Naturschutz und Biologische Vielfalt 59

Artensteckbriefe von See- und Wasservögeln der deutschen Nord- und Ostsee Verbreitung, Ökologie und Empfindlichkeiten gegenüber Eingriffen in ihren marinen Lebensraum

Bettina Mendel, Nicole Sonntag, Johannes Wahl, Philipp Schwemmer, Henriette Dries, Nils Guse, Sabine Müller und Stefan Garthe Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 59

Artensteckbriefe von See- und Wasser- vögeln der deutschen Nord- und Ostsee Verbreitung, Ökologie und Empfindlichkeiten gegenüber Eingriffen in ihren marinen Lebensraum

Bettina Mendel Nicole Sonntag Johannes Wahl Philipp Schwemmer Henriette Dries Nils Guse Sabine Müller Stefan Garthe

Bundesamt für Naturschutz Bonn - Bad Godesberg 2008 Titelgrafik: N. Sonntag Titelbilder: Sterntaucher (J. O. Kriegs), Silbermöwe (N. Sonntag), Basstölpel (N. Sonntag), Eissturmvogel (S. Garthe), Komposition (N. Sonntag), Trottellumme (S. Garthe), Eisente (B. Mendel), Küstenseeschwalbe (S. Garthe), Kormoran (N. Sonntag), Erfassungsmethoden (N. Sonntag).

Adressen der Autorinnen und Autoren: Bettina Mendel E-Mail: [email protected] Forschungs- und Technologiezentrum Nicole Sonntag [email protected] Westküste Dr. Philipp Schwemmer [email protected] Hafentörn 1 Henriette Dries [email protected] 25761 Büsum Nils Guse [email protected] Sabine Müller [email protected] PD Dr. Stefan Garthe [email protected] Johannes Wahl E-Mail: [email protected] Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e. V. Steinfurter Str. 55 48149 Münster Fachbetreuung im BfN: Dr. Ingo Narberhaus, Dr. Jochen Krause und Kathrin Heinicke, Fachgebiet I 3.2 "Meeres- und Küstennaturschutz", Bundesamt für Naturschutz, Außenstelle Insel Diese Veröffentlichung wird aufgenommen in die Literaturdatenbank DNL-online (www.dnl-online.de). Herausgeber : Bundesamt für Naturschutz (BfN) Konstantinstr. 110, 53179 Bonn URL: www.bfn.de Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständigkeit der Anga- ben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten und Meinun- gen müssen nicht mit denen des Herausgebers übereinstimmen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Nachdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung des BfN Druck: LV-Druck GmbH & Co. KG, Münster Bezug über: BfN-Schriftenvertrieb im Landwirtschaftsverlag oder im Internet: 48084 Münster www.lv-h.de/bfn Tel.: 02501/801-300, Fax: 02501/801-351 Preis: 30,-- €

ISBN 978-3-7843-3959-7 Gedruckt auf FSC-Papier

Bonn - Bad Godesberg 2008 Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 5 I Einleitung ...... 7 II Grundlagen zu den Artensteckbriefen...... 9 III Artensteckbriefe ...... 35 1 Bergente (Aythya marila)...... 37 2 Eiderente (Somateria mollissima)...... 51 3 Eisente (Clangula hyemalis)...... 70 4 Trauerente (Melanitta nigra) ...... 82 5 Samtente (Melanitta fusca)...... 97 6 Mittelsäger (Mergus serrator) ...... 110 7 Haubentaucher (Podiceps cristatus) ...... 123 8 Rothalstaucher (Podiceps grisegena) ...... 137 9 Ohrentaucher (Podiceps auritus) ...... 149 10 Sterntaucher (Gavia stellata)...... 161 11 Prachttaucher (Gavia arctica)...... 174 12 Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) ...... 186 13 Basstlpel (Sula bassana)...... 197 14 Kormoran (Phalacrocorax carbo) ...... 209 15 Tordalk (Alca torda) ...... 228 16 Trottellumme (Uria aalge) ...... 240 17 Gryllteiste (Cepphus grylle)...... 254 18 Dreizehenmwe (Rissa tridactyla) ...... 265 19 Zwergmwe (Hydrocoloeus minutus)...... 276 20 Lachmwe (Larus ridibundus) ...... 287 21 Sturmmwe (Larus canus)...... 304 22 Mantelmwe (Larus marinus) ...... 320 23 Silbermwe (Larus argentatus) ...... 333 24 Heringsmwe (Larus fuscus) ...... 350 25 Brandseeschwalbe (Sterna sandvicensis) ...... 364 26 Flussseeschwalbe (Sterna hirundo) ...... 376 27 Kstenseeschwalbe (Sterna paradisaea) ...... 388 IV Literaturverzeichnis ...... 400 V Abkrzungsverzeichnis und Glossar ...... 435

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Vorwort

Im Jahr 2004 meldete die Bundesrepublik Deutschland zehn marine Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (12-200 Seemeilen-Zone) als Beitrag zum Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 an die Europäische Kommission. Im Jahr 2005 wurden hiervon die beiden Vogelschutzgebiete „Östliche Deutsche Bucht“ in der Nordsee und „Pommersche Bucht“ in der Ostsee als Naturschutzgebiete national unter Schutz gestellt. Diese insgesamt ber 5.000 km2 großen Flächen sind die geeignetsten Gebiete zum Schutz von ber 25 rastenden, berwinternden und mausernden Seevogelarten in der deutschen Nord- und Ostsee. Die allgemeinen Schutzziele wurden bereits im Jahr 2005 grundsätzlich in den jeweiligen Verordnungen der Naturschutzgebiete festgelegt. Fr auf die jeweiligen Seevogelarten bezogene Schutzmaßnahmen im Rahmen der zu entwickelnden Managementpläne ist jedoch eine genaue Kenntnis der biologischen Charakteristika der einzelnen Arten eine essentielle Voraussetzung. Deshalb wird mit dem vorliegenden Werk das aktuelle Fachwissen im Bereich der Seevogelbiologie und -kologie zu den in den Gebieten bedeutsamen Arten als fachliche Grundlage fr Managementpläne fr marine europäische Vogelschutzgebiete zusammengefasst. Aufbauend auf den morphologischen, verhaltensbiologischen und ernährungskologischen Eigenschaften der Arten werden zum ersten Mal fr die Seevgel des offenen Meeres die konkreten Empfindlichkeiten gegenber spezifischen menschlichen Aktivitäten herausgearbeitet. Die Artensteckbriefe bilden ferner die fachliche Basis fr die Bewertung von Eingriffen in Lebensräume von Seevgeln im Meer und damit auch fr Entscheidungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren in marinen Vogelschutzgebieten. Unser Dank gilt den ausgewiesenen Experten, die diese Leistung, die zu einem nicht unerheblichen Teil auf eigenen Forschungsergebnissen beruht, erbracht haben, und den vielen Feldornithologen, die mit ihren Bestandserfassungen und wissenschaftlichen Untersuchungen eine wesentliche Grundlage fr die Erfllung der nationalen und internationalen Aufgaben zum Schutz der Seevgel geliefert haben.

Prof. Dr. Beate Jessel Präsidentin des Bundesamtes fr Naturschutz

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I Einleitung

Seit vielen Jahrzehnten werden durch eine große Zahl ehrenamtlicher und hauptberuf- licher Ornithologen Informationen ber die heimische Vogelwelt gesammelt. Diese Vielzahl von Daten und Erkenntnissen ist in unterschiedlichsten Quellen zu finden und wurde zuletzt beispielsweise im "Kompendium der Vgel Mitteleuropas" (BAUER et al. 2005) zusammengestellt. Im Vergleich zu vielen Landvgeln Mitteleuropas ist aller- dings die Kenntnis ber Meeresvgel nach wie vor geringer. Dies gilt vor allem fr ihre Lebensweise auf dem offenen Meer. In den letzten Jahren haben anthropogene Aktivitä- ten im Meer deutlich zugenommen, insbesondere in kstenfernen Meeresgebieten von Nord- und Ostsee wird die Nutzung derzeit intensiviert. Beispiele sind der großflächige Abbau von Sand und Kies, Öl- und Gasexploration, der zunehmende Schiffsverkehr und die geplanten Offshore-Windenergieanlagen. Das Gefährdungspotenzial fr Seevgel nimmt durch diese vielfältigen Nutzungen beträchtlich zu, vor allem durch den daraus resultierenden Verlust von bisher wenig gestrten Lebensräumen.

In der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone der Nord- und Ostsee (12- 200 Seemeilen-Zone) wurde im Jahr 2005 je ein EU-Vogelschutzgebiet zum Schutz der meisten in diesem Buch behandelten Arten als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Die Ein- schätzung der Auswirkungen der bestehenden und der neuen Nutzungsformen auf die Seevgel selbst und die von ihnen bentigten Habitate sowie wirkungsvolle Schutzmaß- nahmen knnen aber nur gelingen, wenn gengend Vorkenntnisse vorhanden sind. Deshalb ist es das Ziel der hier vorgelegten Artensteckbriefe, die wichtigsten Aspekte der gegenwärtigen Kenntnisse zur Biologie und Ökologie der in den Offshore-Bereichen der deutschen Nord- und Ostsee vorkommenden See- und Wasservogelarten zusammen- zutragen. Dies beinhaltet die grundlegenden aktuellen Informationen zur Habitatwahl, Ernährung, Verbreitung und zu den Bestandsgrßen sowie deren Trends in den Über- winterungs- und Brutgebieten. Hierbei muss aber auch betont werden, dass keine voll- ständige Darstellung aller verfgbaren Informationen mglich ist. Zusätzlich wird eine umfassende Einschätzung der bekannten und anzunehmenden Auswirkungen gegenwär- tiger menschlicher Aktivitäten im Meer auf die behandelten Arten gegeben. Viele der hier verarbeiteten Daten und Erkenntnisse wurden erst in jngster Zeit gewonnen und werden hier zum ersten Mal publiziert. Das grundlegende Vorgehen bei der Erstellung der Artensteckbriefe ist im nachfolgen- den Kapitel II erläutert. Darauf folgen im Kapitel III die Artensteckbriefe der 27 ausge- wählten Arten. Dabei handelt es sich um fast alle regelmäßig in den kstenfernen Berei- chen der deutschen Nord- und Ostsee vorkommende Arten. Weitere Arten, die in deutschen Meeresgebieten nur vereinzelt oder in Randgebieten vorkommen, wie z.B.

7 einige Sturmvogel-, Raubmwen-, Mwen- und Alkenarten, werden in diesem Buch nicht betrachtet. Auf Basis dieses Werkes sollte es nun mglich sein, die realen und potentiellen Gefähr- dungen von Seevgeln durch menschliche Aktivitäten im Meer besser einzuschätzen. Es ist somit eine wichtige Grundlage fr die Ableitung von artspezifischen Schutzzielen, die Entwicklung von Managementplänen und die Beurteilung der Auswirkungen anthropogener Eingriffe in zuknftigen Genehmigungsverfahren auf dem offenen Meer.

Danksagung Das Bundesamt fr Naturschutz gab die Anregung zu dieser Zusammenstellung und finanzierte das Projekt. Ingo Narberhaus, Jochen Krause und Kathrin Heinicke unter- sttzten die Autoren durch umfangreiche Verbesserungsvorschläge in inhaltlicher und konzeptioneller Hinsicht. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten und viele Fachkol- legen untersttzten die Autoren durch Datenzusammenstellungen, Informationen und Beratung.

8 II Grundlagen zu den Artensteckbriefen In diesem Kapitel werden die Angaben in den einzelnen Artensteckbriefen erläutert und dargestellt, wie bei der Zusammenstellung methodisch vorgegangen und Literatur recherchiert wurde und wie neue Daten berechnet oder zusammengestellt wurden. Die Nummerierung innerhalb dieses Grundlagenkapitels entspricht derjenigen in den einzelnen Seevogelsteckbriefen und enthält alle ntigen Informationen zur Auswahl des Inhalts, zu den verwendeten Referenzen sowie Informationen zum Verständnis der Kapitel. Das im Folgenden verwendete X steht als Platzhalter fr die durchlaufende Nummerierung der einzelnen Artensteckbriefe.

Allgemeine Hinweise zu verwendeten Quellen und Zitaten Zur besseren Lesbarkeit wurden die Informationen, die aus den gängigen Standard- werken, Handbchern und Kompendien stammen, nicht in jedem Text mit dem entsprechenden Literaturzitat gekennzeichnet, sondern nur im jeweiligen Kapitel dieses Grundlagenkapitels aufgefhrt. Die fr verschiedene Teilaspekte zu Grunde liegende Literatur ist diesen Standardwerken zu entnehmen. Bei einigen Buchverf- fentlichungen, vor allem Lokalavifaunen und Referenzwerken, wurden der Praktikabi- lität wegen in den meisten Fällen nur die Herausgeber des Gesamtwerkes genannt. Alle anderen Quellen sind in der blichen Form zitiert.

Aufbau und Inhalt der einzelnen Kapitel X. Art Die deutschen und wissenschaftlichen Artbezeichnungen sowie die Reihenfolge der Artbearbeitungen folgen BAUER et al. (2005). Die englischen, niederländischen, dänischen, schwedischen und polnischen Namen wurden ebenfalls BAUER et al. (2005) entnommen.

X.1 EU-Code Der artspezifische Code entspricht der "Richtlinie des Rates vom 2. April 1979 ber die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG)" (Vogelschutzrichtlinie - VS-RL).

9 X.2 Systematik Angegeben wird hier die taxonomische Einteilung der Arten in die jeweilige Ordnung und Familie nach BAUER et al. (2005).

X.3 Kennzeichen

Die arttypischen Kennzeichen wurden nach den Beschreibungen von SVENSSON et al. (1999), JONSSON (1992) und BEAMAN & MADGE (1998), BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966, 1968, 1969), GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER (1982) sowie BWPI (2004) zusammengestellt und durch eigene Beobachtungen der Autoren ergänzt. Der Fokus dieser Zusammenstellung liegt auf den Merkmalen, die fr eine Bestim- mung auf See vom Schiff bzw. Flugzeug aus relevant sind. Mwen wurden hinsichtlich ihrer Jugendkleider wie folgt eingeteilt: Zweijahres-Mwe: meist kleinere Arten (z.B. Lachmwen), die im zweiten Ka- lenderjahr (etwas älter als ein Jahr) adult werden. Die meiste Zeit des Jahres treten zwei Altersstufen auf: Einjährige und Adulte. Dreijahres-Mwe: mittelgroße Mwen, (z.B. Sturm-, Zwerg- und Dreizehen- mwen), die im dritten Kalenderjahr (etwas älter als zwei Jahre) adult werden. Die meiste Zeit des Jahres treten drei Altersstufen auf: Einjährige, Zweijährige und Adulte. Vierjahres-Mwe: alle Großmwen, (z.B. Silbermwen), die im vierten Kalen- derjahr (etwas älter als drei Jahre) adult werden. Die meiste Zeit des Jahres tre- ten vier Altersstufen auf: Einjährige, Zweijährige, Dreijährige und Adulte (Er- klärung nach SVENSSON et al. 1999).

X.4 Verbreitung und Bestand X.4.1 Welt / Europa Verbreitung: Die Beschreibung der weltweiten und insbesondere der europäischen Verbreitung beruht in erster Linie auf der Zusammenstellung von BAUER et al. (2005), wurde jedoch durch Angaben und zusätzliche Informationen von BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966, 1968, 1969), GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER (1982) sowie aus BWPI (2004) ergänzt. Informationen, die nicht aus diesen Werken stammen, wurden mit Literaturverweisen versehen.

10 Unterarten: Die Einteilung der Unterarten wurde BAUER et al. (2005) entnommen. Wenn in weiteren gängigen, z.T. neueren Literaturquellen eine andere Unterteilung der Unterarten aufgefhrt war, wurde sie benannt und entsprechend zitiert.

Weltbestand: Der aktuelle Weltbestand wurde durch Summierung der in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) angegebenen Bestandszahlen fr jede biogeografische Population einer Art ermittelt. Da in einigen Fällen fr die Populationen nur Angaben in Grßenklassen vorliegen (s.u.), konnte der Weltbestand in diesen Fällen nur als grober Schätzwert angegeben werden. Europäischer Brutbestand: Die Angaben zu den Brutbestandsgrßen der Arten in Europa unter Bercksichtigung des europäischen Teils von Russlands wurden BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) entnommen. Eine Unterscheidung nach Unterarten oder biogeografischen Populationen geht aus diesem Werk allerdings nicht hervor.

Tabelle zu Verbreitungs- und Bestandsangaben Die Angaben zur Verbreitung der in Europa vorkommenden biogeografischen Populationen wurden auf Grundlage von WETLANDS INTERNATIONAL (2006) erstellt, wrtlich bersetzt und tabellarisch dargestellt. Auf die Auflistung von biogeografischen Populationen, die in Europa weder brten, rasten oder berwintern, wurde an dieser Stelle verzichtet. Eine Ausnahme bilden die Angaben zu Eissturmvogel, Basstlpel, Trottellumme, Tordalk und Gryllteiste, da fr sie in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) keine Informationen vorliegen. Es wurden daher Angaben aus MITCHELL et al. (2004) bzw. fr die drei Alkenarten aus KUBE et al. (2005a) herangezogen. 1. Spalte Art / Unterart: Aus dieser Spalte wird ersichtlich, ob sich die in der Tabelle zusammengetragenen Informationen auf die gesamte Art oder auf eine Unterart beziehen. Es knnen z.B. mehrere biogeografische Populationen innerhalb einer Art, aber auch innerhalb einer Unterart unterschieden werden. 2. Spalte Biogeografische Population: Unter einer biogeografischen Population werden die Individuen einer Art verstanden, deren Zugbewegungen zwischen Brut- und Überwinterungsgebieten sich zum berwiegenden Teil innerhalb eines bestimmten Raumes abspielen und sich dadurch gegenber einer anderen Gruppe von Individuen derselben Art im Sinne ihres internationalen Schutzes abgrenzen lassen. Hierbei handelt es sich um keine rein biologische Definition, sondern auch um praktikable Einheiten fr den internationalen Wasservogelschutz. Wenn in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) oder anderen

11 Quellen (z.B. MITCHELL et al. 2004) keine Unterteilung der Art oder Unterart in biogeografische Populationen vorgenommen wurden, wurde die entsprechende Art oder Unterart als eine solche biogeografische Unterart aufgefasst und entsprechend in der Tabelle aufgefhrt. Die Angabe in der Spalte „Biogeografische Population“ gibt zudem an, ob die Populationen aufgrund ihres Brutverbreitungsgebietes („Brutzeit“) oder aufgrund ihres Verbreitungsgebietes außerhalb der Brutzeit („außerhalb Brut- zeit“) zusammengefasst bzw. definiert wurden. 3. und 4. Spalte Brutverbreitung und Winterverbreitung: Die Angaben zu den Gebieten und Ländern wurden aus WETLANDS INTERNATIONAL (2006) bernommen. Falls dort keine Angaben zur Winterverbreitung gemacht wurden, wurde dies hier mit „k.A.“ gekennzeichnet. 5. Spalte Bestand: Der Bestand gibt die Anzahl aller Individuen einer jeden biogeografischen Population an und wurde WETLANDS INTERNATIONAL (2006) entnommen. Dies schließt auch immature Vgel ein. Die Bestandszahlen von Eissturmvogel, Basstlpel, Trottellum- me, Tordalk und Gryllteiste, die MITCHELL et al. (2004) entnommen wurden (s.o.), beziehen sich nur auf brtende Altvgel und schließen demnach keine immaturen oder nichtbrtenden Vgel ein. Diese Information wird in den entsprechenden Fällen in der Tabellenberschrift gegeben. Fr einige biogeografische Populationen gibt WETLANDS INTERNATIONAL (2006) nur Grßenklassen fr den Bestand an, genauere Informatio- nen zu den Bestandsangaben sind dort erläutert. 6. Spalte Trend: Falls keine Angaben zum Trend vorliegen, wurde dies mit „k.A.“ gekennzeichnet. In seltenen Fällen gibt WETLANDS INTERNATIONAL (2006) ein „?“ an, das hier ebenso bernommen wurde. 7. Spalte 1 %-Kriterium: Anzahl von Individuen, die 1 % der biogeografischen Population entsprechen. Dieser Wert kann vom rechnerischen Wert abweichen, wenn der Bestand einer biogeografi- schen Population > 2 Mio. Individuen ist. Das 1 %-Kriterium beträgt dann grundsätz- lich 20.000 Individuen. Das geschieht in Anlehnung an Kriterium 5 der Ramsar- Konvention, wonach ein Gebiet auch dann von internationaler Bedeutung ist, wenn es regelmäßig mind. 20.000 Individuen beherbergt. Bei biogeografischen Populationen, deren Bestand in einer Grßenklasse angegeben ist, wurde kein 1 %-Kriterium festgelegt. Alle Angaben zu den 1 %-Kriterien wurden WETLANDS INTERNATIONAL (2006) entnommen.

12 X.4.2 Deutschland Hier finden sich Informationen zum Status der jeweiligen Art in Deutschland, d.h. ob eine Vogelart z.B. Brut- oder Rastvogel in Deutschland ist. Außerdem werden die in Deutschland vorkommenden Vgel einer Art den biogeografischen Populationen zugeordnet. Der in diesem Kapitel genannte Brutbestand fr ganz Deutschland wurde aus der jeweils aktuellsten oder vollständigsten Quelle bernommen und jeweils entsprechend gekennzeichnet. Der Mittwinter-Rastbestand fr Deutschland wurde aus der Summe der Zählungen im Binnenland (DDA unverffentl., s. unten) und den Bestandsdaten fr Nord- und Ostsee (s. unten) gebildet.

Abbildung: Verbreitungskarte Nordsee und Ostsee Die Daten der Seabirds-at-Sea-Erfassungen auf Nord- und Ostsee wurden auf Rasterbasis 6´Breite x 10´Länge ausgewertet und dargestellt. Die Rastergrße ist somit in Abhängigkeit von der geografischen Länge und Breite ca. 120 km² groß. Alle Verbreitungskarten basieren auf Dichtewerten, die sich aus der Summe der Individuen pro kartierter Fläche errechnen. In verschiedenen Seegebieten wurde ein unterschiedli- cher Kartieraufwand betrieben. Durch die Berechnung der Dichte geben die Daten daher aufwandsbereinigte Mittelwerte innerhalb eines Rasters wieder. Die Darstellung erfolgt gemeinsam fr Nord- und Ostsee. Mit Ausnahme der Stern- und Prachttaucher auf der Nordsee wurden fr alle Arten Daten auf Basis von Schiffstransektzählungen abgebildet. Die Daten aus der Nordsee stammen aus den Jahren 1990-2006, die Daten aus der Ostsee aus den Jahren 2000- 2006 (Schiff-Datenbank Version 5.07). Fr schwimmende Vgel wurde ein artspezifi- scher Korrekturfaktor verwendet (GARTHE et al. 2007a), da diese Vgel besonders in dem äußeren Bereich des Transektes oder bei hohen Individuendichten mglicherwei- se nicht vollständig erfasst wurden. Fliegende Vgel wurden anhand der standardisier- ten „Schnappschuss-Methode“ erfasst (TASKER et al. 1984). Hierbei werden fliegende Vgel nur fr die Dichteberechnung herangezogen, wenn diese zu jeder vollen Minute ber die kartierte Transektfläche fliegen. Diese Konvention ist notwendig, da sich fliegende Individuen gegenber dem Schiff schneller bewegen. Dies wrde zu einer Überschätzung der Dichtewerte fhren. Die Daten fr Seetaucher auf der Nordsee stammen von Flugzeugtransektzählungen in den Jahren 2002-2006 (Flugzeug-Datenbank Version 5.07). Fr Stern- und Prachttau- cher wurden auch unbestimmte Seetaucher in die Auswertungen einbezogen. Dabei

13 wurde die Anzahl unbestimmter Seetaucher mit dem prozentualen Anteil der artbe- stimmten Sterntaucher (92 %) und Prachttaucher (8 %) multipliziert. Da Vgel aus dem Flugzeug bei bewegter See nur schwer zu entdecken sind, wurden aus den Flugzeugdaten nur die Daten ausgewertet, die bei einem Seegang (Seastate) von 0 bis einschließlich 4 erfasst wurden. Die Einteilung des Seastate erfolgt nach einer in GARTHE et al. (2002) beschriebenen 8 stufigen Skala. 0 steht hierbei fr eine spiegel- glatte Meeresoberfläche und 7 fr aufgetrmte, sich brechende Wellen, die sich in Windrichtung in Streifen anordnen. Fr Arten, die die deutschen Meeresgebiete vor allem oder ausschließlich im Winter nutzen, wurden die mittleren Dichtewerte fr den Zeitraum von Oktober bis ein- schließlich März dargestellt (Anmerkung: dieser Zeitraum entspricht nicht der artspezifischen Jahreszeit "Winter" die z.B. der Berechnung der Bestandszahlen zu Grunde liegt, s. dazu SONNTAG et al. 2007). Bei Arten, die ein großes Sommervor- kommen in deutschen Nord- und Ostseegewässern aufweisen, oder aber nur in den Sommermonaten dort zu beobachten sind, wurden Verbreitungsdaten aus den Monaten April bis einschließlich September dargestellt.

Abbildung: Verbreitungskarte Deutschland (Wasservogelzählung) In den Karten ist aufgrund des hchsten Abdeckungsgrades aller Zählstrecken die Verbreitung der Arten im Januar als Mittelwert der Zählungen zwischen 2000 und 2005 dargestellt. Quelle ist die bundesweite Wasservogeldatenbank des Dachverban- des Deutscher Avifaunisten (DDA). Zur Vervollständigung des Verbreitungsbildes wurden in Einzelfällen Daten bis 2007 bercksichtigt. Die Grße der Zählgebiete ist teilweise sehr unterschiedlich und variiert von Region zu Region. Das hat vor allem historische Grnde: Aufgrund sehr begrenzter EDV-Kapazitäten zu Beginn des Erfassungsprogramms und dem Bestreben, funktional eng miteinander in Verbindung stehende Gewässer als kologische Einheiten zu fassen, wurden teilweise lange Fließgewässerabschnitte einschließlich der nahen Stillgewässer zu einem „Zählgebiet“ zusammengefasst und diese Einheiten bis heute aus Grnden der Vergleichbarkeit beibehalten. Während in vielen Bundesländern diese Einheiten mittlerweile in die tatsächlich erhobenen Teilstrecken der Flsse oder Einzelgewässer aufgeteilt wurden, ist dies in Hessen, am Oberrhein in Baden-Wrttemberg, an der Mosel, am Main und an der Donau in Bayern noch nicht erfolgt. Das ist bei der Interpretation der Karten unbedingt zu beachten. Dargestellt ist grundsätzlich der geografische Mittelpunkt der Zählgebiete. Zu weiteren Details der Wasservogelzählung siehe SUDFELDT et al. (in Vorb.).

14 Abbildung: Karte der Mwen-Schlafplatzzählungen Aus Grnden der Vergleichbarkeit sind fr die Darstellung der Zählungen an den Mwen-Schlafplätzen ebenfalls die Mittelwerte der Januarzählungen, errechnet aus den Jahren 2004-2006, dargestellt. Insbesondere im Siedlungsbereich sammeln sich die Mwen oft witterungs- oder strungsabhängig abends vor dem Abflug zum eigentlichen Schlafplatz an mehreren Orten. Diese sind als Schlafplatzkomplexe anzusehen und werden in den Karten zu einem Gebiet zusammengefasst. Es ist zusätzlich zu beachten, dass in einigen Regionen Deutschlands Mwen nicht zum Artenspektrum der Wasservogelzählungen gehren. Grenznahe Gebiete und Schlafplätze (Bodensee, Oberrhein) wurden in die geographischen Darstellungen mit einbezogen, bei den Bestandsschätzungen jedoch nicht oder nur anteilig bercksich- tigt, wenn sie nicht vollständig Deutschland betrafen.

Abbildung: Jahreszeitliches Auftreten Einteilung der Zählgebiete Fr eine regionalisierte Auswertung der Daten der Wasservogelzählung wurden die Zählgebiete sechs Regionen zugeordnet (Abb. II-1): Ostseekste, Nordseekste, Binnenland Ost, Nordwest, Sdwest und Sd. Die Abgrenzung der Regionen erfolgte in erster Linie anhand einer ähnlichen klimatischen Situation im Winter (vgl. WAHL 2002) sowie markanter Landschaftselemente (Wattenmeer, Ostseekste, Mittelgebir- ge). Vor allem in Schleswig-Holstein wurden Teile des Binnenlandes der Ostseekste zugerechnet. Im Rahmen einiger Auswertungen wurden die Regionen auch wie folgt zu grßeren Einheiten aggregiert:

• Nordostdeutschland: Ostseekste und Binnenland Ost • Nordwestdeutschland: Nordseekste und Binnenland NW • Sddeutschland: Binnenland SW und Binnenland Sd • Binnenland: Binnenland Ost, NW, SW und Sd

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Abb. II-1 Regionen: Einteilung der Zählgebiete der Wasservogelzählung. Jeder Punkt stellt den geografischen Mittelpunkt eines Zählabschnittes dar, gleiche Farben die Regionen.

16 Berechnung des jahreszeitlichen Auftretens Bei der Darstellung des jahreszeitlichen Auftretens tritt das Problem fehlender Zählungen auf. Deshalb wurden hier mit dem Programm TRIM (TRends and Indices for Monitoring Data, PANNEKOEK & VAN STRIEN 2001; s. Kapitel X.4.3 Bestandsent- wicklung / Trendberechnung) die fehlenden Angaben simuliert. Die Monate von September bis April (der Standardzeitraum der Wasservogelzählungen) gingen dabei als so genannte „Pseudojahre“ in die Berechnungen ein (vgl. TEUNISSEN & GMELIG MEYLING 1999). Die so errechneten monatlichen Indexwerte wurden fr die Winter- halbjahre 2000/01-2004/05 arithmetisch gemittelt. Zur direkten Vergleichbarkeit der Abbildungen wurden die Monatswerte relativ zum Monat, in dem das Rastbestandsmaximum auftritt, indiziert.

Verbreitung Nordsee / Ostsee Die Angaben zur Verbreitung von Seevgeln auf Nord- und Ostsee basieren fast ausschließlich auf den Erfassungen auf See (Schiffs- und Flugzeugtransekterfassun- gen). Im Gegensatz zu kstennahen Vogelvorkommen werden unter „Offshore“ die Vorkommen verstanden, die sich etwa 3 km und weiter vor der Kste befinden. Bei Arten, die auch in Kstennähe verbreitet sind, liefern Beobachtungen von Land aus meist ein besseres Bild ber die Verbreitung in Landnähe als dies durch Erfassun- gen von See aus mglich ist. Änderungen in den Verbreitungen entlang der Kste knnen häufig durch Verlagerung in kstenfernere Gewässer begrndet sein (z.B. bei kstennaher Eisbedeckung), wodurch sich die Beschreibungen der Bestandsentwick- lung von Land- bzw. See aus widersprechen knnen. Das Vorkommen innerhalb der Seevogelschutzgebiete „Östliche Deutsche Bucht“ und „Pommersche Bucht“ wurde anhand von Daten der aktuellen ESAS (European Seabirds at Sea Specialists Group)- Datenbank (Version 5.05) beschrieben.

Bestandstabellen / Berechnungen Die Bestandszahlen fr die deutsche AWZ der Nordsee sowie fr die gesamte deutsche Nordsee entstammen GARTHE et al. (2007a). Die Berechnungen basieren fr Stern- und Prachttaucher auf Flugzeugtransektzählungen der Jahre 2002-2006, fr alle anderen Arten auf Schiffstransektzählungen der Jahre 1993-2003. Die Bestandszahlen fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“ stammen, wenn nicht anders in den Tabellenlegenden vermerkt, aus SONNTAG et al. (2007). Die Berechnun- gen basieren fr Stern- und Prachttaucher auf Flugzeugtransektzählungen der Jahre 2002-2005, fr alle anderen Arten auf Schiffstransektzählungen der Jahre 1996-2005.

17 Die Bestandszahlen fr die deutsche AWZ der Ostsee sowie fr die gesamte deutsche Ostsee wurden speziell fr dieses Buch erstellt. Sie basieren auf der Schiffsdatenbank Version 5.08 (Juli 2007) und betreffen den Zeitraum 2000-2007. Fr Stern- und Prachttaucher wurden ergänzend die Flugzeugtransektzählungen 2002-2006 herange- zogen. Die Bestandszahlen fr das SPA „Pommersche Bucht“ stammen, wenn nicht anders in den Tabellenlegenden vermerkt, aus SONNTAG et al. (2006) und basieren fr alle Arten auf Schiffstransektzählungen der Jahre 2000-2005. Die Bestandsberechnungen wurden jeweils anhand von gerasterten Verbreitungskarten (Raster: 3' Breite x 5' Länge; Rastergrße damit ca. 30 km²) aller Vgel einer Art innerhalb des Zähltransektes vorgenommen. Dabei wurden artspezifische Korrektur- faktoren (GARTHE et al. 2007a) eingerechnet. Fr jede Art wurden pro artspezifisch definierter Jahreszeit (siehe SONNTAG et al. 2006) verschiedene Konzentrationsberei- che in den Verbreitungskarten abgegrenzt. Innerhalb dieser Konzentrationsbereiche wurde die mittlere Vogeldichte berechnet. Dieser Wert wurde dann mit der Gebiets- grße des jeweiligen Konzentrationsbereiches multipliziert. Fr die Berechnung der Bestandszahlen in den AWZ-Vogelschutzgebieten wurde die Fläche des jeweiligen SPA als Bezugsfläche verwendet. Bei der Berechnung der Bestandszahlen fr die gesamte deutsche Nordsee wurden als Bezugsflächen die Kstenmeere Schleswig-Holsteins und Niedersachsens sowie die AWZ gewählt. Innerhalb dieser Bezugseinheiten wurden alle Bestände in den einzelnen Konzentrationsbereichen zu einem Gesamtbestand addiert, wobei auch die Brutvgel und die bei Hochwasser an der Kste rastenden Arten mit einbezogen wurden (GARTHE et al. 2007a). Bei der Ermittlung der Bestandszahlen fr die gesamte deutsche Ostsee wurden als Bezugsflächen die Kstenmeere Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns sowie die AWZ verwendet. Fr Arten, bei denen ein nennenswerter Anteil nur durch die Ksten-Wasservogelzählung erfasst wird (Kste bzw. sehr kstennahe Bereiche), knnen fr die gesamte deutsche Ostsee nur Angaben fr den Winter gemacht werden, da die Wasservogelzählungen außerhalb dieses Zeitraums zeitlich und räumlich zu lckenhaft sind. Im räumlichen Überlappungsbereich beider Erfassungsmethoden wurden die Bestandszahlen durch einen Abgleich zwischen Seabirds-at-Sea- Erfassungen (FTZ) und Ksten-Wasservogelzählungen (DDA) ermittelt.

18 Fr die Bestandsangaben in den Tabellen (Nordsee bzw. Ostsee) wurden die berechne- ten Zahlen wie folgt zusammen gefasst bzw. gerundet: I: 1-5 Individuen II: 6-10 Individuen III: 11-50 Individuen 50-500: Rundung auf Zehner 500-1.000: Rundung auf Fnfziger 1.000-5.000: Rundung auf Hunderter 5.000-20.000: Rundung auf Fnfhunderter 20.000-100.000: Rundung auf Tausender ber 100.000: Rundung auf Fnftausender k.A. = keine Bestandsangabe mglich

X.4.3 Bestandsentwicklung / Trendberechnungen Bei der Auswertung langjähriger Monitoringprogramme wird man stets mit dem Problem fehlender Zählungen konfrontiert. Die Ermittlung von langfristigen Trends kann somit nicht auf der Basis von jahrweise summierten Zähldaten erfolgen, es sei denn, es werden hierfr ausschließlich Gebiete mit lckenlosen Zählreihen herangezo- gen. Speziell um dieses Problem zu umgehen und mglichst viele Informationen in die Beschreibung der Populationsdynamik sowie zur Abschätzung der Bestandsgrßen einbeziehen zu knnen, wurde das Programm TRIM (TRends and Indices for Monitoring Data, PANNEKOEK & VAN STRIEN 2001) entwickelt. TRIM, das in der Version 3.53 verwendet wurde, bedient sich loglinearer Modelle, mit deren Hilfe fehlende Zählungen auf Grundlage der vorhandenen Zähldaten geschätzt werden (s. unten). Als Berechnungsmodell wurde „Linear Trend“ gewählt, wobei alle Jahre als so genannte Change Points ausgewählt werden (zu Details s. PANNEKOEK & VAN STRIEN 2001). Es gingen alle im betrachteten Zeitraum mindestens einmal erfassten Gebiete in die Auswertung ein. Da nur Gebiete in die Berechnungen einfließen, in denen die Art auch mindestens einmal festgestellt wurde, variiert die Anzahl bercksichtigter Gebiete von Art zu Art. Als Bezugsjahr (Indexwert = 1) wurde in Anlehnung an Wetlands International das Jahr 1990 gewählt. Die Bestandsentwicklung wird somit relativ zum Jahr 1990 dargestellt. TRIM errechnet fr jeden Indexwert den Standardfehler, der ebenfalls als Fehlerbalken im Bestandsdiagramm dargestellt ist.

19 Die relative Darstellungsform wurde gewählt, da ber die Wasservogelzählung nicht alle Rastgebiete abgedeckt werden knnen. Eine Abbildung absoluter Bestandszahlen wrde somit zu falschen Schlssen fhren. Die ab der Version 3.5 in TRIM bereits enthaltene Klassifikation der Trends wurde an das Kriterienschema der Roten Liste der Brutvgel Deutschlands (SÜDBECK et al. 2005) angelehnt: • Sehr starke Zu- bzw. Abnahme: Der Bestand verdoppelt bzw. halbiert sich innerhalb von 25 Jahren signifikant. Dies entspricht etwa einer mittleren jähr- lichen Änderung von > 3 %. • Starke Zu- bzw. Abnahme: Der Bestand nimmt innerhalb von 25 Jahren signifikant um 20 bis 50 % ab (bzw. um mehr als 25 % und weniger als 100 % zu). Dies entspricht etwa einer mittleren jährlichen Änderung zwischen 1 und 3 %. • Leichte Zu- bzw. Abnahme: Der Bestand nimmt innerhalb von 25 Jahren signifikant um weniger als 20 % ab (bzw. um weniger als 25 % zu). Dies ent- spricht etwa einer mittleren jährlichen Änderung von < 1 %. • Stabil: Der Bestand nimmt nicht signifikant zu oder ab, aber das Konfidenz- intervall ist klein (< 20 % Ab- bzw. < 25 % Zunahme in 25 Jahren). • Fluktuierend: Der Bestand nimmt nicht signifikant zu oder ab, das Konfidenz- intervall ist groß (> 20 % Ab- bzw. > 25 % Zunahme in 25 Jahren). Ein signifikanter Trend liegt immer dann vor, wenn das 95 %-Konfidenzintervall der mittleren jährlichen Änderung den Wert „1“ fr „stabil“ nicht einschließt. Problematisch bei Trendberechnungen sind jegliche methodische Änderungen bei der Bestandserfassung, da dann errechnete Bestandsveränderungen nicht mehr ohne Weiteres als solche interpretiert werden knnen. Vor allem das in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit gefasste Artenspektrum sowie die optionale Erfassung der Mwen schränkten die Auswertungsmglichkeiten fr diese stark ein: Ist eine Art bei einer Zählung nicht aufgefhrt (es werden grundsätzlich keine „0“- Bestände in die Datenbanken eingetragen), so wurde bei der Trendberechnungen davon ausgegangen, dass diese Art nicht anwesend war und eine „0“ als Bestand temporär ergänzt. Wurde die betreffende Art tatsächlich nur nicht erfasst, so wird deren Hinzunahme bei den Zählungen ab einem bestimmten Zeitpunkt als pltzliche extreme Bestandszunahme interpretiert. Trifft dies auf mehrere Gebiete zu, so wirkt sich dies erheblich auf die Indexwerte aus. Bei allen Mwenarten fhrte dies zu einer

20 deutlichen Reduzierung der Datenreihe, bei Lach- und Sturmmwe sogar dazu, dass mehrjährige Trendberechnungen nur fr die Nordseekste mglich waren.

X.5 Biologie / Ökologie

Die Informationen zu allen Unterkapiteln wurden vorwiegend aus BAUER et al. (2005) zusammengestellt. Ergänzend wurden auch Aspekte aus BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966, 1968, 1969) und GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER (1982) sowie aus BWPI (2004) eingefgt. Die aus diesen Werken entnommenen Angaben wurden im Text nicht mit Literaturverweisen versehen (siehe Vorbemerkung). Alle weiteren verwendeten Quellen wurden wie blich zitiert. X.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie In diesem Abschnitt wurden nur Aspekte zur Geschlechtsreife, Paarbildung, Brutzeit, zum Gelege und zu Kken zusammengetragen, die fr eine Einschätzung der artspezifischen Empfindlichkeit wesentlich sind. X.5.2 Alter / Sterblichkeit

Generationslänge: Definition nach BAUER et al. (2005): „Die angegebene mittlere Generationslänge wurde von IUCN definiert als Durchschnittsalter aller Individuen einer Kohorte (betrachtete Population). Da letzteres selten bekannt ist, wurde die Generationslänge von BirdLife International näherungsweise aus der Summe der mittleren Sterblichkeit der Altvgel in einer stabilen Population und dem mittleren Erstbrutalter berechnet. Lagen auch keine Daten zur mittleren Sterblichkeit der Altvgel vor, musste diese aus mittlerer Gelegegrße und Erstbrutalter grob abge- schätzt werden (vgl. BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004)“ . Fr viele Arten fehlen verlässliche Angaben „zum Alter sowie zur Sterblichkeit, die oft auf Wiederfang /-fund-Daten beringter Vgel basieren (aber nur bei einigermaßen großen Stichproben wirklich zuverlässig sind)“ (BAUER et al. 2005). Ältester Ringvogel: Das durch Beringungen nachgewiesene Hchstalter eines Individuums der Art. Sterblichkeit: Dieser Wert gibt an, wie viel Prozent der individuell markierten Individuen von Jahr zu Jahr sterben. Oft handelt es sich um Einzelstudien, die in verschiedenen Regionen der Welt durchgefhrt wurden. Detailliertere Informationen knnen BAUER et al. (2005) entnommen werden. Informationen, die nicht aus den oben genannten Quellen stammen, wurden in der blichen Form zitiert.

21 X.5.3 Mauser

Die Erklärungen zu den verschiedenen Mauserphasen wurden aus BAUER et al. (2005) entnommen und ergänzt durch die Angaben aus BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966, 1968, 1969), GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER (1982). Die Darstellung wurde stark vereinfacht, da das Hauptaugenmerk auf der Phase der synchronen Schwingen- mauser liegt, während der die Vgel flugunfähig sind. Bei den betroffenen Arten wurde zur besseren visuellen Erfassung eine Abbildung eingefgt, welche die wesentlichen Phasen der Mauser darstellt. Fr Arten, die keine synchrone Schwin- genmauser durchfhren und daher in dieser Zeit weder flugunfähig noch besonders sensibel sind, wurde auf die grafische Darstellung verzichtet. Bei der Beschreibung der Mauser wird der Umfang des Federwechsels (Teil- und Vollmauser) und die jahreszeitliche Lage der Mauser (Postjuvenile Mauser, Prä- und Postnuptialmauser; vgl. BAUER et al. 2005) unterschieden: Teilmauser: Es wird nur das Kleingefieder gewechselt (manchmal auch zusätzli- che Federpartien). Vollmauser: Schwung- und Steuerfedern werden gleichzeitig mit dem Krperge- fieder oder direkt im Anschluss daran gewechselt. Nicht selten kann die Vollmau- ser, z.B. bei Zugvgeln, unterbrochen sein. Staffelmauser: Der Mauserzyklus einer Federreihe beginnt, bevor der der alten abgeschlossen ist. Mauserzentren: Die Schwingenmauser setzt an mehreren Stellen konzentriert ein. Postjuvenile Mauser: Die erste Mauser eines Jungvogels vom Jugendkleid ins nächstfolgende Kleid. Postnuptialmauser: (frher als Brutmauser bezeichnet): Nachbrutzeitliche Mau- ser vom Pracht- ins Schlichtkleid. Pränuptialmauser: Vorbrutzeitliche Mauser vom Schlicht- ins Prachtkleid. Bei einigen Arten werden zudem noch die 1. Postnuptialmauser und die 1. Pränup- tialmauser unterschieden. Diese werden zwar im Text erwähnt, doch werden in der grafischen Darstellung alle genannten Mauserzyklen unter den Begriffen „Teilmauser“ oder „Vollmauser“ zusammengefasst. Während der Zeit der Vollmauser wird die „sensible Phase“, in der die Vgel einige Zeit flugunfähig sind, extra gekennzeichnet. Aus der Literatur bekannte Unterschiede zwischen Mauserzeiten von Männchen und Weibchen werden dargestellt. In der Regel wird bei den Weibchen von brtenden

22 Vgeln ausgegangen. Nicht brtende Weibchen einiger Arten (z.B. bei Meeresenten) knnen einen ähnlichen Mauserablauf wie Männchen zeigen. Zusätzlich wird in der grafischen Darstellung das 1. und 2. Kalenderjahr (KJ) (da sich die postjuvenile Mauser oft noch bis ins 2. KJ hinzieht) unterschieden. X.5.4 Wanderungen In diesem Kapitel werden die wichtigsten Zugwege und -zeiten genannt. Es handelt sich hierbei um eine kurze Darstellung, die hauptsächlich aus den oben genannten Quellen zusammengefasst wurde (siehe Einleitung zu X.5). X.5.5 Habitat Während im Kapitel „Verbreitung Welt / Europa“ die geografischen Regionen und Landstriche genannt werden, in denen die Arten prinzipiell vorkommen, werden in diesem Kapitel die fr die Lebensweise der Art relevanten Brut- und Winterhabitate beschrieben. X.5.6 Ernährungskologie

Auf Grundlage des BWPI (2004) erfolgt nach einer allgemeinen Einfhrung in die Ernährungsweisen ein Überblick ber die wichtigsten Beutetiere der Seevogelarten. Diese Informationen werden ergänzt durch die Auswertung spezifischer Studien zum Nahrungsspektrum der Arten in der Nord- und Ostsee und, falls relevant, auch im kstennahen Binnenland. Bei der Bedeutung der Fischerei fr die Ernährung der Seevgel wird oft die Rolle von Discard beschrieben. Darunter versteht man die ungenutzten Fische und andere Meerestiere, die nicht angelandet und noch auf See ber Bord gegeben werden. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff Beifang diejenigen gefangenen Meerestiere, die nicht das Fangziel darstellen, aber teilweise dennoch angelandet werden. Discard ist somit der auf See ber Bord gegebene Teil des Beifanges. X.5.7 Sonstige Verhaltensweisen In diesem Kapitel werden – soweit verfgbar – verschiedene allgemeine Informationen (z.B. Flughhe, Verhalten auf See, sonstige fr die Art charakteristische Verhaltens- weisen, die nicht mit der Verbreitung und Ernährungskologie zusammenhängen) aufgefhrt.

23 X.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten X.6.1 Gefährdungsursachen Die Gefährdungen, denen Seevgel im Ksten- und Offshore-Bereich von Nord- und Ostsee ausgesetzt sind, wurden hauptsächlich aus folgenden Quellen zusammengetra- gen: TUCKER & HEATH (1994), BAUER & BERTHOLD (1997), GARTHE (2003a), GARTHE et al. (2003a), BAUER et al. (2005), KUBE et al. (2005a) und SONNTAG et al. (2007). Sie werden in den Artkapiteln ohne Quellenangabe zusammengestellt. Weitere Quellen werden im Text zitiert. Der Fokus liegt auf den Hauptgefährdungsursachen fr die jeweilige Art. Grundsätzlich fr alle Arten geltende Gefährdungen, wie z.B. die Verschmutzung der Meere durch Schadstoffe oder Mlleintrag, werden nur noch einmal genannt, wenn sie von besonderer Relevanz sind (z.B. Verschlucken von Plastikmll beim Eissturmvogel oder Verfangen in Netzresten beim Basstlpel). Ansonsten ist davon auszugehen, dass eine Verschlechterung der Meeresumwelt durch Einträge von Land und Meer theoretisch alle See- und Wasservgel betreffen kann und direkt oder indirekt (z.B. durch Verschlechterung der Nahrungssituation) zu Konditi- onsminderung oder erhhter Sterblichkeit fhren kann. Desgleichen fhrt auch die Jagd bei allen Arten zu einer erhhten Mortalität, wird aber nur bei denjenigen Arten explizit genannt, bei denen eine besondere Gefährdung durch Jagd (mit mglichen Auswirkungen auf die gesamte Population) bekannt ist oder vermutet wird. Dies ist z.B. bei denjenigen Arten der Fall, die insgesamt stark gefährdet sind oder eine geringe Populationsgrße aufweisen. Eine Verschlechterung des Nahrungsangebotes ist ebenfalls fr alle Arten nachteilig, wird aber nur dann explizit bei den Gefährdungen genannt, wenn die jeweiligen Ursachen dieser Nahrungsreduktion bekannt sind oder vermutet werden knnen. Ergänzend zu den Gefährdungen auf dem Meer wurden bei einigen Arten, je nach verfgbaren Informationen, auch Gefährdungen im Brut- oder Rastgebiet außerhalb von Nord- und Ostsee aufgefhrt. Prädation durch andere Tierarten wird dabei nur dann aufgefhrt, wenn Informationen ber eine Erhhung der Prädation aufgrund von anthropogenen Aktivitäten vorliegen. Generell gilt, dass durch vielfältige Eingriffe in die Landschaft oder durch touristische Aktivitäten natrliche oder naturnahe Lebens- räume europaweit stark zurckgegangen sind. Daraus resultierte eine Reduktion der Bruthabitate fr Kstenvgel, die z.B. gut fr die schleswig-holsteinische Ostseekste dokumentiert ist (z.B. HÄLTERLEIN et al. 2000). Bei vielen Arten brtet heute der Großteil des Bestandes innerhalb von Schutzgebieten, bei manchen Arten sogar der gesamte Bestand (z.B. GARTHE et al. 2003a). Zudem mssen Brutvgel häufig in weniger geeignete Bruthabitate ausweichen. Dadurch kommt es in manchen Gebieten zu einer Konzentration der Brutbestände, die dann wiederum besonders anfällig

24 gegenber Prädation oder anderen natrlichen oder anthropogenen Gefährdungsfakto- ren sind. X.6.2 Besondere Empfindlichkeiten Auf Grundlage der vorhergehenden Kapitel zu Biologie, Ökologie und Verhalten (und der dafr verwendeten Literatur) wurden die Empfindlichkeiten der einzelnen Arten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren abgeleitet. Sie entsprechen der gegenwärtigen Kenntnislage und der fachlichen Einschätzung der Autoren. Sofern mglich, wurden die Aussagen durch Literaturzitate untersttzt, dabei wurden jedoch nur exemplarische Studien genannt. Es erfolgte keine Angabe der vollständigen Literatur zu den betrachteten Aspekten. Alle Aussagen zur Manvrierfähigkeit, Flughhe, Flugaktivität und Flexibilität in der Habitatnutzung und somit zur Einschät- zung der Empfindlichkeit gegenber Offshore-Windenergieanlagen wurden, wenn nicht durch andere Quellenangaben gekennzeichnet, der Einteilung nach GARTHE & HÜPPOP (2004) entnommen. Zur Beurteilung der Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr wurden die Fluchtdis- tanzen in die Kategorien gering, mäßig, hoch und sehr hoch eingeteilt. Alle betrachteten Arten wurden relativ zueinander bewertet. Die Beurteilung erfolgte auf Basis von Daten der Schiffstransekterfassungen des FTZ sowie aus artspezifischen Literaturangaben zum Fluchtverhalten (v.a. GARTHE et al. 2004, BELLEBAUM et al. 2006).

Tabelle: Rote-Liste- und Schutzstatus Rote Liste Erläutert werden hier nur die in den Artensteckbriefen vorkommenden Kategorien. Fr eine Übersicht ber alle in den einzelnen Roten Listen existierenden Kategorien sei hier auf die unten zitierte Originalliteratur verwiesen. Bei allen hier aufgefhrten Roten Listen (Europa, Deutschland, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Wattenmeer / Nordsee, Ostsee) kennzeichnet das Symbol „+“, dass die Art in dem entsprechenden Gebiet vorkommt, aber nicht in der Roten Liste gefhrt wird, d. h. zu dieser Zeit nicht als gefährdet eingestuft wurde. Kommt eine Art in dem entsprechenden Bezugsgebiet der Roten Listen nicht vor, ist dies durch den Begriff „entfällt“ gekennzeichnet.

25 ● Rote Liste Europa Abgeleitet von der Roten Liste IUCN (2001), zusammengestellt in BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004): Kategorien: CR (Critically Endangered): vom Aussterben bedroht EN (Endangered): stark gefährdet VU (Vulnerable): gefährdet R (Rare): selten, geografische Restriktion NT (Near Threatened): (bedroht oder empfindlich), Vorwarnliste

● Regionale Rote Listen Rote Liste Deutschland: BAUER et al. (2002) Rote Liste SH: Schleswig-Holstein: KNIEF et al. (1995) Rote Liste Nds: Niedersachsen: SÜDBECK & WENDT (2002) Rote Liste MV: Mecklenburg-Vorpommern: EICHSTÄDT et al. (2003) Rote Liste Dt. Ostsee: BRENNING et al. (1996) Rote Liste Dt. Wattenmeer / Dt. Nordsee: HÄLTERLEIN et al. (1995) Kategorien: 1: Vom Aussterben bedroht 2: Stark gefährdet 3: Gefährdet R: Extrem selten P: Potentiell gefährdet V: Vorwarnliste I: Vermehrungsgäste IntV: Internationale Verantwortung: 1. Arten, fr die die deutsche Ostseekste / der deutsche Teil des Wat- tenmeeres eine besondere Bedeutung als Rast-, Durchzugs- und Über- winterungsgebiet hat (> 1 % der nordwesteuropäischen Population) 2. Brutvogelarten, die im Wattenmeer derzeit nicht gefährdet sind, fr die aber eine besondere Verantwortung besteht, da sie hier einen euro- päischen Verbreitungsschwerpunkt haben (> 5 % der NW- europäischen Vorkommen) +: im Gebiet vorkommend, aber nicht gefährdet

26 Gesetze und Konventionen ● EU-Vogelschutzrichtlinie Die EU-Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 79/409/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaft ber die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten vom 02.04.1979) stellt alle europäischen Vogelarten unter besonderen Schutz und regelt fr bestimmte Arten die jagdliche Nutzung. Außerdem nennt sie im Anhang I diejenigen gefährdeten Arten, fr die EU-weit Lebensräume erhalten werden mssen. Daneben bercksichtigt die EU-Vogelschutzrichtlinie auch „regelmäßig auftretende Zugvogelarten“. Eine Forderung der EU-Vogelschutzrichtlinie ist es, fr die Arten des Anhang I und die Zugvogelarten die zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete als europäische Vogelschutzgebiete auszuweisen („special protection areas” SPA), um ihr Überleben zu sichern. Kategorien: Die Listung der einzelnen Vogelarten in den entsprechenden Anhängen der Richtlinie wird in der Tabelle zur Roten Liste- und zum Schutzstatus in der Spalte EU-Vogelschutzrichtlinie durch Angabe der rmischen Ziffern darge- stellt. Das Symbol „-“ bedeutet, dass die Art auf keinem Anhang gelistet ist. Anhang I: besonders zu schtzende Arten Anhang II: Jagd in einzelnen Hoheitsgebieten zulässig Anhang III: Vermarktung erlaubt ● SPEC (Species of European Conservation Concern) Einstufung der Vogelarten Europas nach dem Bestandsanteil in Europa und dem Gefährdungsgrad durch BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004). Kategorien: SPEC 2: Art auf Europa konzentriert (> 50 % des Weltbestandes) und mit ungnstigem Erhaltungszustand SPEC 3: Art nicht auf Europa konzentriert, aber in Europa mit ungns- tigem Erhaltungszustand Non-SPEC: Art nicht auf Europa konzentriert, und in Europa mit gnsti- gem Erhaltungszustand Non-SPECE: Art auf Europa konzentriert, aber in Europa mit gnstigem Erhaltungszustand W: in Europa nur im Winter

27 ● Bonner Konvention (Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, 1979) Die Bonner Konvention dient dem Schutz wandernder Arten in deren gesamtem Vorkommensgebiet. Die Mitgliedsstaaten sind dazu zur internationalen Kooperation verpflichtet. In der Konvention werden Nutzungseinschränkungen fr bedrohte Arten und der Schutz ihrer Lebensräume und Nahrungsquellen geregelt. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit sollen Gefährdungen abgebaut bzw. beseitigt werden, um die Arten zu erhalten. Die Bonner Konvention ist ein Rahmenabkommen, auf das Regionalabkommen folgen sollen (z.B. AEWA, siehe unten). Kategorien: Anhang II: wandernde Vogelarten, fr die Abkommen zu schließen sind Das Symbol „-“ bedeutet, dass die Art in keinem Anhang gelistet ist. Nur einige der in den Artensteckbriefen behandelten Arten sind die im Anhang II der Bonner Konvention erfasst (gefährdete Arten; Arten, die nicht vom Aus- sterben bedroht sind, aber ohne international abgestimmte Schutzmaßnahmen bald zu den bedrohten Arten gehren knnten). ● Berner Konvention (Übereinkommen ber die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natrlichen Lebensräume, 1979) Dieses Übereinkommen regelt den Schutz von Pflanzen- und Tierarten und verbietet bestimmte Fang- und Ttungsmethoden sowie bestimmte Formen der Nutzung. Die Vertragsparteien werden zur Erhaltung der Populationen und ihrer Lebensräume verpflichtet. Die Berner Konvention unterscheidet dabei zwischen geschtzten und besonders geschtzten Tierarten. Nur wenige Arten mit angenommenem Schadwir- kungspotential sind dabei ausgenommen. Die EU hat die Berner Konvention zum Anlass genommen, die FFH-Richtlinie zu vereinbaren, deren Umsetzung nun gleichzeitig die Anforderungen der Berner Konvention erfllt. Kategorien: Anhang II: streng geschtzte Tierarten Anhang III: geschtzte Tierarten Das Symbol „-“ bedeutet, dass die Art in keinem Anhang gelistet ist. Die Berner Konvention erlangt in Deutschland durch das EuLRaumÜbkG „Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. September 1979 ber die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natrlichen Le- bensräume“ vom 17. Juli 1984 (BGBl II 1984, 618) auch in der AWZ Gltig- keit.

28 ● AEWA (Abkommen zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservgel, unter der Bonner Konvention, 1995) Mit dem AEWA besteht ein Regionalabkommen, welches die Bonner Konvention fr die Artengruppe der Wasservgel (wozu auch Seevgel, Limikolen und andere namentlich aufgelisteten Arten gezählt werden) konkretisiert. Fr den afrikanisch- eurasischen Raum werden u.a. Schutzmaßnahmen fr besonders wichtige Wasservo- gelhabitate und die Errichtung eines Netzes von geeigneten Lebensräumen fr wandernde Arten gefordert. Fr eine Artenauswahl enthält das AEWA einen Aktions- plan (Anlage 3), der vor allem die jagdliche Nutzung und anderweitige Entnahme aus der Natur weitgehend untersagt sowie einen umfassenden, artbezogenen Habitatschutz, die Ausweisung von Schutzgebieten und ein ausfhrliches Bestandsmonitoring beinhaltet (ADAMS 2000, LENTEN 2000). Dieser Aktionsplan gilt fr Arten, die entweder weltweit bedroht sind oder eine geringe Bestandsgrße aufweisen, oder deren Bestände sich auf wenige Gebiete konzentrieren, oder fr die langanhaltende Bestandsrckgänge dokumentiert sind, oder deren Bestände in sehr starkem Maße schwanken. Daneben gibt es einen weiteren Anhang (C) mit Arten, die durch internationale Zusammenarbeit sehr profitieren knnten. Ein großer Teil der an der deutschen Nord- und Ostseekste brtenden bzw. auf der deutschen Nord- und Ostsee vorkommenden See- und Wasservogelarten sind in das AEWA aufgenommen worden und sind in der Spalte AEWA in der Tabelle zum Rote- Liste- und Schutzstatus mit einem „+“ gekennzeichnet.

X.7 Erfassung In dem Kapitel „Erfassung“ werden die jeweils relevanten Methoden zur Erfassung der in den Artensteckbriefen behandelten Seevogelarten aufgefhrt. Neben der Erfassung auf See wird in Hinblick auf kstennah vorkommende Arten die Methode der landbasierten Wasservogelzählung erläutert. Um diese Methode deutlich von der „Auf-See-Erfassung“ abzugrenzen, wird sie im Folgenden als Ksten- Wasservogelzählung benannt. Außerdem wird fr Mwen die „Mwen- Schlafplatzzählung“ aufgefhrt, die auch von Land aus stattfindet. Schiffstransektzählungen Erfassung aller schwimmenden und fliegenden Vgel vom Schiff aus, innerhalb eines 300 m breiten Transektstreifens, der sich parallel zur Kiellinie des Schiffes auf einer oder beiden Seiten des Schiffes erstreckt. Vgel außerhalb des Transektes werden zwar mit erfasst, gehen aber nicht in die Dichteberechnungen mit ein. Zwei Beobach- ter bzw. drei (in Gebieten mit Vorkommen von Meeresenten, Seetauchern oder

29 Lappentauchern) fhren die Zählung von der Nock oder dem Peildeck des Schiffes aus durch. Im Rahmen des deutschen Zählprogramms beträgt das Zählintervall 1 Minute. Um schnell oder häufig fliegende Vgel mengenmäßig nicht zu berschätzen, wird die sogenannte Schnappschussmethodik angewendet. Parallel zu der Beobachtung wird automatisch mit einem GPS die Position im 1-Minuten Intervall aufgezeichnet.

Fr eine ausfhrliche Beschreibung der Methodik siehe GARTHE & SONNTAG (im Druck). Flugzeugtransektzählungen Erfassung aller schwimmenden und fliegenden Vgel von einem zweimotorigen Flugzeug aus, welches mit sogenannten bubble-windows ausgestattet ist und in 78 m Hhe mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h entlang festgelegter Transekte fliegt. Zur Erfassung wird das Transekt in mehrere Transektbänder unterteilt, die vor dem Start mit einem Winkelmesser eingemessen werden: Band A: 60° bis 26°, Band B: 25° bis 11°, Band C: 10° bis 3°, Band D (nur bei stark nach außen gewlbten „bubble windows“ mglich): 85° bis 60°. Band A ist somit 122 m breit, Band B 275 m, Band C 1057 m. Nur Band A und B gehen in die Dichteberechnung mit ein, die Bänder C und D geben nur ergänzende Informationen. Je ein Zähler auf jeder Seite des Flugzeuges erfasst sekundengenau alle Vgel in den Transektbändern. Mit einem GPS wird parallel die Position automatisch aufgezeichnet.

Fr eine ausfhrliche Beschreibung der Methodik siehe DIERSCHKE et al. (im Druck). Sowohl Schiffs- als auch Flugzeugtransektzählungen haben Vor- und Nachteile bzw. sind fr verschiedene Arten unterschiedlich gut geeignet. Eine Zusammenfassung befindet sich in CAMPHUYSEN et al. (2004). Flächendeckende Flugzeugzählungen Einige Meeresentenarten, insbesondere Eiderenten, sind häufig auf Flachgrnden oder in Prielsystemen in dichten Schwärmen konzentriert. Zur Erfassung dieser Arten werden in Schleswig-Holstein seit 1986 jährlich im Winter spezielle Erfassungsflge durchgefhrt. Dabei werden mit dem Flugzeug gezielt die bekannten Konzentrations- bereiche angeflogen und die dabei entdeckten Schwärme umrundet, geschätzt und fotografiert. Auf diese Weise lassen sich Arten mit geklumpter Verteilung gut abschätzen. Es ist mit dieser Zählmethode jedoch nicht mglich, Aussagen ber die Zahl der Vgel zu treffen, die nicht in diesen Schwärmen konzentriert sind.

Fr detailliertere Beschreibungen siehe z.B. BRÄGER et al. (1995) oder NEHLS (1991).

30 Schiffstruppzählungen Methodisch ist diese Erfassung an die Schiffstransektzählung angelehnt, wurde jedoch im Wattenmeer und dem vorgelagerten Bereich angewandt, um die schwer zu kartierenden Trauerenten zu erfassen. Die Schiffstruppzählung erfolgt allerdings nicht innerhalb eines 300 m-Transekts, sondern innerhalb der witterungsbedingten Sichtwei- te nach allen Seiten des Schiffes. Hierzu sind mindestens zwei Zähler und ein Protokollant ntig. Fr die Positionsbestimmung gesichteter Trauerenten wird die Entfernung zum Schiff sowie die Peilrichtung angegeben. Nähere Informationen zu dieser Methode siehe DEPPE (2005).

Nach Angaben von OFFRINGA & LEOPOLD (1991) gelingt die Erfassung von Trauer- entenschwärmen besonders gut, wenn man mit dem Schiff durch die Trupps hindurch fährt und die auffliegenden Tiere dann auszählt, wenn sie entgegen der Fahrtrichtung des Schiffes fliegen. Radarerfassungen Mit dieser Methode wurden Austauschbewegungen zwischen Tagesrastplätzen und Nahrungsgebieten speziell bei der Bergente in der Wismarbucht vom Institut fr Angewandte Ökologie GmbH untersucht (KUBE et al. 2005a). Diese Methode kommt zum Einsatz, da Bergenten in den meisten Fällen auf See nur nachts verweilen, v.a. zur Nahrungssuche, und dann aufgrund der Dunkelheit nicht mit den blichen Seevogel- zählmethoden erfassbar sind. Landbasierte Zählungen Arten, die ausschließlich oder teilweise in den sehr kstennahen Gebieten vorkommen, sind mit den Schiff- oder Flugzeugzählungen von See aus nicht vollständig erfassbar. Ergänzend mssen fr diese Arten auch Zählungen von Land aus bercksichtigt werden. Ksten-Wasservogelzählungen Systematische Erfassungen von Wasservgeln haben in Deutschland eine lange Tradition und reichen bis in die 50er Jahre zurck (REQUATE 1954). Die hier darge- stellten Ergebnisse der Berechnungen zur Bestandsentwicklung beginnen mit dem Winter 1967 / 68 und reichen bis 2004 / 05 (fr die nachfolgenden Jahre lagen die Zähldaten aus einigen Bundesländern noch nicht vor). Es stehen somit Zähldaten aus 38 Wintern fr die Auswertung zur Verfgung (zu Einschränkungen bei einigen Arten s. Kapitel Bestandsentwicklung / Trendberechnungen). Vorrangige Ziele von Wetlands International sind Informationen zur Bestandsgrße und -entwicklung auf Populationsebene. Der Schwerpunkt liegt also auf der Erfassung einer mglichst großen Anzahl an Gebieten im Mittwinter (Mitte Januar), wenn die Zugbewegungen minimal sind. Während dieser Januarzählung wird daher auch in 31 Deutschland der grßte Abdeckungsgrad an Zählgebieten erreicht: Im Durchschnitt werden in Deutschland etwa 1.500 Zählgebiete im Mittwinter erfasst. Von Beginn an wurden in Deutschland monatliche Zählungen im gesamten Winter- halbjahr von Oktober bis März, vielfach von September bis April, propagiert, um das jahreszeitliche Auftreten der Arten sowie die Bestandsentwicklung zuverlässig zu beschreiben und die Bedeutung der Rastgebiete während der Zugzeiten im Herbst und Frhjahr bewerten zu knnen. In den vergangenen Jahren wurden die monatlichen Zählungen aufgrund internationaler Berichtspflichten (v.a. EU-Vogelschutz-Richtlinie) im Winterhalbjahr vor allem in den stlichen Bundesländern auf zahlreiche weitere Gebiete ausgedehnt. Die nach der Mittwinterzählung hchsten Abdeckungsgrade werden aufgrund der internationalen Synchronzähltermine der Gänse im November und März erreicht, in den Randmonaten September und April finden – bezogen auf das Winterhalbjahr – die wenigsten Zählungen statt (durchschnittlich etwa 800). Die Erfassungen erfolgen im Rahmen synchroner Stichtagszählungen, die jeweils am zur Monatsmitte nächstgelegenen Wochenende durchgefhrt werden (im Kstenbe- reich teilweise tidenbedingt um maximal eine Woche verschoben). Gezählt wird während des Tages nach dem „Look-See-Prinzip“, d.h. die Zähler kommen ans Gewässer und erfassen die zu diesem Zeitpunkt anwesenden Wasservgel. Überflie- gende Vgel werden – im Gegensatz zu auffliegenden oder landenden – nicht zum Bestand gerechnet. Einflsse von Schlafplatzflgen sollten vermieden werden. Schlafplatzerfassungen einiger Arten erfolgen im Rahmen spezieller Programme (s.u.). Die Zählungen im deutschen Wattenmeer erfolgen ebenfalls als Synchronzählungen, die Zähltermine richten sich jedoch nach den Hochwasserzeiten, da die Wasservgel an den Hochwasserrastplätzen erfasst werden. Die Erfassungen werden zum berwiegenden Teil von Ehrenamtlichen durchgefhrt. Die Zähldaten werden auf Landesebene digitalisiert und anschließend bundesweit in der Datenbank des DDA zusammengefhrt. Die bundesweite Wasservogeldatenbank umfasste Ende April 2007 rund 220.000 Zählungen mit 1,75 Mio. Datensätzen aus 3.557 Gebieten und bildet die Grundlage fr die dargestellten Auswertungen. Detaillierte Informationen zur Organisation, Methode und Zählgebietskulisse finden sich bei SUDFELDT et al. (2000), WAHL et al. (2003a) sowie BLEW et al. (2005). Mwen-Schlafplatzzählungen Zuverlässige Gesamtbestände von Mwen lassen sich vor allem im Binnenland während des Tages nicht ermitteln, da Äcker, Häfen oder Mlldeponien, wo sich ein großer Teil der Vgel tagsber aufhält, im Rahmen der Wasservogelzählungen kaum erfasst werden. Zwar lassen sich bei einer systematischen Erfassung während der

32 Wasservogelzählungen langfristige Bestandsveränderungen darstellen, belastbare Gesamtbestandsangaben knnen jedoch nur durch die Erfassung an abendlichen Sammelplätzen gewonnen werden, an denen sich die Mwen einfinden und die teilweise aus großer Entfernung angeflogen werden (z.B. SELL & VOGT 1986). Mit dem Winter 2003 / 04 wurden die in einigen Bundesländern (v.a. Nordrhein- Westfalen; AG Mwen 1996) bereits seit vielen Jahren laufenden Mwen- Schlafplatzzählungen auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt. Vorrangige Ziele sind verlässliche Gesamtbestandsschätzungen und die Dokumentation von langfristi- gen Bestandsveränderungen im Winter. Pro Winterhalbjahr finden zwei Erfassungen statt: im Dezember eine Woche vor sowie im Januar eine Woche nach der Mittmonats- zählung der Wasservgel. Gezählt wird jeweils abends bis zur vlligen Dunkelheit.

X.8 Forschungsbedarf Der hier aufgefhrte Forschungsbedarf gilt vorrangig fr deutsche Gewässer, die als Brut-, Rast- und Mausergewässer genutzt werden. Grundsätzlich ist es sinnvoll, in den Brutgebieten der bei uns nicht heimischen Vogelarten die Brutverbreitung, Bestands- grße, Überlebensrate, Ernährungskologie, Habitatwahl und den Bruterfolg zu untersuchen. In diesem Kapitel wurden grundlegende, bereits bestehende Forschungsprogramme nicht mehr aufgefhrt, wie beispielsweise die Seabirds-at-Sea-Erfassungen, die Wasservogelzählung oder Monitoringprogramme. Ebenfalls nicht aufgefhrt ist die Weiterfhrung ernährungskologischer Untersuchungen, die idealerweise verbunden mit einem gleichzeitigen Monitoring des Bruterfolgs durchgefhrt werden sollten. Aus derartigen Daten erarbeitete Befunde sind gute Indikatoren fr den gegenwärtigen Ökosystemzustand und mgliche Änderungen.

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III Artensteckbriefe

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1 Bergente

Aythya marila (Linnaeus 1761)

GB: Greater Scaup NL: Toppereend DK: Bjergand Foto: N. Sonntag S: Bergand PL: Ogorzalka Abb. 1-1: Männchen im PK

1.1 EU-Code A062

1.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

1.3 Kennzeichen Mittelgroße Tauchente mit recht großem, rundem Kopf und sanft ins Wasser abfallen- dem Heck; im Flug breiter weißer Flgelhinterrand deutlich sichtbar. Männchen PK: Schwarzer Kopf mit grnem Glanz, Brust und Heck schwarz, kontrastiert mit grau melierter Oberseite und weißen Flanken und Unterseite; im Flug helle Oberseite und mittelgrau wirkende Vorderflgel meist auffällig. SK: Kontrast- ärmer als im PK, mit Braunschimmer auf Kopf, Brust und Oberseite sowie manchmal etwas Weiß am Schnabelgrund. Weibchen: Matt braun mit graubraunen Flanken und etwas dunklerer Oberseite mit grauer Maserung; breit weiße Befiederung am Schnabelansatz; zur Brutzeit brauner, oft mit rostbraunen Flanken und meist mit hellem Ohrdeckenfleck. JK: Ähnlich Weibchen, aber weniger oder manchmal fehlendes Weiß am Schnabel- grund, Krper brauner als bei adulten Weibchen. Verwechslungsmglichkeiten: mit Reiherente; Bergenten-Männchen mit hellem, grau gemasertem Rcken; im Flug mit grauer (nicht schwarzer) Oberseite und Vorderflgel, kontrastreich von schwärzlicher Färbung von Brzel und Schwanzende abgesetzt; Weibchen im Winter mit hellerem Rumpf als Reiherente, mit grau gemaserten Flanken und breit weißer Befiederung am Schnabelansatz. Reiherente gelegentlich mit weißem

37 Ring um Schnabelbasis, aber niemals so ausgeprägt wie bei Bergente. Zu beachten: Hybridisierung mit anderen nahverwandten Arten mglich.

1.4 Verbreitung / Bestand 1.4.1 Welt / Europa

Bergenten sind holarktisch verbreitet und brten in Gebieten der nrdlichen Tundra, von NW-Europa (Island) bis O-Sibirien, aber auch in Nordamerika. Man differenziert zwei Unterarten, die sich nur gering unterscheiden: A. m. marila (Europa - Zentral- sibirien) und A. m. mariloides (O-Sibirien, Nordamerika). Der Weltbestand der Bergenten wird nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) auf 1,17-1,37 Mio. Individuen geschätzt. Die Verbreitung in Europa beschränkt sich weitgehend auf das nrdliche Fennoskandien, das Baltikum und Russland. Neuerdings gibt es auch Ausläufer nach Schweden, Dänemark und Deutschland (Schleswig-Holstein), in die Ukraine und nach Großbritannien. Es brten insgesamt etwa 180.000-190.000 Bergenten in Europa (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Im Winterhalbjahr treten Bergenten dagegen im nrdlichen Mitteleuropa sehr zahlreich auf. Neben der sdlichen Ostseekste ist das IJsselmeer mit etwa 60.000 Individuen das zweitbedeutendste Überwinterungsgebiet fr Bergenten in Europa (GILISSEN et al. 2002, VAN ROOMEN et al. 2006). Weitere Überwinterungsquartiere liegen an der Nordseekste und im Nordatlantik, aber auch im Bereich des Schwarzen Meeres. Die in Europa vorkommenden Bergenten werden in zwei biogeografische Popula- tionen aufgeteilt (Tab. 1-1).

Tab. 1-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeo- grafischen Populationen der Bergenten (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium W-Europa A. m. W-Sibirien, (außerhalb W-Europa 310.000 stabil 3.100 marila N-Europa Brutzeit) Schwarzes Meer, Kasp. Schwarzes A. m. 100.000 - Meer W-Sibirien Meer, Kasp. k.A. 1.500 marila 200.000 (außerhalb Meer Brutzeit)

38 1.4.2 Deutschland Status: regelmäßiger, aber seltener Brutvogel in SH, häufiger Durchzgler und Wintergast Die in Deutschland vorkommenden Bergenten gehren zur biogeografischen Population „W-Europa“. Das Brutgebiet der Bergenten ist in Deutschland berwiegend auf den Norden Schleswig-Holsteins beschränkt, Einzelbruten sind aber auch aus Niedersachsen bekannt. Seit 1989 brten Bergenten dort regelmäßig, seit Mitte der 1990er hält sich ein konstanter Brutbestand von ca. 5 Paaren (BOSCHERT 2005). Die deutschen Brutvgel bilden die Sdwestgrenze der Brutverbreitung der Art. Bergenten nutzen die Kstengewässer Deutschlands zum Überwintern. Während sich auf der Nordsee nur vereinzelte Individuen aufhalten, kommen sie entlang der Ostseekste in z.T. hohen Anzahlen vor. Die Verbreitung beschränkt sich dabei fast ausschließlich auf geschtzte Buchten, vor allem auf den Greifswalder Bodden, die Wismarbucht, die Untere Trave und den Dassower See (Abb. 1-3). In kstenfernen Bereichen halten sich nur geringe Anzahlen auf (Abb. 1-2). Im Mittwinter beträgt der Rastbestand an der deutschen Ostseekste rund 66.000 Individuen (Tab. 1-2; Zeitraum: 2000-2005). Im Binnenland sowie an der Nordseekste berwintern lediglich etwa 90 Individuen. Bergenten verhalten sich außerhalb der Brutzeit nomadisch, die Rastbestände in den Wintergebieten fluktuieren daher stark zwischen einzelnen Jahren (SNOW & PERRINS 1998, SCHÜTT 2001, BERNDT et al. 2005). Das wird auch anhand der Ergebnisse der Wasservogelzählung deutlich (Abb. 1-4). Nordsee In den deutschen Nordseegewässern kommen Bergenten nur selten als Rastvgel vor. Bisher wurden nur kstennah einzelne schwimmende Individuen beobachtet. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden bislang keine Bergenten nachgewiesen. Fr Bergenten wurden bislang keine Bestandszahlen berechnet. Ostsee Mit regelmäßig bis zu 40.000 rastenden Bergenten ist der Greifswalder Bodden der wichtigste Rastplatz im deutschen Ostseeraum (HELBIG et al. 2001). Weitere sehr bedeutende Rastgebiete sind die Boddengewässer westlich von Rgen, die Wismar- bucht sowie die Untere Trave einschließlich des Dassower Sees. Grßere Ansamm- lungen werden regelmäßig auch um und auf der Kieler Frde sowie in der Eckernfrder Bucht angetroffen.

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Abb. 1-2: Verbreitung der Bergenten in der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 1-3: Verbreitung der Bergenten in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

40 Da sich Bergenten tagsber auf Rastplätzen in den inneren Kstengewässern aufhalten und erst nachts zur Nahrungssuche in die äußeren Kstengebiete fliegen, sind sie durch Schiffstransektzählungen nur unzureichend zu erfassen. Nur ber die Wasservogel- zählung an den Tagesrastplätzen ergibt sich somit ein realistisches Bild der Verbrei- tung entlang der deutschen Ostseekste (Abb. 1-2). Im Sommerhalbjahr werden nur wenige Bergenten beobachtet, v.a. auf dem Dassower See (SCHÜTT 2001). Im SPA „Pommersche Bucht“ konnten erst einmal am westlichen Rand des Gebietes Bergenten beobachtet werden.

Tab. 1-2: Rastbestandszahlen der Bergenten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransekt- zählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop (%) Ostsee Pop (%) Bucht Pop (%) Frhjahr k.A. k.A. 0 0 0 0 Sommer k.A. k.A. 0 0 0 0 Herbst k.A. k.A. 0 0 0 0 Winter 66.000 21,3 0 0 0 0

1.4.3 Bestandsentwicklung Nach den Daten der Wasservogelzählung zeigt die Rastbestandsentwicklung im Januar keinen eindeutigen Trend ber den Gesamtzeitraum: Zwischen Mitte der 1980er und Anfang der 1990er Jahre stiegen die Winterbestände kurzfristig deutlich an. In diesen Jahren betrugen die Summen im Januar mehrmals ber 70.000 Individuen und im Maximum (1993) wurde der Bestand auf 110.000 Bergenten geschätzt (NEHLS & STRUWE-JUHL 1998). In den Folgejahren brachen die Bestände an der deutschen Ostseekste ein und fluktuieren seitdem auf niedrigerem Niveau (Abb. 1-4). Neben tatsächlichen Bestandsveränderungen bedingen auch regelmäßige Austauschbewe- gungen zwischen benachbarten Gebieten (SCHÜTT 2001) sowie großräumigere Verlagerungen (NEHLS & STRUWE-JUHL 1998, BERNDT 2005) die starken jährlichen Schwankungen.

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Abb. 1-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Bergenten in Deutschland im Januar 1968-2005 nach den Daten der Wasservogelzählung relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung siehe Kapitel II).

Ein sehr ähnlicher Bestandsverlauf kann in den Niederlanden beobachtet werden (VAN ROOMEN et al. 2005). Auch in Sdschweden wurden Anfang der 1990er Jahre die hchsten Bestände der vergangenen 30 Jahre ermittelt (die allerdings unter 1.000 Ind. lagen; NILSSON 2005). In Dänemark wurden dagegen in diesem Zeitraum keine deutlich hheren Rastbestände festgestellt, im Gegenteil: gegenber der Periode 1967- 1973 wurden deutlich weniger Bergenten gezählt. Ebenso fielen ab Mitte der 1990er Jahre keine deutlichen Zunahmen auf (PETERSEN et al. 2006). Es ist somit unklar, inwiefern die deutlichen Zu- und Abnahmen tatsächliche Bestandsveränderungen der Gesamtpopulation in dieser Grßenordnung widerspiegeln oder ob es sich um großräumige Verlagerungen der Überwinterungsgebiete handelt. Anders stellt sich die Situation bei den Abnahmen seit Mitte der 1990er Jahre dar: In Norwegen wurden bislang keine grßeren Überwinterungsbestände gefunden (SVORMKO-LUNDBERG et al. 2006), auch bei BZOMA & MEISSNER (2005) finden sich keine Hinweise auf Veränderungen in stlich gelegenen Überwinterungsgebieten. Falls die derzeit „fehlenden“ Bergenten nicht an einem anderen, mglicherweise bisher unbekannten Überwinterungsplatz in NW-Europa wiedergefunden werden, msste die derzeitige Bestandsschätzung von 310.000 Individuen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006) deutlich nach unten korrigiert werden.

42 1.5 Biologie / Ökologie 1.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: wahrscheinlich erst im 2. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn im Norden von Schneeschmelze abhängig, meist Mai / Juni, Brutdauer 26-28 Tage, Weibchen brten Gelege: 6-11 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich Kken: Weibchen fhrt die Jungen, Männchen oft noch anwesend, Kken nach 40-45 Tagen flgge und selbständig 1.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: > 3,3 Jahre Ältester Ringvogel: 13 Jahre 11 Monate Sterblichkeit: Adulte: jährlich durchschnittlich 52 % (Beringungsergebnisse Island) 1.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser setzt bei Bergenten ab September ein und geht in die 1. Pränuptialmauser (Teilmauser) ber, die bei Männchen im April und bei Weibchen etwas frher beendet ist. Die Postnuptialmauser (Vollmauser) setzt bei adulten Weibchen schon im März / April ein, bei den Erpeln erst ab Ende Mai. Erfolgreich brtende Weibchen mausern ihre Schwingen erst im September und Oktober im Winterquartier, während Männchen und nicht brtende Weibchen ihre Vollmauser schon vor Erreichen des Winterquartiers abgeschlossen haben (der genaue Zeitpunkt ist bisher nicht bekannt). Die synchrone Schwingenmauser, während der Bergenten flugunfähig sind, dauert ca. 3-4 Wochen (Abb. 1-5). Einzelne bersommernde Individuen wechseln ihr Großgefieder auf schleswig-holsteinischen Gewässern, v.a. auf dem Dassower See (SCHÜTT 2001).

43 1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 1-5: Mauserzyklus der Bergenten. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

1.5.4 Wanderungen Bergenten sind Zugvgel, in wenigen Regionen evtl. auch Teilzieher. Ab Juni / Juli beginnt der Zug in die Mausergebiete (wahrscheinlich ziehen zunächst Männchen und nicht brtende Weibchen). Ab Mitte August ziehen die Bergenten aus den Brutge- bieten ab und ab September (Maximum: Oktober) erscheint die Art in nennenswerter Anzahl an den Ksten Mecklenburg-Vorpommerns (KLAFS & STÜBS 1987), im Oktober dann auch in den westlicher gelegenen Rastgebieten (SCHÜTT 2001, BERNDT 2005). Die Brutvgel Finnlands und NW-Russlands ziehen berwiegend in WSW- Richtung mit den Zielen sdwestliche Ostsee und Niederlande sowie Großbritannien und N-Frankreich. Der Rckzug in die Brutgebiete setzt im Februar ein und zieht sich bis in den April. Ab Mitte Mai findet die Ankunft in den nrdlichsten Brutgebieten statt. Immature Nichtbrter ziehen z.T. nicht zu den Brutplätzen zurck, sondern bleiben in den Winterquartieren oder in den Durchzugsrastgebieten.

1.5.5 Habitat Bergenten brten an stehenden Gewässern in der subarktischen Wald- und Strauch- tundrenzone und auf Hochmoorseen sowie auf den Schären der Ostsee (Verbreitung s. Kapitel 1.4.1). Zum Überwintern kommen Bergenten in die Kstengebiete und knnen dort in z.T. großen Ansammlungen beobachtet werden. Sie bevorzugen dort geschtzte Ästuare, Wattgebiete und Buchten. Untersuchungen in der Hohwachter Bucht in den Wintern 1977 / 78 und 1978 / 79 zeigten, dass sich Bergenten berwiegend in Gewässerbereichen ber sandigem Schlick und Sand sowie ber Restsedimenten aufhielten. 40 % der Enten hielten sich zudem in Bereichen mit Wassertiefen unter 7 m auf. Mehr als die Hälfte der Bergenten nutzten Gebiete mit Tiefen von 7-13 m (BERNDT & BUSCHE 1993). Außerdem sind sie dichter an der Kste anzutreffen als z.B. Eider-, Eis- und Trauer- enten. So beobachtete KIRCHHOFF (1979), dass sich fast die Hälfte eines Rastbestandes der Bergenten in einer Entfernung bis zu 250 m von der Kste aufhielt, während sich 26 % in 250-500 m, 8 % in 500-700 m und 20 % in 750-1000 m Entfernung zur Kste

44 befanden. Auch im Binnenland werden berwinternde Bergenten beobachtet, dort kommen sie auf großen und tiefen Seen vor.

1.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Ähnlich wie Reiher- und Tafelenten (Aythya fuligula und A. ferina) suchen auch Bergenten vorwiegend nachts nach Nahrung (LEIPE 1986). Erst bei einsetzendem Frost und zunehmender Vereisung der Tagesschlafplätze auf Binnengewässern gehen Bergenten auf der Ostsee zu verstärkter Tagaktivität ber (STRUWE 1993, SCHÜTT 2001). KUBE et al. (2005a) wiesen Nahrungsgrnde in der Wismarbucht nach, die etwa 50 km von den Schlafplätzen entfernt waren. Beim Nahrungserwerb knnen Bergenten bis zu 7 m tauchen, die von ihnen bevorzugte Tauchtiefe beträgt aber meist weniger als 3,5 m. (BERNDT & BUSCHE 1993).

POULTON et al. (2002) fanden in der Bucht von San Francisco heraus, dass weibliche Bergenten häufiger Tauchgänge durchfhrten als Männchen. Generell fressen Bergenten hauptsächlich unterschiedliche Arten von Muscheln. Am häufigsten werden Sandklaffmuscheln (Mya arenaria), Miesmuscheln (Mytilus edulis) und Baltische Plattmuscheln (Macoma balthica) erbeutet. Im Frhjahr wird regelmäßig Fischlaich aufgenommen. Ostsee NILSSON (1972) analysierte die Mageninhalte von geschossenen Bergenten in der schwedischen Ostsee in der Region Öresund. In 87 % aller Mägen wurden Mies- muscheln (Mytilus edulis) gefunden. Am zweithäufigsten war die Baltische Plattmuschel (29 %). In geringeren Mengen wurden Herzmuscheln (Cardium spec.), Sandklaffmuscheln und Schnecken der Gattung Littorina nachgewiesen, in sehr wenigen Fällen auch Polychaeten.

STEMPNIEWICZ & MEISSNER (1999) untersuchten die Nahrung von in Fischernetzen ertrunkenen Bergenten (September-April der Jahre 1987-1997) in der Danziger Bucht (Polen). Während andere Entenarten zumindest während bestimmter Zeiten des Jahres neben Mollusken auch Fisch und Fischlaich fraßen, konzentrierten sich die Bergenten während der Untersuchungsperiode fast ausschließlich auf Mollusken. In jedem untersuchten Magen befanden sich Muscheln. Hier dominierten die Sandklaffmuscheln (in 100 % der Proben), gefolgt von Herzmuscheln (Cerastoderma glaucum) (98 %), Baltischen Plattmuscheln (71 %) und Miesmuscheln (Mytilus trossulus). In 98 % der Proben kam außerdem die Bauchige Wattschnecke Hydrobia ventrosa vor. Die gefressenen Muscheln hatten meist eine Grße von 7-10 mm.

45 SELLIN (1990) beobachtete im Frhjahr der Jahre 1984 und 1989, dass einige Individuen im Greifswalder Bodden Fischlaich als Nahrung nutzten, andere dagegen tauchten berwiegend nach Muscheln. Auch im Bereich des Unterlaufes der Trave konnten Bergenten im Frhjahr bei der Aufnahme von Fischlaich beobachtet werden, in anderen Jahreszeiten wurden jedoch am häufigsten Mollusken gefressen (SCHÜTT 2001). Im Gegensatz zur Ostsee, wo die Baltische Plattmuschel eine wichtige Nahrungsquelle fr Bergenten darstellt, ignorierten Bergenten diese Art in der Bucht von San Francisco vollständig und erbeuteten hauptsächlich Asiatische Muscheln (Potamocorbula amurensis, POULTON et al. 2002).

1.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Bergenten sind sowohl tag- als auch nachtaktiv. Überwinternde Vgel in nordeuro- päischen Gebieten fressen hauptsächlich nachts (NILSSON 1970), in sdlicheren Gebieten tagsber. Der Aktivitätsrhythmus von Bergenten an Kstengewässern wird hauptsächlich durch die Gezeiten bestimmt. Beobachtungen zur Zugaktivität am Feuerschiff „Fehmarnbelt“ zeigten, dass diese in den frhen Morgenstunden bis in den Vormittag hinein am grßten war. Zudem zogen die Bergenten durchweg niedrig, 25 % der Vgel flogen bis zu 5 m ber der Wasseroberfläche, 60 % flogen in Hhen zwischen 5 und 15 m und nur 16 % zogen in Hhen ber 15 m (BERNDT & BUSCHE 1993).

