nach Schuldenerleichterung Nach Auffassung des IWF – Country Report vom aufgegriffen werden. Der Grexit ist und bleibt keine Al- 14. Juli 2015 – bestehen nur drei Optionen, um Schul- ternative. Um die Hoffnung auf eine wirtschaftliche und dentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands soziale Trendwende zu untermauern, braucht Griechen- wiederherzustellen: ein umfangreicher Schuldenver- land die europäische Solidarität. zicht der europäischen Gläubiger vorab, der Einstieg in dauerhafte fiskalische Transferzahlungen innerhalb der Euro-Zone oder der weitgehende Verzicht auf Schulden- Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. In der Ab- dienst für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren auf alle stimmung vom 17. Juli 2015 habe ich mich der Stimme bisherigen und die jetzt neu zu gewährenden Darlehen. enthalten, da ich zum einen die Verhandlungsführung der Bundeskanzlerin und insbesondere des Bundes- Wenn derartige Maßnahmen unabweisbar notwendig finanzministers weiterhin unterstützen wollte, anderer- würden, könnte dies den faktischen Einstieg in eine dau- 11506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) erhafte Transferunion bedeuten, was nach meiner Ein- vollständig sichergestellt und eine tragfähige Insolvenz- (C) schätzung mit dem Maastricht-Vertrag und damit einem ordnung ausgearbeitet werden –; weiteren Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone nicht vereinbar wäre. drittens ein Privatisierungsfonds weiter vorangetrie- ben wird – griechisches Staatsvermögen muss in einen Viertens. Eine weitere Beteiligung des IWF ist aus unabhängigen Fonds transferiert werden, der die Vermö- meiner Sicht für eine erfolgreiche Umsetzung des Re- genswerte durch Privatisierung monetarisiert (siehe auch formprogramms dringend notwendig. Der IWF hat sei- Memorandum of Understanding) –; nerseits Schuldenerleichterungen in offenbar signifikan- tem Umfang zur notwendigen Voraussetzung für seine viertens die griechische Regierung die Liberalisie- weitere Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland rung in zahlreichen Branchen vorantreibt, den Arbeits- erklärt. markt flexibler gestaltet und mehr Wettbewerb im Ener- giesektor etabliert – ein weiterer Reformschritt ist die Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Modernisierung der Verwaltung sowie die Erreichung Lagarde, hat auch nach dem Beschluss der Euro-Gruppe höherer wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit –; am 14. August 2015 dazu wie folgt festgestellt: „How- ever, I remain firmly of the view that Greece’s debt has fünftens ein nominaler Schuldenschnitt nicht reali- become unsustainable and that Greece cannot restore siert wird; debt sustainability solely through actions on its own. sechstens es nur Solidarität gegen Solidität und Ver- Thus, it is equally critical for medium and long-term lässlichkeit geben kann; debt sustainability that Greece’s European partners make concrete commitments in the context of the first review siebtens die sogenannte Troika den Reformprozess of the ESM program to provide significant debt relief, vor Ort überwacht, womit ein transparentes Monitoring well beyond what has been considered so far.“ implementiert wird. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass eine weitere Beteiligung des IWF unverzichtbar ist. Darüber soll je- Ulrich Petzold (CDU/CSU): In den vergangenen doch nunmehr erst im Oktober 2015 konkret entschieden vier Wochen hat die Bundesregierung gemeinsam mit werden. Ich empfinde es als problematisch, dass der anderen europäischen Partnern der amtierenden griechi- Deutsche Bundestag heute bereits dem Gesamtpro- schen Regierung aus Links- und Rechtspopulisten um- gramm zustimmen soll, bevor ausreichende Klarheit da- fangreiche Zusagen zur Umgestaltung der desolaten rüber besteht, ob und unter welchen Bedingungen sich Staatsverwaltung in Griechenland abgerungen, die in ei- der IWF tatsächlich substanziell an diesem neuen Pro- nem Memorandum of Understanding vereinbart sind. Im (B) gramm beteiligen wird. Gegenzug dazu wird Griechenland zum 20. August die- (D) ses Jahres eine erste Sub-Tranche von 13 Milliarden Fünftens. Ich erkenne die erfolgreichen Bemühungen Euro einer Gesamtfinanzhilfe von 86 Milliarden Euro der Bundesregierung ausdrücklich an und würde es au- ausgezahlt. ßerordentlich begrüßen, wenn auf dieser Grundlage künftig die mit der Vereinbarung angestrebten Ziele in Selbstverständlich berücksichtigen die in dem Memo- vollem Umfang erreicht würden und sich meine heute randum of Understanding getroffenen Vereinbarungen bestehenden Bedenken damit rückblickend als unbe- wesentliche Bedenken gerade auch des Deutschen gründet erweisen. Bundestages, sodass man der deutschen Verhandlungs- führung ausdrücklich dafür danken kann, doch wird hier In einer Gesamtbeurteilung sehe ich mich aber zum letztendlich eine griechische Zusage zumindest in der heutigen Zeitpunkt und auf dem heutigen Kenntnisstand Sub-Tranche gegen eine konkrete, beträchtliche Zahlung aus den genannten Gründen nicht in der Lage, dem vor- getauscht. liegenden Antrag uneingeschränkt zuzustimmen – auch wenn ich mich nur schweren Herzens in einer wichtigen Leider mussten wir in diesem Jahr bei genau der Frage von der Mehrheit meiner Fraktion entferne, werde Regierung, der wir jetzt die Zahlung leisten, feststellen, ich mich daher heute erneut der Stimme enthalten. dass Zusagen nicht allzu viel wert waren. Selbstver- ständlich kann man dagegenhalten, dass das griechische Parlament in seiner Sitzung vom 13./14. August ein Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- Maßnahmenpaket verabschiedet hat, das die Forderun- desministeriums der Finanzen am 19. August 2015 gen des Memorandum of Understanding aufgreift. Be- stimme ich unter sieben Voraussetzungen zu, dass: denken muss man jedoch dabei, dass ein Maßnahmenpa- erstens der Internationale Währungsfonds, IWF, auch ket keine gesetzliche Regelung und schon gar keine nach den Neuverhandlungen im Oktober 2015 an den Fi- verwaltungsmäßige Umsetzung darstellt. Gerade bei der nanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland in Umsetzung europäischer Vorgaben haben sich in der überwachender und finanzieller Form eingebunden wird Vergangenheit und insbesondere bei der existierenden sowie aktiv mitwirkt; Regierung umfangreiche Defizite gezeigt, sodass sich für mich die Situation so darstellt, dass wir als Europa in zweitens die bereits eingeleiteten Reformmaßnah- der Hoffnung auf die Umsetzung eines guten Verhand- men weiter umgesetzt werden – zusätzlich zu den bereits lungsergebnisses erneut eine Vorauszahlung leisten. beschlossenen Steuerreformen durch das griechische Parlament muss eine funktionsfähige Steuerverwaltung Besondere Bedenken entstehen bei mir dadurch, dass sowie Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde sich aufgrund der fehlenden Regierungsmehrheit für das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11507

(A) umzusetzende Reformpaket eine Neuwahl mit absolut gegen Solidität, und wenn die griechische Regierung be- (C) unberechenbarem Ausgang konkret abzeichnet und es reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist es nur fraglich ist, woran sich eine neue Regierung gebunden folgerichtig, den nächsten Schritt zu gehen. fühlt. Da ich gerade auch die Bemühungen der deutschen Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Vereinba- Verhandlungsführung achte und das Ergebnis der Ver- rung über ein ESM-Programm für die Hellenische Repu- handlungen im Memorandum of Understanding als für blik zu. alle Seiten akzeptabel anerkenne, jedoch persönlich kein Ich stimme zu, weil die Mehrheit der deutschen als Zutrauen zur Umsetzung der getroffenen Vereinbarun- auch der griechischen Bürgerinnen und Bürger ein Aus- gen durch Griechenland habe, werde ich mich der scheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum Stimme enthalten. ablehnt und gemeinsam für eine gerechte europäische Sozial- und Wirtschaftspolitik, für eine europäische Inte- Alois Rainer (CDU/CSU): Nach sorgfältiger Überle- gration und ein Europa des Friedens, der Freiheit und der gung und gewissenhafter Abwägung stimme ich dem Demokratie eintritt. Außerdem hat Deutschland Europa Antrag des Bundesfinanzministeriums zu, Griechenland und damit auch Griechenland in vielerlei Hinsicht un- im Rahmen eines dritten Reformprogramms auf Grund- endlich viel zu verdanken. lage des Memorandum of Understanding zu unterstüt- zen. Ich begrüße sehr, dass nach der Zustimmung des Deut- schen Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen am Grundlage für meine Zustimmung waren insbeson- 17. Juli 2015 zügig Gespräche und Vereinbarungen er- dere folgende Aspekte: reicht werden konnten. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass Zunächst hat Griechenland bereits vor Aufnahme der mit der Umsetzung des ESM-Programms ein drohendes Verhandlungen im Juli zuvor zurückgestellte Reformen Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungs- umgesetzt. Dazu zählen eine systematischere Erhebung raum verhindert werden kann. Dies ist insbesondere das und Erhöhung der Mehrwertsteuer, Maßnahmen für ein Verdienst der SPD sowie der sozialdemokratisch und so- nachhaltigeres Rentensystem, die Unabhängigkeit der zialistisch regierten Mitglieder der Euro-Gruppe, die sich Statistikbehörde, die vollständige Umsetzung des Euro- stets gegen ein – auch zeitweises – Ausscheiden Grie- päischen Fiskalvertrages, eine effizientere Zivilprozess- chenlands verwahrt haben. ordnung zur Verkürzung überlanger Verfahren und die Das vorliegende ESM-Programm ist in vielerlei Hin- vollständige Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sicht besser als frühere Programme. Von besonderer Be- Sanierung und Abwicklung von Banken. (B) deutung sind dabei die in Aussicht gestellten Schuldener- (D) Mit der Umsetzung der vereinbarten Reformagenda leichterungen für die Hellenische Republik und die im Memorandum of Unterstanding soll die Tragfähigkeit notwendige Lockerung der Konsolidierungsziele. Diese der öffentlichen Finanzen wiederhergestellt, die Finanz- Einsicht ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des stabilität gesichert, für Wachstum und Wettbewerbs- hohen Schuldenstands und der kritischen ökonomischen fähigkeit gesorgt werden. Lage Griechenlands nicht alle notwendigen Ziele – Kon- solidierung und Schuldenabbau, nachhaltige Strukturre- Für mich ist hierbei sehr wichtig, dass weitere Aus- formen und Impulse für neues Wachstum – gleichzeitig zahlungen an erfolgreich umgesetzte Reformen geknüpft erreicht werden können. Das zur Abstimmung stehende werden. Deshalb ist es richtig, dass weiterhin regel- ESM-Programm erlaubt durch Anpassung der Haushalts- mäßige Programmüberprüfungen vorgesehen sind und ziele an die gegebenen Möglichkeiten Griechenlands die die Hilfskredite nur in Tranchen und unabhängig von Konzentration auf Strukturreformen und Wachstumsim- diesen Überprüfungen ausgezahlt werden. Denn nicht pulse. alle Reformen wurden unumkehrbar umgesetzt. Umfangreiche und effektive Strukturreformen sind Weiter ist unabdingbar, dass der Internationale Wäh- unausweichlich, um einen funktionierenden Sozialstaat rungsfonds, IWF, mit seiner besonderen Expertise, wie und eine Daseinsvorsorge für alle in Griechenland si- Schulden abgebaut und die Wettbewerbsfähigkeit der cherzustellen, um die öffentliche Verwaltung effektiver Länder durch Strukturreformen nachhaltig verbessert und transparenter zu machen und Korruption zu be- werden kann, weiter an Bord bleibt. kämpfen und den Kampf gegen Steuerhinterziehung Die griechische Regierung hat einen Wandel vollzo- – auch durch wirksame strafrechtliche Bestimmungen – gen. Von einer anfangs ablehnenden Zusammenarbeit ist zu stärken. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz man zwischenzeitlich zu konstruktiven Gesprächen ge- Europa ist die Bekämpfung von Steuerbetrug eine wich- kommen. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit eines dritten tige gemeinsame Aufgabe. Ich betone deshalb auch die Programms hängen zuallererst jedoch an der Reform- Bedeutung der weiteren Kooperation mit dem Internatio- bereitschaft der Griechen selbst. Mit der geänderten nalen Währungsfonds, IWF, der – mit und auch ohne Haltung der griechischen Regierung und der Umsetzung weitere finanzielle Beteiligung – bei der fachlich und so- der Reformen kann es Griechenland nun schaffen, die zial angemessenen Definition der Reformschritte mit- gesteckten Ziele zu erreichen. wirken soll. Wie ich schon in meiner Erklärung vom 17. Juli Die griechische Wirtschaft ist auf eine nachhaltige schrieb, galt für mich immer das Prinzip: Solidarität nur Wachstumsstrategie angewiesen, die durch ein umfang- 11508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) reiches EU-Investitionsprogramm angeschoben werden keit und Austerität zurückgehen. Die zukünftige Wirt- (C) muss. Für eine Wiederbelebung privater Investitionen in schaftspolitik der EU, die einen Schwerpunkt auf Griechenland ist es umso wichtiger, dass die Unsicher- gemeinsame Programme zur Bekämpfung von Jugendar- heit über den Verbleib der Hellenischen Republik im beitslosigkeit, auf stärkere europäische Kompetenzen Euro-Währungsraum vom Tisch ist. Ich bin auch davon sowie auf eine verbesserte Regulierung der Kapital- überzeugt, dass sich Ausstiegsszenarien Einzelner zu märkte legen muss, ist die entscheidende Voraussetzung Mitgliedern des derzeitigen Euro-Währungsraumes in für den Erfolg des heute vorliegenden ESM-Programms. Zukunft nicht wiederholen werden. Die Entscheidung zu einer gemeinsamen, nationale Inte- ressen ausgleichenden Wirtschafts- und Sozialpolitik der Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische EU ist auch notwendige Bedingung dafür, eine ökonomi- Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ- sche Spaltung Europas und die drohende wirtschaftliche kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Destabilisierung weiterer Europartner zu verhindern. Ich Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi- erwarte ausdrücklich, dass auch die Konservativen ihr schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu- leichtfertiges Kokettieren mit einem Kerneuropa ökono- tung für sämtliche Mitgliedstaaten des gemeinsamen mischer Stärke unterlassen. Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro – auch die Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Menschen in Griechenland und in Deutschland. Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen europaweite Kon- Mit großer Sorge verfolge ich die soziale Situation in flikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zuneh- Griechenland – die hohe Arbeitslosigkeit, die weit verbrei- mendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen. tete Armut und die unzureichende medizinische Versor- gung der Menschen. Die durch konstruktive Verhandlungen Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechen- der griechischen Regierung und der Finanzminister der an- land – es geht um ein Europa, welches basiert auf Freiheit deren Euro-Mitgliedstaaten zügig erreichten Vereinbarun- und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschen- gen sollen nun der dramatischen sozialen Lage abhelfen. rechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Europa insgesamt muss sich daran messen lassen, dass Eu- Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren ropäerinnen und Europäer nicht in sozialem Elend leben Nachbarn leben. müssen. Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Struk- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An turreformen soziale und ökonomische Erfordernisse ge- Tagen wie heute mit Entscheidungen wie diesen wird meinsam zu betrachten. Da soziale Gerechtigkeit maß- mir erneut bewusst, welche große Verantwortung wir als (B) geblich von öffentlicher Infrastruktur abhängt, appelliere Abgeordnete des Deutschen Bundestags tragen. Ich un- (D) ich nachdrücklich, im Rahmen der verabredeten Privati- terstelle den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, sierungsvorgaben die Handlungsfähigkeit der Helleni- dass sie sich ihre Entscheidung ähnlich schwer gemacht schen Republik im Bereich der Daseinsvorsorge nicht haben wie ich. In den vergangenen Tagen habe ich viel einseitig den kurzfristigen Erlöszielen unterzuordnen. gelesen, diskutiert, hinterfragt und gezweifelt. Am Ende Privatisierungsvorgaben dürfen nicht dazu führen, im In- steht mein Ja zum dritten Hilfspaket. Aber es ist ein „Ja, teresse privater Investoren die öffentliche Infrastruktur aber …“. unter Wert veräußern zu müssen. In Deutschland selbst Ja, wir brauchen eine starke Europäische Union. Die lassen sich dafür zahlreiche – letztlich beim einsichtsvol- Europäische Union bringt uns Frieden, das darf niemals len Rückkauf teure – Beispiele aufzählen. gering geschätzt werden. Und sie verschafft uns eine Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Krise und nicht gekannte Freizügigkeit und Wohlstand. Das geht die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Ver- nicht ohne Solidarität, ohne Anstrengungen, ohne unser schärfung der sozialen Situation in Griechenland insbe- aller Einsatz. Darum ist das Ja auch ein Ja für das grie- sondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen chische Volk, das sowohl unter den Konsequenzen der geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 Prozent, durch- vergangenen unfähigen und korrupten griechischen Re- schnittliche Rentensenkungen um 48 Prozent, drastische gierungen als auch unter den Fehlern, die in der Europäi- Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steige- schen Union gemacht wurden, leiden muss. rung der Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent, bei Jugendlichen Ja, es gibt ermutigende Zeichen in diesem Memoran- auf über 50 Prozent und die steigende Zahl der Suizide um dum of Understanding. Allen voran, dass die Korruption rund 35 Prozent sind Ausdruck dieser dramatischen Ent- und die Steuerhinterziehung bekämpft werden sollen. Es wicklung. ist gut, dass die Steuerprivilegien für die Reeder auslau- Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen aller fen werden. Und es ist sinnvoll, wenn eine soziale Euro-Partner begreife ich deshalb als Start für eine neue, Grundsicherung geschaffen werden soll, um damit das integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Problem der hohen Frühverrentnung anzugehen, oder EU insgesamt. wenn es Hilfen für Langzeitarbeitslose geben soll. Wenn nun tatsächlich eine effizientere Steuerverwaltung auf- Sie muss ausgerichtet sein auf die Reduzierung mak- gebaut werden könnte, wäre auch dies ein großer Schritt, roökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere der um der Schattenwirtschaft im Land entgegenzutreten Leistungsbilanzunterschiede, die auf die von Deutsch- und vor allem endlich die Reichen ihren Teil leisten zu land maßgeblich forcierte Politik der Wettbewerbsfähig- lassen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11509