1.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 1.6.1 Gefährdungsursachen Bergenten sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Reduktion des Nahrungsangebotes z.B. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Fischerei, Sedimentabbau, Ausbau von Fahrwassern - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Strungen an den Schlafgewässern durch Tourismus und Freizeitaktivitäten - Jagd

46 1.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Bergenten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Bergenten weisen eine hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffsverkehr auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen meist auf (z.B. GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsver- kehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes fr Bergenten fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekter Mortalität fhren. In den Überwinterungsgebieten fressen Bergenten nachts, der Flug von den Tagesrast- plätzen zu den Nahrungsgebieten erfolgt in der Regel bei Dunkelheit. Auch der Zug findet offenbar hauptsächlich nachts statt. Bergenten sind daher sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Ein Wert fr den Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) wurde nicht berechnet. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraum- zerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgeru- fener Mortalität fhren. Bergenten ernähren sich im Winterquartier berwiegend von benthischen Invertebra- ten (vgl. Kapitel 1.5.6). Da die Nahrung tauchend erbeutet wird, sind Bergenten besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung des Vogelvorkommens mit Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten kommen, zumal Bergenten häufig in großen Konzentrationen vorkommen. Die dnnen Monofilament-Netze sind fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfischerei mit weit- maschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere im Greifswalder Bodden und in den Kstengewässern bis zur 10 m-Tiefenlinie. In diesen Gebieten kommen im Winterhalbjahr auch Bergenten in z.T. großer Anzahl vor. Bergenten ernähren sich berwiegend von Mollusken und konkurrieren deshalb nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Bergenten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. In der Wismarbucht zählen sie zu den häufigsten Opfern in der Stellnetzfischerei, wodurch

47 die jährliche Mortalität des dortigen Winterbestandes um 8 % gesteigert wird (GRIMM 1985). An der schleswig-holsteinischen Ostseekste kommen nach Berechnungen von KIRCHHOFF (1982) jährlich ca. 300 Bergenten durch Verfangen und Ertrinken in Stell- netzen um. Extrem hohe Verluste gibt es auch im IJsselmeer (Niederlande), wo der jährliche Verlust auf ber 11.000 Tiere beziffert wird (VAN EERDEN et al. 1999), was ca. 10 % des dortigen Maximalbestandes im Winter und fast 4 % der biogeografischen Population „W-Europa“ entspricht. Auch in weiteren Ländern gibt es hohe Verluste (z.B. Polen: STEMPNIEWICZ 1994), so dass ein erheblicher negativer Einfluss der Stellnetzfischerei auf die Population vermutet wird. Das Vorkommen in teilweise sehr großer Anzahl macht Bergenten sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitun- gen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). In den dänischen Ostseebereichen wird Verlung als eine Hauptbedrohung fr die Winterrastbestände eingestuft (TUCKER & HEATH 1994). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufge- nommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsun- fälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Bergenten sind aufgrund ihrer Nahrungsspezialisierung auf Gebiete mit ausreichenden Vorkommen an fr sie verwertbaren Muscheln angewiesen. Bergenten tauchen beim Nahrungserwerb bis zum Grund. Ihre Tauchtiefe ist variabel und abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit und -qualität. Ihre Tauchphysiologie limitiert jedoch die energetisch rentabel nutzbaren Wassertiefenbereiche. Dies schränkt Bergenten in ihrer Habitatwahl ein. Umso entscheidender ist der Erhalt und Schutz der geeigneten Nahrungsgebiete. Muschelfischerei und Sedimentabbau knnen große Muschelvor- kommen innerhalb von kurzer Zeit stark reduzieren oder sogar ganz entfernen. Die Verluste knnen nicht durch stärkeres Muschelwachstum ausgeglichen, sondern erst durch Neuansiedlung kompensiert werden. Neben Sedimentabbau kann es auch durch weitere Eingriffe in den Meeresboden, wie dem Ausbau von Fahrrinnen oder Materialverklappung, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Makrozoobenthos kommen. Derartige Eingriffe knnen daher zu einem Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten und damit zu Nahrungsengpässen fhren, insbesondere dann, wenn durch strenge Winter die Muschelbestände schon natrlicherweise reduziert sind. Eine

48 nachhaltige Sicherung kologisch intakter Nahrungsgebiete ist daher dringend erforderlich (KUBE et al. 2005a). Bergenten knnen ab dem 2. Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen und besitzen meist eine sehr hohe Anzahl an Jungvgeln. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher vermutlich bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, sofern der Schutz in den Brutgebieten gewährleistet ist. Aufgrund einer starken Abnahme der Winterbestände in NW-Europa im Zeitraum 1990-2000 und einer vermuteten Abnahme von ber 50 % der gesamten europäischen Population (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004) werden Bergenten auf der Roten Liste Europas derzeit als „stark gefährdet“ gefhrt. Die Einstufung in die SPEC-Kategorie 3W verdeutlicht den ungnstigen Erhaltungszustand des europäischen Winterbe- standes (Tab. 1-3). Neben den oben genannten Gefährdungen wie Stellnetzfischerei, Verlung oder Nahrungsverknappung sind Bergenten zudem an ihren tagsber genutzten Schlafplätzen, die meist in den inneren Kstengewässern oder auf ksten- nahen Seen liegen, sehr empfindlich gegenber Strungen durch Freizeitaktivitäten, z.B. durch Angler, Spaziergänger oder Bootsverkehr. Zudem gehren Bergenten gemäß Anhang II der EU-Vogelschutzrichtlinie in einigen EU-Staaten, u.a. in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden, zu den jagdbaren Arten. Über die jährliche Jagdstrecke in Deutschland liegen keine Angaben vor, in Dänemark wurden zwischen 1999 und 2004 jährlich ca. 300-500 Bergenten erlegt, doch auch hier sind die Angaben ungenau (BREGNBALLE et al. 2006). In N-Deutschland, das am Rand des natrlichen Verbreitungsgebietes liegt, brten alljährlich einzelne Bergentenpaare (siehe BOSCHERT 2005). Bergenten werden in der Roten Liste Deutschlands als „selten, mit geografischer Restriktion“ gefhrt (Tab. 1-3). Mit grßeren Veränderungen des Brutbestandes ist in den nächsten Jahren nicht zu rechnen (BOSCHERT 2005).

Tab. 1-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Bergenten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) EN R entfällt R entfällt entfällt I Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II, III 3W II III +

49 1.7 Erfassung Ksten-Wasservogelzählungen Zählung tagsber am Schlafplatz Radarerfassungen Quantifizierung von Austauschbeziehungen zwischen Tagesrastplätzen und Nahrungs- gebieten. Mit Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen kann die Art nur ungengend erfasst werden, da Bergenten tagsber in geschtzten Buchten und auf Seen in Kstennähe schlafen und erst nachts zur Nahrungssuche in die äußeren Kstengewässer fliegen.

1.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in der Ostsee - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

50 2 Eiderente

Somateria mollissima (Linnaeus 1758)

GB: Common Eider NL: Eidereend

DK: Ederfugl Foto: N. Sonntag S: Ejder Abb. 2-1: Männchen im PK und PL: Edredon Weibchen

2.1 EU-Code A063

2.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

2.3 Kennzeichen Kräftige Meeresente mit kurzem Hals und großem Kopf, der flachstirnig in den langen, keilfrmigen Schnabel bergeht. Breite, relativ kurze Flgel. Männchen im Prachtkleid berwiegend weiß; Bauch, Steiß, Flanken und Scheitel schwarz; Halsseiten lindgrn. Im Schlichtkleid sehr dunkel, ungebändert, Oberflgeldecken und lange Schirmfedern weiß. Weibchen beigegrau bis kräftig rotbraun mit kräftiger, dunkler Bänderung; dunkler Spiegel mit weißer Begrenzung. JK: dunkler braun und mit schwächerer Bänderung; keine weiße Begrenzung des dunklen Spiegels. Immature Männchen schwarzbraun, mit je nach Mauserstadium variablem Weißanteil.

51 2.4 Verbreitung / Bestand 2.4.1 Welt / Europa Eiderenten brten berwiegend an den arktischen und borealen Ksten mit lcken- hafter zirkumpolarer Verbreitung von NW-Europa bis Nordamerika. Die nrdlichsten Brutgebiete liegen auf Spitzbergen und Franz-Joseph-Land. Im Sden reicht die Brutverbreitung bis in die Bretagne. Eiderenten kommen zudem isoliert am Schwarzen Meer vor. Weltweit unterscheidet man sechs Unterarten: S. m. mollissima: Europa außer Island und N-Norwegen, entlang der Ksten NW-Europas von Frankreich nach Großbritannien bis zur Ost- see S. m. islandica: N-Norwegen, Spitzbergen, Island, Grnland S. m. faeroensis: Färer, kaum von S. m. islandica verschieden S. m. borealis: Grnland, arktisches Kanada nach Westen bis Southampton, Island S. m. dresseri: Nordstliche Gebiete von Nordamerika, von Zentral-Labrador nach Sden S. m. sedentaria: Hudson Bay

In WETLANDS INTERNATIONAL (2006) wird die Unterart islandica unter der Unterart borealis eingeordnet. Zudem gibt es noch die Unterart v-nigra mit der Brutverbreitung NO-Sibirien, Alaska, W-Kanada. Der Weltbestand der Eiderenten wird auf > 3 Mio. Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006).

In Europa brten 840.000-1,2 Mio. Eiderenten-Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004) mit einem Schwerpunkt in Skandinavien. In Mitteleuropa brten sie hauptsäch- lich im Nordseeraum, kommen aber auch im Atlantik bis nach Frankreich vor. Im Wattenmeer gibt es sehr hohe Nichtbrterbestände von meist immaturen Vgeln mit einem hohen Ausbreitungspotential. Das gesamte Wattenmeer ist eines der Haupt- berwinterungsgebiete fr Brutvgel aus Finnland, Schweden und der ehemaligen Sowjetunion (BRÄGER & NEHLS 1987, SKOV et al. 1995). Im Binnenland kommen Eiderenten nur sporadisch vor, es gab allerdings vereinzelte Bruten bzw. Mauser- und Überwinterungsvorkommen an großen Voralpenseen. Die in Europa vorkommenden Eiderenten werden in mehrere biogeografische Populationen aufgeteilt (Tab. 2-1).

52 Tab. 2-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeo- grafischen Populationen der Eiderenten (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium S. m. Großbritan- Großbritan- k.A. 73.000 k.A. 750 mollissima nien, Irland nien, Irland S. m. Ostsee, Ostsee, abneh- k.A. 760.000 7.600 mollissima Wattenmeer Wattenmeer mend Norwegen, Russland Norwegen, S. m. Norwegen, 300.000- ostwärts bis NW- stabil 4.250 mollissima NW-Russland 550.000 Novaya Russland Zemlya S. m. 20.000- Weißes Meer Weißes Meer k.A. k.A. 250 mollissima 30.000 S. m. Schwarzes Schwarzes zuneh- k.A. 5.400 55 mollissima Meer Meer mend S. m. 6.000- Färer Inseln Färer Inseln k.A. stabil 90 faeroeensis 12.000 S. m. Shetland, Shetland, 12.000- k.A. stabil 130 faeroeensis Orkney Inseln Orkney Inseln 13.500 Svalbard, Svalbard, S. m. 40.000- Franz Franz unbekannt stabil 600 borealis 80.000 Joseph-Land Joseph-Land S. m. 600.000- zuneh- Island Island k.A. 7.500 borealis 900.000 mend S. m. <10.000- NO-Grnland NO-Grnland Island stabil 250 borealis 25.000 Atlantik- kste S. m. Arktis, NO- Arktis, NO- abneh- Kanadas, 600.000 6.000 borealis Kanada Kanada mend SW- Grnland

2.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler, Mausergast und Brutvogel an Nord- und Ostsee; selten und in geringer Zahl im Binnenland. Die in Deutschland vorkommenden Eiderenten gehren zur biogeografischen Population „Ostsee, Wattenmeer“. In Deutschland brten 1.400-1.500 Eiderenten-Paare (Bezugszeitraum: 1995-1999, BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Der Großteil brtet in den niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Bereichen des Wattenmeeres (1.376 Paare, Bezugszeitraum 2001, KOFFIJBERG et al. 2006). Die Eiderente ist die einzige Entenart, die sowohl auf der Nord- als auch auf der Ostsee mit großen Beständen und weit verbreitet vorkommt. Außerhalb der Brutzeit halten sich Eiderenten berwiegend auf Sanden und Flachgrnden auf.

53 Die Schwerpunkte der Verbreitung im Winter liegen auf den Ostfriesischen Inseln und im schleswig-holsteinischen Wattenmeer sowie an der Ostseekste von der dänischen Grenze bis zur Wismarbucht (Abb. 2-2 und 2-3). Auf der Ostsee ist eine deutliche Abnahme der Mittwinterbestände von West nach Ost zu erkennen. Östlich der Halbinsel Wustrow sinken die Bestandszahlen deutlich, im Bereich des Greifswalder Boddens werden nur noch einzelne Individuen beobachtet. Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 320.000 Tiere (DDA unver- ffentl., Tab. 2-2 und 2-3). Dies entspricht ca. 42 % der biogeografischen Population „Ostsee, Wattenmeer“. Die Auswertungen von Befliegungen zeigten, dass der Bestand der Eiderenten im deutschen Wattenmeer im Winter in den 1990er Jahren zwischen 100.000 und 150.000 Individuen schwankte. Ab dem Jahr 2000 lagen die jährlichen Zählsummen jedoch stets unter 100.000 Individuen ( BLEW et al. 2005, SCHEIFFARTH & FRANK 2005). Fr einen ähnlichen Zeitraum (1987-2003) schätzten GARTHE et al. (2003a) die Bestände auf der Ostsee auf mindestens 240.000 Eiderenten. Nordsee An der deutschen Nordseekste halten sich Eiderenten ganzjährig auf (Tab. 2-2). Fr Brutvgel aus dem Ostseeraum und dem Nordwesten Russlands ist das Wattenmeer eines der Hauptberwinterungsgebiete (BRÄGER & NEHLS 1987; SKOV et al. 1995). Die hchsten Rastbestände der Eiderenten werden im deutschen Teil der Nordsee nach der Brutzeit, also in den Spätsommer-, Herbst- und frhen Wintermonaten erreicht. Im Frhjahr sinkt die Anzahl der Vgel auf ein Minimum. Die Abnahme der Bestände erfolgt vor allem im niedersächsischen Teil des Wattenmeeres von November bis März mehr oder weniger kontinuierlich. Im schleswig-holsteinischen Teil bleiben die Rastbestände dagegen in dieser Zeit etwa stabil (SCHEIFFARTH & FRANK 2005). Der Sommerbestand setzt sich aus Brutvgeln des Wattenmeeres, bersommernden Nichtbrtern sowie Mauservgeln aus der Ostsee zusammen (SWENNEN 1976 in NEHLS et al. 1988). Die Brutvgel der Ostsee (Hauptbrutgebiete sind die schwedischen und finnischen Schärengebiete) nutzen neben der westlichen Ostsee (Beltsee) das Wattenmeer als Mauser- und Überwinterungsgebiet (BERNDT & BUSCHE 1993). Nach NEHLS (1991) ist das schleswig-holsteinische Wattenmeer das bedeutendste zusammenhängende Mausergebiet fr die Ostseepopulation der Eiderenten. Wichtigste Mauserplätze sind bei Trischen, im Wesselburener Loch, stlich von Sylt sowie die Bereiche der Außensände im schleswig-holsteinischen Wattenmeer (NEHLS 1991).

54

Abb. 2-2: Verbreitung der Eiderenten auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 2-3: Verbreitung der Eiderenten in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

55 Die Herbstverbreitung im Wattenmeer ist vom Zuggeschehen entlang der Ksten geprägt. Die großen Mauserplätze werden verlassen und die Winterquartiere aufgesucht. Die Mausergebiete werden im Winter nur gelegentlich genutzt (NEHLS 1991, BERNDT & BUSCHE 1993). Die Winterquartiere der Eiderenten beschränken sich fast ausschließlich auf die kstennahen Flachwasserbereiche bis zur 5 m-Tiefenlinie. Entsprechend kommen sie nahezu im gesamten äußeren Wattenbereich vor den Inseln und Halligen in hohen Dichten vor. In den Wintermonaten scheinen Eiderenten im Gegensatz zur Mauserzeit eher die sublitoralen Bereiche des Wattenmeeres zu bevorzugen. Diese ermglichen auch während des Niedrigwassers das Tauchen nach Nahrung. Somit kann die Zeit zur Nahrungssuche ausgedehnt werden, um den hohen Energiebedarf im Winter decken zu knnen (NEHLS 1991). Auch im Frhjahr ziehen Eiderenten vor allem entlang der Ksten. Hohe Konzentrationen finden sich dabei vor den ostfriesischen Inseln, im Elbe-Weser-Dreieck sowie vor der Meldorfer Bucht und der Eidermndung, von wo aus Eiderenten flussaufwärts zur Ostsee ziehen (BERNDT & BUSCHE 1993). Kstenfern auf dem Meer kommen Eiderenten im gesamten Jahresverlauf nur in geringen Anzahlen vor, insbesondere halten sie sich im Bereich um Helgoland auf. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Eiderenten nur unregelmäßig und in geringer Anzahl vor. Einzelne Nachweise stammen bisher aus den Monaten Oktober, November und Januar.

Tab. 2-2: Rastbestandszahlen der Eiderenten fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 1996-2005). Grßen- klassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 62.000 8,2 0 0,0 0 0 Sommer 115.000 15,1 0 0,0 0 0 Herbst 180.000 23,7 III <0,1 0 0 Winter 130.000 17,1 III <0,1 0 0

Ostsee Auswertungen der Wasservogelzählung zeigen, dass die Rastbestände auf der deutschen Ostsee zwischen November und März am hchsten sind und sie in diesen Monaten im langjährigen Mittel wenig Veränderungen zeigen (DDA unverffentl.). In diesen Monaten erfolgt ein Zuzug vor allem aus den Brutgebieten der nrdlichen Ostsee (BØNLØKKE et al. 2006).

56 Der Schwerpunkt der Verbreitung der Eiderenten liegt in der sdwestlichen Ostsee. Dort treten sie vom Herbst bis zum Frhjahr v.a. in der Kieler Bucht, der Hohwachter Bucht und um Fehmarn in hohen Dichten auf. Das Vorkommen setzt sich kstennah durch die Mecklenburger Bucht bis zum Darß fort, weiter stlich tritt die Art aber nur noch vereinzelt und in meist geringen Dichten auf. Ein solcher West-Ost-Gradient wurde auch in Schweden beobachtet (NILSSON 2005). NEHLS & STRUWE-JUHL (1998) vermuten fr die deutsche Ostsee einen Zusammenhang mit der Nahrungsverfgbar- keit, speziell der abnehmenden Grße der Miesmuscheln (Mytilus edulis) entlang des Salzgehaltsgradienten von West nach Ost. Im Winter kann zumindest zeitweise ein kleiner Bestand der Eiderenten im Greifswalder Bodden sowie stlich davon beobachtet werden. Auch im Herbst und Frhjahr wurden einzelne Eiderenten in der Pommerschen Bucht und im Greifswalder Bodden nachgewiesen. Im Sommer halten sich nur sehr wenige Eiderenten auf deutschen Ostseegewässern auf. Auch in dieser Jahreszeit werden sie meist in der Kieler Bucht und in den Bereichen westlich von Fehmarn beobachtet. Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Eiderenten nur im Winter mit einem geringen Rastbestand vor (Tab. 2-3).

Tab. 2-3: Rastbestandszahlen der Eiderenten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransekt- zählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 5.000 0,7 0 0,0 Sommer k.A. k.A. 0 0,0 0 0,0 Herbst k.A. k.A. 8.000 1,1 0 0,0 Winter 190.000 25 9.000 1,2 130 <0,1

2.4.3 Bestandsentwicklung Eiderenten begannen zwischen 1785 und 1805 im Wattenmeer (Sylt) zu brten (BERNDT & BUSCHE 1993). Eine erhebliche Ausweitung des Brutareals fand zwischen 1900 und 1910 statt. In den folgenden Jahren schwankten die Brutbestände in Schleswig-Holstein, bis sie ab 1950 ber mehrere Jahre in Folge anstiegen. 1973 wurde das bisherige Maximum mit 2.250 Brutpaaren erreicht (BERNDT & BUSCHE 1993). Seit Anfang der 1980er Jahre geht die Zahl der Bruten im wichtigsten Gebiet, Amrum, kontinuierlich zurck (BERNDT et al. 2002). Obgleich die Brutpaarzahlen an kleineren Brutplätzen steigen, knnen die Verluste auf Amrum nicht ausgeglichen werden.

57 Seit 1986 brten Eiderenten auch an der schleswig-holsteinischen Ostseekste. 1999 konnten 30 Paare gezählt werden (BERNDT et al. 2002). Der erste Brutversuch in Mecklenburg-Vorpommern fand 1985 statt. Fr den Zeitraum von 1994-1998 wird ein Brutbestand von 0-7 Paaren angegeben (EICHSTÄDT et al. 2006), fr 2000 nennen GARTHE et al. (2003a) 9 Paare. Im Rahmen der landgesttzten Wasservogelzählung werden Eiderenten nur zu geringen, variierenden Anteilen erfasst, vermutlich in Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen an den Zähltagen (vgl. Eisente). Entsprechend muss zur Erfassung der Bestandsentwicklung auf die Befliegungsdaten zurckgegriffen werden. Die Befliegungsdaten von KEMPF et al. (2005) zeigen, dass nach einem Bestandsmaximum 1997 im folgenden Winter ein enormer Einbruch stattgefunden hat. Die Rastbestände erholten sich in den folgenden Jahren etwas, fielen dann aber im Jahr 2003 wieder stark ab (Abb. 2-4). Im Winter 1999 / 00 kam es im Wattenmeer zu einem Massensterben von Eiderenten. Im niederländischen Wattenmeer verhungerten 21.000 Eiderenten, im deutschen Teil etwa 10.000 (CAMPHUYSEN 2001, FLEET 2001). Als eine der mglichen Ursachen fr dieses Massensterben und den Rckgang der Brutpaare wird die mit der intensiven Muschelfischerei mglicherweise einhergehende Nahrungsverknappung diskutiert (SCHEIFFARTH & FRANK 2005). Auf Grundlage einer umfassenden Analyse vermuten CAMPHUYSEN et al. (2002), dass eine Kombination der Faktoren (a) starker Fischereidruck auf Herzmuscheln, (b) geringe Bestände in Miesmuschel-Kulturen, (c) milde Winter mit geringem Larvenfall und verringerter Muschel-Qualität und (d) die nach intensiver Befischung fast vollständig entfernte alternative Nahrungsquelle Spisula fr den Bestandsrckgang verantwortlich sind. Deutliche Bestandsrckgänge wurden auch bei den in dänischen Gewässern berwinternden Eiderenten beobachtet (DESHOLM et al. 2002). Die Bestände nahmen um ber die Hälfte von ca. 800.000 Ind. im Jahr 1990 auf ca. 370.000 Ind. im Jahr 2000 ab. Auch hier werden eine Reihe von Faktoren diskutiert, u.a. verringerte Überlebensrate, Bejagung und durch Krankheiten ausgelste Massensterben.

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Abb. 2-4: Entwicklung der Mittwinterbestände der Eiderenten im schleswig-holsteinischen Teil der Ostsee von 1988 bis 2005. Die Daten sind Zählsummen und basieren auf Flugzeugzählungen von N. KEMPF, J. MEIßNER, W. PIPER u.a. (zuletzt: KEMPF et al. 2005). Es wurde jeweils die Zählung verwendet, die dem Mittmonatstermin des Januars am nächsten liegt. 1990 erfolgte keine Zählung.

2.5 Biologie / Ökologie 2.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: Männchen im 3. Lebensjahr, Weibchen oft im 3., aber auch im 2. und 4. Lebensjahr Paarbildung: meist monogame Saisonehen, Wiederverpaarung nicht selten Brutzeit: Legebeginn im Sden ab Mitte April, im Norden ab Mitte Mai, Brutdauer 25-28 Tage, Weibchen brtet, Männchen an- fangs anwesend Gelege: 4-6 Eier; 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich Kken: Weibchen fhrt die Jungen, oft Kindergartenbildung unter Fhrung weniger Weibchen, Kken nach 55-60 Tagen flgge, nach 65-75 Tagen selbständig

59 2.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 5 Jahre Ältester Ringvogel: 37 Jahre 10 Monate Sterblichkeit: Adulte: 20-40 % pro Jahr; 70 % sterben im 1. Jahr, später dann 25 % pro Jahr (nach Ringfunden in Schweden berechnet) 2.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser beginnt im September und geht in die 1. Pränuptialmauser (Teilmauser) ber, die vom Umfang sehr variabel ist und sich bis in den Mai des 2. KJs hinziehen kann. Daran schließt sich die 1. Postnuptialmauser (Vollmauser) an, die zeitlich nur schwer zur 2. Pränuptialmauser (ebenfalls Vollmauser) abgegrenzt werden kann. Die Postnuptialmauser (Vollmauser) der zwei- und mehrjährigen Männchen beginnt je nach geografischer Lage schon im Juni. Während die Weibchen mit der Brut beginnen, versammeln sich die Männchen der mittleren und nrdlichen Ostsee in den äußeren Schärengebieten zu großen Vormausergesellschaften. Ab Mitte Mai fliegen sie zusammen in ihre Mausergebiete, z.B. ins Wattenmeer. Das Großgefieder wird synchron gemausert, so dass die Eiderenten fr 3-4 Wochen flugunfähig sind (Abb. 2-5). Flugfähig sind die meisten Erpel dann wieder ab Ende August / Anfang September. Die großen Mausergruppen im Wattenmeer bestehen meist zu ber 90 % aus adulten Männchen (Juli / August). Zählergebnisse von NEHLS (1991) deuten ebenfalls darauf hin, dass Weibchen in der Nähe ihrer Brutgebiete mausern. Im Anschluss daran vollzieht sich die Pränuptialmauser (Teilmauser), bei der die Vgel ins Prachtkleid mausern. Die ersten Männchen im Prachtkleid kann man meist ab September beobachten.

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 2-5: Mauserzyklus der Eiderenten. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

2.5.4 Wanderungen Mitteleuropäische Eiderenten sind Teilzieher, häufig kommt es zu Streuungswande- rungen der immaturen Vgel. Mehr als bei anderen Entenarten ist bei Eiderenten der

60 Tagzug ausgeprägt. Sie orientieren sich an landschaftlichen Leitlinien und ziehen oft entlang der Kste. Je nach Herkunftsgebiet knnen Eiderenten im Winter in ihren Brutgebieten ausharren oder unterschiedlich ausgeprägte Zugmuster zeigen: Brutvgel aus Großbritannien und Irland wandern regelmäßig bis zu 200 km. Brutvgel aus den Niederlanden sind eher Teilzieher und wandern bis nach NW-Frankreich und Großbritannien. Brutvgel Spitzbergens wandern bis Norwegen und Nordschottland, die Brutvgel aus dem Ostseeraum berwintern berwiegend in der westlichen Ostsee. Männchen aus der sdlichen Ostsee beginnen den Mauserzug in die dänische Ostsee und ins Wattenmeer im Mai. Im Juni und Juli folgen dann Vgel aus den nrdlicheren Gebieten, darunter auch Weibchen. Der Anteil adulter Männchen beträgt im Juli / August meist ber 90 % (NEHLS 1991). Ab September erscheinen mehr Weibchen und Jungvgel in den Winterquartieren des Wattenmeeres bzw. der westlichen Ostsee. Gleichzeitig erfolgt eine Abwanderung von Vgeln aus den Mausergebieten im deutschen Wattenmeer in die Überwinterungsgebiete im niederländischen und dänischen Kstenbereich (BERNDT & BUSCHE 1993). Ab Oktober kehren die ersten Eiderenten aus den Mausergebieten im Wattenmeer auf die Ostsee zurck (NEHLS 1991). Vor der niederländischen Kste werden ab Januar Zugbewegungen in nrdliche Richtung beobachtet, deutlicher Heimzug aus dem Wattenmeer in die Brutgebiete setzt im Februar ein (CAMPHUYSEN & VAN DIJK 1983, BERNDT & BUSCHE 1993). Im März erreicht der Heimzug in die Brutgebiete seinen Hhepunkt und ist im April weitgehend abgeschlossen (NEHLS et al. 1988, BERNDT & BUSCHE 1993).

Beobachtungen von ALERSTAM et al. (1974) weisen darauf hin, dass zumindest im Herbst ein Austausch zwischen Ostsee und Wattenmeer stattfinden kann. NEHLS (1991) deutet diese Zugbewegungen als kurzfristige Anpassung an sich verändernde Bedingungen in der Ost- oder der Nordsee.

2.5.5 Habitat Eiderenten brten entlang der Kste und auf vorgelagerten Inseln und Halligen, seltener an Binnenseen. Die Wahl des Nistplatzes richtet sich nach den rtlichen Gegebenheiten, so brteten Eiderenten frher meist ausschließlich in Dnen- und Heidegebieten. Heute brten sie jedoch auf einigen Inseln auch auf Wiesen, am Boden von Nadelwald-Kulturen, in Getreidefeldern, im Splsaum und an Grabenrändern (BERNDT & BUSCHE 1993; zur Verbreitung s. Kapitel 2.4.1). Somit bedrfen sie keines besonderen Brutsubstrates, sondern die Nähe zum Nahrungshabitat drfte fr die Wahl des Brutplatzes eine wichtigere Rolle spielen.

61 Fr die Wahl der Mauserplätze auf der Nordsee ist die Nähe zu trockenfallenden Sandbänken wichtig, auf denen die Vgel bei Niedrigwasser rasten knnen (NEHLS 1991). Daneben wird die räumliche Verteilung der mausernden Eiderenten stark durch das Auftreten von Strungen wie Schiffsverkehr und Tourismus geprägt (THIEL et al. 1991, NEHLS 1991). Da sich die Fluchtdistanz der Eiderenten während der Mauserzeit erhht, halten sich die flugunfähigen Vgel oft fern von besiedelten Gebieten oder von regelmäßig befahrenen Prielsystemen auf. Daraus resultieren die z.T. großen Verbreitungslcken im niedersächsischen Wattenmeer (NEHLS 1991). Die Verbreitungsmuster auf See im Winter unterliegen jährlichen Schwankungen, vermutlich bedingt durch das Nahrungsangebot. Vereisungen im Wattenmeer scheinen nur geringe Auswirkungen auf die Verteilung der Bestände zu haben, da durch die Tiden stets grßere Gebiete eisfrei bleiben (BERNDT & BUSCHE 1993). Während im Wattenmeer gewhnlich sublitorale und eulitorale Gebiete gleichmäßig genutzt werden, gibt es Tendenzen, dass Eiderenten im Winter zumindest in manchen Jahren sublitorale Gebiete bevorzugen (s. Kapitel 2.4.2 Nordseeverbreitung). Auf der westlichen Ostsee halten sich Eiderenten bevorzugt in Gebieten mit einer Wassertiefe zwischen 6-10 m auf, meist ber kiesigen und steinigen Substraten (MENDEL et al. 2007). Auf diesen Hartsubstraten findet ihre Hauptbeuteart, die Miesmuschel, optimale Lebensbedingungen. Mit dem nach Osten abnehmenden Salzgehalt in der Ostsee nimmt die Grße der Miesmuscheln ab. Um ihren hohen Energiebedarf effizient decken zu knnen, sollten Eiderenten im Winter aber große Beuteorganismen fressen (NEHLS 1995). Diese Zusammenhänge knnen erklären, dass Eiderenten nur in ganz geringer Zahl stlich von der Darßer Schwelle vorkommen, weil ihnen dort die geeignete Nahrungsgrundlage in Form von ausreichend großen Miesmuscheln fehlt (KUBE et al. 2005a).

2.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Die Nahrungssuche im Wattenmeer ist zeitlich eng mit den Tiden korreliert, da viele Nahrungsgrnde im Eulitoral nur bei Hochwasser zugänglich sind (NEHLS 1991). Bei auflaufendem Wasser lassen sich Eiderenten auf Wattflächen verdriften und suchen dort hauptsächlich durch Grndeln, aber auch tauchend und durch Anlegen von Trampelkuhlen nach Nahrung. Bei der Nahrungssuche ber Muschelbänken werden gezielt passende Muschelgrßen ausgewählt. Die bevorzugte Beutegrße liegt bei 7-40 mm. Insgesamt reicht die Grße der erbeuteten Muscheln von 1-80 mm. Muscheln werden mit der Schale verschlungen. Die Nahrung ändert sich im Jahresverlauf und zwischen verschiedenen

62 Gebieten in Abhängigkeit von der lokalen Fauna. Generell ernähren sich Eiderenten hauptsächlich von Mollusken (z.B. Cardium, Mytilus, Littorina, im Sßwasser auch Dreissena) und Crustaceen (z.B. Krabben, Flohkrebse) sowie zu einem geringeren Anteil von Echinodermen. Eiderentenkken leben zunächst von kleinen Mollusken und knnen erst später schnell bewegliche Crustaceen (z.B. Gammarus) fangen (auch kleine Fische, Wasserinsekten oder Hohltiere). Pflanzliche Nahrung ist generell unbedeutend. Nordsee Im schleswig-holsteinischen Wattenmeer sind Herzmuscheln (Cerastoderma edule) und Miesmuscheln (Mytilus edulis) die Hauptbeutearten von Eiderenten. Die Auswahl bevorzugter Längen erfolgt grßtenteils ber die Wahl der Nahrungsgebiete, in denen dann relativ unselektiv gefressen wird. Saisonale Bestandsverlagerungen sind vermutlich auf eine Ausnutzung des Nahrungsangebotes hinsichtlich der bevorzugten Flächen und Muschelgrßen zurckzufhren (NEHLS 1991).

Eiderenten gehren zusammen mit Austernfischern und Silbermwen zu den wichtigsten Konsumenten von Mies- und Herzmuscheln im gesamten Wattenmeerbe- reich. In einem direkten Vergleich dieser drei Arten hatten Eiderenten wattenmeerweit einen durchschnittlichen Anteil von 69 % an dieser Konsumtion (1993-1999; SCHEIFFARTH & FRANK 2005). Ostsee In der Ostsee bilden Miesmuscheln, Islandmuscheln (Arctica islandica) und Sandklaffmuscheln (Mya arenaria) die wichtigsten Beuteorganismen fr Eiderenten:

KIRCHHOFF (1979) untersuchte die Nahrung einer großen Anzahl von in Stellnetzen in der Hohwachter Bucht ertrunkenen Eiderenten. Miesmuscheln machten den grßten Anteil der Nahrung aus (63 %), Sandklaffmuscheln 6 %. Seesterne bildeten einen Anteil von 12 %. Die Nahrung variierte mit der Wassertiefe, in der die Enten nach Nahrung suchten. Der Anteil der Miesmuscheln sank mit zunehmender Wassertiefe.

MEISSNER & BRÄGER (1990) untersuchten die Nahrungszusammensetzung von Eiderenten, die an verschiedenen Stellen der Kieler Bucht in Stellnetzen ertrunken waren. Bezogen auf die Frischmasse bildeten in den Wintern 1987 / 88 und 1988 / 89 Islandmuscheln 54 % der Nahrung, gefolgt von Miesmuscheln (18 %) und Sandklaffmuscheln (10 %). Neben weiteren Muscheln und einzelnen Crustaceen und Polychaeten entfielen 7 % auf Seesterne. Auch hier veränderte sich die Nahrungszusammensetzung mit der Tauchtiefe.

63 BÖHME (1993) untersuchte 24 Eiderenten aus der Wismarbucht. Als Nahrung stellte er nahezu ausschließlich Miesmuscheln (87 % nach Masse) und Sandklaffmuscheln (12 %) fest.

KALLENBORN et al. (1994) untersuchten ebenfalls in Stellnetzen in der westlichen Kieler Bucht ertrunkene Eiderenten nahe Oehe-Schleimnde. Miesmuscheln bildeten auch hier die Hauptnahrung von Eiderenten. Untersuchungen von Stellnetzopfern im Golf von Danzig zeigten, dass hier Sandklaffmuscheln mit 51 % den Hauptteil (pro Volumen) der Nahrung ausmachten, gefolgt von der Miesmuschelart Mytilus trossulus (29 %) und Fischeiern (4 %; STEMPNIEWICZ & MEISSNER 1999).

2.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Eiderenten werden nach verschiedenen Literaturangaben als berwiegend tagaktiv eingestuft (zusammengestellt in NEHLS 1991). Es ist jedoch naheliegend, dass im Wattenmeer die Nahrungssuche stark durch den Gezeitenrhythmus geprägt ist, da viele Nahrungsgebiete bei Niedrigwasser nicht erreichbar sind. Der Zug findet meist tagsber statt. Kein anderer Wasservogel erreicht tagsber ähnlich hohe Zugintensitäten wie Eiderenten (BERNDT & BUSCHE 1993). Während des Zuges hängt die Flughhe sowohl von der Windstärke als auch von der Windrichtung ab. Bei Gegenwind ziehen Eiderenten bevorzugt flach ber das Meer, der Anteil steigt noch mit zunehmendem Gegenwind. Auch bei leichtem Rckenwind fliegen Eiderenten hauptsächlich flach ber das Meer, jedoch nimmt der Anteil von hher fliegenden Eiderenten mit zunehmendem Rckenwind zu (KRÜGER & GARTHE 2001). Eiderenten sind während des gesamten Jahres sehr gesellig.

2.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 2.6.1 Gefährdungsursachen Eiderenten sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche)

64 - Reduzierung des Nahrungsangebotes z.B. durch Muschelfischerei bzw. durch Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Sedimentabbau, Ausbau von Fahr- wassern etc. - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Schadstoffe in der Nahrung - Jagd, z.B. in Dänemark (zwischen 1999 und 2004 wurden in Dänemark jährlich ca. 75.000-95.000 Eiderenten erlegt; BREGNBALLE et al. 2006) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Verhinderung der Brutansiedlung durch touristische Aktivitäten und Flächenerschließungen

2.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Eiderenten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Eiderenten weisen eine mäßig hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen fast immer auf (z.B. GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). In intensiv befahrenen Gebieten kann dies zu einer Einschränkung der natrlichen Verhaltensweisen, aber auch zu einer temporären oder vlligen Meidung häufig befahrener Strecken fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann eine Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität zur Folge haben. Da Eiderenten bevorzugt in kstennahen Gebieten vorkommen, gehen neben der kommerziellen auch von der in den Kstengebieten intensiveren Freizeit- und Sportbootschifffahrt große Strungen aus. Fr den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer beschreiben NEHLS et al. (1991; zitiert in KETZENBERG 1993), dass sich Eiderenten nicht in Gebieten mit Bootsverkehr aufhalten. Im Knigshafen auf Sylt beobachtete KETZENBERG (1993), dass Eiderenten sowohl von Motorbooten als auch von Surfern und Fußgängern von ihren ursprnglichen Nahrungsplätzen vertrieben wurden und in ungestrtere Gebiete auswichen. Derartige Ausweichreaktionen knnen zwar die mit zusätzlichem Energieaufwand verbundenen unmittelbaren Reaktionen auf Strung verringern, zwingen aber die Tiere oftmals auch in weniger attraktive Nahrungsgebiete, während der ursprnglich genutzte Lebensraum verloren geht. Vor allem während der sehr energieaufwändigen Vollmauser reagieren Eiderenten besonders empfindlich auf Strungen durch Schiffsverkehr oder Tourismus (NEHLS 1991). Häufige Fluchtreaktionen knnen in dieser Phase schnell zu Energieengpässen und damit zu Konditionsminderung fhren, so dass Eiderenten besonders stark auf ungestrte

65 Meeresgebiete mit guten Nahrungsbedingungen angewiesen sind. Eiderenten bentigen während der Mauser zudem auch trockenfallende Sandbänke zur Rast bei Niedrigwasser. Dadurch ist die Anzahl geeigneter Mauserhabitate begrenzt. Eiderenten wechseln häufig zwischen verschiedenen Rastplätzen, zeigen insbesondere während des Zuges auch nächtliche Flugaktivität und knnen aufgrund ihrer relativ kleinen Flgel schlecht manvrieren. Deshalb sind sie auf ihren Flugrouten ber dem Meer sehr empfindlich gegenber Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im oberen Bereich aller untersuchten Arten. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminde- rung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Bei Untersuchungen an fnf Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee konnte insbesondere bei den schwedischen Standorten Utgrunden, Yttre Stengrund und Nysted ein Barriereeffekt auf ziehende Eiderenten beobachtet werden. Bei einigen Anlagen konnten zudem Verluste durch Kollision beobachtet werden (zusammengestellt in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Eiderenten ernähren sich berwiegend von benthischen Mollusken (vgl. Kapitel 2.5.6). Sie sind somit auf Gebiete mit ausreichenden Vorkommen fr sie verwertbarer Muscheln angewiesen. Eiderenten tauchen beim Nahrungserwerb bis zum Grund. Die Tauchtiefe ist variabel und abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit und -qualität. Die Tauchphysiologie der Eiderenten limitiert jedoch die energetisch rentabel nutzbaren Wassertiefenbereiche. Dies schränkt Eiderenten in ihrer Habitatwahl ein. Muschelfischerei und Sedimentabbau knnen große Muschelvorkommen innerhalb von kurzer Zeit stark reduzieren oder sogar ganz entfernen. Die Verluste knnen nicht durch stärkeres Muschelwachstum ausgeglichen, sondern erst durch Neuansiedlung kompensiert werden. Die Effekte dieser Eingriffe knnen daher zu Nahrungsengpässen und damit zum Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten fhren, insbesondere dann, wenn durch strenge Winter oder geringen Brutfall die Muschelbestände oder ihre Qualität schon natrlicherweise reduziert sind. SCHEIFFARTH & FRANK (2005) fanden fr das gesamte Wattenmeer eine negative Korrelation zwischen den Muschelanlan- dungen durch die Fischerei einerseits und der Konsumtion durch Eiderenten andererseits, was auf eine Nahrungsreduzierung durch die Fischerei hinweist. Die Zahl der im gesamten Wattenmeer berwinternden Eiderenten geht seit dem Jahr 2000 stark zurck (s. Abb. 2-4). Dies fhren die Autoren auf eine Nahrungsverknappung zurck,

66 verbunden mit einer hohen Mortalität. Ein hoher Fischereidruck auf die Hauptbeutearten, kombiniert mit einer Reihe milder Winter mit reduziertem Brutfall und dadurch verringerter Qualität der Mies- und Herzmuscheln, sowie die nahezu vollständige Abfischung der Ausweichbeuteorganismen (Trogmuscheln) fhrten vermutlich zu einem Massensterben der Eiderenten in den Niederlanden im Winter 1999 / 00 (CAMPHUYSEN et al. 2002). Reduktion oder Ausbleiben des Brutfalls und Verringerung des Energiegehaltes bei Miesmuscheln sind mglicherweise Auswirkungen hherer Wintertemperaturen und gelten neben der Fischerei als eine Hauptursache fr die Abnahme der Eiderentenbe- stände im deutschen Wattenmeer (NEHLS et al. 2006). Somit kann auch die zunehmende Klimaveränderung einen negativen Einfluss auf die Nahrungssituation fr Eiderenten haben. Auch die Pazifische Auster (Crassostrea gigas) hat durch ihre Ausbreitung im Wattenmeer, bedingt durch die immer hheren Wassertemperaturen im Sommer, das Potenzial, die Nahrungsgebiete der Eiderenten zusätzlich zu reduzieren oder zu verschlechtern, da die Miesmuschelbänke z.T. massiv berwachsen werden, während die kräftige Schale der Auster von muschelfressenden Vogelarten nicht geknackt werden kann (NEHLS et al. 2006). Eine weitere Gefährdung der Eiderenten besteht in der Kontamination mit Schadstoffen. Bei der Untersuchung von fnf Strandfunden auf Neuwerk (Nordsee) wurden hohe Konzentrationen chlorierter Kohlenwasserstoffe gefunden, die vermutlich auch zum Tod der Tiere beigetragen hatten (KALLENBORN & HÜHNERFUSS 1993). Erhhte Mortalität von Eiderenten durch chlorierte Kohlenwasserstoffe wurde auch von SWENNEN (1991) fr die niederländische Kste beschrieben. Da die Nahrung ausschließlich tauchend erbeutet wird, sind Eiderenten besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). KIRCHHOFF (1982) schätzte den jährlichen Verlust in der schleswig-holsteinischen Ostsee auf 9.400 Tiere, womit Eiderenten in der sdwestlichen Ostsee zu den häufigsten Stellnetzopfern zählen. Da sich Eiderenten berwiegend von Mollusken ernähren, konkurrieren sie nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Eiderenten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Da Eiderenten meist in hohen Konzentrationen vorkommen und einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen, sind sie sehr empfindlich gegenber

67 Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Eiderenten beginnen meist ab dem 3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und besitzen eine vergleichsweise hohe Anzahl von Jungvgeln und eine geringe Altvogelmortali- tät. Da die Sterblichkeit bei den Jungvgeln jedoch vergleichsweise hoch ist, knnen Eiderenten Mortalitätsverluste eher schlecht ausgleichen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die gesamte Populationsdynamik.

Der Status der Eiderenten in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. Die Konzentration auf Europa mit ber 50 % des Weltbestandes bedingt jedoch eine besondere, länderbergreifende Schutzverantwor- tung. Als Brutvogel steht die Art auf der „Vorwarnliste“ der Roten Listen Deutschlands und Niedersachsens, das Brutvorkommen in Schleswig-Holstein gilt als „gefährdet“ (Tab. 2-4). Gemäß dem Anhang II der EU-Vogelschutzrichtlinie gehren Eiderenten in einigen EU-Staaten, jedoch nicht in Deutschland, zu den jagdbaren Arten. In Dänemark wurden zwischen 1999 und 2004 jährlich ca. 75.000-95.000 Eiderenten erlegt, der Bestandstrend der Eiderenten in Dänemark wird als abnehmend eingestuft (BREGNBALLE et al. 2006). WETLANDS INTERNATIONAL (2006) geben fr die biogeografische Population „Ostsee, Wattenmeer“ ebenfalls einen abnehmenden Trend an (siehe auch Tab. 2-1).

Tab. 2-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Eiderenten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + V V 3 entfällt P P Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II, III Non-SPECE II III +

68 2.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: teils hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff Flächendeckende Flugzeugzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zu den Schiffstransektzählungen werden bei den flächendeckenden Flugzeugzählungen Vgel die abseits der Kstenlinie und den Flachgrnden vorkommen, nur unzureichend erfasst Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

2.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Zusammenhang zwischen Mausergebieten in Nord- und Ostsee - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

69 3 Eisente

Clangula hyemalis (Linnaeus 1758)

GB: Long-tailed Duck NL: Ijseend DK: Havlit S: Alfågel Foto: B. Mendel PL: Lodwka Abb. 3-1: Männchen im PK

3.1 EU-Code A064

3.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

3.3 Kennzeichen Kleine Meeresente mit rundem Kopf und kurzem, stumpfem Schnabel. Flgel einfarbig dunkel, recht schmal und zugespitzt. Mittlere Steuerfedern des Männchens stark verlängert. Männchen im PK kontrastreich gefärbt, mit weißem Scheitel und Hals, Kopfseiten hell graubraun mit dunklerem Halsseitenfleck. Flanken und Schulterfedern hellgrau. Im Flug mit einfarbig dunklen Flgeln, auf dem ansonsten dunklen Mantel bilden die hellen Schulterfedern zwei große ovale Felder. Schnabel schwarz mit rosa Binde. Im SK berwiegend schwarzbraun mit weißer Unterseite und Kopfseitenfleck. Schulterfe- dern dunkel und rostbraun umrandet. Zeichnung des Weibchens sehr variabel; im PK mit weißem Kopf und schwarzem Scheitel und Kopfseitenfleck, rotbraunem Rcken und hellbraunem Halsband. Im SK mit sehr dunklem Kopf und nur schmalem, weißem Kopfseitenfleck, der in ein weißes Querband an den Halsseiten bergeht; Rcken und Brust matt grau-braun.

70 3.4 Verbreitung / Bestand 3.4.1 Welt / Europa Die Eisente ist die häufigste Entenart der Tundrazone. Sie brtet im arktischen Eurasien und Nordamerika. Das Brutgebiet erstreckt sich zirkumpolar von der Hocharktis sdwärts bis in die subarktische Waldtundra. Nach BAUER et al. (2005) werden keine Unterarten unterschieden. Der Weltbestand beträgt 6,2-6,75 Mio. Individuen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). In Europa reicht die Brutverbreitung von Island und Zentralnorwegen ber N-Finnland, die finnische Ostseekste, die Kola-Halbinsel bis in das arktische Russland, wo der berwiegende Teil der europäischen Eisenten brtet. Der Brutbe- stand in Europa beträgt 690.000-750.000 Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004 ). Eisenten sind regelmäßige und häufige Wintergäste und Durchzgler an der Ostsee- kste. Die Ostsee beherbergt 90 % der europäischen Überwinterer, die von den Mauserplätzen im Weißen Meer ab Ende Oktober eintreffen und bis in den Mai bleiben. In der Ostsee gibt es drei Regionen mit jeweils bis zu einer Million Eisenten: Irbe-Straße / Golf von Riga, Hoburgs Bank sdlich von Gotland und Pommersche Bucht (DURINCK et al. 1994b). Die fennoskandischen Vgel berwintern wahrschein- lich vor allem im Atlantik vor der Kste Norwegens. Die berwinternden Vgel auf der Ostsee brten berwiegend in Nordrussland (BERNDT & BUSCHE 1993). Auf der Nordsee halten sich Eisenten in sehr geringer Anzahl im kstennahen Bereich von Deutschland und den Niederlanden auf, entlang der Kste Großbritanniens gibt es ein kleines Wintervorkommen im Moray Firth und im Firth of Forth (STONE et al. 1995). Die in Europa vorkommenden Eisenten werden in zwei verschiedene biogeografische Populationen unterteilt (Tab. 3-1).

Tab. 3-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeo- grafischen Populationen der Eisenten (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Island, Island, 100.000 - C. hyemalis Grnland N-Atlantik stabil 1.300 Grnland 150.000 (Brutzeit) N-Atlantik, W-Sibirien, W-Sibirien, Ostsee, nrdl. C. hyemalis N-Europa 4,6 Mio. stabil 20.000 N-Europa Meere, Seen (Brutzeit) in Mitteleuropa

71 3.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler, seltener Sommergast auf Nord- und Ostsee; nur ausnahmsweise im Binnenland. Die in Deutschland vorkommenden Eisenten gehren zur biogeografischen Populati- on „W-Sibirien, N-Europa (Brutzeit)“. Eisenten brten nicht in Deutschland, sondern halten sich während des Zuges und im Winter sowie selten und unregelmäßig im Sommer auf Nord- und Ostsee auf. Die Ergebnisse der Wasservogelzählung zeigen, dass Eisenten entlang der deutschen Ostseekste im Januar in nahezu allen Zählabschnitten anwesend sind (Abb. 3-3). Die Schwerpunkte liegen im Greifswalder Bodden, im Bereich der Außenksten von und Darß sowie von Fehmarn westwärts bis zur Eckernfrder Bucht. Sehr individuenstarke, kstenferne Vorkommen befinden sich vor allem in der Pommer- schen Bucht sowie nrdlich des Darß (Abb. 3-2). Im Binnenland werden ebenso wie auf der Nordsee nur wenige Eisenten festgestellt (Abb. 3-3). Der Rastbestand in Deutschland, der aufgrund der zahlenschwachen Vorkommen auf der Nordsee durch die Ostseebestände bestimmt wird, beträgt im Mittwinter 315.000 Individuen (Tab. 3-2). Dies entspricht ca. 7 % der biogeografischen Population „W-Sibirien, N-Europa (Brutzeit)“. Nordsee Auf der deutschen Nordsee rasten Eisenten selten und mit nur wenigen Individuen. Einzelne Tiere halten sich im Winter regelmäßig in den kstennahen Flachwasserbe- reichen auf, insbesondere zwischen Amrum und Sylt. Im kstenfernen Bereich fehlen rastende Eisenten dagegen vllig. Vor Helgoland wurde bisher kein nennenswerter Eisentenzug beobachtet (DIERSCHKE 2003). Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurde bisher nur einmal eine fliegende Eisente beobachtet. Fr Eisenten wurden keine Bestandszahlen berechnet. Ostsee Auf der deutschen Ostsee kommen Eisenten von allen Entenarten mit den hchsten Individuenzahlen vor und sind darber hinaus am weiträumigsten verbreitet. Sie halten sich sowohl in großer Anzahl in den kstennahen Flachwassergebieten sowie auf kstenfernen Flachgrnden auf. Ab November findet ein starker Zug von den Brutgebieten in die deutschen Ostseegebiete statt, und im Laufe des Herbstes bilden sich hohe Konzentrationen in der Kieler Bucht sowie in der Pommerschen Bucht, dort v.a. im Bereich der Oderbank und auf dem Adlergrund. Auch im Greifswalder Bodden halten sich im Herbst zahlreiche Eisenten auf.

72

Abb. 3-2: Verbreitung der Eisenten auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ost- see: 2000-2006).

Abb. 3-3: Verbreitung der Eisenten in Deutschland im Januar, basierend auf Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000- 2005.

73 Im Winter weist die Art ein weiträumiges Vorkommen mit hohen Dichten in weiten Teilen der Pommerschen Bucht inklusive Greifswalder Bodden und bis zum Adler- grund auf. Weitere Konzentrationsgebiete befinden sich nrdlich vom Darß sowie in der Kieler Bucht. In geringeren Dichten sind Eisenten auch in den kstennahen Bereichen entlang der Mecklenburger Bucht verbreitet. Im Frhjahr verändert sich die Verteilung kaum. Die hohen Dichten im Kstenbereich der westlichen Ostsee, nrdlich vom Darß sowie in der Pommerschen Bucht bis zum Adlergrund bleiben bestehen. Im Greifswalder Bodden profitieren die Eisenten im Frhjahr von den einwandernden Heringsschwärmen (Clupea harengus), deren Laich eine besonders proteinhaltige Nahrungsquelle darstellt (LEIPE 1985). Im Sommer halten sich nur sehr wenige Eisenten auf der deutschen Ostsee auf. Der Rastbestand der Eisenten im SPA „Pommersche Bucht“ baut sich ab November auf und erreicht im Winter seine hchsten Werte (Tab. 3-2). Das Vorkommen nimmt mit dem Wegzug in die Brutgebiete ab April stark ab. Die Nachweise im Sommer betreffen meist späte Wegzgler, in den Hochsommermonaten halten sich gewhnlich keine Eisenten im SPA auf.

Tab. 3-2: Rastbestandszahlen der Eisenten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransekt- zählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 170.000 3,7 77.000 1,7 Sommer k.A. k.A. 410 <0,1 270 <0,1 Herbst k.A. k.A. 57.000 1,2 46.000 1,0 Winter 315.000 6,8 150.000 3,3 130.000 2,8

Die auf der Ostsee berwinternden Eisenten stammen berwiegend aus Brutgebieten in N-Russland. Vereinzelt knnen auch Brutvgel aus Fennoskandien oder sogar Grnland und Island auf der Ostsee vorkommen (BERNDT & BUSCHE 1993).

3.4.3 Bestandsentwicklung Die sibirischen und grnländischen Populationen weisen einen langfristig stabilen Brutbestandstrend auf. Aufgrund von Verlusten in Fischernetzen und Ölpest war der Bestand auf Island zwischenzeitlich rckläufig. Inzwischen ist er jedoch wieder stabil. Fr die europäischen Brutbestände nennt BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) einen stabilen Trend ber den Zeitraum 1970-2000. Informationen ber die Rastbestände in

74 deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

3.5 Biologie / Ökologie 3.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: im 2.-3. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn ab Mai, weiter nrdlich ab Juni (Juli); Brutdauer 24-29 Tage Gelege: 5-9 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege nur im Sden des Brutareals Kken: Weibchen fhrt die Jungen, oft Zusammenlegen von Kindergärten, Kken nach 35-40 Tagen flgge und selbstän- dig

3.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 4 Jahre Ältester Ringvogel: 21 Jahre 2 Monate Sterblichkeit: keine Angabe

3.5.3 Mauser Der Mauserzyklus der Eisenten unterscheidet sich von dem anderer Meeresentenarten: Pro Jahr treten Eisenten in vier verschiedenen Kleidern auf, die durch eine viermalige Teilmauser entstehen. Während der Sommermauser werden die Schwingen synchron erneuert, was dazu fhrt, dass Eisenten ca. 3-4 Wochen im Jahr flugunfähig sind (Abb. 3-4; FLINT et al. 2004). In dieser Zeit sind Eisenten besonders empfindlich gegenber Strungen.

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 3-4: Mauserzyklus der Eisenten. Teilmauser (hell schraffiert); rot: sensible Phase während der Mauser (Flugunfähigkeit).

3.5.4 Wanderungen Eisenten sind berwiegend Kurzstrecken- und Teilzieher und recht ausgeprägte Nachtzieher. Jedoch konnten am Feuerschiff „Fehmarnbelt“ auch Zugaktivitäten in

75 den Vormittagsstunden beobachtet werden (BERNDT & BUSCHE 1993). Bei den vor Hiddensee durchziehenden Eisenten fällt auf, dass oft zur gleichen Jahreszeit Zug Richtung Westen und Osten stattfindet. Dies knnte mit häufigen Wechseln zwischen den Rastplätzen westlich und stlich von Rgen erklärt werden. Solche Wechsel knnen insbesondere durch harte Winter, in denen große Gebiete durch Eis fr Eisenten unzugänglich sind, hervorgerufen werden (GARTHE et al. 2003a). Während die Weibchen noch brten, sammeln sich die Männchen an den Ksten der nrdlichen und stlichen Ostsee zu Mausertrupps. Im August und September stoßen die Weibchen und Jungvgel hinzu. Der Wegzug in die Winterquartiere, also auch in die deutschen Gewässer, erfolgt etwa zu dieser Zeit; in der Ostsee erreicht der Zuzug seinen Gipfel im November / Dezember. In Abhängigkeit vom Tauwetter beginnt der Heimzug in die Brutgebiete im Februar / März.

3.5.5 Habitat Eisenten brten berwiegend an Sßgewässern. Sie bevorzugen dabei kleine, seichte Teiche in der Tundra und meiden bewaldete Tundra- und Taigabereiche (zur Verbrei- tung s. Kapitel 3.4.1). In Bereichen mit tundraähnlichen Bedingungen brtet die Art auch an der Kste und auf vorgelagerten, kstennahen Inseln. Außerhalb der Brutzeit halten sich Eisenten berwiegend auf kstennahen Brack- und Salzgewässern auf. Dabei suchen sie zur Nahrungssuche Flachgrnde bzw. flachere Kstengebiete mit meist bis 20 m Wassertiefe auf. Auswertungen zur Habitatwahl in der deutschen Ostsee machten deutlich, dass Eisenten Wassertiefen zwischen 6-15 m bevorzugen und sich außerdem verstärkt in Meeresgewässern ber Grob- und Feinsänden aufhalten (MENDEL et al. 2007). In der deutschen Ostsee finden sich die grßten zusammenhängenden Bereiche mit Feinsand in der Pommerschen Bucht und westlich von Rgen, wo Eisenten in den hchsten Dichten auftreten.

3.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Eisenten erbeuten ihre Nahrung indem sie bis zum Grund tauchen. Die Tauchtiefe ist abhängig vom jeweiligen Nahrungsgebiet. Meist bleiben die Tiere 15-40 Sekunden unter Wasser. Die Tauchgänge werden mit einem charakteristischen, nach vorne gerichteten Sprung eingeleitet. Zur Brutzeit haben Eisenten ein vielseitiges Nahrungs- spektrum, das v.a. Insektenlarven, aber auch Fischlaich, Crustaceen und Mollusken umfasst. In den Winterquartieren der Ostsee besteht die Nahrung berwiegend aus Muscheln. Insgesamt ist die Nahrung durch Anteile von Polychaeten, Echinodermen, Crustaceen und Fischen vielfältig (MADSEN 1954).

76 Ostsee KIRCHHOFF (1979) fand in 13 Mägen aus Stellnetzopfern in der Hohwachter Bucht nahezu ausschließlich Herzmuscheln Cerastoderma spec. LEIPE (1985) untersuchte Eisenten, die im März und April in Stellnetzen im Greifswalder Bodden ertrunken sind. Die Mageninhalte umfassten folgende Masseanteile: Sandklaffmuscheln (Mya arenaria) 50 %, Heringslaich 18 %, Herzmuscheln (Cerastoderma edule) 10 %, Miesmuscheln (Mytilus edulis) 9 %, weitere Mollusken 5 %, sonstige Nahrungsreste 8 %. Heringslaich konnte als ausschließliche Nahrung in 18 von 115 Mägen nachge- wiesen werden (LEIPE 1985). Ausfhrliche Nahrungsuntersuchungen, ebenfalls an in Stellnetzen umgekommenen Eisenten, fhrte STEMPNIEWICZ (1995) im Golf von Danzig durch. In allen 423 Proben aus den Jahren 1972-1990 machten Muscheln mit 77 Volumen-% die Hauptnahrung aus, gefolgt von Fischen (14 %) und Crustaceen (5 %). Unter den Muscheln dominier- ten Baltische Plattmuscheln (Macoma baltica, 26 % des gesamten Mageninhalts), Sandklaffmuscheln (21 %) und Miesmuscheln (20 %). Unter den Fischen machten Fischeier (5 %) und Stichlinge (Gasterosteus aculeatus) (4 %) die Hauptmengen aus. Die Nahrungswahl zeigte Unterschiede zwischen verschiedenen Jahreszeiten. Dabei wurde zum Beispiel deutlich, dass Mies- und Herzmuscheln proportional häufiger im Dezember und Januar und Crustaceen, Polychaeten und vor allem Fisch(eier) proportional häufiger im Frhjahr zu finden waren. Auch gab es Hinweise auf geringfgig unterschiedliche Nahrungswahl zwischen männlichen und weiblichen Eisenten.

EVERT (2004) untersuchte die Nahrung von 132 Eisenten, die im Winter 2001 und im Frhjahr 2001 und 2003 in Stellnetzen in der Pommerschen Bucht verendet waren. Auch diese Untersuchung zeigte, dass Muscheln die Hauptnahrung von Eisenten sind. Sandklaffmuscheln stellten 65 %, Baltische Tellmuscheln 13 %, Lagunen-Herz- muscheln (Cerastoderma glaucum) 12 % und Miesmuscheln 11 % aller gefressenen Muscheln. In 15 Eisentenmägen, die im Frhjahr 2001 gefunden wurden, konnte ausschließlich Heringslaich nachgewiesen werden.

3.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Eisenten ziehen hauptsächlich nachts. Am Feuerschiff „Fehmarnbelt“ wurden berwiegend Zughhen bis 10 m ber der Meeresoberfläche ermittelt (BERNDT & BUSCHE 1993), selten konnten Zughhen ber 20 m beobachtet werden. Eisenten ziehen meist in kleinen Trupps, jedoch schließen sie sich an starken Zugtagen zu grßeren Scharen zusammen. Außerhalb der Brutzeit sind Eisenten in den marinen Überwinterungsgebieten, in denen bereits die Balz stattfindet, gesellig. Im Binnenland kommen sie eher einzeln vor.

77 3.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 3.6.1 Gefährdungsursachen Eisenten sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen (Ostsee) - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (u.a. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Muschelfischerei bzw. Kies- und Sandabbau) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes)

3.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Eisenten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Eisenten weisen eine hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen meist auf (GARTHE et al. 2004, BELLEBAUM et al. 2006, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren, wie z.B. von KUBE & SKOV (1996) fr die Pommersche Bucht beschrieben. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes fr Eisenten fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energie- verbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Eisenten wechseln vermutlich häufig zwischen verschiedenen Rastplätzen und zeigen insbesondere während des Zuges auch nächtliche Flugaktivität. Sie sind daher sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Ein Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) wurde nicht berechnet. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zum weiträumigen Umfliegen kommen, was zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren kann. Bei den Windparks in Utgrunden (Schweden) und Nysted

78 (Dänemark) konnten Barriereeffekte und Habitatverlust fr Eisenten nachgewiesen werden (zusammengestellt in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Eisenten ernähren sich v.a. von benthischen Mollusken (vgl. Kapitel 3.5.6). Sie sind somit auf Gebiete mit ausreichenden Vorkommen fr sie verwertbarer Muscheln angewiesen. Eisenten tauchen beim Nahrungserwerb bis zum Grund. Ihre Tauchtiefe ist variabel und abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit und -qualität. Die Tauchphy- siologie limitiert jedoch die energetisch rentabel nutzbaren Wassertiefenbereiche. Dies schränkt Eisenten in ihrer Habitatwahl ein. Umso entscheidender ist der Erhalt und Schutz der geeigneten Nahrungsgebiete. Muschelfischerei und Sedimentabbau knnen große Muschelvorkommen innerhalb von kurzer Zeit stark reduzieren oder sogar vollständig entfernen. Die Verluste knnen in diesen Fällen nicht durch stärkeres Muschelwachstum ausgeglichen, sondern erst durch Neuansiedlung kompensiert werden. Solche Eingriffe knnen daher schnell zu Nahrungsengpässen und zum Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten fr Eisenten fhren, insbesondere dann, wenn durch strenge Winter die Muschelbestände bereits natrlicherweise reduziert sind. Da Eisenten ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvorkommen mit Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetz- fischerei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie, Gebiete, in denen im Winterhalbjahr auch Eisenten in z.T. großer Anzahl vorkommen. Allein vor der Insel (Ostsee) zählte SCHIRMEISTER (2003) bei einem nur kleinen Teil der dort tätigen Stellnetz- fischer in 12 Wintern 6.600 ertrunkene Eisenten. Fr die schleswig-holsteinische Ostseekste berechnete KIRCHHOFF (1982) einen jährlichen Verlust von etwa 750 Eisenten. Eisenten ernähren sich berwiegend von Mollusken und konkurrieren deshalb nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Eisenten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Zu einer starken räumlichen Überlappung zwischen Stellnetz- und Eisentenverbreitung kann es insbesondere im Frhjahr kommen, wenn Eisenten auch Heringslaich als Nahrung nutzen und – wie die Stellnetzfischerei – gezielt Bereiche im Greifswalder Bodden mit großen einwandernden Heringsschwärmen aufsuchen.

79 Da Eisenten meist in hohen Konzentrationen vorkommen und einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen, sind sie sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Eisenten beginnen ab dem 2. oder 3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und haben meist eine hohe Anzahl an Jungvgeln. Da keine detaillierten Angaben zur Überle- bensrate von Jungvgeln und zur Altvogelmortalität vorliegen, knnen keine Aussagen getroffen werden, in wie weit Mortalitätsverluste ausgeglichen werden knnen.

Der Status der Eisenten in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft, sie ist keiner SPEC-Kategorie zugeordnet (Tab. 3-3).

Tab. 3-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Eisenten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + entfällt entfällt entfällt entfällt entfällt IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II Non-SPEC II III +

3.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff, mäßige Fluchtdistanz vor sich näherndem Flugzeug Ksten- Wasservogelzählungen (bei kstennahem Vorkommen)

80 3.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in der Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

81 4 Trauerente

Melanitta nigra (Linnaeus 1758)

GB: Common Scoter NL: Zwarte Zee-eend

DK: Sortand Foto: H.G. Arndt S: Sjorre Abb. 4-1: Männchen im PK PL: Markaczka

4.1 EU-Code A065

4.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

4.3 Kennzeichen Mittelgroße Meeresente mit plumpem Krper und recht langem Schwanz. Gefieder ganz dunkel, braun bzw. schwarz, Handschwingen etwas heller, Flgel knnen daher im Flug zweifarbig wirken. Fße dunkel. Männchen im PK ganz schwarz, Schnabel mit Hcker und gelbem First. Weibchen rußbraun mit hellen Kopfseiten und dunklem Schnabel. Im JK wie Weibchen, aber mit hellem Bauch und Gefieder mit stärkerem Braunton. Verwechslungsmglichkeiten: mit Samtente, Trauerente aber ohne weißes Flgelfeld und ohne weißen Fleck im Augenbereich. Kopf- und Schnabelprofil erscheinen beim Schwimmen bei Trauerenten eher waagerecht, bei Samtenten eher schräg nach unten gerichtet.

82 4.4 Verbreitung / Bestand 4.4.1 Welt / Europa Trauerenten sind von Island und Großbritannien / Irland ber das nrdliche Eurasien bis hin nach Ostsibirien verbreitet. Zusammen mit der Pazifiktrauerente (M. america- na), die weiter stlich und in Nordamerika beheimatet ist und die in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) noch als Unterart bezeichnet wird, bildet M. nigra eine Superspezies. Von der Britischen Ornithologen-Gesellschaft wurde inzwischen die Trennung von nigra und americana in zwei Arten akzeptiert. Der hier genannte Weltbestand von M. nigra entspricht deswegen dem in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) angegebenen Bestand der Unterart M. n. nigra (1,6 Mio. Individuen). In Mitteleuropa sind Trauerenten häufige Durchzgler, Winter- und vielerorts auch Sommer- und Mausergäste an den Ksten der Nord- und Ostsee. Die Hauptber- winterungsgebiete von M. nigra liegen in der Ostsee, im Wattenmeer und entlang der Atlantikkste bis N-Afrika. International bedeutsame Winter- und Mauservorkommen werden fr den nordwestlichen Kattegat beschrieben, das vermutlich wichtigste Gebiet fr Trauerenten weltweit (SKOV et al. 1995). Kleinere Bestände berwintern entlang der Atlantikkste Frankreichs und Portugals sdlich bis nach Mauretanien. Als Brutbestand fr Europa werden 100.000-130.000 Paare angegeben (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Bei den in Europa vorkommenden Trauerenten werden keine biogeografischen Populationen unterschieden, daher beziehen sich die Angaben in Tabelle 4-1 auf die Art M. nigra.

Tab. 4-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden Trauerenten (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium W-Sibirien, Ostsee, O- M.n. Skandinavien, - Atlantik bis 1,6 Mio. stabil 16.000 nigra Island, Mauretanien Schottland, Irland

4.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler, Sommer- und Mausergast auf Nord- und Ostsee. Fr die in Deutschland vorkommenden Trauerenten werden keine biogeografischen Populationen unterschieden.

83 Trauerenten brten nicht in Deutschland, halten sich aber ganzjährig auf Nord- und Ostsee auf (Abb. 4-2 und 4-3). Da sich die Vorkommen sowohl auf der Nord- als auch auf der Ostsee berwiegend kstenfern befinden, kann ber die Wasservogelzählung nur ein sehr geringer Teil erfasst werden. Daher sind detaillierte Aussagen zum jahreszeitlichen Auftreten und zur Rastbestandsentwicklung auf internationaler Ebene derzeit kaum mglich. Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 365.000 Individuen (Tab. 4-2 und 4-3). Dies entspricht rund 23 % des Weltbestandes (s. oben). Nordsee Trauerenten halten sich ganzjährig auf der deutschen Nordsee auf (Tab. 4-2). Das Vorkommen ist dabei grßtenteils auf die Ksten- und flacheren Offshore-Gebiete beschränkt. Im kstenfernen Bereich kommen Trauerenten nur selten und in sehr geringen Anzahlen vor. Im Herbst und Frhjahr sind die Vorkommen stark vom Zuggeschehen beeinflusst. Hohe Konzentrationen treten v.a. entlang der Ostfriesischen Inseln bzw. am Westrand des nordfriesischen Wattenmeeres auf. Geringe Dichten befinden sich auch von Eiderstedt sdwärts ber das Elbe-Weser-Dreieck bis Wangerooge. Im Winter treten sehr große Rastbestände von Trauerenten auf der deutschen Nordsee auf. Deutliche Konzentrationen mit hohen Dichten befinden sich entlang der schles- wig-holsteinischen Westkste. Im Elbe-Weser-Bereich und entlang der Ostfriesischen Inseln kommen Trauerenten in geringen bis mittleren Dichten vor. Die äußeren Bereiche des nrdlichen Wattenmeeres sowie das Gebiet von Terschelling bis Juist gelten als international bedeutende Überwinterungsgebiete fr Trauerenten (SKOV et al. 1995, NEHLS 1998). Im Sommer findet ein starker Mauserzug von Trauerenten der nrdlichen und stlichen Brutgebiete in die Mausergebiete der sdstlichen Nordsee statt. In niedrigen und mittleren Dichten halten sich Trauerenten nahezu im gesamten kstennahen Offshore-Bereich von Sylt bis zu den Ostfriesischen Inseln auf. Eine hohe Konzentra- tion befindet sich auch vor der Halbinsel Eiderstedt. Dieser Bereich wurde vielfach als wichtiges Mausergebiet fr Trauerenten beschrieben (BERNDT & BUSCHE 1993, NEHLS 1998, DEPPE 2003). Hohe Dichten wurden ebenfalls am nrdlichen Ende von Sylt beobachtet. Mglicherweise handelt es sich dabei um einen Ausläufer des grßeren Mauservorkommens vor dem dänischen Wattenmeer (LAURSEN et al. 1997). SKOV et al. (1995) bezeichnen das nrdliche Wattenmeer als international bedeutsa- mes Mausergebiet fr diese Art. Kleine Vorkommen halten sich auch vor den Ostfriesischen Inseln auf (siehe auch MITSCHKE et al. 2001).

84

Abb. 4-2: Verbreitung der Trauerenten auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990- 2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 4-3: Verbreitung der Trauerenten in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

85 Im kstenfern gelegenen SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Trauerenten im Vergleich zum Nordsee-Gesamtbestand nur in sehr geringer Anzahl vor (Tab. 4-2). Während sich im Winter nur wenige und im Frhjahr keine Trauerenten dort aufhalten, liegt der Rastbestand im Sommer und Herbst bei jeweils etwa 500 Tieren.

Tab. 4-2: Rastbestandszahlen der Trauerenten fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“ basierend auf Schiffstran- sektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum: 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Der Anteil an der biogeogra- fischen Population bezieht sich auf den Weltbestand. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 56.000 3,5 III <0,1 0 0,0 Sommer 66.000 4,1 III <0,1 550 <0,1 Herbst 18.500 1,3 110 <0,1 480 <0,1 Winter 135.000 8,4 III <0,1 III <0,1

Ostsee Trauerenten halten sich ganzjährig auf der deutschen Ostsee auf und sind dabei grßtenteils auf kstennahe Flachwassergebiete oder Flachgrnde im Offshore-Bereich beschränkt. Im Herbst, Winter und Frhjahr liegt ihr Verbreitungsschwerpunkt in der Pommerschen Bucht, insbesondere im Bereich der Oderbank innerhalb des Seevogel- schutzgebietes. Große Anzahlen halten sich zudem in der Kieler Bucht auf, kleinere Vorkommen in der Mecklenburger Bucht, im Bereich von Darß / Zingst und auf dem Plantagenetgrund. Die grßten Anzahlen erreicht das Vorkommen im Frhjahr. Im Sommer treten Trauerenten fast ausschließlich in der Pommerschen Bucht im Bereich der Oderbank auf. Hier erreichen sie zeitweise ein weiträumiges Vorkommen mit hohen Dichten, doch scheint der Sommerbestand in verschiedenen Jahren zahlenmäßig stark zu schwanken (SONNTAG et al. 2004). Mglicherweise besteht ein Zusammen- hang mit dem Mausergebiet in der Nordsee vor der Westkste Schleswig-Holsteins (HENNIG 2001, DEPPE 2005). Der Sommerbestand der Trauerenten in der Pommerschen Bucht schwankt jahrweise stark. Fr den August 2003 wurde eine Anzahl von 110.000 Tieren mit einem Anteil mausernder Vgel von 32 % ermittelt (SONNTAG et al. 2004). Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Trauerenten ganzjährig vor (Tab. 4-3). Auf den vergleichsweise geringen Winterbestand folgt ein Maximum im Frhjahr. Offensichtlich ziehen vor dem Abzug in die Brutgebiete Vgel aus westlich gelegenen Überwinterungsgebieten zu. Der Heimzug in die Brutgebiete kann sich bis in den Mai

86 erstrecken, doch knnen die Bestände im Sommer zumindest in einigen Jahren die gleiche Grßenklasse wie im Frhjahr erreichen. Zum Herbst hin nehmen die Zahlen wieder ab.

Tab. 4-3: Rastbestandszahlen der Trauerenten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzäh- lungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Der Anteil an der bio- geografischen Population bezieht sich auf den Weltbestand. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 185.000 11,6 170.000 10,6 Sommer k.A. k.A. 130.000 8,1 160.000 10,0 Herbst k.A. k.A. 51.000 3,2 54.000 3,4 Winter 230.000 14,4 57.000 3,6 47.000 2,9

4.4.3 Bestandsentwicklung Aufgrund von klimatisch bedingten Arealausweitungen zwischen 1850 und 1950 weitete sich das Brutgebiet der Trauerenten bis nach Schottland und Irland aus. Der Gesamtbestand ist seit den 1960er Jahren weitgehend stabil. An der sdlichen Verbreitungsgrenze kam es in einigen Regionen jedoch zu leichten Verlusten in Großbritannien, Irland und Finnland. Fr die Niederlande, Belgien, Frankreich und Portugal liegen Winterdaten vor, die Zunahmen in den frhen 1990er Jahren erkennen lassen, gefolgt von Rckgängen zur nachfolgenden Jahrhundertwende. Die Abnahme in den Niederlanden und Belgien ging mit einem Rckgang der Hauptnahrung Trogmuschel einher (ICES 2005). Generell sind stark schwankende Bestände charakteristisch fr die Rast- und Winter- vorkommen und erschweren langfristige Trendanalysen. Über die Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen berwiegend Daten von der Kste vor, während die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden. Bei den Ksten-Wasservogelzählungen wird allerdings nur ein kleiner Teil der Trauerenten registriert, so dass daraus keine repräsentativen Trends ableitbar sind. Zudem ist die Art schwierig zu erfassen, was Vergleiche zwischen verschiedenen Datensätzen erschwert (HENNIG & HÄLTERLEIN 2000).

87 4.5 Biologie / Ökologie 4.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: frhestens im 2. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn ab Mitte Mai / Anfang Juni, weiter nrdlich ab Juni / Juli; Brutdauer 28-31 Tage Gelege: 6-9 Eier; 1 Jahresbrut; Nachgelege mglich Kken: Weibchen fhrt die Jungen, z.T. Zusammenlegung von Kken verschiedener Weibchen zu Kindergärten. Kken mit 45-50 Tagen flgge und selbständig

4.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 4 Jahre Ältester Ringvogel: 16 Jahre 9 Monate Sterblichkeit: Adulte: 23 % bzw. 22 % pro Jahr

4.5.3 Mauser Die Mauser der Trauerenten ist komplex. Unterschiede gibt es sowohl zwischen den beiden Geschlechtern als auch zwischen adulten und immaturen Vgeln. Die postjuvenile Mauser geht direkt in die 1. Pränuptialmauser (Teilmauser) ber und ist in der Regel im April / Mai des 2. KJs abgeschlossen. Trauerenten beginnen ihre erste Vollmauser in den Mausergebieten, z.B. in seewärtigen Bereichen des Watten- meeres schon ab Mai (die Phase der sensiblen Schwingenmauser wurde nach Literaturangaben abgeschätzt, z.B. BERNDT & BUSCHE 1993). Adulte Männchen, die frher als die Weibchen die Brutgebiete in Richtung Mauserquartiere verlassen, erneuern ihre Schwingen grßtenteils im Juli / August. Erfolgreich brtende Weibchen folgen später in die Mausergebiete und mausern berwiegend im September / Oktober (Abb. 4-4). Da Trauerenten ihre Schwingen synchron abwerfen, sind sie fr 2-3 Wochen flugunfähig und in dieser Zeit besonders stranfällig.

88 1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 4-4: Mauserzyklus der Trauerenten. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

4.5.4 Wanderungen Trauerenten sind Zugvgel, in manchen Gebieten auch Teilzieher. Ihr Jahresrhythmus ist durch Wanderungen zwischen Brut-, Mauser- und Überwinterungsgebieten geprägt. Im Sommer findet ein starker Zug von Trauerenten der nrdlichen und stlichen Brutgebiete in die Mausergebiete statt, der im Juli / August mit den Männchen beginnt und sich je nach Flggewerden der Jungtiere im September / Oktober mit den Weibchen fortsetzt. Zu dieser Zeit passieren tausende Traurenten die Ostseekste und den Fehmarnbelt, fliegen aber auch entlang der Eckernfrder Bucht und ber die Flensburger Frde, um ihre Mausergebiete, vor allem im dänischen Wattenmeer, zu erreichen (BERNDT & BUSCHE 1993). An Nord- und Ostsee erfährt der Wegzug seinen Hhepunkt im November / Dezember, wenn sich die Trauerenten in verschiedene Überwinterungsgebiete begeben. Zum Überwintern suchen sie hauptsächlich Gebiete in der westlichen Ostsee, an der Nordsee- und an der nrdlichen Altlantikkste auf, ziehen aber auch bis zur NW-Kste Afrikas. Der Rckzug in die Brutgebiete beginnt im Atlantik und in der Nordsee Ende Februar bis April, in den stlicheren Überwinte- rungsquartieren dagegen einige Wochen später im April und Mai. Trauerenten nutzen auf dem Weg- bzw. Heimzug unterschiedliche Zugstrecken in der sdlichen Ostsee (NEHLS & ZÖLLICK 1990), so dass der Wegzug nach SW vor Hiddensee in viel geringerem Maße feststellbar ist als der Heimzug nach NO (GARTHE et al. 2003a). Vermehrte Zugaktivität vor Hiddensee wurde in der zweiten Julihälfte und im September registriert. Zugbewegungen nach NO werden fast in der gesamten ersten Jahreshälfte beobachtet. Die starke Zugaktivität im März / April korreliert mit der Verlagerung der Hauptrastgebiete von West nach Ost (GARTHE et al. 2003a). In Schleswig-Holstein wird der Zug der Trauerenten ber Land von Juli bis August an den Frden der Ostkste während des Fluges in die Mauserquartiere besonders gut sichtbar. Während des Heimzuges liegen berwiegend Beobachtungen von der Westkste und der Schlei vor (BERNDT & BUSCHE 1993).

89 4.5.5 Habitat Während der Brutzeit besiedeln Trauerenten vielfältige Habitate von der Tundra bis ins Hochgebirge (zur Verbreitung s. Kapitel 4.4.1). Sie brten an Sßgewässern, an Wald- und Hochmoorseen und an langsamen Fließgewässern. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl von geeigneten Brutplätzen ist eine ppige Strauch- und Staudenvegetation, die fr ausreichend Deckung am Ufer sorgt. Nichtbrtende Trauerenten und Brutvgel außerhalb der Brutzeit halten sich aus- schließlich auf dem Meer auf. Dort kommen sie in kstennahen Flachwasserbereichen sowie auf Flachgrnden im Offshore-Bereich vor. KIRCHHOFF (1979) beobachtete in der Hohwachter Bucht, dass dort – im Gegensatz zu Eider- und Eisenten – 85 % der Trauerenten ber Sand bis sandigem Schlick vorkamen und sich nur 15 % ber anderen Sedimenten aufhielten. Die meisten Vgel befanden sich ber Wassertiefen von 5-13 m in 500-1.000 m Entfernung zur Kste. Untersuchungen in der Pommer- schen Bucht zeigten dort eine deutliche Präferenz der Trauerenten fr Wassertiefen von weniger als 20 m, die hchsten Anzahlen wurden in Gebieten mit Wassertiefen zwischen 5 und 10 m beobachtet (SONNTAG et al. 2007). Entscheidend fr die Verbreitung der Trauerenten während der Mauser ist die Wassertiefe. Dabei werden ausgedehnte, strungsarme Bereiche mit Wassertiefen zwischen 3 und 5 m bevorzugt (HENNIG 2001, DEPPE 2003).

4.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Zum Tauchen setzen Trauerenten v.a. die Fße, teilweise auch die Flgel ein. Oftmals tauchen die Tiere gemeinsam in dichten Gruppen. Dabei kann sich die durchschnittli- che Tauchtiefe gebietsabhängig deutlich unterscheiden, was vor allem von der gegebenen Wassertiefe im Nahrungsgebiet abhängt. Die maximal festgestellte Tauchtiefe liegt bei 30 m (MADSEN 1954). Die Hauptnahrung von Trauerenten in den Winterquartieren besteht fast ausschließlich aus marinen Muscheln, die tauchend erbeutet werden. Dabei werden vor allem Exemplare bis zu 4 cm Länge genutzt, die auf der Oberfläche oder innerhalb der obersten 3 cm von reinen, grobkrnigen und sandigen Substraten in Wassertiefen bis zu 20 m vorkommen (FOX 2003). Bisher konnten ber 30 verschiedene Muschelarten als Nahrung nachgewiesen werden, daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Nahrungswahl eher von der Häufigkeit, Verfgbar- keit, Morphologie und dem Energiegehalt der Beute beeinflusst wird, als dass Trauerenten auf bestimmte Muschelarten festgelegt sind (FOX 2003, KAISER et al. 2006). Allgemein wurden in marinen und brackigen Habitaten v.a. Miesmuscheln (Mytilus edulis; bis 4 cm Länge) und Herzmuscheln (Cerastoderma spec.; bis zu 4 cm Länge) nachgewiesen.

90 Ostsee In den Mägen von Tieren die in Stellnetzen in der Hohwachter Bucht ertranken, stellten Herzmuscheln (Cerastoderma spec.; 59 %) und Miesmuscheln (35 %) die grßten Biomasse-Anteile (KIRCHHOFF 1979). Stellnetzopfer in der Kieler Bucht aus den Wintern 1987 / 88 und 1988 / 89 wurden von MEISSNER & BRÄGER (1990) untersucht. In allen Proben machten Herzmuscheln (Cerastoderma spec.) mit 35 % und Miesmuscheln mit 34 % der Frischmasse die Hauptanteile der Nahrung aus. Auf die Islandmuschel (Arctica islandica) entfielen 19 %. Der Anteil anderer Muscheln war gering. MEISSNER (1992) fand in der Kieler Bucht einen Anteil von Miesmuscheln zwischen 1 % und 83 %, je nach Standort und Jahreszeit. Sandklaffmuscheln (Mya arenaria) und Herzmuscheln waren dort ebenfalls wichtige Nahrungsobjekte.

EVERT (2004) untersuchte die Nahrung von insgesamt 274 Trauerenten aus den Jahren 2001 bis 2003, die in Stellnetzen in der Pommerschen Bucht ertrunken waren. Die Baltische Plattmuschel (Macoma balthica) stellte insgesamt 68 % aller gefressenen Muscheln, gefolgt von der Sandklaffmuschel (30 %) und der Lagunen-Herzmuschel (Cerastoderma glaucum) (2 %). Bei in Stellnetzen im Golf von Danzig in den Jahren 1986-1990 ertrunkenen Trauer- enten dominierten nach Frischvolumen in der Nahrung die Muschelarten Lagunen- Herzmuschel (35 %), Sandklaffmuschel (34 %) und Baltische Plattmuschel (25 %), 6 % entfielen auf Fische (Sandaale; STEMPNIEWICZ & MEISSNER 1999). Nordsee DURINCK et al. (1993) untersuchten die Mageninhalte von 144 Trauerenten, die im März 1987 bei Hanstholm (dänische Nordseekste) in Fischernetzen ertrunken waren. Sie fanden in 100 % der gefllten Mägen Reste von Trogmuscheln (Spisula subtrunca- ta) und in 11,2 % der Mägen Herzmuscheln (Cerastoderma edule). Zudem wurden geringe Mengen an Scheidenmuscheln (Solenidae) und Kcherwrmern (Pectinaria spec.) gefunden. Bei 26 Trauerenten, die im März 2005 bei Horns Rev (dänische Nordsee) gefunden wurden, wurde die Amerikanische Scheidenmuschel (Ensis americanus) als einzige Nahrung nachgewiesen (I.K. PETERSEN pers. Mitt.). Die durchschnittliche Grße der Muscheln lag bei 6 cm, wobei Exemplare bis 8 cm Länge nachgewiesen werden konnten.

LEOPOLD et al. (1995) bezeichnen Trogmuscheln als die wichtigste Nahrung fr die Trauerenten vor der niederländischen Kste. In den Jahren 1992-1994 wurde dort intensive Spisula-Fischerei betrieben, woraufhin die Trauerentenbestände drastisch zurckgegangen sind.

91 4.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Trauerenten sind hauptsächlich tagaktiv, das Zuggeschehen findet jedoch meist in der Dämmerung oder nachts statt (BERNDT & BUSCHE 1993). Untersuchungen auf Wangerooge ergaben, dass Trauerenten meist sehr niedrig ziehen (unter 1,5 m ber der Wasseroberfläche), bei stärkerem Rckenwind jedoch nimmt die Zahl der bis in 12 m Hhe fliegenden Trauerenten zu (KRÜGER & GARTHE 2001). Beobachtungen des Frhjahrzuges an der sdfinnischen Kste zeigten hingegen, dass große Trupps (z.T. bis mehrere hundert Individuen) meist ber See in 100-250 m Hhe fliegen. Über Land werden auch Flughhen von 500-2000 m Hhe beobachtet.

4.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 4.6.1 Gefährdungsursachen Trauerenten sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (u.a. durch Beeinträchtigung und / oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Muschelfischerei oder Sedimentab- bau) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Jagd (außerhalb Deutschlands); die jährliche Jagdstrecke in Dänemark beträgt etwa 8.000 Vgel (ANON. 2000)

4.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Trauerenten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Trauerenten weisen eine sehr hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffsverkehr auf und fliegen meist in sehr großer Entfernung vor sich nähernden Schiffen auf (GARTHE et al. 2004, KAISER et al. 2006, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren (z.B. HÜPPOP et al. 1994). Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes fr Trauerenten fhren, häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Insbesondere während der sehr energieaufwändigen, synchronen Schwingenmauser mit zeitweiliger Flugunfähig-

92 keit von Juni / Juli bis Oktober / November (vgl. Abb. 4-4) sind Trauerenten auf strungsarme Meeresgebiete angewiesen. Besonders Strungen in dieser Phase knnen zu Energieengpässen und Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. In den deutschen Meeresgebieten gibt es einige wenige, relativ gut abgrenzbare Gebiete mit großen Mauservorkommen. Auf der Nordsee befinden sie sich grßtenteils innerhalb des SPA „Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Watten- meer“, auf der Ostsee innerhalb des SPA „Pommersche Bucht“. Diese Konzentratio- nen bedingen zwar einerseits eine gewisse Empfindlichkeit gegenber Gefahren wie Stellnetzfischerei und Verlung (s.u.), bieten andererseits aber auch die Mglichkeit fr einen umfassenden Schutz der Art in einem begrenzten Gebiet. Trauerenten fhren häufig Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rastplätzen durch, zeigen insbesondere während des Zuges auch nächtliche Flugaktivität und sind nur mäßig gut manvrierfähig. Sie sind daher sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im mittleren Bereich aller untersuchten Arten. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren (s. auch DIERSCHKE et al. 2006b). Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu weiträumigen Umfliegungen kommen, die zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekter hervorgerufener Mortalität fhren. Beim dänischen Windpark Horns Rev konnte während der Betriebsphase eine sehr starke Meidung durch Trauerenten im Umkreis von 2 km und eine starke Meidung im Umkreis von 4 km um die Anlagen beobachtet werden. Beim Zug kam es zu aktiven Ausweichbewegungen (zusammengefasst in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Trauerenten ernähren sich v.a. von benthischen Mollusken (vgl. Kapitel 4.5.6). Sie sind somit auf Gebiete mit ausreichenden Vorkommen verwertbarer Muscheln angewiesen. Trauerenten tauchen beim Nahrungserwerb bis zum Grund. Ihre Tauchtiefe ist variabel und abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit und -qualität. Die Tauchphysiologie limitiert jedoch die energetisch rentabel nutzbaren Wassertiefen- bereiche. Dies schränkt Trauerenten in ihrer Habitatwahl ein. Umso entscheidender ist der Erhalt und Schutz der geeigneten Nahrungsgebiete. Muschelfischerei und Sedimentabbau knnen große Muschelvorkommen innerhalb kurzer Zeit stark reduzieren oder sogar ganz entfernen. Die Verluste knnen nicht durch stärkeres Muschelwachstum ausgeglichen, sondern erst durch Neuansiedlung kompensiert werden. Diese Eingriffe knnen daher schnell zu Nahrungsengpässen und dem Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten fhren, insbesondere dann, wenn durch strenge

93 Winter die Muschelbestände schon natrlicherweise reduziert sind. Vor den westfriesi- schen Inseln haben Trauerenten nach Einsetzen einer intensiven Trogmuschel- Fischerei drastische Bestandseinbußen erlitten (LEOPOLD 1993, LEOPOLD et al. 1995). Da sie ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind Trauerenten besonders anfällig dafr, sich zufällig in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung des Vogelvorkommens mit Stellnetzfischerei kommt es zu hohen Verlusten, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfi- scherei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. Allein vor der Insel Usedom (Ostsee) zählte SCHIRMEISTER (2003) bei einem nur kleinen Teil der dort tätigen Stellnetzfi- scher in 12 Wintern 555 ertrunkene Trauerenten, obwohl die unmittelbaren Kstenge- wässer nicht zu ihren Hauptrastgebieten in der Pommerschen Bucht gehren. Fr die Ostseekste Schleswig-Holsteins schätzte KIRCHHOFF (1982) einen jährlichen Verlust von 2.600 Tieren. Da auch innerhalb des Hauptkonzentrationsgebietes der Trauerenten im Bereich der Oderbank Stellnetzfischerei betrieben wird, ist dort mit noch deutlich hheren Verlusten pro Netz zu rechnen. Insbesondere im Mai 2005 waren auf der Oderbank zahlreiche Stellnetze ausgebracht, bei gleichzeitiger Anwesenheit einer großen Anzahl von Trauerenten (SONNTAG et al. 2007). Trauerenten ernähren sich berwiegend von Mollusken und konkurrieren deshalb nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Trauerenten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Da Trauerenten meist in hohen Konzentrationen vorkommen und einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen, sind sie sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitun- gen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Nach der Haverie des Frachters „Pallas“ 1998 vor Amrum gab es hohe Verluste von Trauerenten, obwohl nur vergleichsweise geringe Mengen Öl ausgetreten waren (H.-U. RÖSNER pers. Mitt.). An der deutschen Nordseekste wiesen Trauerenten in den Wintern 2000 / 01 und 2001 / 02 eine der hchsten Verlungsraten aller erfassen Vogelarten auf (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwick-

94 lungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Trauerenten knnen ab dem 2. Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen und haben eine vergleichsweise hohe Jungvogelanzahl und eine geringe Altvogelmortalität. Da die Sterblichkeit bei den Jungvgeln jedoch vergleichsweise hoch ist, knnen Trauerenten Mortalitätsverluste eher schlecht ausgleichen. Negative Bestandstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die gesamte Populationsdynamik.

Der Erhaltungszustand der Trauerenten in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft, die Art ist keiner SPEC- Kategorie zugeordnet (Tab. 4-4).