(A) Ja, wir können die Folgen eines Grexits nicht abse- um einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss halte (C) hen. Aber ich glaube, dass ein Grexit für das griechische ich nicht nur für kontraproduktiv, sondern auch noch für Volk, dem vor allem meine Solidarität gilt, zunächst eine politisch unanständig. massive Verschlechterung bringen wird. Nur ein Bei- spiel: Schon jetzt ist die steigende Kindersterblichkeit Bei allem Für und Wider, das ich in dieser Erklärung ein Alarmsignal. Wie wäre dies, wenn die Preise für die nur ansatzweise andeuten kann, bleibt es schlussendlich zu importierenden Medikamente ins Unermessliche stei- bei meinem „Ja, aber …“. Es ist dies eine der schwie- gen? Ein Grexit hätte auch ein politisches Erdbeben in rigsten politischen Entscheidungen, die ich als Abgeord- der EU zur Folge. Was wäre dann in ein paar Jahren zum nete je zu treffen hatte. Und ich sehe meine Verantwor- Beispiel mit Italien? Wir können die Folgen derzeit nicht tung gegenüber den deutschen und den europäischen absehen, aber ich ahne, dass ein Grexit keine Alternative Bürgerinnen und Bürgern. Sie wiegt schwer. Ich hoffe, sein kann und sein darf. dass ich ihr in der Rückschau gerecht geworden bin. Aber: Ob dieses Hilfspaket tatsächlich uns dem Ziel Dr. Nina Scheer (SPD): Den Griechenland-Hilfen näher bringen wird, dass Griechenland wieder auf eige- stimme ich zu, da eine Ablehnung für Griechenland eine nen Beinen stehen kann, dahinter steht ein Fragezeichen. humanitäre Katastrophe zur Folge hätte und damit auch Wieder werden Schulden gemacht, um Altschulden zu für Europa dauerhaft schädlich wäre. Ich halte allerdings bezahlen. Dass dies langfristig nicht funktionieren kann, wesentliche Teile des Hilfsprogramms für verfehlt: dazu braucht es keine Wirtschaftsprofessoren. Ich bin Wenn einem notleidenden Staat durch Privatisierungs- mittlerweile der Überzeugung, dass es einen echten verpflichtungen Einnahmemöglichkeiten genommen Schuldenschnitt braucht, um Griechenland überhaupt werden, ist das kontraproduktiv. eine Chance auf Erholung der Wirtschaft und des Staats- haushaltes zu geben. So kurbeln wir nur immer weiter So halte ich etwa die Liberalisierung des Stromnetz- den Kreislauf aus Alt- und Neuschulden an. Dem Staat betreibers ADMIE, die als bevorzugte Variante im aber fehlen die notwendigen Gelder für Investitionen, Memorandum of Understanding hervorgehoben wird, auch Fördermilliarden aus der EU können so nicht abge- für falsch. Die zugleich als mögliche Alternative vor- rufen werden, da die Kofinanzierung nicht steht, nicht gesehene Eigentumsentflechtung zwischen Netz und stehen kann. Hinzu kommen Maßnahmen, denen ich Stromerzeugung, bei der die Stromnetze aber in öffentli- mehr als skeptisch gegenüberstehe. Die teilweise Erhö- cher Hand bleiben, ist unter den zeitlichen Vorgaben – in hung der Mehrwehrsteuer, vor allem auf den Inseln, wird diesem Fall der Privatisierung des Stromnetzes bis Okto- mehrheitlich eher die arme Bevölkerung treffen. Vor al- ber 2015 – nicht zu realisieren und somit für Griechen- lem aber der Tourismus, einer der wichtigsten noch (B) land kein reeller Handlungsspielraum. Mit dieser fakti- (D) funktionierenden Wirtschaftszweige, wird darunter lei- schen Privatisierungsvorgabe für das Stromnetz bleiben den. Das halte ich nicht für zielführend. wichtige Fragen außer Acht: Welche privaten Akteure werden bei welchen Renditevorgaben in das griechische Aber: Die griechische Regierung hat viel Vertrauen Stromnetz investieren, um es für die Zukunft fit zu ma- verspielt. Sicherlich hat nicht geholfen, dass manch chen? Ist Privatisierung mit Blick auf die Langfristigkeit schriller griechischer Ton ein nicht minder schrilles von Netzinvestitionen nicht die volkswirtschaftlich teu- deutsches Echo bekommen hat. Die Finanzminister Va- rere Option? roufakis und Schäuble hatten zuzeiten offenbar mehr In- teresse daran, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und mit Im Zuge des notwendigen Energiewendeumbaus des dem Finger aufeinander zu zeigen, als ernsthaft an Lö- Stromversorgungssystems haben sich in den letzten sungen zu arbeiten. Aber es bleibt ein völlig verständli- Jahren in Europa insbesondere die Übertragungsnetz- cher Unmut, dass hier Alex Tsipras zwischenzeitlich betreiber aus Dänemark (Energinet.dk), Irland (EirGrid), sehr hoch gepokert hat. Und auch wenn es ihm jetzt ge- Norwegen (Statnett), Niederlande (TenneT) und auch lungen ist, das griechische Parlament mehrheitlich hinter Schweden (Svenska Kraftnät) bezogen auf die jeweils sich und das dritte Hilfspaket zu bringen, machen mir inländischen Entwicklungen als starke und zugleich vor- die drohenden Neuwahlen Sorge. Was, wenn hier die ex- anschreitende Player erwiesen. Alle diese Netzbetreiber tremen linken und rechten politischen Kräfte noch mehr sind zu 100 Prozent im Staatsbesitz. an Zulauf bekommen? Mit wem sollen dann die konkre- ten Maßnahmen, die im Memorandum of Understanding Griechenland braucht neben dem Aufbau einer soli- stehen, umgesetzt werden? Das bereitet mir Sorge. den Verwaltungsstruktur Schuldenerleichterungen und Konjunkturprogramme. Andernfalls besteht die Gefahr, Aber: Man kann mit der Art und Weise, wie die Bun- dass Griechenland seine Schulden dauerhaft nicht tragen desregierung in die Verhandlung gegangen ist, nicht kann. Anders als die vorangegangenen Griechenland- zufrieden sein. Mein Ja ist deshalb ein eindeutiges Ja Hilfsprogramme enthält das jetzige Programm richtige für die europäische Idee, aber ein Nein gegen Bundes- Ansätze, etwa zum Aufbau einer Sozialversicherung. kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Zugleich dürfen zeitliche Vorgaben nicht bedeuten, dass Wolfgang Schäuble. Ohne Rücksprache mit dem Deut- entsprechende Maßnahmen nicht wahrgenommen wer- schen Bundestag wurde in den entscheidenden Verhand- den. lungen plötzlich der Grexit ins Spiel gebracht, offenbar von langer Hand vom Finanzministerium vorbereitet. Zur weiteren inhaltlichen Positionierung verweise ich Dieses nahezu erpresserische Verhalten in einem Ringen auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. 11510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

(A) Jana Schimke (CDU/CSU): Die Verhandlungen der ist: Der griechische Staat wird die Schulden nie zurück- (C) vergangenen Wochen mit der griechischen Regierung zahlen können. über weitere Hilfen der Euro-Länder waren nicht leicht. Deshalb möchte ich dem durch Bundeskanzlerin Angela Ich stimme zum dritten Rettungspaket wieder mit Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Nein. erzielten Verhandlungsergebnis meinen Respekt aus- Denn wie sollen die neuen Kredite in Höhe von bis zu sprechen. Die Vielzahl der vereinbarten Reformen zeigt 86 Milliarden Euro und neue Sparzwänge mit Hunderten auf, was die Grundlagen eines annähernd funktionieren- von Auflagen, die in mehr als 30 Seiten des Memoran- den Staates sind. dums aufgelistet sind, nun Rettung bringen? Die bisher aufgezwungene restriktive Sparpolitik wird in keinem Bereits bei der vergangenen Abstimmung über die Punkt korrigiert. Ganz im Gegenteil: Kleinere Verbesse- Erteilung eines Verhandlungsmandates hatte ich große rungen durch die neue Regierung werden nun „korri- Bedenken. So galt es, den herben Vertrauensverlust zwi- giert“. Die Kredite zusätzlicher Finanzhilfe für Grie- schen der griechischen Regierung und den Euro-Ländern chenland aus dem ESM werden die wirtschaftliche und wiederherzustellen. In der Hoffnung, dass dies gelingt, soziale Lage im Land nicht verbessern. Denn sie dürfen hatte ich einem Verhandlungsmandat zugestimmt. Doch ausschließlich für die Bedienung der bisherigen Schul- trotz der positiven Verhandlungsergebnisse hat sich mei- den und die Sanierung der Banken eingesetzt werden. So ner Ansicht nach bis heute nichts an der bisherigen Lage sind von der ersten Tranche von 26 Milliarden Euro geändert, und die politische Lage Griechenlands ist noch 16 Milliarden für Rückzahlungen und 10 Milliarden für instabiler geworden. So ist die aktuelle griechische Re- Rekapitalisierung und Abwicklung von Banken vorgese- gierung im Begriff, sich zu spalten und aufzulösen. Wei- hen, insgesamt können es bis zu 25 Milliarden sein. Von terhin ist davon auszugehen, dass es noch in diesem Jahr der Gesamtsumme der Kredite bis zu 86 Milliarden ge- zu Neuwahlen in Griechenland kommt, deren Ausgang hen 54,1 Milliarden in den Schuldendienst, 7 Milliarden ungewiss ist. in den Abbau von Zahlungsrückständen und 7,6 Milliar- den in den Aufbau von Reserven. Der