Tab. 4-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Trauerenten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + entfällt entfällt entfällt entfällt IntV IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II, III Non-SPEC II III +

4.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff und Flugzeug; im Gegensatz zu den Schiffstransektzählungen sind schwimmende Trauer- und Samtenten vom Flugzeug aus oft schwer bis zur Art bestimmbar Flächendeckende Flugzeugzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zu den Schiffstransektzählungen werden bei den flächen- deckenden Flugzeugzählungen Vgel, die nicht in den Schwärmen konzentriert sind, nur unzureichend erfasst Schiffstruppzählung Zu beachten: keine Dichteberechnungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

95 4.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Identifizierung von Mauservorkommen der Weibchen auf See - Zusammenhang zwischen Mausergebieten in Nord- und Ostsee - Populationszugehrigkeit der verschiedenen Rast-, Mauser- und Wintervor- kommen in Nord- und Ostsee - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Nordsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

96 5 Samtente

Melanitta fusca (Linnaeus 1758)

GB: Velvet Scoter NL: Grote Zee-eend

DK: Fljlsand Foto: F. Jachmann S: Svärta Abb. 5-1: Männchen im PK PL: Uhla

5.1 EU-Code A066

5.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

5.3 Kennzeichen Mittelgroße und kräftige Meeresente mit kräftigem, keilfrmigem Schnabel. Dunkles Gefieder mit weißen Armschwingen, diese im Schwimmen meist als weißer Fleck erkennbar. Fße orangerot. Männchen im PK mit schwarzem Gefieder, nur Armschwingen und kleiner Halbmond unter dem Auge weiß, Schnabelseiten orangegelb. Weibchen schwarzbraun mit weißen Armschwingen, zur Brutzeit oft heller Zgel- und Ohrenfleck. JK ähnlich Weibchen, aber Bauch und Kopfflecke heller weißlich. Verwechslungsmglichkeiten: mit Trauerente; Samtente aber mit weißem Flgelfeld und weißem Fleck im Augenbereich. Kopf- und Schnabelprofil erscheinen beim Schwimmen bei Samtenten eher schräg nach unten gerichtet, bei Trauerenten eher waagrecht.

97 5.4 Verbreitung / Bestand 5.4.1 Welt / Europa Samtenten brten disjunkt in holarktischen Brutgebiete. Sie brten in der borealen Zone Nordamerikas und Eurasiens von Norwegen bis Zentral-Sibirien. Eine kleine isolierte Population ist im Kaukasus beheimatet. Im Vergleich zur Trauerente ist die Art weniger stark auf arktische Brutgebiete beschränkt. Es werden bei Samtenten keine Unterarten unterschieden (BAUER et al. 2005). Nach der dort verwendeten Systematik bildet M. fusca mit M. deglandi (Hckersamtente) eine Superspezies. Nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) jedoch werden folgende Unterarten unterschie- den: fusca, deglandi und stejnegeri. Der hier genannte Weltbestand von M. fusca entspricht deswegen dem in WETLANDS INTERNATIONAL (2006) angegebenen Bestand der Unterart fusca (1 Mio. Individuen). In Nordeuropa brten Samtenten an den Ostseeksten von Schweden, Finnland und Estland sowie seltener im Binnenland N-Skandinaviens und in der Taiga und dem bewaldeten Teil der Tundra Russlands. In Mitteleuropa sind Samtenten als häufige Durchzgler und Wintergäste auf Nord- und Ostsee bekannt. Die wichtigsten Überwinterungsgebiete befinden sich auf der Ostsee. Fast 95 % der in W-Sibirien und N-Europa brtenden Samtenten berwintern dort mit drei Konzentrationsgebieten: Irbe / Rigaer Bucht, Pommersche Bucht und Kattegat. Weitere wichtige Überwinte- rungsgebiete sind die Kstengebiete des N-Atlantik von Norwegen und Groß- britannien / Irland bis zur Bretagne. Somit ziehen Samtenten im Vergleich zur Trauerente weniger weit nach Sden. Samtenten berwintern zudem an der Nordsee- kste von Dänemark bis zum Ärmelkanal, aber auch im Schwarzen Meer und NO- Mitteleuropa. In den Kstenbereichen kann man z.T. auch Übersommerer beobachten. Im Binnenland sind Samtenten regelmäßig und häufiger als Trauerenten anzutreffen, meist handelt es sich dabei um juvenile Vgel. Der europäische Brutbestand nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) beträgt 85.000-100.000 Paare. Die in Europa vorkommenden Samtenten werden in zwei biogeografische Popula- tionen aufgeteilt (Tab. 5-1).

98 Tab. 5-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeo- grafischen Populationen der Samtenten (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Ostsee, M. f. W-Europa W-Sibirien, Ostsee, 1 Mio. stabil 10.000 fusca (außerhalb N-Europa W-Europa Brutzeit) Schwarzes Meer Schwarzes M. f. Schwarzes (außerhalb Meer, 1.500 k.A. 15 fusca Meer Brutzeit) Kaukasus

5.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler, seltener Sommergast auf Nord- und Ostsee. Im Binnenland regelmäßig in kleiner Zahl (zu Einflgen s. AUBRECHT et al. 1990). Die in Deutschland vorkommenden Samtenten gehren zur biogeografischen Population "Ostsee, W-Europa (außerhalb Brutzeit)". Samtenten brten nicht in Deutschland, sondern halten sich lediglich während der Zugzeiten, im Winter und selten im Sommer auf Nord- und Ostsee auf. Sie konzentrie- ren sich im Winter fast ausnahmslos auf den Bereich der Pommerschen Bucht (Abb. 5-2), westlich von Rgen werden sie sowohl im Rahmen der Wasservogelzäh- lung als auch der SAS-Erfassungen nur vereinzelt angetroffen, ebenso auf der Nordsee und im Binnenland (Abb. 5-3). Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 38.000 Tiere (Tab. 5-2). Dies entspricht ca. 4 % der biogeografischen Population "Ostsee, W-Europa" (nach WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Nordsee In der sdstlichen Nordsee treten Samtenten in geringer Anzahl im Winter und während der Zugzeiten auf. Die Verbreitung beschränkt sich dabei durchgängig auf die Kstenzone und den kstennahen Offshore-Bereich innerhalb der 20 Meter- Tiefenlinie. Im Herbst sind Samtenten in geringer Anzahl kstennah entlang der Ost- und Westfriesischen Inseln verbreitet. Im Winter fällt ein Schwerpunkt mit geringen Dichten westlich von Amrum auf. Vor der dänischen Kste liegt zwischen Sylt und Blåvands Huk ein wichtiges Überwinterungsgebiet dieser Art (SKOV et al. 1995, LAURSEN et al. 1997). Im Frhjahr befindet sich eine kleine Konzentration vor den Westfriesischen Inseln. Daneben sind Samtenten vereinzelt entlang der schleswig- holsteinischen Kste anzutreffen.

99

Abb. 5-2: Verbreitung der Samtenten auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 5-3: Verbreitung der Samtenten in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

100 Im Sommer wurden bisher keine Samtenten in der deutschen Nordsee beobachtet. Es gibt jedoch zumindest aus einigen Jahren Angaben zu kleinen Sommer- und Mauser- vorkommen von Samtenten vor der Kste Schleswig-Holsteins (DRENCKHAHN 1969, BERNDT & BUSCHE 1993). Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Samtenten nur unregelmäßig und in geringer Zahl vor. Bisher gelangen einzelne Nachweise im Januar und Februar.

Tab. 4-2: Rastbestandszahlen der Samtenten fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“ basierend auf Schiffstran- sektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 1996-2005). Der Anteil an der biogeografischen Population bezieht sich auf den Weltbestand. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 480 <0,1 0 0 0 0 Sommer 0 0,0 0 0 0 0 Herbst 70 <0,1 0 0 0 0 Winter 210 <0,1 0 0 0 0

Ostsee Auf der deutschen Ostsee konzentrieren sich Samtenten fast ausschließlich im stlichen Bereich, wo sie nahezu ganzjährig in kstenfernen Gebieten der Pommer- schen Bucht anzutreffen sind. Im Herbst bildet sich ein weiträumiges Vorkommen mit hohen Dichten auf der Oderbank. Dieser Konzentrationsschwerpunkt dehnt sich im Winter noch weiter nach Norden in Richtung Adlergrund aus und bleibt bis ins Frhjahr mit hohen Anzahlen bestehen. Zu dieser Jahreszeit halten sich Samtenten auch stark konzentriert in den tieferen Bereichen zwischen Oderbank und Adlergrund auf. In geringer Anzahl treten Samtenten auch in kstennäheren Gewässern auf, insbesondere im Winter und Frhjahr am Eingang zum Greifswalder Bodden. Westlich von Rgen kommt die Art nur vereinzelt und in geringen Dichten vor. Im Jahr 2003 wurde erstmals ein kleines Sommervorkommen mit einzelnen mausernden Tieren auf und nordwestlich der Oderbank beobachtet (SONNTAG et al. 2004). Die Individuenzahl dieses Vorkommens schwankt zwischen einzelnen Jahren erheblich. Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Samtenten meist ganzjährig vor (Tab. 5-2), wobei das Sommervorkommen sehr gering und zwischen den Jahren unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Der Winterrastbestand baut sich ab Oktober auf, im April verlassen die Samtenten das SPA in Richtung Brutgebiete.

101 Tab. 5-2: Rastbestandszahlen der Samtenten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“ basierend auf Schiffstransektzählun- gen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Pomm. Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 34.000 3,4 43.000 4,3 Sommer k.A. k.A. 470 <0,1 360 <0,1 Herbst k.A. k.A. 16.500 1,7 22.000 2,2 Winter 38.000 3,8 37.000 3,7 30.000 3,0

5.4.3 Bestandsentwicklung Die Brut- und Winterbestände der Samtenten weisen insgesamt einen relativ stabilen Trend auf. Die europäischen Bestände waren BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) zufolge im Zeitraum 1970-1990 stabil, durch Abnahmen in Russland und Norwegen im darauffolgenden Zehnjahreszeitraum kam es aber zu einer Abnahme um insgesamt ber 10 %. Informationen ber die Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

5.5. Biologie / Ökologie 5.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: im 2. (3.) Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen, oft nur Brutehen Brutzeit: Legebeginn im Sden ab Mitte Mai, weiter nrdlich ab Juni; Brutdauer 26-29 Tage Gelege: 7-9 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich Kken: Weibchen fhrt die Jungen, aber Bindung schwach, Kken schon nach 30-40 Tagen auf sich allein gestellt, hohe Verlust- rate weil Kken auch erst nach 50-55 Tagen flgge sind

5.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 4 Jahre Ältester Ringvogel: 21 Jahre 5 Monate Sterblichkeit: 22 % bei adulten Weibchen (Kanada); 23 % bei adulten Tieren (KREMENTZ et al. 1997)

102 5.5.3 Mauser Der postjuvenilen Mauser der Samtenten, die ab Oktober einsetzt, folgt die 1. Pränuptialmauser, die im Frhjahr des 2. KJs abgeschlossen wird (die Zeit der Vollmauser der Vgel im 2. KJ wurde dem Zyklus der Trauerenten entnommen, da sich deren Mauserablauf mit dem der Samtenten deckt; BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM 1969). Demnach erneuern adulte Männchen ihre Schwingen im Juli / August, die Weibchen erst nach der Brut von Ende August bis Anfang Oktober (Abb. 5-4). Da die Schwingen synchron abgeworfen werden, sind die Samtenten fr einige Wochen flugunfähig und in dieser Zeit besonders stranfällig.

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 5-4: Mauserzyklus der Samtenten. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

5.5.4 Wanderungen Samtenten sind meist Kurzstreckenzieher. Es wird vermutet, dass der Zug sich berwiegend nachts abspielt (BERNDT & BUSCHE 1993). Der Zug in die Mausergebie- te zur Ostkste Dänemarks beginnt im Juni mit den Männchen, die Weibchen folgen ab August. Die meisten dieser Mauservgel kommen aus Fennoskandien. Brutvgel aus Russland wandern zum Überwintern vermutlich nach NW-Europa, die Brutvgel Schwedens hauptsächlich nach Dänemark, seltener auch weiter nach Westen und in die sdliche Ostsee, die Brutvgel Fennoskandiens erreichen Großbritannien. Der Wegzug in die Winterquartiere erfolgt ab September. Den Heimzug in die Brutgebiete beginnen Samtenten oft schon im März, insgesamt erstreckt sich der Heimzug bis Mai. An den nrdlichsten Brutplätzen kommen Samtenten meist erst im Juni an. Samtenten zeigen von September bis Mai anhaltende Zugaktivitäten vor Hiddensee. Dabei deuten Bewegungen in beide Richtungen auf häufigen Rastplatzwechsel und kälteabhängige Wanderungen hin (GARTHE et al. 2003a).

5.5.5 Habitat Die Brutbiotope der Samtenten knnen regional sehr verschieden sein (zur Verbrei- tung s. Kapitel 5.4.1). Im Hauptverbreitungsgebiet brten sie meist an kleinen Sßgewässern der Taiga und der Waldtundra. In anderen Brutarealen knnen

103 Samtenten auch an Waldsteppenseen oder sogar in hheren Lagen an Bergseen brten. Die Ostseeksten-Population hingegen brtet in Bereichen der bewaldeten Schären, aber stellenweise auch auf vegetationslosen Klippen. Außerhalb der Brutzeit halten sich Samtenten in kstennahen Flachwasserzonen sowie in kstenfernen Gebieten auf Flachgrnden und in Bereichen bis 30 m Wassertiefe auf (BERNDT & BUSCHE 1993). Untersuchungen in der Pommerschen Bucht zeigten eine deutliche Präferenz von Samtenten fr Wassertiefen kleiner 20 m. Die hchsten Anzahlen wurden in Gebieten mit Wassertiefen zwischen 5 und 10 m beobachtet, in Bereichen mit 20-30 m Tiefe waren Samtenten häufiger als die beiden anderen untersuchten Arten Eis- und Trauerente (SONNTAG et al. 2007). Sowohl auf der Nord- als auch auf der Ostsee teilen Samtenten ihr Winterhabitat mit Trauerenten und bilden gemischte und benachbarte Gruppen. Im Binnenland halten sie sich meist auf grßeren, tieferen Seen, grßeren Flssen oder auf Stauseen auf.

5.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Samtenten erbeuten ihre Nahrung berwiegend tagsber. Die Tauchgänge erfolgen mit abgespreizten Flgeln bis zum Grund, oft in Tiefen bis > 10 m und dauern bis zu 50 Sekunden. Die Tauchtiefe ist jedoch abhängig von den Nahrungsgebieten. Samtenten ernähren sich hauptsächlich von Mollusken. In den Überwinterungsgebie- ten besteht ihre Nahrung berwiegend aus marinen Muscheln bis 4 cm Grße, die auf oder in den oberen drei Zentimetern von reinen, grobkrnigen und sandigen Substraten in Bereichen von bis zu 20 m Wassertiefe vorkommen (FOX 2003). Ostsee KIRCHHOFF (1979) fand in den Mägen von zwlf in der Hohwachter Bucht in Stellnetzen ertrunkenen Samtenten ausschließlich Muscheln. Herzmuscheln (Cerasto- derma spec.; frher Cardium) machten 79 % der berechneten Masse aus, Islandmu- scheln (Arctica islandica) 6 % und Miesmuscheln (Mytilus edulis) 5 %.

STEMPNIEWICZ & MEISSNER (1999) untersuchten 241 Samtenten, die von November bis April in den Jahren 1986-1990 in Stellnetzen im Golf von Danzig ertranken. Muscheln kamen in 98,5 % der Mägen vor, Fische in 44 %, Polychaeten in 23,9 %, Schnecken in 13 % und Crustaceen in 4,5 %. Bezogen auf die Frischvolumina verteilte sich die Nahrung wie folgt: Muscheln 75,9 %, Fische 23,4 %, sonstige Gruppen 0,7 %. Unter den Muscheln hatten Sandklaffmuscheln (Mya arenaria) mit 41,0 % den hchsten Anteil, gefolgt von Baltischen Plattmuscheln (Macoma baltica; 22,5 %) und Lagunen-Herzmuscheln (Cerastoderma glaucum; 10,2 %) sowie Mytilus trossulus (2,2 %).

104 Nordsee DURINCK et al. (1993) bestimmten die Mageninhalte von 35 Samtenten, die im März 1987 bei Hanstholm (dänische Nordseekste) in Fischernetzen ertrunken waren. Sie wiesen in 100 % der gefllten Mägen Gedrungene Trogmuscheln (Spisula subtrunca- ta) nach und in 12,8 % der Mägen Herzmuscheln.

5.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Die Nahrungsaufnahme findet bei Samtenten in der Regel tagsber und nur selten nachts statt (LEWIS et al. 2005), der Zug hingegen wahrscheinlich berwiegend nachts. Nach BERNDT & BUSCHE (1993) entsprechen die bevorzugten Zughhen und die beobachteten Truppgrßen weitgehend denen der Trauerenten. Diese ziehen vor Wangerooge meist relativ flach ber die Wasseroberfläche (< 1,5 m), bei stärkerem Rckenwind jedoch bis in 12 m Hhe (KRÜGER & GARTHE 2001). Beobachtungen des Frhjahrzuges an der sdfinnischen Kste zeigten hingegen, dass große Trupps von Trauerenten meist ber See in 100-250 m Hhe fliegen. Über Land werden bei Trauerenten auch Flughhen von 500-2000 m Hhe beobachtet. Während Trauerenten ber See oft in Trupps mit z.T. bis zu mehreren hundert Individuen ziehen, umfassen die Trupps von Samtenten meist weniger als 100 Individuen.

5.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 5.6.1 Gefährdungsursachen Samtenten sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (u.a. durch Beeinträchtigung und / oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Muschelfischerei oder Sedimentab- bau) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken wie Brcken oder Wind- energieanlagen (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuch- tung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Jagd (außerhalb Deutschlands): Bestandsabnahmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in N-Skandinavien wurden durch Jagd und illegalen Abschuss bedingt. Jagd von Männchen ist auf den Ålandinseln immer noch erlaubt, wo die Jahresstrecke bis zu 25.000 Vgel erreicht (HAGEMEIJER & BLAIR 1997)

105 Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Anthropogene Strungen am Brutplatz: Aufgrund ihrer späten Brutperiode ist die Art gegenber menschlichen Strungen im Brutgebiet besonders anfällig, da diese im Hochsommer häufiger sind (HAGEMEIJER & BLAIR 1997)

5.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Samtenten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Samtenten weisen eine hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen fast immer auf (GARTHE et al. 2004, BELLEBAUM et al. 2006, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes von Samtenten fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Samtenten fhren Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rastplätzen durch, zeigen insbesondere während des Zuges auch nächtliche Flugaktivität und sind nur mäßig gut manvrierfähig. Sie sind daher sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen. Nach den Seetauchern weisen Samtenten den hchsten Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) auf. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energie- verbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Bei den Windparks Horns Rev (Dänemark), Utgrunden und Yttre Stengrund (beide Schweden) konnte ein Barriereeffekt der Anlagen auf ziehende Samtenten beobachtet werden (zusammengestellt in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Samtenten ernähren sich benthisch v.a. von Mollusken. Sie sind somit auf Gebiete mit ausreichenden Vorkommen verwertbarer Muscheln angewiesen. Samtenten tauchen beim Nahrungserwerb bis zum Grund. Ihre Tauchtiefe ist variabel und abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit und -qualität. Die Tauchphysiologie limitiert jedoch die energetisch rentabel nutzbaren Wassertiefenbereiche. Dies macht Samtenten unflexibel in ihrer Habitatwahl. Umso entscheidender ist der Erhalt und Schutz der geeigneten

106 Nahrungsgebiete. Muschelfischerei und Sedimentabbau knnen große Muschelvor- kommen innerhalb von kurzer Zeit stark reduzieren oder sogar ganz entfernen, die Verluste knnen nicht durch stärkeres Muschelwachstum ausgeglichen, sondern erst durch Neuansiedlung kompensiert werden. Derartige Eingriffe knnen daher schnell zu Nahrungsengpässen und dem Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten fr Samtenten fhren, insbesondere dann, wenn durch strenge Winter die Muschelbestän- de schon natrlicherweise reduziert sind. Da Samtenten ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung des Vogelvorkommens mit Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfi- scherei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. SCHIRMEISTER (2003) zählte vor Usedom bei einem nur kleinen Teil der dort tätigen Stellnetzfischer bis zu 78 ertrunkene Samtenten pro Jahr, obwohl die Kstengewässer nicht zu den Hauptvorkommensge- bieten von Samtenten in der Pommerschen Bucht gehren. Fr die Ostseekste Schleswig-Holsteins schätzte KIRCHHOFF (1982) einen jährlichen Verlust von etwa 200 Samtenten, obwohl diese in der westlichen Ostsee nur in geringer Anzahl vorkommen. Da auch innerhalb des Konzentrationsgebietes der Samtenten im Bereich der Oderbank Stellnetzfischerei betrieben wird, ist dort mit deutlich hheren Verlusten pro Netz zu rechnen. Samtenten ernähren sich berwiegend von Mollusken und konkurrieren deshalb nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssu- chenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Samtenten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Da Samtenten meist konzentriert vorkommen und einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen, sind sie sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Nach einem Tankerunfall im Kattegatt im März 1972 wurden vom Flugzeug aus insgesamt 7.200 verlte Samtenten gezählt (JOENSEN & HANSEN 1977). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachs-

107 tums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsun- fälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Samtenten knnen ab dem 2. Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen und haben meist eine vergleichsweise hohe Anzahl von Jungvgeln und eine vergleichsweise geringe Altvogelmortalität. Da die Sterblichkeit bei den Jungvgeln jedoch hoch ist, knnen Samtenten Mortalitätsverluste eher schlecht ausgleichen. Die Kken sind schon frh auf sich alleine gestellt, so dass es zu hohen natrlichen Verlustraten kommt. Anthropogene Effekte knnen diese Verluste noch verstärken: In Finnland wurde eine Reduktion von Gelegegrße und Bruterfolg durch Bootsverkehr festge- stellt, der zu deutlich erhhter Prädation durch Großmwen fhrte (MIKOLA et al. 1994). Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraus- setzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die gesamte Populationsdynamik.

Der Status der Samtenten in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „abnehmend“ eingestuft. Samtenten sind in die SPEC-Kategorie 3 als Art mit ungnstigem Erhaltungszustand in Europa eingestuft (Tab. 5-3). Der Rastbestand in der Pommerschen Bucht ist aufgrund des konzentrierten Vorkommens einerseits sehr empfindlich gegenber Gefahren wie Stellnetzfischerei und Verlung, da er jedoch grßtenteils innerhalb des SPAs „Pommersche Bucht“ liegt, besteht hier andererseits auch die Chance, durch entsprechende Maßnahmen einen umfassenden Schutz fr Samtenten zu gewährleisten. In diesem Bereich liegt zudem das wahr- scheinlich sdlichste Mausergebiet von Samtenten, die Bestände schwanken allerdings zwischen den Jahren (SONNTAG et al. 2004). Während der energieaufwändigen, synchronen Schwingenmauser sind Samtenten besonders stark auf strungsarme Gebiete angewiesen, Strungen in dieser Phase knnen schnell zu Energieengpässen und Konditionsminderung fhren.

Tab. 5-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Samtenten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + entfällt entfällt entfällt entfällt entfällt IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II 3 II III +

108 5.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff und Flugzeug; im Gegensatz zu den Schiffstransektzählungen sind schwimmende Samt- und Trauerenten vom Flugzeug aus oft schwer auf Art bestimmbar. Ksten-Wasservogelzählungen (bei kstennahen Vorkommen)

5.8 Forschungsbedarf - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

109 6 Mittelsäger

Mergus serrator Linnaeus 1758

GB: Red-breasted Merganser NL: Middelste Zaagbek

DK: Toppet Skallesluger Foto: F. Jachmann S: Småskrake Abb. 6-1: Mittelsäger, Weibchen PL: Szlachar

6.1 EU-Code A069

6.2 Systematik Ordnung: Anseriformes - Entenvgel Familie: Anatidae - Entenverwandte

6.3 Kennzeichen Langer, schlanker Tauchvogel mit langem, dnnem, rotem Hakenschnabel und struppigem Schopf am Hinterkopf. Im Flug mit weißem Armflgelfeld. Männchen im PK mit schwarzem, grn schimmerndem Kopf und weißem Halsring ber brauner, schwarz gestrichelter Brust; Oberseite berwiegend schwarz, weißes Flgelfeld mit schwarzer Querbänderung; Flanken grau. Im SK wie Weibchen (s.u.), aber grßeres weißes Flgelfeld. Weibchen: zimtbrauner Kopf, Oberseite grau-braun, Flanken schmutzig braun. Diffuse Grenze zwischen Kopf, grau-bräunlichem Hals und hellerer Brust. Weißes Flgelfeld durch schwarze Linie zweigeteilt. JK: wie Weib- chen, aber Schnabel blasser rot und Schopf krzer. Verwechslungsmglichkeiten: mit Gänsesäger; Mittelsäger schlanker und kontrastär- mer; im Flug mit dunkleren Armdecken und feiner, schwarzer Querbänderung des sonst weißen Flgelspiegels; bei Weibchen verwaschener Übergang zwischen Kopf-, Hals- und Brustfärbung.

110 6.4 Verbreitung 6.4.1 Welt / Europa Mittelsäger brten zirkumpolar in der Holarktis hauptsächlich in der borealen Zone, aber auch in der Tundra und der gemäßigten Zone. Das Brutgebiet erstreckt sich von Grnland und Island bis O-Sibirien und Nordamerika. Die sdlichsten Brutgebiete liegen im nrdlichen Mitteleuropa, im Sd-Ural und im Transbaikal.

Der globale Bestand wird auf mind. 500.000 Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). In Mitteleuropa sind Mittelsäger seltene Brutvgel. Sie sind aber dort ganzjährig berwiegend an den Ksten anzutreffen, im Binnenland dagegen nur in geringer Zahl. Wichtige Überwinterungsgebiete sind die westliche Ostsee (Deutschland und W- Polen; NILSSON 2005, PETERSEN et al. 2006), die norwegische Atlantikkste (SVORKMO-LUNDBERG et al. 2006), das Rheindelta in den Niederlanden (VAN ROOMEN et al. 2004) sowie die franzsische Atlantikkste (GILISSEN et al. 2002). Vor allem in milden Wintern berwintern auch bis ins Baltikum (Ostsee) grßere Anzahlen (SVAZAS et al. 2001, GILISSEN et al. 2002). Fr Europa wird der Brutbestand auf 73.000-120.000 Paare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die in Europa vorkommenden Mittelsäger sind in drei biogeografische Populationen unterteilt (Tab. 6-1).

Tab. 6-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Populationen der Mittelsäger (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium NW-Europa, Island, O- M. Mitteleuropa Grnland, N- Island, N-, NW- serrator (außerhalb 170.000 k.A. 1.700 & NW-Europa & Mitteleuropa Brutzeit) Schwarzes Meer, Schwarzes M. Mittelmeer NO-Europa Meer, stl. 50.000 k.A. 500 serrator (außerhalb Mittelmeer Brutzeit) M. W- & SO- W- & SO- SW-Kste 10.000- stabil 250 serrator Grnland Grnland Grnlands 25.000

6.4.2 Deutschland Status: seltener Brutvogel bzw. Sommervogel, regelmäßiger Wintergast. Die in Deutschland vorkommenden Mittelsäger gehren zur biogeografischen Population „NW-Europa, Mitteleuropa“.

111 Der Brutbestand der Mittelsäger in Deutschland beträgt knapp 391-420 Paare (Bezugszeitraum 2003, BOSCHERT 2005). 273 Paare brten in Schleswig-Holstein (Bezugszeitraum 1999, BERNDT et al. 2003) und etwa 110-120 Paare in Mecklenburg- Vorpommern (Bezugszeitraum 2001-2003, KUBE 2006). Bruten in SH, NS und den Niederlanden bilden die sdlichsten Brutplätze in Europa. Die Vorkommen der Mittelsäger beschränken sich im gesamten Jahresverlauf in Deutschland fast aus- schließlich auf die Ostseekste. Besonders in den Wintermonaten liegt ein deutlicher Schwerpunkt im Raum Rgen und Greifswalder Bodden (Abb.6-2 und 6-3). Der Mittwinter-Rastbestand in Deutschland wird auf 10.600 Individuen geschätzt; neben der Ostsee (Tab. 6-2) gibt es nur geringe Bestände im Binnenland (80 Individuen) und an der Nordseekste (60 Individuen; DDA unverffentl.). Nach den Daten der Wasservogelzählung werden in kstennahen Gebieten die hchsten Rastbestände in der ersten Hälfte des Winters erreicht; auch der Frhjahrszug im April tritt deutlich hervor (Abb. 6-4). In kalten Wintern kommt es auch im Mittwinter zu hheren Gipfeln, wenn Winterflucht aus nrdlichen Gebieten stattfindet (KLAFS & STÜBS 1987). Aus den Ergebnissen einer dänischen Ringfundanalyse (BØNLØKKE et al. 2006) lässt sich schließen, dass der berwiegende Teil der deutschen Brutvgel auf der sdlichen Ostsee berwintert. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Durchzugsgipfel vor allem auf Brutvgel aus nrdlicheren Breiten zurckge- hen, die in den Niederlanden sowie an der franzsischen Kanal- und Atlantikkste berwintern. Nordsee Mittelsäger werden nur selten als Rastvgel auf der deutschen Nordsee angetroffen. Regelmäßige Nachweise gibt es vor allem aus dem Kstengebiet der nordfriesischen Inseln. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden bisher keine Mittelsäger nachgewiesen. Fr Mittelsäger wurden keine Bestandszahlen berechnet.

112

Abb. 6-2: Verbreitung der Mittelsäger auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nordsee: 1990-2006, Ost- see: 2000-2006).

Abb. 6-3: Verbreitung der Mittelsäger in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

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Abb. 6-4: Auftreten der Mittelsäger in Deutschland im Winterhalbjahr, basierend auf den Daten der monatlichen Wasservogelzählungen (ermittelt berwiegend aus Daten aus dem schleswig-holsteinischen Teil der deutschen Ostsee). Dargestellt ist der monat- liche Mittelwert (September-April) fr 2000 / 01 bis 2004 / 05 sowie deren Standard- fehler.

Ostsee Mittelsäger kommen auf der deutschen Ostsee fast ausschließlich kstennah vor. Im Winter erreichen sie sehr hohe Dichten im Greifswalder Bodden, nrdlich von Rgen und bei Hiddensee. Konzentrationen befinden sich außerdem entlang der Kste Usedoms, sowie auf der sdwestlichen Ostsee am Ausgang der Flensburger Frde. Im Frhjahr liegen die Verbreitungsschwerpunkte im Greifswalder Bodden und entlang der Kste Rgens sowie in der Wismarbucht. Auch um Fehmarn kommen Mittelsäger im Frhjahr in geringer bis mittlerer Dichte vor. Während im Sommer bisher nur ein Mittelsäger vom Schiff aus bei Rgen beobachtet wurde, ist im Herbst wieder eine starke Konzentration im Greifswalder Bodden und vor Usedom erkennbar. Im SPA „Pommersche Bucht“ werden Mittelsäger in geringer Anzahl beobachtet.

Tab. 6-2: Rastbestandszahlen der Mittelsäger fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzäh- lungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in Anleh- nung an Standarddatenbogen): I: 1-5 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. I <0,1 I <0,1 Sommer k.A. k.A. 0 0,0 0 0,0 Herbst k.A. k.A. 0 0,0 0 0,0 Winter 10.500 6,2 0 0,0 0 0,0

114 6.4.3 Bestandsentwicklung Ein großer Anteil des europäischen Brutbestandes brtet in Finnland, Norwegen und Schweden (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Während die Bestände in Finnland im Zeitraum 1990-2000 eine positive Entwicklung zeigten, gingen sie in Schweden und Norwegen zurck (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Deutschland stieg der Brutbestand bis Mitte der 1990er Jahre an (1994 ca. 590 Brutpaare), in den Folgejah- ren gingen die Bestände wieder deutlich zurck und stabilisierten sich bei etwa 400 Brutpaaren (BOSCHERT 2005). Im Zeitraum 1968-2005 haben die Mittwinterbestände nach den Daten der Wasser- vogelzählung durchschnittlich um 4,5 % pro Jahr zugenommen (Abb. 6-5). Die deutliche Zunahme hielt bis Anfang der 1990er Jahre an – unterbrochen von den drei kalten Wintern Mitte der 1980er Jahre. Seither sind die Mittwinterbestände rckläufig. Eine ähnliche Entwicklung beschreibt BOSCHERT (2005) fr die deutschen Brutbe- stände. Die Winter von 1996, 1997 und 2003 mit großflächigen Vereisungen spiegeln sich in Abbildung 6-5 deutlich wider. In diesen Wintern waren die Rastbestände in den Niederlanden teilweise berdurchschnittlich hoch (VAN ROOMEN et al. 2005). Entgegen den Entwicklungen an der deutschen Ostseekste haben die Januarbestände an der schwedischen Sdkste seit Mitte der 1990er Jahre deutlich zugenommen (NILSSON 2005).

Abb. 6-5: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Mittelsäger in Deutschland im Januar 1968-2005 nach den Daten der Wasservogelzählungen relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II).

115 6.5 Biologie / Ökologie 6.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: im 2. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen, gelegentlich Polygamie Brutzeit: Legebeginn ist Ende April bis Mai, oft auch Juni, im Norden bis Juli; Brutdauer 31-32 Tage Gelege: 8-10 Eier; 1 Jahresbrut, Nachgelege sind häufig Kken: Weibchen fhrt die Jungen, nicht selten Zusammenlegung von Kken verschiedener Weibchen zu Kindergärten (bis 100 Ju- venile werden von einem Weibchen gefhrt); Kken sind mit 60-65 Tagen flgge, selbständig schon mit 50 Tagen 6.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 4 Jahre Ältester Ringvogel: 21 Jahre 3 Monate Sterblichkeit: unbekannt

6.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Teilmauser) der Mittelsäger vollzieht sich von Oktober bis Januar. Zeitgleich ab Dezember setzt die 1. Pränuptialmauser ein, ber die Dauer ist wenig bekannt. Adulte Männchen beginnen mit der Vollmauser (Postnuptialmauser) ab Ende Mai, in nrdlichen Brutgebieten teilweise erst ab August, Weibchen beginnen einige Wochen später. Die synchrone Schwingenmauser setzt bei Männchen Mitte Juli ein, bei den Weibchen etwa einen Monat später (Abb. 6-6). Während der Erneuerung der Schwingen sind Mittelsäger etwa einen Monat flugunfähig und daher besonders anfällig gegenber Strungen. In Dänemark befinden sich in den Fjord-Gebieten bedeutende Mauserplätze, an denen sich bis zu 12.000 Mittelsäger (hauptsächlich Männchen) einfinden. Weibchen mausern nicht in diesen Fjord-Gebieten, sondern entlang der gesamten Kste. Insgesamt mausern ca. 20.000 Mittelsäger in dänischen Gewässern, darunter mgli- cherweise auch die Brutvgel Schleswig-Holsteins (BERNDT & BUSCHE 1993).

116 1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 6-6: Mauserzyklus der Mittelsäger. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

6.5.4 Wanderungen Mittelsäger sind sowohl Zugvgel und Teilzieher als auch Standvgel. Einige Brutvgel aus Island, Grnland, Großbritannien und Irland vollziehen nach der Brut im Binnenland keine Zugbewegungen, sondern nur kleinräumige Streuungswanderun- gen. Generell verlassen Männchen und nichtbrtende immature Vgel ab Anfang Juni die Brutgebiete und sammeln sich in Mausergebieten, z.B. in den dänischen Kstengewäs- sern (s. Kapitel 6.5.3). Der Wegzug in die Winterquartiere beginnt schon ab Septem- ber, in der Ostsee erfolgt der Hauptdurchzug im Oktober und November. Wie auch bei einigen Tauchenten scheinen Weibchen und Jungvgel weiter im Sden zu berwin- tern als Männchen. Daher ist im Binnenland Mitteleuropas ein grßerer Anteil an Weibchen und immaturen Vgeln zu beobachten. Der Heimzug in die Brutgebiete beginnt im Februar. Die Brutgebiete im baltischen Raum werden im April erreicht. Je weiter nrdlich sie liegen, desto später werden sie besetzt.

6.5.5 Habitat Mittelsäger nutzen viele verschiedene Brutbiotope (zur Verbreitung s. Kapitel 6.4.1). Sie brten an Ksten und auf vorgelagerten Inseln sowie in Flachwasserzonen. Außerdem knnen sie an Flussmndungen, Fließgewässern und Binnengewässern brten. Außerhalb der Brutzeit bevorzugen Mittelsäger marine Flachwasserzonen, auf der Ostsee z.B. in großen, mglichst brandungs- und windgeschtzten Frden oder Bodden. An Kstenabschnitten, die nicht so windgeschtzt liegen, dominieren adulte Männchen, während sich Weibchen und Jungvgel eher in den geschtzten Frden aufhalten. Über den tieferen Bereichen der Ostsee oder auch auf den kstenfernen Flachgrnden gibt es keine nennenswerten Bestände (BERNDT & BUSCHE 1993). Auf der Nordsee meiden die (wenigen) Mittelsäger hingegen die sehr flachen Bereiche des Wattenmeeres und halten sich bevorzugt auf den Seeseiten der äußeren Inseln sowie in großen Wattstrmen bis zu einer Tiefe von 5 m auf (BERNDT & BUSCHE 1993). Daneben kann man Mittelsäger auch zahlreich an Flussmndungen und in

117 Brackwasserlagunen beobachten, stark ausgesßte Brackwasserbereiche werden allerdings gemieden.

6.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Mittelsäger sind hauptsächlich tagaktiv, knnen aber ihre Aktivitätsphasen auch an die Verfgbarkeit ihrer Beuteorganismen anpassen. So stellte SJÖBERG (1985) eine gesteigerte Jagdaktivität der Mittelsäger in Schweden während der Nachtstunden fest, als ihre Hauptbeute, Flussneunaugen (Lampetra fluviatilis), am besten erreichbar waren. Mittelsäger jagen oft auch in Gruppen. Generell besteht die Nahrung der Mittelsäger berwiegend aus verschiedenen kleinen Fischarten. Polychaeten und Crustaceen werden in kleineren Anteilen gefressen. Über die Ernährungskologie der Mittelsäger auf See existiert lediglich eine ältere Studie. Nordsee / Ostsee MADSEN (1957) untersuchte die Mageninhalte von 158 Mittelsägern aus Dänemark (davon acht aus der Nordsee, die brigen aus der dänischen Ostsee). Fische waren die häufigste Beute, sie wurden in 92 % aller Mägen gefunden. Unter den Fischen kommt Stichlingen (Gasterosteus spec.) die hchste Bedeutung zu. Sie wurden in 61 % der Mägen gefunden. Als zweithäufigste Fischart wurden Grundeln (Gobius spec.) gefressen (43 %). In einem Magen konnten 210 Grundelotolithen nachgewiesen werden. Als Fische mit geringerer Bedeutung konnten Aalmuttern (Zoarces viviparus; 13 %) und Butterfische (Pholis gunellus; 10 %) nachgewiesen werden. In weniger als 10 % der Proben waren Klippenbarsche (Ctenolabrus rupestris), Plattfische (Pleuro- nectidae), Groppen (Cottidae), Sandaale (Ammodytidae), Aale (Anguilla vulgaris), Seestichlinge (Spinachia spinachia) und Heringe (Clupea harengus) enthalten. Neben Fischen kamen in 20 % der Proben Polychaeten der Gattung Nereis vor, Crustaceen traten in 37 % der Proben auf. Hier spielten Garnelen (Crangonidae) die wichtigste Rolle (23 %). Kleinere Crustaceen, wie Amphipoden oder Isopoden, sowie Mollusken wurden nur selten gefunden. Binnenland Mittelsäger kommen häufig auch auf stehenden oder fließenden Gewässern im Binnenland vor. Fr ein Gebiet im Harzvorland wurden in den Jahren 1978-1983 bei Elektrobefischungen als potentielle Beute hauptsächlich Elritzen (Phoxinus phoxinus) sowie Bachforellen (Salmo trutta) festgestellt (REHFELDT 1986).

118 6.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Mittelsäger sind hauptsächlich tagaktiv. Sie sind sehr gute Schwimmer und Taucher. Flugbewegungen finden meist in geringer Hhe ber dem Meeresspiegel statt. DIERSCHKE & DANIELS (2003) beobachteten, dass fast 95 % der bei Helgoland beobachteten ziehenden Mittelsäger in einer Hhe < 50 m flogen. Mittelsäger sind gesellige Vgel und jagen deshalb auch häufiger in Gruppen.

6.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 6.6.1 Gefährdungsursachen Mittelsäger sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung) - Reduktion des Nahrungsangebotes (u.a. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden) - Schadstoff-Akkumulation im Krper (Sterblichkeit; Konditionsminderung) - Verfangen in Mllteilen, z.B. Resten von Fischereinetzen Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Strungen durch Tourismus, Freizeitaktivitäten (Sportbootverkehr, Spazier- gänger) - Gewässerverschmutzung; Kontamination mit Bioziden

6.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Mittelsäger gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Mittelsäger weisen eine mäßig hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen fast immer auf (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsver- kehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes der Mittelsäger fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren.

119 Mittelsäger fhren vermutlich Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rastplätzen durch und sind dann empfindlich gegenber einer Kollision mit Hinder- nissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Ein Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) wurde nicht berechnet. Offshore-Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatver- lust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Da die Nahrung ausschließlich tauchend erbeutet wird, sind Mittelsäger besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung des Vogelvorkommens mit Stellnetzfischerei kann es zu hoher Mortalität kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Fr das IJsselmeer (Niederlande) schätzten VAN EERDEN et al. (1999) einen jährlichen Verlust von 8.500 Mittelsägern durch Stellnetzfischerei. Die Netze sind fr Seevgel umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfischerei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. Da in diesen Gebieten im Winterhalbjahr, insbesondere bei Eisbedeckung der inneren Kstengewässer, Mittelsäger in z.T. großer Anzahl vorkommen, knnte es zu hohen Verlusten durch Verfangen und Ertrinken kommen. SCHIRMEISTER (2003) zählte bei einem nur kleinen Teil der vor der Kste Usedoms tätigen Stellnetzfischer bis zu 38 ertrunkene Mittelsäger pro Jahr, obwohl dieser Kstenbereich nicht zum Hauptvorkommensgebiet des Mittelsägers in der Pommer- schen Bucht gehrt. Nach derzeitigem Kenntnisstand ernähren sich Mittelsäger auf der Ostsee berwiegend von kommerziell ungenutzten Fischarten und Invertebraten (s. Kapitel 6.5.6). Sie konkurrieren daher nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Mittelsäger allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Da Mittelsäger einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen und z.T. auch in grßeren Gruppen vorkommen, sind sie sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen

120 Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Mittelsäger knnen ab dem zweiten Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen und besitzen meist eine hohe Anzahl von Jungvgeln. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher vermutlich bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Während der Brutzeit sind Mittelsäger sehr strungsempfindlich, daher kann es durch Tourismus und Freizeitaktivitäten fr die in Kstennähe unter Gebsch brtende Art schnell zu Beeinträchtigungen am Brutplatz und dadurch verringertem Bruterfolg kommen. Zudem kann es durch den vor allem in Kstennähe intensiven Sportbootverkehr zu Strungen und negativen Effekten fr Mittelsäger kommen, insbesondere wenn die Altvgel nach dem Schlpfen der Jungen diese in die Ksten- gewässer fhren. Strungen am Brutplatz knnen dazu fhren, dass die Brutgebiete in suboptimale Bereiche mit mglicherweise schlechterer Nahrungssituation verlagert werden.

Der Status der Mittelsäger in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft. Das Brutvorkommen in Deutschland wird in der Roten Liste als „stark gefährdet“ eingestuft (Tab. 6-3). Gemäß dem Anhang II der EU- Vogelschutzrichtlinie gehren Mittelsäger in einigen EU-Staaten, allerdings nicht in Deutschland, zu den jagdbaren Arten. In Dänemark wurden zwischen 1999 und 2004 – grob geschätzt – jährlich ca. 2.000-3.700 Mittelsäger erlegt (BREGNBALLE et al. 2006).

Tab. 6-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Mittelsäger in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + 2 2 3 1 entfällt 3 Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II Non-SPEC II III +

121 6.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Vom Flugzeug aus nicht immer gut bestimmbar Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

6.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in der Ostsee - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Nord- und Ostsee berwinternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

122 7 Haubentaucher

Podiceps cristatus (Linnaeus 1758)

GB: Great Crested Grebe NL: Fuut

DK: Toppet Lappedykker Foto: J. O. Kriegs S: Skäggdopping Abb. 7-1: Adulter Haubentaucher PL: Perkoz dwuczuby

7.1 EU-Code A005

7.2 Systematik Ordnung: Podicipediformes - Lappentaucher Familie: Podicipedidae - Lappentaucher

7.3 Kennzeichen Grßter Lappentaucher Europas mit schlankem, dnnem Hals und langem, geradem und schlankem Schnabel. Im Flug langgestreckt und sehr schlank, mit großem weißem Schulterfeld, weißen Armschwingen und weißem Flgelansatz; Fße berstehend. Im PK mit braunroter und schwarzer Haube. Im SK Kopf, Vorderhals und Halsseiten ausgedehnt weiß, relativ deutlich von schwarzer Färbung des Scheitels und des hinteren Halsbereiches abgesetzt. Schwarzer Zgelstreif. JK ähnlich SK, Wangen schwarz gestreift. Verwechslungsmglichkeiten: mit Rothalstaucher im SK; Haubentaucher mit längerem Hals, wirkt mit mehr Weiß an Kopf und Halsseiten deutlich heller. Im Flug mit ausgedehnterer Weißzeichnung auf Flgeln (weiße Schulter- und Armschwingen- felder wirken durch weiße Flgelbasis verbunden).

123 7.4 Verbreitung / Bestand 7.4.1 Welt / Europa Haubentaucher sind mit drei verschiedenen Unterarten nahezu weltweit verbreitet. Die Nominatform P. c. cristatus brtet sowohl in den mittleren Breiten von SW-Europa als auch in den Subtropen von Nordafrika bis nach China. P. c. infuscatus kommt in Ost- und Sdafrika vor, P. c. australis ist in S- und O-Australien sowie in Neuseeland beheimatet. Nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) wird der Weltbestand der Haubentaucher auf 900.000-1,4 Mio. Individuen geschätzt. Haubentaucher sind in Mitteleuropa weit verbreitete Brut- und Jahresvgel. Zusätzlich kommen Vgel aus N- und NO-Europa als Durchzgler und Wintergäste hinzu. Haubentaucher verbringen den Winter in Mitteleuropa berwiegend auf großen Binnenseen sowie in den kstennahen Bereichen von Nord- und Ostsee. In der sdlichen Nordsee befindet sich von Nieuwpoort in Belgien bis Terschelling in den Niederlanden ein Rastgebiet internationaler Bedeutung (SKOV et al. 1995). In der Ostsee berwintern Haubentaucher in großer Anzahl insbesondere im deutschen Kstenbereich (Verbreitungsschwerpunkte in der Mecklenburger Bucht und im Greifswalder Bodden) sowie im Golf von Danzig (DURINCK et al. 1994b, GARTHE et al. 2003a). Der europäische Brutbestand wird auf 300.000-450.000 Brutpaare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Europa werden drei biogeografische Populatio- nen unterschieden (Tab. 7-1).

Tab. 7-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Haubentaucher (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium N & W-Europa N- & W- (einschl. P. c. Europa Skandinavien, 290.000 - abneh- k.A. 3.600 cristatus (außerhalb Deutschland, 420.000 mend Brutzeit) Schweiz, Italien) Schwarzes Meer, Schwarzes P .c. Mittel- & 580.000 - abneh- Mittelmeer Meer, 7.250 cristatus O-Europa 870.000 mend (außerhalb Mittelmeer Brutzeit) Kasp. Meer P. c. (außerhalb W-Asien Kasp. Meer 10.000 k.A. 100 cristatus Brutzeit)

124 7.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Jahresvogel, Durchzgler, Wintergast. Die in Deutschland vorkommenden Haubentaucher gehren zur biogeografischen Population "N- & W- Europa (außerhalb Brutzeit)". Der Brutbestand der Haubentaucher in Deutschland beträgt nach den Ergebnissen einer bundesweiten Zählung im Jahr 2001 zwischen 19.500 und 21.000 Paare (WAHL et al. 2003b). Nach der Brutzeit kommt es zu einem teilweisen Abzug der heimischen Brutvgel, gleichzeitig findet eine Verlagerung auf die großen Binnengewässer zur Mauser sowie an die Ostseekste statt. Daneben ziehen Haubentaucher aus den skandinavischen und finnischen Brutgebieten zum Überwintern nach Deutschland (BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Der Mittwinterbestand lag im Zeitraum 2000-2005 bei durchschnittlich 35.000 Individuen (DDA unverffentl., Tab. 7-2 und 7-3). Das sind etwa 10 % der nord- und westeuropäischen biogeografischen Population. Rund 60 % der deutschen Winterrast- bestände halten sich auf der Ostsee, den Boddengewässern und den angrenzenden großen Binnenseen (schleswig-holsteinische Seenplatte) auf, die brigen berwintern auf Stillgewässern vor allem im Sden und Westen Deutschlands (Abb. 7-2 und 7-3). Die Nordsee, das Wattenmeer und Fließgewässer haben im gesamten Jahresverlauf nur eine geringe Bedeutung (Abb. 7-2). Nordsee Haubentaucher kommen auf der deutschen Nordsee in geringen Anzahlen vor, und wenn, dann berwiegend entlang der Kste. Im Offshore-Bereich halten sie sich nur sehr selten auf (Tab. 7-2). Die Mehrzahl der Nachweise konzentriert sich auf die Monate Oktober bis März. Der grßte Anteil der Beobachtungen stammt aus dem Bereich des Elbe-Ausflusses in die Nordsee. In Kältewintern knnen sich zeitweise auch hhere Anzahlen von Haubentauchern in der sdstlichen Nordsee versammeln (z.B. CAMPHUYSEN & VAN DIJK 1983, CAMPHUYSEN & DERKS 1989). Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Haubentaucher nur sehr vereinzelt vor. Bisher gab es lediglich im Monat Januar vier Nachweise.

125

Abb. 7-2: Verbreitung der Haubentaucher auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 7-3: Verbreitung der Haubentaucher in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

126 Tab. 7-2: Rastbestandszahlen der Haubentaucher fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“ basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 1996-2005). Grßen- klassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): II: 6-10, III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 50 <0,1 0 0,0 0 0 Sommer III <0,1 0 0,0 0 0 Herbst 130 <0,1 II <0,1 0 0 Winter III <0,1 0 0,0 0 0

Ostsee Haubentaucher kommen in den deutschen Ostseegebieten berwiegend in den kstennahen Flachwasserbereichen vor. Im Offshore-Bereich treten sie nur selten und in geringen Dichten auf. Im Winter halten sich in der deutschen Ostsee die meisten Haubentaucher auf. Hervorzuheben sind die sehr hohen Dichten im Greifswalder Bodden und dem sich anschließenden Strelasund sowie in der Mecklenburger Bucht. Grßere Ansammlungen wurden auch in der Kieler Bucht, westlich von Warnemnde, im Bereich von Darß und Zingst sowie entlang der Kste von Rgen und Usedom beobachtet. Im Frhjahr werden Haubentaucher in deutlich geringerer Anzahl berwiegend in den westlichen Ostseebereichen angetroffen, mit Schwerpunkten in der Kieler Bucht, stlich von Fehmarn und in der Mecklenburger Bucht bis Warne- mnde. Weiter stlich tritt die Art im Frhjahr offenbar nur vereinzelt auf. Im Sommer konnten bei den Schiffszählungen bisher nur kleine Vorkommen in der Kieler, Hohwachter und Mecklenburger Bucht nachgewiesen werden. Im Herbst gibt es Konzentrationen in der Hohwachter Bucht und im Greifswalder Bodden. In kalten Wintern, wenn Seen und Lagunen in der Ostsee-Region zufrieren, weichen die dort berwinternden Haubentaucher auf die meist länger eisfreien kstennahen Bereiche der Ostsee aus, so dass dort – verglichen mit milden Wintern – die Anzahl beobachteter Tiere hher ist. Zudem gibt es Ausweichbewegungen nach Westen wenn die Kstengewässer der zentralen und stlichen Ostseegebiete von Eis bedeckt sind (DURINCK et al. 1994). Im SPA „Pommersche Bucht“ sind Haubentaucher mit Ausnahme der Sommermona- te ganzjährig zu beobachten. Jedoch kommt diese kstennah verbreitete Art in dem im Offshore-Bereich liegenden Gebiet durchgängig nur in sehr geringer Anzahl vor (Tab. 7-3).

127 Tab. 7-3: Rastbestandszahlen der Haubentaucher fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“ basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): II: 6-10 Ind. III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 80 <0,1 III <0,1 Sommer k.A. k.A. 0 <0,1 0 0,0 Herbst k.A. k.A. II <0,1 II <0,1 Winter 8.500 2,4 III <0,1 III <0,1

7.4.3 Bestandsentwicklung Nach einem Einbruch der Mittwinterbestände zwischen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre (vor allem im Sden Deutschlands, vgl. HEINE et al. 1999) ist die langfristige Bestandsentwicklung positiv (Abb. 7-4). Über den Gesamtzeitraum 1968-2005 beträgt die mittlere jährliche Zunahme 2,5 % (± 0,18 %). Die seit Ende der 1980er Jahre berwiegend milden Winter drften wesentlich zu einem tatsächlichen Bestandsanstieg beigetragen haben (sehr deutliche Zunahme an der Ostseekste und den angrenzenden Binnenseen) und auch dazu fhren, dass Haubentaucher zunehmend näher am Brutgebiet berwintern (vgl. ADRIAENSEN et al. 1993). In der Indexkurve (Abb. 7-4) deutlich zu erkennen sind die wenigen Kältewinter, in denen die Haubentaucher zur Abwanderung gezwungen wurden: 1985-1987, 1995 / 96 und 2003.

128

Abb. 7-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Haubentaucher in Deutschland im Januar 1968-2005 nach den Daten der Wasservogelzählungen relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II).

7.5 Biologie / Ökologie 7.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: frhestens Ende 1. KJ, aber im 2. Jahr meist noch nicht erfolgreich brtend Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn hängt vom Vereisungsgrad ab, frhestens März, in Mitteleuropa meist April bis Juni, bis Oktober; Brutdauer 27-29 Tage Gelege: 2-6 Eier; 1 Jahresbrut, zuweilen Zweit-, Drittbruten nachgewiesen, Mehrfachbruten mitunter verschachtelt Kken: knnen ab erstem Tag schwimmen und tauchen, werden bis 20 Tage in Flgeltaschen oder auf Rcken von Ad. gefhrt, 10-11 Wochen von Eltern abhängig, beide Partner sind an Aufzucht beteiligt

7.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 5 Jahre Ältester Ringvogel: mind. 14 Jahre 6 Monate

129 Sterblichkeit: Berechnungen auf Basis von europäischen Ringfunden ergaben: 35,8 % Verluste im 1. Jahr, 28,5 % im 2. Jahr. Das 5. Lebensjahr erreichten 10,3 % und das 10. Lebensjahr er- reichten 2 % der Vgel 7.5.3 Mauser Ab Juni / Juli beginnt die postjuvenile Mauser der Haubentaucher, doch ist die Länge nicht genau bekannt. Während der Vollmauser, die bei adulten Vgeln zwischen Juli und Dezember stattfindet, sind Haubentaucher 2-3 Wochen flugunfähig und zu dieser Zeit besonders anfällig gegenber Strungen (meist zwischen Mitte bis Ende August; PIERSMA 1987, PIERSMA 1988; Abb. 7-5). Durch späte Bruten kann sich die Schwin- genmauser bis weit in den September erstrecken (KOOP & KÖHLER 2007). Einzelne Individuen erneuern ihre Schwingen noch im Oktober (BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Während der Mauser halten sich Haubentaucher oft auf Seen mit einer Fläche von ber 100 ha auf. Die grßten Mauservorkommen Europas mit mindestens 40.000 Ind. sind aus dem IJsselmeer in den Niederlanden bekannt (PIERSMA 1987).

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 7-5: Mauserzyklus der Haubentaucher. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

7.5.4 Wanderungen Haubentaucher sind Teil- und Kurzstreckenzieher, wobei es wahrscheinlich keine reinen Nichtzieherpopulationen, sondern nur nichtziehende Individuen gibt. Hauben- taucher fhren außerdem Streuungswanderungen durch. Brutvgel der stlichen Populationen (z.B. Polen, Finnland, Baltikum) ziehen nach SO-O ins Winterquartier. Der Anteil der Richtung Schwarzes Meer ziehenden Vgel nimmt nach Westen hin ab. Nordwesteuropäische Brutpopulationen ziehen in sdliche bis westliche Richtungen und berwintern in großer Zahl in den Niederlanden sowie auf den großen Voralpen- seen in Deutschland und der Schweiz. Brutvgel aus Fennoskanndien berwintern hauptsächlich in SO-Europa (ADRIAENSEN et al. 1993). In Kältewintern kommt es zu großräumigen Verlagerungen in sdliche und westliche Richtungen (CAMPHUYSEN & VAN DYCK 1983; vgl. Abb. 7-4). ADRIAENSEN et al. (1993) stellten eine zunehmende Überwinterungstendenz bei niederländischen Brutvgeln fest. Die steigenden Winter- rastbestände in Deutschland legen das auch fr die hiesigen Brutpopulationen nahe.

130 Ab Juli sammeln sich vor allem Nichtbrter oder erfolglose Brutvgel auf grßeren Gewässern. Ein Teil dieser Tiere mausert wahrscheinlich dort, während sich die anderen dort zum Zug in die Mausergewässer sammeln (BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Es ist wenig darber bekannt, ob Haubentaucher in ihren späteren Winterquar- tieren mausern oder ob sie zuvor zur Mauser andere Gebiete aufsuchen. ADRIAENSEN et al. (1993) deuten an, dass die Vgel, die zum Mausern ins IJsselmeer kommen auch in den Niederlanden, z.B. an Seen entlang der Nordseekste, berwintern. Der Heimzug in die Brutgebiete kann je nach geografischer Lage und Witterung schon im Januar beginnen. Meist erreichen Haubentaucher jedoch ihre Brutgewässer ab März.

7.5.5 Habitat Generell brten Haubentaucher bevorzugt an grßeren stehenden Gewässern mit Uferbewuchs, jedoch konnten in letzter Zeit häufig Bruten an kleineren Gewässern ohne Ufervegetation beobachtet werden (zur Verbreitung s. Kapitel 7.4.1). In diesen Fällen brten Haubentaucher dann meist frei inmitten der Gewässer auf Schwimm- nestern. Während sie in Mitteleuropa vorwiegend Sßwasserbereiche bevorzugen, nutzen Haubentaucher in Ost- und Sdeuropa auch Brackwasserbereiche und Kstenlagunen. Ihre Nester bauen sie bevorzugt versteckt in der Schilfvegetation, häufig auch mitten in kleinen Gewässern auf festem Grund oder verankert an Schwimmpflanzen. Nichtbrtende Vgel sowie Brutvgel außerhalb der Brutzeit halten sich berwiegend an Meeresksten oder binnenländischen Stillgewässern auf, Fließgewässer spielen kaum eine Rolle (mit Ausnahme von Staustufen, die eher den Charakter eines Stillgewässers haben).

7.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Haubentaucher ernähren sich von Fischen und zum Teil von aquatischen Wirbellosen. Die Fische werden hauptsächlich tauchend erbeutet, wobei der Vortrieb unter Wasser durch die Fße geleistet wird. Meist reichen die Tauchgänge in 2-3 m Tiefe, es knnen aber auch ber 5 m erreicht werden. Die Tauchzeiten schwanken zwischen 20 Sekunden und einer Minute (MADSEN 1957). Kleinere Fische und Wirbellose knnen ber dichter Unterwasservegetation und nahe der Wasseroberfläche gejagt werden, wobei Haubentaucher dann oftmals nur mit Kopf und Hals unter Wasser tauchen. Außerdem sammeln Haubentaucher Insekten von der Wasseroberfläche oder von Wasserpflanzen ab bzw. schnappen diese direkt aus der Luft. In hypertrophen, trben Gewässern werden Fische von unten gegen die hellere Wasseroberfläche erbeutet. Daher ist in solchen Gebieten die Nahrungssuche während der Morgen- und Abend-

131 dämmerung am intensivsten, wenn sich die Fische in der Nähe der Wasseroberfläche aufhalten (PIERSMA et al. 1988). Insgesamt fressen Haubentaucher berwiegend Fische wie z.B. Rotaugen (Rutilus rutilus) und Flussbarsche (Perca fluviatilis) sowie Fischlaich. Daneben kommen Insekten und deren Larven sowie verschiedene Crustaceen (Gammarus und Pandalus) und Amphibien (Frsche, Kaulquappen) vor. Die Grße der erbeuteten Fische beträgt 3-21 cm (im Mittel 13 cm). Fischlarven und Wirbellose werden ab einer Grße von 5 mm gefressen. Während Fische das ganze Jahr ber erbeutet werden, zählen Insekten und deren Larven vor allem von Frhjahr bis Herbst zum Beutespektrum. Ostsee MADSEN (1957) untersuchte die Mageninhalte von 29 Haubentauchern aus brackigen und marinen Habitaten (v.a. Limfjord, Beltsee und Kattegatbereich). Fische stellten dabei etwa 75 % der Nahrung, wobei insbesondere Grundeln (Gobiidae) von großer Bedeutung waren, daneben wurden Heringe (Clupea harengus) bis 10 cm Länge gefunden. Die brigen 25 % waren v.a. Crustaceen (Crangonidae und Palaemonidae). In mehr als einem Drittel der Tiere konnten auch Polychaeten als Nahrung festgestellt werden, ohne dass der Anteil zu quantifizieren war. Binnenland Die Nahrung der Haubentaucher auf dem IJsselmeer in den Niederlanden bestand fast ausschließlich aus Stint (Osmerus eperlanus) (PIERSMA et al. 1988).

7.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Haubentaucher suchen berwiegend tagsber nach Nahrung. Sie sind ausgeprägte Nachtzieher, zudem knnen bis weit in die Nacht Balzaktivitäten beobachtet werden. Zugbeobachtungen am Feuerschiff „Fehmarnbelt“ ergaben Flughhen zwischen 2 und 55 m, im Mittel 15 m (BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Außerhalb der Brutzeit kommen Haubentaucher meist einzeln vor, jedoch finden sich gelegentlich auch lockere Gruppen zusammen.

132 7.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 7.6.1 Gefährdungsursachen Haubentaucher sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Strungen durch anthropogene Aktivitäten wie Tourismus und Angelsport - Verlust der Ufervegetation (Schilfbestände etc.) durch Beseitigung, Wellen- schlag, Hypertrophierung - Anreicherung von Pestiziden und anderen Umweltchemikalien

7.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Haubentaucher gegenber ausgewähl- ten anthropogenen Faktoren Haubentaucher weisen gegenber Schiffsverkehr ein mäßig starkes Fluchtverhalten auf. Zum Teil zeigen sie Fluchtreaktionen durch Auffliegen in meist geringer Entfernung, häufig schwimmen sie aber auch nur von sich nähernden Schiffen weg oder tauchen ab (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). In häufig befahrenen Gebieten kann dies zu einer Einschränkung natrlicher Verhaltensweisen fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Innerhalb der Rastgebiete auf dem Meer bewegen sich Haubentaucher meist schwim- mend fort, Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rastgebieten finden jedoch meist fliegend statt. Haubentaucher sind ausgeprägte Nachtzieher mit geringer Manvrierfähigkeit. Die Art ist daher sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im oberen Bereich aller untersuchten Arten. Offshore-Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzer- schneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität

133 durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortali- tät fhren. Da Haubentaucher ihre Nahrung im Winter ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie sehr anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. Auf der deutschen Ostsee kommt die Art ausschließlich in kstennahen Flachwasserbereichen oder Boddengewässern vor. Dies sind gleichzeitig auch die von der Stellnetzfischerei bevorzugten Bereiche. In solchen Gebieten mit einer starken Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetz- fischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen (z.B. SCHIRMEISTER 2003), da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Sie sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfi- scherei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt. Nahrungsuntersu- chungen an Beifangopfern aus solchen Netzen vor der Insel Usedom zeigten, dass ein hoher Anteil des Beutespektrums aus kommerziell ungenutzten Fischarten besteht (FTZ unverffentl.), so dass Haubentaucher und Stellnetzfischerei nicht um die gleiche Ressource konkurrieren oder gar eine Attraktionswirkung der in den Netzen gefange- nen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben ist. Vielmehr verfangen sich Haubentaucher allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Aufgrund der konzentrierten Vorkommen in den flachen Meeresgebieten sowie des hohe Zeitanteils, den die Tiere rastend auf dem Wasser verbringen, sind Haubentau- cher sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzungen, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitrei- chenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Haubentaucher ernähren sich in der deutschen Ostsee nach derzeitigem Kenntnisstand berwiegend von kommerziell unbedeutenden Fischarten (vgl. Kapitel 7.5.6), so dass kaum ein Konflikt mit der Fischerei hinsichtlich der Konkurrenz um gleiche Ressour- cen besteht. Eine Verkleinerung oder Zerstrung des Habitats von bodenbezogenen

134 Beutearten wie Grundeln oder Polychaeten durch Eingriffe in den Meeresboden, wie z.B. Sedimentabbau oder Materialverklappung, kann jedoch zu einer Verschlechterung der Nahrungssituation fr Haubentaucher fhren. Haubentaucher knnen eine relativ große Zahl an Jungvgeln haben und mehrere Bruten pro Jahr durchfhren. Zudem knnen sie ab dem zweiten Lebensjahr mit der Brut beginnen. Durch dieses große Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher vermutlich bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, vor allem wenn ein umfassender Schutz an den Brutgewässern gewährleistet ist. Durch z.T. starke Nutzung von Gewässern fr Erholung und Wassersport sowie durch Verlust der Ufervegetation herrscht häufig ein Mangel an geeigneten ungestrten Brutplätzen, der auch als Grund fr das Vorkommen zahlreicher Nichtbrter in Mitteleuropa ange- nommen wird (BAUER et al. 2005). Bisher besteht jedoch keine Gefährdung der Brutbestände in Deutschland sowie in den Teilgebieten Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Allerdings werden die Brutvorkommen in Mecklenburg-Vorpommern als „gefährdet eingestuft“ (Tab. 7-4). Der Status der Haubentaucher in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft.

Tab. 7-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Haubentaucher in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt.Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + + + + 3 + IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - - - III -

7.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Flugzeug aus meist schwer zu entdecken, insbesondere in Gebieten mit hohen Vogeldichten Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen) Zu beachten: Beste Erfassungszeit: Wenn mglich sollten zwei Zählungen erfolgen (idealerweise um die Mittagszeit): eine um Mitte August und eine in der ersten Septemberhälfte

135 7.8 Forschungsbedarf - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Ostsee berwin- ternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Zusammenhang zwischen Bestandszunahmen an der Ostseekste im Winter und kosystemaren Veränderungen - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

136 8 Rothalstaucher

Podiceps grisegena (Boddaert 1783)

GB: Red-necked Grebe NL: Roodhalsfuut

DK: Gråstrubet Lappedykker Foto: F. Jachmann S: Gråhakedopping Abb. 8-1: Rothalstaucher im SK PL: Perkoz rdzawoszyi

8.1 EU-Code A006

8.2 Systematik Ordnung: Podicipediformes - Lappentaucher Familie: Podicipedidae - Lappentaucher

8.3 Kennzeichen Etwas kleiner als Haubentaucher, mit krzerem, dickerem Hals und keilfrmigerem Schnabel mit gelber Schnabelbasis. Wirkt im Flug kompakt und dunkel, mit weißem Schulterfeld und weißen Armschwingen. Fße berstehend. Im PK Hals und Brust braunrot, Scheitel schwarz, scharf von weißen Wangen abgesetzt. Im SK Kopf ohne scharfen Schwarzweiß-Kontrast, Wangen und Kopfseiten verwaschen schwarz-grau-weiß, schmutzig weiße Kehle; Hals dunkel, unscharf von weißer Brust abgesetzt. JK ähnlich SK, aber Kopfseiten dunkel gestreift und Vorder- hals rtlich-braun. Verwechslungsmglichkeiten: im SK mit Haubentaucher; Rothalstaucher kompakter und dunkler. Im Flug mit weniger ausgedehnter Weißzeichnung auf Flgeln (keine weiße Flgelbasis; das kleinere, weiße Schulterfeld daher deutlicher von weißen Armschwingen getrennt).

137 8.4 Verbreitung / Bestand 8.4.1 Welt / Europa Rothalstaucher sind mit zwei disjunkten Unterarten in der Holarktis verbreitet: P. g. grisegena (W-Paläarktis) und P. g. holboellii (O-Paläarktis, N-Amerika). Die Brutareale erstrecken sich vom stlichen Mitteleuropa bis W-Sibirien (sdliche Grenze: Kleinasien, Kaspigebiet, Aralsee). Außerdem brten sie in O-Sibirien, N-Japan und in N-Amerika von Alaska bis Labrador. Der Weltbestand wird auf > 193.000-278.000 Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). In Mitteleuropa sind Rothalstaucher lckenhaft verbreitete, nicht sehr häufige Brut- und Jahresvgel sowie häufige Durchzgler und Wintergäste in Ksten- und Meeres- gebieten. Der berwiegende Teil berwintert auf See, im Binnenland rasten sie nur in geringen Anzahlen. Wichtige Überwinterungsgebiete in Mitteleuropa liegen in der westlichen und sdlichen Ostsee (DURINCK et al. 1994b), im nordwestlichen Kattegat und in der Pommerschen Bucht, aber auch in der Nordsee (v.a. vor SW-Dänemark; SKOV et al. 1995), an der Westkste von Schweden sowie an der Atlantikkste von Mittelnorwegen (SVORKMO-LUNDBERG et al. 2006).

Der Brutbestand in Europa beträgt 32.000-56.000 Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Europa werden drei biogeografische Populationen unterschieden (Tab. 8-1).

Tab. 8-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Rothalstaucher (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Art / Unterart Trend Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium NW-Europa P. g. Ksten NW- 42.000- (außerhalb O-Europa abnehmend 510 grisegena Europas 60.000 Brutzeit) Schwarzes Meer, Schwarzes P. g. O-Europa, 41.000- Mittelmeer Meer, abnehmend 740 grisegena W-Asien 107.000 (außerhalb Mittelmeer Brutzeit) P. g. Kasp. Meer grisegena (außerhalb W-Asien Kasp. Meer 15.000 k.A. 150 Brutzeit)

138 8.4.2 Deutschland Status: Wintergast und Durchzgler auf Nord- und Ostsee, außerhalb der Brutzeit in geringer Zahl auch im Binnenland, vor allem auf großen Binnenseen; Brutvogel in N- und NO-Deutschland. Die in Deutschland vorkommenden Rothalstaucher gehren zur biogeografischen Population „NW-Europa“. Der Brutbestand der Rothalstaucher in Deutschland betrug Ende der 1990er Jahre 1.500-2.600 Brutpaare (BAUER et al. 2002). Die wichtigsten Brutgebiete liegen in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Brutbestand von 600-1.500 Paaren (EICHSTÄDT et al. 2006; Bezugszeitraum: 1994-1998) und in Schleswig-Holstein mit einem Bestand von zuletzt 640 Paaren (BERNDT et al. 2002; Bezugszeitraum: 1997). Nach der Brutzeit verlassen Rothalstaucher das deutsche Binnenland und suchen ihre Mausergebiete auf (s. Kapitel 8.5.3). Zur Mauser und vor allem während der Zugzeiten sowie im Winter halten sie sich u.a. in deutschen Kstengewässern auf (Abb. 8-2 und 8-3). Der Rastbestand in Deutschland im Mittwinter beträgt 850 Individuen (DDA unverffentl., Tab. 8-2 und 8-3). Zu dieser Jahreszeit hält sich der Großteil der Vgel auf der Ostsee auf. Im Binnenland berwintern weniger als 100 Individuen, vor allem auf den Tagebaurestgewässern im Sden Sachsen-Anhalts und Sachsens sowie auf den großen Voralpenseen (Abb. 8-3). Unbekannt ist, in welchem Maße Rothalstaucher bei den Zählungen an der Kste bersehen werden. Bereits bei mäßigem Wellengang sind sie aufgrund ihrer geringen Grße und der kleinen Truppgrßen vor allem auf grßere Entfernung nur schwer zu entdecken. Aufgrund der geringen Anzahlen die ber die Wasservogelzählung erfasst werden, lassen sich keine Aussagen ber das jahreszeitliche Auftreten und die langfristige Bestandsentwicklung treffen. Nordsee Auf der deutschen Nordsee kommen Rothalstaucher in geringer Anzahl vor (Tab. 8-2). Im Winterhalbjahr sind einzelne Tiere kstennah vor Schleswig-Holstein und vor den Ost- und Westfriesischen Inseln sowie im Bereich der Elbmndung auf der Nordsee zu beobachten. Abseits der Ksten treten Rothalstaucher alljährlich in geringen Anzahlen im Winterhalbjahr, vereinzelt auch im Sommer, um Helgoland auf (z.B. DIERSCHKE et al. 2002, 2003, 2004a). In Kältewintern kommen zeitweise auch hhere Anzahlen von Rothalstauchern in der sdstlichen Nordsee vor (z.B. CAMPHUYSEN & VAN DIJK 1983, CAMPHUYSEN & DERKS 1989). Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ gab es bisher nur einen Nachweis eines Rothalstauchers.

139

Abb. 8-2: Verbreitung der Rothalstaucher auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 8-3: Verbreitung der Rothalstaucher in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

140 Tab. 8-2: Rastbestandszahlen der Rothalstaucher fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 1996-2005). Grßen- klassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): I: 1-5, II: 6-10, III: 11-50 Ind.

Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr I <0,1 0 0,0 0 0 Sommer I <0,1 0 0,0 0 0 Herbst II <0,1 0 0,0 0 0 Winter III ≤0,1 III ≤0,1 0 0

Ostsee Das Hauptvorkommen der Rothalstaucher in der deutschen Ostsee befindet sich in der Pommerschen Bucht. Dort ist die Art im Winter in weiten Teilen des Offshore- Bereiches bis zur 20 m Tiefenlinie zu beobachten, insbesondere auf der Oderbank und angrenzenden Gebieten. In der sdwestlichen Ostsee tritt die Art vereinzelt in den Flachwasserbereichen entlang der Kste auf. Im Frhjahr und Herbst ist das Vorkom- men deutlich geringer ausgeprägt, Konzentrationen befinden sich aber weiterhin im Bereich der Oderbank. Im Sommer konnten bisher einzelne Rothalstaucher westlich von Fehmarn sowie in der Pommerschen Bucht beobachtet werden. Im SPA „Pommersche Bucht“ halten sich Rothalstaucher im Sommer nur in geringer Anzahl auf. Im Herbst steigt der Bestand an und geht in das Wintervorkommen ber. Zu dieser Jahreszeit werden die hchsten Rastbestände erreicht. Zum Frhjahr hin nimmt der Bestand mit dem Abzug in die Brutgebiete deutlich ab (Tab. 8-3).

Tab. 8-3: Rastbestandszahlen der Rothalstaucher fr die deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzäh- lungen. (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in An- lehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 60 0,1 50 0,1 Sommer k.A. k.A. III ≤0,1 III ≤0,1 Herbst k.A. k.A. 80 0,2 90 0,2 Winter 750 1,5 210 0,4 170 0,3

141 8.4.3 Bestandsentwicklung Seit Mitte der 1960er Jahre ist die berregionale Bestandsentwicklung in Mitteleuropa berwiegend positiv. Im europäischen Kontext zeigte sich fr 1970-1990 ein stabiler Trend und fr 1990-2000 allenfalls eine geringe Bestandsabnahme (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Deutschland gab es in Schleswig-Holstein eine deutliche Zunahme von 270 Paaren im Jahr 1980 auf ber 700 im Jahr 1990, fr 1997 wurden 640 Paare geschätzt (BERNDT et al. 2003). Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es Brutbestandszunahmen von 400 Paaren (1978-1982) auf 600-1.500 Paare (1994-1998; EICHSTÄDT et al. 2006). Informationen ber die Entwicklung der Rastbestände im Offshore-Bereich der deutschen Meeresgebiete liegen bislang nicht vor, da diese erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

8.5 Biologie / Ökologie 8.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: meist im 2. Jahr, zuweilen auch Einjährige brtend Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn ab Mitte April bis Mai / Juni, regional auch später; Brutdauer 20-23 Tage Gelege: 3-5 Eier; 1 Jahresbrut, mitunter 2, häufig Nachgelege Kken: werden etwa 1 Woche auf dem Rcken getragen, Familie lst sich nach 8-10 Wochen auf

8.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 5 Jahre Ältester Ringvogel: unbekannt Sterblichkeit: unbekannt

8.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser vollzieht sich bei Rothalstauchern zwischen September und Januar. Einjährige Vgel vollziehen die Pränuptialmauser (Teilmauser) zwischen Februar und Juni, während Adulte das Kleingefieder zwischen Dezember bis März / Mai mausern. Erfolgreiche Brutvgel beginnen im Juli mit der Postnuptialmauser (Vollmauser), bei nichtbrtenden Vgeln oder erfolglosen Brtern kann sie schon ab April einsetzen (vgl. Abb. 8-4). Die Schwingen werden dabei synchron gemausert, was dazu fhrt, dass Rothalstaucher vermutlich 2-3 Wochen flugunfähig und damit besonders empfindlich gegenber Strungen sind. Da man davon ausgeht, dass es auf den eher kleinen Brutgewässern eher zu Strungen kommen kann, wird vermutet, dass

142 die meisten europäischen Rothalstaucher deswegen zur Mauser in flache Meeresbuch- ten der Ostsee wandern (z.B. dänische Kstengewässer und Kste Mecklenburg- Vorpommerns; VLUG 1996, PIHL 1995). Eine kleine, aber immer weiter wachsende Zahl mausert ihr Gefieder auf Binnengewässern in Norddeutschland und auch in der Schweiz (VLUG 2000).

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 8-4: Mauserzyklus der Rothalstaucher. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit). Da die genauen Zeiten der synchronen Schwingen- mauser der nichtbrtenden Vgel unbekannt sind, wird nur die sensible Phase der Brutvgel im Spätsommer dargestellt.

8.5.4 Wanderungen Rothalstaucher sind Kurzstreckenzieher, die häufig auch Streuungswanderungen vollziehen. Ihre Brutgebiete verlassen die adulten Vgel Ende Juli / Anfang August. Da Jungvgel zu dieser Jahreszeit noch keine synchrone Handschwingenmauser durchfhren, haben sie im Frhherbst noch keine Eile ihre Brutgewässer zu verlassen und verbleiben somit oft bis in den Oktober hinein in den NO-europäischen Brutgebie- ten. So knnen ziehende Individuen bis in den November hinein in S- und W-Mitteleu- ropa beobachtet werden. In Mitteleuropa kehren Rothalstaucher ab März an ihre Brutplätze zurck, weiter nrdlich finden sie sich erst im April ein.

8.5.5 Habitat Rothalstaucher besiedeln zur Brutzeit berwiegend flache Gewässer (in Schleswig- Holstein 0,5-1,8 m Tiefe, BERNDT & DRENCKHAHN 1990), die häufig eine ppige Unterwasser- und Ufervegetation sowie eine reiche Invertebratenfauna aufweisen (zur Verbreitung s. Kapitel 8.4.1). In Mitteleuropa brten Rothalstaucher grßtenteils auf Fischteichen, auf Weihern (manchmal nur 0,1 ha groß) und Strandseen, seltener auf grßeren Seen. Aus dem begrenzten Angebot solcher Brutgewässer ergibt sich eine lckenhafte Verbreitung. Brutvgel in Ostseenähe nutzen das Meer zur Nahrungs- suche. Während des Zuges und im Winter halten sich die Vgel vor allem auf tieferen Seen ohne Vegetation und an Meeresksten auf. Auf See treten Rothalstaucher vorrangig in

143 kstennahen Flachwassergebieten bzw. in kstenfernen Gebieten ber Flachgrnden auf. Im Winter sind Rothalstaucher stärker als Haubentaucher an das Meer gebunden.

8.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Rothalstaucher ernähren sich berwiegend von Fischen, Crustaceen, Wasserinsekten und ihren Larven, Mollusken und Frschen (Kaulquappen). Die Nahrung wird tauchend oder an der Oberfläche schwimmend mit untergetauchtem Kopf verfolgt und erbeutet. Die Dauer der Tauchgänge hängt von der Wassertiefe ab und liegt im Schnitt unter 30 Sekunden. Insbesondere Insekten werden auch von Wasserpflanzen und der Wasseroberfläche abgesammelt. Rothalstaucher suchen typischerweise einzeln, in flachen Gewässerbereichen nach Nahrung. Auf See bevorzugen sie sandige und kiesige Gebiete mit einzelnen grßeren Steinen und Flecken mit Seegras (FJELDSÅ 2004). Die Wassertiefe beträgt meist unter 15 m. In den Überwinterungsgebieten suchen insbesondere junge Rothalstaucher kommensa- listisch mit Meeresenten (Melanitta spec.) nach Nahrung (FJELDSÅ 2004). Ostsee MADSEN (1957) untersuchte die Winternahrung (Mageninhalte) von 25 Rothalstau- chern aus dem Kattegat und der Beltsee. Fisch stellte hier den Hauptanteil der Nahrung dar. Es wurden sowohl sehr kleine Fische als auch solche bis zu 15 cm Länge (25 cm im Fall von Seenadeln) nachgewiesen. Gut die Hälfte der Nahrung machten Grundeln (Gobiidae), kleine Dorsche (Gadidae) und Stichlinge (Gasterosteus und Spinachia) aus, weitere Fischarten machten etwa ein Viertel der Nahrung aus. Der Rest entfiel auf Crustaceen (v.a. Crangonidae und Palaemonidae) sowie Polychaeten, Mollusken und Insekten. Rothalstaucher aus dem Sßwasserbereich fraßen ebenfalls berwiegend Fische, insbesondere Stichlinge, daneben wurden aber auch Insekten in den Mägen nachgewiesen (MADSEN 1957). Brutgebiete In den Brutgebieten stellen vielfach Wasserinsekten (z.B. Libellen, Wasserwanzen) die Hauptbeute der Rothalstaucher dar, wobei der Fischanteil an der Nahrung dann oftmals relativ gering ist. Jedoch gibt es lokale Unterschiede, v.a. wenn die Nahrungs- suche auf grßeren Seen und entlang von Ksten stattfindet.

8.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Während die Nahrungssuche und die Balz sowohl bei Tag als auch bei Nacht stattfinden knnen, vollzieht sich der Zug hauptsächlich in der Dämmerung oder bei Nacht. Rothalstaucher sind zur Brutzeit wenig gesellig und territorial, brten mitunter

144 aber auch in kleinen Kolonien zusammen mit Blässhhnern oder in Lachmwenkolo- nien. Im Winterrastgebiet halten sich Rothalstaucher berwiegend einzeln oder in kleinen Gruppen auf.

8.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 8.6.1 Gefährdungsursachen Rothalstaucher sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen (Ostsee) - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Bruthabitatverlust (Brutvgel an der Ostsee: Bau von Fischzuchtbetrieben, Verlust der Ufer- und Wasservegetation) - Tourismus (Strung durch Freizeitaktivitäten)

8.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Rothalstaucher gegenber ausgewähl- ten anthropogenen Faktoren Rothalstaucher weisen gegenber Schiffsverkehr ein mäßig starkes Fluchtverhalten auf. Einerseits zeigen sie Fluchtreaktionen durch Auffliegen in meist geringer Entfernung, andererseits bewegen sie sich häufig auch nur durch Schwimmen von sich nähernden Schiffen weg oder tauchen ab (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). In intensiv befahrenen Gebieten kann dies eine Einschränkung der natrlichen Verhal- tensweisen zur Folge haben. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Innerhalb der Rastgebiete auf dem Meer bewegen sich Rothalstaucher meist schwim- mend fort, Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rastgebieten werden jedoch meist fliegend durchgefhrt. Zug findet hauptsächlich in der Dämmerung oder nachts statt. Zudem weisen Rothalstaucher eine geringe Manvrierfähigkeit auf. Aus diesen Grnden ist die Art sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Der Wert im Windenergie-

145 Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im oberen Bereich aller untersuchten Arten. Offshore-Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Da Rothalstaucher ihre Nahrung im Winter ausschließlich durch Tauchen erbeuten, sind sie sehr anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei, wie z.B. entlang der deutschen Ostseekste, kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen (z.B. SCHIRMEISTER 2003), da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfischerei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. In diesen Gebieten halten sich im Winter auch Rothalstaucher auf. Nahrungsuntersuchungen an Beifang- opfern aus diesen Netzen vor der Insel Usedom zeigten, dass das Beutespektrum fast ausschließlich aus kommerziell nicht genutzten Fischarten besteht (FTZ unverffentl.). Rothalstaucher konkurrieren demnach nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Rothalstaucher allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. In der Pommerschen Bucht halten sich Rothalstaucher v.a. im Winter in großer Anzahl auf, insbesondere im Bereich der Oderbank. Diese Konzentration sowie der hohe Zeitanteil, den die Tiere rastend auf dem Wasser verbringen, machen den Bestand sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzungen, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitrei- chenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren.

146 Rothalstaucher ernähren sich in der deutschen Ostsee nach derzeitigem Kenntnisstand berwiegend von den kommerziell unbedeutenden Grundeln sowie von Polychaeten (s. Kapitel 8.5.6), so dass momentan kein Konflikt mit der derzeit bestehenden Fischerei hinsichtlich der Konkurrenz um Nahrungsressourcen besteht. Eine Verklei- nerung oder Zerstrung des Habitats dieser bodenbezogenen Beutearten durch Eingriffe in den Meeresboden, wie z.B. Sedimentabbau oder Materialverklappung, kann jedoch zu einer Verschlechterung der Nahrungssituation fr Rothalstaucher fhren. Rothalstaucher beginnen meist im zweiten Lebensjahr mit der Brut und haben eine relativ hohe Anzahl an Jungvgeln. Daher knnen durch das Reproduktionspotential Mortalitätsverluste vermutlich bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, wenn ein umfassender Schutz an den Brutgewässern gewährleistet ist. Das Brutvor- kommen in Deutschland steht auf der Vorwarnliste der Roten Liste, in Niedersachsen ist der Rothalstaucher als Brutvogel stark gefährdet (Tab. 8-4). Hauptgefährdungen in den Brutgebieten sind die Intensivierung der Binnenfischerei und Fischzucht (Ver- schlechterung der Wasserqualität, Verlust von Ufer- und Wasservegetation, Nahrungs- konkurrenz durch zu starken Fischbesatz) sowie Strungen durch Freizeitnutzung der Brutgewässer (BAUER et al. 2005). Der Status der Rothalstaucher in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft.

Tab. 8-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Rothalstaucher in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II) Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + V 2 + + entfällt P Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPEC II II +

8.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Flugzeug aus meist schwer zu entdecken, insbesondere in Gebieten mit hohen Vogeldichten Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

147 8.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in der Ostsee - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Nord- und Ostsee berwinternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

148 9 Ohrentaucher

Podiceps auritus (Linnaeus 1758)

GB: Slavonian Grebe NL: Kuifduiker DK: Nordisk lappedykker Foto: N. Sonntag

S: Svarthakedopping Abb. 9-1: Ohrentaucher im SK PL: Perkoz rogaty

9.1 EU-Code A007

9.2 Systematik Ordnung: Podicipediformes - Lappentaucher Familie: Podicipedidae - Lappentaucher

9.3 Kennzeichen Kleiner Lappentaucher mit kurzem, geradem Schnabel, flacher Stirn und spitz auslaufendem Hinterkopf. Im PK mit schwarzem Kopf und goldgelben, aufgerichteten Ohrbscheln. Hals und Seiten rotbraun, Rcken schwarz. Im SK Kopfmuster kontrastreich schwarz-weiß, schwarze Kappe durch scharfe, vom Schnabel durch das Auge verlaufende Linie von den weißen Wangen getrennt. Vorderhals weiß mit verwaschenem dunklem Band, Flanken weiß mit dunklen Stricheln, Rcken dunkel. Im JK ähnlich SK, aber mit rußgrauem Wangenstreif, bräunlicher Oberseite und hellerer Schnabelbasis. Verwechslungsmglichkeiten: Im SK mit Schwarzhalstaucher. Wichtigstes Unter- scheidungsmerkmal sind die Kopfform und die schwarz-weiß-Verteilung am Kopf. Ohrentaucher mit flacher Stirn und eher geradem Scheitel sowie scharfer Trennung zwischen schwarzer Kopfkappe und weißen Wangen. Schwarzhalstaucher mit steiler Stirn und gerundetem oder ber dem Auge spitz zulaufendem Scheitel. Weiße Wangen mit verwaschenen dunklen Ohrdecken, dahinter mit weißem „Nackenhaken“, daher keine scharfe Grenze zwischen Kopfkappe und Wangen. Beide Arten mit weißem Armschwingenfeld, Ohrentaucher zudem noch mit weißem Schulterfeld, dies aber im Flug oft nicht sichtbar.

149 9.4 Verbreitung / Bestand

9.4.1 Welt / Europa Das Verbreitungsgebiet der Ohrentaucher erstreckt sich von N-Europa bis Kamtschat- ka und von Alaska bis Neufundland. Nach BAUER et al. (2005) gelten Ohrentaucher als monotypisch, nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) werden jedoch die Unterarten auritus (Europa, Asien) und cornutus (N-USA; Kanada, Alaska) unter- schieden. Die Schwerpunkte der Brutverbreitung in Europa liegen in Fennoskandien und Russland. Im nrdlichen Mitteleuropa brtet die Art nur vereinzelt (unregelmäßig in Polen, regelmäßig seit 1981 in Schleswig-Holstein). Überwinterungsgebiete sind u.a. die westliche Ostsee (insbesondere Pommersche Bucht, wichtigstes Winterrastgebiet in NW-Europa), die Nordseekste, die Atlantikkste vor Norwegen, die Kstengewäs- ser vor Großbritannien / Irland, aber auch das Schwarzmeer- und das Kaspigebiet. Darber hinaus berwintern Ohrentaucher auch auf grßeren Binnenseen in allen Teilen Mitteleuropas. Bei der Unterart auritus werden zwei Morphen mit unterschiedlicher Schnabelform unterschieden: Die dickschnäbligen Brutvgel Norwegens, Islands, Schottlands und der Färer-Inseln berwintern an den Ksten dieser Gebiete. Die dnnschnäbligen Brutvgel Finnlands, Schwedens, des Baltikums und der weiter stlich gelegenen Brutgebiete NO-Europas berwintern auf der sdlichen Ostsee, entlang der Atlantik- bzw. Nordseekste von N-Norwegen bis N-Frankreich sowie am Mittelmeer und am Schwarzen Meer (FJELDSÅ 1973, WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Der Weltbestand liegt bei 140.000-1,08 Mio. Individuen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006), der Brutbestand in Europa zwischen 6.300-11.000 Paaren (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Bei den in Europa vorkommenden Ohrentauchern werden drei biogeografische Populationen unterschieden (Tab. 9-1).

Tab. 9-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Populationen der Ohrentaucher (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium P. a. NW-Europa Ksten NW- 4.600 - NW-Europa stabil 55 auritus (dickschnäblig) Europas 6.800 Ostsee, abneh- P. a. NO-Europa 14.200 - NO-Europa Schwarzes mend 200 auritus (dnnschnäblig) 26.000 Meer, Mittelmeer Kasp. Meer, P. a. S-Asien O-Europa, Kasp. Meer, 10.000 - k.A. 250 auritus (außerhalb Zentralasien S-Asien 25.000 Brutzeit)

150 9.4.2 Deutschland Status: Durchzgler, Wintergast, gelegentlicher Sommergast, vereinzelt Brutvogel in Schleswig-Holstein. Die in Deutschland vorkommenden Ohrentaucher gehren zur biogeografischen Population „NO Europa“ (dnnschnäblige Form). Die einzigen Brutvorkommen der Ohrentaucher in Deutschland liegen in Schleswig- Holstein, wo die Art seit 1981 regelmäßig, aber nur in geringer Anzahl an Binnenge- wässern brtet. Im Jahr 1999 betrug der Brutbestand drei Paare (BERNDT et al. 2002). Während der Zugzeiten und im Winter halten sich Ohrentaucher v.a. auf der Nord- und insbesondere der Ostsee auf, im Binnenland werden dagegen nur wenige Einzelindivi- duen beobachtet (Abb. 9-2 und 9-3). Überwinternde Ohrentaucher werden bei der Wasservogelzählung vor allem entlang der Ostseekste erfasst, insbesondere im Bereich Rgens, im Salzhaff, beim Darß, in der Wismarbucht sowie in Schleswig-Holstein in der Geltinger Bucht (Abb. 9-3). Durch Schiffstransektzählungen ist ein großes und alljährliches Wintervorkommen in der AWZ in der Pommerschen Bucht bekannt, dass sich stark auf das Gebiet um die Oderbank konzentriert. Im Winter 2002 konnte zudem eine grßere Ansammlung vor dem Darß beobachtet werden (Abb. 9-2). Unbekannt ist, in welchem Maße Ohrentau- cher bei den Zählungen an der Kste bersehen werden. Bereits bei mäßigem Wellengang sind sie aufgrund ihrer geringen Grße und der kleinen Truppgrßen vor allem auf grßere Entfernung nur schwer zu entdecken. Der unten genannte Bestand sollte somit eher als Untergrenze angesehen werden. Aufgrund der geringen Anzahlen, die ber die Wasservogelzählung erfasst werden, lassen sich keine Aussagen ber das jahreszeitliche Auftreten und die langfristige Bestandsentwicklung treffen. Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 1.000 Tiere (DDA unverffentl., Tab. 9-2). Dies entspricht ber 5 % der biogeografischen Population (nach WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Nordsee Ohrentaucher kommen auf der deutschen Nordsee nur sehr vereinzelt vor. Beobach- tungen auf Helgoland weisen auf einen geringen Rastbestand im Winter hin (DIERSCHKE et al. 2005, 2006a). Daneben gibt es vereinzelte Nachweise im Kstenbe- reich vor Schleswig-Holstein und Niedersachsen, an der niederländischen Watten- meerkste gibt es insbesondere während des Heimzuges Beobachtungen. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden Ohrentaucher bisher nicht nachgewie- sen. Fr Ohrentaucher wurden keine Bestandszahlen berechnet.