Rest reicht nicht Niemand kann derzeit sagen, ob die heute beschlosse- mal für die Gebühren und Zinsen der neuen Kredite. Die nen Reformen auch nach den Wahlen tatsächlich umge- Gesamtschuldenlast aber wird erheblich höher. setzt werden. Den politischen Willensbekundungen fehlt es nach wie vor an messbaren Ergebnissen und einer Im Memorandum sind zwar hehre Ziele für die Regie- Schuldentragfähigkeit. Deshalb untersagt der Internatio- rung formuliert, wie die „Notwendigkeit sozialer Gerech- nale Währungsfonds, IWF, auch weiterhin seine Beteili- tigkeit und Fairness innerhalb der und zwischen den Gene- gung an den Hilfen, welche für eine aussichtsreiche rationen“, sowie die „Schaffung von 50 000 Arbeitsplätzen (B) Unterstützungspolitik jedoch unabdingbar sind. für Langzeitarbeitslose“, aber die ESM-Finanzhilfen dür- (D) fen dafür nicht eingesetzt werden. 50 000 Arbeitsplätze Weiterhin fehlt es an einer glaubwürdigen Strategie sollen es kurzfristig sein, gar Arbeitsbeschaffungsmaß- und der Bereitschaft, den Umgang mit Schuldenländern nahmen für 150 000 Arbeitslose bis März 2016. Nur, da- in der Europäischen Währungsunion zu regeln. Dabei ist für und für die ebenfalls im Memorandum angekündigte es an der Zeit, die Konstruktionsfehler der Währungs- Einführung garantierter Mindesteinkommen sowie den union einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle – auch un- klare Regeln für den Umgang mit Schuldenländern zu versicherte Personen – sind die Gelder aus den Krediten entwickeln. nicht da, auch nicht für die Verbesserung der katastro- phalen Lage der Flüchtlinge im Land. Die neuen Kredite Europa bleibt nur dann stark, wenn jedes Mitglieds- helfen nur den „Institutionen“, also den Gläubigern, und land die Verantwortung für sein eigenes Handeln über- das auch nur, solange das neue Geld reicht. Sie helfen nimmt und wir nicht auf eine Schuldenunion zusteuern. nicht bei der Finanzierung der dringend notwendigen In- Dies würde dazu führen, dass die Menschen und damit vestitionen in Griechenland. auch die Steuerzahler den Glauben an das europäische Projekt verlieren. Immer neue Kredite und Schulden sind der verhäng- nisvoll falsche Weg, wie spätestens nach dem Scheitern Unter diesen Umständen ein neues Hilfsprogramm zu der bisherigen Rettungsschirme deutlich geworden ist. starten, kann ich nicht verantworten und werde deshalb Ein deutlicher Schuldenschnitt und ein mehrjähriges mit Nein stimmen. Moratorium bei der Bedienung der Restschulden, ver- bunden mit einem gezielten Investitionsprogramm für Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wirtschaft, Infrastruktur und die sozialen Sicherungssys- NEN): Das ist heute das dritte „Rettungspaket“ für Grie- teme für Griechenland, sind unverzichtbar. Sie sind auch chenland. Die beiden ersten sind kläglich gescheitert. Sie vertretbar, schließlich hat Deutschland circa 100 Milliar- haben den wirtschaftlichen Aufschwung nicht gebracht. den Euro an den niedrigen Zinsen für die eigenen Schul- Die soziale Situation im Land und die Wirtschaftslage den seit der Griechenland-Krise gespart, Das wäre der sind nicht besser als vorher, sondern dramatisch schlech- richtige Weg – humaner und solidarischer. Deshalb ter geworden, zum Verzweifeln. Die Sparzwänge hatten stimme ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zu. verheerende Folgen. Und die Schulden sind enorm ge- wachsen auf weit über 300 Milliarden Euro. Die Wahr- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen heit, die in der deutschen Regierung keiner hören will, namentlichen Abstimmung zum Antrag des Bundes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11511

(A) ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten fen gegen Reformen einstimmig in der Euro-Gruppe (C) Griechenlands“ werde ich nach reiflicher Überlegung durchzusetzen. Dies findet sich auch in der Erklärung zustimmen. der Euro-Gruppe vom 14. August 2015 wieder. Dabei wird das Reformprogramm nach wie vor von der Euro- Zur Abstimmung steht ein hartes und ambitioniertes päischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, Reformpaket mit einem strengen Kontrollmechanismus. dem ESM und dem IWF beaufsichtigt und kontrolliert. Damit ist das grundlegende Prinzip – Hilfe nur gegen Reformen – eingehalten. Die Auszahlung erfolgt – so Damit gibt es keine Sonderbehandlung für Griechen- wie in der letzten Stimmerklärung von mir gefordert – land, sondern Griechenland wird wie alle vorherigen erneut nur in einzelnen Tranchen und nur dann, wenn Programmländer behandelt. Griechenland die geforderten Reformvorhaben erfolg- 2. Mit der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. Au- reich umsetzt. gust 2015 ist ein detailliertes Reformprogramm erarbei- Griechenland hat sich stark bewegt und bereits wich- tet worden. Dieses Programm hat zum Ziel, den maroden tige Reformen beschlossen. Nun kommen weitere harte Bankensektor zu reformieren, die Staatseinnahmen zu Einschnitte auf das Land zu: Die Strukturreformen, die erhöhen, Ausgaben zu senken, die Wettbewerbsfähigkeit die Vorgängerregierungen immer wieder versprochen, der griechischen Wirtschaft zu steigern und eine effi- aber nicht umgesetzt haben, sollen nun endlich durchge- ziente Staatsverwaltung aufzubauen. Damit haben wir führt werden, etwa die Abschaffung von Frührenten, eine realistische Aufgabenbeschreibung für die griechi- Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder Privatisierungen. sche Regierung und gleichzeitig eine sehr engmaschige, Zudem soll der Kampf gegen Korruption und Steuerhin- permanente Kontrolle in den nächsten drei Jahren. terziehung verschärft werden. 3. Seit dem 15. Juli 2015 hat das griechische Parla- Die griechische Regierung hat einen weiten Weg zu- ment mit großer Mehrheit alle wesentlichen vereinbarten rückgelegt und – ausgehend von der Ablehnung jegli- Maßnahmenpakete verabschiedet, die als Vorbedingung cher Zusammenarbeit – endlich erkannt, dass es den für ein drittes Hilfspaket gefordert waren. Mit der erfolg- Euro nicht zum Nulltarif gibt, sondern nur, wenn man reichen Abstimmung im Parlament hat die griechische die gemeinsamen Regeln innerhalb der Euro-Gruppe Regierung das innenpolitische Mandat für den entspre- einhält. Dies liegt nicht zuletzt an der harten Verhand- chenden Reformkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert lungslinie unseres Finanzministers Dr. Wolfgang ist dabei, dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die Schäuble und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Maßnahmen ausgesprochen hat. Damit scheint die grie- Entscheidend für mich war ebenso, dass die EU auch chische Regierung sich endlich zum Prinzip der Konditi- bei einer Staatspleite Griechenlands zahlen müsste, und onalität zu bekennen. Dies muss ich anerkennen. (B) zwar in Form von humanitären Hilfen, die nicht in Form (D) von Krediten, sondern direkt fließen würden. Allerdings Selbstverständlich bleiben nach wie vor Zweifel über hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung den eingeschlagenen Weg. Das Vertrauen, das die grie- an die Verabschiedung von Reformvorhaben zu knüpfen. chische Regierung in den letzten Monaten zerstört hat, Hilfe darf es aber nur gegen Reformen in Griechenland lässt sich nicht ohne Weiteres durch einige Beschlüsse geben. oder Absichtsbekundungen in wenigen Wochen wieder aufbauen. Nun sind Taten gefordert. Es kommt jetzt darauf an, dass Griechenland auf die- sem Weg bleibt und weiterhin liefert. Das wird von den Zweifel bleiben auch über die zukünftige Rolle des Institutionen in engen Zeitabständen überprüft, und die IWF. Für mich ist klar, das es keinen Schuldenschnitt für Auszahlung der einzelnen Tranchen erfolgt nur dann, ein Land innerhalb der Euro-Zone geben kann und dass wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben gleichzeitig der IWF weiterhin als Kreditgeber im Boot weiterhin erfolgreich umsetzt. bleiben muss. Aus heutiger Sicht ist nicht klar, wie ein Engagement des IWF aussehen wird und unter welchen Vor diesem Hintergrund habe ich heute dem Hilfspro- Bedingungen es erfolgen kann. Dies erfüllt mich mit gramm zugestimmt. großer Sorge.

Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- Dennoch bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über ein drittes diese letzte Chance der griechischen Regierung zu ge- Hilfspaket für Griechenland entscheiden. Im Vorfeld ben. Durch die harten Verhandlungen der deutschen dieser Abstimmung hat der Deutsche Bundestag der Bundesregierung ist es gelungen, dass die von uns im- Bundesregierung mit seinem Votum vom 17. Juli 2015 mer geforderte Konditionalität, das heißt europäische das Mandat erteilt, mit Griechenland über Finanzhilfen Hilfe gegen Reformen, durchgesetzt wurde. Es wäre aus in Verhandlungen zu treten. deutscher Sicht unverantwortlich, wenn wir nun trotz unseres Verhandlungserfolgs Griechenland nicht helfen Folgende Punkte sind anzumerken: würden, obwohl alle wesentlichen Bedingungen 1. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli Deutschlands vonseiten Griechenlands akzeptiert wor- 2015 ist es gelungen, die Konditionalität von Kredithil- den sind. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980