151

Abb. 9-2: Verbreitung der Ohrentaucher auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 9-3: Verbreitung der Ohrentaucher in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

152 Ostsee Das Hauptvorkommen der Ohrentaucher auf der deutschen Ostsee liegt in der Pommerschen Bucht. Dort halten sie sich regelmäßig im Winterhalbjahr stark konzentriert im Bereich der Oderbank auf. Der Zuzug findet im Herbst ab Oktober statt und es bildet sich ein Vorkommen mit hohen Dichten. Im Verlauf des Winters kann es zu kleinräumigen Verlagerungen in die Randbereiche der Oderbank kommen. Eine weitere Konzentration konnte im Winter 2002 vor dem Darß beobachtet werden, doch waren in anderen Jahren die Anzahlen in diesem Bereich bei Untersuchungen vom Schiff aus deutlich geringer (FTZ unverffentl.). Bei den landbasierten Wasser- vogelzählungen wurden Ohrentaucher ebenfalls vor dem Darß beobachtet, daneben gibt es kstennahe Nachweise v.a. in der Mecklenburger Bucht und der Wismarbucht sowie im Kstenbereich von Rgen und Usedom (siehe auch SCHELLER et al. 2002). Ab März nimmt die Zahl der Ohrentaucher in der Pommerschen Bucht ab, der Frhjahrsbestand ist deutlich schwächer ausgeprägt. Neben dem Vorkommen auf der Oderbank befinden sich im Frhjahr auch entlang der Kste von Rgen und Usedom bedeutende Rastplätze. Im Sommer halten sich Ohrentaucher nur sehr vereinzelt und nicht alljährlich auf der deutschen Ostsee auf. Im SPA „Pommersche Bucht“ sind Ohrentaucher mit Ausnahme der Sommermonate regelmäßig zu beobachten (Tab. 9-2). Ab Oktober baut sich der Herbstbestand auf, der die hchsten Anzahlen im Jahresverlauf erreicht und grßtenteils im Winter erhalten bleibt. Ab März nimmt der Bestand wieder deutlich ab.

Tab. 9-2: Rastbestandszahlen der Ohrentaucher fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzäh- lungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitrum 2000-2005). Grßenklassen (in Anleh- nung an Standarddatenbogen): II: 6-10 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 500 2,5 180 0,9 Sommer k.A. k.A. II <0,1 0 0,0 Herbst k.A. k.A. 550 2,7 500 2,5 Winter 1.000 5,5 700 3,5 490 2,5

9.4.3 Bestandsentwicklung Die Brutbestandsentwicklung der Ohrentaucher verlief in Europa regional sehr unterschiedlich: in Großbritannien, Norwegen und Moldawien gab es Zunahmen, in Lettland, Litauen und Russland zeigten sich stabile Trends, wohingegen in Schweden, Finnland und auf Island Abnahmen zu verzeichnen waren. In Deutschland gab es seit

153 den 1970er Jahren eine Zunahme der Sommerbeobachtungen und seit den 1980er Jahren erste Brutnachweise mit gutem Bruterfolg. Unregelmäßige Brutnachweise existieren außerdem aus Polen und Dänemark. In den Niederlanden gab es einen ersten Nachweis im Jahr 2000. Der Gesamtbestandstrend in N-Europa ist aber v.a. aufgrund der negativen Bestandstrends in den grßten Brutkolonien (Finnland und Schweden) seit 1990 rckläufig (> 10 %; BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Daher ist eine Arealausweitung in Mitteleuropa eher unwahrscheinlich. Informationen ber die Entwicklung der Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

9.5 Biologie / Ökologie 9.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: im 2. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn ab Mai / Juni, Nachgelege bis August, Brutdauer 20-25 Tage Gelege: 3-6 Eier; 1 Jahresbrut, in Großbritannien gelegentlich auch 2; Nachgelege mglich; beide Eltern brten Kken: werden anfangs auf dem Rcken der Adulten getragen, Kken sind nach 45 Tagen unabhängig und mit 55-60 Tagen flgge; meist lst sich Familienbund nach dem Flggewerden, kann aber auch schon vorher gelst werden, Weibchen verlassen oft vor Männchen das Brutgebiet (FJELDSÅ 2004)

9.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 5 Jahre Ältester Ringvogel: keine Angaben Sterblichkeit: keine Angaben

9.5.3 Mauser Ohrentaucher mausern die Schwungfedern beider Flgel synchron und sind während- dessen 2-3 Wochen flugunfähig. Die Männchen wechseln berwiegend im August und September das Großgefieder. Die Weibchen beginnen mitunter zwar frher mit der Mauser der Schwungfedern, der Hhepunkt der Mauser liegt jedoch (vermutlich) um einen Monat später als bei den Männchen (Abb. 9-4). Über räumliche Aspekte der Schwingenmauser ist nicht viel bekannt, jedoch geht man davon aus, dass einige

154 Vgel in ihren Brutgewässern mausern, die meisten aber ihr Brutgebiet erst verlassen und dann auf großen Seen oder an Meeresksten mausern (FJELDSÅ 2004).

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 9-4: Mauserzyklus der Ohrentaucher. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

9.5.4 Wanderungen Ohrentaucher sind berwiegend Kurzstreckenzieher, in Großbritannien allerdings wohl auch Teilzieher. Einige Populationen fhren lediglich kurze Wanderungen in Ost- West-Richtung zur nächsten eisfreien Kste durch (FJELDSÅ 2004). Der Abzug aus den Brutgebieten beginnt ab August, so dass die ersten Individuen frhestens ab Ende August an den Ksten in Mitteleuropa eintreffen. Rastplätze im Binnenland werden erst 1-2 Monate später erreicht. Der Heimzug in die Brutgebiete beginnt meist schon im März. Die nrdlichsten Brutgebiete werden je nach Beginn der Schneeschmelze bis Ende Mai erreicht. Von Mai bis Anfang Juni werden teilweise noch einzelne, späte Durchzgler auf Nord- und Ostsee beobachtet, wobei es sich bei diesen späten Nachweisen vermutlich um Nichtbrter handelt.

9.5.5 Habitat Ohrentaucher brten bevorzugt an flachen, eutrophen Teichen mit reichhaltiger Unterwasservegetation von 1-10 ha Grße. Daneben werden auch andere Gewässer- typen wie vegetationslose Krater- und Hochmoorseen bis hin zu Brackwasserlebens- räumen an der Ostsee genutzt (zur Verbreitung s. Kapitel 9.4.1). In Schleswig-Holstein verteilten sich die Brutplätze bisher auf vier Fischteiche, zwei Weiher, einen großen Binnensee und einen Naturschutzkoog (BERNDT et al. 2002). Außerhalb der Brutzeit halten sich Ohrentaucher in Ksten- und Meeresgebieten sowie an grßeren Seen auf. Im Überwinterungsgebiet in der Pommerschen Bucht befinden sie sich bevorzugt in Bereichen mit geringen Wassertiefen und sandigem Sediment (FTZ unverffentl.).

155 9.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Ohrentaucher ernähren sich vorwiegend von Arthropoden sowie kleinen Fischen bis 10 cm Länge. Sie erbeuten ihre Nahrung meist tauchend, jedoch knnen sie auch in flacher Ufervegetation grndeln und Insekten von der Wasseroberfläche auflesen bzw. aus der Luft schnappen. In den Brutgebieten tauchen Ohrentaucher oft in seichtem Wasser 0,5-2 m tief, auf dem Meer tauchen sie bis in Bereiche von 10-20 m Tiefe (FJELDSÅ 2004). Brutgebiet Im Brutgebiet besteht die Hauptnahrung meist aus Insekten und deren Larven sowie aus kleinen Fischen (z.B. Gasterosteus spec.), die häufig einen Großteil der Biomasse der Nahrung ausmachen (FJELDSÅ 2004). Daneben spielen v.a. Crustaceen (Cla- docera, Gammarus) und Mollusken eine Rolle. Ostsee In der Pommerschen Bucht werden im Winter berwiegend Fische (v.a. Grundeln) und Polychaeten (Nereidae) gefressen, im Frhjahr ergänzend auch Insekten (SONNTAG et al. unverffentl.). Nordsee Im niederländischen IJsselmeer wurden im Winter ebenfalls berwiegend kleine Fische als Nahrung nachgewiesen, wobei insbesondere Stint (Osmerus eperlanus) eine große Rolle spielte, gefolgt von Flussbarsch (Perca fluviatilis) und Kaulbarsch (Gymnocephalus cernuus) (PIERSMA 1988). Dabei wurden insbesondere kleinere Stinte sowohl von Ohren- als auch von Rothalstauchern berproportional häufig erbeutet, was darauf hindeuten knnte, dass die Schwimmgeschwindigkeit der Fische beeinflusst, ob Lappentaucher sie erbeuten knnen. Die Beuteselektion wrde somit mehr durch Wendigkeit beim Schwimmen und weniger durch Schnabelgrße bestimmt (PIERSMA 1988).

9.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Ohrentaucher ziehen berwiegend abends und nachts und verbergen sich während des Zuges tagsber meist schweigsam in der Vegetation (IL'IČEV & FLINT 1985). In der Brutzeit sind sie während der hellen Tagesstunden aktiv, rufen aber auch nachts. Ohrentaucher ruhen und schlafen schwimmend. Im Vergleich zu anderen Lappentau- chern fliegen Ohrentaucher häufiger und tauchen weniger.

156 9.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 9.6.1 Gefährdungsursachen Ohrentaucher sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen (Ostsee) - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Lebensraumbeeinträchtigung und Strung an den Brutgewässern, v.a. durch intensive Fischwirtschaft, Eutrophierung, Uferbebauung, Aufforstungen und andere anthropogene Aktivitäten - Versauerung der Gewässer in N-Europa

9.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Ohrentaucher gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Ohrentaucher weisen eine hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr auf. Zwar ist die Fluchtdistanz relativ gering, doch fliegen Ohrentaucher vor sich nähernden Schiffen fast immer auf (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). Dies kann in Gebieten mit hoher Schiffsintensität zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes fhren, falls diese aufgrund der hohen Strwirkung gemieden werden. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Innerhalb der Rastgebiete auf dem Meer bewegen sich Ohrentaucher meist schwim- mend fort. Der Wechsel zwischen verschiedenen Rastgebieten erfolgt vermutlich meist fliegend. Der Zug findet berwiegend abends und nachts statt, die Manvrierfähigkeit ist eher mäßig. Die Art ist daher empfindlich gegenber einer Kollision mit techni- schen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Ein Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) wurde nicht berechnet. Offshore- Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuchwirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewir-

157 kung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. In ihren winterlichen Rastgebieten erbeuten Ohrentaucher ihre Nahrung berwiegend tauchend und sind somit besonders anfällig dafr sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer starken Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei kann es daher zu hohen Zahlen ertrunkener Tiere kommen, da die dnnen Monofila- ment-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Sie sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfischerei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenli- nie. In diesen Gebieten halten sich im Winter und insbesondere im Frhjahr gleichzei- tig auch Ohrentaucher auf. Nahrungsuntersuchungen an Beifangopfern aus diesen Netzen vor der Insel Usedom zeigten, dass das Beutespektrum nahezu ausschließlich aus kommerziell ungenutzten Fischarten besteht (SONNTAG et al. unverffentl.), so dass Ohrentaucher und Stellnetzfischerei nicht um die gleiche Ressource konkurrieren oder die in den Netzen gefangenen Fische eine Attraktionswirkung auf nahrungssu- chende Vgel ausben. Vielmehr verfangen sich Ohrentaucher allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Im Winterhalbjahr sind Ohrentaucher in der Pommerschen Bucht stark auf den Bereich der Oderbank konzentriert. Diese Konzentration sowie der hohe Zeitanteil, den die Tiere rastend auf dem Wasser verbringen, machen die Art sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzungen, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand besteht die Nahrung der Ohrentaucher auf der deutschen Ostsee berwiegend aus kommerziell unbedeutenden Arten (s. Kapitel 9.5.6), so dass momentan kein Konflikt mit der derzeit bestehenden Fischerei hinsichtlich der Konkurrenz um Ressourcen besteht. Eine Verkleinerung oder

158 Zerstrung des Habitats dieser bodenbezogen lebenden Hauptbeutearten durch Eingriffe in den Meeresboden, wie z.B. Sedimentabbau oder Materialverklappung, kann jedoch zu einer Verschlechterung der Nahrungssituation fr Ohrentaucher fhren. Ohrentaucher beginnen bereits im zweiten Lebensjahr mit der Brut und haben meist eine relativ hohe Anzahl an Jungvgeln. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste vermutlich bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, wenn ein umfassender Schutz an den Brutgewässern gewährleistet ist. In Deutschland brten nur vereinzelt Paare in Schleswig-Holstein, wodurch sich die Einstufung in der Roten Liste als „selten, mit geografischer Restriktion“ ergibt (Tab. 9-3). Ein nur geringer Brutbestand birgt stets die Gefahr des Aussterbens einer Brutvogelart durch negative Einflsse auf die wenigen Brutgebiete. Fr Mitteleuropa werden insbesondere intensive Fischwirtschaft, Eutrophierung oder Versauerung der (Brut-) Seen, Uferver- bauung und Strungen als Gefährdungen an den Brutgewässern genannt (BAUER et al. 2005). Auf der deutschen Ostsee sind Ohrentaucher insbesondere auf das Gebiet rund um die Oderbank konzentriert. Hier befindet sich das bisher beständigste und zahlenstärkste Vorkommen, das mit einem Anteil von bis zu 3,5 % an der biogeografischen Populati- on (s. Tab. 9-2) auch im internationalen Kontext von großer Bedeutung ist. Diese Kon- zentration bedingt einerseits eine große Empfindlichkeit insbesondere gegenber den beschriebenen Gefahren durch Stellnetzfischerei und Verlung. Da das Vorkommen jedoch grßtenteils innerhalb des SPAs „Pommersche Bucht“ liegt, besteht hier andererseits aber auch die Chance eines umfassenden Schutzes fr die Art. Der Ohrentaucher ist auf dem Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet und in die SPEC-Kategorie 3 als Art mit ungnstigem Erhaltungszustand in Europa eingestuft (Tab. 9-3). Der Status in Europa wird vorläufig als „abnehmend“ eingestuft (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004).

Tab. 9-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Ohrentaucher in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt R entfällt entfällt entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I 3 II II +

159 9.7 Erfassung Schiffs-und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Flugzeug aus meist schwer zu entdecken, insbesondere in Gebieten mit hohen Vogeldichten Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

9.8 Forschungsbedarf - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Ostsee berwin- ternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

160 10 Sterntaucher

Gavia stellata (Pontoppidan 1763)

GB: Red-throated Diver NL: Roodkeelduiker

DK: Rdstrubet lom Foto: J.O. Kriegs S: Smålom Abb. 10-1: Sterntaucher PL: Nur rdzawoszyi

10.1 EU-Code A001

10.2 Systematik Ordnung: Gaviiformes - Seetaucher Familie: Gaviidae - Seetaucher

10.3 Kennzeichen Kleinster Seetaucher mit meist schlanker Statur, flacher Stirn und schlankem, aufgeworfenem Schnabel. Im PK rostroter Vorderhals, kann aus Entfernung schwarz wirken; einfarbig grau-braune Oberseite ohne weiße Musterung; scharfe Grenze zwischen Halsfärbung und weißer Brust. Im SK mit sehr hellem Kopf- und Halsbe- reich (mehr als die Hälfte des Halses in Seitenansicht weiß, auch von hinten zu erkennen); gräuliche Oberseite fein weiß gesprenkelt; Flankenlinie (wenn berhaupt) als weißes, dunkel geflecktes Band ber der Wasserlinie sichtbar. Verwechslungsmglichkeiten: mit Prachttaucher. Schwimmende Vgel auf geringe Entfernung im PK anhand unterschiedlicher Gefiederfärbung, im SK anhand der Kopfform und der Verteilung heller und dunkler Gefiederpartien gut unterscheidbar. Auf grßere Entfernung im Flug meist nur bei guten Beobachtungsbedingungen unterscheidbar. Sterntaucher mit dnnerem, meist leicht durchhängendem Hals, aber Schnabel oft hochgehalten, daher bucklige Erscheinung; Fße kurz, berragen Schwanz nur wenig, Flgel scheinen daher etwas hinter der Krpermitte anzusetzen. Zu beachten: Überschneidungsbereiche zwischen Stern- und Prachttauchern in Grße und Statur mglich.

161 10.4 Verbreitung / Bestand 10.4.1 Welt / Europa Sterntaucher sind ber die ganze arktische sowie ber weite Teile der borealen Zone Eurasiens und Nordamerikas verbreitet. Sie brten von Island ber N-Großbritannien bis nach Fennoskandien, in Sibirien und im arktischen Nordamerika. Westpaläarkti- sche Vgel berwintern grßtenteils auf der Nord- und Ostsee sowie an der Atlantik- kste Norwegens, Großbritanniens und Frankreichs bis zur Biskaya. In kalten Wintern wandern Sterntaucher auch bis an die Nordkste des Mittelmeeres. Die stlichen Populationen berwintern im Schwarzmeer- und im Kaspigebiet. Nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) beträgt der Weltbestand der Sterntaucher 200.000-590.000 Individuen. Der europäische Brutbestand beträgt 32.000-92.000 Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Mitteleuropa kommen Sterntaucher regelmäßig als Durchzgler und Wintergäste sowie selten als Übersommerer vor. In Europa werden zwei biogeografische Popula- tionen unterschieden (Tab. 10-1).

Tab. 10-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Populationen der Sterntaucher (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Arktisches und NW-Europa boreales W- 150.000- G. stellata (außerhalb NW-Europa stabil 3.000 Eurasien, 450.000 Brutzeit) Grnland Kasp. Meer, Kasp. Meer, Schw. Meer, Arktisches Schwarzes G. stellata O-Mittelmeer Zentral- 50-100 k.A. 1 Meer, O- (außerhalb Eurasien Mittelmeer Brutzeit)

10.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler und seltener Sommergast auf Nord- und Ostsee; vereinzelte Rastvorkommen auf Gewässern im Binnenland. Die in Deutschland vorkommenden Sterntaucher gehren zur biogeografischen Population „NW-Europa“. Sterntaucher brten nicht in Deutschland, sondern halten sich dort lediglich während der Zugzeiten und im Winter sowie selten auch im Sommer auf. Während im Binnenland nur wenige Individuen berwintern – es handelt sich mit Ausnahme der

162 großen Voralpenseen dabei m eist zelnenur um Vgel ein (Abb. 10-3) – halten sich auf Nord- und Ostsee deutlich hhere Anzahlen auf (Abb. 10-2). Die Brutgebiete, aus denen die in der deutschen Nord- und Ostsee vorkommenden Sterntaucher stammen, erstrecken sich Ringfunden zufolge von Grnland und Island ber Skandinavien bis N- Russland (WERNHAM et al. 2002). Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 6.800 Individuen (DDA unverffentl., Tab. 10-2 und 10-3). Dies entspricht ca. 2,3 % der biogeografischen Population „NW-Europa". Nordsee Von den beiden Seetaucher-Arten ist der Sterntaucher auf der deutschen Nordsee deutlich häufiger als der Prachttaucher. Im Winter beträgt ihr Anteil an den bei SAS- Zählungen sicher auf Artniveau bestimmten Seetauchern ca. 92 %, im Frhjahr ca. 89 % (GARTHE 2003a). Sterntaucher kommen vom Herbst bis zum Frhjahr auf der deutschen Nordsee vor (Tab. 10-2). Im Herbst baut sich das Wintervorkommen mit zunächst vereinzelten Vorkommen im Kstengebiet langsam auf. Im Winter kommen Sterntaucher dann nahezu im gesamten Kstenbereich vor Schleswig-Holstein in geringen Dichten vor. In den niedersächsischen Hoheitsgewässern ist die Verbreitung lckiger. In der AWZ befindet sich der Verbreitungsschwerpunkt mit z.T. hohen Dichten westlich von Schleswig-Holstein im Seevogelschutzgebiet „Östliche Deutsche Bucht“. Im Frhjahr sind Sterntaucher entlang des gesamten Kstenstreifens verbreitet, hhere Konzentra- tionen knnen lokal nrdlich der Ostfriesischen Inseln auftreten. Das Vorkommen erstreckt sich stärker als im Winter weit in die Offshore-Bereiche der AWZ hinein, mit teilweise flächigen Vorkommen bis zu einer Entfernung von 100 km von der Kste. Die hchsten Konzentrationen befinden sich im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ sowie westlich daran anschließend. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ halten sich Sterntaucher im Winter und Frhjahr regelmäßig in grßerer Anzahl auf (Tab. 10-2). Ab August setzt der Wegzug aus den Brutgebieten ein. Während im September und Oktober noch kein nennenswerter Rastbestand im SPA vorkommt, nimmt das Vorkommen ab November deutlich zu. Im Frhjahr werden die hchsten Anzahlen erreicht. Der Wegzug aus dem SPA erstreckt sich bis in den Mai, von Juni bis August halten sich dort keine Sterntaucher regelmä- ßig auf.

163 Abb. 10-2: Verbreitung der Sterntaucher auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr. Die Daten aus der Nordsee basieren auf Flugzeugtransektzählungen (Bezugs- zeitraum 2002-2006), die Daten aus der Ostsee auf Schiffstransektzählungen (Be- zugszeitraum 2000-2006).

Abb. 10-3: Verbreitung der Sterntaucher in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

164 Tab. 10-2: Rastbestandszahlen der Sterntaucher fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Flugzeugtransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugs- zeitraum: 2002-2006) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Flugzeugtransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 2002-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 16.500 5,5 13.000 4,3 3.300 1,1 Sommer 0 0,0 0 0,0 0 0,0 Herbst 200 0,1 0 0,0 0 0,0 Winter 3.600 1,2 1.900 0,6 540 0,2

Ostsee Im Winter sind Sterntaucher auf der deutschen Ostsee in geringen Dichten weit verbreitet. Hohe Konzentrationen halten sich in der Mecklenburger Bucht auf, zudem gibt es gehäufte Vorkommen in der Pommerschen Bucht, insbesondere im Kstenbe- reich von Rgen und im Bereich der Oderbank. Kleinere Vorkommen befinden sich in der Kieler Bucht, nrdlich von Darß und Zingst und im AWZ-Bereich nrdlich von Rgen. Im Frhjahr liegt der Verbreitungsschwerpunkt in der Pommerschen Bucht. Besonders hohe Konzentrationen knnen kurzfristig im Kstenbereich von Rgen, v.a. am Eingang zum Greifswalder Bodden, auftreten. Im Westteil der deutschen Ostsee gibt es kleinere Vorkommen insbesondere in der Kieler und Mecklenburger Bucht. Im Sommer kommen Sterntaucher nur sehr vereinzelt und unregelmäßig auf der deut- schen Ostsee vor. Auch im Herbst gibt es bisher nur wenige Nachweise. Im SPA „Pommersche Bucht“ halten sich Sterntaucher von November bis Juni auf. Während des Frhwinters im November und Dezember sind noch relativ wenige Tiere anwesend, im Januar und Februar nehmen die Bestände zu. Die grßten Anzahlen werden im März und April erreicht, im Mai und Juni sind die Bestände wieder deutlich kleiner. Fr die Zeit von Juli bis September gibt es bisher keine Nachweise von Sterntauchern im SPA (Tab. 10-3).

165 Tab. 10-3: Rastbestandszahlen der Sterntaucher fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitrum 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 9.000 3,0 2.200 0,7 750 0,3 Sommer III <0,1 III <0,1 III <0,1 Herbst 210 0,1 III <0,1 0 0,0 Winter 3.200 1,1 550 0,2 III <0,1

10.4.3 Bestandsentwicklung Eine vollständige Bestandserfassung in den Brutgebieten ist nicht durchfhrbar. Daher sind die Angaben der Brutbestandsentwicklung mit starken Unsicherheiten behaftet: Zwischen 1970 und 1990 gab es in Fennoskandien und Russland starke Bestandsrck- gänge. Derzeit gibt es dort nur noch gebietsweise Bestandsabnahmen. In vielen anderen Ländern ist der Bestand eher stabil und in Großbritannien sogar zunehmend. Im Vergleich zum 19. Jh. sind die Gesamtbestände jedoch derzeit trotz einer Redukti- on der Jagd noch immer stark dezimiert (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Informati- onen ber die Entwicklung der Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

10.5 Biologie / Ökologie 10.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie

Geschlechtsreife: vermutlich meist mit 3 Jahren (HEMMINGSSON & ERIKSSON 2002) Paarbildung: monogame Saisonehen, z.T. Dauerpaare wegen Brutortstreue Brutzeit: Legebeginn ab Mai in N-Großbritannien, in W-Sibirien ab Mitte Juni; Brutdauer 26-28 Tage; beide Eltern brten Gelege: 2 Eier, selten 1 oder 3; 1 Jahresbrut; Nachgelege mglich Kken: beide Eltern fhren Kken, diese knnen ab 4-6 Wochen meist selbständig fressen und sind nach 38-48 Tagen flgge

166 10.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 7 Jahre Ältester Ringvogel: 23 Jahre 7 Monate Sterblichkeit: 1. und 2. KJ: 38-40 %; Adulte: 16 % (HEMMINGSSON & ERIKSSON 2002). 10.5.3 Mauser Die 1. Postnuptialmauser (Vollmauser) während des ersten Lebensjahres verläuft wie bei den Altvgeln, jedoch beginnt die synchrone Schwingenmauser bereits im August bis September. Immature und nichtbrtende Vgel verbleiben zu dieser Vollmauser auf dem Meer (WOOLFENDEN 1967). Im Gegensatz zu anderen Seetaucherarten, die ihre Schwingen vor dem Heimzug erneuern (s. Prachttaucher), beginnt die Vollmauser der adulten Sterntaucher mit dem Ausfall der Schwingen meist Ende September. Vor Schleswig-Holstein und Dänemark erreicht die Schwingenmauser der dort rastenden Sterntaucher Anfang Oktober / Anfang November ihren Gipfel (Mausergebiete vor Nordfriesland und Sdjtland, BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Zu dieser Zeit sind Sterntaucher 2-3 Wochen flugunfähig und besonders empfindlich gegenber Strun- gen (Abb. 10-4).

1.KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 10-4: Mauserzyklus der Sterntaucher. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

10.5.4 Wanderungen Sterntaucher sind Standvgel, Teilzieher oder Kurzstreckenzieher. Sie ziehen häufig in Hhen unter 50 m ber das Meer, berwiegend einzeln oder in kleinen Trupps bis zu zehn Vgeln (DIERSCHKE 2002). Viele Sterntaucher verlassen schon im August / September ihre Brutgebiete, andere erst, wenn sie durch die Eisbedeckung keine offenen Wasserflächen mehr finden. Die Hauptzugrichtung der Brutvgel Fennoskandiens und stlich angrenzender Gebiete verläuft auf dem Wegzug in sd- bis sdstlicher Richtung. Der Heimzug in die Brutgebiete findet meist zwischen Februar und April statt. Je nach geografischer Lage des Brutgebietes kommen die Sterntaucher dort zwischen April und Juni an. Junge, nichtbrtende Vgel halten sich in ihrem ersten, viele auch noch im zweiten Lebens-

167 jahr, in Meeresgebieten auf. Gelegentlich verweilen auch adulte Vgel im Sommer in ihren Überwinterungsgebieten (HEMMINGSSON & ERIKSSON 2002).

Nach Beobachtungen bei Hiddensee (z.B. DIERSCHKE et al. 1995) und Fehmarn (BERNDT & DRENCKHAHN 1990) bzw. bei Helgoland (DIERSCHKE 2002) und in den Niederlanden (CAMPHUYSEN & VAN DIJK 1983) findet ein starker Zug an der deutschen Ostsee erst ab Oktober und an der Nordsee erst im November statt. Vor Hiddensee ist der Heimzug in Richtung der Brutgebiete bereits ab Ende Januar deutlich erkennbar (GARTHE et al. 2003a). Sterntaucher passieren die Insel Hiddensee während des Heimzuges in hoher Anzahl, während des Wegzuges hingegen kaum. Damit unterscheidet sich die Art auch deutlich vom Prachttaucher, dessen Wegzug fast ebenso stark ausgeprägt ist wie sein Heimzug (GARTHE et al. 2003a). Vor Helgoland waren ber 95 % der zwischen 1990-2001 durchziehend beobachteten Seetaucher Sterntaucher. Hochgerechnet auf die Dauer eines Jahres ziehen somit im Mittel ca. 27.400 Individuen an Helgoland vorbei (DIERSCHKE 2002).

10.5.5 Habitat Sterntaucher brten bevorzugt an kleinen, sumpfig-flachen, stehenden Gewässern mit reicher Ufervegetation von der Kste bis ins Gebirge (zur Verbreitung s. Kapitel 10.4.1). Gelegentlich findet man auch Bruten an Flussläufen (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Außerhalb der Brutzeit halten sich Sterntaucher vorwiegend auf dem Meer auf. Dabei scheinen sie Gebiete zu bevorzugen, in denen sich Fronten im Meer durch einfließendes Sßwasser von Flssen bilden (SKOV & PRINS 2001). Im Binnenland kann man Sterntaucher während dieser Zeit auch an langsam fließenden Flssen, Seen, Fischteichen und Stauseen finden.

10.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Sterntaucher sind berwiegend Fischfresser und erbeuten ihre Nahrung tauchend. Dabei wird der Vortrieb hauptsächlich durch die kräftigen Ruderfße geleistet. Die Tauchtiefe liegt zwischen 2-9 m, die durchschnittliche Tauchdauer bei etwa einer Minute, kann jedoch 90 Sekunden erreichen (MADSEN 1957). Sterntaucher sind Nahrungsopportunisten. Ihr Beutespektrum spiegelt deshalb die lokale Fischfauna wider. Dennoch konnten zahlreiche Studien zeigen, dass insbesondere benthopelagi- sche Schwarmfische, z.B. Hering (Clupea harengus) und Dorsch (Gadus morhua), eine große Rolle spielen. Neben Fischen von meist bis 25 cm Länge kommen in den Brutgebieten auch Amphibien und kleinere Invertebraten im Nahrungsspektrum vor (BEZZEL 1985).

168 Ostsee MADSEN (1957) untersuchte 203 Sterntaucher, die er vor allem im Kattegat und in der Beltsee sammelte. Fisch war dort die einzige Nahrung. Dorsch stellte mit etwa 54 % die Hauptmenge der Nahrung, gefolgt von Grundeln (Gobiidae) (14 %), Hering (12 %) und Stichlingen (Gasterosteidae) (11 %). Weitere elf Fischarten wurden nachgewiesen.

ZYDELIS (2002) untersuchte 19 in Stellnetzen ertrunkene Sterntaucher, die entlang der Kste Litauens gesammelt wurden. Stint (Osmerus eperlanus) war die wichtigste Beute und stellte 75 % der konsumierten Fischbiomasse. Hering und Sprotte (Sprattus sprattus) umfassten 16 bzw. 6 % der Nahrung, daneben wurden Dreistachlige Stichlinge (Gasterosteus aculeatus) und Grundeln gefunden.

GUSE (2005) analysierte die Mageninhalte von 50 beigefangenen Sterntauchern, die aus der Stellnetzfischerei in der Pommerschen Bucht (deutsche Ostsee) stammten. Insgesamt stellten Hering 44 %, Zander (Sander lucioperca) 29 % und Kaulbarsch (Gymnocephalus cernuus) 16 % der Fischbiomasse. Es wurden signifikante saisonale Änderungen in der Nahrungswahl festgestellt. Während Barsche (Percidae), insbeson- dere Zander und Kaulbarsch, 86 % der Biomasse im Winter 2002 ausmachten, dominierten Heringsfische (Clupeidae), insbesondere Laichheringe zwischen 20 und 29 cm Länge, die Nahrung in den Frhjahren 2003 und 2004. Clupeiden machten 84 bzw. 91 % der Nahrung aus. Insgesamt konnten elf verschiedene Fischarten identifi- ziert werden. Nordsee DURINCK et al. (1994a) untersuchten die Mageninhalte von acht Sterntauchern, die im Winter bei Hanstholm (dänische Nordseekste) in Stellnetzen ertranken. 21 % der gefundenen Nahrung bestand aus Hering, 20 % aus Stichlingen, 17 % aus unbestimm- ten Gadiden, 10 % aus unbestimmten Fischen. Neben acht weiteren Fischarten wurden auch Tintenfische (3 %) nachgewiesen.

10.5.7 Sonstige Verhaltensweisen In Gebieten mit 24 Stunden Helligkeit sind Sterntaucher zur Brutzeit ganztägig aktiv. Während der Nahrungserwerb dort zu allen Tageszeiten stattfinden kann, balzen die Vgel berwiegend nachts. Der Zug spielt sich meist tagsber, aber auch nachts ab. Beobachtungen am Feuerschiff „Fehmarnbelt“ ergaben, dass die beobachteten Sterntaucher grßtenteils in Hhen von 6-15 m flogen (Erfassungszeitraum: September 1956 bis Mai 1957). Durch weitere Beobachtungen auf Wangerooge wurde festge- stellt, dass die Flughhe mit der Windrichtung zusammenhängt: Bei Gegenwind fliegen Sterntaucher meist flach ber das Wasser, bei starkem Rckenwind jedoch

169 bevorzugt in Hhen ber 12 m (KRÜGER & GARTHE 2001). Sterntaucher schlafen auf dem Wasser schwimmend.

10.6. Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 10.6.1 Gefährdungsursachen Sterntaucher sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (z.B. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Fischerei bzw. Kies- und Sandabbau) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf:

- Forstwirtschaftliche Entwässerung (TUCKER & HEATH 1994) - Saurer Regen an den Brut- und Nahrungsgewässern: sinkende Fischbestände, kritisch hohe Quecksilberkonzentrationen (ERIKSSON & SUNDBERG 1991) - Jagd (in einigen Gebieten)

10.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Sterntaucher gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Sterntaucher weisen eine sehr hohe Fluchtdistanz gegenber sich nähernden Schiffen auf und fliegen meist in sehr großer Entfernung auf (z.B. GARTHE et al. 2004, BELLEBAUM et al. 2006, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren, wie sie durch Untersuchungen aus der Nordsee belegt ist (z.B. HÜPPOP et al. 1994), und somit eine Verkleinerung und Zerschneidung von (potentiellen) Rastgebieten bedingen. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Einschränkung des Lebensraumes der Sterntaucher fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren.

170 Aufgrund ihrer schlechten Manvrierfähigkeit und ihrer ausgeprägten Flugaktivität zwischen verschiedenen Rast- und Nahrungsgebieten sind Sterntaucher sehr anfällig gegenber einer Kollision mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen. Nach dem Prachttaucher besitzt die Art den hchsten Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) und ist somit als sehr empfindlich einzustufen. Die hohe Scheuchwirkung von Offshore-Windparks auf Sterntaucher kann zu weitreichendem Habitatverlust fhren, wie von DIERSCHKE et al. (2006b) fr die Nordsee gezeigt wurde. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Bei Horns Rev (Dänemark) konnte eine Meidung des dortigen Windparks durch Sterntaucher noch in 4 km Entfernung zu den Anlagen beobachtet werden, auch Kollisionen mit Windkraftanlagen wurden doku- mentiert (zusammengestellt in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Da Sterntaucher ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfi- scherei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. In diesen Gebieten kommen im Winter und Frhjahr auch Sterntaucher in z.T. sehr großer Anzahl vor. Allein vor der Insel Usedom (sdliche Ostsee) zählte SCHIRMEISTER (2003) bei einem nur kleinen Teil der dort tätigen Stellnetzfischer in 12 Wintern 370 ertrunkene Sterntaucher. Mageninhalts- untersuchungen an diesen Beifängen aus Dorsch- und Zandernetzen zeigten, dass ein hoher Anteil des Beutespektrums aus kommerziell ungenutzten Fischarten besteht, daneben wurden insbesondere im Frhjahr auch viele Heringe erbeutet (GUSE 2005, FTZ unverffentl.). Dies zeigt, dass Sterntaucher und Stellnetzfischerei nicht zwangsläufig um die gleiche Ressource konkurrieren oder gar eine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben ist. Vielmehr verfangen sich Sterntaucher allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Das gebietsweise konzentrierte Vorkommen sowie der hohe Zeitanteil, den die Tiere rastend auf dem Wasser verbringen, machen Sterntaucher sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzungen, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen

171 („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Bei Splsaumfunden entlang der deutschen Nordseekste wiesen Sterntaucher im Winter 2001 / 02 die hchste Verlungsrate aller erfassten Vogelarten auf: 84 % aller gefundenen Sterntaucher waren verlt (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufge- nommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsun- fälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Aufgrund ihrer Vermehrungsstrategie mit einer hohen Überlebensrate adulter Tiere, aber einer späten Geschlechtsreife und niedrigen Fortpflanzungsrate, gehren Sterntaucher zu den Arten, die Mortalitätsverluste in der Population nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Sterntaucher sind in die SPEC-Kategorie 3 als Art mit ungnstigem Erhaltungszustand in Europa eingestuft und im Anhang I der EU- Vogelschutzrichtlinie gelistet (Tab. 10-4).

Tab. 10-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Sterntaucher in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + entfällt entfällt entfällt entfällt IntV IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I 3 II II +

10.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Schiff aus oft schwer zu entdecken, besonders bei ungnstigen Zählbedingungen; meist hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff. Vom Flugzeug aus jedoch Stern- und Prachttaucher meist nicht auf die Art bestimmbar, vom Schiff aus Artbestimmung besser mglich

172 Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

10.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Nord- und Ostsee berwinternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Nordsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

173 11 Prachttaucher

Gavia arctica (Linnaeus 1758)

GB: Black-throated Diver NL: Parelduiker DK: Sortstrubet lom S: Storlom Foto: H.G. Arndt PL: Nur czarnoszyi Abb. 11-1: Prachttaucher im SK

11.1 EU-Code A002

11.2 Systematik Ordnung: Gaviiformes - Seetaucher Familie: Gaviidae - Seetaucher

11.3 Kennzeichen Groß und massig wirkender Seetaucher mit im Vergleich zum Sterntaucher dickerem Hals und kräftig vorgewlbter Brust. Schnabel gerade und dolchfrmig, Stirn oft steil. Im PK schwarzer Vorderhals und weiß gewrfelte Oberseite; unscharfe Grenze zwischen Halsfärbung und weißer Brust. Im SK mindestens die Hälfte der Halsseiten dunkel, weiß von hinten nicht sichtbar. Im Schwimmen meist ein weißer Fleck auf den hinteren Flanken auffallend. Verwechslungsmglichkeiten: mit Sterntaucher; schwimmende Vgel auf geringe Entfernung im PK anhand unterschiedlicher Gefiederfärbung, im SK anhand der Kopfform und der Verteilung heller und dunkler Gefiederpartien gut unterscheidbar. Auf grßere Entfernung im Flug meist nur bei guten Beobachtungsbedingungen bestimmbar. Prachttaucher mit dickerem Hals und meist kräftigerer Statur, Schnabel und Hals meist waagrecht gehalten; weniger bucklige Erscheinung; große, keulenfr- mige Fße, berragen den Schwanz deutlich, die Flgel scheinen daher in der Krpermitte anzusetzen. Zu beachten: Überschneidungsbereiche in Grße und Statur mglich.

174 11.4 Verbreitung / Bestand 11.4.1 Welt / Europa Prachttaucher brten in der borealen und arktischen Zone von NW-Europa bis NO- Sibirien und NW-Alaska. Es werden zwei Unterarten unterschieden: G. a. arctica kommt in NW-Europa bis W-Sibirien (Lena, Baikalsee) vor, G. a. viridigularis schließt sich ostwärts an und ist bis nach W-Alaska verbreitet. Während G. a. arctica sowohl in den Kstengebieten von NW-Europa als auch im Mittelmeer, im Schwarz- meer und im Kaspischen Meer berwintert, kommt G. a. viridigularis außerhalb der Brutzeit im NW-Pazifik vor. Der Weltbestand wird auf 275.000-1,5 Mio. geschätzt (nach WETLANDS INTERNATIONAL 2006). G. arctica bildet mit G. pacifica (Ostasien, Nordamerika) eine Superspezies. In Mitteleuropa sind Prachttaucher der Nominatform regelmäßige Durchzgler und Wintergäste. Insbesondere auf der Ostsee bersommern regelmäßig nichtbrtende Individuen. Der europäische Brutbestand wird auf 51.000-92.000 Paare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Alle in Europa auftretenden Prachttaucher werden derselben biogeografischen Population zugeordnet (Tab. 11-1).

Tab. 11-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu der in Europa vorkommenden Unterart der Prachttaucher (WETLANDS INTERNATIONAL 2006) Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Ksten NW- Europas G. a. N-Europa & 250.000 - - Mittelmeer, abnehmend 3.750 arctica W-Sibirien 500.000 Schwarzes & Kasp. Meer

11.4.2 Deutschland Status: Wintergast, Durchzgler und seltener Sommergast auf Nord- und Ostsee; regelmäßige Rastvorkommen auf Gewässern im Binnenland. Die in Deutschland vorkommenden Prachttaucher gehren zur Unterart G. a. arctica und werden der entsprechenden biogeografischen Population zugeordnet. Prachttaucher brten nicht in Deutschland, sondern halten sich dort v.a. während der Zugzeiten und im Winter auf. Auf der Ostsee gibt es einen kleinen Sommerbestand in der Pommerschen Bucht, auf der Nordsee bersommern Prachttaucher nur sehr selten. Während im Binnenland nur wenige Individuen berwintern – es handelt sich mit Ausnahme der großen Voralpenseen dabei meist um einzelne Vgel (Abb. 11-3) –

175 halten sich auf Nord- und Ostsee deutlich hhere Anzahlen auf (Abb. 11-2). Während des Herbstzuges rasten hingegen auf den großen (Tagebau)Seen im Osten Deutsch- lands teilweise mehrere hundert Individuen (ULBRICHT 2005). Die Brutgebiete aus denen die in der deutschen Nord- und Ostsee vorkommenden Prachttaucher stammen, erstrecken sich Ringfunden zufolge von Skandinavien bis N- Russland (WERNHAM et al. 2002). Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 2.700 Individuen (DDA unverffentl., Tab. 11-2 und 11-3). Dies entspricht ca. 0,7 % der biogeografischen Population. Nordsee Prachttaucher kommen auf der deutschen Nordsee in deutlich geringerer Anzahl vor als Sterntaucher. Im Winter beträgt ihr Anteil an den bei SAS-Zählungen sicher auf Artniveau bestimmten Seetauchern ca. 8 %, im Frhjahr steigt der Anteil auf 11 % (Schiffstransektzählungen; GARTHE 2003a). Nach derzeitigem Kenntnisstand entsprechen die großräumigen Verbreitungsmuster der Prachttaucher auf der deutschen Nordsee denjenigen der Sterntaucher: Vereinzelte Vorkommen im Kstenbereich im Herbst, im Winter geringe Dichten im nahezu gesamten Kstenbereich Schleswig-Holsteins und eher lckenhafte Verbreitung entlang der Kste Niedersachsens, im Frhjahr Verbreitung entlang des gesamten Kstenstreifens und in den Offshore-Bereich der AWZ mit Schwerpunkt SPA „Östliche Deutsche Bucht“. Im Frhjahr werden die hchsten Anzahlen erreicht (Tab. 11-2), im Sommer kommen Prachttaucher hchstens vereinzelt auf der deutschen Nordsee vor. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden Prachttaucher bisher nur im Winter und Frhjahr beobachtet, wobei das Hauptvorkommen im Frhjahr auftritt (Tab. 11-2).

Tab. 11-2: Rastbestandszahlen der Prachttaucher fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Flugzeugtransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugs- zeitraum: 2002-2006) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Flugzeugtransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 2002-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 2.000 0,5 1.600 0,4 280 0,1 Sommer 0 0,0 0 0,0 0 0,0 Herbst III <0,1 0 0,0 0 0,0 Winter 300 0,1 170 <0,1 60 <0,1

176

Abb. 11-2: Verbreitung der Prachttaucher auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr. Die Daten aus der Nordsee basieren auf Flugzeugtransektzählungen (Bezugs- zeitraum 2002-2006), die Daten aus der Ostsee auf Schiffstransektzählungen (Be- zugszeitraum 2000-2006).

Abb. 11-3: Verbreitung der Prachttaucher in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

177 Ostsee Prachttaucher haben ihren Verbreitungsschwerpunkt im Ostteil der deutschen Ostsee. Im Winter halten sie sich weit verbreitet in der Pommerschen Bucht im Kstenbereich von Rgen, auf der Oderbank und am Adlergrund sowie westwärts bis zum Darß in geringen bis mittleren Dichten auf. In der westlichen Ostsee gibt es eine Konzentration im Bereich der Sagasbank sowie Nachweise bei Fehmarn und in der Kieler Bucht. Zum Frhjahr hin nimmt der Bestand ab, die Vorkommen befinden sich vor allem im kstenfernen Bereich der Pommerschen Bucht. Im Sommer gibt es ein kleines Vorkommen im Bereich der Oderbank. Im Herbst weisen Prachttaucher hohe Dichten im Bereich der Oderbank auf, auch aus der Tromper Wiek im Norden von Rgen gibt es mehrere Nachweise. Im SPA „Pommersche Bucht“ halten sich Prachttaucher ganzjährig auf (Tab. 11-3). Während des Wegzuges aus den Brutgebieten im Herbst werden die hchsten Anzahlen erreicht, der Winterbestand ist deutlich geringer, im Frhjahr gibt es wieder einen leichten Anstieg. Eine kleine Anzahl nichtbrtender Individuen hält sich im Sommer im SPA auf.

Tab. 11-3: Rastbestandszahlen der Prachttaucher fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 1.900 0,5 1.100 0,3 310 0,1 Sommer 60 <0,1 50 <0,1 60 <0,1 Herbst 900 0,2 700 0,2 700 0,2 Winter 2.400 0,6 550 0,1 270 0,1

11.4.3 Bestandsentwicklung Eine vollständige Bestandserfassung in den Brutgebieten ist nicht durchfhrbar. Daher sind die Angaben der Brutbestandsentwicklung mit starken Unsicherheiten behaftet. In Russland, den Staaten des Baltikums und Fennoskandiens traten in den letzten 20-30 Jahren konstante leichte Bestandsabnahmen auf. In Großbritannien ist die Brutpopula- tion derzeit stabil. In Polen sind die Brutbestände weitgehend erloschen, allerdings existieren potentielle Brutgebiete im Nordosten des Landes, die unzureichend untersucht sind. Im masurischen Seengebiet sind zumindest Übersommerungen belegt. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es erste Bruten in Irland und wahrscheinlich in Tschechien. Trotz der seit 1990 stabilen (Schweden) oder leicht zunehmenden (Finnland) Brutbestände in einigen Brutgebieten, ist der Gesamttrend v.a. aufgrund der

178 Rckgänge in den wichtigen Brutgebieten Russlands und Norwegens rckläufig (> 30 %, BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Informationen ber die Entwicklung der Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore- Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

11.5 Biologie / Ökologie 11.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie

Geschlechtsreife: nach 2-3 Jahren; im 5. Lebensjahr (HEMMINGSSON & ERIKSSON 2002) Paarbildung: monogame Dauerehen Brutzeit: Legebeginn ab Ende April bis Juni, je nach geogr. Lage; Brutdauer 27-30 Tage; beide Eltern brten Gelege: 2 Eier, selten 1 oder 3; 1 Jahresbrut; bei frhem Verlust Ersatzge- lege mglich Kken: beide Eltern fttern Kken, nach 2-3 Tagen im Nest wechseln Kken auf das Wasser, sind 60-65 Tage von den Eltern abhängig

11.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 7 Jahre Ältester Ringvogel: mind. 28 Jahre Sterblichkeit: Adulte: 11 % pro Jahr; um eine stabile Population zu erhalten, mssen alljährlich 0,4-0,5 Junge pro Paar flgge werden (NILSSON 1977). HEMMINGSSON & ERIKSSON (2002) geben fr das 1. Lebensjahr eine Sterblichkeit von 60 % an, danach liegt sie bei ca. 20 %

11.5.3 Mauser Die Mauser vom Jugendkleid in ein sogenanntes Zwischenkleid und danach in das 1. Prachtkleid ist nicht sehr gut untersucht. Jedoch weiß man, dass die immaturen Vgel aller Seetaucherarten ihre synchrone Schwingenmauser im Sommer oder Herbst durchfhren (WOOLFENDEN 1967). So mausern zweijährige Prachttaucher ihre Schwungfedern im Juni / August. Im Februar / Mai des 3. KJs beginnt die erste Vollmauser ins Prachtkleid, im Vergleich zu den adulten Vgeln vollzieht sich dies etwas später. Die Handschwingen mausern die dreijährigen Vgel im April / Mai (IL’IČEV & FLINT 1985). Adulte Vgel erneuern ihre Schwingen zwischen Februar und Ende April (Abb. 11-4). Die Schwungfedern werden bei Prachttauchern in ihren

179 Überwinterungsgebieten synchron ersetzt, so dass sie fr einige Wochen flugunfähig sind. In dieser Zeit sind Prachttaucher besonders empfindlich gegenber Strungen.

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 11-4: Mauserzyklus der Prachttaucher. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

11.5.4 Wanderungen Prachttaucher sind Zugvgel und Teilzieher. Wichtige Winterquartiere befinden sich in den Kstengewässern der westlichen Ostsee, auf der Nordsee und im Atlantik sowie im nrdlichen Mittelmeer, im Schwarzen und Kaspischen Meer. Die Hauptzugrichtung der in Fennoskandien und weiter stlich (Sibirien) beheimateten Brutpopulationen ist S-SO bis zur Ukraine, ins Schwarze Meer und bis Mittelsibirien. Brutvgel aus weiter westlich gelegenen Gebieten wandern mglicherweise nicht weit. Dieses Zugverhalten kann evtl. das auf der Ostsee nach Westen hin abnehmende Vorkommen der Pracht- taucher erklären. Im August setzt der Wegzug aus den Brutgebieten ein. Prachttaucher kommen ab September, meist aber erst im Oktober an den Ksten Mitteleuropas an. Der Heimzug in die Brutgebiete beginnt Mitte April und kann bis in den Juni hinein dauern. Offenbar unterscheidet sich das Zugverhalten der einzelnen Populationen stark voneinander. Der sdwestliche Zug in die Winterquartiere kann vor Hiddensee von der zweiten Septemberhälfte bis Jahresende, vor allem zwischen Anfang Oktober und Mitte Dezember beobachtet werden (GARTHE et al. 2003a). Dieses Auftreten deckt sich zeitlich mit den teils beachtlichen Ansammlungen insbesondere auf ostsächsischen Gewässern, die offensichtlich noch innerhalb des Zugkorridors in die Winterquartiere liegen. Trotz attraktiver Gewässer im Westen Sachsens sind dort grßere Ansammlun- gen selten (ULBRICHT 2005). Der Heimzug in nordstliche Richtung vor Hiddensee erfolgt von Anfang Januar bis Ende März mit einer ähnlichen Intensität wie im Herbst (GARTHE et al. 2003a). Im stlichen Sachsen werden Prachttaucher dagegen im Frhjahr deutlich seltener als im Herbst beobachtet (ULBRICHT 2005). Im Helgoländer Seegebiet machen Prachttaucher weniger als 5 % der hochgerechnet 27.400 Seetaucher aus, die das Gebiet jährlich berfliegen. Der Heimzug findet vor allem von März bis Ende Mai statt, der Wegzug von Mitte September bis Januar (DIERSCHKE 2002).

180 STEGEMANN & DEN OUDEN (1995) beobachteten an den nrdlichen Bereichen der niederländischen Kste die meisten heimziehenden Prachttaucher zwischen April und Ende Mai. Der Großteil dieser Vgel befand sich bereits im Prachtkleid.

11.5.5 Habitat Prachttaucher brten meist an stehenden Binnengewässern in der Tundra und in Hochmoorgebieten sowie in Koniferenbeständen (zur Verbreitung s. Kapitel 11.4.1). Auch flache Gewässer, Flussbuchten und Altarme werden gelegentlich genutzt. Die Brutgewässer sind meist grßer und tiefer als beim Sterntaucher. Gelegentlich brten Prachttaucher auch an fischfreien Gewässern, so dass sie lange Nahrungsflge (bis zu 10 km) unternehmen mssen. Auf oligotrophen Seen ist die Brutpaardichte deutlich hher als auf eutrophen Seen. Bevorzugt werden immer ungestrte Gewässer mit guter Nestdeckung, wie Ufervorsprnge und kleine Inseln (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Außerhalb der Brutzeit halten sich Prachttaucher vor allem auf dem Meer, aber auch regelmäßig auf Binnengewässern auf. In der Deutschen Bucht ist eine Präferenz fr trbes, mäßig salzreiches Kstenwasser zu erkennen, mit Verdichtung der Vorkommen entlang von Fronten („estuarine fronts“; SKOV & PRINS 2001).

11.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Die Tauchgänge der Prachttaucher dauern im Schnitt etwa 45 Sekunden (max. zwei Minuten). Beim Tauchen wird Vortrieb vor allem durch die kräftigen Ruderfße geleistet, teilweise untersttzt durch die Flgel. Prachttaucher ernähren sich berwie- gend von Fischen bis zu 25 cm Länge, insbesondere im Winter. Zur Brutzeit ernähren sie sich teilweise auch von Krebstieren, Mollusken und Wasserinsekten. Im marinen Bereich wurden insbesondere kleine Schwarmfische wie Grundeln (Gobiidae), Heringe (Clupea harengus), Sprotten (Sprattus sprattus) und Sandaale (Ammodytidae) als Nahrung nachgewiesen. In limnischen Bereichen wurden u.a. Barsche (Perca), Forellen (Salmo trutta) und Rotaugen (Rutilus rutilus) als Nahrung gefunden. Ostsee MADSEN (1957) untersuchte die Mageninhalte von 145 Prachttauchern aus dänischen Gewässern. Der Hauptteil der Tiere wurde im Bereich der Beltsee und des Kattegats gesammelt. Bei allen 123 Individuen, die Nahrungsreste in den Mägen hatten, konnten Fische als Beute nachgewiesen werden. 90 % der Nahrung bestand aus Dorschen (Gadus morhua), Grundeln und Stichlingen (Gasterosteus spec.). Dabei stellten Dorsche und Grundeln je ein Drittel der Nahrung. Während beim Dorsch oft nur einzelne Exemplare (bis zu 25 cm) nachgewiesen wurden, wurden die kleineren

181 Grundeln und Stichlinge offenbar in Schwärmen erbeutet, so dass in je einem Prachttaucher bis zu 140 Sandgrundeln (Pomatoschistus minutus) (2,5 bis 5 cm) und bis zu 200 Stichlinge nachgewiesen werden konnten. Darber hinaus wurden 12 weitere Grundfischarten gefunden, die zusammen jedoch weniger als 10 % der Nahrung ausmachten.

ZYDELIS (2002) untersuchte die Nahrung von zehn Prachttauchern, die in Stellnetzen entlang der litauischen Kste ertrunken waren. In neun Tieren konnte er Nahrungsreste nachweisen. Zährten (Vimba vimba) machten dabei den Hauptteil der Biomasse aus (46 %), gefolgt von Stinten (Osmerus eperlanus; 25 %) und Zandern (Stizostedion lucioperca; 15 %). Weitere Fischarten spielten eine geringere Rolle. Untersuchungen von 13 Prachttauchern, die in verschiedenen Wintern als Beifang in der Stellnetzfi- scherei in der Pommerschen Bucht starben, ergaben folgende Ergebnisse (FTZ unverffentl.): Zander von 13 bis 23 cm Länge machten 29 % der konsumierten Biomasse aus, gefolgt von Grundeln von 3 bis 7 cm Länge (Pomatoschistus spec.; 28 %), Kaulbarschen (Gymnocephalus cernuus; 22 %) und Dreistachligen Stichlingen (Gasterosteus aculeatus; 18 %).

11.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Verschiedene Studien zeigen, dass sowohl Stern- als auch Prachttaucher zu allen Tageszeiten durch die sdliche Nordsee ziehen, jedoch die grßte Zugintensität meist in den ersten fnf Stunden der Tageslichtperiode stattfindet (Wangerooge: KRÜGER & GARTHE 2001; Helgoland: DIERSCHKE 2002; Niederlande: CAMPHUYSEN & VAN DIJK 1983). Beobachtungen bei Helgoland ergaben zudem, dass ziehende Pracht- und Sterntaucher meist tief fliegen, häufig dicht ber der Meeresoberfläche und nur selten in ber 50 m Hhe (20 % der Prachttaucher ber 50 m; DIERSCHKE 2002). Zur Brutzeit kommen Prachttaucher meist einzeln vor, auf dem Zug und im Winter oft in kleinen Trupps.

11.6. Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 11.6.1 Gefährdungsursachen Prachttaucher sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche)

182 - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (z.B. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Fischerei bzw. Kies- und Sandabbau) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf:

- Prädation und anthropogene Strungen (GÖTMARK et al. 1989) - Saurer Regen, Eutrophierung und Aufstauung von Brutgewässern zur Elektrizitätsgewinnung (Skandinavien; HAGEMEIJER & BLAIR 1997) - Hohe Quecksilberkonzentration in Eiern durch sauren Regen (Schweden; ERIKSSON et al. 1992)

11.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Prachttaucher gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Prachttaucher weisen meist eine hohe Fluchtdistanz gegenber sich nähernden Schiffen auf (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). Diese Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren, wie sie fr Seetaucher durch Untersuchungen aus der Nordsee beschrieben ist (z.B. HÜPPOP et al. 1994), und somit eine Verkleinerung und Zerschneidung von (potentiel- len) Rastgebieten bedingen. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsver- kehr zu einer Einschränkung des Lebensraumes der Prachttaucher fhren. Häufige Fluchtreaktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringerter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Aufgrund der schlechten Manvrierfähigkeit und der hohen Flugaktivität zwischen verschiedenen Rast- und Nahrungsgebieten laufen Prachttaucher Gefahr, leicht mit Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen zu kollidieren. Prachttaucher besitzen den hchsten Wert des Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) und sind somit als sehr empfindlich einzustufen. Wie auch beim Sterntaucher (siehe DIERSCHKE et al. 2006b) kann die hohe Scheuchwirkung von Offshore-Windparks zu erheblichem Habitatverlust fr Prachttaucher fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision zudem durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann wiederum einen erhhten Energie- verbrauch und damit mglicherweise eine Konditionsminderung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität zur Folge haben. In Horns Rev (Dänemark) zeigten rastende Seetaucher eine starke Meidung des dortigen Windparks, bei Utgrunden

183 (Schweden) mieden vorbeifliegende Prachttaucher die Nähe zu den Anlagen (zusam- mengefasst in DIERSCHKE & GARTHE 2006). Da Prachttaucher ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfi- scherei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere in den Kstengewässern bis zur 10 m Tiefenlinie. In diesen Gebieten kommen im Herbst und Winter auch Prachttaucher in z.T. großer Anzahl vor. Mageninhaltsuntersuchungen an Prachttaucher-Beifangopfern aus Netzen vor der Insel Usedom zeigten, dass ein hoher Anteil des Beutespektrums dieser Art aus kommerziell ungenutzten und kleinen Fischarten besteht (FTZ unverffentl.), so dass Prachttaucher und Stellnetzfischerei nicht zwangsläufig um die gleiche Ressource konkurrieren oder gar eine Attraktions- wirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben ist. Vielmehr verfangen sich die Vgel lediglich aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Das gebietsweise konzentrierte Vorkommen sowie der hohe Zeitanteil, den die Tiere rastend auf dem Wasser verbringen, machen Prachttaucher sehr empfindlich gegen- ber Ölverschmutzungen, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Aufgrund ihrer Vermehrungsstrategie mit einer hohen Überlebensrate adulter Tiere, aber einer späten Geschlechtsreife und niedrigen Fortpflanzungsrate, gehren Prachttaucher zu den Arten, die Mortalitätsverluste in der Population nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen

184 Einfluss auf die Populationsdynamik. Prachttaucher sind in die SPEC-Kategorie 3 als Art mit ungnstigem Erhaltungszustand in Europa eingestuft und im Anhang I der EU- Vogelschutzrichtlinie gelistet (Tab. 11-4).

Tab. 11-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Prachttaucher in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) VU entfällt entfällt entfällt entfällt IntV IntV Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I 3 II II +

11.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Schiff aus oft schwer zu entdecken, besonders bei ungnstigen Zählbedingungen; z.T. hohe Fluchtdistanz vor sich näherndem Schiff. Vom Flugzeug aus jedoch Pracht- und Sterntaucher meist nicht auf die Art bestimmbar, vom Schiff aus Artbestimmung besser mglich Ksten-Wasservogelzählungen (bei kstennahem Vorkommen)

11.8. Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Nord- und Ostsee berwinternden Individuen - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Identifizierung von Mauservorkommen auf See - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Nordsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

185 12 Eissturmvogel

Fulmarus glacialis (Linnaeus 1761)

GB: Northern Fulmar NL: Noordse Stormvogel DK: Mallemuk S: Stormfågel Foto: S. Garthe PL: Fulmar Abb. 12-1: Eissturmvogel

12.1 EU-Code A009

12.2 Systematik Ordnung: Procellariiformes - Rhrennasen Familie: Procellariidae - Sturmvgel

12.3 Kennzeichen Rhrennase mit kräftigem Kopf und kurzem, dickem Hals und Schnabel; Mantel und Flgel meist hell, mittelgrau mit diffus weißlichem Feld auf der Handflgelbasis, Unterseite, Kopf und Hals weiß. Flgelspitze stumpf; typische Flugweise mit steifen, ausgestreckten Flgeln, unterbrochen von einer Serie rascher, flacher Flgelschläge. Schwimmt hoch im Wasser. Verschiedene Farbmorphen mglich.

12.4 Verbreitung / Bestand 12.4.1 Welt / Europa Eissturmvgel sind hocharktische Brutvgel, die mit zwei verschiedenen Unterarten vorkommen. Die Nominatform F. g. glacialis ist im Nordatlantik beheimatet, die Vgel der Unterart F. g. rodgersii im Nordpazifik (nach BAUER et al. 2005).

BERNDT & DRENCKHAHN (1990) teilen die Eissturmvgel des Nordatlantiks, die oben als Nominatform beschrieben wurden, nochmals in zwei Unterarten ein: F. g. glacialis gilt hier als hocharktischer Brutvogel und hat ein dunkleres Gefieder und einen krzeren Schnabel als F. g. auduboni, der z.B. von der Westkste Grnlands ber die Britischen Inseln bis Norwegen und auf Helgoland vorkommt. Nach MITCHELL et al.

186 (2004) wird der globale Bestand auf 5,4-7,1 Mio. Paare geschätzt. Mit dem Antarktis- Eissturmvogel F. glacialoides bildet F. glacialis eine Superspezies.

Der europäische Brutbestand beträgt 2,8-4,4 Mio. Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die wichtigsten Brutgebiete befinden sich auf Island (1-2 Mio. Paare, 1978- 1994), Spitzbergen (0,5-1 Mio. Paare, 1990-2001), auf den Färer Inseln (600.000 Paare, 1995) und in Großbritannien / Nordirland (506.000 Paare, 1998-2002).

Nach W ETLANDS INTERNATIONAL (2006) wird fr Eissturmvgel keine biogeogra- fische Population definiert. MITCHELL et al. (2004) fassen als biogeografische Einheit jedoch den Brutbestand des Atlantiks zusammen (Tab. 12-1)

Tab 12-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zur atlantischen biogeografischen Population der Eissturmvgel (MITCHELL et al. 2004). Es handelt sich hierbei um brtende Alt- vgel, der Nichtbrteranteil wurde nicht bercksichtigt. Art/ Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium F. g. Atlantik Atlantik k.A. 5,4-8,2 Mio. k.A. 20.000 glacialis

12.4.2 Deutschland Status: Brutvogel auf Helgoland, Durchzgler, Sommer- und Wintergast auf der Nordsee. Die in Deutschland vorkommenden Eissturmvgel gehren zur biogeografischen Population „Atlantik“. Eissturmvgel brten in Deutschland nur auf Helgoland. Im Jahr 2006 betrug der Brutbestand 102 Paare (O. HÜPPOP, pers. Mitt.). Während der Sommermonate sind Eissturmvgel auf der gesamten deutschen Nordsee verbreitet (Abb. 12-2), die Schwerpunkte befinden sich weit ab der Ksten im Offshore-Bereich. Auch während der Wintermonate halten sich Eissturmvgel regelmäßig auf der Nordsee auf. Da es fr die Ostsee so gut wie keine Nachweise von Eissturmvgeln gibt, ergibt sich der Rastbestand in Deutschland aus den Beständen auf der deutschen Nordsee (Tab. 12-2). Daten der deutschen Wasservogelzählung liegen fr Eissturmvgel nicht vor.

187

Abb. 12-2: Verbreitung der Eissturmvgel auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommer- halbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Eissturmvgel kommen das ganze Jahr ber in der Deutschen Bucht vor (Tab. 12-2). Im Sommer haben sie dort ihr Bestandsmaximum und sind in kstenfernen Bereichen fast flächendeckend in mittleren bis hohen Dichten anzutreffen. Die Verbreitung ist stark mit salzhaltigem und temperaturgeschichtetem Nordseewasser korreliert, das salzärmere und deutlich trbere Kstenwasser wird von Eissturmvgeln stark gemieden (GARTHE 1996a, MARKONES 2003). Außerhalb des Sommers sind Eis- sturmvgel in der Deutschen Bucht in weitaus geringerer Häufigkeit zu beobachten. Das Grundmuster der Verbreitung ähnelt aber dem des Sommers, allerdings werden Eissturmvgel dann auch etwas häufiger in der kstennahen Zone angetroffen. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Eissturmvgel ganzjährig vor, der Rastbestand ist jedoch im Vergleich zum deutschen Nordseebestand sehr gering (Tab. 12-2).

Tab. 12-2: Rastbestandszahlen der Eissturmvgel fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitrum 1996-2005). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 11.500 0,2 11.500 0,2 III <0,1 Sommer 40.000 0,6 40.000 0,6 100 <0,1 Herbst 24.000 0,4 24.000 0,4 100 <0,1 Winter 10.500 0,2 10.500 0,2 III <0,1

188 Ostsee Auf der deutschen Ostsee kommen Eissturmvgel allenfalls als Irrgast aus der Nordsee vor. Nach BERNDT & DRENCKHAHN (1990) gab es seit 1900 insgesamt 17 Nachweise auf der Ostsee. Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden bislang keine Eissturmvgel beobachtet. Fr Eissturmvgel wurden keine Bestandszahlen berechnet.

12.4.3 Bestandsentwicklung Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts brteten Eissturmvgel nur in Island und auf St. Kilda im NW Schottlands. Danach setzte eine der spektakulärsten Ausbreitungen und Bestandszunahmen ein, die fr Vgel dokumentiert sind (MITCHELL et al. 2004). Die Färer-Inseln und weite Teile Islands wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts besiedelt, die Insel Foula (Shetland) 1878. Im weiteren Verlauf breitete sich die Art auf fast alle Ksten Schottlands sowie große Abschnitte der anderen Ksten der Britischen Inseln aus; die Bestandszunahmen in Großbritannien betrugen ber mehrere Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts 7-8 % pro Jahr. 1960 wurde Frankreich erstmals besiedelt, 1972 Helgoland und 1998 Dänemark. In den letzten beiden Jahrzehnten kam es zu ersten Bestandsrckgängen in N-Schottland, die aber durch deutliche Bestandszunahmen auf Island und Spitzbergen mehr als kompensiert wurden (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Auf Helgoland hat der Bestand der Eissturmvgel von 1972 (1 Paar) bis 2006 (102 Paare) fast kontinuierlich zugenommen (O. HÜPPOP pers. Mitt.). Die Grnde fr die starke Ausbreitung und Bestandszunahme seit ber 200 Jahren werden ebenso wie die krzlich beobachteten lokalen Bestandsrckgänge kontrovers diskutiert und sind letztendlich nicht geklärt (MITCHELL et al. 2004).

12.5 Biologie / Ökologie 12.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: Erstbrut mit 6-12 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, z.T. längere Partnertreue nachgewiesen Brutzeit: Legebeginn Anfang / Mitte Mai bis Juni; Brutdauer 49-53 Tage; beide Eltern brten Gelege: 1 Ei; 1 Jahresbrut, Nachgelege nicht bekannt Kken: beide Eltern fttern, in ersten zwei Wochen sind Kken dauernd unter Aufsicht durch 1 Ad., Nestlingsdauer 46-51 Tage

12.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 31 Jahre

189 Ältester Ringvogel: lebend kontrolliert: 43 Jahre und 10 Monate Sterblichkeit: Überlebensrate von adulten Männchen: 97,1 %, von adulten Weibchen: 97,2 %. Lebenserwartung fr Männchen durchschnitt- lich 34 Jahre und fr Weibchen ca. 35,5 Jahre

12.5.3 Mauser Die Jugendmauser (Vollmauser) beginnt bei den Eissturmvgeln erst im 2. KJ ab Mitte Mai und ist etwa im September beendet. Ab dem 3. KJ durchlaufen sie die Postnupti- almauser (Vollmauser) zwischen Juni und Februar, die somit noch während der Jungenaufzucht beginnt. Bei Brutvgeln, erfolglosen Brutvgeln und Nichtbrtern varriiert der Zeitpunkt der Großgefiedermauser (August bzw. schon Juni / Juli). Zuerst läuft die Erneuerung sehr rasch, meist werden 4-5 Handschwingen gleichzeitig gemausert. Dies fhrt dazu, dass Eissturmvgel in dieser Zeit in ihrer Manvrierfähig- keit eingeschränkt sind (C.J. CAMPHUYSEN pers. Mitt.).

12.5.4 Wanderungen Eissturmvgel sind Hochseevgel und halten sich ganzjährig auf dem offenen Meer auf, wobei sie nur zur Brutzeit vorbergehend an Land kommen. Außerhalb der Brutzeit vollziehen sie Streuungswanderungen auf der Nordhalbkugel. Nur selten treten sie dabei im Mittelmeer oder auf der Ostsee auf. In gemäßigten Breiten halten sich die Altvgel oft ganzjährig im grßeren Umkreis um ihre Brutgebiete auf und besuchen ihre Nistplätze sporadisch schon ab November / Dezember. Die Brutvgel der hocharktischen Gewässer verlassen diese jedoch bei Vereisung meist zwischen November und Februar und beginnen im März mit den ersten Koloniebesuchen. Jungvgel wandern aus den Brutkolonien weit ab und verteilen sich ber große Meeresgebiete. Wie Ringfunde belegen konnten, wanderten Jungvgel aus Kolonien in Großbritannien oder Irland ber den Altantik in Richtung Westen. Die intensivsten Zugbewegungen an der schleswig-holsteinischen und dänischen Westkste stammen aus dem September und November (BERNDT & DRENCKHAHN 1990). Altvgel haben während der Brutzeit einen großen Aktionsradius und gehen z.T. auch mehrere hundert Kilometer von der Kolonie entfernt auf Nahrungssuche.

12.5.5 Habitat Eissturmvgel kommen nur zum Brten an Land und halten sich ansonsten weit entfernt von Ksten auf dem Meer auf. Sie brten auf felsigen Inseln und Kstenab- schnitten (zur Verbreitung s. Kapitel 12.4.1). In Spitzbergen gibt es allerdings auch Nistplätze, die etwa 10 km von der Kste entfernt im Binnenland liegen (in 1.300 m Hhe). In den Brutgebieten im Nordatlantik und Nordpazifik brten sie in z.T. sehr

190 großen Kolonien. Auch während der Brutzeit fliegen Eissturmvgel zur Nahrungssu- che weit auf das Meer hinaus. Sie bevorzugen Meeresbereiche mit hohem Salzgehalt (> 33 psu), guter Sichttiefe (vor allem > 5 m Secchitiefe) und sommerlichen Tempera- turschichtungen (GARTHE 1998). In diesen marinen Bereichen wurden viele Eissturm- vgel von Fischereifahrzeugen angelockt und ernährten sich dort auch von dem Discard dieser Schiffe. Jedoch ist die Attraktionswirkung durch Fischereifahrzeuge nicht so groß, dass Eissturmvgel ihr bevorzugtes, sehr marin geprägtes Habitat verlassen, um in kstennäheren Gebieten mit großem Fischereiaufkommen Discard zu nutzen. Die Präferenz kstenferner, mariner Meeresbereiche deutet darauf hin, dass die Erreichbarkeit ihrer natrlichen Beutefischarten eine wichtige Rolle bei ihrer pelagi- schen Verbreitung spielt (CAMPHUYSEN & GARTHE 1997).

12.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Eissturmvgel knnen tagsber und nachts auf Nahrungssuche sein (FURNESS & TODD 1984), die meiste Nahrung wird wahrscheinlich am Tag aufgenommen (HAMER et al. 1997). Zur Nahrungsaufnahme knnen sie bis zu 2,6 m tief tauchen, jedoch nehmen Eissturmvgel den berwiegenden Teil der Nahrung von der Meeresoberfläche auf. Ihre natrliche Nahrung besteht berwiegend aus Kleinfischen wie Sandaal und Gadiden, aber auch aus Makrozooplankton. Zudem ernähren sie sich von Fischereiab- fällen (Discard). Wie die meisten Rhrennasen produzieren Eissturmvgel bei der Verdauung eine energiereiche lige Flssigkeit, welche sie den Kken verfttern (BEZZEL & PRINZINGER 1990). Auch während der Brutzeit gehen Eissturmvgel oft weit entfernt von ihren Brutkolonien auf Nahrungssuche. HAMER et al. (1997) errechneten einen maximalen Flugradius von 245 km. Die Dauer eines Nahrungsfluges drfte zwischen 10 und 33 h betragen (FURNESS & TODD 1984, OJOWSKI et al. 2001). Nordsee Über die Nahrung der Helgoländer Brutvgel ist bislang nichts bekannt. Es liegen zur Nahrungskologie jedoch einige Studien aus Großbritannien vor: FOWLER & DYE (1987) analysierten den Anteil der Sandaale (Ammodytidae) in hervorgewrgter Eissturmvogelnahrung auf den Shetland-Inseln im Juli der Jahre 1984-1985. Eissturm- vgel konsumierten Sandaale der Länge 60-160 mm und präferierten damit etwas grßere Fische als Kstenseeschwalben (Sterna paradisaea) und etwas kleinere als Skuas (Catharacta skua). HAMER et al. (1997) sammelten 1995 von Kken hervorge- wrgte Nahrung in zwei Brutkolonien: In einer Kolonie auf Shetland wurde ein hoher Anteil von Fischen gefunden, die aus der lokalen Fischerei stammten. Eissturmvgel nutzten diese Nahrungsquelle intensiv. In 99 % der Proben traten Fischreste auf und in 29 % konnten Fischerei-Schlachtabfälle nachgewiesen werden. Des Weiteren spielten

191 Sandaale eine wichtige Rolle (11 %). Planktische Crustaceen waren nur selten nachzuweisen (5 %). Der an Fischen parasitierende Ruderfußkrebs (Copepode) Caligus elongatus konnte jedoch in 35 % der Proben gefunden werden. In der zweiten beprobten Kolonie auf den Äußeren Hybriden war Fisch in 78 % der Proben enthalten und der Anteil von Crustaceen war hier deutlich hher (32 %). Bei den Crustaceen dominierten der Amphipode Hyperia galba und der Decapode Acanthephyra pelagica. Zusätzliche Nahrung aus der Fischerei bewirkte nahe Shetland eine deutlich bessere Krperkondition der Kken. FURNESS & TODD (1984) beprobten hervorgewrgte Nahrung von Adulten und Kken in den gleichen Kolonien während der Brutphasen der Jahre 1978-1982 bzw. 1981. Sie ermittelten fr die Kolonie auf Shetland kleine Fische (hauptsächlich Sandaale) als wichtigste Beute, gefolgt von Schlachtabfällen und pelagischem Zooplankton. Fr die Kolonie auf den Äußeren Hybriden war das pelagische Zooplankton am wichtigsten (in 71 % der Proben). In einigen Proben wurde Plastikabfall gefunden (16 %).

PHILLIPS et al. (1999) untersuchten Kkenmägen und ausgewrgte Nahrung im Juni- August 1997 auf Shetland, Mägen von geschossenen Adulten im Mai-August 1994 und 1995 auf Island und ausgewrgte Nahrung von Adulten im Juni-August 1992- 1993 auf Grnland. In der Kolonie von Shetland wurde in 89 % der Proben Fisch (hauptsächlich Sandaal) gefunden, 32 % der Proben enthielten Crustaceen und 8 % Tintenfische. Auf Island waren Sandaale und Lodde (Mallotus villosus) die häufigsten Beutefische, außerdem wurden oft Fische und Crustaceen aus Fischereiabfällen gefunden. Auf Grnland enthielten 39 % der Proben Fisch, 64 % Crustaceen (haupt- sächlich Amphipoden), 22 % Tintenfisch und 16 % Pteropoden. Die Nahrung zeigte eine hohe Variabilität im Laufe des Jahres.

OJOWSKI et al. (2001) untersuchten hervorgewrgte Eissturmvogelnahrung während der Brutphase der Jahre 1998-1999 in zwei Kolonien auf Shetland. Gadiden machten den Großteil der Beute aus, am häufigsten war Stintdorsch (Trisopterus esmarkii) zu finden. Fischereiabfall kam in 32 % der Proben vor. Mit 22 % kam auch den Crusta- ceen eine wichtige Bedeutung zu. Clupeiden (am häufigsten Hering; Clupea harengus) traten in 15 % der Proben auf. Sandaale waren nur in 1 % der Proben vorhanden. Fischerei In der gesamten zentralen und nordwestlichen Nordsee folgen Eissturmvgel in sehr großen Zahlen Fischereifahrzeugen und nutzen den anfallenden Discard als Nahrungs- quelle (GARTHE & HÜPPOP 1994). Allerdings haben Eissturmvgel nur einen mittleren Erfolgsindex beim Erbeuten von ber Bord gegebener Nahrung und werden sehr oft Opfer von Kleptoparasitismus durch andere Arten (GARTHE & HÜPPOP 1998).

192 12.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Eissturmvgel sind tag- und nachtaktiv. Außerhalb der Brutzeit und bis zum Erreichen der Geschlechtsreife halten sie sich nahezu ausschließlich auf dem offenen Meer auf. Besonders bei geringen Windstärken schwimmen Eissturmvgel auf dem Meer oder verbringen verstärkt Zeit in der Brutkolonie, während sie bei zunehmenden Winden häufiger fliegen. Eine besondere Flugtechnik verringert ihren Energieverbrauch bei steigenden Windstärken (FURNESS & BRYANT 1996). Eissturmvgel schwimmen gut und sind sehr sichere Flieger, die bei Windstille dicht ber die Meeresoberfläche oder bei stärkerem Wind wellenfrmig mit häufigen Kehren fliegen (IL’IČEV & FLINT 1985). Beobachtungen zum Zuggeschehen auf See von Helgoland aus ergaben, dass Rhrennasen im Herbst ausnahmslos in Hhen zwischen 0-5 m fliegen (HÜPPOP et al. 2004). Sehr häufig folgen Eissturmvgel zur Nahrungssuche auch Schiffen. Meist fliegen Eissturmvgel nur einzeln oder zu zweit bers Meer, an ergiebigen Nahrungs- quellen knnen aber auch tausende Tiere zugleich beobachtet werden. Bei Strungen sowohl während als auch außerhalb der Brutzeit speien Alt- und Jungvgel eine lige Substanz zur Verteidigung aus.

12.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 12.6.1 Gefährdungsursachen Eissturmvgel sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Verschlucken von Plastikpartikeln - Verfangen in Mll, meist Plastik - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken wie Brcken oder Wind- energieanlagen (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuch- tung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - im NO-Atlantik: Beifang in der Langleinenfischerei

12.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Eissturmvgel gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Eissturmvgel weisen eine geringe Fluchtdistanz gegenber sich nähernden Schiffen auf (GARTHE et al. 2004; FTZ unverffentl.). Vielmehr sind sie in einigen Regionen, v.a. auf der nordwestlichen Nordsee und dem angrenzenden NO-Atlantik, als die zahlenmäßig dominierende Art hinter Fischereifahrzeugen zu beobachten (z.B. CAMPHUYSEN et al. 1995a). Sie sind daher als nur wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr zu bewerten.

193 Auch gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken wie Offshore- Windenergieanlagen sind Eissturmvgel als unempfindlich einzustufen. Der Wind- energie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) ergab fr Eissturmvgel den kleinsten Wert aller untersuchten Arten. Dennoch ist zu beachten, dass es insbesondere bei schlechten Sichtbedingungen zur Kollision mit technischen Bauwer- ken kommen kann (DIERSCHKE & GARTHE 2006), da Eissturmvgel auch nächtliche Flugaktivität zeigen und nur eingeschränkt manvrierfähig sind. Da sie ihre Nahrung auf See meist an oder wenige Zentimeter unter der Oberfläche erbeuten, sind Eissturmvgel kaum durch das Verfangen in bodennahen Stellnetzen gefährdet. Gelegentlich tauchen sie zwar auch nach Nahrung, dann aber meist nur wenige Meter tief. Stark gefährdet sind Eissturmvgel hingegen durch die Langleinen- fischerei, wie sie z.B. im NO-Atlantik betrieben wird. Sie verfangen sich in den Haken beim Schlucken der Kder und ertrinken. Eissturmvgel stellen dort die am häufigsten betroffene Art dar. Allein fr die norwegische Flotte wurde ein jährlicher Beifang von 20.000 Eissturmvgeln berechnet (DUNN & STEEL 2001), hochgerechnet knnte dies eine Zahl von 50.000-100.000 jährlichen Opfern im N-Atlantik bedeuten (MITCHELL et al. 2004). LØKKEBORG (2000) und LØKKEBORG & ROBERTSON (2002) beurteilten verschiedene Maßnahmen zur Verringerung des Beifanges und beschrieben dabei fr sogenannte Scheuchleinen eine Reduktion beigefangener Seevgel um 98-100 %. Da sich Eissturmvgel insbesondere bei Schwachwindphasen sehr häufig schwim- mend auf dem Meer aufhalten, ist eine hohe Gefährdung durch Verlung gegeben, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). An der Nordseekste lag die Verlungsrate im Winter 2000 / 01 und 2001 / 02 bei knapp 24 % (FLEET et al. 2003). Ölverschmut- zung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Eissturmvgel ernähren sich typischerweise von Nahrung an der Meeresoberfläche wie Zooplankton, kleinen Fischen und Tintenfischen, sowie von Fischereiabfällen und Kadavern (z.B. MITCHELL et al. 2004, GARTHE et al. 2004, vgl. Kapitel 12.5.6). Dabei nehmen sie auch Mllpartikel auf, die sie vermutlich fr Nahrung halten (VAN

194 FRANEKER et al. 2004). Die Mllbelastung der Meere insbesondere durch Plastikmll stellt eine große Bedrohung fr Eissturmvgel dar. Im Rahmen einer nordseeweiten Studie zu diesem Thema wurde der Mageninhalt von mehreren hundert Eissturmv- geln untersucht. Dabei wurde in 95 % der Mägen von 92 entlang der deutschen Nordseekste gefundenen Tieren Plastikmll gefunden und teilweise auch als Todesursache vermutet (GUSE et al. 2005). Von OSPAR wurde ein sogenanntes „Fulmar-Litter-EcoQO“ formuliert, wonach fr das Erreichen eines guten kologi- schen Qualitätszustandes der Nordsee weniger als 2 % aller tot gefundenen Eissturm- vgel mehr als 10 Plastikpartikel im Magen haben drfen. Weitreichende Veränderungen in der Quantität und Verfgbarkeit der Nahrungsorga- nismen fr Eissturmvgel knnen aus methodischen Grnden praktisch nie komplett erfasst werden, zumal das Nahrungsspektrum so groß ist. Derartige Informationen knnten aber vermutlich positive wie negative Veränderungen in Eissturmvogel- Populationen erklären. Da neben Fisch auch Zooplankton einen wichtigen Anteil am Beutespektrum hat, sind Eissturmvgel aktuell als nicht gefährdet bezglich einer Nahrungsverknappung aufgrund derzeit praktizierter Fischereien einzustufen. Unklar ist jedoch noch, welchen Einfluss die Reduktion von Discard in der Fischerei als leicht verfgbare Nahrungsquelle spielen kann. Auch die zunehmende Klimaveränderung ist im Zusammenhang mit Veränderungen in der Nahrungsverfgbarkeit zu nennen. Eine Korrelation des Nordatlantischen Oszillationsindex (NAO) mit dem Brutablauf bzw. Bruterfolg der Eissturmvgel ber Veränderungen in der Plankton- und Fischfauna wurde bereits beschrieben (z.B. THOMPSON & OLLASON 2001, siehe auch MITCHELL et al. 2004). Eissturmvgel beginnen erst nach 6-12 Lebensjahren mit der Fortpflanzung und haben mit einem Ei pro Jahr eine sehr niedrige Fortpflanzungsrate. Adulte Tiere haben eine hohe Überlebensrate. Sie gehren daher zu den Arten, die Mortalitätsverluste durch ihr Reproduktionspotential nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise sehr hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Durch das späte Erstbrutalter machen sich Veränderungen im Gesamtbestand jedoch erst verzgert in den Brutbeständen bemerkbar.

Der Status der Eissturmvgel in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. Als Brutvgel sind sie in Deutschland auf Helgoland beschränkt und daher als Art mit geografischer Restriktion auf der Roten Liste gefhrt (Tab. 12-3). In den letzten Jahren waren die Brutzahlen dort jedoch weitgehend konstant (O. HÜPPOP, pers. Mitt.).

195 Tab. 12-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Eissturmvgel in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen Dt. Watten- D Nds. SH M-V Dt. Ostsee Europa meer (2002) (2002) (1995) (2003) (1996) (1995) + R entfällt R entfällt P entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPEC - III -

12.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Aufgrund ihres typischen Erscheinungsbildes sowie der geringen Fluchtdistanz vor Schiffen und Flugzeugen sind Eissturmvgel von beiden Zählplatt- formen aus gut zu entdecken und zu bestimmen. Fr die Erfassung sind daher beide Methoden gut geeignet.

12.8 Forschungsbedarf - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Nordsee - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

196 13 Basstlpel

Sula bassana (Linnaeus 1758) Synonym: Morus bassanus

GB: Northern Gannet NL: Jan van Gent Foto: S. Garthe DK: Sule Abb. 13-1: Adulter Basstlpel S: Havssula PL: Gluptak

13.1 EU-Code A016

13.2 Systematik Ordnung: Phalacrocoraciformes - Kormoranvgel Familie: Sulidae - Tlpel

13.3 Kennzeichen Großer Seevogel mit langen, schmalen Flgeln und spitzer Kopf- und Schnabelpartie. Typischer Flugstil mit flachen, gleichmäßigen Flgelschlägen und kurzen Gleitstre- cken. Adulte Vgel weiß mit gelblichem Kopf (im SK blasser) und schwarzen Flgelspitzen. Im JK Gefieder graubraun, fein weiß gesprenkelt. Das Alterskleid wird langsam angelegt und durchläuft bis zur Vollendung im vierten bis sechsten Kalenderjahr verschiedene schwarz-weiß-Variationen. Verwechslungsmglichkeiten: Jungvgel knnen auf grßere Entfernung mit großen Sturmtaucher-Arten verwechselt werden, werden aber durch die Grße, die lange, spitze Kopf- und Schnabelpartie und den keilfrmigen Schwanz unterschieden.

197 13.4 Verbreitung / Bestand 13.4.1 Welt / Europa Basstlpel brten im N-Atlantik, in der Nordsee und entlang der norwegischen Kste von der Barentsee bis zum Mittelmeer und bilden eine Superspezies mit dem Kaptl- pel S. capensis (Sdafrika) und dem Australtlpel S. serrator (Australien, Neusee- land). Außerhalb der Brutzeit halten sich Basstlpel von der nrdlichen Nordsee bis nach W- Afrika auf; entgegen frherer Erkenntnisse (NELSON 2002, WERNHAM et al. 2002) fliegen auch Altvgel in großem Maße in die fischreichen Gebiete vor den Ksten (N)W-Afrikas (FTZ unverffentl.). Nur selten gelangen Basstlpel auf die Ostsee. Neben Nachweisen aus deutschen Bereichen (s.u.) gibt es auch Beobachtungen von der polnischen Ostseekste (10 Nachweise, davon 7 seit 1987). Der weltweite Brutbestand der Basstlpel wird auf 390.000 Brutpaare geschätzt (MITCHELL et al. 2004). Davon brten > 75 % in Europa, knapp 70 % der Weltpopula- tion allein in Großbritannien und Irland. Der Bestand fr ganz Europa wird auf 300.000-310.000 Paare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Fr Basstlpel wurden bislang keine biogeografischen Populationen abgegrenzt, so dass sich die Angaben in Tabelle 13-1 auf die Art S. bassana beziehen.

Tab. 13-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden Basstlpeln (MITCHELL et al. 2004). Der Bestand der nordatlantischen biografischen Populati- on bezieht sich auf brtende Altvgel. Der Nichtbrteranteil wurde nicht berck- sichtigt. Art/ Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium S. bassana - N-Atlantik Atlantik 780.000 k.A. 7.800

13.4.2 Deutschland Status: Brutvogel auf Helgoland, regelmäßiger Durchzgler. Winter- und Sommergast auf der Nordsee, selten im Binnenland. Fr die in Deutschland vorkommenden Basstlpel werden keine biogeografischen Populationen unterschieden. Der einzige Brutplatz der Basstlpel in Deutschland befindet sich auf Helgoland. Der Brutbestand beträgt derzeit 222 Paare (Bezugszeitraum 2006, O. HÜPPOP pers. Mitt.). Während der Sommermonate sind Basstlpel auf der gesamten deutschen Nordsee verbreitet (Abb. 13.2), auch in den Wintermonaten halten sie sich dort regelmäßig auf.

198 Auf der Ostsee werden nur vereinzelt Irrgäste beobachtet. Da es auf der Ostsee so gut wie keine Nachweise von Basstlpeln gibt, ergibt sich der Rastbestand in Deutschland aus den Beständen auf der deutschen Nordsee (Tab. 13-2). Daten der Wasservogelzäh- lung liegen fr Basstlpel nicht vor.

Abb. 13-2: Verbreitung der Basstlpel auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990- 2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Basstlpel kommen ganzjährig in der Deutschen Bucht vor (Tab. 13-2), im Sommer sind sie am weitesten verbreitet. Vor allem um den Brutplatz auf Helgoland ist ein flächendeckendes Vorkommen zu erkennen, es werden dort jedoch, wie auch im Rest der Deutschen Bucht, meist nur geringe Abundanzen festgestellt. Bei Vgeln der äußeren Deutschen Bucht kann es sich zumindest auch um Brutvgel der großen schottischen Kolonie Bass Rock handeln (HAMER et al. 2000). Im Herbst verlagert sich das Vorkommen der Basstlpel in der Deutschen Bucht auf den sdwestlichen Teil, was mglicherweise durch Wegzugbewegungen zu erklären ist. Während im Winter nur vereinzelt Basstlpel beobachtet werden, nimmt die Häufigkeit zum Frhjahr hin wieder zu. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Basstlpel nahezu ganzjährig vor (Tab. 13-2). Den grßten Bestand erreichen sie im Frhjahr. Fr den Herbst lassen sich aufgrund der geringen Datenbasis keine Aussagen ber das Vorkommen treffen.

199 Tab. 13-2: Rastbestandszahlen der Basstlpel fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitrum 1996-2005). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III : 11-50 Ind. Der Anteil an der biogeografischen Population bezieht sich auf den Weltbestand. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 800 0,1 600 0,1 230 <0,1 Sommer 1.400 0,2 1.200 0,2 110 <0,1 Herbst 2.700 0,3 2.600 0,3 k.A. k.A. Winter 230 <0,1 190 <0,1 III <0,1

Ostsee Auf der deutschen Ostsee kommen Basstlpel nur als seltene Gäste aus der Nordsee vor. Bisher wurden bei den Schiffstransektzählungen ein bis zwei Individuen in der Nähe von Rgen beobachtet. Auch von Land aus gibt es einzelne Beobachtungen von Basstlpeln (z.B. MÜLLER 2005). Im Jahr 2007 wurden vier Individuen am Kap Arkona gesichtet (www.oamv.de). Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden bisher keine Basstlpel beobachtet. Fr Basstlpel wurden keine Bestandszahlen berechnet.

13.4.3 Bestandsentwicklung Nach erheblichen Bestandseinbrchen durch menschliche Verfolgung im 19. Jahrhun- dert, vor allem im W-Atlantik, kam es im 20. Jahrhundert zu einer anhaltenden Bestandszunahme von im Mittel 3 % pro Jahr. Die Brutbestände der meisten Kolonien haben auch zu Anfang des 21. Jahrhunderts weiter zugenommen, allerdings mit einer geringeren Rate (1,2 % pro Jahr auf den Britischen Inseln, WANLESS et al. 2005a). Auf Helgoland brten Basstlpel seit 1991. Ihr Bestand nahm dort zunächst exponen- tiell zu, die Zuwachsrate geht mittlerweile aber zurck. Durch die Zunahme des Brutbestandes auf Helgoland sind Basstlpel auch regelmäßiger und in grßerer Anzahl in der Deutschen Bucht vertreten.

200 13.5 Biologie / Ökologie 13.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: 5.-6. Lebensjahr, einzelne schon ab 3. Jahr an der Kolonie Paarbildung: monogame Ehen, Partnertreue wurde nachgewiesen (64 % Wiederverpaarung) Brutzeit: Legebeginn ist frhestens Ende März, Median April / Mai bis Juni (Juli), Brutdauer 44 (42-45) Tage, beide Eltern brten, Ab- lsung meist nach >24 h Gelege: 1 Ei, selten 2; 1 Jahresbrut; bis zu 2 Nachgelege mglich Kken: Kken werden wenige Tage gehudert, die Nestlingsdauer beträgt 84-97 Tage, bis dahin werden die Kken von den Eltern gefttert, ab dem Ausfliegen sind sie selbständig

13.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 21 Jahre Ältester Ringvogel: 32 Jahre Sterblichkeit: im 1. Lebensjahr ber 60 %, bis zum Brutalter von 5 Jahren berleben etwa 25 % Adulte: 6-9 % sterben pro Jahr, Lebenserwartung ca. 16 Jahre 0,5 % der adulten und immaturen Vgel sterben im Sommer in der Kolonie

13.5.3 Mauser Basstlpel erneuern ihre Handschwingen regelmäßig und symmetrisch von innen nach außen. Während die 6. und 7. Handschwinge noch heranwachsen (ca. im Alter von 15 Monaten) wird die innerste Handschwinge bereits abgeworfen. Damit setzt der 2. Mauserzyklus ein. Wenn dieser Zyklus wieder die 7. Handschwinge erreicht hat, beginnt der 3. Mauserzyklus. Da die einzelnen Schwingen nacheinander gemausert werden, sind Basstlpel zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit eingeschränkt.

13.5.4 Wanderungen Basstlpel sind Teilzieher, die mitunter sehr weite Streuungswanderungen durchfh- ren. Vor allem Jungvgel ziehen nach dem Flggewerden in sdliche Richtung und verbringen mindestens zwei Winter im Bereich des O-Atlantiks bis zu den Ksten des tropischen W-Afrikas. Einzelne Jungvgel bleiben während des Winters im Bereich der Nordsee bzw. des N-Atlantiks. Auch viele adulte Vgel des O-Atlantiks verbleiben das ganze Jahr ber in der Nähe ihrer Brutgebiete. Nicht flgge Jungvgel, die das

201 Nest verlassen haben, bewegen sich schwimmend von ihrem Brutplatz fort. Es wurden dabei schon Distanzen bis zu 72 km nachgewiesen (BWPI 2004). Basstlpel sind geburtsort- und brutplatztreu, so dass die immaturen Vgel nach 3-4 Jahren auf See häufig an ihre Geburtskolonie zur Brut zurckkehren.

13.5.5 Habitat Basstlpel brten auf Felsinseln in Kstennähe oder an Steilksten (zur Verbreitung s. Kapitel 13.4.1). Bei der Auswahl ihrer Nistplätze spielt die Windexposition und die gnstige Lage zu Nahrungsgrnden eine wichtige Rolle. Die tiefsten Nistplätze befinden sich meist 10 m ber dem Meeresspiegel. Die schweren Vgel knnen an Felsklippen relativ einfach starten und landen (NELSON 2002). Sowohl zur Brut- als auch zur Zugzeit und im Winter nutzen Basstlpel die Schelfbe- reiche des Atlantiks zur Nahrungssuche. Über diesen Bereichen sind sie weit verbrei- tet, auf der Hochsee sind Sichtungen deutlich seltener. Der Aktionsradius während der Brutzeit ist sehr groß, Nahrungsflge knnen in bis zu 500 km Entfernung von der Kolonie durchgefhrt werden. Die Vorkommen der Basstlpel decken sich mit den Bereichen hoher Konzentrationen von pelagischen Schwarmfischen (Hering, Makrele) bzw. Fischereifahrzeugen, die Fischereiabfälle („Discard“) produzieren (CAMPHUYSEN & VAN DER MEER 2005, FTZ unverffentl.).

13.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Basstlpel sind gute Flieger, die oft während der Nahrungssuche mit dem Wind gleiten oder sich in schnellerem Flug flgelschlagend fortbewegen. Sie legen relativ weite Strecken zu ihren Nahrungsgebieten, oft auch in Trupps von bis zu 20 Individuen zurck (z.B. CAMPHUYSEN et al. 1995b). Basstlpel, die in grßeren Kolonien brten, zeigen grßere Flugradien als Individuen aus kleineren Kolonien (LEWIS et al. 2001). Dieses Verhalten wird auf die Verknappung von Beuteorganismen in Kolonienähe durch hohen Prädationsdruck zurckgefhrt. Durch ihren stromlinienfrmigen Krper sind Basstlpel sehr gut daran angepasst, Nahrung durch tiefes Stoßtauchen aus 10-40 m Hhe zu erbeuten. GARTHE et al. (2000a) konnten mit Hilfe von Loggern feststellen, dass Basstlpel der Kolonie auf Funk Island (Kanada) sowohl flache, V-frmige Tauchprofile zeigen, als auch tiefere U-frmige. Bei letztgenannter Tauchtechnik schlagen die Basstlpel auch unter Wasser mit den Flgeln und verfolgen ihre Beute einige Zeit horizontal. Der Median der Tauchtiefe betrug dabei 4,6 m, die maximale Tiefe 22 m. LEWIS et al. (2002) konnten fr die Brutkolonie Bass

202 Rock feststellen, dass weibliche Basstlpel längere und tiefere Tauchgänge als männliche Individuen durchfhren, dies lässt sich fr kanadische Brutkolonien aber nicht bestätigen (S. GARTHE & W.A. MONTEVECCHI unverffentl.). Basstlpel jagen ausschließlich bei Tageslicht und zeigen die häufigsten Tauchgänge in den Morgen- stunden (GARTHE et al. 2000a, 2003b). Die Fressgebiete von Individuen der Kolonie Bass Rock (Nordsee) lagen im Untersu- chungsjahr maximal 540 km von der Kolonie entfernt, im Mittel 232 km, und Nahrungsflge dauerten 13-84 h (HAMER et al. 2000). Die Basstlpel zeigten konstante Abflugrichtungen aus der Kolonie, die auf ein wiederholtes Nutzen gleicher Fressgebiete hinwiesen. Dagegen wählten Individuen einer Kolonie in Irland variable- re Flugrichtungen (HAMER et al. 2001). GARTHE et al. (2003b) ermittelten fr die kanadische Kolonie Funk Island eine durchschnittliche Dauer der Nahrungsflge von 13,5 Stunden (Zeitspanne: 3-39 Stunden). 44 % der Zeit während eines Nahrungsflu- ges verbrachten die Basstlpel im Streckenflug, während Individuen der Kolonie Bass Rock ca. 50 % ihrer Zeit während des Nahrungsfluges im Streckenflug verbrachten (HAMER et al. 2001, LEWIS et al. 2004). Neben der Koloniegrße spielen die ozeano- graphischen Bedingungen und die Nahrungsverfgbarkeit im Einzugsbereich der Kolonien entscheidende Rollen fr die Flugmuster und die Nahrungszusammenset- zung der Basstlpel (GARTHE et al. 2007b, HAMER et al. 2007). Nordatlantik / Nordsee Basstlpel fressen fast ausschließlich Fisch. Dabei dominieren Makrelen, Sandaale, Heringe und Sprotten. Sowohl Crustaceen als auch Cephalopoden kommen äußerst selten in der Nahrung vor.

HAMER et al. (2007) analysierte in den Jahren 1998 und 2002-2003 in der Kolonie von Bass Rock von Kken hervorgewrgte Nahrung. Die Nahrung war sehr divers: Sandaale (Spannbreite ber die drei beprobten Jahre: 29-74 %) sowie Makrelen (17- 31 %) kamen am häufigsten in den Proben vor, gefolgt von Hering (8-22 %) und Sprotte (7-23 %), während Dorschartige in 11-16 % der Proben auftraten. LEWIS et al. (2003) verglichen in den Jahren 2000-2001 von Kken hervorgewrgte Nahrung der Kolonie Bass Rock mit der irischen Kolonie Great Saltee. Kken von Bass Rock wurden viel häufiger mit Makrelen (Spannbreite der beiden beprobten Jahre: 41-55 %) und Dorschartigen (bis 25 %) gefttert. In beiden Kolonien war Sandaal eine wichtige Beute (36-55 % Bass Rock; 33-36 % Great Saltee). CAMPHUYSEN et al. (1995b) beobachtete Basstlpel von Bass Rock oft in Assoziation mit Delfinen. Durch die Fressaktivität der Säugetiere wurde die Nahrung näher an die Wasseroberfläche gebracht und war so leichter fr die Vgel zugänglich.

203 In einer Langzeitreihe untersuchten MONTEVECCHI & MEYERS (1997) hervorgewrgte Nahrung der Basstlpel auf Funk Island während der Jahre 1977-1996. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich mit einer Änderung in der Oberflächentemperatur die Nahrungswahl der Basstlpel entsprechend änderte: Während kälterer Phasen traten die Kaltwasserarten Hering, Lodde (Mallotus villosus), Atlantischer Lachs (Salmo salar), Sandaal und Kabeljau (Gadus morhua) häufiger auf, während unter Einfluss von wärmerem Wasser die an wärmeres Wasser angepassten Arten Makrele, Makre- lenhecht (Scomberesox saurus) sowie Tintenfische dominierten. Über die Nahrungswahl der Helgoländer Brutpopulation ist bislang nichts bekannt. Fischerei Basstlpel treten regelmäßig als Fischereifolger in kstenfernen Gebieten der Nordsee auf (GARTHE & HÜPPOP 1994). Fr sie wurde von allen Arten der hchsten Erfolgsin- dex beim Erbeuten von Discard berechnet (GARTHE & HÜPPOP 1998). CAMPHUYSEN et al. (1995a, 1995b) stellten jedoch fest, dass Basstlpel auf der Nahrungssuche häufig Fischkutter ignorierten und natrlich erbeutete Nahrung bevorzugten.

13.5.7 Sonstige Verhaltensweisen

Basstlpel sind tagaktive Vgel (Details zu den Aktivitätsmustern siehe GARTHE et al. 2003b). Sie sind gute Flieger, die auch mit dem Wind gleiten knnen. Verschiedene Untersuchungen auf Helgoland ergaben, dass Basstlpel bevorzugt in Hhen zwischen 0-50 m ber der Wasseroberfläche fliegen (HÜPPOP et al. 2004, DIERSCHKE & DANIELS 2003). Häufig fliegen sie dicht ber den Wellen, steigen dann aber auch wieder in grßere Hhen auf. So nutzen sie im Vergleich zu anderen Seevgeln einen ungewhnlich großen Luftraum.

13.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 13.6.1 Gefährdungsursachen Basstlpel sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Verfangen und Ertrinken in Fischereigeräten, insbesondere in umher treiben- den Netzresten - Verfangen in Mll, meist Plastikteilen - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken wie Brcken oder Wind- energieanlagen (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuch- tung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes)

204 Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Direkte Verfolgung (frher nahezu Ausrottung durch Sammeln von Eiern und Jungtieren, jedoch heutzutage nur noch in einigen Kolonien von Bedeutung, z.B. Färer Inseln und Island) - Erhängen in Netzresten, die beim Nestbau verwendet werden (Helgoland)

13.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Basstlpel gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Basstlpel weisen nahezu keine Fluchtreaktionen gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004), so dass ihre Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr als sehr gering einzustufen ist. Vielmehr halten sich Basstlpel bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe zu Schiffen auf und knnen regelmäßig als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen beobachtet werden (z.B. CAMPHUYSEN et al. 1995a). Insbesondere bei der Suche nach Nahrung zeigen Basstlpel auf See eine hohe Flugaktivität und legen lange Strecken zurck. Aufgrund ihrer Grße sind sie nur mäßig gut manvrierfähig. Sie sind daher empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, insbesondere bei schlechten Wetterbedingungen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im mittleren Bereich aller untersuchten Arten. Basstlpel halten sich teilweise auch längere Zeit schwimmend auf dem Wasser auf und sind daher empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche infolge von Ölunfällen, als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Artgruppen wie See- und Lappentauchern, Meeresenten und Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil auf dem Wasser verbringen und zudem selten(er) in hohen Konzentrationen auftreten, ist die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Basstlpeln deutlich geringer. NELSON (2002) vermutet, dass Verlust durch Verlung keinen großen Effekt auf die Population hat, solange nicht ein großer Ölunfall zur Brutzeit in der Nähe einer Kolonie stattfindet. In den Niederlanden ist die Ölverschmutzung bei Basstlpeln seit Anfang der 1970er Jahre deutlich zurckgegangen (CAMPHUYSEN 2001). Ölver- schmutzung kann jedoch auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten

205 großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitrei- chenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Basstlpel erbeuten ihre Nahrung meist durch vertikales Sturztauchen, wobei sie auch grßere Wassertiefen erreichen. Zudem bewegen sie sich unter Wasser auch durch horizontales Schwimmen bei der Beuteverfolgung fort. Sie sind daher gefährdet, sich während des Tauchvorganges zufällig in Stellnetzen zu verfangen und zu ertrinken. Besonders gefährlich sind die dnnen Monofilament-Netze, da sie fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Sie sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelvor- kommen und Stellnetzfischerei kann es daher zu Verlusten kommen. Die Sterblichkeit von in Großbritannien und Irland beringten Basstlpeln durch Fischereigerät (Netze und Langleinen) beträgt nach WERNHAM et al. (2002) 34 %. Ein weiteres Problem ist das Verfangen in treibenden Netzresten, sowohl auf See als auch in der Brutkolonie, in der Basstlpel diese als Nestmaterial verwenden. In der Kolonie auf Helgoland fhrt dies immer wieder zu Verlusten bei adulten und juvenilen Basstlpeln und anderen Seevogelarten (HARTWIG et al. 1985, N. SONNTAG unverffentl.). Mortalität durch Netzreste bzw. Plastikmll gilt als Haupttodesursache der Basstlpel im Atlantik (MONTEVECCHI 1991). In den Niederlanden hat die Anzahl durch Verfangen in Fischereigerät umgekommener Basstlpel seit 1977 in den Strandfunden signifikant zugenommen, wobei auch insbesondere Todfunde in Angelschnren aus Nylon deutlich häufiger registriert wurden (CAMPHUYSEN 2001). Während Netzreste häufig aktiv von Basstlpeln zum Nestbau aufgenommen werden, kann an der Oberfläche oder unter Wasser treibender Plastikmll beim Stoßtauchen durchschlagen werden, was ebenfalls meist dazu fhrt, dass die Tiere sich darin verfangen und ertrinken bzw. in ihren natrlichen Verhaltensweisen, insbesondere bei der Nahrungsaufnahme, stark eingeschränkt sind. Basstlpel haben bei der Nahrungssuche einen sehr großen Aktionsradius. Sie nutzen zudem ein großes Nahrungsspektrum, sowohl bezglich der Artenzusammensetzung als auch der Beutegrße (vgl. Kapitel 13.5.6). Diese opportunistische Ernährungsweise erlaubte es Basstlpeln auf andere Nahrungsarten zu wechseln, als die Bestände von Hering, Makrele oder anderen wichtigen Beutearten durch Fischerei reduziert waren (MITCHELL et al. 2004). Es ist daher anzunehmen, dass Basstlpel derzeit nicht durch Nahrungsverknappung aufgrund von Fischerei gefährdet sind. Vor der schottischen Kste knnen Basstlpel häufig als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen beobach- tet werden und sind dort sehr erfolgreich im Erbeuten von Discard (CAMPHUYSEN et al. 1995a, GARTHE & HÜPPOP 1998). Die generelle Bedeutung der Fischerei in der

206 Bereitstellung von Discard als leicht verfgbare Nahrungsquelle fr Basstlpel ist bisher allerdings noch unklar (MITCHELL et al. 2004). Basstlpel beginnen erst ab dem 5.-6. Lebensjahr mit der Fortpflanzung, haben eine hohe Überlebensrate adulter Tiere und mit einem Ei pro Jahr eine sehr niedrige Fortpflanzungsrate. Sie gehren daher zu den Arten, die Mortalitätsverluste durch ihr Reproduktionspotential nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Obwohl die Reproduktionsstrategie mit der anderer Arten wie Trottellumme, Tordalk und Eissturmvogel vergleichbar ist, haben Basstlpel in vielen großen Kolonien in Großbritannien und Irland mit ca. 2 % pro Jahr einen deutlich geringeren Populations- zuwachs. Als wahrscheinlichste Erklärung wird vermutet, dass Basstlpel in der Zeit zwischen Schlupf und Rekrutierung in die Brutkolonie vergleichsweise schlechter berleben (MITCHELL et al. 2004). Durch das späte Erstbrutalter machen sich evtl. Veränderungen im Altvogelbestand erst verzgert in der Kolonie bemerkbar. Frher wurden Basstlpel durch die starke menschliche Nutzung (Verzehr, Kder- fleisch) nahezu ausgerottet. Das Aussterben wurde nur durch umfangreiche Schutz- maßnahmen verhindert, von denen die Art noch heute profitiert und die noch immer als der Hauptgrund der Bestandszunahme in vielen Kolonien angesehen werden (NELSON 2002). Basstlpel sind in ihrer Verbreitung auf Europa konzentriert, ihr Status dort wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. In Deutschland sind sie als Brutvgel auf Helgoland beschränkt und werden daher als Art mit geografischer Restriktion auf der Roten Liste Deutschlands gefhrt (Tab. 13-3). Doch auch diese Kolonie gilt derzeit als nicht gefährdet und weist seit der ersten erfolgreichen Brut im Jahr 1991 einen jährlich zunehmenden Brutbestand auf (O. HÜPPOP, pers. Mitt.).

Tab. 13-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Basstlpel in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt R entfällt P entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPECE - III -

207 13.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: aufgrund ihrer Grße und ihres typischen Erscheinungsbildes sowie der geringen Fluchtdistanz vor Schiffen und Flugzeugen sind Basstlpel von beiden Zählplattformen aus gut zu entdecken und zu bestimmen. Fr die Erfassung sind daher sowohl Schiffs- als auch Flugzeugtransektzählungen gut geeignet.

13.8 Forschungsbedarf - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Nordsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

208 14 Kormoran

Phalacrocorax carbo (Linnaeus 1758)

GB: Great Cormorant NL: Aalscholver DK: Skarv S: Storskarv PL: Kormoran

14.1 EU-Code Foto: J.O. Kriegs A017 Abb. 14-1: Kormoran im PK

14.2 Systematik Ordnung: Phalacrocoraciformes - Kormoranvgel Familie: Phalacrocoracidae - Kormorane

14.3 Kennzeichen Großer, dunkler Wasservogel mit langem, kräftigem Hals, eckig wirkendem Hinter- kopf und kräftigem Schnabel. Liegt beim Schwimmen mit geradem Hals und aufwärts gerichtetem Kopf tief im Wasser. Adulte Vgel schwarz und metallisch glänzend, nackte Hautpartie am Schnabelgrund gelb, weiß umrandet. Im PK mit weißem Schenkelfleck, Scheitel und Nacken mehr oder weniger stark mit weißen Federn durchsetzt. Im SK Gefieder weniger glänzend, Weiß auf Kehle und Kopfseiten verwaschener, weißer Schenkelfleck fehlt. Im JK Oberseite dunkel, Unterseite variabel hell, insbesondere Kehlmitte, Brust und Bauch.

14.4 Verbreitung / Bestand 14.4.1 Welt / Europa Kormorane brten mit sechs Unterarten in Europa, Asien, Australien, Neuseeland, Afrika, O-Nordamerika und Grnland. P. c. carbo (N-Atlantik), P. c. sinensis (Binnenland der Paläarktis und Orientalis), P. c. maroccanus (NW-Afrika), P. c. lucidus (Ksten W und S-Afrikas, Binnenland O- Afrika), P. c. hanedae (Japan) und P. c. noveaehollandiae (Australasien).

Der Weltbestand der Kormorane wird nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) auf 1,37 Mio. - 2,94 Mio. Individuen geschätzt.

209 In Europa kommen Kormorane weit verbreitet als häufige Brut- und Jahresvgel vor. Man unterscheidet dort die zwei Unterarten P. c. carbo und P. c. sinensis, die allerdings beide auch außerhalb Europas weitere Verbreitungsschwerpunkte haben, auf die hier nicht detailliert eingegangen wird. P. c. carbo kommt in den Kstenbereichen von N- und W-Europa vor (Frankreich, Großbritannien, Island, Norwegen, Russland etc.). P. c. sinensis wird als „Festlandsrasse“ bezeichnet und ist von den Tiefebenen der Niederlande bis ins Baltikum verbreitet (auch Deutschland, S-Schweden, Däne- mark etc., sowie auch SO-Großbritannien) und in einem zweiten Verbreitungsgebiet eher lckig in SO-Europa mit Schwerpunkt in der Ukraine. In Europa brten 310.000-370.000 Paare, wobei nicht nach Unterarten differenziert wird (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Europa vorkommende Kormorane werden in vier verschiedene biogeografische Populationen aufgeteilt (Tab. 14-1).

Tab. 14-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Kormorane (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Island, Norwegen, zuneh- P. c. carbo NW-Europa k.A. 120.000 1.200 Großbritan- mend nien, Irland N-, M- P. c. N-, M- N- u. M- 380.000- zuneh- Europa bis 3.900 sinensis Europa Europa 405.000 mend Mittelmeer Schw. P. c. Schw. Meer, 350.000- zuneh- Meer, k.A. 4.000 sinensis Mittelmeer 450.000 mend Mittelmeer SW-Asien SO-Europa, P. c. SW-Asien, (außerhalb W- & 100.000 k.A. 1.000 sinensis Kasp. Meer Brutzeit) Zentralasien

14.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Durchzgler, Sommer- und Wintergast. Die in Deutschland vorkommenden Kormorane gehren berwiegend der biogeogra- fischen Population "N-, M-Europa" der Unterart sinensis an. Nur an den Ksten (v.a. Helgoland) treten Vgel der Unterart carbo auf.

In Deutschland brteten im Jahr 2005 rund 23.500 Kormoran-Paare (KIECKBUSCH & KNIEF 2007). Auf Mecklenburg-Vorpommern entfielen mit > 12.000 Paaren mehr als 50 % des deutschen Brutbestandes, auf Schleswig-Holstein 2.800 Paare und auf Niedersachsen 1.450 Paare (KIECKBUSCH & KNIEF 2007). Der Bestand innerhalb des

210 niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Wattenmeeres betrug im Jahr 2001 ca. 1.038 Paare (KOFFIJBERG et al. 2006). Die Schiffstransektzählungen in den Sommermonaten zeigen, dass Kormorane zu dieser Jahreszeit sowohl auf der Nordsee vor allem im Kstenbereich (seewärtig bis zur Hoheitsgrenze) als auch auf der Ostsee mit Schwerpunkten im Greifswalder Bodden und vor Usedom vorkommen, wo sie lokal hohe Konzentrationen bilden (Abb. 14-2). Im Winter konzentrieren sich die Kormorane vor allem auf große Still- und Fließgewässer. Große Vorkommen finden sich hauptsächlich im Bereich der Plner Seenplatte sowie auf Elbe, Rhein und Weser. Im Gegensatz zur Ostseekste wird das Wattenmeer in den Wintermonaten weitestgehend geräumt (Abb. 14-3): Im gesamten deutschen Teil des Wattenmeeres berwintern nach BLEW et al. (2005) weniger als 100 Individuen. Um Helgoland halten sich im Winter bis zu 660 Kormorane auf (vgl. FLORE & HÜPPOP 1997).

Fr den Januar 2003 nennen WAHL et al. (2004) auf Basis einer bundesweiten Schlafplatzzählung einen Rastbestand von 38.000 Individuen. Aufgrund eines Kälteeinbruchs im Vorfeld der Zählungen vermuteten die Autoren einen Bestand von ber 40.000 Individuen in „Normalwintern“. Dies wird – in Verbindung mit einem Bestandszuwachs im Binnenland im Januar 2004 und 2005 (s. Abb. 14-4) – durch die nun vorgenommene neue Bestandsabschätzung bestätigt, wonach der Mittwinter- bestand bei 51.000 Ind. liegt (DDA unverffentl., Tab. 14-2 und 14-3). Dabei wurde soweit wie mglich auf die Ergebnisse langjähriger synchroner Schlafplatzzählungen zurckgegriffen, ber die die verlässlichsten Angaben zum Rastbestand gewonnen werden (vgl. BUCHHEIM 1998).

211

Abb. 14-2: Verbreitung der Kormorane auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nordsee: 1990- 2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 14-3: Verbreitung der Kormorane in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005.

212 Die Verlagerung der Bestände von Ost nach West bzw. nach Sden spiegelt sich in den regionalen Schwankungen der Bestände im Jahresverlauf wider. Während im Nordosten die hchsten Rastbestände im Sommer und Frhherbst auftreten (August / September), liegen die Maxima im Nordwesten etwa einen Monat später (vgl. VAN ROOMEN et al. 2006) und verschieben sich nach Sden sukzessive in den Spätherbst und Frhwinter (Abb. 14-4). Im Gegensatz zu dieser Verschiebung wird das Maximum der Rastbestände auf Helgoland im Winter erreicht. Dies und die Lage von Helgoland sprechen dafr, dass die Vgel berwiegend der Unterart carbo angehren (FLORE & HÜPPOP 1997).

Abb. 14-4: Auftreten der Kormorane in NW-, NO- und S-Deutschland (zur Erklärung der Zählgebiete s. Kapitel II) im Verlauf des Winterhalbjahres basierend auf den Daten der monatlichen Wasservogelzählungen. Dargestellt ist der monatliche Mittelwert (September bis April) fr 2000 / 01 bis 2004 / 05. Die Fehlerbalken geben den Standardfehler an.

Nordsee Auf der deutschen Nordsee verteilen sich Kormorane als Rastvgel entlang der Wattenmeerkste sowie auf der Insel Helgoland; Zugbewegungen finden hingegen regelmäßig auch in kstenferneren Gebieten statt. Zur Brutzeit konzentrieren sich Kormorane vor allem im Bereich der Kolonien Memmert, Mellum, Knechtsand, Scharhrn, Nigehrn und Trischen. Beobachtungen weit vor der schleswig- holsteinischen Kste knnen umherstreifende Nichtbrter betreffen, zumal auch auf Helgoland regelmäßig kleinere Bestände bersommern (FLORE & HÜPPOP 1997). Auch in den anderen Jahreszeiten ist die Verteilung kstennah. Im Seegebiet jenseits

213 der Wattenmeerinseln halten sich jedoch besonders im Winter und Frhjahr kaum Kormorane auf. Auf Helgoland berwintern allerdings regelmäßig mehrere hundert Tiere – berwiegend der atlantischen Unterart carbo (FLORE & HÜPPOP 1997). Zum Heimzug bilden die Gewässer um Helgoland den Schwerpunkt des Vorkommens, während die Bereiche in der Nähe der Brutkolonien in der Nordsee kaum besucht werden. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden Kormorane nur selten nachgewiesen.

Tab. 14-2: Rastbestandszahlen der Kormorane fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum 1996-2007). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Da im Be- reich der deutschen Nordsee sowohl Vgel der Unterart carbo als auch Vgel der biogeografischen Population "N-, M-Europa" der Unterart sinensis vorkommen, bezieht sich der prozentuale Anteil der Individuen auf die Summe dieser beiden biogeografischen Populationen. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 1.600 0,3 % III < 0,1 0 0 Sommer 3.800 0,7 % III < 0,1 0 0 Herbst 6.500 1,3 % 0 0,0 0 0 Winter 1.600 0,3 % 0 0,0 0 0

Ostsee Kormorane kommen ganzjährig und insbesondere in Kstennähe auf der deutschen Ostsee vor. Im westlichen Teil liegen die Verbreitungsschwerpunkte v.a. in der Kieler Bucht, rund um Fehmarn, in der Mecklenburger Bucht sowie der Wismarbucht. Die hchsten Konzentrationen befinden sich jedoch im Ostteil der deutschen Ostsee nahe den Ksten von Rgen und Usedom sowie im Greifswalder Bodden. Am zahlenstärks- ten ist das Vorkommen im Ostteil der deutschen Ostsee im Sommer. Dabei sind die Zahlen in der Nähe mehrerer großer Brutkolonien bei Rgen und Usedom besonders hoch (ZIMMERMANN 2004, HEINICKE 2005). Im Sommer und Herbst erstreckt sich das Vorkommen vor Usedom z.T. auch weit in den Offshore-Bereich. Im Winter halten sich große Anzahlen auch im Strelasund auf. Am Anfang der Brutzeit nutzen Kormorane von Binnenlandskolonien nahe der Ostsee die kstennahen Gewässer als Nahrungshabitat und erbeuten dort berwiegend Heringslaich. Somit liegen zumindest fr diesen Zeitraum intensive Austauschbewe- gungen zwischen Brutgebieten im Binnenland und in Kstengewässern vor (KIECKBUSCH & KOOP 1996).

214 Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Kormorane regelmäßig im Sommer und Herbst vor.

Tab. 14-3: Rastbestandszahlen der Kormorane fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstran- sektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklas- sen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Der prozentuale Anteil der Individuen bezieht sich auf die biogeografische Population "N-, M-Europa" der Unterart sinensis. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 320 0,1 0 0,0 Sommer k.A. k.A. 80 <0,1 100 <0,1 Herbst k.A. k.A. III <0,1 II <0,1 Winter 10.500 2,7 III <0,1 0 0,0

14.4.3 Bestandsentwicklung In Mittel- und N-Europa gehren Kormorane zu den heimischen Brutvgeln. Schon aus der Mittelsteinzeit gibt es in den deutschen Kstenregionen Knochenfunde von Kormoranen. Aus Schleswig-Holstein liegen erste Berichte ber brtende Kormorane bereits vom Beginn des 19. Jh. vor. BOIE (1819, zit. in KIECKBUSCH & KOOP 1996) berichtet fr 1815 von einer ber 7.000 Paare umfassende Brutkolonie am Großen Binnensee (Kreis Pln). Schon damals wurden Kormorane stark verfolgt und Kolonien zerstrt, so dass sie Ende des 19. Jh. in weiten Teilen Mitteleuropas ausgerottet waren. Geringe Restbestände berlebten in Polen und den Niederlanden, von denen eine langsame Wiederausbreitung ausging. Mitte der 1970er Jahre stiegen die Brutbestände in Dänemark um 23,8 %, in den Niederlanden um 10,8 % und in W-Deutschland um 29,8 % pro Jahr an (Bezugszeitraum: 1978-1993, VAN EERDEN & GREGERSEN 1995). In Niedersachsen brteten zu dieser Zeit weniger als 50 Paare, in Mecklenburg- Vorpommern lag der Bestand bei 1.000 Paaren an 4-5 Standorten (KLAFS & STÜBS 1987). Dort entstanden Anfang der 1980er Jahre neue Kolonien und an einigen bestehenden Kolonien vergrßerte sich der Brutbestand deutlich (LINDELL et al. 1995). Der Anstieg dieser Brutbestände fhrte Anfang der 1980er Jahre in Schleswig- Holstein zunächst zu einem Anstieg der Rastbestände und dann 1984 zu den ersten erfolgreichen Bruten. Etwa zur gleichen Zeit dehnte sich die Brutverbreitung der Kormorane, die bislang nur auf N-Deutschland beschränkt war, auch bis nach Bayern aus. In ganz Deutschland nahm der Brutbestand Anfang der 1990er Jahre stark zu, was maßgeblich durch den Zuwachs in Mecklenburg-Vorpommern bestimmt wurde (in den

215 1980er Jahren brteten dort ber 90 % des deutschen Kormoranbestands). Bis 1995 verdreifachten sich die Brutpaarzahlen auf 15.000 Paare an 64 Brutplätzen, wobei die meisten Brutvorkommen weiterhin in Mecklenburg-Vorpommern lagen. Bis zum Jahr 2000 schwächte sich das Bestandswachstum dann deutlich ab (18.400 Paare, 91 Brutplätze). Im weiteren Verlauf bildeten sich besonders im Binnenland neue Kolonien, die Verbreitungslcken schlossen (23.500 Paare an 118 Brutplätze im Jahr 2005; KIECKBUSCH & KNIEF 2007). Diese rasche Bestandszunahme ab den 1970er Jahren macht deutlich, dass die direkte Verfolgung die Hauptursache fr das fast vollständige Verschwinden war. 1965 stellten die Niederlande den Kormoran unter Schutz, 1970 folgte die DDR und 1972 Dänemark, worauf sich die Bestände vor allem in den Niederlanden und Dänemark schnell erholten (s.o.). Etwas verzgert machte sich dann diese Entwicklung auch in Deutschland und Schweden bemerkbar. Die hohen Wachstumsraten verdeutlichen, dass Kormorane z.B. in den Niederlanden und im westlichen Ostseeraum sehr gnstige Lebensbedingungen vorfanden. Die durch Eutrophierung bedingte erhhte Produktivi- tät der Gewässer und damit die Zunahme der fr Kormorane bedeutsamen Beutefisch- arten begnstigten ihre Ausbreitung. Die Konsolidierung der Kormoranbestände gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist u.a. auf dichteabhängige Regulationsmechanismen zurckzufhren. Nachdem der starke Bestandszuwachs insbesondere in den 1980er Jahren durch einen hohen Reprodukti- onserfolg ermglicht wurde, ist seit den 1990er Jahren ein Rckgang des Bruterfolgs festzustellen. Grnde fr den verringerten Bruterfolg werden u.a. in einer verringerten Nahrungsverfgbarkeit, einem erhhten Prädationsdruck und dem Wiederaufleben einer verstärkten menschlichen Verfolgung gesehen (KIECKBUSCH & KNIEF 2007). An den Ergebnissen der Wasservogelzählung lässt sich die allgemeine Bestandserho- lung deutlich ablesen: die winterlichen Rastbestände in Deutschland stiegen im Mittel mit 13,2 ± 0,65 % an. Insbesondere in einer Periode der stärksten Wachstumsphase der nordwest-europäischen Brutbestände vervielfachten sich die Bestände. Anschließend folgte eine fast zehnjährige Phase mit auf hohem Niveau fluktuierenden Rastbestän- den. Erst in den Wintern 2003 / 04 und 2004 / 05 kam es erneut zu einem deutlichen Anstieg. Bei einer detaillierteren Betrachtung der Bestandsentwicklung zeigt sich, dass die Bestände seit Mitte der 1990er Jahre vor allem in Norddeutschland zunehmen (am deutlichsten im Nordosten). Dies deutet auf einen Zusammenhang mit der Entwick- lung der Brutbestände in Skandinavien hin, wo die Bestände in Schweden (BREGNBALLE et al. 2003) und seit der Jahrhundertwende in Finnland (LEHIKOINEN 2006) fast exponentiell anwuchsen. Die Winterbestände an der Ostseekste, die etwa 20 % des deutschen Mittwinterrastbestandes ausmachen, entwickelten sich in

216 ähnlicher Weise, sie unterliegen jedoch deutlich stärkeren jährlichen Schwankungen, die vor allem durch die jährlich wechselnden Überwinterungsbedingungen hervorgeru- fen werden (Vereisungsgrad der Ostsee). Im Zuge der berwiegend milden Winter haben sich auch die Winterquartiere, zumindest der dänischen Kormorane, nach Norden verlagert (BØNLØKKE et al. 2006), was ebenfalls zum Anstieg der Winterbe- stände in Deutschland beiträgt. In Sddeutschland hingegen stabilisierten sich die Bestände auf dem Niveau von Anfang der 1990er Jahre bzw. sind regional auch rckläufig – eine Entwicklung, wie sie sich auch in der Schweiz zeigt (SCHIFFERLI et al. 2005). Diese großräumig ähnliche Entwicklung deutet auch hier auf einen Zusammenhang mit den Entwicklungen in den Herkunftsgebieten (Niederlande, Dänemark, Teile Norddeutschlands) der Wintergäste hin, wo sich die Brutbestände stabilisierten. Regional scheint auch die Lebensraumkapazität erreicht zu sein.

Kormoran Phalacrocorax carbo NO-Deutschland 7 NW-Deutschland S-Deutschland Deutschland 6

5

4 Index

3

2

1

0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Januar Abb. 14-5: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Kormorane in Deutschland im Januar 1981-2005, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II). Aus Grnden der Übersichtlichkeit wurde auf eine Darstellung der Standardfehler bei den regionalen Indexwerten verzichtet. Be- achte andere Skalierung.

217 14.5 Biologie / Ökologie 14.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: Ende des 3. bzw. im 4. Lebensjahr Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn z.T. schon ab März, sonst April bis Juni, Brutdauer 28-31 Tage Gelege: meist 3-4, manchmal auch 5, ganz selten 6 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege und Zweitbruten mglich Kken: schlpfen meist Anfang Mai bis Juni, werden von beiden Eltern gefttert, Kken sind erst nach ca. 2 Monaten voll flug- fähig und noch weitere 12-13 Wochen von den Altvgeln ab- hängig

14.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 11 Jahre Ältester Ringvogel: 21 Jahre 6 Monate, zahlreiche Nachweise > 15 Jahre Sterblichkeit: 36 % im 1. Jahr, 22 % im 2. Jahr, 16 % im 3. Jahr, 9-14 % in den folgenden Jahren (Schätzungen Niederlande)

14.5.3 Mauser Kormorane durchlaufen die postjuvenile Mauser (Teilmauser) zwischen August und Dezember. Vgel der Unterart sinensis beginnen schon ab August mit der Großgefie- dermauser. Die Vgel der Unterart carbo durchlaufen im 2. KJ von Februar bis Dezember eine Vollmauser, die nach einer Unterbrechung im Frhjahr des 3. KJs mit einem 2. Mauserzyklus bei den inneren Handschwingen fortgesetzt wird. Ab dem 4. KJ mausern sie wie die Adulten. Bei Vgeln der Unterart sinensis setzt der 2. Mauserzyklus z.T. schon im 2. KJ ein. Während der Postnuptialmauser (Vollmauser) der Adulten werden die Schwungfedern meist mit 2 (3) aktiven Mauserzentren (Staffelmauser) zwischen Juli und Dezember erneuert. Da Kormorane ihre Schwingen nicht synchron mausern, sind sie zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt. Von Januar bis April vollzieht sich die Pränuptialmauser (Teilmauser).

14.5.4 Wanderungen Kormorane sind sowohl Teilzieher als auch ausgeprägte Zugvgel. Die Brutvgel der Unterart carbo, die in Irland / Großbritannien brten, vollziehen meist nur Streuungs- wanderungen vor allem in nrdliche und sdliche Richtung, in der Regel nicht nach Osten.

218 Die Ost-Population von sinensis (z.B. Ostsee) zieht in SSW- bis SO-Richtung, dabei wandern sie regelmäßig ber Land, was sie im Zugverhalten von carbo unterscheidet. Brutvgel aus dem Westen Mitteleuropas ziehen in Richtung S bis SW. Aus Beringungsprojekten in Ostdeutschland ist bekannt, dass sich das Zugverhalten ostdeutscher Kormorane im Vergleich zu frher (vgl. KÖPPEN 2007) wenig verändert hat. Im Laufe der Monate Juli und August zerstreuen sich sowohl diesjährige Jungvgel als auch ältere Kormorane ber den gesamten Ostseeraum. Im September setzt eine sdwärts gerichtete Zugbewegung ein. Eine Zugroute fhrt die Vgel nach Westen entlang der Nordseekste bis nach Frankreich. Eine weitere fhrt in sdstli- cher Richtung nach Tschechien, O-Österreich, Slowenien und N-Kroatien. Neben den klassischen Überwinterungsgebieten im zentralen Mittelmeergebiet, auf dem Balkan, in N-Afrika und an der franzsischen Atlantikkste fhrte eine sdwestlich gerichtete binnenländische Wegzugroute ab Anfang der 1980er Jahre zu einer Erweiterung des Überwinterungsgebietes auf den Raum nrdlich der Alpen und ins Innere Frankreichs. Generell ist ein alters- und geschlechtsdifferenziertes Zugverhalten fr Kormorane typisch. Jungvgel scheinen weiter abzuwandern als Altvgel (KÖPPEN 2007). Man geht davon aus, dass die Brutvgel NO-Deutschlands im Laufe des Novembers die Region mehr oder weniger vollständig verlassen haben. Bis 2006 wurden nur 11 in Ostdeutschland beringte Vgel im Winter dort wiedergefunden und es scheint keine Tendenz fr eine häufigere Überwinterung zu geben. Kormorane, die in O-Deutsch- land berwintern, stammen berwiegen aus dem nordstlichen Ostseeraum, der erst in jngerer Zeit besiedelt wurde (KÖPPEN 2007). Die stärksten Wegzugbewegungen zeigen sich im Oktober und November. Ab Januar / Februar (in den Niederlanden) kehren die ersten Vgel in ihre Brutkolonien zurck, weiter stlich kommen sie ab März an.

14.5.5 Habitat Kormorane brten in der Regel kolonial. Die beiden in Europa verbreiteten Unterarten bevorzugen unterschiedliche Habitate (zur Verbreitung s. Kapitel 14.4.1): Die Vgel der Unterart carbo sind vorwiegend Kstenvgel, die meist an Klippen brten. Bei der Nahrungssuche fischen sie hauptsächlich in Salz- und Brackwasser, aber auch an kstennahen Binnengewässern. Kormorane der Unterart sinensis sind berwiegend Baumbrter an Binnenseen, brten gelegentlich aber auch am Boden. Nahrung suchen sie auf fischreichen Binnengewässern und in kstennahen Meeresgebieten (Ostsee, Mittelmeer). Außerhalb der Brutzeit halten sich Kormorane sowohl in fischreichen, kstennahen Gewässern auf See als auch auf stehenden und fließenden Binnengewässern auf.

219 14.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Kormorane sind Nahrungsopportunisten. Die Zusammensetzung ihrer Beute schwankt entsprechend räumlich, jahreszeitlich und jahrweise in Abhängigkeit vom Angebot (KNIEF 1994). Je nach Nahrungsangebot jagen Kormorane entweder in Gruppen oder einzeln: Kleine Schwarmfische werden gemeinschaftlich erbeutet, grßere Fische dagegen eher einzeln. Kormorane bewegen sich während der Nahrungssuche mit den Fßen schwimmend fort. Meist tauchen sie 15-60 Sekunden. Kormorane des Wattenmeeres verbringen täglich 26 bis 138 Minuten mit der Nahrungssuche (NEHLS & GIENAPP 1997). Dabei werden bis zu 160 Tauchgänge durchgefhrt. Die maximale Tauchtiefe bei Vgeln in Binnenseen beträgt in etwa 3 m (bis 16 m nachgewiesen), im Meer wurden schon > 30 m festgestellt. Die meisten Tauchgänge fhren eher zum Grund, wohingegen pelagische Beute seltener erbeutet wird (GRÉMILLET et al. 1998).

KUBE (2004) fasst zusammen, dass ein Altvogel seinen Tagesbedarf von durchschnitt- lich etwa 250 g Fisch innerhalb von 2 Std. täglicher Jagdzeit decken kann. Der Nahrungsbedarf steigt gegen Ende der Jungenaufzucht bei Altvgeln auf max. 600 g pro Tag an. Weiter geht KUBE (2004) davon aus, dass der geringe tägliche Zeitauf- wand bei der Jagd durch das opportunistische Verhalten der Kormorane begrndet werden kann. Vermutlich fressen Kormorane die in ihrem Aufenthaltsgebiet jeweils am einfachsten zu erbeutenden Fische, d.h. in der Regel auch zahlenstark vorkommen- de Fischarten. Beobachtungen an der schleswig-holsteinischen Ostseekste machten deutlich, dass Kormorane zu Beginn der Brutzeit aus allen Kolonien – einschließlich der im Binnenland – zur Ostsee fliegen, um sich von den dort laichenden Heringen zu ernähren. Im weiteren Verlauf der Brutzeit nutzen nur noch Vgel der kstennahen Brutkolonien die Ostsee zur Nahrungssuche, während die Brutvgel aus Binnenland- kolonien nun bevorzugt grßere Seen anfliegen (KIECKBUSCH & KOOP 1996). Da Kormorane Nahrungsopportunisten sind, nutzen sie in Nord- und Ostsee entspre- chend der Nahrungsverfgbarkeit ein unterschiedliches Beutespektrum. Nordsee Plattfische machen einen großen Teil der Nahrung der Kormorane in Nordseegewäs- sern aus: NEHLS & GIENAPP (1997) untersuchten Kormorannahrung während des Wegzuges der Jahre 1992-1994 auf Sylt. Anhand von Speiballenanalysen und Direktbeobachtungen konnten als häufigste Beutekomponenten Plattfische (Pleuronec- tidae) ermittelt werden. Weitaus weniger häufig kamen Grundeln (Gobiidae) und

220 Dorschartige (Gadidae) in der Nahrung vor. In noch geringeren Mengen wurden Polychaeten und Strandkrabben sowie Nordseegarnelen (Crangon crangon) erbeutet. Auch LEOPOLD et al. (1998) fanden mit einer Häufigkeit von 73 % und einer hohen Diversität von 24 Arten hauptsächlich Plattfische in den Mägen von Tieren des niederländischen Wattenmeeres. Der Massenanteil machte 79 % aus. Unter den Plattfischen dominierten Schollen (Pleuronectes platessa; in 46 % von allen Proben), Klieschen (Limanda limanda; 34 %) sowie Flundern (Platichthys flesus; 19 %). Seezungen (Solea solea) traten lediglich zu 1 % in den Proben auf. LEOPOLD & VAN DAMME (2002) konnten jedoch feststellen, dass im Frhjahr die Nahrung der Kormorane auch zu einem bedeutenden Anteil aus Polychaeten der Art Nereis virens bestehen kann, welche zu dieser Jahreszeit zum Laichen in die Wassersäule aufsteigen und dann von Kormoranen erbeutet werden knnen. Ostsee Im Gegensatz zu den Kormoranen des Wattenmeeres verzehren Individuen der Ostsee weniger Plattfische, sondern berwiegend Hering (Clupea harengus) und Stichling (Gasterosteus aculeatus) sowie einige andere Sßwasserarten.

PREUß (2002) untersuchte Speiballen der Kolonie , nrdlich von Stralsund, in der Brutphase der Jahre 1997 und 1999. Stichlinge, Sandaale (Ammodytidae) und Pltze (Rutilus rutilus) dominierten die Nahrung. Darber hinaus wurden in Anteilen von meist weniger als 10 % Flussbarsch (Perca fluviatilis), Grundeln (Gobiidae), Plattfische, Dorschartige und einige andere Gruppen in der Nahrung gefunden. Untersuchungen der Vogelwarte Hiddensee an Kormoranen, die zwischen den Jahren 1959-1968 im Ostseeraum geschossen wurden, wiesen in den Proben jeweils 30 % Hering und Flussbarsch und 20 % Aal (Anguilla anguilla) nach (STRUNK & STRUNK 2005).

UBL (2004) untersuchte Mägen von 83 Kormoranen, die zwischen November 2002 und Juli 2003 in nrdlichen Bereichen des Greifswalder Boddens geschossen wurden. Am häufigsten trat der Stichling auf (84 %), gefolgt von weitaus geringeren Anteilen von Hering (6 %), Sandaal (5 %) und Barsch (2 %). Sonstige Fischarten kamen mit Anteilen unter 1 % vor. Über den Beprobungszeitraum hinweg konnten starke Veränderungen im Auftreten einzelner Beuteorganismen festgestellt werden. In Bezug auf die gefressene Biomasse war Hering die wichtigste Beute (55 %), gefolgt von Stichling (11 %) und Barsch (10 %).

GARTHE et al. (2008) untersuchten den Mageninhalt der Kormorane aus dem Zeitraum 2001 bis 2003 von Usedom. Bei dem Großteil der Vgel handelte es sich um Beifänge aus der Stellnetzfischerei. Von den in der Nahrung nachgewiesenen 12 verschiedenen Fischarten bzw. Fischfamilien machte der Kaulbarsch (Gymnocephalus cernuus) 43 %

221 der Beutebiomasse aus, gefolgt von Pltze mit 26 %, Flussbarsch und unbestimmten Fischen mit jeweils 6 %. Fischereilich bedeutsame Arten wie Zander (Sander lucioperca) und Aal stellten nur 1 % der Beutebiomasse.

Auch KIECKBUSCH (1993) und KIECKBUSCH & KOOP (1996) fanden fr Kormorane, die in der schleswig-holsteinischen Ostsee jagten, eine deutlich andere Nahrungszu- sammensetzung als in der Nordsee. Die Tiere ernährten sich hier berwiegend von Aalmuttern (Zoarces viviparus), Dorschen (Gadhus morhua), Seeskorpionen (Myoxo- cephalus scorpius) und Grundeln, wohingegen Aale, Sandaale und Plattfische nur in geringen Mengen erbeutet wurden. Binnengewässer Kormorane sind häufig auf stehenden Binnengewässern anzutreffen. Kormorane des Großen Plner Sees erbeuteten vor allem Stint, Kaulbarsch und Jungstadien von Flussbarschen sowie Pltzen (KIECKBUSCH & KOOP 1996). KNIEF (1994) ermittelte, dass einzeln jagende Tiere auf Binnenseen mehr Flussbarsche sowie Aale und Weißfische fraßen, wohingegen in Gruppen jagende Individuen einen viel hheren Anteil an Kaulbarschen erbeuteten.

14.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Kormorane sind tagaktive Vgel. Sie ruhen und putzen sich meist an Land und trocknen ihr Gefieder nach der Unterwasserjagd, da sie mit nassem Gefieder im Flugverhalten eingeschränkt sind. Auch jngere nichtbrtende Vgel kommen zum Schlafen in die Kolonie. Kormorane sind sehr gesellig. Ihre Kolonien knnen tausende von Paaren umfassen, auch fischen sie häufig in grßeren Trupps.

14.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 14.6.1 Gefährdungsursachen Kormorane sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen und Reusen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung)

222 Im Brut- und Landrastgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Menschliche Verfolgung im Rahmen sog. bestandsregulierender Maßnahmen (Vergrämungen am Brutplatz, Verhinderung der Ansiedlung, Zerstrungen der Horste und Gelege, Strungen durch Lasergewehre, Abschuss von Alt- und Jungvgeln etc.)

14.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Kormorane gegenber ausgewählten anthropogenen Gefährdungen Kormorane haben eine mäßig hohe Fluchtdistanz gegenber Schiffen, fliegen vor sich nähernden Schiffen aber fast immer auf. Gelegentlich zeigen sie auch Fluchtreaktionen durch Abtauchen (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.). Diese hohe Empfindlich- keit gegenber Schiffsverkehr kann zu einer Meidung häufig befahrener Strecken fhren. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Verkleine- rung oder Zerschneidung des Lebensraumes der Kormorane fhren, häufige Fluchtre- aktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringer- ter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkon- dition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Kormorane zeigen auf dem Weg zu Nahrungsgebieten oder Schlafplätzen eine hohe Flugaktivität, legen dabei auch grßere Entfernungen zurck und haben nur eine geringe Manvrierfähigkeit. Sie sind daher als sehr empfindlich gegenber einer Kollision mit Hindernissen, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, einzustufen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im oberen Bereich aller untersuchten Arten. Windparks knnen aufgrund ihrer Scheuch- wirkung sowie durch zusätzliches Schiffsaufkommen zu Lebensraumzerschneidung und Habitatverlust fhren. Beim Zug kann es neben der direkten Mortalität durch Kollision (insbesondere bei schlechten Wetterbedingungen) zudem auch durch die Barrierewirkung der Anlagen zu einem weiträumigen Umfliegen kommen. Dies kann zu einem erhhten Energieverbrauch und damit mglicherweise zu Konditionsminde- rung bis hin zu indirekt hervorgerufener Mortalität fhren. Da Kormorane ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie sehr anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung des Vogelvorkommens mit der Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten durch Ertrinken kommen, da die dnnen Monofilament-Netze fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). In der Pommerschen Bucht findet derzeit eine intensive Stellnetzfischerei mit weitmaschigen Netzen auf Zander und Dorsch statt, insbesondere im Greifswalder Bodden und in den Kstengewässern bis zur 10 m

223 Tiefenlinie. In diesen Gebieten kommen fast ganzjährig auch Kormorane in z.T. großer Anzahl vor. Nach KUBE (2004) ertrinken alljährlich hunderte von Kormoranen in Stellnetzen und Reusen. SCHIRMEISTER (2003) beschreibt, dass seewärts vor Usedom nur selten Kormorane in den Stellnetzen ertrinken, nennt aber hohe Verluste in Aalreusen. In 12 Wintern errechnete er aus einer nur stichprobenhaften Kontrolle v.a. von Reusen aus dem Stettiner Haff knapp 2.000 Opfer. Dabei berwogen Jungvgel deutlich, während Altvgel die Fischereigeräte offensichtlich mieden. Im IJsselmeer (Niederlande) ertrinken pro Jahr etwa 260 Kormorane in Stellnetzen, etwa 3 % des maximal anwesenden Bestandes (VAN EERDEN et al. 1999). Es ist davon auszugehen, dass insbesondere Reusen einen Attraktionseffekt auf Kormorane ausben, da die Vgel beim Versuch, gefangene Fische aus den Reusen zu erbeuten, ertrinken knnen. Auch bei Stellnetzen knnte es zu einem derartigen Attraktionsef- fekt kommen. Da die Nahrung der Kormorane aber zu einem großen Teil auch aus kommerziell unbedeutenden Fischarten besteht (s. Kapitel 14.5.6), verfangen sich die Kormorane vermutlich nur aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Kormorane halten sich insbesondere bei der Fischjagd häufig in großen Gruppen auf dem Wasser auf. Daher sind sie sehr empfindlich gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwick- lungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Kormorane ernähren sich opportunistisch von einer Vielzahl verschiedener Beutearten und nutzen auch verschiedene Beutegrßen (s. Kapitel 14.5.6). Je nach verfgbaren Fischbeständen knnen sie ihre Nahrungspräferenzen leicht ändern (LEOPOLD et al. 1998). Zudem knnen Kormorane auf der Suche nach Nahrung auch grßere Entfer- nungen zur Kolonie zurcklegen und daher auch weiter entfernte Nahrungsgrnde nutzen. Sie sind daher momentan nicht durch Nahrungsverknappung durch die aktuell bestehende Fischerei gefährdet. Kormorane waren und sind immer wieder Opfer menschlicher Verfolgung, die zu Beginn und erneut ab Mitte des 20. Jahrhunderts zu starken Bestandseinbrchen in

224 Mitteleuropa fhrte. An den Brutplätzen kommt es immer wieder zu Vergrämungen und Verhinderung der Ansiedlung, Zerstrungen der Horste und Gelege, Strungen durch Lasergewehre sowie Abschuss von Alt- und Jungvgeln. Im Winter bestehen Gefährdungen v.a. durch Strungen an Rast- und Schlafplätzen sowie durch Abschuss in den Nahrungsgebieten. Basierend auf dem Artikel 9 der EU-Vogelschutzrichtlinie, nach der Maßnahmen u.a. zur Abwendung erheblicher Schäden an Fischereigebieten und Gewässern oder zum Schutze der heimischen Tier- und Pflanzenarten zulässig sind, sofern Schäden nachgewiesen sind und es keine wirksamen Alternativlsungen gibt, ermglicht es der § 43 des Bundesnaturschutzgesetzes, Sondergenehmigungen zur Ttung der Kormorane zu erteilen. Sie werden von den zuständigen Landesbehr- den erlassen, existieren mittlerweile in verschiedenen Bundesländern, u.a. in Schles- wig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, und ermglichen immer intensivere Eingriffe (z.B. fr Mecklenburg-Vorpommern zusammengestellt in KUBE 2004). Nicht selten kommt es zusätzlich auch noch zu illegalem Vorgehen gegen Kormorane. Im Juni 2005 wurden in der Brutkolonie innerhalb des Naturschutzgebietes und EU- Vogelschutzgebietes Anklamer Stadtbruch in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 6.000 Kormorane angeschossen und erlegt, darunter auch zahlreiche Altvgel, deren unversorgte Jungtiere dann ebenfalls verendeten (VON LINDEINER 2004). Auch fr Schleswig-Holstein beschreiben KIECKBUSCH & KOOP (1996) gezielte Strungen und auch illegale Eingriffe in das Brutgeschehen der Kormorane, obwohl diese dort berwiegend in Naturschutzgebieten brten. Den Einschätzungen der „erheblichen Schäden durch Kormorane“ gemäß den Kormoranrichtlinien fehlen häufig die wissenschaftlichen Grundlagen, neue Ergebnisse aus modernen Forschungsvorhaben bleiben oft unbercksichtigt. Der Nahrungsbedarf der Kormorane unterliegt im Jahresverlauf starken Schwankungen, neben der täglichen Nahrungsmenge muss zudem auch die Nahrungszusammensetzung bekannt sein, die regional jedoch meist sehr unterschiedlich ist. Fr die Kormorane in den Boddengewässern Mecklenburg- Vorpommerns beschreibt KUBE (2004) einen jährlichen Fischkonsum von nur 5-10 % der Fangerträge der Fischerei, wovon etwa 30 % auf kommerziell ungenutzte Fischarten entfallen. Die brigen 70 % betreffen berwiegend Arten, deren Fangquo- ten derzeit nicht ausgeschpft sind bzw. fr die keine teuren Besatzmaßnahmen durchgefhrt werden (Hering, Flussbarsch), so dass von einem Fangverlust fr die Fischer durch Kormorane in den Kstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns nicht die Rede sein kann. An Seen und Teichen, wo es durch Kormorane durchaus zu wirtschaftlichen Schäden kommen kann, werden den Betreibern hohe Ausgleichszah- lungen gewährt. Zudem knnen in solchen Gebieten nicht-invasive Abwehrmaßnah- men, wie z.B. das Abdecken der Teiche mit Netzen, relativ einfach durchgefhrt werden. Finanzielle Einbußen fr die Kstenfischer, z.B. durch angebissene Fische in

225 den Reusen oder Schäden an Netzen, werden ebenfalls durch Schadensersatzzahlungen ausgeglichen (KUBE 2004). Kormorane beginnen meist ab dem dritten Lebensjahr mit der Fortpflanzung, haben eine mittlere Anzahl von Jungvgeln und eine im Vergleich zu anderen Seevogelarten eher hohe Altvogelmortalität. Sie besitzen eine große kologische Plastizität und knnen beispielsweise bei geringer intraspezifischer Konkurrenz mehr Eier legen. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Der Status der Kormorane in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. Auf der Roten Liste Deutschlands steht er auf der Vorwarnliste (Tab. 14-3). Da der Kormoran zwischen- zeitlich einen gnstigen Erhaltungszustand erreicht hatte, wurde er mit Erlass der Richtlinie 97/49 der EG-Kommission zur Änderung der Vogelschutzrichtlinie im Jahre 1997 aus dem Anhang I gestrichen. Sein Schutzstatus als europäische Vogelart im Sinne von Art. 1 V-RL blieb aber erhalten (CZYBULKA 2007).

Tab. 14-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Kormorane in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + V + + + + + Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPEC - III -

14.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Aufgrund ihres typischen Erscheinungsbildes sowie der geringen Fluchtdistanz vor Schiffen und Flugzeugen sind Kormorane von beiden Zählplattfor- men aus gut zu entdecken und zu bestimmen. Fr die Erfassung sind daher beide Methoden gut geeignet. Ksten Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

14.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit

226 - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglicher Habitatverluste durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

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15 Tordalk

Alca torda Linnaeus 1758

GB: Razorbill NL: Alk

DK: Alk Foto: S. Garthe S: Tordmule Abb. 15-1: Tordalk im PK PL: Alka

15.1 EU-Code A200

15.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Alcidae - Alken

15.3 Kennzeichen Kräftiger Alkenvogel mit schwärzlichem Kopf, schwärzlicher Oberseite und weißer Unterseite. Schnabel hoch, stumpf und seitlich abgeflacht, schwarz mit weißer Querlinie. Im PK mit dunklem Kopf sowie weißem Querstreifen vor Schnabelspitze und weißer Linie oberhalb des Zgels. Im SK mit variablem Weißanteil an Kopfseiten, weißer Zgelstreif fehlend. Verwechslungsmglichkeiten: mit Trottellumme. Tordalk schwärzer, Flanken, Achseln und Unterflgeldecken weiß. Im Flug mit schmaler schwarzer Brzelregion und viel Weiß an den Seiten; Fße von langem Schwanz verdeckt.

15.4 Verbreitung 15.4.1 Welt / Europa Tordalken brten berwiegend an steilen Klippen felsiger Kstengebiete und auf Offshore-Inseln in den borealen bis subarktischen Zonen auf beiden Seiten des Atlantiks. Im O-Atlantik erstreckt sich das Brutgebiet vom Weißen Meer und der Murmanskkste ber N-Norwegen bis Schweden und entlang der Ostseekste sowie von Island ber die britischen Inseln bis nach NW-Frankreich.

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Man unterscheidet zwei genetisch nur geringfgig differenzierte Unterarten: 1. die Nominatform A. t. torda (Arktis, Ostsee, Weißes Meer) und 2. die Unterart A. t. islandica (brtet von Island ber die Färer Inseln bis nach W-Europa). Die Unterart islandica gilt in Mitteleuropa als lokaler Brut- und Sommervogel. Die Nominatform kommt dagegen aus N-Fennoskandien und N-Russland als Wintergast an die Ostseeksten, wohl aber auch an die Ksten der Nordsee.

Der globale Bestand der Tordalken beträgt 610.000-630.000 Paare (MITCHELL et al. 2004). Der grßte Anteil der Weltpopulation brtet in NW-Europa, mit den grßten Kolonien auf Island (DEL HOYO et al. 1996, GASTON & JONES 1998). An der Nordsee liegen die grßten Brutgebiete auf den Britischen Inseln. Im Juni / Juli, wenn die Tordalken nach Abschluss des Brutgeschäftes in die Offshore- Bereiche zur Jungenaufzucht und Mauser ziehen, befinden sich vor der schottischen Nord- und Ostkste hohe Konzentrationen (SKOV et al. 1995). Nach der Mauser berqueren viele Tordalken die Nordsee auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete im Skagerrak und Kattegat. Weitere wichtige Überwinterungsgebiete befinden sich entlang der sdlichen Nordsee und im Englischen Kanal. Insbesondere bei immaturen Tordalken erstrecken sich die Überwinterungsgebiete bis nach Marokko und ins Mittelmeer (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, CRAMP 1985, SKOV et al. 1995, STONE et al. 1995, WERNHAM et al. 2002).

Nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) bilden die europäischen Brutvgel zusammen einen Brutbestand von 430.000-770.000 Paaren. Durch WETLANDS INTERNATIONAL (2006) wird fr Tordalken keine biogeografische Population definiert. MITCHELL et al. (2004) fassen als biogeografische Einheit jedoch den Brutbestand NW-Europas zusammen, KUBE et al. (2005a) definieren die Vgel der Ostsee als biogeografische Population (Tab. 15-1).

Tab 15-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zur biogeografischen Population „NW- Europa“ (MITCHELL et al. 2004) und zur biogeografischen Population der Tordal- ken in der Ostsee (KUBE et al. 2005a). Der Bestand der NW-europäischen biogeo- grafischen Population bezieht sich auf brtende Altvgel. Der Nichtbrteranteil wurde nicht bercksichtigt. Art/ Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium A. t. NW-Europa NW-Europa k.A. 1,06 Mio. k.A. 10.600 islandica A. t. torda k.A. Ostsee Ostsee 55.000 k.A. 550

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15.4.2 Deutschland Status: Brutvogel auf Helgoland (Unterart islandica); Durchzgler und Wintergast auf Nord- und Ostsee (Nominatform und Unterart islandica) Die auf der deutschen Nordsee vorkommenden Tordalken gehren zur biogeografi- schen Population „NW-Europa“ nach MITCHELL et al. (2004), die auf der deutschen Ostsee vorkommenden Tordalken zu einer weiteren biogeografischen Population, die von KUBE et al. (2005a) definiert wurde. Die Brutvgel der Ostsee knnen insofern als eigene biogeografische Population betrachtet werden, als dass nur vereinzelte Vgel westwärts bis zum Kattegat und zum Skagerrak vorkommen, um dort zu berwintern (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, DURINCK et al. 1994b). Tordalken brten in Deutschland nur auf Helgoland. Im Jahr 2006 betrug der Brutbestand dort 18 Paare (O. HÜPPOP, pers. Mitt.). Während der Wintermonate kommen Tordalken sowohl weiträumig auf der deutschen Nordsee als auch in den westlichen und stlichen Gebieten der deutschen Ostsee vor (Abb. 15-2). Der Rastbestand der Tordalken in Deutschland beträgt im Mittwinter ca. 11.000 Individuen (Tab. 15-2 und 15-3). Daten der deutschen Wasservogelzählung liegen fr diese Art nicht vor.

Abb. 15-2: Verbreitung der Tordalken auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Im Sommer und Herbst beschränkt sich das Vorkommen der Tordalken auf der Nordsee auf wenige Einzelnachweise, insbesondere im Bereich von Helgoland sowie im kstenfernen Offshore-Bereich. Das Hauptvorkommen ist in den Wintermonaten zu beobachten (Tab. 15-2). Entlang der Ksten kommt die Art verbreitet in geringen bis mittleren Dichten innerhalb des 20 m Tiefenbereiches vor, mit Häufungen westlich

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von Sylt sowie um Helgoland. Ein nahezu flächiges Vorkommen ist entlang der Ostfriesischen Inseln zu beobachten; die hchsten Konzentrationen befinden sich nrdlich von Borkum und Norderney und erstrecken sich bis in den Offshore-Bereich. Im zentralen und nrdlichen Offshore-Bereich befinden sich verstreut geringe bis mittlere Dichten der Tordalken. Ringfunde deuten darauf hin, dass die meisten Tordalken aus britischen Brutkolonien stammen (WERNHAM et al. 2002). Im Frhjahr kommen Tordalken berwiegend im kstenfernen Offshore-Bereich vor, insbesondere westlich von Helgoland. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Tordalken nur im Winter und Frhjahr regelmäßig als Rastvgel vor (Tab. 15-2); der grßte Bestand wird im Winter erreicht.

Tab. 15-2: Rastbestandszahlen der Tordalken fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitrum: 1996-2005). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): I: 1-5, II: 6-10, III: 11-50 Ind. Der Anteil an der biogeografischen Population bezieht sich auf die biogeografische Population "NW-Europa". Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 850 0,1 800 0,1 140 <0,1 Sommer III <0,1 II <0,1 0 0,0 Herbst I <0,1 0 0,0 0 0,0 Winter 7.500 0,7 4.500 0,4 700 0,1

Ostsee Tordalken kommen v.a. im Winter auf der deutschen Ostsee vor. In geringen bis mittleren Dichten tritt die Art in weiten Teilen des Ksten- und Offshore-Bereichs der Pommerschen Bucht und weiter westwärts bis Zingst auf. Grßere Anzahlen halten sich auch in der Mecklenburger Bucht auf, kleinere Vorkommen gibt es in der Kieler Bucht. Nach KUBE et al. (2005a) kommen Tordalken im Winter auch in großer Anzahl in der Arkonasee vor. Zum Frhjahr hin verringert sich die Anzahl stark und es halten sich nur verstreute, kleinere Vorkommen in den stlichen Gebieten auf. Im Sommer und Herbst gibt es nur vereinzelte Nachweise auf der deutschen Ostsee. Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Tordalken v.a. im Winter mit einem grßeren Rastbestand vor. Im Frhjahr und Sommer halten sich deutlich geringere Anzahlen dort auf, während im Herbst kein regelmäßiger Rastbestand im Gebiet nachzuweisen ist (Tab. 15-3).

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Tab. 15-3: Rastbestandszahlen der Tordalken fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzäh- lungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitrum 2000-2005). Grßenklassen (in An- lehnung an Standarddatenbogen): II: 6-10, III: 11-50 Ind. Der Anteil an der bio- geografischen Population bezieht sich auf die biogeografische Population der Ost- see. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. Ostsee biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 1.000 1,8 440 0,8 II <0,1 Sommer 110 0,2 III ≤0,1 III ≤0,1 Herbst III ≤0,1 III ≤0,1 0 0,0 Winter 3.600 6,5 310 0,6 110 0,2

15.4.3 Bestandsentwicklung Aufgrund der schwierigen Erfassbarkeit der Tordalken, vor allem in großen Kolonien, sind Bestandstrends nur fr wenige geografische Bereiche von Aussagekraft. Insgesamt drfte der Trend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts positiv gewesen sein (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004), so z.B. auch fr die wichtigsten Nordseevor- kommen in NO-England und Schottland (MITCHELL et al. 2004). Helgoland wird seit 1975 durchgehend besiedelt, der Bestand erreichte 2005 und 2006 mit 18 Paaren seinen bisherigen Hchststand (O. HÜPPOP, pers. Mitt.).

15.5 Biologie / Ökologie 15.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: erste Brut mit 4-6 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen Brutzeit: Legebeginn je nach geografischer Lage, meist ab Mai, Ostsee Mitte Mai, Finnland Ende Mai; Brutdauer ca. 36 Tage Gelege: 1 Ei; 1 Jahresbrut; 1-2 Nachgelege mglich Kken: beide Eltern fttern, nach ca. 17-18 Tagen springen die noch nicht flugfähigen Kken von der Klippe (meist Ende Juli / An- fang August), und lassen sich von den Eltern auf das offene Meer fhren

15.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 16 Jahre Ältester Ringvogel: 30 Jahre 1 Monat; drei Tordalken, die als adulte Tiere beringt wurden, konnten auch nach 19 Jahren noch erfolgreich brten

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Sterblichkeit: NETTELSHIP & BIRKHEAD (1985) stellen verschiedene Studien zusammen, die besagen, dass die Überlebensraten von Tordal- ken etwa bei 80-90 % liegen

15.5.3 Mauser Im 1. KJ beginnt die postjuvenile Mauser (Teilmauser) im Oktober. Im 2. KJ vollziehen sich die 1. Prä- und die 1. Postnuptialmauser. Bei der Ersteren handelt es sich um eine Teilmauser (Februar-Mai), bei der Letzteren um eine Vollmauser (Juni- September). Adulte Vgel beginnen ihre Vollmauser Ende Juli / Anfang August mit dem Abwurf der Handschwingen (Abb. 15-3) bald nachdem sie die Kolonie verlassen haben. Sie begleiten ihre noch nicht flugfähigen Kken und sind dabei selbst einige Wochen flugunfähig, da die Schwungfedern synchron ersetzt werden (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985). In dieser Zeit sind Tordalken besonders empfindlich gegenber Strungen.

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 15-3: Mauserzyklus der Tordalken. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

15.5.4 Wanderungen Tordalken aus den nrdlichen Brutgebieten ziehen oft im Winter in sdlichere Bereiche, Brutvgel der sdlich gelegenen Brutgebiete (z.B. Ostsee) berwintern hingegen oft in der Nähe ihrer Kolonien. Nur die Jungvgel fhren weite Streuungs- wanderungen durch. Die noch nicht flugfähigen Jungvgel verlassen zusammen mit ihren Eltern ab etwa Mitte Juli die Kolonie und bewegen sich schwimmend von der Kolonie fort. A. t. islandica Nachdem die atlantischen Tordalken die Mauser abgeschlossen haben, berqueren viele Brutvgel der Britischen Inseln die Nordsee auf dem Weg in die Überwinte- rungsgebiete im Skagerrak und Kattegat. Wichtige Überwinterungsgebiete befinden sich zudem entlang der sdlichen Nordsee und im Englischen Kanal. Insbesondere bei immaturen Tordalken erstrecken sich die Wintergebiete auch bis nach Marokko und ins Mittelmeer (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, CRAMP 1985, SKOV et al. 1995, STONE et al. 1995, WERNHAM et al. 2002). Meist kehren Tordalken zwischen Anfang

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März und Mitte April zu den Brutkolonien zurck, einige Kolonien knnen aber auch schon Anfang Februar oder frher besetzt sein (DEL HOYO et al. 1996). Winterliche Koloniebesuche finden gewhnlich erst ab dem späten Winter statt, auf den Britischen Inseln werden die Brutplätze jedoch z.T. schon ab Oktober sporadisch aufgesucht (GREENWOOD 1972, TAYLOR & REID 1981, NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, GASTON & JONES 1998). A. t. torda Die Vgel der Ostsee-Population berwintern in der sdlichen und westlichen Ostsee. Ab Juli / August, sobald die Jungen die Kolonie verlassen haben, beginnt der Wegzug in die Winterquartiere. Zumindest Tordalken von der Kolonie Græsholmen wandern mit ihren Jungen nach Nordosten ab (LYNGS 1992). Auf Hiddensee knnen ab Oktober, wenn sich die Jungvgel ber die gesamte Ostsee verteilen, Tordalken beobachtet werden (DIERSCHKE & HELBIG 1997). Ab April / Mai ist dort ein ausgeprägter Zuggipfel zu verzeichnen, wobei der Heimzug aus den Überwinterungs- gebieten schon ab Februar / März beginnt.

15.5.5 Habitat Als Brutplätze bevorzugen Tordalken steile Felsklippen mit schmalen Felsbändern oder Vorsprngen (zur Verbreitung s. Kapitel 15.4.1). Sie besiedeln aber auch Plattformen auf hohen Klippen. Oft brten Tordalken am Rande oder etwas abseits von anderen Seevogelkolonien, sie wählen in den Klippen oft tiefere Brutplätze als Trottellummen und legen ihre Nester auch in Hhlen oder Halbhhlen an. Außerhalb der Brutzeit halten sich Tordalken ganzjährig auf dem Meer in Bereichen des Kontinentalschelfs auf, sind dabei aber kstennäher als Trottellummen zu beobachten. Auch anhand der Nahrung kann besonders im Vergleich mit der Trottel- lumme auf kstennähere Aufenthaltsgebiete geschlossen werden (BLAKE 1984, OUWEHAND et al. 2004). In diesen Bereichen ist häufig auch ein reduzierter Salzgehalt vorhanden (GASTON & JONES 1998). Fr die Deutsche Bucht wurde ein Zusammen- hang zwischen der Tordalken-Verbreitung und der Bodentopographie beschrieben: im Oktober 1993 konnten hohe Vogeldichten am Übergang von geringeren zu grßeren Wassertiefen sowie an Hangstrukturen beobachtet werden (MARKONES 2003). Über den Aktionsradius im Umkreis der Brutkolonien ist nur wenig bekannt. Auf der Isle of May (Schottland) gingen Tordalken in den Jahren 1986 und 1987 während der Jungenaufzucht bevorzugt in denjenigen flachen Gewässern auf Nahrungssuche, die mehr als 10 km von der Kolonie entfernt waren (WANLESS et al. 1990). Immature Vgel halten sich die ersten 2-3 Jahre nur auf See auf, danach besuchen sie die Kolonien, ohne zu brten.

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15.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Tordalken erbeuten ihre Nahrung durch Verfolgungstauchen, indem sie sich mit ihren kurzen Flgeln unter Wasser fortbewegen. In einer Studie auf Græsholmen (zentrale Ostsee, Dänemark) fanden BENVENUTI et al. (2001) heraus, dass kkenaufziehende Tordalken bei der Beutejagd v.a. nach Sprotten (Sprattus sprattus) mittlere Tauchtie- fen von 6-24 m erzielten. Die maximale Tauchtiefe lag bei 43 m. Tordalken bringen zur Ftterung der Jungen, genau wie Trottellummen, meist nur ein Beuteobjekt in die Kolonie. Insgesamt besteht die Nahrung der Tordalken berwiegend aus kleinen pelagischen Schwarmfischen. Insbesondere Heringsfische (Clupeidae), Stichlinge (Gasterosteidae) und Sandaale (Ammodytidae) werden häufig gefressen. Daneben treten auch benthische Fischarten wie Grundeln (Gobiidae) auf. Nur gelegentlich werden Dorschartige (Gadidae) und Invertebraten (v.a. Polychaeten und Crustaceen) aufgenommen (MADSEN 1957, BLAKE 1983, 1984). Ostsee MADSEN (1957) untersuchte die Nahrung von 120 geschossenen Tordalken auf der dänischen Ostsee. In 97 % der Mägen wurden Fische nachgewiesen. Hier dominierten Stichlinge (Gasterosteus spec.; 40 %), gefolgt von Heringen (Clupea harengus; 34 %). Heringe stellten dabei den hchsten Masseanteil in der Nahrung dar. Grundeln (32 %) und Dorschartige (10 %) erreichten ebenfalls relativ hohe Werte. Marine Wirbellose wie Crustaceen, Polychaeten und Mollusken wurden nur in wenigen Fällen nachge- wiesen.

LYNGS (2001) analysierte während der Brutzeit der Jahre 1983-2000 in der Kolonie Græsholmen Nahrungsreste der Tordalken. 89 % der Nahrungsobjekte waren Sprotten, der Rest bestand berwiegend aus Sandaalen.

Nach einem Tankerunglck im Dezember 1980 im Skagerrak untersuchte BLAKE (1983) die Nahrung von verendeten Alken. Im Vergleich zu Trottellummen fraßen Tordalken wesentlich mehr Sandaale und weniger Gadiden. Am häufigsten traten jedoch Grundeln auf. Invertebraten waren insgesamt selten. Nordsee Mägen von im Winter an die niederländische Kste angesplten Tordalken enthielten vor allem Stichlinge. In einigen Fällen konnten Sprotten und Sandaale gefunden werden (CAMPHUYSEN 1998). Auch in den Mägen von Vgeln, die nach der Havarie des Öltankers „Tricolor“ im Januar 2003 an die niederländische Kste angesplt wurden, wurden berwiegend Clupeiden (v.a. Sprotten) und Sandaale nachgewiesen. Im Vergleich zu Trottellummen

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war sowohl das Nahrungsspektrum als auch die Beutegrße deutlich geringer (OUWEHAND et al. 2004). Die Nahrung der Tordalken aus verschiedenen Kolonien in Großbritannien besteht berwiegend aus Sandaalen und in geringeren Mengen aus Heringen bzw. Sprotten (BLAKE 1984, HARRIS & WANLESS 1986, HARRIS & RIDDIFORD 1989, SWANN et al. 1991).

15.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Tordalken sind tag- und dämmerungsaktiv. Sie jagen einzeln und knnen mit Hilfe ihrer Flgel mehrere Meter tief tauchen, sie sind aber schlechte Flieger mit geringer Manvrierfähigkeit. Meist fliegen sie dicht ber der Meeresoberfläche. Besonders zu Beginn der Brutzeit sind Tordalken sehr nervs und verlassen ihren Nistplatz, sobald sie von Mwen oder Menschen gestrt werden.

15.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 15.6.1 Gefährdungsursachen Tordalken sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen (Ostsee) - Verlung - Reduzierung des Nahrungsangebotes durch Überfischung (Sandaale, Sprotten, Jungheringe) - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Verluste in treibenden Netzresten und Mll Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Bejagung (derzeit nur lokal von Bedeutung) - Strungen an Brutplätzen

15.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Tordalken gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Tordalken sind empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Sie reagieren auf sich nähernde Schiffe häufig durch Abtauchen, gelegentlich auch durch Auffliegen (FTZ unverffentl.). Auch ohne eigentliches Fluchtverhalten weisen Tordalken bei sich nähernden Schiffen Signale einer Stresssituation auf (häufiges, kurzes Untertau- chen des Kopfes), so dass sie durch Schiffe in ihren natrlichen Verhaltensweisen

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gestrt werden, und es insbesondere auf intensiv befahrenen Routen zu einem Zeitverlust fr Rast und Nahrungssuche kommen kann. Dies kann zu einer Verringe- rung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Tordalken sind schlechte Flieger und knnen nur sehr schlecht manvrieren. Aller- dings verbringen sie wenig Zeit fliegend, die nächtliche Flugaktivität ist sehr gering und sie sind relativ flexibel in ihrer Habitatwahl. Die Empfindlichkeit gegenber Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen, ist daher insgesamt als eher gering einzustufen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten. Aufgrund von Unterschieden in der Überlebensrate adulter Vgel, der Populationsgrße und ihrem europäischem Schutzstatus ist der Wert der Tordalken jedoch etwas hher als bei Trottellummen. Die Nahrung der Tordalken in der Nordsee besteht berwiegend aus kleinen, pelagi- schen Schwarmfischen wie Sprotte, Hering und Sandaal (BLAKE 1984, OUWEHAND et al. 2004), Arten, die auch kommerziell von großer Bedeutung sind. In der Ostsee spielen neben Heringsfischen zusätzlich noch Stichlinge und Grundeln eine Rolle (MADSEN 1957, LYNGS 2001). Die Nahrung zur Kkenaufzucht besteht in den britischen Kolonien berwiegend aus Sandaalen (HARRIS & WANLESS 1986, SWANN et al. 1991, vgl. Kapitel 15.5.6). Tordalken sind somit durch eine Reduktion des Nahrungsangebotes durch Überfischung der Hauptbeutefischarten gefährdet. Durch die industrielle „Gammelfischerei“ werden aus der Nordsee große Mengen Sandaale und Heringsfische entnommen, so dass hier eine starke Konkurrenz um Ressourcen besteht. In der Ostsee sind die Anlandungen von Sprotten in den 1990er Jahren um das fnffache angestiegen (ANONYMUS 2000). Indirekt kann zudem auch eine Beeinträch- tigung oder Zerstrung der Sandaal-Habitate beispielsweise durch Sedimentabbau eine Verschlechterung der Nahrungssituation zur Folge haben. Im Winter kann ein ungengendes Nahrungsangebot zu hoher Mortalität von Tordalken fhren (z.B. BLAKE 1984). Ein ungengendes Sandaal-Angebot zur Brutzeit war in den Jahren 2004 und 2005 fr einen niedrigen Bruterfolg in zahlreichen Kolonien an der Ostkste Großbritanniens verantwortlich (ICES 2006). Da Tordalken ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit starker Überlappung von Vogelvorkommen und Stellnetzfischerei drften die Verluste im Verhältnis zur Abundanz ähnlich hoch sein wie fr Trottellummen beschrieben (vgl. Kapitel 16). SCHIRMEISTER (2003) erfasste im Winter regelmäßig einzelne Tordalken als Opfer in der Stellnetzfischerei vor Usedom, obwohl die Art dort nur in sehr geringer Anzahl vorkommt. Besonders gefährlich sind die dnnen Monofilament-Netze, da sie fr

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tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). Tordalken ernähren sich in der Ostsee neben Stichlingen und Grundeln von Heringsartigen. Somit konkurrieren sie u.U. mit der Stellnetzfischerei um dieselbe Ressource. Bei der kommerziellen Fischerei werden allerdings viel grßere Grßenklassen genutzt. Mglicherweise ist aber eine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungs- suchenden Vgel gegeben. Tordalken kommen in der Pommerschen Bucht aber auch aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den dort in großer Anzahl eingesetzten weitmaschigen Netzen auf Dorsch und Zander um. Tordalken verbringen einen Großteil des Jahres schwimmend auf dem Meer und knnen lokal auch in hheren Konzentrationen auftreten. Sie besitzen daher eine hohe Empfindlichkeit gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen) und gehren zu den häufigsten Ölopfern in der sdlichen Nordsee (z.B. CAMPHUYSEN 1989, 1990, VAUK et al. 1989). An der deutschen Nordseekste wiesen Tordalken im Winter 2001 / 02 mit 52 % nach Sterntauchern die hchste Verlungsrate aller bei Splsaumkontrollen erfassten Vogelarten auf (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswir- kungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entste- hende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Aufgrund ihrer Vermehrungsstrategie mit einer hohen Überlebensrate adulter Tiere, aber einer späten Geschlechtsreife und niedrigen Fortpflanzungsrate mit nur einem Kken pro Jahr, gehren Tordalken zu den Arten, die Mortalitätsverluste nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Bedingungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Da Tordalken frhestens im vierten Lebensjahr mit der Brut beginnen, machen sich Veränderungen im Altvogelbestand erst verzgert in den Kolonien bemerkbar.

Der Status der Tordalken in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft. Als Brutvgel sind sie in Deutschland mit einem

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geringen Bestand auf Helgoland beschränkt und daher als Art mit geografischer Restriktion auf der Roten Liste gefhrt (Tab. 15-4).

Tab. 15-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Tordalken in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt R entfällt P entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPECE - III -

15.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zu den Schiffszählungen sind Tordalken und Trottellum- men bei ungnstigen Lichtbedingungen vom Flugzeug aus nicht immer gut unter- scheidbar. Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

15.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Ursachen der kstennahen Vorkommen in der Deutschen Bucht - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

239 16 Trottellumme

Uria aalge (Pontoppidan 1763)

GB: (Common) Guillemot NL: Zeekoet

DK: Lomvie Foto: N. Sonntag S: Sillgrissla Abb. 16-1: Trottellumme im PK PL: Nurzyk

16.1 EU-Code A199

16.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Alcidae - Alken

16.3 Kennzeichen Großer Alkenvogel mit bräunlichem Kopf und bräunlicher Oberseite, weißer Unterseite und dunkel gestrichelten Flanken. Schnabel lang und spitz. Im PK mit braunem Kopf und Hals, im SK mit variablem Weißanteil an Kopfseiten (in der Regel mehr weiß als beim Tordalk) und schwarzem Augenstreif. Variante: „Ringellummen“ mit weißem Augenring und Lidstrich. Der Anteil dieser Morphe nimmt in allen Populationen nach Norden hin zu. Verwechslungsmglichkeiten: mit Tordalk. Trottellumme bräunlicher, Flanken, Achseln und Unterflgeldecken unterschiedlich stark dunkel gestrichelt. Im Flug mit breit dunkler Brzelregion und nur wenig weiß an den Seiten; Fße berstehend.

16.4 Verbreitung / Bestand 16.4.1 Welt / Europa Trottellummen brten auf flachen Inseln und an steilen Klippen in den borealen und subarktischen Regionen des N-Atlantiks und des Pazifiks. Im O-Atlantik erstreckt sich das Brutareal von Novaja Semlja im äußersten Norden Russlands ber Spitzbergen, die Bäreninsel, Norwegen, Island, Irland und Großbritannien bis in die Ostsee und bis nach Spanien. Die grßten Kolonien befinden sich auf Island und den britischen Inseln

240 (CRAMP et al. 1985, DEL HOYO et al. 1996). Auf den Gewässern vor den großen Kolonien in Schottland und NO-England befinden sich ganzjährig große Trottellum- men-Konzentrationen. Zur Brutzeit beherbergt dieses Gebiet 95 % aller Trottellummen des Nordsee-Bestandes auf See und bildet somit ein Gebiet internationaler Bedeutung fr diese Art (SKOV et al. 1995). Es werden bei Trottellummen insgesamt fnf Unterarten unterschieden: Im Atlantik und im paläarktischen Nordmeer kommen drei Unterarten vor, die sich klinal in Krpermaßen und Färbung unterscheiden, aber genetisch nicht klar differen- ziert sind: U. a. aalge, U. a. albionis und U. a. hyperborea. Im Nordpazifik kommen zwei weitere Unterarten vor (U. a. californica und U. a. inornata), die sich in ihrer Grße unterscheiden. Genetisch sind diese deutlich von den atlantischen Vgeln differenziert. Der globale Brutbestand beträgt nach MITCHELL et al. (2004) ca. 7,3 Mio. Brutpaare. In Europa brten nur zwei der hier genannten Unterarten: U. a. aalge brtet von Labrador, Neufundland bis Island, Schottland und Norwegen sowie an der Ostsee von Dänemark bis S-Finnland. U. a. albionis brtet von SW- Schottland ber Irland bis zur Bretagne und in Deutschland auf Helgoland. An der deutschen Nordseekste ist diese Unterart meist ganzjährig anzutreffen.

Nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) bilden die europäischen Brutvgel zusammen einen Brutbestand von 2,0-2,7 Mio. Paaren.

Nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) werden fr Trottellummen keine biogeogra- fischen Populationen definiert. MITCHELL et al. (2004) fassen als biogeografische Einheit jedoch den Brutbestand des N-Atlantiks zusammen und KUBE et al. (2005a) trennen zudem die Ostsee-Brutvgel als eigene biogeografische Population ab (Tab. 16-1), da es nur vereinzelte Nachweise fr eine westwärtige Bewegung von Ostseev- geln bis zum Kattegat und zum Skagerrak gibt (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985).

Tab 16-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu der nordatlantischen biogeografischen Population (MITCHELL et al. 2004) und zur biogeografischen Population der Trot- tellummen in der Ostsee (KUBE et al. 2005a). Der Bestand der nordatlantischen bio- grafischen Population bezieht sich auf brtende Altvgel, der Nichtbrteranteil wurde nicht bercksichtigt. Art/ Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium U. aalge N-Atlantik Atlantik k.A. 5,6-5,8 Mio. k.A. 20.000 U. aalge k.A. Ostsee Ostsee 50.000 k.A. 500

241 16.4.2 Deutschland Status: Brutvogel auf Helgoland; Durchzgler, Sommer- und Wintergast auf Nord- und Ostsee. Die auf der deutschen Nordsee vorkommenden Trottellummen gehren zur biogeogra- fischen Population „N-Atlantik“. Trottellummen auf der deutschen Ostsee sind weniger leicht zuzuordnen. Nach DURINCK et al. (1994b) berwintern die meisten Brutvgel der Ostsee auf der zentralen Ostsee in der Nähe der Brutkolonien und erreichen nach NETTLESHIP & BIRKHEAD (1985) nicht Kattegat und Skagerrak, während Brutvgel der atlantischen Kolonien z.T. weite Wanderungen unternehmen und in großer Anzahl im Kattegat berwintern. Trottellummen in der Pommerschen Bucht werden als zur Brutpopulation der Ostsee gehrig angesehen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass auch einzelne atlantische Vgel dieses Gebiet erreichen. Trottellummen in der westlichen Ostsee (Kieler Bucht) wandern vermutlich ber das Kattegat ein, doch knnen auch einzelne Vgel der Population der Ostsee dort vorkommen (J. DURINCK, pers. Mitt.). Trottellummen brten in Deutschland nur auf Helgoland. Im Jahr 2006 betrug ihr Brutbestand 2.655 Paare (O. HÜPPOP, pers. Mitt.). Trottellummen kommen ausschließlich auf dem Meer vor und halten sich ganzjährig auf Nord- und Ostsee auf. Im Winter sind sie auf der gesamten deutschen Nordsee weit verbreitet, auf der Ostsee liegen die Schwerpunkte stlich von Rgen (Abb. 16-2). Der Rastbestand in Deutschland beträgt im Mittwinter 34.500 Tiere (Tab. 16-2 und 16-3). Daten von der deutschen Wasservogelzählung liegen fr Trottellummen nicht vor.

Abb. 16-2: Verbreitung der Trottellummen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nord- see: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

242 Nordsee Trottellummen halten sich ganzjährig auf der deutschen Nordsee auf (Tab. 16-2). Im Sommer kommen sie stark konzentriert im Umkreis der Brutkolonie auf Helgoland vor, mit sehr hohen Dichten in unmittelbarer Umgebung der Insel sowie niedrigen bis mittleren Dichten in einem Umkreis von etwa 30 km. In den brigen Bereichen kann man Trottellummen verstreut in geringerer Anzahl beobachten. Im Herbst zeigen Trottellummen eine hohe Konzentration im Offshore-Bereich mit Wassertiefen zwischen 40 und 50 m. Auf der brigen deutschen Nordsee kommen sie verstreut in geringen Dichten vor, mit einer Häufung der Nachweise um Helgoland. Im Winter erreichen Trottellummen auf der deutschen Nordsee die grßten Anzahlen und sind nahezu im gesamten Gebiet weit verbreitet. Insbesondere innerhalb des 20 m Tiefenbe- reiches vor den Ostfriesischen Inseln sowie im Umkreis von Helgoland befinden sich weiträumige Vorkommen mit teilweise hohen Dichten. Im Frhjahr ist die Verbreitung stark durch die Rckkehr zu den Brutplätzen beeinflusst. Viele Brutvgel haben die sdwestliche Nordsee bereits in Richtung der Kolonien verlassen. Auf der deutschen Nordsee sind insbesondere in den Kstenbereichen nur noch sehr vereinzelt Vgel zu beobachten. Hhere Konzentrationen befinden sich im zentralen Offshore-Bereich sowie um Helgoland, wo im Laufe der zweiten Aprilhälfte das Brutgeschäft beginnt (GRUNSKY 1994). Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Trottellummen ganzjährig vor (Tab. 16-2); den grßten Bestand erreichen sie im Frhjahr, den geringsten im Sommer.

Tab. 16-2: Rastbestandszahlen der Trottellummen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitrum 1996-2005). Der Anteil an der biogeografischen Population bezieht sich auf die biogeografische Po- pulation "N-Atlantik". Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 18.500 0,3 15.500 0,3 2.600 0,1 Sommer 7.000 0,1 3.400 0,1 140 <0,1 Herbst 21.000 0,4 21.000 0,4 370 <0,1 Winter 33.000 0,6 27.000 0,5 1.300 <0,1

Ostsee Im Frhjahr, Sommer und Herbst kommen Trottellummen in geringer Anzahl verstreut in der Pommerschen Bucht vor. Einzelbeobachtungen liegen auch aus der Kieler, Hohwachter und Mecklenburger Bucht vor. Die hchsten Anzahlen erreichen Trottel-

243 lummen im Winter. Ihr Verbreitungsschwerpunkt befindet sich in den Offshore- Bereichen der Pommerschen Bucht, insbesondere in den tieferen Gewässern zwischen Oderbank und Adlergrund und nordwestlich des Adlergrundes. Des Weiteren befindet sich vor der Insel Hiddensee ein kleines Vorkommen. Auch in der Kieler und Meck- lenburger Bucht und entlang der Kste Rgens halten sich im Winter einzelne Trottellummen auf. Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Trottellummen ganzjährig vor (Tab. 16-3). Im Frhjahr sind die Bestände sehr gering, im Winter werden die grßten Anzahlen erreicht.

Tab. 16-3: Rastbestandszahlen der Trottellummen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstran- sektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Der Anteil an der biogeo- grafischen Population bezieht sich die biogeografische Population der Ostsee. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 180 0,4 III <0,1 III <0,1 Sommer 240 0,5 170 0,3 90 0,2 Herbst 150 0,3 150 0,3 80 0,2 Winter 1.500 3,0 950 1,9 550 1,1

16.4.3 Bestandsentwicklung In Europa gibt es regional sehr unterschiedliche, sich auch kurzzeitig ändernde Trends. Nach mehreren Jahrzehnten berwiegend zunehmender Bestände gibt es inzwischen in einigen Bereichen auch wieder Rckgänge, in der Nordsee haben die Brutbestände jedoch bis zur Jahrtausendwende weiter zugenommen (MITCHELL et al. 2004). Auf Helgoland ist der Bestand von 1840 (etwa 300 Paare) bis 1880 (etwa 2.500 Paare) kontinuierlich angewachsen. Danach gab es Rckgänge bis zu einem Tiefpunkt Mitte der 1970er Jahre (500 Paare), anschließend eine deutliche Zunahme bis Mitte der 1990er Jahre, seitdem schwankt der Brutbestand zwischen 2.000 und 3.000 Paaren (O. HÜPPOP, pers. Mitt.).

16.5 Biologie / Ökologie 16.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie

Geschlechtsreife: frhestens 4-jährig, meist aber mit 5 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, Paarbildung meist am Nistplatz, sehr ho- he Brutplatztreue, Partner finden sich oft im nächsten Jahr wieder

244 Brutzeit: erste Besuche am Brutplatz ab Oktober, ab Dezember dann häufiger, ab April regelmäßig; Legebeginn meist ab Mai, teils schon Ende April; Brutdauer 28-45 Tage; beide Eltern brten, Ab- lsung nach 12-24 Std. Gelege: 1 Ei; 1 Jahresbrut, bei frhem Verlust bis zu 2 Nachgelege Kken: beide Eltern fttern, ein Partner ist immer anwesend, nach 18-24 Tagen springen die noch nicht flugfähigen Kken vom Felsen („Lummensprung“; Ende Juni bis Mitte Juli), ein Elternteil fhrt das schwimmende Kken aufs Meer hinaus und fttert es noch längere Zeit, erst 10 Wochen nach Verlassen des Brutplatzes sind die Kken flugfähig

16.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 16 Jahre Ältester Ringvogel: > 32 Jahre Sterblichkeit: 60-80 % sterben bis zur Geschlechtsreife (5. Lebensjahr); Sterblichkeit von Vgeln mit mind. einem Jahr Bruterfahrung liegt bei 3,3-7,6 % pro Jahr; um die Population konstant zu halten mssten bei einer Überlebensrate von 91,5 % pro Jahr 24 % der flggen Jungvgel geschlechtsreif werden 16.5.3 Mauser Im 1. KJ beginnt die postjuvenile Mauser (Teilmauser) im August. Im 2. KJ vollziehen sich die 1. Prä- und die 1. Postnuptialmauser. Bei der ersteren handelt es sich um eine Teilmauser (Januar-Mai), bei der letzteren um eine Vollmauser (Juni-November). Adulte Trottellummen beginnen mit der Vollmauser im Juli (Abb. 16-3), bald nachdem sie die Kolonie verlassen haben. Ihre Schwungfedern erneuern Trottellummen synchron, so dass sie zeitweise flugunfähig sind (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985). Mglicherweise unterscheiden sich die Mauserzeiten zwischen Männchen und Weibchen, da Männchen ihre noch nicht flggen Kken begleiten und dabei selbst zeitweise flugunfähig (ca. 45-50 Tage) sind, während Weibchen noch 1-3 Wochen in der Kolonie verbleiben, um den Nistplatz gegen immature Koloniebesucher zu verteidigen (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1982). Nach NETTLESHIP & BIRKHEAD (1985) knnten Weibchen mglicherweise frher als die Männchen mausern. Da jedoch keine genaueren Daten bekannt sind, werden hier die Mauserzeiten fr Männchen und Weibchen als gleich betrachtet.

245

1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez.

Abb. 16-3: Mauserzyklus der Trottellummen. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

16.5.4 Wanderungen Trottellummen sind Kurzstreckenzieher, vollziehen aber eher Streuungswanderungen anstelle von ausgeprägten Zugbewegungen. Vor allem die Altvgel halten sich meist ganzjährig in Gewässern nahe den Brutkolonien auf, während insbesondere einjährige Trottellummen sich ber z.T. weite Entfernungen in den Meeren verteilen. Ortsverän- derungen der Jungvgel erfolgen – bis sie flugfähig sind – in Begleitung zumindest eines Elternteils ausschließlich schwimmend. Hohe Konzentrationen mausernder Trottellummen und Kken befinden sich nach der Brutzeit in schottischen Kstengewässern. Daneben schwimmt ein bedeutender Anteil durch die zentrale Nordsee in Richtung Skagerrak, wo sich zur Nachbrutzeit ebenfalls international bedeutsame Gewässer befinden (SKOV et al. 1995). Die Jungvgel der Brutkolonie auf Helgoland halten sich im Juli / August in der Deutschen Bucht auf. Ab September gibt es einige Nachweise im Ärmelkanal, im November bei Norwegen und im Dezember entlang der sdlichen Nordseekste. Der Großteil der dreijährigen und älteren Vgel bevorzugt im Winter die Nähe zur Kolonie und bewegt sich dabei meist nicht weiter als 200 km von der Insel Helgoland fort (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985). Die Brutvgel der Ostsee-Kolonien bleiben offenbar ganzjährig auf der Ostsee, ihre westliche Verbreitungsgrenze liegt in der Pommerschen Bucht. Während immature Trottellummen meist erst am Anfang des 3. Lebensjahres an ihren Geburtsort zurck- kehren, entfernen sich Altvgel meist nur während der Jungenaufzucht und der Brutmauser weiter von der Brutkolonie und kehren auch im Winter sporadisch an ihren Brutplatz zurck.

16.5.5 Habitat Trottellummen sind ausgeprägte Meeresvgel, die nur zur Fortpflanzung ans Land kommen. Ihre Brutplätze befinden sich, zum Schutz vor Prädatoren, an steilen

246 Felsklippen mit schmalen Felsbändern oder auf kleineren Vorsprngen sowie auf flachen, abgelegenen Inseln (zur Verbreitung s. Kapitel 16.4.1). Trottellummen brten in großen Kolonien. Diese liegen oft in Gebieten, in denen sich kalte und warme Strmungen treffen und sich ein großes Nahrungsangebot befindet. Im Sommer halten sich Trottellummen häufig in Bereichen des kontinentalen Schelfmeeres auf, in denen die Wassertemperatur zwischen 6 und 16° C liegt. Zu Konzentrationen kann es in Gebieten kommen, in denen durch Gezeitenstrmungen Wasserturbulenzen entstehen (GASTON & JONES 1998). In der Deutschen Bucht scheint das Sommervorkommen von Trottellummen mit stark salinen, thermisch geschichteten Wasserkrpern großer Sichttiefe korreliert zu sein (GARTHE 1997). Im Spätsommer 1999 konnte eine hohe Konzentration von Trottellummen in einem Gebiet mit einem lokalen Auftriebsphäno- men beobachtet werden (MARKONES 2003). Zudem wird die Sommerverbreitung durch die Lage der Brutkolonie beeinflusst. Auf Helgoland beträgt der Aktionsradius zur Jungenaufzucht etwa 20-25 km um die Insel, die hchsten Dichten halten sich in direkter Umgebung der Kolonie auf (DIERSCHKE et al. 2004b). Im Winter ist die Verteilung der Beutefischarten ein wichtiger Faktor fr die Verbreitung (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, DEL HOYO et al. 1996), daneben spielen aber auch Wassertempera- tur (SONNTAG 2001) und Windrichtung (GARTHE & HÜPPOP 1997) eine Rolle.

16.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Trottellummen erbeuten ihre Nahrung durch Verfolgungstauchen, bei dem sie sich mit ihren kurzen Flgeln unter Wasser fortbewegen. MADSEN (1957) gibt die durchschnitt- liche Tauchtiefe mit 4-5 m an. Wahrscheinlich tauchen die Tiere aber vielerorts deutlich tiefer. GASTON & JONES (1998) geben einen Durchschnittswert von 20-50 m an, mit maximalen Tiefen von ber 100 m. Während der Jungenaufzucht bringen Trottellummen von jedem Nahrungsflug meist nur ein Beuteobjekt zurck. Die Ftterraten sind in den Morgenstunden am hchsten und sinken danach etwas ab (LEOPOLD et al. 1992). Die Beute, die an Kken verfttert wird, unterscheidet sich zumindest lokal von der Nahrung der adulten Tiere: Fr die Helgoländer Brutkolonie konnten SONNTAG & HÜPPOP (2005) im Vergleich zu an Kken verftterten Beuteob- jekten kleinere und energieärmere Nahrung in Mägen von Trottellummen feststellen. Ähnliche Beobachtungen machten WILSON et al. (2004) in einer schottischen Brutko- lonie. Generell besteht die Nahrung von Trottellummen berwiegend aus pelagischen Schwarmfischen, die in oberflächennahen oder mittleren Wasserschichten tauchend erbeutet werden. Daneben werden in geringen Mengen auch Wirbellose wie Polychae- ten, Crustaceen oder Mollusken aufgenommen. Im Pazifik spielen Wirbellose z.T. eine grßere Rolle im Nahrungsspektrum (GASTON & JONES 1998).

247 Ostsee LYNGS & DURINCK (1998) untersuchten Mägen von in Stellnetzen ertrunkenen Trottellummen in der zentralen Ostsee von 1990-1996. 97 % aller Fische (n = 313) waren Sprotten (Sprattus sprattus), jeweils 1 % entfiel auf Sandaale (Ammodytes spec.) und unbestimmte Gadiden. Umgerechnet auf das Frischgewicht der Fische entfielen 93 % der Nahrungsmasse auf Sprotten, 6 % auf Gadiden und 1 % auf Sandaale. Auch auf der Insel Stora Karls bei Gotland waren zur Brutzeit Sprotten (92 % nach Anzahl) die Hauptnahrung fr Kken, gefolgt von kleinen Heringen (5 %) und Sandaalen (2 %; HEDGREN 1976). MADSEN (1957) fand in 14 während der Wintermonate in der dänischen Ostsee in Netzen ertrunkenen Trottellummen hauptsächlich Hering (Clupea harengus) (in 82 % aller Proben). In geringerer Anzahl kamen Stichlinge, Grundeln, Aalmuttern (Zoarces viviparus), Makrelen (Scomber scombrus) und Dorschartige vor.

DURINCK et al. (1991) untersuchten die Winternahrung von 65 im Jahr 1988 in Netzen ertrunkenen Trottellummen aus dem Skagerrak. Die Nahrung wurde hauptsächlich aus Hering, Sprotte, Gadiden und anderen, vorwiegend kleinen Fischen, gebildet. Neben Fischen traten Tintenfische und Polychaeten zu einem hohen Anteil in den Mägen auf. Die Nahrungszusammensetzung ähnelte damit den von LORENTSEN & ANKER-NILSSEN (1999) gefundenen Ergebnissen von 522 in den Wintern 1989-1990 in Netzen ertrunkenen Trottellummen aus derselben Region. Allerdings konnten diese beiden Autoren viel mehr Grundeln in der Nahrung nachweisen und fanden Unterschiede zwischen adulten und immaturen Individuen, wobei letztgenannte mehr Grundeln und Clupeiden sowie Polychaeten aufnahmen, aber insgesamt weniger Gadiden fraßen. Nordsee In der gesamten Nordsee besteht die Sommernahrung berwiegend aus Sandaalen (Ammodytidae) und Heringsfischen (Clupeidae). Die Winternahrung ist meist diverser und es spielen zusätzlich Grundeln (Gobiidae), Seenadeln (Syngnathidae) und Dorsche (Gadidae) zumindest lokal eine wichtige Rolle (BLAKE 1983, 1984, BLAKE et al. 1985, NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985, CRAMP 1985, CAMPHUYSEN 1995a, OUWEHAND et al. 2004, SONNTAG & HÜPPOP 2005). Nahrung, die zu Balzzwecken und zur Kkenauf- zucht in die Kolonie getragen wird, besteht in der Nordsee grßtenteils aus Sandaalen und Heringsfischen (HARRIS & WANLESS 1985, LEOPOLD et al. 1992, GRUNSKY- SCHÖNEBERG 1998). Auf Helgoland bestand in die Kolonie gebrachte Nahrung im Jahr 1990 zur Brutzeit zu 95 % aus Clupeiden und zu 5 % aus Sandaalen (LEOPOLD et al. 1992). GRUNSKY (1994) fand fr die gleiche Kolonie im Jahre 1991 ähnliche Ergebnis- se, jedoch einen hheren Anteil von Sandaalen. Im Gegensatz zur Sommernahrung konnten SONNTAG & HÜPPOP (2005) im Winter grßere Mengen von Seenadeln und Grundeln nachweisen.

248 16.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Trottellummen sind tag- und dämmerungsaktiv. Sie knnen mit Hilfe ihrer Flgel gut tauchen, sind aber schlechte Flieger mit geringer Manvrierfähigkeit. Meist fliegen Trottellummen sehr flach ber die Meeresoberfläche. Obwohl sie ausgeprägte Koloniebrter sind und somit dicht gedrängt engen Kontakt zu anderen Brutpaaren haben, zeigen Trottellummen starkes Territorialverhalten. Die Brutperiode endet mit dem „Lummensprung“ der noch flugunfähigen Jungvgel von den Brutfelsen. Die Kken bewegen sich danach bis zum Flggewerden noch mehrere Wochen in Begleitung eines Altvogels, meist des Männchens, schwimmend fort und werden von diesem versorgt. Der Altvogel mausert dabei synchron seine Schwungfedern. Im Winter wird der Aufenthalt auf dem offenen Meer durch sporadische Koloniebesuche unterbrochen, die der Brutplatzsicherung, der Festigung der Paarbindung und dem Aggressionsabbau dienen (z.B. GREENWOOD 1972, HARRIS & WANLESS 1989). Zur Brutzeit knnen adulte Trottellummen schlechte Nahrungssituationen durch flexible Zeit-Budgets teilweise ausgleichen, indem sie die Zeit zur Nahrungssuche ausdehnen und weniger Zeit in der Kolonie verbringen (BURGER & PIATT 1990).

16.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 16.6.1 Gefährdungsursachen Trottellummen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen (Ostsee) - Verlung - Reduzierung des Nahrungsangebotes durch Überfischung (Sandaale, Sprotten, Jungheringe) - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Verfangen in treibenden Netzresten und Mll Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Bejagung und Eiersammeln (Färer Inseln, Norwegen, Großbritannien) - Verluste von Brutvgeln durch Erhängen in Basstlpel-Nestern aus Netzresten (z.B. Helgoland: N. SONNTAG, unverffentl.)

249 16.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Trottellummen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Trottellummen sind empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Sie reagieren auf sich nähernde Schiffe häufig durch Abtauchen, gelegentlich auch durch Auffliegen (FTZ unverffentl.). Auch ohne eigentliches Fluchtverhalten weisen Trottellummen bei sich nähernden Schiffen Stresssignale auf (häufiges, kurzes Untertauchen des Kopfes). Dies deutet darauf hin, dass diese Vgel durch Schiffe in ihren natrlichen Verhaltensweisen gestrt werden und es insbesondere auf intensiv befahrenen Routen zu einem Zeitverlust fr Rast und Nahrungssuche kommen kann. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkondition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren. Trottellummen sind schlechte Flieger und knnen nur sehr schlecht manvrieren. Allerdings verbringen sie nur wenig Zeit fliegend, die nächtliche Flugaktivität ist relativ gering und sie sind relativ flexibel in ihrer Habitatwahl. Die Empfindlichkeit gegenber Hindernissen in Form von technischen Bauwerken, wie Offshore- Windenergieanlagen, ist daher als eher gering einzustufen. Trottellummen weisen einen niedrigen Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) auf. Aufgrund von Unterschieden in Populationsgrße, Überlebensrate adulter Vgel und europäischem Schutzstatus ist der Wert etwas niedriger als beim Tordalk. Die Nahrung von Trottellummen besteht im Atlantik berwiegend aus pelagischen Schwarmfischen. In der Nordsee werden im Sommer wahrscheinlich grßtenteils Sandaale und Heringsfische erbeutet, während die Winternahrung diverser ist und lokal auch Dorsche, Grundeln und Seenadeln als weitere Nahrungskomponenten beinhaltet (vgl. Kapitel 16.5.6). Nahrung, die zu Balzzwecken und zur Kkenaufzucht in die Kolonie getragen wird, besteht in der Nordsee grßtenteils aus Sandaalen und Heringsfischen. In der Ostsee bilden Sprotten sowohl im Winter, als auch zur Aufzucht der Kken die Hauptnahrung. Heringsfische und Sandaale sind auch von großer kommerzieller Bedeutung, so dass Trottellummen durch eine Reduktion des Nahrungs- angebotes durch Überfischung der Hauptbeutefischarten gefährdet sind. Durch die industrielle „Gammelfischerei“ werden aus der Nordsee große Mengen an Sandaalen und Heringsfischen entnommen, so dass hier eine starke Konkurrenz um die Nahrungs- ressourcen besteht. In der Ostsee sind die Anlandungen von Sprotten in den 1990er Jahren um das fnffache angestiegen (ANONYMUS 2000). Indirekt kann zudem auch eine Beeinträchtigung oder Zerstrung der Sandaal-Habitate beispielsweise durch Sedimentabbau eine Verschlechterung der Nahrungssituation zur Folge haben. Im Winter kann ein ungengendes Nahrungsangebot zu hoher Mortalität von Trottellum- men fhren (z.B. BLAKE 1984). Geringe Verfgbarkeit und ein schlechter Energiege-

250 halt von Sandaalen zur Brutzeit, vermutlich hervorgerufen durch Planktonveränderun- gen aufgrund erhhter Wassertemperaturen, fhrten in der Nordsee im Jahr 2004 zu einem extrem niedrigen Bruterfolg bzw. Brutausfall in zahlreichen Kolonien (WANLESS et al. 2005b, ICES 2006). Zwar knnen Trottellummen Nahrungsengpässe zur Brutzeit durch flexible Zeitbudgets (Ausdehnung der Zeit zur Nahrungssuche) oder durch Umstellung auf andere Beutearten teilweise ausgleichen, doch mssen dafr alternative Nahrungsquellen verfgbar sein (BURGER & PIATT 1990). Zudem muss auch eine ausreichende Qualität der Beute gewährleistet sein. ÖSTERBLOM et al. (2001, 2006) konnten in der Kolonie auf Stora Karls (Schweden) zeigen, dass die Krper- masse flgger Trottellummenkken mit dem mittleren Gewicht und somit mit dem Energiegehalt von Sprotten positiv korreliert und der Bruterfolg von Trottellummen in der Ostsee nicht nur von der Verfgbarkeit, sondern auch von der Qualität von Sprotten als Nahrungsquelle abhängig ist. Da Trottellummen ihre Nahrung ausschließlich tauchend erbeuten, sind sie besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In der Ostsee kommt es in Gebieten, in denen die Verbreitung der Trottellummen mit Gebieten mit Stellnetzfischerei ber- lappt, zum Teil zu hohen Verlusten (z.B. BERNDT & BUSCHE 1983, OLSSON et al. 2000). In Schweden ist die beobachtete Abnahme der Überlebensrate adulter Trottel- lummen vermutlich auf das Ertrinken in Stellnetzen zurckzufhren (ÖSTERBLOM et al. 2002). HÜPPOP (1996) konnte nachweisen, dass Fischereinetze mit 42 % aller tot gemeldeten Individuen der Hauptmortalitätsfaktor fr auf Helgoland beringte Trottel- lummen im Zeitraum 1989-1994 waren. Vor 1970 betrug der Wert weniger als 5 %. Hauptfundorte in Netzen umgekommener Trottellummen waren Dänemark und Schweden. SCHIRMEISTER (2003) registrierte im Winter regelmäßig einzelne Trottel- lummen als Opfer in der Stellnetzfischerei vor Usedom, obwohl die Art dort nur in sehr geringer Anzahl vorkommt. Besonders gefährlich sind die dnnen Monofilament- Netze, da sie fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002). Trottel- lummen ernähren sich in der Ostsee hauptsächlich von Sprotten und Hering und konkurrieren somit teilweise mit der Stellnetzfischerei um dieselbe Ressource. Mglicherweise ist eine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Trottellummen kommen in der Pommerschen Bucht aber auch aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den dort in großer Anzahl eingesetzten weitmaschigen Netzen auf Dorsch und Zander um. Trottellummen verbringen einen Großteil des Jahres schwimmend auf dem Meer und besitzen daher eine hohe Empfindlichkeit gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche infolge von Ölunfällen, als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch

251 Tankreinigungen). Sie gehren zu den häufigsten Ölopfern in der sdlichen Nordsee (z.B. CAMPHUYSEN 1989, 1990, VAUK et al. 1989). Das Vorkommen lokaler Konzent- rationen macht die Art sehr anfällig gegenber großflächigeren Ölverschmutzungen, die zur Bedrohung ganzer Populationen fhren knnen (z.B. Havarie des Öltankers „Prestige“ im Nov. 2002 vor Spanien). In der Nordsee wiesen Trottellummen im Winter 2001 / 2002 mit 36 % eine der hchsten Verlungsraten aller bei Splsaumkon- trollen erfassten Vogelarten auf (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Aufgrund ihrer Vermehrungsstrategie mit einer hohen Überlebensrate adulter Tiere, aber einer späten Geschlechtsreife und niedrigen Fortpflanzungsrate, gehren Trottel- lummen zu den Arten, die Mortalitätsverluste nur schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Bedingungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor, der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Da Trottel- lummen frhestens im vierten Lebensjahr mit der Brut beginnen, machen sich Veränderungen im Altvogelbestand erst verzgert in den Kolonien bemerkbar.

Der Status von Trottellummen in Europa wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft. Als Brutvogel sind sie in Deutschland auf Helgoland beschränkt und daher als Art mit geografischer Restriktion auf der Roten Liste gefhrt (Tab. 16-4).

Tab. 16-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Trottellummen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt R entfällt P entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPEC - III -

252 16.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zu den Schiffszählungen sind Trottellummen und Tordal- ken bei ungnstigen Lichtbedingungen vom Flugzeug aus nicht immer gut unterscheid- bar. Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

16.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

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17 Gryllteiste

Cepphus grylle (Linnaeus 1758)

GB: Black Guillemot NL: Zwarte Zeekoet

DK: Tejst Foto: J.O. Kriegs S: Tobisgrissla Abb. 17-1: Mausernde Gryllteiste PL: Nurnik

17.1 EU-Code A202

17.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Alcidae - Alken

17.3 Kennzeichen Alkenvogel mit kleinem Kopf, schwarzem, spitzem Schnabel und roten Fßen. Wirkt im Flug bauchig und hecklastig. Im PK schwarz mit großen, ovalen, weißen Armschwingenflecken und weitgehend weißen Unterflgeln. Im SK Unterseite weiß, Rcken und Kopfregion variabel stark schwarz-weiß gebändert; Brzel und Oberschwanzdecken weiß. Auch im SK mit ovalen, weißen Armschwingenfeldern. JK meist dunkler als SK, weißes Armschwin- genfeld dicht dunkel gebändert. Verwechslungsmglichkeiten: Im PK auf grßere Entfernung mit Samtente. Gryllteiste deutlich kleiner sowie an Hecklastigkeit und schnellen, schwirrenden Flgelschlägen erkennbar.

17.4 Verbreitung / Bestand 17.4.1 Welt / Europa Gryllteisten brten holarktisch an den Ksten des N-Pazifiks, des arktischen N- Amerikas, Grnlands und den arktischen Inselgruppen Eurasiens bis nach NW-Europa. Nach BAUER et al. (2005) werden fnf Unterarten differenziert:

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C. g. grylle (Ostsee): von Öland nordwärts nach Schweden, Finnland und Estland, von brigen Unterarten nahezu isoliert C. g. arcticus (Subarktis): im brigen Skandinavien (W-Schweden, Dänemark, Norwegen), Großbritannien und Irland sowie Russland, N-Amerika und S-Grnland C. g. mandtii: nrdliche Arktis C. g. faeroensis: Färer-Inseln C. g .islandicus: Island

In GASTON & JONES (1998) werden zusätzlich die Unterarten C. g. atlantis (britische Brutvgel) und C. g. ultimus (ostkanadische Arktis, NW-Grnland) genannt. BAUER et al. (2005) ordnen diese den Unterarten C. g. arcticus bzw. C. g. mandtii zu (s.o.). Im Winter bleiben viele Brutvgel in der Nähe der Brutplätze. Im Fall einer Vereisung der nrdlichen Ostsee wird die Ostseepopulation (C. g. grylle) zur Überwinterung auf der sdlichen Ostsee gezwungen. An der deutschen Nordseekste und auf der westlichen Ostsee tritt vor allem C. g. arcticus auf.

Der globale Brutbestand wird auf 260.000-410.000 Paare geschätzt (MITCHELL et al. 2004). Fr die vier in Europa brtenden Unterarten beträgt der Brutbestand nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) 130.000-300.000 Paare. Damit ist die Gryllteiste die seltenste Alkenart Europas.

Sowohl nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) als auch nach MITCHELL et al. (2004) wird fr Gryllteisten keine biogeografische Population definiert. KUBE et al. (2005a) definieren die Brutvgel der Ostsee als biogeografische Population (Tab. 17-1), da diese als geografisch isoliert gelten (NETTLESHIP & BIRKHEAD 1985).

Tab. 17-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu der biogeografischen Population der Gryllteisten in der Ostsee (KUBE et al. 2005a). Art/ Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Meist im Umkreis um C. g. Brutgewässer, auch k.A. Ostsee 75.000 k.A. 750 grylle konzentriert in W- und S-Ostsee

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17.4.2 Deutschland Status: Wintergast, seltener Sommergast auf Nord- und Ostsee Die auf der deutschen Ostsee vorkommenden Gryllteisten knnen der biogeografi- schen Population nach KUBE et al. (2005a) zugeordnet werden. Gryllteisten brten nicht in Deutschland, halten sich während des Durchzuges sowie im Winter regelmäßig auf der Ostsee und selten auf der Nordsee auf. Auf Helgoland knnen jedoch alljährlich einzelne Gryllteisten beobachtet werden (Abb. 17-2). Der Rastbestand von Gryllteisten in Deutschland im Winter beträgt 700 Tiere. Diese Zahl bezieht sich auf die Ostsee (Tab. 17-2), der sehr geringe Nordseebestand ist nicht bercksichtigt. Daten von der Wasservogelzählung liegen fr Gryllteisten nicht vor.

Abb. 17-2: Verbreitung der Gryllteisten auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990- 2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Gryllteisten berwintern alljährlich in geringer Anzahl auf Helgoland, auch Übersom- merungen einzelner Individuen werden in zunehmendem Maße festgestellt (DIERSCHKE et al. 2005, 2006a). Außerhalb Helgolands wird die Art jedoch nur sehr selten auf der deutschen Nordsee angetroffen. Bestandszahlen nach GARTHE et al. (2007a) liegen nicht vor. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ wurden Gryllteisten bisher nicht nachgewiesen. Fr Gryllteisten wurden keine Bestandszahlen berechnet. Ostsee Auf der deutschen Ostsee halten sich Gryllteisten von Herbst bis Frhjahr berwie- gend im Bereich des Adlergrundes auf. Trotz der relativ geringen Dichten ist dieses

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Vorkommen als international bedeutsam einzustufen (GARTHE 2003a). Im Winter erreicht die Art ihre hchsten Zahlen und kommt dann auch verstreut in der Pommer- schen Bucht und entlang der Kste Rgens westwärts bis zum Plantagenetgrund vor. Im Herbst und Frhjahr gibt es neben der Konzentration auf dem Adlergrund auch kleinere Vorkommen im Bereich der Nordspitze Rgens sowie auf der westlichen Ostsee (z.B. Sagasbank, Darß). Im Sommer halten sich Gryllteisten nur sehr vereinzelt auf der deutschen Ostsee auf. Im SPA „Pommersche Bucht“ halten sich Gryllteisten von Herbst bis Winter insbesondere im nrdlichen Teil im Bereich des Adlergrundes auf. Der Zuzug im Herbst beginnt ab November, der grßte Bestand wird im Winter erreicht (Tab. 17-2); zu dieser Zeit halten sich auch einzelne Gryllteisten verstreut im brigen Bereich des SPA auf. Ab März nimmt die Anzahl wieder ab. Von Mai bis August kommen nahezu keine Gryllteisten im SPA vor.

Tab. 17-2: Rastbestandszahlen der Gryllteisten fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“ basierend auf Schiffstransektzäh- lungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): I: 1-5, II: 6-10, III: 11-50 Ind. Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. dt. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 400 0,5 280 0,4 120 0,2 Sommer III <0,1 II <0,1 I <0,1 Herbst 260 0,3 150 0,2 50 0,1 Winter 700 0,9 310 0,4 220 0,3

17.4.3 Bestandsentwicklung Der europäische Brutbestand zeigte im Zeitraum 1970-1990 eine moderate Abnahme. Die Bestände in Norwegen und Schweden haben auch danach weiter abgenommen; aufgrund von Zunahmen u.a. in Großbritannien und Finnland ist der europäische Gesamtbestand aber von 1990-2000 insgesamt etwa gleich groß geblieben. Daher wird der Status der Art auch als "stabilisiert nach Bestandsrckgang" eingestuft (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Informationen ber die Entwicklung der Rastbestände in deutschen Meeresgebieten liegen bislang nicht vor, da die Offshore-Bestände erst seit wenigen Jahren untersucht werden.

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17.5 Biologie / Ökologie 17.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: frhestens mit 2 Jahren, erste Brut meist später Paarbildung: monogame Saisonehen, wegen sehr hoher Brutplatztreue finden sich Partner oft im nächsten Jahr wieder Brutzeit: Ankunft am Brutplatz meist ab Anfang März, aber auch bis Anfang Juni, Legebeginn je nach geografischer Lage ab Anfang Mai, aber auch Juni; Brutdauer ca. 25-36 Tage; beide Eltern brten (Männchen nachts, Weibchen tagsber) Gelege: 2 Eier, selten 1 oder 3; 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich Kken: beide Eltern fttern und hudern in den ersten Tagen, Junge verlassen Nest wenn Schwungfedern noch nicht ganz ausge- wachsen sind und gleiten vom Brutfelsen, Nestlingszeit 35->40 Tage; nach dem Ausfliegen sind die Jungen selbständig

17.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 9 Jahre Ältester Ringvogel: 22 Jahre 11 Monate Sterblichkeit: Island: Adulte 13 % pro Jahr; Dänemark: im 1. Jahr 51 %, Adulte 14 % pro Jahr

17.5.3 Mauser Ab Ende August setzt bei jungen Gryllteisten die postjuvenile Mauser ein. Im 2. KJ vollziehen sich die 1. Prä- und die 1. Postnuptialmauser. Bei der Ersteren handelt es sich um eine Teilmauser (März-Juni), bei der Letzteren um eine Vollmauser (Juli- September). Die Vollmauser der Adulten beginnt mit der Erneuerung des Krpergefie- ders schon während der Jungenaufzucht. Die synchrone Schwingenmauser setzt ab Mitte August bei Nichtbrtern, bei Brutvgeln ab September ein (Abb.17-3). In dieser Zeit sind Gryllteisten 4-5 Wochen flugunfähig (GASTON & JONES 1998).

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1. KJ 2. KJ Männchen Weibchen Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Abb. 17-3: Mauserzyklus von Gryllteisten. Es wird zwischen Teilmauser (hell schraffiert) und Vollmauser (dunkel schraffiert) unterschieden; rot: sensible Phase während der Vollmauser (Flugunfähigkeit).

17.5.4 Wanderungen Gryllteisten berwintern häufig in der Nähe ihrer Brutgebiete und zeigen weniger Zugbewegungen als die brigen paläarktischen Alkenarten. Vereisung dieser Gewässer zwingt sie jedoch manchmal dazu, in sdlichere Bereiche auszuweichen. Wie bei Trottellumme und Tordalk verlassen die Jungvgel die Kolonie vor Erreichen der Flugfähigkeit und beginnen ihre Streuungswanderungen schwimmend. Die Ostsee-Brutvgel berwintern hauptsächlich auf der zentralen Ostsee, vor allem in den eisfreien Bereichen entlang der schwedischen Kste. In geringerer Anzahl berwintern sie auch auf der westlichen und sdlichen Ostsee (dänische Inseln, Deutschland, Polen). Meist haben sie diese Gebiete im Dezember / Januar erreicht und bleiben dort, bis sie im April / Mai an ihre Brutplätze zurckkehren. Brutvgel des Kattegats berwintern berwiegend im nrdlichen Kattegat. Zugbeobachtungen auf Hiddensee zeigen kein deutliches jahreszeitliches Muster, spiegeln aber zumindest teilweise den Zuzug von Oktober bis November sowie den Abzug ab Februar wider. Das Wintervorkommen von Gryllteisten reicht bei Hiddensee von Anfang Oktober bis Anfang April (DIERSCHKE & HELBIG 1997).

17.5.5 Habitat Gryllteisten brten meist unmittelbar an der Kste auf Fels,- Kies und Sandinseln und an niedrigen Klippen. Allerdings knnen die Brutplätze auch bis zu 600 m ber dem Wasserspiegel liegen (zur Verbreitung s. Kapitel 17.4.1). Die Kolonien umfassen oft nur wenige Paare, es knnen aber auch mehrere hundert Paare zusammen brten (GRELL 1998). In gemischten Kolonien an Felsklippen besiedeln Gryllteisten meist die unteren Stockwerke. Zur Nahrungssuche begeben sie sich sowohl in kstennahe Seichtwassergebiete als auch in weiter draußen gelegene Gebiete am Packeisrand oder an Eisbergen. Geschtzte und gedeckte Nistplätze scheinen bei der Auswahl der Brutplätze wichtiger zu sein als die Nähe der Jagdgrnde. Im Winter kommen

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Gryllteisten im Vergleich zu anderen Alken meist sehr kstennah (NETTELSHIP & BIRKHEAD 1985) oder auf Flachgrnden vor. Sie halten sich oft in der Nähe ihrer Brutgebiete auf, sofern es dort eisfreie Meeresbereiche gibt.

17.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Gryllteisten tauchen meist im Flachwasser dicht ber dem Meeresgrund nach Nahrung. Sie nehmen ebenso wie die Trottellummen zum Tauchen die Flgel zur Hilfe. Die hchste Jagdaktivität adulter Tiere bzw. die hchsten Ftterungsraten von Kken finden in den Morgenstunden statt (CAIRNS 1987). Die Nahrung besteht vor allem zur Brutzeit fast ausnahmslos aus Fisch (v.a. Grundeln). Im Winter und Frhjahr werden auch Wirbellose in nennenswerten Anteilen gefressen. Hier sind Crustaceen die wichtigste Gruppe, daneben aber auch Muscheln, Schnecken und Borstenwrmer. Ostsee MADSEN (1957) untersuchte 26 im Winter vor allem im Kattegat und der brigen dänischen Ostsee geschossene Gryllteisten. Zwei Drittel der Gesamtnahrung bestand aus Fischen. In 89 % der Proben waren Fische enthalten. Hier dominierten vor allem Grundeln (Gobius spec.) (73 %). In einzelnen Fällen wurden Aalmuttern (Zoarces viviparus), Seestichlinge (Spinachia spinachia), Butterfische (Pholis gunellus), Aale (Anguilla vulgaris), Heringe (Clupea harengus), Seenadeln (Nerophius) und Klippen- barsche (Ctenolabrus rupestris) gefunden. 79 % der Nahrungsproben beinhalteten Crustaceen. Hier wurden vor allem Brachyuren (33 %) sowie Garnelen (31 %) aufgenommen. Auch Isopoden (23 %) wurden nachgewiesen. Polychaeten wurden in 23 % der Mägen angetroffen. Mollusken spielten keine besondere Rolle. Nordsee HARRIS & RIDDIFORD (1989) analysierten Gryllteistennahrung anhand von in der Kolonie umherliegenden Nahrungsresten auf den Shetland-Inseln im Juli und August der Jahre 1987-1988. Sie fanden berwiegend Butterfische (48-61 %) sowie Gadiden (15 %). Im Jahr 1987 bestand die Nahrung zu 37 % aus Sandaalen.

17.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Gryllteisten sind hauptsächlich tagaktiv. Der Zug findet wie bei allen Alken niedrig ber dem Wasser statt. Da Gryllteisten etwas breitere Flgel haben, sind sie im Vergleich zu Trottellummen oder Tordalken gewandtere Flieger. Sie fliegen meist in niedrigen Hhen, knnen jedoch bis in einige hundert Meter aufsteigen, z.B. wenn sie nach klarem Wasser Ausschau halten.

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In den Überwinterungsgebieten bewegen sich Gryllteisten auch fliegend fort, z.B. um zwischen verschiedenen Rast- oder Nahrungsgebieten zu wechseln. Bei schnem Wetter gehen sie auch gerne an Land oder auf Eisschollen. Außerhalb der Brutzeit kommen Gryllteisten meist einzeln oder in lockeren kleinen Gruppen vor.

17.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 17.6.1 Gefährdungsursachen Gryllteisten sind in Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verfangen und Ertrinken in Stellnetzen - Verlung - Strungen durch Schiffsverkehr (Auf- / Verscheuchen, Strung bei Rast und Nahrungssuche) - Reduzierung des Nahrungsangebotes (z.B. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Sedimentabbau) - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung; Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraumes) - Verfangen in treibenden Netzresten und Mll Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Prädation durch Säugetiere (z.B. Ratte, Nerz) - In der Vergangenheit haben direkte Verfolgung und das Sammeln von Eiern den Bestand dezimiert (GRELL 1998); derzeit ist Bejagung noch in Skandina- vien von großer Bedeutung

17.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Gryllteisten gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Gryllteisten weisen eine mäßige Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf und fliegen vor sich nähernden Schiffen meist auf (FTZ unverffentl.). In Gebieten mit intensivem Schiffsverkehr kann es durch häufige Fluchtreaktionen zu einer Einschränkung der natrlichen Verhaltensweisen oder, falls die Gebiete dauerhaft gemieden werden, zu Habitatverlust kommen. Auch in weniger befahrenen Gebieten kann Schiffsverkehr zu einer Verkleinerung oder Zerschneidung des Lebensraumes fhren. Häufige Fluchtre- aktionen bedingen zudem einen erhhten Energieverbrauch bei gleichzeitig verringer- ter Zeit fr Rast und Nahrungssuche. Dies kann zu einer Verringerung der Krperkon- dition bis hin zu indirekt verursachter Mortalität fhren.

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Innerhalb der Rastgebiete auf See bewegen sich Gryllteisten vermutlich berwiegend schwimmend fort, Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Rast- und Nahrungsgebieten werden aber meist fliegend durchgefhrt. Ihre Manvrierfähigkeit ist etwas besser als die der Trottellummen und Tordalken, aber im Vergleich zu anderen Seevogelarten immer noch eher mäßig. Die Art ist daher als empfindlich gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken wie Offshore- Windenergieanlagen einzustufen. Ein Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) wurde nicht berechnet. Da die Nahrung tauchend erbeutet wird, sind Gryllteisten besonders anfällig dafr, sich in Stellnetzen zu verfangen. In Gebieten mit einer Überlappung von Vogelverbrei- tung und Stellnetzfischerei kann es zu hohen Verlusten kommen. Besonders gefährlich sind die dnnen Monofilament-Netze, da sie fr tauchende Vgel nahezu unsichtbar sind. Die Netze sind umso gefährlicher, je grßer die Maschenweite ist (z.B. DAGYS & ZYDELIS 2002).Während einer zweimonatigen Untersuchung zur Brutzeit vor Island starben 1,3 % der Brutvgel einer lokalen Kolonie in Stellnetzen, dies entsprach etwa der Hälfte der gesamten monatlichen Mortalität (PETERSEN 1981, zit. in TUCKER & HEATH 1994). SCHIRMEISTER (2003) nennt Verluste von bis zu 8 Tieren pro Jahr in der Stellnetzfischerei vor Usedom, obwohl dieses Gebiet nicht zum Hauptverbrei- tungsareal von Gryllteisten auf der deutschen Ostsee gehrt. Gryllteisten ernähren sich auf der Ostsee berwiegend benthopelagisch von kommerziell unbedeutenden Beutearten (s. Kapitel 17.5.6) und konkurrieren daher nicht mit der Stellnetzfischerei um die gleiche Ressource. Damit ist keine Attraktionswirkung der in den Netzen gefangenen Fische auf die nahrungssuchenden Vgel gegeben. Vielmehr verfangen sich Gryllteisten allein aufgrund des Tauchvorgangs zufällig in den Netzen. Neben verschiedenen Fischarten spielen auch Invertebraten wie Crustaceen, Mollus- ken und Anneliden, sowie lokal auch Zooplankton eine wichtige Rolle im Nahrungs- spektrum der Gryllteisten (EWINS 1990, GASTON & JONES 1998, vgl. Kapitel 15.5.6). Nach EWINS (1990) knnen Gryllteisten ihre Beutepräferenzen je nach lokaler Verfgbarkeit von Nahrung umstellen, so dass MITCHELL et al. (2004) den Faktor Nahrungsangebot als Grund fr die beobachteten Populationsveränderungen in Großbritannien und Irland fr unwahrscheinlich halten. Da sich Gryllteisten nach bisherigem Kenntnisstand in der deutschen Ostsee berwiegend von kommerziell ungenutzten Fischarten ernähren und auch hier Invertebraten im Beutespektrum vertreten sind (FTZ unverffentl.), besteht derzeit kein Konflikt mit der Fischerei hinsichtlich der Konkurrenz um Ressourcen. Hingegen kann es durch Eingriffe in den Meeresboden, wie z.B. Sedimentabbau oder Materialverklappung, zu einer Beeinträch- tigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden kommen. Die vielfältige Bodenstruktur des Adlergrundes bietet fr die sich benthopelagisch ernährenden Gryllteisten

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vermutlich ein besonders gutes Nahrungsangebot und knnte ihre starke Konzentration auf dieses Gebiet erklären. Die Zusammensetzung des dortigen Beutespektrums ist nicht bekannt, jedoch muss damit gerechnet werden, dass eine Verschlechterung der Nahrungssituation in diesem Gebiet zu einer Beeinträchtigung der Population fhren kann. Gryllteisten verbringen einen hohen Zeitanteil schwimmend auf dem Meer und besitzen daher eine hohe Empfindlichkeit gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche infolge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). In der deutschen Ostsee sind Gryllteisten in ihrer Verbreitung auf ein relativ kleines Areal auf dem Adlergrund konzentriert. Da gleichzeitig ein großer Anteil dieses international bedeutsamen Vorkommens betroffen sein knnte, sind die Gryllteisten besonders empfindlich gegenber Ölverschmutzung in diesem Gebiet. Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitrei- chenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Gryllteisten beginnen frhestens im 2. Lebensjahr, meist jedoch später, mit der Brut und haben einerseits eine geringe Anzahl von Jungvgeln, andererseits eine hohe Überlebensrate adulte Tiere und eine lange Lebensdauer. Sie gehren daher zu den Arten, die Mortalitätsverluste nur relativ schwer ausgleichen knnen. Negative Populationstrends lassen sich daher auch unter verbesserten Vorraussetzungen nur langsam wieder umkehren. Jeder Faktor der die Mortalitätsrate adulter Tiere erhht, hat einen vergleichsweise hohen negativen Einfluss auf die Populationsdynamik. Wichtig ist daher auch der Schutz am Brutplatz. Da Gryllteisten oft in Hhlen oder Felsspalten in Bodennähe brten, sind sie stark durch die Prädation durch Säugetiere gefährdet, insbesondere durch invasive gebietsfremde Arten. In Schottland kommt es durch den Amerikanischen Nerz, der in Großbritannien seit seinem Ausbruch aus den Pelzfarmen Mitte der 1990er Jahre weite Teile des Landes besiedelt, zu hohen Verlusten und zum Erlschen ganzer Brutkolonien (MITCHELL et al. 2004). Auch in Teilen von Norwegen und Schweden sind Gryllteisten durch Prädation durch Nerze gefährdet, auf den Orkneyinseln kam es vermutlich durch die Ankunft von Ratten zum Aussterben lokaler Kolonien (siehe TUCKER & HEATH 1994).

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Gryllteisten sind mit ber 50 % des Weltbestandes auf Europa konzentriert und besitzen dort zudem einen ungnstigen Erhaltungszustand (SPEC 2; Tab. 17-3). Das konzentrierte Vorkommen auf dem Adlergrund ist von internationaler Bedeutung. Da es grßtenteils innerhalb des SPAs „Pommersche Bucht“ liegt, besteht hier die Mglichkeit eines umfassenden Schutzes von Gryllteisten in diesem Überwinterungs- gebiet. Die Grße von Brutpopulationen der Gryllteisten wird vermutlich auch stark von der Verfgbarkeit geeigneter Brutplätze beeinflusst. In Schottland ist der Erfolg von Gryllteisten zumindest lokal inzwischen vom Vorhandensein knstlicher Nisthabitate wie Molen, Hafenmauern und knstlichen Nestboxen abhängig (siehe MITCHELL et al. 2004).

Tab. 17-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Gryllteisten in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + entfällt entfällt entfällt entfällt entfällt I Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - 2 - III -

17.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Flugzeug aus oft schwer zu entdecken, insbesondere in Gebieten mit hohen Vogeldichten Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

17.8 Forschungsbedarf - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Tauchverhalten (Beutejagd, Nahrungssuche) in verschiedenen Meeresgebieten - Auswirkungen der Verluste durch die Stellnetzfischerei in der Ostsee auf die regionalen Bestände und auf die Gesamtpopulation - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

264 18 Dreizehenmwe

Rissa tridactyla (Linnaeus 1758)

GB: Black-legged Kittiwake NL: Drieteenmeeuw

DK: Ride Foto: S. Garthe S: Tretåig mås Abb. 18-1: Dreizehenmwe mit Kken PL: Mewa trόjpalczasta

18.1. EU-Code A188

18.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

18.3 Kennzeichen Kleinmwe, wenig grßer als Lachmwe. Adulte Vgel mit einfarbig schwarzen Flgelspitzen, Oberseite dunkelgrau, Flgel zu den Spitzen hin heller grau, daher erscheint die Oberseite zweifarbig. Im PK mit weißem Kopf, im SK Hinterkopf grau und halbmondfrmiger Ohrfleck schwärzlich. Im JK und ersten Winterkleid oberseits mit schwarzem Zickzack-Muster, Mantel einfarbig grau, Armschwingen weiß; breites, schwarzes Nackenband, schwarze Schwanzendbinde. Dreijahres-Mwe. Verwechslungsmglichkeiten: Im JK mit Zwergmwe im 1. Winter; Dreizehenmwe grßer, Armschwingen kalkweiß, schwarzes Zickzackband scharf abgegrenzt. Zwergmwe mit verwaschenem Zickzackband, diffus grauen Armschwingen und schwarzem Fleck am inneren Armflgel-Hinterrand.

265 18.4 Verbreitung 18.4.1 Welt / Europa Dreizehenmwen sind zirkumpolar holarktisch verbreitet: Sie brten in den Kstenbe- reichen der gemäßigten Zone bis in die Hocharktis von SW- bis NW-Europa, sowie in Grnland, W-Russland, O-Sibirien, in Alaska und Kanada. Sie kommen in zwei gering differenzierten Unterarten vor: R. t. tridactyla (NO-Kanada, N-Atlantik stl. bis Wrangelinsel) und R. t. pollicaris (N-Pazifik). Der globale Bestand der Dreizehenm- wen wird auf > 16,6 Mio. Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Der europäische Brutbestand beträgt 2,1-3,0 Mio. Brutpaare mit den grßten Kolonien u.a. auf Island, in Norwegen und in Großbritannien (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Mitteleuropa war das Brutvorkommen lange Zeit nur auf Helgoland beschränkt, jedoch gibt es neuerdings auch Bruten auf Plattformen im niederländischen Teil der Nordsee. Außerhalb der Brutgebiete kommen Dreizehenmwen zwar regelmäßig, aber nur in geringer Anzahl als Gastvgel vor. Sie halten sich ganzjährig in den Nordsee- gewässern auf, die grßten Bestände befinden sich dabei in den kstenfernen Bereichen. Auch auf der Ostsee knnen regelmäßig einzelne Dreizehenmwen beobachtet werden, jedoch nimmt die Häufigkeit Richtung Osten ab. Die in ganz Europa vorkommenden Dreizehenmwen werden zwei biogeografischen Populationen zugeordnet (Tab. 18-1).

Tab. 18-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Dreizehenmwen in Europa (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Kste N & W- Östl. R. t. O-Atlantik Europas stl. Nordatlantik, 8,4 Mio. k.A. 20.000 tridactyla (Brutzeit) bis Taymyr Nordsee R. t. Grnland Ksten O & W 100.000 - Nordatlantik k.A. k.A. tridactyla (Brutzeit) Grnlands >1,0 Mio.

18.4.2 Deutschland Status: Brutvogel auf Helgoland; Durchzgler, Sommer- und Wintergast auf der Nordsee. Die in Deutschland vorkommenden Dreizehenmwen gehren zu der biogeografi- schen Population „O-Atlantik“.

266 In Deutschland liegt der einzige Brutplatz von Dreizehenmwen in der Nordsee auf Helgoland. Dort brteten im Jahr 2006 knapp 7.000 Paare (O. HÜPPOP pers. Mitt.). Während der Sommermonate knnen Dreizehenmwen auf der gesamten deutschen Nordsee beobachtet werden. In besonders hohen Dichten halten sie sich um die Insel Helgoland auf, aber auch am nrdlichen Rand des Elbe-Urstrom-Tals (Abb. 18-2). Der deutsche Rastbestand im Winter entspricht dem der deutschen Nordsee und wird entsprechend auf ca. 14.000 Individuen geschätzt (Tab. 18-2). Ergebnisse aus landbasierten Wasservogelzählungen liegen fr Dreizehenmwen nicht vor.

Abb. 18-2: Verbreitung der Dreizehenmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nord- see: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Im Frhjahr konzentriert sich die Verbreitung von Dreizehenmwen auf der Nordsee rund um die Brutkolonie auf Helgoland. Zudem erstreckt sich das Vorkommen westlich und nrdlich der Insel z.T. bis weit in den Offshore-Bereich hinein. Im kstennahen Gebiet treten im Frhjahr nur sehr wenige Dreizehenmwen auf. Auch im Sommer lässt sich eine hohe Konzentration um die Brutkolonie Helgoland erkennen. Von dort aus erstreckt sich das Vorkommen bandartig Richtung Nordwesten entlang des Elbe-Urstrom-Tals. Zudem lassen sich auch stlich der Insel z.T. noch große Anzahlen beobachten. Um Helgoland herum suchen Dreizehenmwen innerhalb eines Aktionsradius von ca. 35 km nach Nahrung (DIERSCHKE et al. 2004b). Im brigen Offshore-Gebiet treten Dreizehenmwen im Sommer verstreut, im Kstenbereich nur in sehr geringer Anzahl auf. Im Herbst lässt sich neben dem noch immer bestehenden Konzentrationsschwerpunkt um Helgoland eine verstreute Verbreitung im gesamten kstenfernen Bereich erkennen. Östlich von Helgoland und vor den Westfriesischen Inseln treten Dreizehenmwen zu dieser Jahreszeit jedoch auch in kstennäheren Gebieten auf. Im Winter kommt die Art dann verstärkt in den kstennahen Bereichen

267 ab etwa 10 m Wassertiefe vor, die Verbreitung erstreckt sich dann in einem mehr oder weniger flächigen Band entlang der Ostfriesischen Inseln ber Helgoland bis auf die Hhe Amrums. In den kstenfernen Bereichen knnen Dreizehenmwen weiterhin verstreut, lokal auch in grßerer Anzahl, beobachtet werden. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ knnen Dreizehenmwen ganzjährig beobachtet werden. Die meisten Individuen halten sich dort während der Sommermonate auf.

Tab. 18-2: Rastbestandszahlen der Dreizehenmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugs- zeitraum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007, Bezugszeitraum 1996-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 13.500 0,2 6.500 0,1 1.200 <0,1 Sommer 20.000 0,2 8.500 0,1 3.500 <0,1 Herbst 16.500 0,2 11.000 0,1 150 <0,1 Winter 14.000 0,2 11.000 0,1 950 <0,1

Ostsee Dreizehenmwen kommen nur unregelmäßig in geringer Anzahl auf der deutschen Ostsee vor. Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden Dreizehenmwen bislang nur sehr unregel- mäßig und selten nachgewiesen. Fr Dreizehenmwen wurden keine Bestandszahlen berechnet.

18.4.3 Bestandsentwicklung Nach Einstellung der Bejagung zu Anfang des 19. Jh. erholten sich die stark dezimier- ten Bestände in Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts wieder. Es kam auch zu Brutarealausweitungen, z.B. durch Ansiedlungen in Sdschweden, Dänemark, Frankreich, Spanien und Portugal. Helgoland wurde 1938 nach 100-150 Jahren Unterbrechung, welche sehr wahrscheinlich durch Bejagung verursacht wurde, wiederbesiedelt (FLEET 1984). Nach mehreren Jahrzehnten mit einer allgemeinen Bestandszunahme in Europa gab es im Zeitraum 1990-2000 Abnahmen in Grnland, Norwegen und Großbritannien (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die Brutkolonie auf Helgoland wuchs auch in diesem Zeitraum weiter an und stagniert seit der Jahrhun- dertwende bei 7.000-8.000 Paaren (HÜPPOP 1997 und pers. Mitt.).

268 18.5 Biologie / Ökologie 18.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: erstmals an der Kolonie mit 2-7 Jahren, Erstbruten mit 3-8, meist mit 4-5 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, im nächsten Jahr bilden sich oft die gleichen Paare, Scheidungsrate ist bei erfolglosen Brutpaaren h- her Brutzeit: Legebeginn ist frhestens Anfang Mai, im Norden eher Ende Mai / Mitte Juni; Brutdauer 25-32 Tage Gelege: 1-3 Eier, meist aber 2; 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich, beide Eltern brten Kken: nach dem Schlpfen werden die Kken 25-34 Tage von einem Elternteil bewacht, beide Eltern fttern, Kken sind Nesthocker, Nestlingsdauer 41-43 Tage

5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 10 Jahre Ältester Ringvogel: 28 Jahre 5 Monate Sterblichkeit: im 1. Lebensjahr: 21 %; bis zur Geschlechtsreife sterben jährlich 14 %, etwa 24 % der Vgel werden 5-jährig und damit fortpflan- zungsfähig (gemessen an abgelegten Eiern)

18.5.3 Mauser Dreizehenmwen vollziehen ihre postjuvenile Mauser von August bis November. Die 1. Pränuptialmauser (Teilmauser) kann im 2. KJ ab Januar beginnen oder sie fehlt vllig. Die 1. Vollmauser (Postnuptialmauser) findet von Mai bis November statt, etwas frher als die Postnuptialmauser der Adulten. Die Handschwingen werden innerhalb von 120-130 Tagen gemausert, also nicht synchron, so dass Dreizehenm- wen während dieser Zeit nicht in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt sind. Zwischen Februar und Mai wird während der Pränuptialmauser (Teilmauser) der Adulten das Krpergefieder erneuert.

18.5.4 Wanderungen Dreizehenmwen zeigen keinen klassischen saisonalen Zug, aber auffällige Streu- ungswanderungen. Außerhalb der Brutzeit halten sie sich hauptsächlich auf dem offenen Meer auf, dabei finden sich Brutvgel aus dem kontinentalen Europa und Island im N-Atlantik bis zum westlichen Mittelmeer ein. Weiter sdlich werden nur

269 noch relativ wenige Jungvgel (einzelne bis Sdafrika) nachgewiesen. En- de Juli / Mitte August ziehen die Adulten meist nach dem Flggewerden der Jungvgel ab. Im Oktober beginnt der Wegzug, obwohl die Kolonieplätze noch bis November besucht werden. Die Dreizehenmwen, die in den Wintermonaten in der Deutschen Bucht beobachtet werden knnen, stammen nur zu einem geringen Anteil aus der Helgoländer Brutkolonie. Hauptsächlich berwintern Vgel der fennoskandischen Eismeerkste, aus W-Norwegen, von den Kattegat-Inseln und der britischen Nordsee- kste in deutschen Gewässern (PRÜTER 1986). Ab Februar, im Norden einige Wochen später, kommen die Dreizehenmwen zurck zu ihren Brutplätzen. Sie zeigen starke Geburtsorts- und Brutortstreue, jedoch kommen erst 2-3 jährige Vgel nur selten zu ihren Geburtskolonien zurck. 18.5.5 Habitat Dreizehenmwen sind Hochseevgel mit einer ausgeprägt pelagischen Lebensweise, die sich nur während der Brutzeit an Land aufhalten. Sie nisten als spezialisierte Klippenbrter an Ksten oder auf Inseln und bevorzugen dabei meist Plätze an steilen Felsen (zur Verbreitung s. Kapitel 18.4.1). Die Erfassungen von Dreizehenmwen auf See in der Deutschen Bucht zeigen, dass sie sich im Sommer bevorzugt in Gewässern mit mittlerem Salzgehalt aufhalten (GARTHE 1997, MARKONES 2007), während im Winter Gewässer mit hohem Salzgehalt bevorzugt werden (MARKONES 2007). In der Deutschen Bucht konnte beobachtet werden, dass sich die Verbreitung während des Sommers anscheinend am Elbe-Urstromtal orientiert, in dessen Umfeld sich bei bestimmten Windverhältnissen Frontensysteme bilden knnen (KRAUSE et al. 1986). Dass Frontensysteme einen starken Einfluss auf die Verbreitung der Dreizehenmwen auf See haben, konnte in der Deutschen Bucht nachgewiesen werden (MARKONES 2007). So wurden in diesem Gebiet erhhte Konzentrationen von Dreizehenmwen an Temperatur- und Auftriebsfronten festgestellt. Sehr wahrscheinlich wird durch diese Fronten ein erhhtes Nahrungsangebot hervorgerufen. Der Aktionsradius der Dreizehenmwen wird stark durch die Nahrungsverfgbarkeit beeinflusst (DAUNT et al. 2002). Die häufigste Beute der Dreizehenmwen, pelagische Schwarmfische, zeigt hohe räumliche Mobilität, die durch hydrographische Bedingun- gen gesteuert wird. Deswegen muss davon ausgegangen werden, dass fr Dreizehen- mwen nicht nur eine bestimmte begrenzte Region zur Nahrungssuche in Frage kommt, sondern sich das Gebiet ber einen grßeren Raum erstrecken kann. Eine Auswertung der Schiffstransektzählungen in den Jahren 1990-2003 ergab einen durchschnittlichen Aktionsradius von 35 km rund um die Brutkolonie auf Helgoland (DIERSCHKE et al. 2004b). CAMPHUYSEN (2005) wies als maximalen Aktionsradius

270 um die Kolonien an der schottischen Kste 80 km nach. Außerhalb der Brutzeit halten sich Dreizehenmwen auf dem offenen Meer auf und sind dort auch als Schiffsfolger zu beobachten.

18.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Zum Nahrungserwerb suchen Dreizehenmwen offene Wasserflächen im langsamen Flug in 10-25 m Hhe ab. Sie nehmen ihre Nahrung an der Wasseroberfläche durch Bogenflug oder im Schwimmen auf, z.T. auch flach stoßtauchend. Sie folgen regelmäßig Schiffen, insbesondere Fischereifahrzeugen, außerdem jagen sie Artgenos- sen oder Alken Beute ab. Ähnlich wie Zwergmwen (vgl. Kapitel 19) stehen Dreizehenmwen mit Alken darber hinaus in kommensalistischer Beziehung: Durch die Tauchaktivität der Alken gelangen Kleinfische an die Wasseroberfläche, die dann von Dreizehenmwen erbeutet werden knnen. Fr andere Seevogelarten gelten Dreizehenmwen als Anzeiger fr Fischschwärme. Insgesamt besteht die Nahrung von Dreizehenmwen zum berwiegenden Teil aus Fisch. Dabei werden vor allem pelagische Kleinfische wie Sandaale (Ammodytidae) und Heringsartige (Clupeidae), aber auch Jungstadien benthischer Fischarten sowie pelagische Crustaceen erbeutet. Nordsee Von allen in der Deutschen Bucht heimischen Mwen haben Dreizehenmwen den hchsten Fischanteil in der Nahrung (PRÜTER 1986). Die Winternahrung Helgoländer Dreizehenmwen besteht zum Großteil aus Heringsartigen, Dorschartigen (Gadidae), Grundeln (Gobiidae) und Sandaalen. Zusätzlich werden auch Wirbellose wie Seeringelwrmer (Nereidae), Schwebgarnelen und Tangfliegenlarven aus dem Pelagial aufgenommen (PRÜTER 1986). Untersuchungen von Mageninhalten nicht-flgger Helgoländer Dreizehenmwenkken ergaben als Hauptaufzuchtsnahrung Dorscharti- ge, v.a. Wittlinge (Merlangius merlangus) zwischen 5 und 21 cm Länge, Sandaale zwischen 10 und 23 cm, und Clupeiden, insbesondere Sprotten, zwischen 6 und 14 cm, sowie Seeringelwrmer (VAUK-HENTZELT & BACHMANN 1983, PRÜTER 1989, MAUL 1994, MARKONES 2007). Sandaale bilden vor allem im Sommer tagsber oberflächennahe Schwärme (WINSLADE 1974) und sind auf diese Weise ebenso wie Clupeiden den Dreizehenm- wen direkt zugänglich. Es wurde bisher angenommen, dass Dreizehenmwen Gadiden und Gobiiden als Discard hinter Fischereifahrzeugen aufnehmen (VAUK-HENTZELT & BACHMANN 1983, PRÜTER 1989, MAUL 1994). Jugendstadien verschiedener Gadiden- Arten leben jedoch pelagisch (vgl. MUUS & NIELSEN 1999, VORBERG & BRECKLING

271 1999) und knnen von Dreizehenmwen vermutlich auch selbständig erbeutet werden. Neuesten Untersuchungen zu Folge werden insbesondere junge Wittlinge, die den berwiegenden Anteil an der Aufzuchtnahrung stellen, wahrscheinlich natrlicherwei- se erbeutet und stammen nicht aus der Fischerei (MARKONES 2007).

18.5.7 Sonstige Verhaltensweisen

Dreizehenmwen sind tagaktiv. DAUNT et al. (2002) fanden heraus, dass Dreizehen- mwen ihre stärksten Flugaktivitäten in den Morgen- und den späten Abendstunden zeigen und fast nie während der Nacht fliegen. Besonders in den dunkelsten Phasen der Nächte zeigen sie gar keine Aktivität, was sich damit erklären lässt, dass Dreize- henmwen nur visuell auf Nahrungssuche gehen. Dreizehenmwen sind sehr gute Schwimmer und Flieger. Beim Fliegen nutzen sie oft wie Sturmvgel den Aufwind dicht ber der Wasseroberfläche. Die Flughhe und -geschwindigkeit hängt stark von der Windstärke ab, ebenso wie die Truppgrße ziehender Vgel. Meist fliegen Dreizehenmwen eher tief, jedoch konnte beobachtet werden, dass sie bis 1500 m aufsteigen, wenn sie mit Nahrung zu ihren Brutkolonien fliegen (KAY 1936 zit. in MYRES 1963). Mglicherweise geschieht dies, um Raubmwen zu entgehen.

18.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 18.6.1 Gefährdungsursachen Dreizehenmwen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropoge- ne Gefährdungen betroffen: - Verlung - Reduzierung des Nahrungsangebotes (z.B. durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Sandaal-Habitaten durch Fischerei oder Sedimentabbau) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Verfangen in Netzresten, die Basstlpel zum Nestbau verwenden (z.B. Kolo- nie auf Helgoland)

18.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Dreizehenmwen gegenber ausge- wählten anthropogenen Faktoren Dreizehenmwen weisen eine geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004) und sind nur wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsver- kehr. Vielmehr halten sie sich bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe von Schiffen auf und sind in der gesamten Nordsee häufig hinter Fischereifahr- zeugen anzutreffen (z.B. GARTHE & HÜPPOP 1994, CAMPHUYSEN et al. 1995a).

272 Dreizehenmwen sind wendige Flieger mit hoher Manvrierfähigkeit. Daher ist die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, als gering einzustufen. Der Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) hat den zweitniedrigsten Wert aller untersuchten Arten. Dennoch ist zu beachten, dass es insbesondere bei schlechten Sichtbedingungen zu Kollisionen mit technischen Bauwerken kommen kann, da Dreizehenmwen eine hohe Flugaktivität auf See haben und bisweilen auch nachts fliegen. Da sie ihre Nahrung auf See nur an oder wenige Zentimeter unter der Oberfläche erbeuten, sind Dreizehenmwen nicht durch zufälliges Verfangen und Ertrinken in bodennahen Stellnetzen gefährdet. In oberflächennahen Kiemennetzen fr den Lachsfang knnte es jedoch zu Verlusten kommen, wie von SCHIRMEISTER (2003) fr andere Mwenarten in der Ostsee beschrieben. Dreizehenmwen halten sich häufig auch schwimmend auf dem Meer auf, insbesonde- re in unmittelbarer Nähe zur Brutkolonie bilden sich oft große Trupps auf dem Wasser. Sie sind daher empfindlich gegenber Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Bei der Havarie der „Erika“ im Jahr 1999 wurden mehr als 550 verlte Dreizehenmwen gefunden. Doch haben solche Ölunfälle während der Wintermonate vermutlich nur einen geringen Effekt auf die Brutbestände, da meist Vgel verschiedener Brutgebiete betroffen werden (MITCHELL et al. 2004). Die Verlungsrate von Dreizehenmwen durch chronische Ölverschmutzung ist in der Nordsee in den letzten Jahren gesunken (CAMPHUYSEN 1998). An der deutschen Nordseekste lag sie in den Wintern 2000 / 01 und 2001 / 02 bei 18 % (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsun- fälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Dreizehenmwen ernähren sich berwiegend von kleinen pelagischen, schwarmbil- denden Fischarten, aber auch von planktonisch lebenden Crustaceen (vgl. Kapitel 18.5.6). Die Nahrungsversorgung gilt neben Prädation als Hauptfaktor fr demografi- sche Veränderungen bei Dreizehenmwen. Allerdings sind starke Bestandsschwan-

273 kungen wohl nur durch eine komplizierte Interaktion vieler Faktoren (neben Nah- rungsverfgbarkeit und Prädation z.B. auch Emigration, Immigration, Überlebensrate Adulter u.a.) erklärbar (MITCHELL et al. 2004). Als ausschließlich oberflächennah fressende Art mit einem, verglichen mit einigen anderen Hochseevogelarten, eher geringen Flugradius um die Brutkolonie sind Dreizehenmwen vergleichsweise empfindlich gegenber Veränderungen in Anzahl und Verfgbarkeit von Beuteorga- nismen. In einigen Kolonien Großbritanniens ernähren sich Dreizehenmwen zur Brutzeit berwiegend von Sandaalen, die dort auch die wichtigste Kkennahrung bilden. Die Grße des Sandaalvorkommens beeinflusst vermutlich den Brutzeitbeginn sowie den Anteil der Population, die in einem gegebenen Jahr brtet. Zumindest in der nordwestlichen Nordsee sind die Menge und saisonale Verfgbarkeit von Sandaalen entscheidend fr den Bruterfolg der Dreizehenmwen (MITCHELL et al. 2004). Dreizehenmwen sind daher sehr empfindlich gegenber Veränderungen im Sandaal- Angebot, wie sie z.B. durch Reduktion der Bestände durch Sandaal-Fischerei, Abbau von Sediment oder aber durch klimatische Veränderungen (und dadurch bedingte Verschiebungen im Planktonvorkommen und in der Sandaal-Rekrutierung) hervorge- rufen werden knnen. In der Brutsaison 2004 erlitten Dreizehenmwen in den nrdlichen Kolonien Großbritanniens einen kompletten Brutausfall und zeigten auch ein Jahr später nur einen relativ geringen Bruterfolg. Gleichzeitig wurde ein deutlich geringerer Anteil von Sandaalen sowie ein extrem niedriger Energiegehalt bei den vorhandenen Sandaalen und bei anderen Beutefischen in der Nahrung von Seevgeln festgestellt. Der Mangel an Sandaalen während der Brutperiode der Dreizehenmwen wird auf Verschiebungen in der Planktongemeinschaft zurckgefhrt, die mglicher- weise mit einem Anstieg der Wassertemperatur zusammenhängen (FREDERIKSEN et al. 2004, FREDERIKSEN et al. 2005, WANLESS et al. 2005b). Sandaale scheinen teilweise durch Fischerei und insbesondere durch klimatische Veränderungen deutlich beein- trächtigt zu werden (BEAUGRAND 2004, ARNOTT & RUXTON 2002), so dass zu vermuten ist, dass die fortschreitende Klimaerwärmung negative Folgen fr die Nahrungsverfgbarkeit und somit auch den Bruterfolg der Dreizehenmwen haben kann. Fr die Dreizehenmwen der Kolonie auf Helgoland wird eine Sandaal- Verknappung nach derzeitigem Kenntnisstand vermutlich keine starken Auswirkungen haben, da die Kkennahrung dort deutlich weniger auf Sandaale konzentriert ist (MARKONES 2007). Dreizehenmwen beginnen meist im 4.-5. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und haben eine sehr hohe Überlebensrate adulter Tiere, jedoch nur eine geringe Anzahl Jungvgel bei nur einer Brut pro Jahr. Durch das Reproduktionspoten- tial knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Der Status von Dreizehenmwen wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. Als Brutvogel ist die Art in Deutschland auf Helgoland beschränkt und daher auf der Roten Liste als „selten, mit geografischer

274 Restriktion“ gelistet (Tab. 18-3). Bisher ist der Brutbestand dort stabil (O. HÜPPOP, pers. Mitt.). Durch das späte Erstbrutalter machen sich Veränderungen im Altvogelbe- stand erst verzgert in den Kolonien bemerkbar.

Tab. 18-3: Rote-Liste- und Schutzstatus der Dreizehenmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt R entfällt P entfällt Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - - - III -

18.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: schwimmende Kleinmwen sind vom Flugzeug aus oft schwer bestimmbar; vom Schiff aus sind, im Gegensatz zum Flugzeug, detaillierte Verhal- tensbeobachtungen mglich.

18.8 Forschungsbedarf - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Mglicher Einfluss der Industriefischerei auf die Nahrungsverfgbarkeit - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

275 19 Zwergmwe

Hydrocoloeus minutus Pallas 1776 Synonym: Larus minutus

GB: Little Gull NL: Dwergmeeuw Foto: S. Garthe DK: Dværgmåge Abb. 19-1: Zwergmwe im SK S: Dvärgmås PL: Mewa mala

19.1 EU-Code A177

19.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

19.3 Kennzeichen Dreijahres-Mwe. Kleine, grazile Mwe, im PK mit schwarzer Kapuze, im SK mit schwarzem Ohrfleck und schwärzlichem Scheitel. Flgel bei adulten Vgeln unterseits schwarzgrau, oberseits hellgrau und ohne dunkle Spitzen, aber mit weißem Hinterrand, der sie rund wirken lässt. Im JK Kopf, Mantel und Rcken ausgedehnt schwarzbraun gemustert, Oberflgel mit dunklem Zickzackband und diffus grauem Armschwingenfeld; dunkle Schwanzbinde. Verwechslungsmglichkeiten: Im 1. Winter mit juveniler Dreizehenmwe; Zwergm- we kleiner, Armschwingen diffus gräulich, dunkler Fleck am inneren Armflgel- Hinterrand. Dreizehenmwe mit kreideweißen Armschwingen und schärfer abgesetz- tem Zickzackband.

276 19.4 Verbreitung / Bestand 19.4.1 Welt / Europa Zwergmwen sind im zentralen und nrdlichen Eurasien lckenhaft verbreitet. In Nordamerika existiert ein kleiner Bestand an der Hudson Bay und an den Großen Seen. Der Weltbestand wird nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) auf 97.000- 275.000 Individuen geschätzt. In Europa brten Zwergmwen vor allem in Finnland, im Baltikum, in Weißrussland und in Russland, doch brten immer wieder einzelne Individuen weit abseits des geschlossenen Verbreitungsgebiets, z.B. in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland. Fr Europa wird ein Brutbestand von 24.000-58.000 Paaren angegeben (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die nrdlichsten Winterquartiere liegen in der Nordsee, ansonsten halten sich die Zwergmwen während der Winterzeit weiter sdlich, vom Mittelmeer bis zum Kaspischen Meer und von W-Europa bis zur Ostsee, auf. Die Brutvgel Europas berwintern auf der Nord- und Ostsee, vor W-Europa und NW-Afrika. In Deutschland werden vor allem während der Zugzeiten große Ansammlungen von Zwergmwen auf See, an den Kstengewässern von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklen- burg-Vorpommern sowie auf den Seen Ostholsteins beobachtet. In milden Wintern knnen auch mehrere tausend Individuen in den Kstenregionen der Niederlande auftreten. Die in Europa vorkommenden Zwergmwen werden in zwei biogeografische Populationen aufgeteilt (Tab. 19-1).

Tab. 19-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Populationen der Zwergmwen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium N-Skandinavien, baltische N-, O- & L. Staaten, W- W-Europa, 72.000 - zuneh- Mitteleuropa 1.230 minutus Russland, NW-Afrika 174.000 mend (Brutzeit) Weißrussland, Ukraine Schwarzes, Kasp. und Schwarzes, L. stl. Kasp. und 25.000- W-Sibirien k.A. 1.000 minutus Mittelmeer stl. 100.000 (außerhalb Mittelmeer Brutzeit)

277 19.4.2 Deutschland Status: unregelmäßiger Brutvogel, Sommergast, Wintergast, Durchzgler. Die in Deutschland vorkommenden Zwergmwen gehren zur biogeografischen Population „N-, O- & Mitteleuropa“. Zwergmwen brten derzeit nicht in Deutschland. Einzelne Brutpaare wurden seit 1965 nicht alljährlich in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nachge- wiesen. Regelmäßig werden aber einzelne Übersommerer beobachtet. Während des Heim- und Wegzuges sind Zwergmwen sowohl auf der Nord- als auch auf der Ostsee verbreitet, außerdem knnen hohe Dichten auf der Elbe beobachtet werden (Abb. 19-2). Der Winterbestand von Zwergmwen in Deutschland beträgt etwa 1.300 Individuen (Tab. 19-2 und 19-3). Ergebnisse aus landbasierten Wasservogelzählungen liegen fr Zwergmwen nicht vor.

Abb. 19-2: Verbreitung der Zwergmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winter- halbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Ein beträchtlicher Teil der nordosteuropäischen Brutpopulation der Zwergmwen durchquert während des Heim- und des Wegzuges die deutsche Nordsee. Der Heimzug setzt Ende März ein, erreicht seinen Hhepunkt in der letzten April- bzw. ersten Maiwoche und endet abrupt Mitte Mai (z.B. GLOE 1987, GARTHE 1993a, SCHWEMMER & GARTHE 2006). Verbreitungsschwerpunkte liegen zu dieser Zeit in der Verlängerung der Eidermndung vor Schleswig-Holstein und im Bereich um Helgoland. Während der Brutzeit hält sich fast der gesamte Bestand in den osteuropäi- schen Brutgebieten auf. Übersommernde Individuen werden in der deutschen Nordsee daher in keinen nennenswerten Zahlen festgestellt. Der Wegzug findet zwischen Ende

278 September und Anfang November statt (z.B. TEMME 1991, GARTHE 1993a). Die Verbreitung ist dabei auf die kstennahen Gebiete beschränkt, mit einem Schwerpunkt in der äußeren Elbmndung. Das zahlenstarke Auftreten während des Wegzuges geht in ein geringeres, konstantes Wintervorkommen auf der deutschen Nordsee ber (Tab. 19-2), wobei der Großteil der osteuropäischen Brutpopulation in sdlicheren Breiten berwintert. Im Vergleich zu den Zeiträumen des Heim- bzw. Wegzuges ist die Verbreitung im Winter stärker von der Kste losgelst. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ konnten außer in den Sommermonaten zu allen Zeiten Zwergmwen nachgewiesen werden. Die grßte Anzahl hielt sich dort im Winter auf.

Tab. 19-2: Rastbestandszahlen der Zwergmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 4.600 3,7 III <0,1 III <0,1 Sommer III <0,1 0 0,0 0 0,0 Herbst 400 0,3 III <0,1 III <0,1 Winter 1.100 0,9 450 0,4 330 0,3

Ostsee Am zahlenstärksten kommen Zwergmwen auf der deutschen Ostsee während des Wegzuges im Herbst vor. Im August und September befindet sich ein bedeutendes Vorkommen in der Pommerschen Bucht, das sich von Rgen aus kstennah nach Usedom bis zur polnischen Grenze erstreckt. Die hchsten Konzentrationen befinden sich im Bereich des Greifswalder Boddens. Einzelne, v.a. ziehende Zwergmwen wurden im Offshore-Bereich auf und nrdlich der Oderbank gesichtet. SCHIRMEISTER (2001, 2002) beobachtete regelmäßig zahlenstarke Ansammlungen im Spätsommer vor der Insel Usedom. Auf der westlichen Ostsee kommen Zwergmwen im Herbst in geringer Anzahl vor. Um die Monatswende Oktober / November verlassen die Zwergmwen grßtenteils die Ostsee. Zugbeobachtungen bei Helgoland (GARTHE 1993a) zeigen, dass das Verlassen der Ostsee mit dem Einzug in die Nordsee zeitlich einher geht. Im Winter kommen Zwergmwen verstreut in geringen Dichten auf der deutschen Ostsee vor. Häufungen wurden bisher v.a. in der Kieler und der Pommer- schen Bucht beobachtet. Der Heimzug im Frhjahr verläuft zeitlich sehr konzentriert Anfang Mai. Von den kstennahen Binnengewässern sind sehr große Ansammlungen

279 zu dieser Jahreszeit bekannt (z.B. MÜLLER 2004), mglicherweise findet der Heimzug daher sehr kstennah statt. Bisher deuten sich keine großen Offshore-Vorkommen im Frhjahr an. Im Sommer fehlt die Art auf der Ostsee fast vllig, einzelne Nachweise gibt es nur aus der Kieler Bucht. Im SPA „Pommersche Bucht“ konnten außer in den Sommermonaten zu allen Zeiten Zwergmwen nachgewiesen werden. Die grßte Anzahl hält sich dort im Herbst auf (Tab. 19-3).

Tab. 19-3: Rastbestandszahlen der Zwergmwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitrum 2000-2005). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): II: 6-10, III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 500 0,4 90 0,1 III <0,1 Sommer 350 0,3 60 <0,1 0 0,0 Herbst 9.500 13,0 160 0,1 130 0,1 Winter 220 0,2 90 0,1 II <0,1

19.4.3 Bestandsentwicklung Die Brutbestände der Zwergmwen in Europa haben im Zeitraum 1970-1990 mäßig abgenommen. Im nachfolgenden Zehnjahreszeitraum kam es wieder zu Bestandszu- nahmen, die aber offensichtlich noch nicht wieder zum Erreichen frherer Bestands- grßen gefhrt haben (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die Durchzugszahlen haben in Mitteleuropa ab Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich zugenommen, was sich dann vor allem ab den 1980er und 1990er Jahren in sehr hohen Anzahlen widerspiegelt. Inzwischen deutet sich an, dass die Durchzugssummen in Norddeutsch- land seit dem Jahrhundertwechsel nicht weiter ansteigen, wobei starke jährliche Schwankungen festzustellen sind (FTZ unverffentl., B. KOOP pers. Mitt., B. SCHIRMEISTER pers. Mitt.).

19.5 Biologie / Ökologie 19.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: wahrscheinlich mit 2-3 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, Paarbildung setzt in den heimziehenden Trupps ein Brutzeit: Legebeginn von Mitte Mai bis Mitte Juni, im Norden etwas später, Brutdauer 21-23 Tage

280 Gelege: 2-3 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege bei frhem Verlust mglich, beide Eltern brten Kken: nach dem Schlpfen sind Kken etwa 1 Woche auf dem Nest, beide Eltern fttern, Kken sind nach 21-24 Tagen flgge und kurz danach selbständig

19.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 6 Jahre Ältester Ringvogel: 20 Jahre 10 Monate Sterblichkeit: keine Angabe

19.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Teilmauser) vollzieht sich bei Zwergmwen von August bis Oktober / November. Im 2. KJ schließen sich 1. Pränuptialmauser und 1. Postnuptial- mauser an. Bei der ersteren handelt es sich um eine Teilmauser (Februar-Mai), bei der letzteren um eine Vollmauser (Juni-November). Adulte Vgel beginnen im Juni / Juli mit der Vollmauser, die im November abgeschlossen ist. Erfolglose Brutvgel erneuern ihre Kopfkappe schon im Juli, während die brigen dies erst im August tun. Da Zwergmwen ihre Schwingen nicht synchron mausern, sind sie zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt.

19.5.4 Wanderungen Zwergmwen sind Kurz- und Mittelstreckenzieher. Auf dem Heimzug vollziehen sie einen Breitfrontzug durch Europa in SW-WSW-Richtung, wobei es an den Ksten zu großen Ansammlungen kommt. Sie verlassen die Brutplätze ab Juli, der Gipfel des Wegzuges liegt in Mitteleuropa Ende August / Anfang September. Der Gipfel des Heimzuges wird Ende April / Anfang Mai erreicht. Die bedeutendsten Durchzugsge- biete sind der Unterelberaum und die Seen im stlichen Schleswig-Holstein, wo regelmäßig große Anteile der biogeografischen Population gleichzeitig beobachtet werden (z.B. KOOP 1997). Während des Zuges halten sich hier ber mehrere Wochen große Trupps nahrungssuchender Zwergmwen auf. Während des Durchzuges kommen auf der deutschen Nord- und Ostsee jeweils nahezu zeitgleich bedeutende Anteile der biogeografischen Population vor.

281 19.5.5 Habitat Zwergmwen brten am Ufer von Inseln, häufig umgeben von Schilf, auf schwim- menden Wasserpflanzen und anderen schwer zugänglichen Stellen an flachen, vorzugsweise eutrophen Sßwasserseen, Smpfen und Fischteichen (zur Verbreitung s. Kapitel 19.4.1). An der stlichen Ostseekste bauen sie ihre Nester auch an brackigen Gewässern. Häufig brten Zwergmwen zusammen mit Seeschwalben oder in kleineren Lachmwenkolonien. Während der Wintermonate suchen die Mwen im Schelfmeer an plankton- und kleinfischreichen Stellen vom N-Atlantik bis zum Mittelmeer nach Nahrung. An grßeren Binnengewässern oder Flusstälern jagen Zwergmwen während der Zugzeit z.T. auch ber Land.

19.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Zwergmwen nehmen wahrscheinlich meist tagsber Nahrung auf. Während des Frhjahrs- und Herbstzuges sind Zwergmwen oft in Zugtrupps anzutreffen, die eine charakteristische Kombination aus Zug und Nahrungsaufnahme zeigen. Dabei ist die Aufnahme von kleinen Nahrungspartikeln von der Wasseroberfläche im Flug die häufigste Methode, gefolgt vom Aufpicken kleiner Partikel im Schwimmen (SCHWEMMER & GARTHE 2006). Auch Luftverfolgung von Insekten ist nachgewiesen (JÖRGENSEN 1965, KOOP 1985). Durch die Brandung aufgewirbeltes Wasser (RUTTLEDGE 1974) oder durch die Tide hervorgerufene Strmung (EADES 1982) bieten Zwergmwen gute Nahrungsbedingungen. Nahrung wird oft in inner- oder zwischenartlichen Gruppen gesucht (KOOP 1985, KEIJL & LEOPOLD 1997, SCHWEMMER & GARTHE 2006). Letztere Gruppen basieren häufig auf kommensalisti- schen Interaktionen mit tauchenden Arten, durch deren Jagdaktivität kleine Nahrungs- partikel an die Wasseroberfläche gebracht werden (DITTBERNER & DITTBERNER 1989, EVANS 1989). Es handelt sich hierbei also nicht um Kleptoparasitismus, da die tauchenden Arten nicht ihrer Beute beraubt werden. Während der Brutzeit besteht die Nahrung von Zwergmwen hauptsächlich aus limnischen Insekten und kleinen Fischen (IL’IČEV & FLINT 1990). Auch in Rasthabitaten des Binnenlandes dominieren Insekten und in geringeren Mengen kleine Fische (JÖRGENSEN 1965, ISENMANN 1973, KOOP 1985, 1997). Über die Nahrung von Zwergmwen auf See während der Zugphasen und des Winters ist kaum etwas bekannt. Nordsee SCHWEMMER & GARTHE (2006) beprobten während des Heimzuges in den Jahren 2004-2005 potentielle Nahrungsorganismen an Orten mit hoher Fressaktivität von Zwergmwen im Offshorebereich der deutschen Nordsee. Zusammensetzung und Häufigkeit der potentiellen Nahrungsorganismen unterschieden sich zwischen

282 verschiedenen Orten. In einem Gebiet stlich von Helgoland dominierten zooplankti- sche Organismen, v.a. Fischlarven und -eier sowie Ruderfußkrebse (Copepoden). In der Elbmndung fand man dagegen hauptsächlich an der Wasseroberfläche treibende Insekten. Die Elbe scheint fr Zwergmwen während des Heim- bzw. Wegzugs eine unterschiedliche Bedeutung zu haben. Während des Wegzuges halten sich deutlich mehr Zwergmwen auf der Elbe auf (GARTHE 1993b). Beprobungen ergaben, dass zu dieser Zeit die häufigste potentielle Nahrungsquelle der Stint ist, was sich gut mit dem Massenvorkommen des Stints auf der Elbe zwischen Juli und September deckt (MÖLLER 1984, THIEL & POTTER 2001). In dieser Periode gewinnt die Elbe mgli- cherweise an Bedeutung als Nahrungsgebiet fr Zwergmwen. Fischerei Die Bedeutung von Fischereifahrzeugen fr Zwergmwen ist gering. SCHWEMMER & GARTHE (2006) beobachteten nur ein einziges Individuum bei der Nahrungsaufnahme hinter Fischkuttern während des Heimzuges der Jahre 2001-2004. Allerdings folgen Zwergmwen regelmäßig Schiffen ohne Fischereiaktivität, um im aufgewirbelten Schraubenwasser nach Nahrung zu suchen (EADES 1982, FTZ unverffentl.).

19.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Zwergmwen sind außerhalb der Zugzeit tagaktive Vgel, während des Zuges ziehen sie sowohl tags als auch nachts. Beobachtungen am Großen Plner See zeigten, dass sie dort vor allem vormittags zwischen 10 h und 12 h durchziehen (KOOP 1985). Zwergmwen bewegen sich meist fliegend, bei Streckenflgen bevorzugt dicht ber dem Wasser, aber auch in Hhen zwischen 10-50 m. Auf dem Meer und an vielen Binnengewässern schlafen sie schwimmend und bernachten dort bei jedem Wetter, auch wenn es sehr windig ist (KOOP 1985). Zwergmwen sind sehr gesellig, Einzelv- gel sind nur ausnahmsweise zu beobachten.

19.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 19.6.1 Gefährdungsursachen Zwergmwen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Wegfall kleiner Fische als Nahrung als indirekter Effekt der Fischerei

283 19.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Zwergmwen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren

Zwergmwen besitzen eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen (GARTHE et al. 2004), die Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr ist als gering einzustufen. Zwergmwen sind wendige Flieger mit hoher Manvrierfähigkeit, daher ist die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, eher gering. Der Wert im Windenergie-Sensitivitäts- index nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt, verglichen mit anderen untersuchten Arten, im unteren Bereich. Dennoch ist zu beachten, dass es insbesondere bei schlechten Sichtbedingungen zur Kollision mit technischen Bauwerken kommen kann, da Zwergmwen eine hohe Flugaktivität auf See aufweisen und gelegentlich auch nachts fliegen. Da sie ihre Nahrung auf See nur an der Oberfläche erbeuten, sind Zwergmwen nicht durch zufälliges Verfangen und Ertrinken in bodennahen Stellnetzen gefährdet. Während des Zuges rasten Zwergmwen auch auf dem Meer bzw. versammeln sich dort an nächtlichen Schlafplätzen und sind daher empfindlich gegenber Ölverschmut- zung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Seev- geln wie See- und Lappentaucher, Meeresenten oder Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser verbringen, ist die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Zwergmwen wesentlich geringer. Ölverschmutzung kann jedoch auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Die Nahrung der Zwergmwen auf Nord- und Ostsee ist weitgehend unbekannt (vgl. Kapitel 19.5.6). Systematisch gesammelte Informationen zu potentiellen Nahrungsor- ganismen liegen bisher lediglich durch Planktonbeprobungen in Gebieten vor, in denen Zwergmwen bei der Nahrungsaufnahme beobachtet wurden. SCHWEMMER & GARTHE (2006) erfassten Zwergmwen dabei berwiegend an hydrografischen Fronten oder Schaumlinien und fanden dort v.a. Fischlarven, Insekten und Zooplank-

284 ton als potentielle Beuteobjekte. Zwergmwen ernähren sich vermutlich von derarti- gen kleinen Nahrungspartikeln. Es spielen jedoch mit großer Sicherheit auch (zumin- dest zu bestimmten Jahreszeiten) kleine Fische eine bedeutende Rolle in der Nahrung von Zwergmwen auf der Nord- und Ostsee (GARTHE 1993a; FTZ unverffentl.). Während des Wegzuges in die Wintergebiete halten sich Zwergmwen in großer Anzahl auf der Unterelbe auf und ernähren sich dort berwiegend von kleinen Stinten (GARTHE 1993b, 1996b). Daher knnte es durch einen Wegfall dieser Nahrungsquelle zu einer Nahrungsverknappung fr Zwergmwen kommen. Die Verfgbarkeit kleiner Fische ist indirekt mit der fischereilichen Nutzung grßerer Raubfische gekoppelt (CASAS & PAZ 1996, GERASIMOVA & KISELEVA 1998). Entsprechend ist anzuneh- men, dass Zwergmwen, ähnlich wie Seeschwalben, von einem verstärkten Angebot an Kleinfischen und anderen kleinen Beuteobjekten, bedingt z.B. durch Eutrophierung oder durch die Überfischung großer Raubfischarten, profitieren. Fr detailliertere Aussagen zu einer mglichen Gefährdung von Zwergmwen durch Nahrungsverknap- pung sind jedoch weiterfhrende Nahrungsuntersuchungen ntig. Fr einen Einfluss von Sedimentabbau auf die Ernährungssituation von Zwergmwen gibt es derzeit keine Hinweise. Zwergmwen knnen vermutlich im 2.-3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen. Sie brten nur einmal pro Jahr und haben in der Regel 2-3 Eier, woraus sich eine geringe Anzahl Jungvgel ergibt. Im Vergleich zu anderen in Deutschland vorkom- menden Mwenarten ist die Generationslänge bei Zwergmwen kurz. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste nur dann bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, wenn ein umfassender Schutz in den Brutgebieten gewährleistet ist. Die europäische Brutpopulation ist relativ gering und verzeichnete zwischen 1970-1990 eine moderate Abnahme. Obwohl Zwergmwen in den darauf folgenden zehn Jahren fast berall in Europa einen stabilen, schwankenden oder zunehmenden Trend zeigten, hat die Population sich vermutlich noch nicht von der vorangegangenen Abnahme erholt und wird nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) daher vorläufig als „stabilisiert nach Bestandsrckgang“ eingestuft. Zwergmwen sind im Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet und in die SPEC-Kategorie 3 als Art mit ungnstigem Erhaltungszustand in Europa eingestuft (Tab. 19-4).

285 Tab. 19-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Zwergmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R entfällt entfällt entfällt entfällt I Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I 3 - II +

19.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Schiff aus sind im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltens- beobachtungen mglich

19.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Identifizierung der Brutgebiete und der Zugrouten der in der Nord- und Ostsee berwinternden Individuen - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See

286 20 Lachmwe Larus ridibundus Linnaeus 1766

GB: (Common) Black-headed Gull NL: Kokmeeuw DK: Hættemåge Foto: S. Garthe S: Skrattmås Abb. 20-1: Lachmwe im PK PL: Śmieszka

20.1 EU-Code A179

20.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

20.3 Kennzeichen Kleinmwe mit spitzen Flgeln, hellgrauer Oberseite und breitem, weißem Vorderfl- gelkeil. Unterseits an weißen Flgelkeil anschließendes schwärzliches Flgelfeld. Im PK mit dunkel schokoladenbrauner Kapuze, Schnabel und Beine matt dunkelrot. Im SK Kopf weiß mit breitem, dunklem Ohrfleck, Schnabel und Beine rot oder braunrot, Schnabelspitze dunkel. Zweijahres-Mwe. Im JK Oberseite und Kopfmuster auffällig gelbbraun, Flgel braun gemustert, schwarze Schwanzendbinde, Schnabel und Beine gelblich bis fleischfarben. Die auffällige Färbung wird mit zunehmendem Alter blasser, im ersten Sommer einige Armdecken und Schwanzendbinde noch braun, dunkle Kapuze mit variablem Weißanteil. Verwechslungsmglichkeiten: Im Sommer mit adulter Zwergmwe, Lachmwe aber grßer, mit weißem Vorderflgelkeil; Unterflgel nicht so dunkel, im PK Kapuze heller und nicht so weit in den Nacken reichend wie bei Zwergmwe.

287 20.4 Verbreitung 20.4.1 Welt / Europa Lachmwen brten in den mittleren und nrdlichen Breiten von NW- und S-Europa bis O-Sibirien und Kamtschatka. Neuerdings vollzieht sich eine Ausbreitung nach Nordamerika. Die Winterverbreitung reicht bis Afrika (S-Grenze Äthiopien, an der W- Kste bis Nigeria). Der globale Brutbestand wird auf 4,85 Mio. - mind. 8,85 Mio. Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). In Mitteleuropa sind Lachmwen verbreitete und häufige Brut- und Jahresvgel. Bei den Überwinterern in Deutschland handelt es sich grßtenteils um Vgel aus stlichen Brutgebieten. BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) gibt fr ganz Europa einen Brutbestand von 1,5- 2,2 Mio. Paaren an. Die in Europa vorkommenden Lachmwen werden in drei verschiedene biogeografische Populationen eingeteilt (Tab. 20-1).

Tab 20-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Lachmwen in Europa (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium W- & L. N- & W-Europa, S- & W- 3,7- ab- Mitteleuropa 20.000 ridibundus S-Grnland Europa 4,8 Mio. nehmend (Brutzeit) Bulgarien, L. O-Europa Russland Mittelmeer, 770.000- k.A. 13.000 ridibundus (Brutzeit) Trkei, Serbien N-Afrika 1,8 Mio. u.a. SW-Asien, SW- & L. O-Afrika W-Russland, Zentral- 250.000 k.A. 2.500 ridibundus (außerhalb Zentralasien asien, O- Brutzeit) Afrika

20.4.2 Deutschland Status: Verbreiteter und häufiger Brut- und Jahresvogel, Durchzgler, Rastvogel. Die in Deutschland vorkommenden Lachmwen gehren zur biogeografischen Population "W- & Mitteleuropa". Der Brutbestand der Lachmwen in Deutschland betrug im Jahr 1999 151.000 Paare, knapp die Hälfte davon brtet im Binnenland (BELLEBAUM 2002). In Schleswig- Holstein haben die Lachmwen ihren Verbreitungsschwerpunkt in den letzten Jahren verlagert. Viele Kolonien sind vom Binnenland und der Ostseekste an die Nordsee gewandert, es brten in Schleswig-Holstein etwa 35.000 Paare (Bezugszeitraum 2001, BERNDT et al. 2002), davon ca. 33.000 Paare an der Nordseekste (Bezugszeitraum 2001, KOFFIJBERG et al. 2006). In Niedersachsen brten 45.000 Paare (Bezugszeit-

288 raum 2001, KOFFIJBERG et al. 2006) und in Mecklenburg-Vorpommern 22.300 (Bezugszeitraum 1999, BELLEBAUM 2002). Die Daten der Wasservogel- und der Mwen-Schlafplatzzählung verdeutlichen, dass Lachmwen auch im Winter weit verbreitet sind (Abb. 20-3). Neben den Kstenab- schnitten konzentrieren sich die Vorkommen vor allem auf die wasserreichen Ballungsräume (Berlin, Rhein-Ruhr, Rhein-Main). In nahezu jeder grßeren an einem Gewässer gelegenen Stadt finden sich im Mittwinter grßere Lachmwenansamm- lungen ein. Abseits grßerer Gewässer sind Lachmwen im Winter nur in kleinen Anzahlen anzutreffen. Das Muster von Lachmwenvorkommen auf Nord- und Ostsee ist in den Sommermo- naten sehr unterschiedlich (Abb. 20-2). Obwohl sich Lachmwen vielerorts terrestrisch ernähren, wechseln Individuen an der deutschen Nordseekste zeitweise auch in das Wattenmeer und den kstennahen Hochseebereich (SCHWEMMER & GARTHE 2007). In den kstenfernen Bereichen der Ostsee dagegen werden Lachmwen nur in geringer Zahl angetroffen (Abb. 20-2). Der Mittwinterbestand in Deutschland wird auf etwa 235.000 Individuen geschätzt (DDA unverffentl., Tab. 20-2 und 20-3). Etwa 90 % der Lachmwen halten sich zu dieser Zeit im Binnenland auf. Bei den im Winter anwesenden Mwen handelt es sich wahrscheinlich berwiegend um Brutvgel NO-Europas (N-Deutschland; vgl. BØNLØKKE et al. 2006) bzw. aus NO- und O-Europa (S-Deutschland; z.B. HÖLZINGER & BOSCHERT 2001). Das Auftreten der Lachmwen in verschiedenen Regionen schwankt stark im Jahresverlauf: An der Nordseekste werden im August / September die Maximalzahlen von 150.000-250.000 Individuen erreicht, dagegen sind außerhalb der Brutzeit zwischen November und Februar dort nur noch weniger als 10.000 Individuen anwesend (BLEW et al. 2005). In vielen städtischen Gebieten mit Gewässern werden die Maximalbestände – auch im Norden Deutschlands, allerdings nicht auf See – dagegen oft erst im Winter erreicht (z.B. VAUK & PRÜTER 1987, MÄDLOW 1994, KORN 1997). In „ländlichen Räumen“ treten die hchsten Bestände bereits im Herbst auf (ARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN-BRANDENBURGISCHER ORNITHOLOGEN 2001a). Je nach Witterung verlieren zum Frhjahr hin die Ballungs- räume recht schnell ihre Bedeutung, während die der kolonienahen Gebiete zunimmt. Während des Frhjahrs sind auch die oft zeitweise berfluteten Gebiete in den großen Flusstälern bedeutend (ARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN-BRANDENBURGISCHER ORNITHOLOGEN 2001a). Bundesweit ist davon auszugehen, dass die maximalen Rastbestände im Herbst erreicht werden (vgl. VAN ROOMEN et al. 2005).

289

Abb. 20-2: Verbreitung der Lachmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalb- jahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nordsee: 1990- 2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 20-3: Verbreitung der Lachmwen in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung (Kreise) sowie der Mwen-Schlafplatzzählung (Quadrate, gleiche Skalierung). Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000- 2005 sowie der Schlafplatzzählungen 2004-2006.

290 Nordsee In der deutschen Nordsee konzentrieren sich die Lachmwen im gesamten Jahresver- lauf fast ausschließlich auf die kstennahen Gebiete. Kstenfern kommt die Art nur in geringer Anzahl vor. Im Frhjahr treten sie mit mittleren Dichten entlang der gesamten Kste auf, mit einem Schwerpunkt im Bereich der Elbmndung. Im Frhsommer sind sie durch die Bindung an die Brutkolonien noch stärker auf den Kstenbereich konzentriert. Gegen Ende der Brutzeit gewinnt das Wattenmeer gegenber dem kstennahen Binnenland als Nahrungshabitat an Bedeutung (SCHWEMMER & GARTHE 2007). Die wichtigsten Verbreitungsschwerpunkte liegen dann im Wattenmeer von der Elbmndung bis zur Insel Fhr und im Rckseitenwatt der Ostfriesischen Inseln. Vor den Ostfriesischen Inseln sind Lachmwen lokal in großen Schwärmen hinter Garnelenkuttern zu beobachten (WALTER & BECKER 1997). Auch im Herbst liegen die Schwerpunkte an der Kste, im Vergleich zum Sommer nimmt die Zahl der Lachm- wen aber, bedingt durch das Zuggeschehen, deutlich zu. Hohe Konzentrationen befinden sich im Mndungsbereich der großen Flsse. Im Winter verlässt ein Großteil der Lachmwen die deutsche Nordsee, es stellt sich jedoch ein konstantes Wintervor- kommen mit weiterhin kstennaher Verbreitung ein. Die hchsten Konzentrationen liegen in den Ästuarbereichen von Ems und Elbe. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ halten sich zu jeder Jahreszeit Lachmwen auf. Die bei weitem grßte Anzahl kann hier im Frhjahr beobachtet werden (Tab. 20-2).

Tab. 20-2: Rastbestandszahlen der Lachmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 96.000 2,3 1.300 <0,1 1.200 <0,1 Sommer 160.000 3,8 70 <0,1 III <0,1 Herbst 170.000 4,0 430 <0,1 80 <0,1 Winter 16.000 0,4 III <0,1 70 <0,1

Ostsee Lachmwen kommen insgesamt in geringer Anzahl auf den deutschen Ostseegewäs- sern vor. Obwohl sich entlang der Kste zahlreiche Brutkolonien befinden, wurden im Sommer bisher kaum Lachmwen auf dem Meer beobachtet (Abb. 20-3). Die Ernährung (s. Kapitel 20.5.6) ist dort berwiegend terrestrisch (CREUTZ 1963, HARTWIG & MÜLLER-JENSEN 1980, GÖTMARK 1984). Während des Wegzuges im

291 Herbst gibt es lokal grßere Konzentrationen in der Flensburger Frde, der Kieler und der Wismarbucht und im sdlichen Greifswalder Bodden. Im Winter halten sich Lachmwen bevorzugt kstennah auf. Kleine Vorkommen befinden sich im Greifs- walder Bodden und im Bereich von Rgen sowie in der Kieler Frde. Während des Heimzuges im Frhjahr treten Lachmwen vereinzelt auch in den kstenfernen Bereichen der Ostsee auf. Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden Lachmwen bislang nur im Frhjahr und im Herbst mit wenigen Individuen nachgewiesen (Tab. 20-3).

Tab. 20-3: Rastbestandszahlen der Lachmwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 60 <0,1 III <0,1 Sommer k.A. k.A. 0 0,0 0 0,0 Herbst k.A. k.A. 70 <0,1 III <0,1 Winter 15.500 0,4 0 0,0 0 0,0

20.4.3 Bestandsentwicklung Die grßten Lachmwen-Kolonien Europas befinden sich in Weißrussland, Deutsch- land, den Niederlanden und in Großbritannien (inkl. Nordirland). Seit der Erstansiedlung 1931 an der deutschen Nordseekste nahmen dort die Brutpaarzahlen stetig zu und schwankten im Zeitraum 1991 bis 2001 im gesamten Wattenmeer (inkl. der Niederlande und Dänemarks) um einen durchschnittlichen Brutbestand von 134.000 Paaren. Im Jahr 2001 brteten ca. 155.000 Paare im gesamten Wattenmeer, was auf einen allgemeinen positiven Trend hindeutet. Allerdings variieren die Bestandstrends zwischen den einzelnen Ländern: Während in Niedersachen und Schleswig-Holstein die Brutbestände ab den 1990er signifikant zunahmen, wurde in den Niederlanden und in Dänemark im selben Zeitraum eine Abnahme der Bestände verzeichnet (HELDBJERG 2001, KOFFIJBERG et al. 2006). Außerdem unterscheidet sich der Bestandstrend signifikant zwischen Festlands- und Inselkolonien. Seit den 1990er Jahren steigt die Zahl der Brutpaare auf den Inseln kontinuierlich an, während sie auf dem Festland sinkt, eine Ausnahme bildet die Insel Trischen (Schleswig-Holstein). Dort nimmt die Zahl der Brutpaare ab, während sie am Festland ansteigt (KOFFIJBERG et al. 2006).

292 Der Brutbestand an der deutschen Ostseekste von ber rund 61.000 Paaren im Jahr 1983 ging bis Ende der 1990er Jahre um ber 75 % zurck (BELLEBAUM 2002). Diese Entwicklung wurde auch fr andere Ostseestaaten wie Finnland, Schweden und Lettland beschrieben (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Zur Rastbestandsentwicklung der Lachmwen auf Basis der Wasservogelzählung liegen aus dem Winter wenige belastbare Langzeitreihen vor, da diese Art vor allem in frheren Jahren oft nicht miterfasst wurde. Nur fr die Nordseekste sind verlässliche Berechnungen mglich, wo seit Ende der 1980er Jahre die Rastbestände im Winter kontinuierlich abnahmen. Eine solche Entwicklung ist auch in den Niederlanden zu beobachten (VAN ROOMEN et al. 2005) und wird vereinzelt aus anderen deutschen Gebieten berichtet (Bodensee: HÖLZINGER & BOSCHERT 2001, OAG Bodensee, schriftl., Offenbach: ERLEMANN 2001). Die Hauptursache fr den deutlich negativen Trend der letzten Jahre in den Winterbeständen (Abb. 20-4) drfte der Rckgang der Brutbestände in den Herkunfts- ländern hierzulande berwinternder Mwen sein (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die Schließung der meisten Mlldeponien in Deutschland fr unbehandelte organische Abfälle (inkl. Hausmll) im Sommer 2005 zeigte im darauf folgenden Winter keine erkennbare Wirkung (im Gegensatz zur Silbermwe, s. Kapitel 23).

Abb. 20-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Lachmwen in Deutschland an der Nordseekste im Januar 1981-2005 nach den Daten der Wasservogelzählung rela- tiv zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II).

293 20.5 Biologie / Ökologie 20.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: erstmalige Brut mit 3 Jahren (4. KJ) Paarbildung: monogame Saisonehen, Wiederverpaarung wegen Ortstreue mglich Brutzeit: Ankunft am Brutplatz in S-Deutschland ab Anfang März, sonst bis Anfang April, Legebeginn Anfang bis Ende April, Brutdauer 21-27 Tage Gelege: meist 3 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege meist mit Nestverle- gung verbunden, beide Eltern brten Kken: Kken bleiben als Platzhocker bis zur Flugfähigkeit (26-28 Tage) im ca. 1 m² großen Nestterritorium, beide Eltern fttern, Kken sind nach ca. 35 Tagen selbständig und schließen sich zur Nahrungssuche zusammen

20.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 6 Jahre Ältester Ringvogel: > 32 Jahre Sterblichkeit: 38 % im 1. KJ, später ca. 23 % pro Jahr (Dänemark, ähnliche Werte auch in Großbritannien & Irland)

20.5.3 Mauser Im Alter von etwa 2-3 Monaten setzt die postjuvenile Mauser (Teilmauser) ein, die meist im Oktober abgeschlossen wird. Im 2. KJ beginnt im Januar die 1. Pränuptial- mauser (Teilmauser) und zieht sich bis Mai, daran anschließend findet die 1. Postnup- tialmauser (Vollmauser) statt. Bei adulten Vgeln beginnt die Vollmauser meist im Juni. Bis November wird die Handschwingenmauser abgeschlossen. Da Lachmwen ihre Schwingen nicht synchron mausern, sind sie zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt. Von Januar bis März findet die Pränuptialmauser (Teilmauser) der Adulten statt.

20.5.4 Wanderungen Lachmwen sind ganz berwiegend Zugvgel. Heimische Brutvgel berwintern in W- und SW-Europa, ebenso wie Brutvgel aus Fennoskandien. Lachmwen die als Wintergäste in Deutschland beobachtet werden knnen, stammen großteils aus dem Baltikum und Finnland. Auch in milden Wintern bleiben offensichtlich nur wenige der hiesigen Brutvgel hier (KLAFS & STÜBS 1987, ZANG et al. 1991, GARTHE 1996b).

294 Sie vollziehen meist einen Breitfrontzug, wobei Kstenlinien und Flusstäler als Leitlinien dienen. Die Hauptzugrichtung in Kontinentaleuropa ist auf dem Wegzug Sdwest mit starker Streuung. Jungvgel zeigen oft Streuungswanderungen, die ohne Bezug zu einer Wegzugsrichtung stehen, sondern sich eher nach dem vorhandenen Nahrungsangebot richten. Der eigentliche Wegzug der Jungvgel beginnt meist erst im August. Ab Ende Mai ziehen erfolglose Brutvgel und Nichtbrter aus den Brutkolo- nien ab. Ab Mitte Juni folgen ihnen die brtenden Vgel. In ihren Überwinterungsge- bieten kommen Lachmwen meist ab September, häufiger im Oktober an, der Wegzug kann sich aber auch witterungsabhängig bis in den Dezember erstrecken. Ihren Heimzug beginnen Lachmwen meist Mitte Februar, der Zughhepunkt liegt in der ersten Aprilhälfte. 1-2-jährige Vgel bersommern häufig zwischen Winterquartier und Geburtskolonie.

20.5.5 Habitat Lachmwen brten in dichten Kolonien in der Verlandungszone in nicht zu hoher, dichter Vegetation (zur Verbreitung s. Kapitel 20.4.1). Vorzugsweise im Binnenland bilden sie große Kolonien an Rhrichten und Großseggenrieden an langsam fließenden oder stehenden Gewässern. An den Ksten brten Lachmwen eher in Salzwiesen als in Dnen. Das Angebot an optimalen Brutplätzen ist beschränkt. Zur Nahrungssuche nutzen sie vielfach Äcker und Grnland, die in einem Radius von 20-30 km von der Brutkolonie entfernt liegen knnen (GORKE & BRANDL 1986). Der mittlere Flugradius der Lachmwen an der Nordsee beträgt ca. 5 km und wird im Gegensatz zum Radius im Binnenland zur Brutzeit nicht grßer (GORKE 1990). Lachmwen zeigen während der Brutsaison einen regelmäßigen Wechsel zwischen marinen und terrestrischen Nahrungshabitaten (SCHWEMMER & GARTHE 2007). Im kstennahen Binnenland kommen oft hohe Individuenzahlen auf landwirtschaftlichen Flächen und v.a. hinter bodenbearbeitenden Fahrzeugen vor. Dort stellen Lachmwen (zumindest im schleswig-holsteinischen Bereich) die dominierende Art dar (SCHWEMMER et al. in Vorb.). Im Sommer wird das Binnenland allerdings weniger stark genutzt als marine Bereiche. Im Winter kommen Lachmwen zur Nahrungssuche besonders an Mllkippen, Kläranlagen oder in Hafen- und Industriegebieten vor. Nachts versammeln sich Lachmwen an Schlafplätzen, z.B. auf grßeren stehenden Gewässern, auf Inseln oder an Seeufern sowie auf Stegen und in Häfen. Während Lachmwen vielfältige Habitate zur Nahrungssuche nutzen, haben sie doch sehr enge Ansprche an ihren Brutplatz.

295 20.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Lachmwen jagen häufig im Rttel-, Sturz- oder Verfolgungsflug. Neben der Zwergmwe ist die Lachmwe die einzige Mwenart, welche sehr häufig im freien Luftraum nach Insekten jagt. Oft fliegen die Mwen während der Nahrungssuche niedrig ber den Boden oder die Wasseroberfläche, wobei sie hin und wieder Beuteorganismen mit dem Schnabel aufpicken. So werden auch Hecken und Baum- kronen nach Insekten und Frchten abgesucht. Auf dem Boden oder in seichtem Wasser laufen sie während der Nahrungssuche und benutzen dabei auch die Methode des Trampelns (auf der Stelle treten, um Nahrung an die Oberfläche zu befrdern). Während des ganzen Jahres sind Lachmwen gesellig. Eine weitere wichtige Ernährungsstrategie ist der Kleptoparasitismus: Lachmwen jagen hierbei regelmäßig anderen Wasservgeln wie Tauchenten, Seeschwalben oder Alken Beute ab. GARTHE & KUBETZKI (1998) konnten beobachten, dass in einer Kolonie von Brandseeschwalben auf Juist 11 % der von Seeschwalben erbeuteten Nahrung durch Lachmwen kleptoparasitiert wurde. Fr eine Brandseeschwalbenko- lonie auf Griend (Niederlande) wurde eine Rate von ca. 25 % ermittelt (STIENEN et al. 2000). THOMPSON (1986) dokumentierte, dass durch Kleptoparasitismus Regenwr- mer erbeutet wurden, die zuvor durch Kiebitze und Goldregenpfeifer auf Grnländern erbeutet worden waren. Lachmwen nutzen opportunistisch sowohl das Binnenland als auch das Wattenmeer und kstennahe pelagische Bereiche von Nord- und Ostsee als Nahrungshabitat. Die Nutzung von Nahrungshabitaten variiert deutlich zwischen verschiedenen Jahren, Brutphasen und Tageszeiten sowie zwischen Individuen verschiedener Brutkolonien (SCHWEMMER & GARTHE 2007, CURTIS et al. 1985). Lachmwen weisen ähnlich wie Sturmmwen ein sehr breites Nahrungsspektrum auf. Generell besteht ihre Nahrung berwiegend aus terrestrischer Beute wie Insekten und Regenwrmern sowie Wirbellosen aus der Gezeitenzone. Fisch wird vergleichsweise selten erbeutet. Nordsee Die meisten Studien hinsichtlich der Ernährungskologie liegen derzeit fr die deutsche Nordseekste vor. Die Nahrungswahl der Lachmwen an der Nordseekste ist räumlich und zeitlich sehr variabel. Dies unterstreicht die opportunistische Ernährungsstrategie. Im Wesentlichen dominieren Insekten und Regenwrmer sowie die Baltische Plattmuschel (Macoma balthica) und Polychaeten. Zu bestimmten Zeiten spielen Samen und Frchte eine wichtige Rolle.

HARTWIG (1971) untersuchte im August 1970 gesammelte Speiballen von Lachmwen einer Kolonie auf Sylt. In 83 % der Proben befanden sich Pflanzenteile, die meist aus

296 Krähenbeeren (Empetrum nigrum) bestanden. Crustaceen kamen in geringeren Anteilen vor.

LORCH et al. (1982) sezierten während der Brutzeit des Jahres 1980 entnommene Lachmwenkken einer Binnenlandskolonie im Weser-Ems-Gebiet und einer Kolonie auf Wangerooge. In der Binnenlandskolonie traten in allen Proben Pflanzenreste auf. Des weiteren dominierten Regenwrmer (71 %) und Insekten (59 %). Im Gegensatz dazu traten auf Wangerooge weniger Pflanzen (64 %) und Insekten (42 %) auf. Fische (31 %) sowie Muscheln (28 %) waren dafr mit vergleichsweise hohen Anteilen vertreten.

SCHREY (1984) untersuchte die Mageninhalte der Lachmwen, die in der Zeit von Februar 1978 bis August 1979 im Einzugsgebiet der Stadt Cuxhaven geschossen wurden. Die dort vorkommenden Lachmwen nutzten berwiegend Felder und Wiesen, im Winter jedoch häufiger Mllkippen als Nahrungshabitate. In 41 % der Mägen wurden Pflanzenreste und Insekten (v.a. Käfer) gefunden. In 17 % der Mägen fanden sich Fleisch- und Fischreste, die auf Mllkippen erbeutet wurden, seltener Regenwrmer (4 %).

GORKE (1990) analysierte in der Brutphase 1986-1988 gesammelte Speiballen der Lachmwen in einer Kolonie auf Norderoog. Über die drei Jahre gemittelt dominierten Mollusken in der Nahrung (59 %). Hierbei traten die Baltische Plattmuschel und Wattschnecken (Hydrobia spec.) sowie Herzmuscheln (Cerastoderma edule) mit den grßten Häufigkeiten auf. Polychaeten der Gattung Nereis erreichten mittlere Anteile von 43 %, ihre Häufigkeit schwankte aber stärker zwischen den drei Jahren. Fische erreichten eine mittlere Häufigkeit von 19 % und Crustaceen, unter denen die Nordseegarnele (Crangon crangon) dominierte, erreichten Werte von 10 %. Nahrung aus terrestrischen Habitaten trat selten auf.

DERNEDDE (1993) untersuchte im September und Oktober gesammelte Kotproben der Lachmwen auf Sylt. Die Lachmwen ernährten sich berwiegend marin. Mittelwerte aus den beiden Monaten ergaben eine Dominanz des Seeringelwurmes (Nereis diversicolor; 44 %) sowie verschiedener Fischarten (43 %). Die Häufigkeit von Fisch schwankte jedoch deutlich zwischen den beiden Beprobungsmonaten. Crustaceen erreichten in allen Fällen Häufigkeiten < 25 %, während Mollusken mit < 20 % vertreten waren. Terrestrische Nahrung (Regenwrmer 17 %, Insekten < 15 %, Pflanzenteile < 20 %) trat etwas in den Hintergrund.

KUBETZKI & GARTHE (2003) beprobten Speiballen und Kot der Lachmwen aus der Inkubations- und Kkenaufzuchtsphase des Jahres 1997 von einer Kolonie auf Juist. Während der Inkubation traten Muscheln am häufigsten auf (in 86 % aller Proben), dabei dominierte die Baltische Plattmuschel. Die zweithäufigste Nahrungskomponente

297 bildeten Polychaeten (52 %), hier v.a. der Seeringelwurm und der Wattwurm. Fische wurden nur wenig gefressen (8 %). Terrestrische Nahrungsreste machten nur einen kleinen Teil aus. Am häufigsten kamen Arthropoden (13 %) und Pflanzenmaterial vor (14 %). Während der Kkenaufzuchtsphase zeigte sich ein sehr ähnliches Bild. Allerdings ging der Anteil der Muscheln (42 %) deutlich zurck, wohingegen der Anteil terrestrischer Arthropoden etwas anstieg (26 %).

SCHWEMMER & GARTHE (2007) untersuchten während der Brutzeit 2005-2006 Speiballen aus drei Lachmwenkolonien im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. Im Gegensatz zu frheren Studien wurde in allen Kolonien ein hherer Anteil an terrestrischer Nahrung (berwiegend Regenwrmer und Insekten) gefunden. Dies knnte auf eine reduzierte Nutzung des marinen Nahrungshabitates im Laufe der letzten Jahre hindeuten. Ostsee Lachmwen der Ostseekste ernähren sich im Gegensatz zu Individuen der Nordsee zu einem noch grßeren Anteil terrestrisch. Von der Ostseekste liegen bislang nur wenige Studien vor. HARTWIG & MÜLLER-JENSEN (1980) beprobten Speiballen von jeweils Mai und Juni der Jahre 1974-1975 von einer Kolonie an der Schlei. Hier zeigte sich, dass 80 % der Nahrung von Feldern und Wiesen stammte (meist Pflanzenreste, 47 %, Insekten, 40 %, und Kleinsäugetiere, 17 %). Außerdem traten regelmäßig Fleischabfälle auf, die wahrscheinlich von nahe gelegenen Betrieben stammten (42 %). Nahrung aus der Schlei war selten (13 %). Hier wurden Herzmuscheln, Seepocken (Balanidae), Stinte (Osmerus eperlanus) und andere Fischarten nachgewiesen. Binnenland Im Binnenland brtenden Lachmwen steht ein eingeschränkteres Nahrungsangebot zur Verfgung als an den Ksten. Regenwrmer sind in vielen Binnenlandskolonien die Hauptnahrung und erreichen Häufigkeiten von 70 % (CUENDET 1983) bis 90 % aller Proben (GORKE & BRANDL 1986). GORKE & BRANDL (1986) konnten feststellen, dass durch Verknappung dieser Ressource in Kolonienähe Lachmwen ihren Aktionsradius im Laufe der Brutzeit ausdehnten (maximaler Aktionsradius 18,5 km).

CREUTZ (1963) untersuchte die Ernährungsweise einer Binnenlandskolonie der Oberlausitz. Hier waren Regenwrmer sowohl zahlenmäßig als auch gewichtsmäßig die häufigste Beutekategorie und wurden besonders während regenreicher Perioden erbeutet. Ferner wurden zahlreiche Insektenarten genutzt. Unter ihnen fanden sich am häufigsten Ruderwanzen (Corixidae), Laufkäfer (Carabidae), Schnellkäfer (Elateri- dae), Blatthornkäfer (Scarabaeidae), Blattkäfer (Chrysomelidae) und Schnakenlarven (Tipulidae). In geringeren Anzahlen traten Fische und Kleinsäugetiere auf. CREUTZ (1963) schätzte den Radius der Nahrungssuche auf 20-30 km.

298 SCHLEGEL (1977) analysierte die Nahrung von geschossenen Lachmwen, die zur Nahrungssuche an Karpfenteiche in der Oberlausitz kamen. Die Nahrungszusammen- setzung änderte sich im Laufe des Jahres, es dominierten aber meist Land- und Wasserinsekten. In der letztgenannten Kategorie dominierten Ruderwanzen, Libellen- larven (Odonata), Schwimmkäfer (Dytiscidae) und Zuckmckenlarven (Chironomi- dae). Bei den Landinsekten kamen Laufkäfer sowie deren Larven (Carabidae), Rsselkäfer (Curculionidae) sowie Eintagsfliegen (Ephemeroptera) und Ameisen (Formicidae) vor. Des Weiteren traten Fische in geringerer Anzahl auf, wobei hier Stichlinge (Gasterosteus aculeatus) und kleine Karpfen (Cyprinus carpio) am häufigsten waren. VERNON (1972) untersuchte die Nahrung der Lachmwen in Großbritannien. Auch hier dominierten Regenwrmer in der Nahrung sowie Insekten und in geringeren Zahlen Mäuse. Bedeutung terrestrischer Habitate Im Binnenland scheinen die Lachmwen von der intensiven Landwirtschaft zu profitieren. Ihre Zahlen auf intensiv genutzten Feldern erreichen viel hhere Werte als auf weniger intensiv genutzten (BARNETT et al. 2004). Lachmwen treten zudem in grßter Anzahl hinter bodenbearbeitenden Fahrzeugen auf und scheint gegenber Sturm- und Silbermwen dort konkurrenzstärker zu sein (SCHWEMMER et al. in Vorb.). VERNON (1970, 1972) stellte fest, dass Lachmwen im Gegensatz zu Sturm- mwen eher das kstennahe Binnenland nutzen und dort in feuchteren Gebieten vorkommen. Bedeutung der Fischerei Lachmwen folgen auf der Nordsee in hohen Anzahlen Fischereifahrzeugen. Vor allem ist die kstennahe Garnelenfischerei eine wichtige Nahrungsquelle (WALTER & BECKER 1994, 1997). Bei Beobachtungen der Jahre 1993-1994 wurde die Lachmwe hinter niedersächsischen Garnelenkuttern nach der Silbermwe als häufigste Art festgestellt (WALTER & BECKER 1997). Untermaßige Nordseegarnelen stellten fr Lachmwen eine wichtige Beute dar. GARTHE & HÜPPOP (1998) errechneten fr Lachmwen einen relativ geringen Erfolgsindex fr die Aufnahme grßerer Fischnah- rung. Die Nutzung von untermaßigen Nordseegarnelen scheint hier eine wichtige Nische zu bilden. Auf der Ostsee sind Lachmwen nur in sehr geringen Zahlen hinter Fischkuttern anzutreffen (GARTHE & SCHERP 2003).

20.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Lachmwen sind tag-, dämmerungs- und nachtaktive Vgel. Die Brutvgel der Nordseekste zeigen eine deutliche Abhängigkeit der Flugaktivität vom Tidenzyklus (während der Niedrigwasserperiode ist die seewärtige Flugaktivität maximal; GORKE 1990, SCHWEMMER & GARTHE 2007). Bei ihren Flgen zum Schlafplatz fliegen sie

299 oft in großen Trupps in Band- oder Keilformation. Bei ausreichender Thermik segeln sie vorzugsweise. Während des ganzen Jahres sind Lachmwen gesellig.

20.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 20.6.1 Gefährdungsursachen Lachmwen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Verfangen und Ertrinken in oberflächennahen Driftnetzen Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Prädation durch Säugetiere, durch anthropogen bedingte Landschafts- veränderungen wesentlich verstärkt (v.a. Ostsee) - Verlust an Brutplätzen durch Uferbebauung und touristische Aktivitäten (v.a. Ostsee) - Nahrungsmangel (insb. Jungvogelnahrung) durch Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis (v.a. Ostsee)

20.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Lachmwen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren

Lachmwen weisen eine geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004) und sind daher wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Vielmehr halten sie sich bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe zu Schiffen auf und zählen entlang der deutschen Nordseekste zu einem der häufigsten Schiffsfolger in der Garnelenfischerei (WALTER & BECKER 1997). Lachmwen sind wendige Flieger mit einer hohen Manvrierfähigkeit, die Empfind- lichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen, ist daher als gering einzustufen. Die Art hat den drittkleinsten Wert aller untersuchten Arten im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004). Bei schlechten Sichtbedingungen kann es jedoch insbesondere wegen der hohen und bisweilen auch nächtlichen Flugaktivität zu Kollisionen kommen, zumal Lachmwen oft in Hhe der Rotoren fliegen. Da sie ihre Nahrung auf See nur an oder wenige Zentimeter unter der Wasseroberflä- che erbeuten, sind Lachmwen nicht durch Verfangen und Ertrinken in bodennahen Stellnetzen gefährdet. Allerdings kann es zu Verlusten in oberflächennahen Kiemen- netzen fr den Lachsfang kommen (SCHIRMEISTER 2003).

300 Da sich Lachmwen häufig schwimmend auf dem Meer aufhalten, besteht die Gefahr der Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichen- de“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Artgruppen wie See- und Lappentaucher, Meeresenten oder Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil auf dem Wasser verbringen und – abgesehen von Ansammlungen hinter Fischereifahrzeugen – selten in großen Konzentrationen vorkommen, ist die Gefahr der gleichzeitigen Kontamination einer großen Anzahl von Lachmwen deutlich geringer. An der Nordseekste lag die Verlungsrate von Splsaumfunden im Winter 2000 / 2001 und 2001 / 2002 bei 0 % (FLEET et al. 2003), in vorhergehenden Wintern wurden jedoch auch Werte von 6 bzw. 12 % erreicht (FLEET et al. 1999). Ölverschmutzung kann auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Lachmwen ernähren sich opportunistisch und nutzen ein breites Spektrum verschie- dener Beutearten (s. Kapitel 20.5.6). Zudem haben sie sich zunehmend auch anthropo- gene Nahrungsquellen erschlossen, z.B. Discards der Garnelenfischerei. In den letzten Jahren konnte an der Nordsee ein Wechsel von Nahrungshabitaten beobachtet werden. So fressen Lachmwen einiger Kolonien entlang der schleswig-holsteinischen Nordseekste zunehmend im terrestrischen Bereich, während die marine Nahrung eine deutlich geringere Rolle spielt. Auch im terrestrischen Bereich nutzen Lachmwen ein breites Beutespektrum, zudem profitieren sie von der Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft und sind die konkurrenzstärkste Mwenart hinter Traktoren (SCHWEMMER et al. in Vorb.). Lachmwen scheinen so auf Veränderungen der Nahrungsverfgbarkeit im Meer durch Ausweichen auf andere Nahrungshabitate flexibel reagieren zu knnen. Fr einen Einfluss von Sedimentabbau auf die Ernährungssituation der Lachmwen gibt es derzeit keine Hinweise. Während die Bestände der Lachmwen an der deutschen Nordseekste von den späten 1950er bis in die 1980er Jahre ein fast exponentielles Wachstum zeigten (GARTHE et al. 2000b), haben sich die Bestände etwa seit der Jahrhundertwende auf hohem Niveau stabilisiert (B. HÄLTERLEIN, pers. Mitt.). Der Brutbestand an der deutschen Ostseeks-

301 te verzeichnete hingegen seit Anfang der 1990er Jahre eine Abnahme um mehr als die Hälfte (HÄLTERLEIN et al. 2000). Die Ursachen sind primär im flächendeckenden Verlust geeigneter Brut- und Nahrungshabitate und in einem Mangel an Jungvogelnah- rung zu suchen, verursacht durch Intensivierung der Landwirtschaft, Uferbebauung, Kstenschutz und Tourismus. Daneben werden auch Nahrungsverknappung durch Reduktion der offenen Mlldeponien und eine veränderte Fischereipolitik (Reduktion von Abfall und Discard) als mgliche Grnde genannt (BELLEBAUM 2002, GARTHE et al. 2003a, KUBE et al. 2005b). Mll wird allerdings meist nur im Winter als zusätzliche Nahrungsquelle genutzt, dessen Reduktion scheint die starken Rckgänge daher nicht ausreichend erklären zu knnen (BELLEBAUM 2002). Die Brutvorkommen sind mittlerweile grßtenteils auf Schutzgebiete beschränkt, wo sie aufgrund der hohen Individuenzahlen sehr anfällig gegenber intra- und interspezifischer Konkurrenz sowie Prädation sind. Bei den Kolonien in der Wismarbucht kommt es aufgrund von Prädation durch Fchse, aber auch durch Mwen und Greifvgel, immer wieder zu Umsiedlungen und zu einer Reduktion des Bruterfolges bis hin zu totalem Brutausfall in einzelnen Jahren (KUBE et al. 2005b). Vielerorts sind die Brutplätze erst in Folge von anthropogenen Habitatveränderungen, z.B. durch Entwässerung, fr Prädatoren zugänglich geworden. Ein weiteres Problem fr Lachmwenkolonien knnte sich knftig durch die zuneh- menden Klima- und Wetterveränderungen ergeben. Die Art brtet im nrdlichen Mitteleuropa in vielen Kolonien entlang der Ksten nahe der mittleren Hochwasserli- nie. Ihre Brutplätze sind daher durch Überflutungen gefährdet. Da Sturmfluten knftig vermutlich häufiger auftreten werden, ist hier mit einer zunehmenden Gefahr fr die Brutgebiete der Lachmwen zu rechnen. Lachmwen knnen im dritten Lebensjahr mit der Fortpflanzung beginnen, haben bei nur einer Brut pro Jahr eine relativ geringe Anzahl von Jungvgeln und eine im Vergleich zu anderen Seevogelarten geringere Überlebensrate adulter Vgel. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste nur dann bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, wenn ein umfassender Schutz in den Brutgebie- ten gewährleistet ist. Noch bis Ende der 1980er Jahre wurden gegen Lachmwen z.T. umfangreiche bestandslenkende Maßnahmen (Absammeln von Gelegen, Gifteinsatz) durchgefhrt, um die Bestände von seltenen Kstenvogelarten zu schtzen (siehe z.B. BELLEBAUM 2002). Derartige Eingriffe im Sinne des Artenschutzes fhren jedoch nach heutigen Kenntnissen in den meisten Fällen weder zu einem Rckgang der bekämpften Art, noch zu den erhofften Zunahmen anderer Arten, da deren Abnahme primär durch andere Faktoren verursacht wird (siehe auch Silbermwe, Kapitel 23). Vielmehr sind einige Ksten- und Wasservogelarten, wie z.B. Brandseeschwalben (KUBE 2006) und Schwarzhalstaucher (BAUER et al. 2005), lokal vom Schutz durch

302 Lachmwen in den Kolonien abhängig und siedeln bevorzugt in deren Nähe. Lach- mwen sind mit ber 50 % ihres Weltbestandes auf Europa konzentriert, ihr Status wird dort nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft. Das Brutvorkommen in Mecklenburg-Vorpommern wird auf der Roten Liste als „gefährdet“ gefhrt (Tab. 20-4).

Tab. 20-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Lachmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + + + + 3 + + Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II Non-SPECE - III -

20.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: schwimmende Kleinmwen sind vom Flugzeug aus oft schwer bestimm- bar; vom Schiff aus sind im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltensbeobach- tungen mglich.

20.8 Forschungsbedarf - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

303 21 Sturmmwe

Larus canus Linnaeus 1758

GB: Common Gull NL: Stormmeeuw

DK: Stormmåge Foto: N. Sonntag S: Fiskmås Abb. 21-1: Sturmmwe im PK PL: Mewa pospolita

21.1 EU-Code A182

21.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

21.3 Kennzeichen Kleinmwe mit dunkelgrauer Oberseite, schlankem, gelbem Schnabel, rundem Kopf und schmalen Flgeln. Beine gelbgrn. Im PK Kopf weiß, im SK grau gestrichelt. Dreijahres- Mwe; grauer Mantel entsteht im ersten Winter. Im JK Kopf- und Brust graubraun, Oberseite braun geschuppt, breite Schwanzendbinde. Verwechslungsmglichkeiten: mit adulter Silbermwe, Sturmmwe aber deutlich kleiner und schlanker, Flgel schmaler; Kopf rund, Schnabel kleiner, gelb, ohne roten Gonysfleck. Bei adulten Sturmmwen oft weiße Schirmfederspitzen und großer weißer Subapikalfleck auffallend. Im Flugbild durch schnellere und leichter wirkende Flugweise mit tieferen Flgelschlägen unterscheidbar.

21.4 Verbreitung / Bestand 21.4.1 Welt / Europa Sturmmwen sind mit drei Unterarten im nrdlichen Eurasien und dem westlichen Nordamerika verbreitet. L. c. kamtschaschensis brtet in NO-Sibirien und berwintert an den Ksten O- und SO-Sibiriens. Am Rande Europas kommt die von NW-Russland bis Zentralsibirien brtende L. c. heinei vor, die in SO-Europa und am Schwarzen und Kaspischen Meer berwintert. Die Vgel Mitteleuropas gehren der Nominatform L. c. canus an. Ihre lckenlose Verbreitung erstreckt sich ber die Nord- und Ostseekste bis

304 zur Kste sowie ins Binnenland Schottlands und Skandinaviens und von dort aus noch weiter ostwärts. Der Großteil der Vgel der Nominatform berwintert an den westeuropäi- schen Ksten von der Ostsee bis Großbritannien, doch erreichen einige die Iberische Halbinsel und das Mittelmeer. Sie treten auch im kstennahen Binnenland zahlreich auf (vgl. Abb. 21-3).

Der globale Bestand beträgt 2,47 Mio.-3,71 Mio. Individuen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Der Brutbestand der Nominatform wird auf 590.000-1,5 Mio. Paare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Bei den in Europa vorkommenden Sturmmwen werden – entsprechend den zwei Unterarten – zwei biogeografische Populationen unterschieden (Tab. 21-1).

Tab 21-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Sturmmwen in Europa (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Island, Irland, L. c. Großbritannien, Europa bis 1,2 Mio.- abnehmend - 20.000 canus stl. bis zum N-Afrika 2,25 Mio. ? Weißen Meer NW-Russland, SO-Europa, L. c. W- & Zentralsibi- Schwarzes zunehmend - >1 Mio. 10.000 heinei rien stl. bis und Kasp. ? Russland (Lena) Meer

21.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Wintergast, Durchzgler. Die in Deutschland brtenden Sturmmwen gehren der Unterart L. c. canus an. Lediglich im Winter treten auch Vgel der Unterart heinei auf. Der Brutbestand der Sturmmwen in Deutschland wird auf etwa 19.000-25.000 Paare geschätzt (BAUER et al. 2002). Davon entfallen etwa 6.600 Paare auf Schleswig-Holstein und Niedersachsen (KOFFIJEBERG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2001) sowie etwa 3.000- 3.500 Paare auf Mecklenburg-Vorpommern (KUBE 2006, Bezugszeitraum: 2001-2003). Basierend auf den Ergebnissen der Mwen-Schlafplatz-, der Wat- und Wasservogelzäh- lungen an den Ksten (ergänzt um Angaben aus der Wasservogelzählung) sowie der Zählungen auf See wird der Mittwinterbestand der Sturmmwen auf etwa 155.000 Ind. (130.000 + auf See) geschätzt (DDA unverffentl., Tab. 21-2 und 21-3). Davon halten sich zu dieser Jahreszeit knapp zwei Drittel im Binnenland auf. Aufgrund der starken (witte- rungsabhängigen) Fluktuationen zwischen einzelnen Jahren ist die Rastbestandsschätzung nur als grobe Näherung zu betrachten. Beim berwiegenden Teil in Deutschland berwin-

305 ternder Sturmmwen drfte es sich um Brutvgel von Polen bis S-Finnland handeln (vgl. WERNHAM et al. 2002, BØNLØKKE et al. 2006). Aus den Daten der Wasservogelzählung wird deutlich, dass Sturmmwen im Winter nrdlich der Mittelgebirge regional in großer Zahl anzutreffen sind (Abb. 21-3). Ihr Auftreten vor allem im Binnenland steht in engem Zusammenhang mit den vorherrschen- den Temperaturen (FLORE 2006). Nach Kälteeinbrchen treten sie oft kurzzeitig regional sehr zahlreich auf. Die grßten Ansammlungen fern der Kste finden sich vor allem in den Niederungsgebieten der großen Flsse. Sdlich der Mittelgebirge sind Ansammlungen von > 100 Sturmmwen – abgesehen vom Bodensee – die Ausnahme. Sie kommen vor allem nach lang anhaltenden Kälteperioden zustande (HEINE et al. 1999). Auf Nord- und Ostsee halten sich Sturmmwen ganzjährig auf. Schwerpunkte liegen in den kstennäheren Bereichen der Nordsee, insbesondere entlang des Elbe-Urstromtals (Abb. 21-2). Das Auftreten im Jahresverlauf unterscheidet sich deutlich zwischen Kste und Binnenland: Während im Kstenbereich Sturmmwen ihre grßten Rastbestände im Herbst erreichen, treten im Binnenland die Maxima zwischen Dezember und Februar auf (BLEW et al. 2005, FLORE 2006, vgl. VAN ROOMEN et al. 2006). Nordsee Sturmmwen halten sich ganzjährig auf der deutschen Nordsee auf. Die grßten Bestände im Offshore-Bereich werden im Winter erreicht (Tab. 21-2). Zu dieser Zeit ist ein hoher Anteil von immaturen Individuen zu verzeichnen. Das Wintervorkommen erstreckt sich mit hohen Dichten flächendeckend ber den gesamten kstennahen Bereich bis zur 20 m Tiefenlinie. Auch in kstenferneren Gebieten treten Sturmwen noch regelmäßig, jedoch in deutlich geringerer Anzahl auf. Im Winter werden auch intensiv Grnlandflächen des Binnenlandes als Nahrungshabitat genutzt. Zum Frhjahr hin nimmt das Vorkommen deutlich ab, die Verbreitungsschwerpunkte liegen aber weiterhin in der kstennahen Zone. Hohe Anzahlen treten vor der schleswig-holsteinischen Kste auf, insbesondere im Bereich von Amrum, aber auch im Einzugsgebiet der Elbe-, Weser- und Eidermndung. Auch im Sommer sind die Sturmmwen-Anzahlen niedrig. Hohe Dichten sind dann nur in unmittelbarer Kstennähe zu finden, besonders im Jadebusen, in der Elb- und Eidermn- dung sowie vor Amrum und Sylt. Im Herbst steigt die Zahl der Sturmmwen auf der deutschen Nordsee wieder an. Hohe Vorkommen befinden sich dann im Wattenbereich und im unmittelbaren Mndungsbereich der Flsse sowie vor den Ost- und Nordfriesi- schen Inseln. Der Großteil der Sturmmwen wird ebenfalls in Bereichen bis ca. 20 m Wassertiefe beobachtet, verstreute Beobachtungen liegen aber auch aus dem kstenferne- ren Bereich vor.

306

Abb. 21-2: Verbreitung der Sturmmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winterhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 21-3: Verbreitung der Sturmmwen in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung (Kreise) sowie der Mwen-Schlafplatzzählung (Quadrate, gleiche Skalierung). Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005 sowie der Schlafplatzzählungen 2004-2006.

307 Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ knnen zu allen Jahreszeiten Sturmmwen beobach- tet werden, doch sind die Bestände im Vergleich zum Gesamtbestand in der deutschen Nordsee gering. Die grßten Anzahlen werden im Winter erreicht (Tab. 21-2).

Tab. 21-2: Rastbestandszahlen der Sturmmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeitraum: 1993- 2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransekt- zählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 30.000 1,7 1.900 0,1 1.700 <0,1 Sommer 30.000 1,7 70 <0,1 130 <0,1 Herbst 65.000 3,8 550 <0,1 320 <0,1 Winter 50.000 2,9 10.000 0,6 7.800 0,5

Ostsee Obwohl sich entlang der deutschen Ostseekste zahlreiche Brutkolonien der Sturmmwen befinden, gab es im Sommer bisher nur relativ wenige Beobachtungen auf See. Lediglich im Einzugsbereich der Kolonie Graswarder bei Heiligenhafen sdlich von Fehmarn wurden Sturmmwen in etwas grßerer Anzahl beobachtet. Im brigen Gebiet gibt es nur einzelne verstreute Sichtungen. Nahrungsuntersuchungen haben ergeben, dass sich Sturmmwen zur Brutzeit an der Ostseekste berwiegend terrestrisch ernähren (KUBETZKI 2001). Im Herbst nehmen die Anzahlen auf der Ostsee zu und es schließt sich ein regelmäßiges Wintervorkommen an. Insbesondere im stlichen Teil des Untersu- chungsgebietes sind Sturmmwen dann sowohl kstennah als auch kstenfern weit verbreitet. Während des Heimzuges nimmt das Vorkommen langsam ab, lokale Konzent- rationen sind jedoch weiterhin in der Pommerschen Bucht erkennbar, insbesondere im kstenfernen Bereich. Im SPA „Pommersche Bucht“ knnen zu allen Jahreszeiten Sturmmwen in geringer Anzahl beobachtet werden (Tab. 21-3).

308 Tab. 21-3: Rastbestandszahlen der Sturmmwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000- 2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählun- gen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 600 <0,1 320 <0,1 Sommer k.A. k.A. 300 <0,1 90 <0,1 Herbst k.A. k.A. 90 <0,1 III <0,1 Winter 11.500 0,7 1.100 0,1 270 <0,1

21.4.3 Bestandsentwicklung Sturmmwen breiteten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa aus. In den letzten Jahrzehnten gab es aber deutliche Abnahmen in einigen Ländern, so z.B. in Norwegen, Dänemark und Estland, wohingegen in Schweden, Finnland und Großbritan- nien der Bestand konstant blieb (TUCKER & HEATH 1994, HAGEMEIJER & BLAIR 1997). In Deutschland brten etwa zwei Drittel der Sturmmwen an der Kste, die brigen vor allem in der norddeutschen Tiefebene. An der gesamten Ostseekste lag der Bestand zwischen 1940 und 1970 mit zwischenzeitlichen Schwankungen relativ konstant bei 20.000 Paaren (HÄLTERLEIN et al. 2000). Bei der danach intensiv betriebenen Bestandsre- duzierung wurden z.B. allein in der bedeutendsten mitteleuropäischen Kolonie Langen- werder bis 1984 etwa 22.000 Brutvgel gettet (KLAFS & STÜBS 1987). Dies drfte dazu beigetragen haben, dass der Bestand auf weniger als die Hälfte zurckging. Auch heute ist der mit 2.000 Paaren die bedeutendste Kolonie an der deutschen Ostsee (Bezugszeitraum 2003, EICHSTÄDT et al. 2006). An der Nordseekste stiegen die Brutbestände von 300 Paaren im Jahre 1939 ber ca. 200 Paare zu Anfang der 1980er Jahre auf ca. 6.600 Paare im Jahr 2001 an (KOFFIJBERG et al. 2006). Sturmmwen sind typische Brutvgel der schleswig-holsteinischen Kste. Schon im 19. Jahrhundert brteten sie in geringer Zahl an der Nordseekste (KROHN 1925, DIETRICH 1925). An der Ostkste Schleswig-Holsteins befanden sich bedeutendere Kolonien mit mehreren tausend Brutpaaren im 20. Jahrhundert. In den letzten Jahren nahmen dort die Brutpaarzahlen jedoch stetig ab, während sie an der Nordseekste Schleswig-Holsteins seit den 1970er Jahren zunehmen (KUBETZKI 1997, 2001, GARTHE et al. 2000b). Im norddeutschen Binnenland waren Sturmmwen im 19. und frhen 20. Jahrhundert allenfalls sporadische oder lokale Brutvgel (KUBETZKI 2002). An der ostholsteinischen Seenplatte gab es bis 1997 leicht zunehmende Bestände (3.000 Paare; KOOP in BRUNS &

309 BERNDT 1999), inzwischen kommt es hier aber ebenfalls zu Bestandsrckgängen (B. KOOP pers. Mitt.). Die Zahl der Dachbruten hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, doch machen sie mit 400-450 Paaren in Schleswig-Holstein (Bezugszeitraum: 2000-2005) derzeit nur einen kleinen Anteil des Gesamtbestandes aus (KUBETZKI & GARTHE 2007). Zur Rastbestandsentwicklung auf Basis der Wasservogelzählungen liegen fr Sturmm- wen aus dem Winter wenige belastbare Langzeitreihen vor, da Sturmmwen vor allem in frheren Jahren im Rahmen dieser Zählungen oft nicht miterfasst wurden. Nur fr die Nordseekste sind verlässliche Berechnungen mglich: trotz starker Fluktuationen ist ab 1980 insgesamt ein positiver Trend zu erkennen (Abb. 21-4). Die Bestandszahlen im niederländischen Wattenmeer zeigen einen vergleichbaren Verlauf (VAN ROOMEN et al. 2006). Im deutschen Binnenland wurden deutliche Bestandsanstiege bis in die 1990er Jahre registriert (HEINE et al. 1999, ARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN-BRANDEN- BURGISCHER ORNITHOLOGEN 2001b). Die Schließung der meisten Mlldeponien in Deutschland fr unbehandelte organische Abfälle (inkl. Hausmll) im Sommer 2005 zeigte im darauf folgenden Winter keine erkennbare Wirkung (im Gegensatz zur Silbermwe, s. Kapitel 23).

Abb. 21-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Sturmmwen in Deutschland an der Nordseekste im Januar 1981-2005, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II).

310 21.5 Biologie / Ökologie 21.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: mit 2-4 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, Paare sind wegen hoher Nistplatz- und Brutplatztreue meist ber Jahre stabil Brutzeit: Ankunft am Brutplatz in S-Deutschland Anfang April, Legebeginn Ende April bis Mitte Mai, Brutdauer 23-28 Tage Gelege: meist 3 Eier, 1 Jahresbrut, bis zu 2 Nachgelege bei frhem Verlust mglich, beide Eltern brten Kken: ca. 4 Tage nach dem Schlpfen verlassen die Kken die nächste Umgebung des Nests, werden aber dort von beiden Eltern weiter- hin gefttert, sind nach 28-33 Tagen flugfähig und kurz danach selbständig

21.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 8 Jahre Ältester Ringvogel: 31 Jahre Sterblichkeit: 54 % im 1. Jahr, 25 % im 2. Jahr, 26 % in späteren Jahren (Estland), Mittelwerte aus anderen Ländern: 15-34 %. Sterblichkeit sinkt mind. bis zur Brutreife, bei Wintergästen in Dänemark 12-15 %.

21.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Teilmauser) vollzieht sich bei Sturmmwen ab August. Die 1. Pränuptialmauser (Teilmauser) fehlt, während die 1. Postnuptialmauser (Vollmauser) im 2. KJ etwa 3-4 Wochen frher beginnt als bei den Adulten. Diese beginnen mit der Vollmau- ser Mitte Mai / Juni und beenden sie im November. Da Sturmmwen ihre Schwingen nicht synchron mausern, sind sie zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt. Von Februar bis Mai findet die Pränuptialmauser (Teilmauser) der Adulten statt.

21.5.4 Wanderungen Unter den Sturmmwen gibt es sowohl Standvgel als auch Kurzstreckenzieher. Ihre Zugneigung und Wanderentfernung nimmt auf dem Kontinent in stlicher Richtung zu. Die Winterquartiere der norddeutschen Brutvgel erstrecken sich von der sdlichen Nordsee bis zur Atlantikkste der Iberischen Halbinsel. Die Wintergäste bilden neben Brutvgeln N-Deutschlands vor allem Sturmmwen aus dem Baltikum, Schweden und Finnland (ZANG et al. 1991, KLAFS & STÜBS 1987). Adulte Sturmmwen ziehen vor den Jungvgeln aus den Kolonien ab und erreichen im Oktober, ein bis zwei Monate frher als

311 die Jungvgel, die Winterquartiere. Ihre Hauptwegzugsrichtung ist WSW bis SW, wobei sie bevorzugt entlang der Ksten oder im kstennahen Binnenland ziehen. Die Jungvgel ziehen zunächst oft ungerichtet. Die Ankunft in den Winterquartieren kann sich bis in den Mittwinter hinziehen. Spätestens Anfang März beginnt der Heimzug. Die Brutplätze werden ab Mitte März besetzt, im Norden einige Wochen später. Nichtbrtende Vgel bleiben z.T. in den Winterquartieren, fliegen aber auch oft an ihre Geburtsplätze zurck. Vor Hiddensee haben die Wegzugbewegungen zwei Hauptphasen: von Anfang Juli bis Ende August und von Anfang Oktober bis Anfang November. Weitere kleine Schbe in Richtung SW knnten auf eine Kälteflucht hindeuten. Der Heimzug findet hauptsächlich von Ende März bis Ende April statt.

21.5.5 Habitat Sturmmwen brten meist auf Inseln, Landzungen oder in Smpfen an Standorten mit kurzer Vegetation (zur Verbreitung s. Kapitel 21.4.1). Oft befinden sich die Kolonien in der Nähe von Agrarland. In Mittel- und Westeuropa sind Sturmmwen an Ksten konzentriert, doch sind sie weniger als z.B. Silbermwen an die Kste gebunden. In O- Europa brten sie teilweise nur im Binnenland. Zur Nahrungssuche nutzen Sturmmwen landwirtschaftliche Flächen und v.a. Grnland (KUBETZKI 2001, SCHWEMMER & GARTHE in Vorb.) sowie Wattflächen, aber auch Mlldeponien. Vor allem im Winter kommen sie auf der sdlichen Nordsee und der westlichen Ostsee auch kstenfern bis mind. 30 km vor der Kste vor. Im Binnenland treten sie außerhalb der Brutzeit vor allem in den Niede- rungsgebieten N-Deutschlands sowie den großen Flusstälern auf. Oft weisen diese Regionen einen hohen Grnlandanteil auf, wo die Sturmmwen nach Nahrung suchen.

21.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Sturmmwen weisen von allen europäischen Mwenarten das breiteste Nahrungsspektrum auf. Es besteht aus vielfältigen terrestrischen und marinen Beuteorganismen. Auf See ernähren sich Sturmmwen, indem sie im Flug Nahrung von der Wasseroberfläche aufpicken, flach sturztauchend unter die Wasseroberfläche abtauchen oder auf dem Wasser schwimmend kleine Partikel aufpicken. Zudem sind sie regelmäßig als Schiffsfolger hinter Fischkuttern anzutreffen. Im Wattenmeer nutzen sie Prielsysteme und Wattflächen. Im Binnenland kommen Sturmmwen häufig auf Ackerflächen oder Grnland vor, wo sie Beute im Flug vom Boden aufpicken oder laufend nach Nahrung suchen. Sturmmwen zeigen in der Regel ein diurnales Aktivitätsmuster mit Ruhephasen in der Nacht. Mitunter sind auch tideabhängige Aktivitätsrhythmen festgestellt worden (ARBOUW & SWENNEN 1985). Bei Sturmmwen in Schweden konnte SJÖBERG (1989) während der Sommerson-

312 nenwende (keine vllige Dunkelheit in der Nacht) eine Ausdehnung der Aktivitätsphase in die Nachtstunden feststellen. Sturmmwen sind Nahrungsopportunisten. Es gibt daher regionale Unterschiede in der Nahrungswahl, abhängig von der Nahrungsverfgbarkeit in Kolonienähe. Einige Kolonien ernähren sich (im Gegensatz zu anderen Mwenarten) berwiegend in terrestrischen Habitaten. Nordsee An der Nordseekste haben Sturmmwen ein sehr breites Nahrungsspektrum. Aus dem marinen Bereich werden berwiegend Wirbellose aus dem Wattenmeer und etwas weniger häufig pelagische Fische erbeutet. Ein Großteil der Nahrung wird in terrestrischen Habitaten erbeutet und besteht berwiegend aus Regenwrmern und Insekten.

DERNEDDE (1993) untersuchte Speiballen und Kotproben der Sturmmwen in der 2. Jahreshälfte 1991 im Knigshafen / Sylt. Die wichtigsten Nahrungsorganismen zur Hauptzugperiode waren Strandkrabben (Carcinus maenas) und Seeringelwrmer (Nereis diversicolor). Als diese Beuteorganismen zum Winter hin abnahmen, dominierten Miesmuscheln (Mytilus edulis), Fische, Amerikanische Schwertmuscheln (Ensis directus) und Wattwrmer (Arenicola marina). Die letzten beiden Nahrungskomponenten erbeute- ten die Mwen oft durch Kleptoparasitismus bei Pfuhlschnepfen.

KUBETZKI et al. (1999) untersuchten Speiballen und Kotproben während der Eiablage- und Kkenaufzuchtsphase aus drei Brutkolonien in der Nordsee. Auch hier war das Nahrungsspektrum sehr breit: Muscheln und Schnecken, Polychaeten und Regenwrmer, Crustaceen, Insekten, Echinodermaten, Fische, Vgel, Kleinsäugetiere, Pflanzenmaterial und Mll.

KUBETZKI & GARTHE (2003) untersuchten 1997 Speiballen und Kotproben auf Amrum (Inkubationsphase) und auf Juist (Inkubation und Kkenaufzucht). Sie fanden ein sehr breites Nahrungsspektrum, in dem v.a. Muscheln und Polychaeten dominierten. Die Zusammensetzung der Nahrung wies darauf hin, dass die Mwen die Nahrung sowohl im Watt als auch an Land erbeuteten.

Im Gegensatz zu den Kolonien des Wattenmeeres fanden VAUK-HENTZELT & SCHUMANN (1980) in Mägen von insgesamt 93 Sturmmwen auf Helgoland, die jeweils von Oktober bis März 1976-1980 gesammelt wurden, einen hohen Anteil an Fisch (38 %). Polychaeten, Crustaceen, Insekten und Mollusken traten in etwas geringeren Anteilen auf. Anders als in den oben genannten Studien kam Mll (46 %) in hohen Anteilen vor. Ostsee Im Gegensatz zur Nordseekste dominiert an der Ostseekste die Nahrung aus terrestri- schen Habitaten.

313 In Speiballen aus fnf schleswig-holsteinischen Kolonien wurden folgende Komponenten gefunden (Reihenfolge in abnehmender Bedeutung): Regenwrmer (in bis zu 90 % aller Proben), Insekten / Bodenarthropoden, Miesmuscheln, Crustaceen, Kleinsäugetiere, Mll (KUBETZKI 2001). Die beprobten Kolonien wiesen deutliche Unterschiede in den dominierenden Beuteorganismen auf. Aus den vorliegenden Nahrungsstudien ab 1938 lässt sich der deutliche Trend erkennen, dass die Brutbestände in Jahren mit hheren anthropogenen Nahrungsanteilen grßer waren als in Jahren, in denen fast ausschließlich natrliche Nahrung genutzt wurde. Wenn die anthropogenen Nahrungsquellen, wie z.B. Abfälle aus Restaurationsbetrieben, der Fischerei bzw. einer Wurstfabrik, den Sturmm- wen nicht zur Verfgung standen, lagen die Brutpaarzahlen deutlich niedriger (KUBETZKI 2001). Eine frhe Arbeit in der Ostsee-Kolonie Langenwerder im Jahr 1953 zeigte, dass in den Speiballenproben der Sturmmwen berwiegend Insekten gefunden wurden. Außerdem befanden sich in den Proben Reste von Fischen und kleinen Säugetieren (Herbst 1956). Bedeutung terrestrischer Habitate Sturmmwen in Großbritannien nutzen berwiegend terrestrische Nahrungshabitate in großer Entfernung zur Kste, bevorzugen im Gegensatz zu Lachmwen trockenere Bden zur Nahrungssuche und kommen seltener im Litoral vor (VERNON 1970, 1972). MUDGE & FERNS (1982) errechneten, dass ber 90 % aller Sturmmwen in einem Gebiet in SO- England terrestrische Nahrungshabitate nutzen. Während der Wintermonate scheint besonders Grnland ein wichtiges Nahrungshabitat darzustellen. Sturmmwen sind anscheinend v.a. gegenber Lachmwen in gemischten Gruppen konkurrenzschwächer, wenn sie zusammen Nahrung hinter bodenbearbeitenden Landmaschinen erbeuten (SCHWEMMER et al. in Vorb.). Bedeutung der Fischerei Beim Erbeuten von Beifang und Fischereiabfall in gemischten Gruppen hinter Fischkut- tern zeigten Sturmmwen ebenfalls einen geringeren Erfolg als andere (v.a. grßere) Mwenarten (WALTER & BECKER 1997, GARTHE & HÜPPOP 1998). Auf der Nordsee kommen Sturmmwen in sehr unterschiedlicher Anzahl und mitunter häufig hinter Garnelenkuttern vor (WALTER & BECKER 1997). Besonders im späten Winter scheint die Garnelenfischerei eine wichtige Nahrungsquelle darzustellen (FTZ unverffentl.). Auf der Ostsee kommen Sturmmwen regelmäßig in geringen Anzahlen hinter Fischkuttern vor (GARTHE & SCHERP 2003).

21.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Sturmmwen sind berwiegend tagaktiv, jedoch suchen sie auch in der Dämmerung nach Nahrung. Dabei spielt der Nahrungserwerb zu Fuß eine wichtige Rolle, z.B. auf Äckern

314 und Grnland. Ebenso wie die Lachmwen kann man Sturmmwen auf landwirtschaftli- chen Flächen hinter Pflgen beobachten. Da Sturmmwen nicht so gewandte Flieger wie Lachmwen sind, spielt die Erbeutung von Insekten in der Luft eine kleinere Rolle. Zugbeobachtungen auf Helgoland ergaben, dass 86,1 % aller erfassten Sturmmwen in einer Hhe < 50 m flogen (DIERSCHKE & DANIELS 2003).

21.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 21.6.1 Gefährdungsursachen Sturmmwen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Reduktion des Nahrungsangebotes In den Brut- und Rastgebieten treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Prädation durch Säugetiere, durch anthropogen bedingte Landschaftsveränderun- gen wesentlich verstärkt (v.a. Ostsee) - Bruthabitatverlust (v.a. Ostsee) - Strungen in den Bruthabitaten durch Schiffsverkehr und Fußgänger - Reduktion des Nahrungsangebotes durch Veränderungen in der landwirtschaftli- chen Praxis - Jagd - Flussbegradigung und Entwässerung (Brutplätze im Binnenland)

21.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Sturmmwen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Sturmmwen weisen eine geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004) und sind wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Vielmehr halten sie sich bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe zu Schiffen auf und sind im Kstenbereich der deutschen Nordsee insbesondere im Winter zahlenstark als Schiffsfolger in der Garnelenfischerei vertreten (KUBETZKI 2002). Auch auf der Ostsee sind Sturmmwen Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen (GARTHE & SCHERP 2003). Sturmmwen sind wendige Flieger mit einer hohen Manvrierfähigkeit, die Empfindlich- keit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offhore- Windenergieanlagen, ist daher als gering einzustufen. Der Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten. Bei schlechten Sichtbedingungen kann es jedoch insbesondere wegen

315 der hohen Flugaktivität zu Kollisionen kommen, zumal Sturmmwen oft in Hhe der Rotoren fliegen. Da sie ihre Nahrung auf dem Meer nur in oberflächennahen Wasserschichten erbeuten, sind Sturmmwen nicht durch Verfangen und Ertrinken in bodennahen Stellnetzen gefährdet. Allerdings kann es zu Verlusten in oberflächennahen Kiemennetzen fr den Lachsfang kommen, wie von SCHIRMEISTER (2003) fr andere Mwenarten in der Pommerschen Bucht beschrieben. Da sich Sturmmwen häufig schwimmend auf See aufhalten, besteht die Gefahr der Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Ver- lung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Seevgeln wie See- und Lappentauchern, Meeresenten oder Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil auf dem Wasser verbringen und – abgesehen von Ansammlungen hinter Fischereifahrzeu- gen – selten in großen Konzentrationen vorkommen, ist die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Sturmmwen deutlich geringer. An der Nordseekste lag die Verlungsrate im Winter 2001 / 2002 bei 7 % (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhal- tens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Sturmmwen sind in ihrer Nahrungswahl vielseitig und passen sich dem vorhandenen Nahrungsangebot gut an (s. Kapitel 21.5.6). Sie nutzen terrestrische, marine und anthropo- gene (Fischerei-Discard, Mll) Nahrungsquellen und nehmen dabei verschiedene Beutegrßen auf (KUBETZKI 2001). Sturmmwen sind daher als eher unempfindlich gegenber einer Nahrungsverknappung, z.B. durch die derzeit bestehende Fischerei, einzustufen. Wie bei anderen Mwenarten haben auch die Sturmmwenbestände an der deutschen Nordseekste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zugenommen. Neben einem verbesserten Schutz und der nachlassenden Verfolgung wird dies auch auf ein verbessertes Nahrungsangebot durch anthropogene Nahrungsquellen (z.B. Fischereiab- fälle, ungenutzter Beifang, Mlllagerung in offenen Deponien) sowie durch die Zunahme kleiner pelagischer Schwarmfische durch Überfischung der Raubfischbestände zurckge- fhrt (GARTHE et al. 2000b). Seit Anfang des 21. Jahrhunderts kam es zu einer deutlichen Reduktion solcher leicht verfgbaren Nahrungsquellen, was fr die gewachsenen

316 Mwenbestände zumindest lokal zu Nahrungsknappheit fhren knnte. Während fr die Sturmmwen an der deutschen Nordseekste noch immer eine Bestandszunahme verzeichnet wird, sind die Bestände an der deutschen Ostseekste stark rckläufig (HÄLTERLEIN et al. 2000, EICHSTÄDT et al. 2006, B. HÄLTERLEIN, pers. Mitt.). Umfang- reiche Untersuchungen an der schleswig-holsteinischen Ostseekste deuten darauf hin, dass diese Bestände in frheren Zeiten durch die anthropogenen Nahrungsquellen z.T. knstlich erhht waren, sie aufgrund des aktuell deutlich geringeren anthropogenen Anteils im Nahrungsangebot aber nicht mehr erreicht werden knnen und daher deutlich niedriger liegen (KUBETZKI 2001). Daneben spielen an der Ostseekste aber noch weitere Faktoren fr die dortige starke Bestandsabnahme der Sturmmwen eine wichtige Rolle: Die Art ist hier viel stärker auf terrestrische Nahrung angewiesen als an der Nordseekste. Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis (Rckgang von Dauergrnland, Zunahme von Wintergetreide) haben hchstwahrscheinlich dazu gefhrt, dass potentielle Nahrungsgebiete und damit auch das Nahrungsangebot zur Brutzeit der Sturmmwen deutlich abgenommen haben. Diese Veränderungen knnen im Ostseeraum anscheinend nicht in dem Maße kompensiert werden, wie es an der Nordseekste durch die großen Wattflächen mglich ist (KUBETZKI 2001). Sturmmwen knnen mit 2-4 Jahren mit der Fortpflanzung beginnen, haben eine relativ geringe Anzahl von Jungvgeln bei nur einer Brut pro Jahr und eine im Vergleich zu anderen Seevogelarten geringere Überlebensrate adulter Vgel. Durch das Reproduktions- potential knnen Mortalitätsverluste daher bis zu einem gewissen Grad nur dann ausgegli- chen werden, wenn ein umfassender Schutz in den Brutgebieten gewährleistet ist. Noch bis 1984 wurden Sturmmwen regelmäßig Opfer von Bestandsregulierungen, allein in der Wismarbucht wurden ab Anfang der 1960er Jahre 22.000 adulte Tiere systematisch gettet. Diese Regulierungen trugen entscheidend zum starken Bestandsrckgang der Sturmmwen an der Ostseekste Mecklenburg-Vorpommerns bei, wo der Bestand seither deutlich niedriger ist und tendenziell noch weiter abnimmt (KLAFS & STÜBS 1987, KUBETZKI 2001, KUBE et al. 2005b). Heute sind die Kolonien an der Ostseekste stark durch Prädation, insbesondere durch Fchse und Marderartige, gefährdet. Die große Sturmmwenkolonie auf dem Graswarder (Ostholstein) erlitt bereits mehrere Jahre hintereinander einen vollständigen Brutausfall durch intensive Prädation. Ohne umfassen- de Schutzmaßnahmen kann die Kolonie vermutlich nicht erhalten werden (KUBETZKI 2001). In der Wismarbucht kommt es durch die starke Prädation durch Fchse immer wieder zur Umsiedlung von Sturmmwenkolonien (KUBE et al. 2005b). Weitere Beein- trächtigungen fr Sturmmwen ergeben sich zudem aus der intensiven Freizeitnutzung vieler Kstengebiete, die in einigen Kolonien zu zusätzlichen Strungen des Brutgeschäf- tes fhren (z.B. Olpenitz, Ostholstein; KUBETZKI 2001). Die zahlreichen Streinflsse in den Brutkolonien haben mglicherweise das Ausweichen der Sturmmwen auf Dächer

317 bewirkt oder verstärkt. In den letzten Jahren wurden vermehrt Dachbruten registriert, die vermutlich noch weiter zunehmen werden und vielerorts bereits zu Beschwerden und ersten Vergrämungsaktionen fhrten (KUBETZKI 2001, U. KUBETZKI pers. Mitt.). Sturmmwen gehren in Schleswig-Holstein noch immer zu den jagdbaren Arten, die Jagdzeit erstreckt sich bis in den Brutzeitbeginn, so dass durch den Abschuss brutbereiter Altvgel der Rckgang des Brutbestandes an der Ostseekste zusätzlich verstärkt werden knnte. Sturmmwen sind mit ber 50 % ihres Weltbestandes auf Europa konzentriert und befinden sich dort zudem in einem ungnstigen Erhaltungszustand (SPEC 2; Tab. 21-4). Der Bestand wird von BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „stabilisiert nach Bestandsrckgang“ eingestuft. In der Roten Liste von Mecklenburg-Vorpommern sind die Brutbestände aufgrund der beschriebenen Abnahmen an der Ostsee als „gefährdet“ aufgefhrt.

Tab. 21-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Sturmmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + + + V 3 + + Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II 2 - III -

21.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: schwimmende Kleinmwen sind vom Flugzeug aus oft schwer bestimmbar; vom Schiff aus sind im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltensbeobachtungen mglich.

21.8 Forschungsbedarf - Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Nahrungs- und Rastgebieten in Nord- und Ostsee - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit

318 - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konse- quenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

319 22 Mantelmwe Larus marinus Linnaeus 1758

GB: Greater Black-backed Gull NL: Grote Mantelmeeuw

DK: Svartbag Foto: T. Krger S: Havstrut Abb. 22-1: Mantelmwe im SK PL: Mewa siodlata

22.1 EU-Code A187

22.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

22.3 Kennzeichen Grßte Mwe an nordeuropäischen Ksten, mit kräftigem Krper, dickem Hals, mächtigem Schnabel und schwärzlicher Oberseite. Breite Flgel mit breitem, weißem Hinterrand und großem Subapikalfleck. Beine fleischfarben, Schnabel gelb mit rotem Schnabelfleck. Vierjahres-Mwe, schwärzliche Oberseite erscheint meist ab dem Frhjahr des 3. KJ. Im Jugendkleid Gefieder sauber gemustert, Schulter- und Schirmfedern mit schwarzen Zentren, Kopf gefleckt, schmale, aufgebrochene Schwanzendbinde. Verwechslungsmglichkeiten: Mit Heringsmwe: Mantelmwe deutlich grßer, mit kräftigerem Krper und Schnabel und breiteren Flgeln. Breiter, weißer Flgelhinter- rand geht in weißen Subapikalfleck ber. Beine bei adulten Tieren fleischfarben (bei Heringsmwen gelb). Im JK und 1. WK mit junger Silbermwe: Mantelmwe kräftiger, meist heller und kontrastreicher gefärbt. Kopf heller, Schwanz meist heller und stärker weiß meliert, mit stärkerem Kontrast zur Endbinde. Schirmfederspitzen mit breiten weißen Spitzen; Kontrast zwischen dunkleren äußeren und helleren inneren Handschwingen schwä- cher. Schnabel kräftiger und im Profil hher als bei Silbermwe. Im JK und 1. WK mit junger Heringsmwe: Mantelmwe kräftiger, Schnabel im Profil hher; insgesamt heller und kontrastreicher gefärbt, Kopf heller; Handflgel breiter

320 und mit hellem Handschwingenfeld, bei Heringsmwe spitz auslaufend und ganz dunkel. Schirmfederspitzen bei Mantelmwe mit breiten weißen Spitzen, bei Herings- mwe nur schmal hellspitzig.

22.4 Verbreitung / Bestand 22.4.1 Welt / Europa Mantelmwen brten von Island und der Nordseekste Großbritanniens und N- Frankreichs ber Dänemark und Fennoskandien bis ins Baltikum und Russland sowie auf Spitzbergen, den arktischen Inseln und an der NO-Kste Amerikas. Der Weltbe- stand beträgt nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) 535.000-745.000 Individuen. Etwa 50-75 % des gesamten Verbreitungsareals liegen in Europa. BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) beziffert den gesamten europäischen Brutbestand auf 110.000- 180.000 Paare. An den Ksten der sdlichen Ostsee und der sdlichen Nordsee brten nur wenige Paare. Mantelmwen kommen im Winter regelmäßig auf der Nord- und Ostsee sowie im Atlantik sdwärts bis Spanien vor. Nichtbrter sind ganzjährig auf Nord- und Ostsee anzutreffen. Mantelmwen werden in drei verschiedene biogeografische Populationen eingeteilt, von denen nur eine Europa vorkommt (Tab. 22-1).

Tab 22-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu der in Europa vorkommenden biogeografi- schen Population der Mantelmwen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Ksten NW- O-Atlantik- Frankreichs, kste Irland, Großbrit., 330.000- zuneh- L. marinus NO-Atlantik sdlich bis 4.400 Island, stlich bis 540.000 mend Iberische Skandinavien, Halbinsel Weißes Meer

22.4.2 Deutschland Status: seltener Brutvogel, ganzjähriger Gast, Durchzgler, im kstenfernen Binnen- land seltener Gast. Die in Deutschland vorkommenden Mantelmwen gehren zur biogeografischen Population „NO-Atlantik“.

Der Brutbestand in Deutschland wird auf 33 Paare geschätzt (HÄLTERLEIN / NPA Tnning, briefl., Bezugszeitraum: 2003; GARTHE et al. 2003a, Bezugszeitraum: 2000).

321 An der Nordseekste brteten im Jahr 2003 16 Paare (HÄLTERLEIN / NPA Tnning, briefl.), an der deutschen Ostseekste im Jahr 2000 17 Paare (GARTHE et al. 2003a). Nach den Daten der Wasservogelzählung sowie der Mwen-Schlafplatzzählungen beschränkt sich das Vorkommen der Mantelmwen im Wesentlichen auf Nord- und Ostsee sowie die angrenzenden Kstenbereiche. Klare Schwerpunkte sind nicht zu erkennen (Abb. 22-3). Im Binnenland treten – meist in den Wintermonaten – regelmä- ßig Mantelmwen in geringer Zahl auf (sdlich der Mittelgebirge nur vereinzelt). Auf Nord- und Ostsee sind Mantelmwen sowohl im Kstenraum als auch in den kstenfernen Gebieten weit verbreitet (Abb. 22-2). Besonders im Winterhalbjahr halten sich Mantelmwen weit entfernt von den Ksten auf. Hohe, lokale Konzentrati- onen von Mantelmwen korrelieren oft mit der Verbreitung von Fischkuttern (GARTHE 2003b, GARTHE & SCHERP 2003). Fr den Mittwinter wird der Rastbestand auf 23.000 Individuen geschätzt (DDA unverffentl., Tab. 22-2 und 22-3). Der Bestand der Mantelmwen auf Nord- und Ostsee variiert im Verlauf des Jahres. Nach den Daten der Wasservogelzählung werden die hchsten Rastbestände in der Deutschen Bucht im Spätherbst erreicht (BLEW et al. 2005), wenn zumindest ein Teil der skandinavischen Brutvgel in die Winterquartiere an der sdlichen Nordsee- und der Kanalkste zieht (September / Oktober; s. Übersicht in DIERSCHKE & LORENTZEN 2006). Die deutsche Ostseekste, an der zum Mittwinter die hchsten Rastbestände erreicht werden, ist dagegen vorrangig Überwinterungsquartier der Mantelmwen des nrdlichen Ostseeraumes. Bereits im zeitigen Frhjahr setzt an der Nord- und Ostsee der Heimzug ein.

322

Abb. 22-2: Verbreitung der Mantelmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Winter- halbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 22-3: Verbreitung der Mantelmwen in Deutschland im Januar basierend auf den Daten der Wasservogelzählung (Kreise) sowie der Mwen-Schlafplatzzählung (Quadrate, gleiche Skalierung). Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzäh- lungen 2000-2005 sowie der Schlafplatzzählungen 2004-2006.

323 Nordsee Mantelmwen kommen ganzjährig im Bereich der deutschen Nordsee vor. Im Frhjahr und Sommer sind sie in geringen bis mittleren Anzahlen sowohl in den Ksten- als auch in den Offshore-Bereichen verstreut verbreitet. Mantelmwen kommen bis zu einer Entfernung von 80 km von der Kste vor. Im Sommer deutet sich eine Konzent- ration im Bereich um Helgoland an. Zu dieser Jahreszeit wird das Vorkommen berwiegend von immaturen Vgeln dominiert (GARTHE 2003b). Zum Herbst hin nimmt der Bestand deutlich zu und es bildet sich ein zahlenstarkes Wintervorkommen mit Konzentrationen im Mndungsgebiet von Elbe und Weser bis Helgoland sowie entlang der ostfriesischen Kste. Die Durchzugszeiten an verschiedenen Orten der Nordseekste unterscheiden sich um einige Wochen: Während Mantelmwen ihr Bestandsmaximum im schleswig-holsteinischen Wattenmeer im Spätsommer bzw. Frhherbst erreichen, ist es an der niedersächsischen Kste erst zwischen September und Dezember zu verzeichnen. In der Deutschen Bucht sind die meisten Mantelmwen im November zu beobachten (zusammengestellt in GARTHE 2003b). Im Offshore- Bereich sind Mantelmwen verstreut, mit nur vereinzelten Konzentrationen verbreitet. Das Vorkommen von Fischereifahrzeugen scheint zumindest in einigen Gebieten einen starken Einfluss auf die Verbreitung und Abundanz der Mantelmwen zu haben (GARTHE 1997, 1999). Im Winter besteht das Vorkommen der Mantelmwen auf der deutschen Nordsee berwiegend aus adulten Tieren (GARTHE 2003b). Auf Helgoland scheint der Anteil unausgefärbter Mantelmwen im Winterhalbjahr dagegen hher zu sein als in den umliegenden Seegebieten (KUSCHERT & WITT 1985), so dass Helgo- land eine besondere Bedeutung als Rastplatz v.a. fr nichtbrtende Individuen haben knnte. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen zu jeder Jahreszeit Mantelmwen vor. Die meisten Mantelmwen knnen im Herbst beobachtet werden (Tab. 22-2).

Tab. 22-2: Rastbestandszahlen der Mantelmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen. (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): VII: 501-1000 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 2.600 0,6 1.200 0,3 390 <0,1 Sommer 2.500 0,6 500 0,1 60 <0,1 Herbst 16.500 3,8 9.500 2,2 VII 0,1-0,2 Winter 15.500 3,6 9.000 2,1 200 <0,1

324 Ostsee Im Sommer kommen Mantelmwen aufgrund der wenigen Brutpaare an der sdlichen Ostseekste nur in geringen Dichten in der Kieler, Mecklenburger und Pommerschen Bucht vor. Dabei handelt es sich berwiegend um immature Nichtbrter. Während des Wegzuges nimmt das Vorkommen deutlich zu und wird im Winter noch zahlenstärker. Mantelmwen sind zu dieser Jahreszeit in fast allen Bereichen der deutschen Ostsee verbreitet. Lokale Konzentrationen knnen sich in der Nähe von Fischkuttern bilden, wo Discard als Nahrungsquelle genutzt wird (GARTHE & SCHERP 2003). Im Frhjahr nimmt das Mantelmwen-Vorkommen in der gesamten Ostsee wieder deutlich ab. Hhere Dichten wurden nur im Greifswalder Bodden festgestellt. Im SPA „ Pommersche Bucht“ kommen zu jeder Jahreszeit Mantelmwen vor. Die meisten Mantelmwen werden dort im Winter beobachtet.

Tab. 22-3: Rastbestandszahlen der Mantelmwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum 2000-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 800 0,2 III <0,1 Sommer k.A. k.A. 90 <0,1 60 <0,1 Herbst k.A. k.A. 110 <0,1 60 <0,1 Winter 7.000 1,6 800 0,2 150 <0,1

22.4.3 Bestandsentwicklung Der europäische Brutbestand der Mantelmwen wird fr den Zeitraum 1970-1990 als stabil eingeschätzt. Abnahmen in Island und Irland im Zeitraum 1990-2000 stehen Zunahmen bzw. stabile Trends in den anderen europäischen Ländern gegenber, vor allem in Norwegen, wo ein großer Anteil des europäischen Brutbestandes brtet (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die etwa 10.000 Paare umfassende baltische Population nahm in dieser Zeit deutlich zu und dehnte ihr Brutgebiet aus (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Erstmals brtete in Deutschland 1984 ein einzelnes Paar im Greifswalder Bodden. An der Nordsee brten Mantelmwen regelmäßig seit 1988, an der Ostsee seit 1992 (NEHLS & SPERLICH 1986, HÄLTERLEIN et al. 2000). Bis heute ist die Zahl der Brutpaare insgesamt gering geblieben. In den Jahren 1993-2003 hat die mittleren Dichte der Mantelmwen auf der Nordsee während der Brutzeit (Mai bis Juli) sehr stark abgenommen (GARTHE & SCHWEMMER 2005). Immature Individuen zeigten die stärksten Rckgänge. Die Daten der Wasser-

325 vogelzählung lassen erkennen, dass die winterlichen Rastbestände im Zeitraum 1980- 2005 an der Nordseekste deutlich zunahmen, jedoch starken Fluktuationen zwischen den Jahren unterworfen sind. An der Ostseekste wurde im Zeitraum 1991-2005 keine signifikante Veränderung des winterlichen Rastbestandes beobachtet (Abb. 22-4).

Abb. 22-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung der Mantelmwen in Deutschland im Januar 1968-2005 nach den Daten der Wasservogelzählung relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II).

22.5 Biologie / Ökologie 22.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: frhestens mit 4-5 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, hohe Nistplatztreue Brutzeit: Legebeginn ab Mitte April, meist Ende April / Anfang Mai, im Norden etwas später, Brutdauer 26-28 Tage Gelege: 3 Eier, selten 2; 1 Jahresbrut, 2-3 Nachgelege, beide Eltern brten Kken: nach dem Schlpfen sind die Kken etwa nach 45-50 Tagen flgge, beide Eltern betreuen und fttern bis zu 7 Wochen, in die- ser Zeit finden schon kurze Flge der Jungvgel statt

22.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 13 Jahre Ältester Ringvogel: 25 Jahre 9 Monate Sterblichkeit: ähnlich Silbermwe (s. Kapitel 23)

326 22.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Teilmauser) beginnt zwischen August und November. Im April / Mai des 2. KJs vollzieht sich die 1. Postnuptialmauser (Vollmauser) bis Oktober / November. Adulte Vgel beginnen mit der Vollmauser meist ab Mitte Mai, wobei ihre Handschwingenmauser in der Regel nach der Eiablage einsetzt und ca. 5-6 Monate dauern kann. Da Mwen ihre Schwingen nicht synchron, sondern nacheinan- der erneuern, sind sie zu keiner Zeit in ihrem Flugverhalten eingeschränkt. An die im November / Dezember abgeschlossene Vollmauser schließt sich von Januar bis Mai die Pränuptialmauser (Teilmauser) an.

22.5.4 Wanderungen Nur die im äußersten Norden des Verbreitungsgebietes brtenden Vgel wandern im Winter weit sdwärts, die brigen Vgel ziehen nur ber kurze Distanzen. Ihre Wintergebiete erstrecken sich von der Packeisgrenze bis in die Nordsee und die sdliche Ostsee sowie am Atlantik bis zur Biscaya. Einzelne Individuen kommen bis Marokko vor. Die Brutvgel Finnlands berwintern in Gebieten von der sdlichen Ostsee bis nach S-Großbritannien, Vgel aus Schweden und S-Norwegen kommen in die Bereiche der Nord- und Ostsee. Brutvgel aus Dänemark und Großbritannien legen ebenfalls nur kurze Strecken in ihre Überwinterungsgebiete zurck. Der Abzug aus den Brutgebieten beginnt ab August, dementsprechend werden ab September an den deutschen Ksten Mantelmwen in nennenswerter Anzahl festgestellt. Während nicht brtende Vgel oft im Winterquartier oder in Gebieten zwischen Winterquartier und Geburtsort verbleiben, ziehen die Brutvgel ab Februar wieder zurck zu ihren Brutplätzen.

22.5.5 Habitat Mantelmwen brten auf Inseln, an felsigen Ksten, aber auch in Dnengebieten und Mooren (zur Verbreitung s. Kapitel 22.4.1). Zur Nahrungssuche halten sie sich hauptsächlich auf der Hochsee, aber auch auf kstennahen Mlldeponien und in Seehäfen auf. Außerhalb der Brutzeit sind Mantelmwen meist an flachen, aber mglichst tidenunabhängigen Stränden zu beobachten. Fischereiaktivitäten spielen fr die Verbreitung der Mantelmwen in der Deutschen Bucht anscheinend eine zentrale Rolle.

GARTHE (1997, 1999, 2003b) beschrieb sowohl fr den Sommer als auch fr den Winter einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Verteilungsmustern der Art auf See und dem Vorkommen von Fischkuttern.

327 22.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Die Ernährungsweise der Mantelmwen ist sehr vielseitig. Sie erbeuten Nahrung von der Wasseroberfläche, knnen durch Stoßtauchen bis zu einem Meter tief tauchen, sie rauben Beute von anderen Vgeln (z.B. VERBEEK 1979), ernähren sich regelmäßig von Lebensmittelresten auf Mlldeponien, lassen wie Silbermwen (Larus argentatus) Muscheln aus der Hhe fallen, um sie zu ffnen und erbeuten Discards hinter Fischereifahrzeugen (GARTHE 2003b). Die Nahrung der Mantelmwen ist vergleichsweise vielseitig, es berwiegt jedoch marine, tierische Nahrung. Neben selbst gefangenen Fischen, Mollusken, Polychaeten, Crustaceen und Kleinsäugern kommt dem Discard eine hohe Bedeutung zu. Gadiden, die meist aus dem Discard von Fischereifahrzeugen stammen, sind die wichtigste Nahrung der Mantelmwen. Im Vergleich zu anderen Mwenarten wird häufig Mll als Nahrungsquelle genutzt. Nordsee KOCK (1974) sowie PRÜTER (1988) untersuchten Mägen von Mantelmwen, die im Winter der Jahre 1971 / 72 bzw. 1983 / 84 auf Helgoland geschossen wurden. In 67 % bzw. 83 % der Mägen wurde Fisch gefunden. Gadiden machten dabei in beiden Studien den Großteil der Nahrung aus. Die brigen Nahrungsbestandteile waren Mollusken, Crustaceen, Insekten, Polychaeten, Echinodermaten, ein Kleinvogel und Mll.

Auch BUCKLEY (1990) fand in im Mai und Juli des Jahres 1986 gesammelten Speiballen einer irischen Brutkolonie hauptsächlich Gadiden. Im Gegensatz zu den Studien von Helgoland traten jedoch in 58 % der Proben Vgel (hauptsächlich erwachsene Alken) auf. Bedeutung von Fischerei GARTHE (2003b) fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen Mantelmwen- und Fischkutterverbreitung auf der Nordsee. Während des Heimzuges traten 4 % aller Individuen hinter Fischkuttern auf, während des Winters sogar 40 %. Auf der Ostsee stellten Mantelmwen nach Silbermwen die häufigste Art hinter Fischereifahrzeugen dar (GARTHE & SCHERP 2003). In Teilen der sdlichen Ostsee kamen bis zu 50 Individuen hinter einem Fischkutter vor. Je nach Region der Ostsee wurden 50-100 % aller Fischkutter von Mantelmwen begleitet. Mantelmwen sind unter den Schiffsfol- gern sehr konkurrenzstark, haben einen hohen Erfolgsindex im Erbeuten von Discard und zeigen aufgrund ihrer großen Krpergrße nach Basstlpeln (Morus bassanus) den hchsten Erfolg beim Rauben von Beuteobjekten anderer Seevgel (GARTHE & HÜPPOP 1998). In den Herbst- und Wintermonaten treten auch hohe Zahlen in

328 Assoziation mit der kstennahen Garnelenfischerei der Nordsee auf (WALTER & BECKER 1997, FTZ unverffentl. Daten). Dementsprechend stellt Discard eine wichtige Nahrungsquelle fr Mantelmwen dar. So gehen die winterlichen Rastzahlen der Mantelmwen auf Helgoland stark zurck, wenn keine Fischerei stattfindet. Umgekehrt ist in Zeiten des Fischereibetriebs die Krpermasse der Mwen im Durchschnitt 450-500 g grßer und die Speiballen der Mwen enthalten einen hohen Anteil an Discardfisch (83-87 %) (HÜPPOP & WURM 2000). Findet keine Fischerei statt, so bestehen die Speiballen hauptsächlich aus Resten natrlicher mariner und terrestrischer Nahrung (WURM & HÜPPOP 2003).

22.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Meist sind Mantelmwen tag- und dämmerungsaktiv, als Schiffsfolger aber auch nachtaktiv. Sie sind keine wendigen Flieger und zeigen einen eher langsamen Flug. Mantelmwen sind meist Koloniebrter und kommen außerhalb der Brutzeit einzeln oder in kleinen Trupps vor.

22.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 22.6.1 Gefährdungsursachen Mantelmwen sind in Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Reduktion des Nahrungsangebotes, z.B. durch Abnahme des Fischereiaufwan- des und Discard-Aufkommens - Verfangen und Ertrinken in oberflächennahen Driftnetzen (Ostsee) In den Brutgebieten treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Direkte Verfolgung (bestandsregulierende Maßnahmen zum Schutz anderer Kstenvogelarten: Gelegezerstrung, Eiersammeln, Abschuss, Vergiftung) - Strungen durch Tourismus und Freizeitaktivitäten

22.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Mantelmwen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Mantelmwen sind vergleichsweise wenig empfindlich gegenber den meisten anthropogenen Nutzungen und Gefährdungen auf See. So weisen sie eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.) und sind wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Vielmehr treten Mantelmwen bei der Suche nach Nahrung auch häufig als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen auf (GARTHE 2003b).

329 Da Mantelmwen einigermaßen wendige Flieger mit relativ hoher Manvrierfähigkeit sind, ist die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, als gering einzustufen. Bei schlechten Sichtbedingungen kann es jedoch insbesondere wegen der hohen und bisweilen auch nächtlichen Flugaktivität zu Kollisionen kommen, zumal Mantelmwen oft in Hhe der Rotoren fliegen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (1994) liegt im mittleren Bereich aller untersuchten Arten und ist im Vergleich zur Silbermwe deutlich hher. Obwohl beide Arten ein ähnliches Flugver- halten zeigen, liegt der Indexwert der Mantelmwen insbesondere aufgrund der hheren Werte in der Kategorie „Status“ deutlich ber dem der Silbermwe. Da sie ihre Nahrung auf See nur an oder wenige Zentimeter unter der Oberfläche erbeuten, sind Mantelmwen nicht durch zufälliges Verfangen und Ertrinken in bodennahen Stellnetzen gefährdet. Allerdings kann es zu Verlusten in oberflächenna- hen Kiemennetzen fr den Lachsfang kommen, wie von SCHIRMEISTER (2003) fr die Pommersche Bucht beschrieben. Es ist davon auszugehen, dass die Netze einen Attraktionseffekt auf die Mwen ausben knnen und sich diese beim Versuch, Fische aus den Netzen zu erbeuten, darin verfangen. Da sich Mantelmwen häufig schwimmend auf See aufhalten, besteht die Gefahr der Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichen- de“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Seevgeln wie See- und Lappentaucher, Meeresenten oder Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil auf dem Wasser verbringen und – abgesehen von großen Ansammlungen hinter Fischereifahrzeugn – meist nicht in hohen Konzentrationen auftreten, ist die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Mantelmwen deutlich geringer. Ölverschmutzung kann aber auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwick- lungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Mantelmwen ernähren sich opportunistisch (vgl. Kapitel 22.5.6) und sind daher in der Lage, Nahrungsknappheit durch die Nutzung eines breiten Artenspektrums und verschiedener Beutegrßen weitgehend zu entgehen. Zudem haben sie sich zunehmend

330 anthropogene Nahrungsquellen erschlossen, insbesondere durch das Erbeuten von Discard sowie die Nahrungssuche auf Mllkippen. Diese verlässlichen und leicht zu nutzenden Nahrungsquellen haben – neben einem verstärkten Schutz – wahrscheinlich den Bestandsanstieg und die Ausweitung des Verbreitungsareals der Mantelmwen in Europa seit den 1920er Jahren untersttzt, nachdem die Mantelmwen Anfang des 20. Jahrhunderts noch stark unter Verfolgung, insbesondere durch Jagd, gelitten haben (BAUER et al. 2005). Vor allem seit den 1990er Jahren kam es jedoch zu einer Reduktion des Discards in der Fischerei, was bei den gewachsenen Beständen der Mantelmwen vermutlich zumindest lokal zu einer Verschlechterung der Nahrungssi- tuation fhrte. In den letzten zehn Jahren konnte in der Deutschen Bucht ein deutlicher Rckgang der Mantelmwendichten auf See beobachtet werden (GARTHE & SCHWEMMER 2005). Untersuchungen auf Helgoland im Winter 1997 / 98 zeigten eine Abnahme des Rastbestandes der Mantelmwen um bis zu 80 %, wenn die Fischerei (und somit das Discardaufkommen) eingestellt bzw. deutlich reduziert wurde. Diejenigen Mantelmwen, welche die Insel nicht verließen, reagierten mit einer spontanen Umstellung der Nahrung (HÜPPOP & WURM 2000). Auch verschiedene Untersuchungen in v.a. schottischen Kolonien weisen auf eine opportunistische Ernährung der Mantelmwen und die Fähigkeit hin, sich schnell auf verschiedene Nahrungsbedingungen ein- und umzustellen (MITCHELL et al. 2004). Mantelmwen beginnen frhestens mit 4-5 Jahren mit der Fortpflanzung und haben bei nur einer Brut pro Jahr eine relativ geringe Anzahl von Jungvgeln bei einer sehr hohen Überlebensrate adulter Tiere. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Mantelmwen sind mit ber 50 % ihres Weltbestandes auf Europa konzentriert. Ihr Status wird dort nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. In Deutschland brten Mantelmwen seit 1984 regelmäßig, aber mit nur wenigen Paaren. Sie sind daher in der Roten Liste Deutschlands, Schleswig-Holsteins und Niedersachsens als „selten, mit geografischer Restriktion“ aufgefhrt. In Meck- lenburg-Vorpommern gilt der Brutbestand als „stark gefährdet“ (Tab. 22-4). Gefähr- dungen an den Brutplätzen sind v.a. durch Strungen (z.B. Freizeitaktivitäten) und direkte Verfolgung gegeben.

331 Tab. 22-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Mantelmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + R R R 2 I I Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II Non-SPECE - - -

22.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zum Schiff sind vom Flugzeug aus keine detaillierten Verhaltensbeobachtungen mglich. Ksten-Wasservogelzählungen (bei kstennahen Vorkommen)

22.8 Forschungsbedarf - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

332 23 Silbermwe

Larus argentatus Pontoppidan 1763

GB: Herring Gull NL: Zilvermeeuw

DK: Slvmåge Foto: N. Sonntag S: Gråtrut Abb. 23-1: Silbermwe im PK PL: Mewa srebrzysta

23.1 EU-Code A184

23.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

23.3 Kennzeichen Großmwe mit hellgrauer Oberseite, gelbem Schnabel mit rotem Gonysfleck und rosafarbenen Beinen. Im Flug Handflgel von unten hell und durchscheinend. Im PK Kopf weiß, im SK grau gestrichelt. Vierjahres-Mwe, graue Federn erscheinen ab dem 2. Winter. Im JK Oberseite hellbraun gefleckt mit hellem Handflgelfeld und braun gemusterten Flgeldecken; Kopf und Brust bräunlich gestrichelt. Brzel weiß mit braunen Flecken, daher wenig Kontrast zur Schwanzendbinde. Verwechslungsmglichkeiten: Adulte Vgel mit Sturmmwe, Silbermwe aber deutlich grßer, mit kräftigerer Gestalt und breiteren Flgeln, Oberseite heller grau, Kopf grßer und weniger rund wirkend, Schnabel kräftiger, gelb mit rotem Go- nysfleck. Im JK und 1. WK mit junger Heringsmwe: Hauptunterscheidungsmerkmal ist der innere Handflgel, der bei jungen Silbermwen ein helles Feld bildet, bei jungen Heringsmwen hingegen ganz dunkel ist. Junge Silbermwen sind zudem häufig insgesamt heller gefärbt und die Schwanzendbinde bildet meist nur wenig Kontrast zu den Oberschwanzdecken.

333 Im JK und 1. WK mit junger Mantelmwe: Junge Silbermwen sind weniger kräftig, der Schnabel ist im Profil flacher als bei jungen Mantelmwen. Silbermwen sind meist dunkler und weniger kontrastreich gefärbt, die Schwanzendbinde hat oft weniger Kontrast zu den Oberschwanzdecken. Die Schirmfederspitzen haben nur schmale, helle Spitzen, der Kontrast zwischen dunkleren äußeren und helleren inneren Hand- schwingen ist bei Silbermwen stärker als bei Mantelmwen. Insbesondere mit Mittelmeer- und Steppenmwen, vor allem im JK und in den ersten Jahren, in denen die Bestimmung von Großmwen generell schwierig ist.

23.4 Verbreitung / Bestand 23.4.1 Welt / Europa Silbermwen sind in der borealen und gemäßigten Zone Europas beheimatet. Man kann zwei Unterarten unterscheiden. Die Vgel der Nominatform kommen an den Ksten Norwegens, Dänemarks und Schwedens bis nach Spitzbergen vor. An der Nordseekste von Deutschland, den Niederlanden und Belgien mischt sich die Nominatform mit den Vgeln der Unterart argenteus, deren Areal von Island ber Großbritannien bis zur Nordkste Frankreichs reicht. Die gelbfßige Morphe der Nominatform „omissus“ wurde frher als Unterart der Steppenmwe (Larus cachinnans) aufgefasst und ist hauptsächlich im Binnenland Finnlands, dem Baltikum und W-Russland verbreitet. Der Weltbestnd von Silberm- wen beträgt etwa 2,69-4,66 Mio. Individuen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006), fr Europa gibt BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) einen Brutbestand von 760.000- 1,4 Mio. Paaren an. Bei den in Europa vorkommenden Silbermwen werden – entsprechend den zwei Unterarten – zwei biogeografische Populationen unterschieden (Tab. 23-1).

Tab. 23-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Silbermwen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Dänemark, Fennoskan- L. a. 1,7 Mio.- zuneh- - dien stl. bis N- & W-Europa 20.000 argentatus 3,6 Mio. mend Kola- Halbinsel Island, Irland, NW-Europa Großbritan- L. a. sdl. bis nrdl. 560.000 - abneh- - nien, NW- 5.900 argenteus Iberische 620.000 mend Frankreich bis Halbinsel Deutschland

334 23.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Durchzgler, Wintergast. Die in Deutschland vorkommenden Silbermwen gehren sowohl zur Unterart L. a. argentatus als auch zur Unterart L. a. argenteus, die beide an der deutschen Nordsee- kste aufeinander treffen (BAUER & BERTHOLD 1997). Die an der Ostsee brtenden Silbermwen gehren zur Nominatform. In Deutschland brten etwa 39.000-46.000 Paare Silbermwen (Bezugszeitraum 1995- 1999, BAUER et al. 2002). An der deutschen Nordsee liegt der Brutbestand der beiden Unterarten bei 34.396 Paaren (Bezugszeitraum 2003, B. HÄLTERLEIN / NPA Tnning briefl, DIERSCHKE et al. 2004a). An der deutschen Ostsee brteten im Jahr 2000 3.582 Paare der Nominatform (GARTHE et al. 2003a). Silbermwen sind auf der Nord- und Ostsee ebenso wie an den Ksten die mit Abstand häufigsten Großmwen und knnen ganzjährig in Deutschland beobachtet werden. Verbreitungsschwerpunkte sind nicht erkennbar (Abb. 23-3). Im Binnenland traten sie bislang insbesondere dort auf, wo durch Mlldeponien reichlich Nahrung zur Verfgung stand (z.B. Rhein-Ruhr, Raum Halle-Leipzig). Seit der Schließung zahlreicher Deponien zum Juni 2005 und dem Verbot der Ablagerung unbehandelter, organischer Siedlungsabfälle (also auch Hausmll) gingen die Bestände dort drastisch zurck. Im sdlichen Binnenland kommen Silbermwen nur in geringer Zahl vor (< 500 Ind.) vor. Fr den Zeitraum 2000-2005 wird der Mittwinterbestand auf ca. 210.000 Individuen geschätzt (DDA unverffentl., Tab. 23-2 und 23-3), von denen zu diesem Zeitpunkt knapp 80.000 (ohne Hamburg und Bremen) auf das Binnenland entfallen. Angesichts unzureichender Informationen ber die Rastbestände in weiten Teilen des Binnenlands zwischen den Jahren 2000 und 2002 ist insbesondere die Schätzung eher als grober Näherungswert zu sehen (Beginn der bundesweiten Mwen-Schlafplatzzählungen erst 2003 / 04). In den Sommermonaten sind Silbermwen auf Nord- und Ostsee eher kstennah verbreitet (Abb. 23-2). Auf der gesamten deutschen Ostsee und in den sdlichen Teilen der Deutschen Bucht sind sie jedoch flächendeckend vertreten. Das jahreszeitli- che Auftreten an der Nordseekste mit den hchsten Rastbeständen im August / September (BLEW et al. 2005) unterscheidet sich deutlich vom Binnenland, wo die Maxima im Winter erreicht werden (NOWAKOWSKI & BUCHHEIM 1996, STEIOF 2006). An der deutschen Ostseekste treten aufgrund des Zuzuges von Vgeln aus dem Ostseeraum (BØNLØKKE et al. 2006) und der geringen Zugneigung der Brutvgel der deutschen Ostseekste (KLEIN 2001, MARKONES & GUSE 2007) die hchsten Rastbestände ebenfalls im Winter auf. Es ist daher anzunehmen, dass zwischen Dezember und Februar deutschlandweit das Rastbestandsmaximum erreicht wird.

335

Abb. 23-2: Verbreitung der Silbermwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommer- halbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nordsee: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Abb. 23-3: Verbreitung der Silbermwen in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung (Kreise) sowie der Mwen-Schlafplatzzählung (Quadra- te, gleiche Skalierung). Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000-2005 sowie der Schlafplatzzählungen 2004-2006.

336 Nordsee Die Verbreitung von Silbermwen auf der deutschen Nordsee ist stark an das Wattenmeer gebunden. Insbesondere im Frhjahr, Sommer und Herbst kommen sie entlang der gesamten Kste in hoher Anzahl im Wattenbereich sowie im Übergangs- gebiet zwischen Watt und Offshore-Bereich vor. Schon im Frhjahr sind Dichte- schwerpunkte in der Nähe der Kolonien auf Amrum und Trischen erkennbar. Zum Sommer hin nimmt der Gesamtbestand deutlich zu. Die Verbreitung ist dann noch enger an das Wattenmeer und die Brutkolonien gebunden und erstreckt sich mit hohen Dichten entlang der gesamten Kste. Zu dieser Zeit sind die Dichten im Offshore- Bereich eher gering. Große Anzahlen knnen kstennah lokal hinter Fischkuttern beobachtet werden. Im Herbst zeigt sich ein ähnliches Bild, doch nimmt der Bestand in der AWZ im Vergleich zum Sommer zu. Im Winter verringern sich die Bestände im Wattenmeer während die in der AWZ zunehmen. In den Kstengebieten ist die Verbreitung weiterhin weit verteilt, es gibt aber, verglichen mit den anderen Jahreszei- ten, lokal auch deutlich grßere Vorkommen in den kstenferneren Bereichen. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ halten sich Silbermwen ganzjährig auf, doch sind die Anzahlen im Vergleich zum gesamten deutschen Nordseebestand sehr gering. Im Winter und Frhjahr werden die grßten Anzahlen erreicht (Tab. 23-2).

Tab. 23-2: Rastbestandszahlen der Silbermwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind.. Da im Be- reich der deutschen Nordsee beide Unterarten vorkommen, bezieht sich der pro- zentuale Anteil der Individuen auf den Weltbestand. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 74.000 2,3 1.200 <0,1 460 <0,1 Sommer 115.000 3,6 1.800 <0,1 III <0,1 Herbst 98.000 3,0 4.100 0,1 III <0,1 Winter 62.000 1,9 15.000 0,5 900 <0,1

Ostsee Die Silbermwe ist die häufigste Mwenart auf der deutschen Ostsee. Insbesondere im Winter und Frhjahr tritt sie in großer Anzahl weit verbreitet in den Ksten- und Offshore-Gewässern auf (Tab. 23-3). Im Sommer sind die Anzahlen deutlich geringer, zum Herbst hin nehmen sie wieder zu. Insbesondere im Winter und Frhjahr sind sie recht homogen und flächendeckend vertreten. Ganzjährig grßere Konzentrationen treten nur in der Kieler und Mecklenburger Bucht sowie rund um Fehmarn und

337 nrdlich bzw. nordwestlich von Rgen auf. Kurzfristige Aggregationen finden sich häufig in Gebieten mit Fischereiaktivität. Auf der Ostsee folgen Silbermwen von allen Mwenarten am häufigsten und mit den grßten Individuenzahlen Fischereifahr- zeugen (GARTHE & SCHERP 2003). Im SPA „Pommersche Bucht“ werden Silbermwen ganzjährig beobachtet. Im Herbst und Winter halten sich dort die meisten Individuen auf (Tab. 23-3).

Tab. 23-3: Rastbestandszahlen von Silbermwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugsraum: 2000-2005). Der prozentuale Anteil der Individuen bezieht sich auf den Bestand der Nominatform (vgl. Tab. 23-1). Be- Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an stand biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. dt. Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Ostsee Frhjahr k.A. k.A. 4.900 0,2 300 <0,1 Sommer k.A. k.A. 2.200 0,1 240 <0,1 Herbst k.A. k.A. 2.100 0,1 1.000 <0,1 Winter 70.000 2,6 4.200 0,2 850 <0,1

23.4.3 Bestandsentwicklung Durch intensive Verfolgung der Silbermwen kam es in Mitteleuropa im Laufe des 19. Jh. zu einem starken Bestandsrckgang. In den 1930er Jahren wurden nach einem drastischen Anstieg wieder sehr hohe Brutbestände erreicht (BAUER & BERTHOLD 1997). Danach fand erneut eine starke Verfolgung der Silbermwen an der Nordsee- kste statt, zunächst während des Zweiten Weltkrieges, später durch sogenannte bestandsregulierende Maßnahmen zum Schutz von Seeschwalben und anderen See- und Kstenvogelarten (THIESSEN 1986, GARTHE et al. 2000b). Nach Ende dieser Bestandsregulierung Anfang der 1970er Jahre stiegen die Brutbestände an der deutschen Nordseekste bis Mitte der 1980er Jahre wieder deutlich an; seit Anfang der 1990er Jahre nehmen die Bestände aber wiederum leicht ab (GARTHE et al. 2000b, HÄLTERLEIN et al. 2000). An der deutschen Ostseekste waren Silbermwen bis Anfang der 1960er Jahre eher seltene Brutvgel. Nachfolgend kam es zu Bestandszunahmen, die in den 1990er Jahren am stärksten waren und zu deutlichen Zuwächsen auf ber 3.500 Paare um die Jahrhundertwende fhrten (HÄLTERLEIN et al. 2000, GARTHE et al. 2003a). Mit der Brutbestandszunahme in den 1970er und 1980er Jahren einhergehend stiegen auch die Rastbestände deutlich an (BELLEBAUM et al. 2000, ARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN-

338 BRANDENBURGISCHER ORNITHOLOGEN 2001). In den 1990er Jahren stabilisierten sie sich und fluktuierten an der Kste ohne erkennbaren Trend bis Mitte des aktuellen Jahrzehnts auf hohem Niveau (Abb. 23-4). Im Binnenland setzte mancherorts ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein Rckgang ein (z.B. BELLEBAUM et al. 2000, FLORE 2006). Nach der deutschlandwei- ten Schließung der meisten Mlldeponien fr unbehandelte organische Abfälle (inkl. Hausmll) im Sommer 2005 wurde im darauf folgenden Winter vor allem im Binnenland ein Rckgang um rund 60 % festgestellt (WAHL & BELLEBAUM 2006).

Abb. 23-4: Indexwerte der Bestandsentwicklung von Silbermwen in Deutschland im Januar 1968-2005 nach den Daten der Wasservogelzählung relativ zum Basisjahr 1990 (zur Berechnung s. Kapitel II). Fr das Binnenland ist keine ausreichende Daten- grundlage vorhanden.

23.5 Biologie / Ökologie 23.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: mit 4-7 Jahren, Weibchen wahrscheinlich später als Männchen Paarbildung: monogame Saisonehen, hohe Nistplatz- und Partnertreue Brutzeit: Legebeginn ab Mitte April, an der Nordseekste Ende April, meist im Norden etwas später, bis Anfang Juli; Brutdauer 26-32 Tage Gelege: 2-3 Eier; 1 Jahresbrut, bis mind. 2 Nachgelege nachgewiesen, beide Eltern brten Kken: beide Eltern bewachen und fttern die Kken nach dem Schlp- fen, Kken sind etwa nach 35-49 Tagen flgge, danach noch 19-27 Tage im Territorium der Eltern, um sich fttern zu lassen

339 23.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 13 Jahre Ältester Ringvogel: mit 33 Jahren noch fortpflanzungsfähig Sterblichkeit: Adulte: etwa 10 % pro Jahr, z.T. niedriger, im 1. Lebensjahr ist Sterblichkeitsrate wesentlich hher. Bei einer Nachwuchsrate von 0,6 wrde es ausreichen, wenn nur 22 % der Silbermwen ein Al- ter von 5 Jahren erreichen

23.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Teilmauser) beginnt ab August und vollzieht sich bis März / April. Ende April des 2. KJs setzt die 1. Postnuptialmauser (Vollmauser) ein und ist im Oktober / November abgeschlossen. Adulte Vgel beginnen mit der Vollmauser meist ab Mitte Mai, wobei ihre Handschwingenmauser schon während der Bebrtung einsetzt und ca. 4-6 Monate dauern kann. Subadulte Vgel mausern etwas frher und etwas rascher. Da Mwen ihre Schwingen nicht synchron, sondern nacheinander erneuern, sind sie zu keiner Zeit in ihrem Flugverhalten eingeschränkt. Zwischen Januar und April erneuern Silbermwen während der Pränuptialmauser (Teilmauser) ihr Krpergefieder.

23.5.4 Wanderungen Silbermwen sind Teilzieher, die häufig Streuungswanderungen durchfhren. Diese Dispersionen sind offenbar bei Immaturen im 2. Winter am stärksten ausgeprägt. Die adulten Vgel verlassen gleich nach dem Flggewerden der Kken die Kolonien, daher sind im Wattenmeer die Hchstzahlen an Silbermwen im Spätsommer / Herbst zu verzeichnen. Ihre Winterareale erreichen Silbermwen meist ab November und bleiben dort bis Mitte Januar. Die im Nordseeraum im Winter vorkommenden Silbermwen stammen aus Skandinavien, Finnland und den Nordseeanrainer-Staaten. Die Brutvgel der Ostsee verbleiben auch im Winter zu 75 % dort, während 20 % ins Binnenland und 5 % in die Nordsee abwandern. Immature Vgel suchen entweder später die Kolonie auf oder bersommern abseits ihres Geburtsortes. Die Vgel der Form „omissus“ sind meist Kurzsteckenzieher, die ihre Brutgebiete meist ab Ende Juli räumen, Nachzgler folgen bis spätestens Oktober. Der Heimzug von Brutvgeln beginnt im März, während Nichtbrter meist den Sommer zwischen Brut- und Wintergebiet verbringen.

340 23.5.5 Habitat Silbermwen kommen zu allen Jahreszeiten bevorzugt an Ksten vor, jedoch sieht man sie im Winter häufig auch an Mlldeponien weit im Binnenland. Abseits von Deponien bzw. den oft nahe gelegenen Schlafplätzen sind sie jedoch selten in grßerer Zahl anzutreffen. Im Winter sind Silbermwen auch auf der offenen See relativ weit verbreitet. Ihre Brutplätze befinden sich oft in Dnen, in lockerem Gras, auf Kiesstränden oder Felsinseln (zur Verbreitung s. Kapitel 23.4.1). Im kstennahen Binnenland, z.B. an Orten entlang der Ostkste Schleswig-Holsteins, knnen zunehmend Dachbruten beobachtet werden. Des Weiteren brten Silbermwen an einigen Seen im Binnenland.

23.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Silbermwen nutzen zahlreiche Nahrungshabitate. Am häufigsten kommen sie allerdings in Kstennähe vor und nutzen dort vor allem den kstennahen Offshore- Bereich und das Wattenmeer. Im kstennahen Binnenland treten Silbermwen mit geringeren Zahlen auf. Im Binnenland oder im Wattenmeer suchen Silbermwen meist schreitend oder durch Fußtrampeln nach Nahrung. Im Offshore-Bereich zeigen sie am häufigsten flaches Sturztauchen, nehmen pickend im Schwimmen kleinere Partikel auf und fressen häufig im Schwimmen an grßeren Nahrungsobjekten (oft auch an Aas). Obwohl die meisten Silbermwen tagaktiv sind, zeigen sie an der Nordseekste ein tidenabhängiges Aktivitätsmuster. Dabei fliegen die meisten Individuen um Niedrig- wasser von der Kolonie in die Gezeitenzone zur Nahrungsaufnahme (z.B. SPAANS 1971, SIBLY & MCCLEERY 1983, GALUSHA & AMLANER 1977, GARTHE et al. 1999). Von allen Mwenarten sind Silbermwen am häufigsten auf Mlldeponien anzutreffen und nutzen dort intensiv anthropogene Nahrung (z.B. SPAANS 1971, VERBEEK 1977, SIBLY & MCCLEERY 1983, PONS 1994, MARKONES & GUSE 2007). SIBLY & MCCLEERY (1983) wiesen nach, dass Silbermwen je nach Verfgbarkeit von Beuteorganismen zwischen terrestrischen (Wiesen mit Regenwrmern), tideabhängi- gen (Litoral mit Mollusken) und anthropogenen (Mllhalden) Habitaten wechseln. Generell fressen Silbermwen hauptsächlich Wirbellose aus der Gezeitenzone. Oberflächennah lebende Muscheln sowie Strandkrabben (Carcinus maenas) sind die wichtigsten Beuteorganismen. In geringeren Mengen werden Fische erbeutet. Nordsee Die Nahrung von Silbermwen in den Kolonien des Wattenmeeres setzt sich berwie- gend aus Muscheln und Strandkrabben zusammen. Fische und terrestrische Nahrung

341 werden nur selten aufgenommen. Auf Helgoland werden allerdings häufiger Fische gefressen.

DERNEDDE (1993) untersuchte von August bis Dezember des Jahres 1991 im Knigshafen auf Sylt gesammelte Speiballen von Silbermwen. Die Nahrung variierte stark im Verlauf des Jahres. Es wurden aber am häufigsten Strandkrabben gefressen (in einigen Monaten in > 80 % der Proben enthalten), gefolgt von Miesmuscheln (Mytilus edulis; bis 60 %) und Amerikanischen Schwertmuscheln (Ensis directus; > 20 %). Andere Crustaceen sowie Seesterne, Fische und Mll dienten nicht so häufig als Nahrung (< 10 %). Fische traten in geringeren Mengen auf; es dominierten Dorsch (Gadus morrhua), Wittling (Merlangius merlangus) und Plattfische (Pleuronectidae).

Auch GARTHE et al. (1999) fanden eine Dominanz von marinen Wirbellosen: In den während der Inkubations- und Kkenaufzuchtsphase des Jahres 1994 gesammelten Speiballen in einer Kolonie auf Amrum dominierten Muscheln (Cerastoderma spec.) (64 % während Inkubation; 30 % während Kkenaufzucht). Als zweitwichtigste Nahrungskomponente traten Strandkrabben auf (28 % während Inkubation; 27 % während Kkenaufzucht). Während der letztgenannten Phasen gewannen Schwimm- krabben (Liocarcinus spec.) an Bedeutung (23 %). Fisch sowie terrestrische Nahrung spielte keine nennenswerte Rolle.

KUBETZKI & GARTHE (2003) analysierten 1997 gesammelte Speiballen aus der Inkubations- und Kkenaufzuchtsphase auf Juist und aus der Inkubationsphase auf Amrum. Auch hier dominierten Muscheln die Nahrung. Auf Juist war die Miesmu- schel (70 % während Inkubation; 52 % während Kkenaufzucht) am wichtigsten, während auf Amrum Herzmuscheln (63 %) am häufigsten gefressen wurden. Andere Muscheln spielten in beiden Kolonien eine untergeordnete Rolle. Crustaceen hatten eine hhere Bedeutung auf Amrum. Hier ist die Schwimmkrabbe erwähnenswert, die in 22 % aller Proben nachgewiesen wurde. Fisch und terrestrische Nahrung waren fr Silbermwen in beiden Kolonien kaum relevant.

DIERSCHKE & HÜPPOP (2003) analysierten währende der Brutphase im Jahr 2000 gesammelte Auswrgungen und Speiballen von Silbermwenkken auf Helgoland. Im Gegensatz zu den Kolonien des Wattenmeeres stellte Fisch hier die Hauptnahrung dar. Dabei machte natrlich erbeuteter Fisch einen Anteil von 25-40 % aus, wohingegen Discardfisch eine Häufigkeit von 28-52 % erreichte. In der letztgenannten Kategorie dominierten Gadiden, während bei den natrlich erbeuteten Fischen Sandaale (Ammodytidae) sowie Clupeiden eine wichtige Rolle spielten. Neben Fischen waren Crustaceen eine wichtige Beutequelle. Hier dominierten Strandkrabben (4-32 %) und Schwimmkrabben (9-19 %). In weitaus geringeren Mengen kamen andere marine Wirbellose, wie der Gemeine Seestern (Asterias rubens) oder Muscheln in der

342 Nahrung vor. Der hohe Anteil an Fischen in der Nahrung ist in der sdlichen Nordsee scheinbar ein Charakteristikum fr Helgoland. Auch ältere Studien von den Wattenmeerinseln der Nordsee weisen bereinstimmend auf die hohe Bedeutung von Mollusken und Crustaceen in der Silbermwennahrung hin, wohingegen terrestrischer Nahrung und Fisch eine weitaus geringere Bedeutung zukommt (z.B. EHLERT 1957, FOCKE 1959, EHLERT 1961, WIETFELD 1977, PRÜTER et al. 1988).

Studien von Kstenkolonien aus Großbritannien (z.B. SIBLY & MECCLEERY 1983, KIM & MONAGHAN 2006) und aus den Niederlanden (z.B. SPAANS 1971, NOORDHUIS & SPAANS 1992) deuten auf eine ähnlich hohe Bedeutung von Mollusken und Crustaceen hin, wie dies in den Studien der deutschen Nord- und Ostseekste gefunden wurde. Ostsee Auch an der Ostseekste erbeuten Silbermwen hauptsächlich Muscheln und Crustaceen. Sie fressen hier aber im Gegensatz zur Nordsee etwas mehr Schnecken und Mll sowie Discardfisch.

GARTHE et al. (2003c) untersuchten Speiballen aus der Kieler Frde, die in den Jahren 1995-1996 (kalter Winter) und 1997-1998 (warmer Winter) sowie im Frhling 1996 gesammelt wurden. Es gab keine deutlichen Unterschiede in der Nahrung zwischen den warmen und kalten Wintern. In allen beprobten Zeiträumen dominierten Muscheln (jeweils Mittelwert aus allen Beprobungen: 93 %; hauptsächlich Miesmuscheln) und Schnecken (35 %; hauptsächlich die Gattung Littorina) sowie Crustaceen (11 %; hauptsächlich Strandkrabben). Außerdem war in relativ vielen Proben Mll (14 %) und Pflanzenmaterial zu finden.

GARTHE & SCHERP (2003) beprobten Speiballen von zwei Silbermwenrastplätzen der Ostsee (Laboe und Warnemnde) von September-Oktober des Jahres 1998. Auch hier dominierten Muscheln (Mittelwerte beider Rastplätze: 87 %). Miesmuscheln stellten die wichtigste Beutekomponente dar. Schnecken traten mit einer Häufigkeit von 30 % (Laboe) und 7 % (Warnemnde) auf. Nur in Warnemnde war Fisch von grßerer Bedeutung (28 %). Dabei bestand der Großteil der Fische aus Arten, die mit großer Wahrscheinlichkeit hinter Fischkuttern erbeutet wurden. Mll machte mit 23 % einen weiteren wichtigen Bestandteil in der Nahrung der Silbermwen von Warnemnde aus. In einer Binnenlandskolonie am Großen Plner See wurden von 1979-1982 im April- Mai Silbermwen erschossen und deren Mageninhalte analysiert (DEMUTH 1983). Den Hauptanteil der Nahrung stellten Fische aus dem See (77 %) sowie Insekten (34 %)

343 dar. Unter den Fischen dominierte die Pltze (Rutilus rutilus) (16 %) und der Flussbarsch (Perca fluviatilis) (12 %). Weitere andere Sßwasserfische sowie Sßwassermuscheln kamen in geringeren Häufigkeiten vor. Bedeutung von Fischerei Silbermwen sind regelmäßig und in großen Anzahlen hinter Fischereifahrzeugen anzutreffen. Auf der Nordsee ist die Silbermwe die dominierende Art hinter Garnelenkuttern, wo sie von allen Arten den hchsten Erfolgsindex beim Erbeuten von Discard zeigte (WALTER & BECKER 1994, 1997). An Kuttern im Offshore-Bereich erreichten Silbermwen von allen dem Schiff folgenden Vogelarten einen mittleren Erfolgswert fr das Erbeuten von Discard (GARTHE & HÜPPOP 1998). Der Erfolgsin- dex fr das Stehlen von Beuteorganismen lag ebenfalls im mittleren Bereich. Aufgrund ihrer kstennäheren Verbreitung (GARTHE & HÜPPOP 1994) muss der Discard der Garnelenfischerei als besonders relevante Nahrungsquelle fr Silberm- wen in der Nordsee eingestuft werden. Nach neu erhobenen Daten kann es hier zu einer Konkurrenzsituation mit Heringsmwen kommen, die in den vergangenen Jahren ihre Verbreitungsschwerpunkte mehr in Richtung Kste verschoben haben und dort inzwischen häufiger hinter Garnelenkuttern auftreten (FTZ unverffentl.). Ohne Zweifel ist aber zumindest fr die Brutvgel von Helgoland die kstenfernere Fischerei auch von hoher Bedeutung: HÜPPOP & WURM (2000) konnten zeigen, dass Silbermwen auf Helgoland während des Winters eine deutliche Abhängigkeit zur Kabeljaufischerei zeigten. 83-87 % aller Speiballen enthielten Discardfische. Die Krperkondition der Silbermwen verschlechterte sich, als die Fischerei fr einige Tage eingestellt wurde.

23.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Silbermwen sind sowohl tagsber als auch in der Dämmerung und nachts aktiv. Sie sind sehr gute Gleit- und Segelflieger, laufen und schwimmen aber auch häufig. Im Vergleich zur Heringsmwe (Larus fuscus) haben sie eine geringere Flgelspannweite und sind dadurch nicht so gut an sehr lange Nahrungsflge angepasst und etwas weniger wendig (VERBEEK 1977, CAMPHYUSEN 1995b).

23.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten

23.6.1 Gefährdungsursachen Silbermwen sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung

344 - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung, Beleuchtung) - Verfangen und Ertrinken in oberflächennahen Driftnetzen (Ostsee) Im Brutgebiet treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Prädation durch Säugetiere, durch anthropogen bedingte Landschaftsverände- rungen wesentlich verstärkt (v.a. Ostsee) - Kontamination mit Umweltgiften - Direkte Verfolgung (bestandsregulierende Maßnahmen zum Schutz anderer Kstenvogelarten: Gelegezerstrung, Eiersammeln, Abschuss, Vergiftung)

23.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Silbermwen gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Silbermwen sind vergleichsweise wenig empfindlich gegenber den meisten anthropogenen Nutzungen und Gefährdungen auf See. So weisen sie eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.) und sind wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Vielmehr halten sich Silbermwen bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe zu Schiffen auf und zählen zu den häufigsten Schiffsfolgern hinter Fischereifahrzeugen (z.B. CAMPHUYSEN 1995b, GARTHE & HÜPPOP 1998, GARTHE & SCHERP 2003). Da Silbermwen im Vergleich zu vielen anderen Seevogelarten relativ wendige Flieger mit einer hohen Manvrierfähigkeit sind, ist auch die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore- Windenergieanlagen, als gering einzustufen. Der Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten (GARTHE & HÜPPOP 2004). Dennoch ist zu beachten, dass es insbesondere bei schlechten Sichtbedingungen zu Kollisionen mit technischen Bauwerken kommen kann, da Silbermwen eine hohe Flugaktivität auf See aufweisen, nachts flugaktiv sind und oft in Hhe der Rotoren fliegen. Silbermwen erwerben ihre Nahrung auf See durch Aufnahme von Beuteobjekten an der Wasseroberfläche, im Flug oder durch flaches Stoßtauchen. Dabei erreichen sie wahrscheinlich meist nur Tiefen bis etwa 0,5 m. Daher ist die Gefahr, dass sie sich in den meist tiefer ausgebrachten bodennahen Stellnetzen verfangen und ertrinken knnen, gering. Allerdings kann es zu Verlusten in oberflächennahen Kiemennetzen fr den Lachsfang kommen, wie von SCHIRMEISTER (2003) fr die Pommersche Bucht beschrieben. Hier ist davon auszugehen, dass die Netze einen Attraktionseffekt auf die

345 Mwen ausben knnen und sie beim Versuch, gefangene Fische aus den Netzen zu erbeuten, sich in diesen verfangen. Da sich Silbermwen häufig schwimmend auf See aufhalten, besteht die Gefahr der Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichen- de“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Da sie aber, verglichen mit anderen Seevgeln wie See- und Lappentauchern, Meeresenten oder Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil auf dem Wasser verbringen und – abgesehen von großen Ansammlungen hinter Fischereifahrzeugem – meist nicht in hohen Konzentrationen auftreten, ist die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Silbermwen deutlich geringer. An der deutschen Nordseekste lag die Verlungsrate im Winter 2000 / 01 und 2001 / 2002 bei 4,2 % (FLEET et al. 2003). Ölverschmutzung kann aber auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substan- zen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Silbermwen ernähren sich opportunistisch (vgl. Kapitel 23.5.6) und sind daher in der Lage, Nahrungsknappheit durch die Nutzung eines breiten Artenspektrums und verschiedener Beutegrßen weitgehend zu entgehen. Zudem haben sie sich zunehmend anthropogene Nahrungsquellen erschlossen, insbesondere durch das Erbeuten von Fischereiabfall, ungenutztem Beifang sowie durch die Nahrungssuche auf Mllkippen. Diese verlässlichen und leicht zu nutzenden Nahrungsquellen haben den Bestandsan- stieg der Silbermwen in den letzten 20 Jahren untersttzt (z.B. GARTHE et al. 2000b). Vor allem seit den 1990er Jahren kam es jedoch zu einer Reduktion von Discards in vielen Teilen der Fischerei, was bei den gewachsenen Beständen von Silbermwen und anderen Mwenarten zumindest lokal zu einer Nahrungsverknappung gefhrt haben drfte. Dies kann in einigen Gebieten eine erhhte Prädation von Seeschwal- benkken und Kken anderer Mwenarten durch Silbermwen zur Folge haben. KUBE et al. (2005b) beschreiben fr die Wismarbucht (sdwestliche Ostsee) im Jahr 2003 eine erhhte Prädation von Lachmwenkken durch Silbermwen zu einer Zeit, in der die Schleppnetzfischerei auf Dorsch verboten war. Auf den Shetland-Inseln nimmt die Prädation von Seevgeln durch Skuas bei Abnahme der Discard-Menge aus der Schleppnetzfischerei deutlich zu (insbesondere bei gleichzeitig verringerter Verfg- barkeit kleiner, pelagischer Schwarmfische) und stellt mglicherweise eine erhebliche

346 Bedrohung fr einzelne Seevogelpopulationen dar (FURNESS 1997, VOTIER et al. 2004). Aus diesem Zusammenhang wird auch ersichtlich, dass der Erhalt der Bestände kleiner pelagischer Schwarmfischarten als natrliche Nahrungsquelle dringend erforderlich ist. Untersuchungen auf Helgoland im Winter 1997 / 98 belegten eine Reduktion der Rastzahlen und der Krpermasse von Silbermwen in Zeiten ohne oder mit verringertem Fischereiaufwand und Discardaufkommen und zeigen somit einen direkten Zusammenhang zwischen der Verfgbarkeit von Discard und der Anzahl sowie Kondition von Silbermwen (HÜPPOP & WURM 2000). Untersuchungen von DIERSCHKE & HÜPPOP (2003) zur Brutzeit auf Helgoland ergaben hingegen einen hohen Anteil natrlich erworbener Beute im Nahrungsspektrum von Silbermwen. Mglicherweise knnen sich Silbermwen im Sommer bei Änderung der Nahrungsbe- dingungen durch Reduktion von Discard leichter auf natrliche Nahrungsquellen umstellen, während es im Winter zu Nahrungsengpässen kommen kann. Die Nah- rungsknappheit im Winter knnte auch durch die krzlich vollzogene Schließung der Mlldeponien verstärkt werden, die von Silbermwen an der deutschen Nordseekste im Winter als zusätzliche Nahrungsquellen genutzt wurden. Fr Kolonien in Großbri- tannien und den Niederlanden wurde vielfach die Abhängigkeit von Silbermwen von Mll als Nahrungsquelle und die Abnahme des Bruterfolges nach deren Wegfall beschrieben (siehe MITCHELL et al. 2004). Trotz opportunistischer Ernährung knnen sich gravierende Änderungen in der Nahrungsverfgbarkeit daher durchaus auch fr Silbermwen bemerkbar machen. In den Niederlanden wurde eine Reduktion des natrlichen Nahrungsangebotes fr Silbermwen durch die Abnahme der Anzahl von Miesmuschelbänken beschrieben (LEOPOLD et al. 2004). Über mehrere Jahrzehnte hinweg wurden in Deutschland und anderen Ländern bestandslenkende Maßnahmen gegen Silbermwen und andere Mwenarten durchge- fhrt, um die Bestände von Kstenvgeln wie z.B. Seeschwalben oder Regenpfeifern zu schtzen. Dies fhrte in den 1950er Jahren zu einem Einbruch der Brutbestände der Silbermwen an der Nordseekste. Die umfangreichen Eingriffe in Silbermwen- Kolonien haben jedoch nicht zum erhofften Anwachsen der Brutbestände anderer Arten gefhrt. Untersuchungen an Flussseeschwalben haben gezeigt, dass Silberm- wen den Bruterfolg dieser Art zwar lokal erheblich reduzieren knnen, dass jedoch Verluste durch Prädation durch Mwen an Bedeutung fr die gesamte Population der Flussseeschwalbe weit hinter anderen Faktoren wie Witterung, Ernährungssituation, natrliche Sukzession oder Überflutung der Brutplätze zurckstehen. Auch bei anderen Kstenvogelarten sind Mwen nicht der entscheidende Grund fr deren Rckgang, der somit langfristig auch nicht durch Bestandsregulierung von Mwen aufgehalten werden kann. Nach Einstellung der Mwenbekämpfung Mitte der 1970er Jahre haben trotz starker Zuwachsraten der Mwenbestände auch die Seeschwalben

347 wieder zugenommen. Der Brutbestand und Bruterfolg von Silbermwen kann zudem auch durch umfangreiche Eingriffe nicht dauerhaft gesenkt werden. Vielmehr kann dadurch die dichteabhängige Selbstreduktion in den Kolonien reduziert werden, was zu vermehrter Immigration von Neuansiedlern, einer Konditionsstärkung brtender Silbermwen oder einer Verringerung des Erstbrutalters fhren kann (BECKER & ERDELEN 1986, 1987). Silbermwen beginnen meist zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr mit der Fortpflan- zung und haben nur eine Brut pro Jahr. Adulte Tiere haben eine sehr hohe Überlebens- rate, die Anzahl von Jungvgeln ist jedoch relativ gering. Durch das Reproduktionspo- tential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Mehr als die Hälfte des Weltbestandes von Silbermwen brtet in Europa, wo ihr Status nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft wird. Als Brutvogel ist die Art in Deutschland derzeit nicht auf den Roten Listen aufgefhrt (Tab. 23-4). Da sich in den letzten Jahren jedoch eine Bestandsabnahme bemerkbar macht, ist eine sorgfältige Überwachung der Bestandsentwicklung in den Kolonien ntig, um mgliche Schutzmaßnahmen frhzeitig einleiten zu knnen.

Tab. 23-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Silbermwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + + + + + + + Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA - Non-SPECE - II -

23.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zum Schiff sind vom Flugzeug aus keine detaillierten Verhaltensbeobachtungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

23.8 Forschungsbedarf - Auswirkungen verschiedener Winterhärten auf die räumliche Verteilung und Stärke der Rastbestände

348 - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Austausch zwischen Offshore-, Ksten- und Binnenland-Beständen außerhalb der Brutzeit - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

349 24 Heringsmwe

Larus fuscus Linnaeus 1758

GB: Lesser Black-backed Gull NL: Kleine Mantelmeeuw

DK: Sildemåge Foto: S. Garthe S: Silltrut AAbb. 24-1: Heringsmwe im PK PL: Mewa żltonoga

24.1 EU-Code A183

24.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Laridae - Mwen

24.3 Kennzeichen Großmwe mit schwärzlich-grauer Oberseite, Farbton variiert je nach Unterart. Schmaler, weißer Flgelhinterrand, Armflgel von unten gesehen dunkel und nicht durchscheinend, Beine gelb. Vierjahres-Mwe, schwärzliche Oberseite erscheint ab dem 2. Winter. Im Jugendkleid oberseits sehr dunkel, Oberschwanzdecken kontrast- reich hell, breite schwarze Schwanzendbinde. Verwechslungsmglichkeiten: Adulte Vgel mit adulten Mantelmwen. Heringsmwe aber kleiner, mit schlankerem Krper und längeren, spitzeren Flgeln. Schmaler, weißer Flgelhinterrand geht nicht in weiße Flgelspitzen ber. Schnabel weniger kräftig, Beine bei adulten Tieren gelb (bei Mantelmwe fleischfarben). Im JK und 1. WK mit junger Silbermwe. Hauptunterscheidungsmerkmal ist der innere Handflgel, der bei jungen Heringsmwen ganz dunkel ist, bei jungen Silbermwen hingegen ein helles Feld bildet. Junge Heringsmwen sind zudem kleiner und langflgliger und häufig auch insgesamt dunkler gefärbt, die Schwanzendbinde bildet meist einen scharfen Kontrast zu den Oberschwanzdecken. Im JK und 1. WK mit junger Mantelmwe. Heringsmwen sind deutlich schlanker, der Schnabel ist im Profil flacher; sie sind insgesamt dunkler und weniger kontrastreich gefärbt, der Handflgel ist spitz auslaufend und ganz dunkel, bei jungen Mantelmwen hingegen breiter und mit hellem Handschwingenfeld. Die Schirmfederspitzen junger

350 Heringsmwen sind schmal hellspitzig, bei jungen Mantelmwen haben sie breite weiße Spitzen. Des Weiteren mit Mittelmeer- und Steppenmwen, vor allem im JK und in den ersten Jahren, in denen die Bestimmung von Großmwen generell schwierig ist.

24.4 Verbreitung 24.4.1 Welt / Europa Heringsmwen sind von W-Europa (Island bis Spanien) bis NW-Russland verbreitet. Sie werden in der Literatur in zwei bzw. drei Unterarten aufgeteilt: L. f. fuscus brtet in Schweden und von N-Norwegen ostwärts bis ans Weiße Meer. Während des Zuges in die ostafrikanischen Winterquartiere werden sie regelmäßig an der deutschen Kste und gelegentlich im Binnenland Deutschlands beobachtet (v.a. in den stlichen Landesteilen). L. f. graellsii brtet von SW-Grnland, Island, Großbritannien / Irland ber Frankreich bis zur Iberischen Halbinsel. Eine Hybridpopulation zwischen L. f. fuscus und L. f. graellsii, die als L. f. intermedius bezeichnet wird und deren taxonomischer Status noch umstritten ist, stellt den berwiegenden Anteil der Brutvgel des Nordseebereichs von den Niederlanden ber Dänemark bis S-Norwegen dar. Diese Vgel berwintern wie L. f. graellsii großteils vor W-Europa und W-Afrika. Die Brutvgel N-Russlands (stlich des Weißen Meeres) wurden jngst als Tundramwen (L. heuglini) in den Artstatus erhoben (YÉSOU 2002). Der globale Brutbestand der Heringsmwen wird nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) auf 910.000-1,07 Mio. Individuen geschätzt. In Europa brten von den hier genannten Unterarten insgesamt ca. 300.000-350.000 Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Bei den in Europa vorkommenden Heringsmwen werden – entsprechend den drei Unterarten – drei biogeografische Populationen unterschieden (Tab. 24-1).

351 Tab 24-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden Unterarten der Heringsmwen (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium N-Norwegen, O- O-Afrika Schweden, O- sdlich bis Dänemark, Tansania abneh- L. f. fuscus - 55.500 550 Finnland, Estland, (+ wenige mend W-Russland stl. auch in SW- bis Weißes Meer Asien) SW-Grnland, Island, Färer Inseln, Irland, W-Europa 530.000- zuneh- L. f. graellsii - 5.550 Großbritannien., bis W-Afrika 570.000 mend Belgien, Frankreich S-Norwegen, W- Schweden, Dänemark, L. f. W-Europa 325.000- zuneh- - Deutschland, 3.800 intermedius bis W-Afrika 440.000 mend Niederlande, Spanien (Ebro Delta)

24.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, seltener Wintergast, Durchzgler. Die in Deutschland vorkommenden Heringsmwen gehren zum grßten Teil der Unterart L. f. intermedius an. Selten werden Individuen der Unterart L. f. fuscus beobachtet und nur in Ausnahmefällen Individuen der Unterart L. f. graellsii (NOESKE 1989, GARTHE et al. 2000b).

In Deutschland brten etwa 34.000 Paare Heringsmwen (KOFFIJBERG et al. 2006, Bezugszeitraum: 2001; GARTHE et al. 2003a, Bezugszeitraum: 2000). Die Brutplätze befinden sich fast ausschließlich an der Nordseekste (29.075 Paare, Bezugszeitraum 2001, KOFFIJBERG et al. 2006), jedoch nimmt die Zahl der an der Ostsee brtenden Vgel in den letzten Jahren zu; im Jahr 2007 betrug der Brutbestand bereits ber 40 Paare (FTZ unverffentl.). Auch aus den Seevogel-Erfassungen auf See wird die unterschiedliche Nutzung von Nord- und Ostsee bestätigt. Heringsmwen halten sich in zum Teil sehr hohen Dichten bevorzugt in kstennahen Bereichen der Nordsee auf, während in der Ostsee nur geringe und verstreute Vorkommen beobachtet werden (Abb. 24-2). In den Wintermonaten werden Heringsmwen auf See meist kstenferner als zur Brutzeit und nur in sehr geringer Anzahl beobachtet. Während der Zugzeiten treten Heringsmwen auch im Binnenland regelmäßig auf. Vor allem vor der Schließung vieler Mlldeponien im Juni 2005 bersommerten lokal mehrere hundert Individuen (DEUTSCH et al. 1996). Im Winterhalbjahr werden im Rahmen der

352 landgesttzten Zählungen nur sehr geringe Bestände erfasst, die nur in milden Wintern wenige hundert Individuen umfassen (Abb. 24-3). Im Zuge der Brutbestandszunahme der Art an der deutschen Nordseekste sind auch die Abundanzen auf See angestiegen (GARTHE & SCHWEMMER 2005). Auf Basis der geringen Anzahlen die ber die Wasservogelzählungen erfasst werden, lassen sich keine Aussagen zur langfristigen Bestandsentwicklung treffen. Nordsee Die Heringsmwe ist eine der häufigsten Brutvogelarten der deutschen Nordseekste. Im Frhjahr ist die Verbreitung auf See sehr weiträumig und erstreckt sich entlang des gesamten Kstengebietes sowie weit in den Offshore-Bereich hinein, insbesondere nrdlich der Ostfriesischen Inseln. Während des Sommers erhhen sich die Gesamt- dichten im Vergleich zum Frhjahr nochmals deutlich. Die kstennahen Schwerpunkte verlagern sich dann noch stärker landwärts und somit in Richtung der Brutkolonien, doch auch in weiten Teilen des Offshore-Bereiches halten sich sehr hohe Anzahlen auf. Seit Anfang der 1990er Jahre hat es eine Verlagerung der Verbreitungsschwer- punkte während der Brutzeit gegeben, offensichtlich als Reaktion auf veränderte Nahrungsverfgbarkeit in der Deutschen Bucht (SCHWEMMER & GARTHE 2005). Im Herbst nimmt die Dichte von Heringsmwen im Untersuchungsgebiet gegenber dem Sommer ab. Die Verbreitung gestaltet sich etwas gleichmäßiger und dehnt sich noch weiter in die Offshore-Gebiete aus, wohingegen die hohen Dichten im Kstengebiet etwas zurckgehen. Im Winter werden nur noch sehr vereinzelt Individuen nachgewie- sen. Im SPA „Östliche Deutsche Bucht“ knnen während des gesamten Jahres Herings- mwen beobachtet werden, vor allem zwischen Frhjahr und Herbst (Tab. 24-2).

Tab. 24-2: Rastbestandszahlen der Heringsmwen fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum: 1996-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind.. Da die auf der Nordsee vorkommenden Heringsmwen in der Regel zur Unterart intermedius gehren, wird der prozentuale Anteil auf den Bestand dieser Unterart bezogen. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 41.000 10,7 14.500 3,8 1.000 0,3 Sommer 76.000 19,9 29.000 7,6 1.600 0,4 Herbst 33.000 8,6 14.500 3,8 1.100 0,3 Winter 1.200 0,3 550 0,1 III <0,1

353

Abb. 24-2: Verbreitung der Heringsmwen auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nord- see: 1990-2006; Ostsee: 2000-2006).

Abb. 24-3: Verbreitung der Heringsmwen in Deutschland im Januar, basierend auf den Daten der Wasservogelzählung (Kreise) sowie der Mwen-Schlafplatzzählung (Quadrate, gleiche Skalierung). Dargestellt ist der Mittelwert der Mittwinterzählungen 2000- 2005 sowie der Schlafplatzzählungen 2004-2006.

354 Ostsee Heringsmwen halten sich in sehr geringer Anzahl auf der deutschen Ostsee auf. Im Herbst kommen sie verstreut im Ksten- und Offshore-Bereich der Pommerschen Bucht vor. Im SPA „Pommersche Bucht“ knnen im Sommer und Herbst regelmäßig einzelne Heringsmwen beobachtet werden.

Tab. 24-3: Rastbestandszahlen der Heringsmwen fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2006; Bezugszeitraum: 2000-2005). Grßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): I: 1-5, III: 11-50 Ind.. Da die auf der Ostsee vorkommenden Heringsmwen in der Regel zur Unterart inter- medius gehren, wird der prozentuale Anteil auf den Bestand dieser Unterart bezo- gen. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr 60 <0,1 III <0,1 0 0,0 Sommer 160 <0,1 100 <0,1 III <0,1 Herbst 130 <0,1 50 <0,1 I <0,1 Winter III <0,1 0 0,0 0 0,0

24.4.3 Bestandsentwicklung Die beiden Unterarten L. f. fuscus und L. f. graellsii zeigen gegenläufige Bestands- trends. L. f. fuscus hat in allen Ländern des Brutgebietes seit Mitte der 1960er Jahre zum Teil deutlich abgenommen. Die Brutplätze im russischen Binnenland sind vollständig aufgegeben worden, am Weißen Meer sind nur wenige hundert Brutpaare verblieben. Die in Europa häufigere Unterart L. f. graellsii, inklusive L. f. intermedius, hat hingegen deutlich zugenommen. Trotz der bereits 1927 erfolgten Ansiedlung von vermutlich L. f. intermedius im deutschen Wattenmeer blieb der Bestand bis 1970 unter 100 Paaren. Danach erfolgte ein exponentielles Wachstum, das fast bis zur Jahrhundertwende anhielt, so dass mittlerweile der deutsche Brutbestand bei 34.000 Paaren liegt (KOFFIJBERG et al. 2006, Bezugszeitraum: 2001 und GARTHE et al. 2003a, Bezugszeitraum: 2000). An der Ostseekste Mecklenburg-Vorpommerns brten seit 1974 regelmäßig, aber nicht alljährlich, einzelne Paare. Die ersten Bruten an der schleswig-holsteinischen Ostseekste wurden 2001 mit drei Paaren auf dem Mwenberg (Schlei) festgestellt (GARTHE et al. 2003a).Die Zunahme ist vermutlich vor allem auf einen Rckgang der menschlichen Verfolgung sowie die einfachere Nahrungsverfgbarkeit durch Fischerei und Mlldeponien zurckzufhren (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Fr den Rckgang

355 der fuscus-Population werden berfischte Fischbestände, Konkurrenz mit den Silber- mwen und menschliche Strungen verantwortlich gemacht (STRANN & VADER 1992).

24.5 Biologie / Ökologie 24.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: frhestens mit 3 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, hohe Nistplatztreue, daher oft Wieder- verpaarungen Brutzeit: Legebeginn ab Ende April, meist Mai, im Norden etwas später, Brutdauer 26-31 Tage Gelege: 2-3 Eier; 1 Jahresbrut, Nachgelege mglich, beide Eltern brten Kken: nach dem Schlpfen verlassen Kken schon nach wenigen Tagen das Nest, bleiben jedoch in der Nähe, sie sind nach 35-40 Tagen flgge, beide Eltern betreuen und fttern

24.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 11 Jahre Ältester Ringvogel: 31 Jahre 9 Monate Sterblichkeit: 9 % (WANLESS et al. 1996)

24.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser der jungen Heringsmwen (Teilmauser) beginnt Ende August. Die 1. postnuptiale Mauser (Vollmauser), bei der die Handschwingen nacheinander gemausert werden, setzt ab Mitte März ein, während die Postnuptial- mauser der Adulten etwa 2-3 Monate später beginnt. Meist wird diese Mauserphase im Winterquartier vor dem Heimzug beendet. Da Heringsmwen ihre Schwingen nicht synchron mausern, sind sie zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt.

24.5.4 Wanderungen Heringsmwen sind Teil-, Kurz- und Langstreckenzieher, wobei sie mittlerweile häufiger im Norden ihres Brutareals berwintern. Das Wintergebiet umfasst den N- Atlantik um Großbritannien / Irland, außerdem W-Europa, N-Afrika, Ostsee, Schwar- zes Meer, Mittelmeer, Vorderasien bis O-Afrika. Der Heimzug in die Brutgebiete setzt im März ein und erreicht im April seinen Hhepunkt (FLORE 2006). Daher knnen von März bis Anfang Oktober Heringsm- wen in der Deutschen Bucht kstennah beobachtet werden (MITSCHKE et al. 2001). Je

356 nach Brutgebiet und Unterart erfolgt der Wegzug zwischen Juli und November mit regional unterschiedlichen Maxima im August / September (W-Deutschland; DEUTSCH 1996, FLORE 2006) bzw. September / Oktober (O-Deutschland; ARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN-BRANDENBURGISCHER ORNITHOLOGEN 2001). Die verschiedenen Unterarten zeigen unterschiedliche Zugstrategien, was Studien mit Satellitensendern zeigten: während ein Brutvogel Dänemarks (L. f. intermedius) Richtung SW bis nach Marokko flog und dabei meist nur 300 km pro Tag zurcklegte, sind zwei finnische Vgel (fuscus) vom finnischen Meerbusen wahrscheinlich ohne Unterbrechung bis ins Schwarze Meer und dann weiter ins Nildelta und von dort direkt zum Viktoriasee (3.500 km) geflogen (KUBE et al. 2000).

24.5.5 Habitat Heringsmwen halten sich zu allen Jahreszeiten vorwiegend auf dem Meer oder in Kstennähe auf. An der deutschen Nordseekste liegen große Heringsmwenkolonien in Dnengebieten (v.a. Weiß- und Braundnen), kleinere Kolonien etablieren sich zunehmend auch in Salzwiesen, an Flachksten und auf vegetationsreichen Kstenin- seln (zur Verbreitung s. Kapitel 24.4.1). Im Gegensatz zur Silbermwe findet die Nahrungssuche kaum im Wattenmeer statt. Heringsmwen suchen oft in Entfernungen von 50-80 km (max. 135 km) zu den Brutkolonien berwiegend auf See nach Nahrung (NOORDHUIS & SPAANS 1992, CAMPHUYSEN 1995b, KUBETZKI & GARTHE 2003). Aktuelle Nahrungsuntersuchungen deuten darauf hin, dass im Vergleich zu frheren Studien eine intensivere Nutzung von terrestrischen Nahrungshabitaten erfolgt (FTZ unverffentl.). Flächige Kartierungen konnten allerdings bislang keine hohen Zahlen im kstennahen Binnenland nachweisen (SCHWEMMER & GARTHE unverffentl.).

24.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Unter allen im deutschen Wattenmeer brtenden Mwenarten hat die Heringsmwe den grßten Aktionsradius und nutzt am intensivsten den Offshore-Bereich als Nahrungshabitat (z.B. CAMPHUYSEN 1995b, KUBETZKI & GARTHE 2003). Ihre Flgelmorphologie (lange, schmale Flgel) lässt sie gewandt und energiesparend ber große Distanzen fliegen (VERBEEK 1977, STRANN & VADER 1992, CAMPHUYSEN 1995b). Heringsmwen erwerben ihre Beute meist durch flaches Sturztauchen, wobei sie jedoch selten vollständig unter die Wasseroberfläche tauchen. In selteneren Fällen nehmen sie kleinere Nahrungspartikel im Flug oder schwimmend von der Wasserober- fläche auf. Im Gegensatz zu anderen Mwenarten, die z.T. einen ausgeprägten Tidenrhythmus zeigen, ist die Aktivität von Heringsmwen am deutlichsten an die Tageszeit gekoppelt (GARTHE et al. 1999, SCHWEMMER & GARTHE 2005). Nachts

357 findet kaum Nahrungserwerb statt, obwohl Heringsmwen im Scheinwerferlicht von Fischereifahrzeugen nach Discard suchen (GARTHE & HÜPPOP 1996). Häufig sind Heringsmwen als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen anzutreffen (GARTHE & HÜPPOP 1994, SCHWEMMER & GARTHE 2005). Generell besteht ihre Nahrung berwiegend aus ungenutztem Fischereibeifang sowie aus natrlich erbeuteten pelagischen Fischen und Krebsen. Nordsee Die Hauptnahrung der Heringsmwen in der Nordsee besteht aus „natrlich“ erbeuteten Fischen, aus Fischen, die als Discard bei Fischereifahrzeugen erbeutet wurden, sowie aus Krebsen und zu einem geringeren Anteil aus Muscheln. Es liegen jedoch starke regionale Unterschiede in der Nahrungswahl zwischen Individuen verschiedener Brutkolonien vor. Generell dominieren an der deutschen Nordseekste Crustaceen und Fisch, auf Helgoland und an der niederländischen Kste Fisch, wohingegen in Großbritannien Fisch und Mll am häufigsten gewählt wird.

GARTHE et al. (1999) untersuchten während der Brutsaison 1994-1995 Speiballen aus einer Kolonie auf Amrum. Die Hauptnahrung der Heringsmwen bestand aus Fischen, Krebsen und Muscheln und stammte somit hauptsächlich aus dem Offshore-Bereich bzw. von Fischkuttern.

KUBETZKI & GARTHE (2003) analysierten im Juni 1997 Speiballen und Kotproben von Heringsmwen auf Amrum (Inkubationsphase) und im Mai 1997 und Ende Juni 1997 auf Juist (Inkubationsphase und Kkenaufzuchtsphase). Hauptbeuteorganismen waren auch hier Fische und Krebstiere aus der offenen See.

Im Gegensatz zu den Kolonien des Wattenmeeres fanden DIERSCHKE & HÜPPOP (2003) in hervorgewrgten Nahrungsresten von Heringsmwenkken (2000-2002) auf Helgoland Fisch und kaum Krebse. In 76 % der Nahrungsproben wurden Fischereiab- fälle gefunden.

SCHWEMMER & GARTHE (2005) analysierten Speiballen adulter Heringsmwen von Norderney aus dem Jahr 2002 sowie von Amrum aus dem Jahr 2003 (jeweils zur Inkubation und Kkenaufzucht). Auf Norderney dominierten Fische (45 % zur Inkubation; 28 % zur Kkenaufzucht), während auf Amrum Schwimmkrabben (Liocarcinus spec.) am häufigsten auftraten (71 % Inkubationsphase; 78 % in der Kkenaufzuchtsphase). Im Vergleich zu den oben genannten, frheren Arbeiten auf Amrum (GARTHE et al. 1999, KUBETZKI & GARTHE 2003) erhhte sich der Anteil terrestrischer Nahrung (v.a. terrestrische Insekten, andere Bodenarthropoden und Pflanzenmaterial) deutlich. Dieser ansteigende Trend konnte auch in folgenden Jahren nachgewiesen werden (FTZ unverffentl.).

358 In den Niederlanden wurde durch Speiballenanalysen von Heringsmwen auf Terschelling Fisch als häufigste Nahrung nachgewiesen (im Jahr 1985 mit 82 %; im Jahr 1986 mit 95 %, NOORDHUIS & SPAANS, 1992). Da es sich bei den Fischen hauptsächlich um demersale Arten handelte, vermuten die Autoren, dass die Nahrung im Wesentlichen aus Discard von Fischereifahrzeugen stammte. Eine weitere Studie aus den Niederlanden beleuchtet die Nahrungszusammensetzung von im Jahr 1992 gesammelten Speiballen auf verschiedenen Westfriesischen Inseln (SPAANS et al. 1994). Auch hier enthielten die Proben berwiegend Fisch (81 % im Mittel aller beprobten Kolonien).

PEARSON (1968) untersuchte zwischen 1961 und 1963 ausgewrgte Beutereste von Heringsmwenkken und Adulten in einer Kolonie auf den Farne Islands (NE- England). In 74 % aller Proben konnte Fisch nachgewiesen werden, wobei Sandaale (Ammodytidae) dominierten. Marine Invertebraten kamen nicht vor, während terrestrische Invertebraten in 20 % der Proben vorhanden waren. Die häufigste Nahrungskomponente in Speiballen von Heringsmwen der britischen Kolonie Walney Island aus den Brutphasen der Jahre 2002-2003 war Mll (2002: in 36 % der Proben; 2003: 31 %) (KIM & MONAGHAN 2006). Mit jeweils etwa 30 % kam Fisch am zweithäufigsten in den Speiballen vor. Bedeutung von Fischerei Die Fischerei spielt fr die Ernährung der Heringsmwen eine bergeordnete Rolle: Heringsmwen folgen in großer Anzahl v.a. kstenfern Fischereifahrzeugen (SCHWEMMER & GARTHE 2005). GARTHE & HÜPPOP (1998) stellten fest, dass Heringsmwen im Vergleich zu den brigen untersuchten Arten sehr erfolgreich beim Erbeuten von ber Bord gegebenen Fischen sind. In der kstennäheren Garnelenfi- scherei spielten Heringsmwen in den 1990er Jahren noch keine bergeordnete Rolle (WALTER & BECKER 1994, 1997). Allerdings gibt es Hinweise, dass seit Ende der 1990er Jahre die Zahlen von Heringsmwen hinter Garnelenkuttern deutlich angestie- gen sind (FTZ unverffentl.).

24.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Heringsmwen sind hauptsächlich tagaktiv. Das Verlassen der Kolonie fr Nahrungs- flge unterliegt einem klaren zeitlichen Muster mit Aktivitätsmaxima in den Morgen- und Abendstunden und einem Minimum in der Mittagszeit (SCHWEMMER & GARTHE 2005). Aber auch nachts knnen mitunter hohe Zahlen hinter Fischereifahrzeugen beobachtet werden (GARTHE & HÜPPOP 1996).

359 Heringsmwen sind sehr gewandte Flieger (z.B. STRANN & VADER 1992). Meistens fliegen sie flach bis in mittlere Hhen ber dem Wasser, selten hoch (81 % <50 m; DIERSCHKE & DANIELS 2003). Außerhalb der Brutzeit sind sie gesellig und oft in gemischten Trupps mit anderen Großmwen zu beobachten. Allerdings fliegen sie auf dem Zug meist alleine oder in kleinen Gruppen.

24.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 24.6.1 Gefährdungsursachen Heringsmwen sind in Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Verlung - Verfangen und Ertrinken in oberflächennahen Kiemennetzen (Ostsee) - Reduktion des Nahrungsangebotes, z.B. durch Abnahme des Fischereiaufwan- des und Discard-Aufkommens

24.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Heringsmwen gegenber ausgewähl- ten anthropogenen Faktoren Heringsmwen sind, zusammen mit weiteren Mwenarten, vergleichsweise wenig empfindlich gegenber den meisten anthropogenen Nutzungen und Gefährdungen auf See. So besitzen sie eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen (GARTHE et al. 2004, FTZ unverffentl.) und sind wenig empfindlich gegenber Strungen durch Schiffsverkehr. Vielmehr halten sich Heringsmwen bei der Suche nach Nahrung häufig in unmittelbarer Nähe zu Schiffen auf und sind somit einer der häufigsten Schiffsfolger in der Seezungen- und Schollenfischerei (GARTHE 1993c, FLORE 1999). Da Heringsmwen wendige Flieger sind und eine hohe Manvrierfähigkeit zeigen, ist die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, als gering einzustufen. Der Wert im Windenergie- Sensitivitätsindex liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten (GARTHE & HÜPPOP 2004). Dennoch ist zu beachten, dass es insbesondere bei schlechten Sichtbedingungen zu einer Kollision mit technischen Bauwerken kommen kann, da Heringsmwen eine hohe Flugaktivität auf See zeigen, auch nachts flugaktiv sind und oft in Hhe der Rotoren fliegen. An kstennahen Windparks wurde Mortalität nachgewiesen (DIERSCHKE & GARTHE 2006). Heringsmwen erbeuten ihre Nahrung auf See nur an oder bis maximal einen halben Meter unter der Wasseroberfläche. Daher ist die Gefahr, dass sie sich in den meist

360 tiefer ausgebrachten bodennahen Stellnetzen verfangen und ertrinken knnen, gering. Allerdings kann es zu Verlusten in oberflächennahen Kiemennetzen fr den Lachsfang kommen, wie von SCHIRMEISTER (2003) fr andere Mwenarten in der Pommerschen Bucht beschrieben. Da sich Heringsmwen häufig schwimmend auf See aufhalten, besteht die Gefahr der Verlung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichen- de“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Allerdings verbringen sie, verglichen mit anderen Artgruppen wie See- und Lappentauchern, Meeresenten und Alken, einen deutlich geringeren Zeitanteil schwimmend auf dem Wasser. Auch treten sie – abgesehen von großen Ansammlungen hinter Fischereifahrzeugen – meist nicht in hohen Konzentrationen auf, so dass die Gefahr der Kontamination einer großen Anzahl von Heringsmwen deutlich geringer ist. Ölverschmutzung kann aber auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsun- fälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Heringsmwen ernähren sich opportunistisch (vgl. Kapitel 24.5.6) und sind daher in der Lage, Nahrungsknappheit durch die Nutzung eines breiten Arten- und Beutegr- ßenspektrums weitgehend zu entgehen. Zudem haben sie sich zunehmend anthropoge- ne Nahrungsquellen erschlossen, insbesondere durch das Erbeuten von Discard. In den letzten Jahren konnten bei den Heringsmwen Veränderungen im Nahrungsspektrum beobachtet werden, die neben einem verringerten Discard-Angebot mglicherweise auch Änderungen in der Verfgbarkeit natrlicher Nahrung im Meer widerspiegeln. So nutzen Heringsmwen einiger Kolonien deutlich weniger Fisch, sondern ernähren sich zu großen Teilen von Schwimmkrabben und terrestrischen Wirbellosen wie Regen- wrmern und Insekten (SCHWEMMER & GARTHE 2005). In einigen Kolonien spielt jedoch Discard weiterhin eine große Rolle, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es bei weiterer Reduktion des ungenutzten Beifangs schließlich zu Nahrungsengpässen kommen kann (vgl. auch Silbermwe). Bisher deuten die beobachteten Umstellungen in der Ernährung jedoch darauf hin, dass Heringsmwen auf Veränderungen der Nahrungssituation flexibel reagieren knnen und somit derzeit nicht durch Nahrungs- verknappung gefährdet sind. Es ist denkbar, dass eine reduzierte Discardverfgbarkeit, insbesondere bei gleichzeitig verringerter Verfgbarkeit natrlicher Nahrung,

361 Kleptoparasitismus an Seeschwalben und direkte Prädation von deren Kken zur Folge haben knnte. Heringsmwen beginnen frhestens im 3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und haben nur eine Brut pro Jahr. Adulte Tiere haben eine sehr hohe Überlebensrate, die Anzahl an Jungvgeln ist jedoch relativ gering. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Heringsmwen sind mit ber 50 % ihres Weltbestandes auf Europa konzentriert, ihr Status wird dort nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) derzeit als „gesichert“ eingestuft. Als Brutvogel ist die Art in Deutschland derzeit nicht auf den Roten Listen aufgefhrt (Tab. 24-4). An der deutschen Nordseekste stiegen die Bestände seit Mitte der 1980er Jahre stark an (GARTHE et al. 2000b), seit der Jahrhundertwende hat sich die Zuwachsrate jedoch an der Wattenmeerkste verringert, in einigen Kolonien scheinen die Bestände in jngster Zeit zu stagnieren (B. HÄLTERLEIN / NPA Tnning, pers. Mitt.). An der deutschen Ostseekste hingegen sind Heringsmwen erst seit kurzem alljährliche Brutvgel und dort derzeit erst mit wenigen Paaren vertreten.

Tab. 24-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Heringsmwen in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + + + + + + I Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA II Non-SPECE - - -

24.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Im Gegensatz zum Schiff sind vom Flugzeug aus keine detaillierten Verhaltensbeobachtungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

24.8 Forschungsbedarf - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See?

362 - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Discard als Nahrungsquelle: Bedeutung, mgliche Abhängigkeit und Konsequenzen - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

363 25 Brandseeschwalbe Sterna sandvicensis Latham 1787 Synonym: Thalasseus sandvicensis

GB: Sandwich Tern NL: Grote Stern Foto: J.O. Kriegs DK: Splitterne Abb. 25-1: Brandseeschwalben im PK S: Kentsk tärna PL: Rybitwa czubata

25.1 EU-Code A191

25.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Sternidae - Seeschwalben

25.3 Kennzeichen Grßte heimische Seeschwalbe, schlank und schmalflgelig, mit langem, schmalem, schwarzem Schnabel mit heller Spitze. Im PK mit hellgrauer Oberseite, weißer Unterseite und breit weißem Flgelhinterrand sowie schwarzer Kopfkappe. Äußere, nachdunkelnde Handschwingen erzeugen im Sommer einen schwarzen Keil. Im SK ab Juni Stirn und Vorderscheitel weiß, helle Schnabelspitze kleiner oder fehlend. Im JK oberseits kräftig geschuppt, Scheitel braun gestreift mit dunkler Stirn, Schnabel dunkel, krzer als bei adulten Tieren. Flgel stärker gemustert als bei adulten Tieren, Schwanzseiten dunkel. Verwechslungsmglichkeiten: mit Fluss- und Kstenseeschwalbe. Brandseeschwalbe grßer, wirkt heller, Schnabel schwarz, Schwanzgabel vergleichsweise kurz.

25.4 Verbreitung / Bestand 25.4.1 Welt / Europa Brandseeschwalben werden weltweit in zwei bzw. drei Unterarten aufgeteilt. In Europa (Eurasien) brtet nur die Nominatform. Ihr Brutbestand wird auf 82.000- 130.000 Paare geschätzt (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die in der Karibik und in

364 N- und Mittelamerika brtende Unterart S. s. acuflavida bleibt auch im Winter in der Neuen Welt. WETLANDS INTERNATIONAL (2006) betrachten die Brandseeschwalben der sdlichen Karibik bzw. der Ostkste Sdamerikas als eigene Unterart (S. s. eurygnatha), BAUER et al. (2005) fassen sie jedoch zusammen mit den anderen Brandseeschwalben als Superspezies zusammen. Der Weltbestand der Art beträgt nach WETLANDS INTERNATIONAL (2006) 490.000-636.000 Individuen. In den Kstenregionen des nrdlichen Mitteleuropas sind Brandseeschwalben relativ häufige und weit verbreitete Brut- und Sommervgel. Die westeuropäische Population, zu der die deutschen Brutvgel gehren, brtet an der franzsischen Atlantikkste, den Ksten Irlands und Großbritanniens, der Nordsee und mit geringerem Bestand an der Ostsee. Am Mittelmeer existieren kleine Bestände in Frankreich, Spanien, Griechen- land und Italien. Als Winterquartier werden nach einem Zug entlang der afrikanischen Westkste die Gebiete von Mauretanien bis Sdafrika aufgesucht. Innerhalb der Nominatform knnen zwei biogeografische Populationen in Europa unterschieden werden (Tab. 25-1).

Tab. 25-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeografi- schen Populationen der Brandseeschwalben (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Ksten von Meist Ksten von S. s. W-Europa 166.000 - W- & N- W- & NW-Afrika stabil 1.700 sandvicensis (Brutzeit) 171.000 Europa bis S-Afrika Schwarzes Kste Ksten von S. s. 61.000 - fluktu- Meer Schwarzes Schwarzem Meer 1.300 sandvicensis 197.000 ierend (Brutzeit) Meer & Mittelmeer

25.4.2 Verbreitung in Deutschland Status: Brutvogel, Durchzgler. Die in Deutschland vorkommenden Brandseeschwalben gehren zur biogeografischen Population "W-Europa (Brutzeit)". Der Brutbestand der Brandseeschwalben in Deutschland beträgt 9.700-10.500 Brutpaare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004; Bezugszeitraum: 1995-1999). Die Brutkolonien liegen ausschließlich in Kstenregionen, so dass die Sommerverbreitung der Brandseeschwalben weitgehend auf Nord- und Ostsee beschränkt ist (Abb. 25-2). Im Binnenland wird die Art nur sehr selten beobachtet. Ergebnisse aus landbasierten Wasservogelzählungen liegen fr Brandseeschwalben nicht vor.

365 Abb. 25-2: Verbreitung der Brandseeschwalben auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nord- see: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Brandseeschwalben kommen im Sommerhalbjahr im Bereich der deutschen Nordsee vor (Tab. 25-2). Dabei sind sie im Frhjahr, Sommer und Herbst nahezu flächig von der Sdspitze Sylts entlang der Kste bis zu den ostfriesischen Inseln innerhalb des gesamten Kstenmeeres verbreitet. Die hchsten Konzentrationen befinden sich in der Nähe der Brutkolonien. Nach Westen hin setzt sich das Vorkommen entlang der westfriesischen Inseln fort. Im Bereich außerhalb des Kstenmeeres kommen Brandseeschwalben nur vereinzelt vor. Helgoland wird insbesondere im Frhjahr und Sommer als Rastplatz genutzt. Im Winter halten sich keine Brandseeschwalben auf der deutschen Nordsee auf. Im kstenfern gelegenen SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Brandseeschwal- ben im Sommerhalbjahr vor, doch sind die Zahlen dabei im Vergleich zum Gesamtbe- stand in der Nordsee sehr gering (Tab. 25-2), da die Verbreitung auf die Kstengebiete beschränkt ist. Auch während des Zuges werden nur geringe Anzahlen im SPA erreicht. Tab. 25-2: Rastbestandszahlen der Brandseeschwalben fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugszeit- raum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schifftransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum: 1996-2005). Gr- ßenklassen (in Anlehnung an Standarddatenbogen): III: 11-50 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 12.500 7,4 430 0,3 III <0,1 Sommer 21.000 12,4 130 0,1 140 0,1 Herbst 3.500 2,1 110 0,1 70 <0,1 Winter 0 0 0 0,0 0 0,0

366 Ostsee Brandseeschwalben kommen im Sommer in geringer Anzahl und nur im sehr kstennahen Bereich der deutschen Ostsee vor. Nachweise aus Schiffserfassungen stammen bisher v.a. aus dem Greifswalder Bodden. Als Nahrungshabitate fr Vgel der Brutkolonien entlang der Kste dienen berwiegend die Kstenregionen im unmittelbaren Umfeld der Kolonien, sowie die angrenzenden Boddengewässer oder kstennahe Binnenseen (KLAFS & STÜBS 1987, SCHELLER et al. 2002, KUBE et al. 2005a). In den eigentlichen Meeresgebieten werden Brandseeschwalben sehr selten und in geringer Zahl beobachtet (FTZ unverffentl.). Im SPA „Pommersche Bucht“ kommen Brandseeschwalben nur unregelmäßig in geringer Anzahl vor. Bisher wurden einzelne fliegende Individuen im Zeitraum August bis Oktober beobachtet. Tab. 25-3: Rastbestandszahlen der Brandseeschwalben fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007), sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schifftransekt- zählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007). Grßenklassen (in An- lehnung an Standarddatenbogen): I: 1-5 Ind. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 0 0 0 0,0 Sommer k.A. k.A. 0 0 0 0,0 Herbst k.A. k.A. 0 0 I <0,1 Winter 0 0 0 0 0 0,0

25.4.3 Bestandsentwicklung Der europäische Brutbestand der Brandseeschwalben weist eine moderate Abnahme fr den Zeitraum 1970-1990 auf. Fr das folgende Jahrzehnt sind nur geringfgige Rckgangstendenzen bilanziert, wobei die Bestände in den einzelnen Ländern deutlich schwankten (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004).

367 Der Brutbestand der Brandseeschwalben an der deutschen Nordseekste unterlag in den letzten 100 Jahren starken Schwankungen. Während im Jahr 1965 der Minimalbe- stand der Brutvgel 2.243 Paare betrug, erreicht der Brutbestand 1996 mit 10.138 Paaren den Hchststand des Jahrhunderts. In den Jahren danach fiel der Bestand wieder ab und erreichte 2005 mit nur 5.681 Brutpaaren den niedrigsten Wert der letzten 30 Jahre (GARTHE & FLORE 2007). Der Brutbestand an der deutschen Ostsee liegt derzeit unter dem Niveau der frhen 1990er Jahre mit ber 1.200 Brutpaaren (1991). In Schleswig-Holstein brten seit dem Erlschen der Brutplätze Oehe-Schleimnde (1987) und Graswarder (1991) nur noch Einzelpaare. Fr das Jahr 2000 wird ein Bestand von 3 Brutpaaren angegeben (GARTHE et al. 2003a). Ehemals betrug der Gesamtbestand max. 165 Paare (1982; BERNDT et al. 2002). Fr Mecklenburg-Vorpommern wird fr den Zeitraum 2001- 2003 ein Brutbestand von 600-700 Paaren angegeben (KUBE 2006).

25.5 Biologie / Ökologie 25.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: erste Brut meist mit 3, bisweilen erst mit 4 Jahren Paarbildung: grundsätzlich monogame Saisonehen, Umverpaarungen aber nachgewiesen Brutzeit: Legebeginn in Mitteleuropa frhestens Ende April, Nordsee Anfang Mai, Brutdauer 22-26 Tage; erst brtet nur das Weibchen, später beide Eltern Gelege: 1-2 Eier, 1 Jahresbrut, Nachgelege auch nach Umsiedlung mglich Kken: werden von beiden Eltern betreut, verlassen das Nest in unterschiedlichem Alter je nach Strung; Kken sind nach 25-35 Tagen flgge, bleiben bis zum Abzug ins Winterquar- tier von Eltern abhängig, Auflsung der Familie wahrschein- lich erst im Winterquartier

25.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 9 Jahre Ältester Ringvogel: 29 Jahre 9 Monate, amerikanischer Brutvogel mit 34 Jahren kontrolliert Sterblichkeit: Jungvgel: 45-61 % pro Jahr, Adulte: 25-30 % pro Jahr

368 25.5.3 Mauser Bei der postjuvenilen Mauser der Brandseeschwalben handelt es sich um eine Vollmauser, jedoch kann z.T. auch nur eine Teilmauser stattfinden. Während ab August das Kleingefieder gemausert wird, setzt die Schwingenmauser anschließend im Winter ein und zieht sich bis in den Juli des 2. KJs. Gleichzeitig beginnt ab Mai / Juni des 2. KJs der 2. Mauserzyklus. Bei adulten Vgeln (ab 3. KJ) setzt die Vollmauser ab Juni ein. Die Erneuerung der Handschwingen vollzieht sich von Mitte Juli bis Januar. Die Schwingen werden nacheinander gemausert, so dass Brandseeschwalben zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit beeinträchtigt sind.

25.5.4 Wanderungen Brandseeschwalben sind Zugvgel, die oft nach der Jungenaufzucht einen Zwischen- zug vollziehen, der sie jedoch noch nicht in ihre Wintergebiete bringt. Z.T. fliegen sie dabei auch in N- und N-stliche Richtung. Der eigentliche Wegzug beginnt im August / September, wobei man zu dieser Zeit hhere Konzentrationen von Brandsee- schwalben auf der Nordsee sowie vor Großbritannien beobachten kann. Von dort ziehen sie weiter in sdliche Richtung entlang der Atlantikkste. Einige Vgel berwintern im Mittelmeer, andere fliegen weiter bis an die Westkste Afrikas. Vor Mauretanien bis Lagos berwintern hauptsächlich die Ein- bis Dreijährigen, während ältere Vgel meist noch weiter nach Sden ziehen. Diese älteren Vgel begeben sich ab Februar auf den Heimzug und der Großteil kommt ab April in die Brutgebiete zurck. Jngere Brandseeschwalben verhalten sich anders: während die Einjährigen meistens in den afrikanischen Winterquartieren bersommern, halten sich zweijährige Vgel dort zwar lange auf, viele ziehen aber bereits in ihre Heimatgebiete und erreichen diese verspätet im Juni. Von den dreijähri- gen Vgeln ziehen die meisten in ihre Brutgebiete, jedoch treffen auch sie etwas später dort ein als die brtenden Vgel.

25.5.5 Habitat Brandseeschwalben halten sich ganzjährig an Meeresksten auf, insbesondere im Flachwasserbereich in Kstennähe. Die Brutkolonien befinden sich meist auf vegetationslosen Sand- oder Kiesbänken, in Dnen und in Salzwiesen, fast ausschließ- lich an Salz- und Brackwasser und nur ausnahmsweise kurzfristig an sßen Binnenge- wässern (zur Verbreitung s. Kapitel 25.4.1). An der deutschen Nordseekste liegen die Kolonien auf Inseln und Halligen mit schtterer Vegetation und immer vergesellschaf- tet mit anderen Seeschwalben oder Lachmwen. Zur Brutzeit halten sich hohe Anzahlen zwischen den Kolonien und in einer Entfernung von bis zu 30 km seewärts

369 von ihnen auf. Die seewärtige Ausdehnung fällt in etwa mit der 20 m Wassertiefen- Linie zusammen. Der maximale Flugradius von Brandseeschwalben während der Nahrungssuche wird auf ca. 45 km geschätzt (Trischen), während der Flugradius von 95 % der Vgel aller Kolonien etwa 34 km beträgt (GARTHE & FLORE 2007). Auch an der Ostsee brten Brandseeschwalben fast ausschließlich in Lachmwen- Kolonien (KUBE 2006). Hier werden Nehrungshaken und Inseln besiedelt, im westlichen Teil im Anschluss an Lachmwenkolonien auch erhhte Bereiche in bewachsenem Gelände (Salzwiesen). In Mecklenburg-Vorpommern nutzen Brandsee- schwalben zur Brutzeit die äußeren Kstengewässer zur Nahrungssuche und beschrän- ken sich dabei auf die unmittelbaren Kstenregionen im Umfeld der Kolonien (KUBE et al. 2005a). Zur Rast bei Hochwasser nutzen Brandseeschwalben berwiegend flache Sandstrände. Während des Zuges sind sie regelmäßig in z.T. sehr geringer Anzahl auch im Binnenland anzutreffen.

25.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Die Nahrung von Brandseeschwalben besteht nahezu ausschließlich aus kleinen, energiereichen, marinen Fischen, die sich in der Nähe der Wasseroberfläche aufhalten. Brandseeschwalben erbeuten diese typischerweise stoßtauchend aus 5-10 m Hhe. Dabei taucht ihr Krper meist ganz ins Wasser ein. Wenn die Beute an oder knapp unter der Oberfläche schwimmt, tauchen Brandseeschwalben nur teilweise ins Wasser ein. Die maximale Tauchtiefe beträgt vermutlich nicht mehr als 2 m, sie ist damit jedoch tiefer als bei den meisten anderen paläarktischen Sterna-Arten. Üblicherweise wird bei jedem erfolgreichen Stoßtauchen nur ein Fisch erbeutet. Der Erfolg beim Tauchen hängt dabei von der Häufigkeit, Grße, Sichtbarkeit und Tiefe der Beutefi- sche ab, sowie vom Alter und der Erfahrung des Vogels. Sowohl der Gezeitenrhyth- mus als auch die Tageszeit wirken sich auf die Nahrungssuche aus. Während der Jungenaufzucht fischen Brandseeschwalben während des ganzen Tages, vor allem aber nach Sonnenaufgang, am Spätnachmittag und am Abend. Während der Brutzeit wird die Nahrung blicherweise in nur wenigen Kilometern Entfernung von der Brutkolonie gesucht, jedoch knnen auch deutlich grßere Distanzen zurckgelegt werden, um Nahrung fr die Jungen zu beschaffen. Brandseeschwalben profitieren von grßeren Fischen und Meeressäugern, wenn diese Beutefische an die Wasseroberfläche treiben. In der Nähe von Stränden oder ber Riffen und Sandbänken ist bei Niedrigwasser die Nahrungssuche ausgedehnter und die Tauchrate 2-3fach hher als bei Hochwasser, da bei dem geringeren Wasserstand die Fische leichter erreichbar sind.

370 Überwiegend ernähren sich Brandseeschwalben von Sandaalen (Ammodytidae) und Heringsartigen (v.a. Hering, Clupea harengus und Sprotte Sprattus sprattus) sowie teilweise auch von Dorschartigen (z.B. Wittling, Merlangius merlangus). Nordsee GARTHE & KUBETZKI (1998) beobachteten im Juni 1997 Brandseeschwalben, die in die Juister Kolonie zurckkehrten. 72,5 % der Vgel, die Fische trugen, brachten Sandaale (5-16 cm) in die Kolonie ein, 27,0 % Clupeiden (5-15 cm) und 0,5 % andere, nicht identifizierte Fischarten.

STIENEN et al. (2000) beobachteten die Ftterung von Brandseeschwalbenkken 1992- 1998 auf Griend (niederländisches Wattenmeer). Je grßer die Kken wurden, desto grßere Fische wurden von den Eltern verfttert. Hering und Sandaal dominierten in der Nahrung, ihre Anteile unterschieden sich von Jahr zu Jahr. Die Länge der Fische lag zwischen 1,5 und 21,5 cm. Dabei waren die erbeuteten Sandaale durchschnittlich etwas länger als die Heringe. Unter schlechten Nahrungsbedingungen nahm der Anteil der Clupeiden ab. Die tageszeitlichen Unterschiede bei der Wahl der Beutetiere spiegeln die tageszeitlichen Vertikalwanderungen der Sandaale und Heringsartigen wider: Heringsartige wurden v.a. am frhen Morgen und späten Abend erbeutet, während um die Mittagszeit v.a. Sandaale in die Kolonie eingetragen wurden.

25.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Brandseeschwalben sind berwiegend tagaktive Vgel, je nach Wetter und Helligkeit jedoch auch nachtaktiv. Während der Jungenaufzucht fischen Brandseeschwalben während des ganzen Tages, vor allem aber nach Sonnenaufgang, am Spätnachmittag und am Abend. Brandseeschwalben ziehen vorwiegend in den Morgen- und Abend- stunden, selten nachts. Beobachtungen auf Wangerooge zeigten, dass die bevorzugte Flughhe bei Gegenwind zwischen 1,5 m und 12 m liegt (72 %), während Brandsee- schwalben bei Rckenwind häufiger zwischen 12 m und 25 m fliegen (65 %; KRÜGER & GARTHE 2001). Adulte Vgel rasten selten auf der Wasseroberfläche, werden aber häufig auf Seezeichen und auf Treibholz sitzend beobachtet (FTZ unverffentl.).

25.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 25.6.1 Gefährdungsursachen Brandseeschwalben sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropo- gene Gefährdungen betroffen: - Hindernisse in Form von technischen Bauwerken (Kollisionsrisiko; Irritation durch Scheuchwirkung und Beleuchtung)

371 - Reduktion des Nahrungsangebotes durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Fischerei oder Sedimentabbau - Umweltgifte (Anreicherung in der Fischnahrung) - Stärkerer Prädationsdruck und Kleptoparasitismus durch Mwen im Falle einer veränderten Discardverfgbarkeit In den Brut- und Rastgebieten treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Strung und Bruthabitatverlust durch anthropogene Aktivitäten (z.B. Touris- mus, Kstenschutzmaßnahmen mit veränderten Sedimentations- und Überflu- tungsbedingungen, Landnutzung, Überbauung, Tiefflug); - Hohe Brutverluste durch Prädation (insb. Mwen und Fuchs), häufig in Folge von Strungen, aber auch durch erleichterte Erreichbarkeit der Kolonien fr die Prädatoren durch Drainage und Grundwasserabsenkung - Direkte Verfolgung (Fang) in den Durchzugs- und Überwinterungsgebieten Brandseeschwalben sind insbesondere zu Beginn der Brutzeit extrem strungsemp- findlich. Aufgrund der zahlreichen Strungen sind die Koloniestandorte an Nord- und Ostsee häufig auf Inseln und besonders geschtzte Gebiete konzentriert. An der Nordseekste brten Brandseeschwalben alljährlich nur an wenigen Plätzen und sind somit sehr anfällig gegenber anthropogenen Strungen, Umweltverschmut- zung und Fischereiaktivitäten (GARTHE & FLORE 2007). Da Brandseeschwalben an der Ostseekste in Mecklenburg-Vorpommern fast ausschließlich in Lachmwen- Kolonien brten, wodurch ein verbesserter Schutz gegenber Prädatoren gegeben ist, besteht dort eine Gefahr durch den aktuellen Bestandszusammenbruch der Lachmwe (KUBE 2006).

25.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Brandseeschwalben gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Brandseeschwalben weisen eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004). Die Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann daher als gering eingestuft werden. Auf See bewegen sich Brandseeschwalben fast ausschließlich fliegend fort und zeigen insbesondere zur Brutzeit eine hohe Flugaktivität zwischen Kolonie und Nahrungsge- bieten. Zug findet zum Teil auch in grßeren Flughhen statt, die nächtliche Flugakti- vität ist jedoch gering. Brandseeschwalben knnen sehr gut manvrieren. Ihre Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, ist daher als eher gering einzuschätzen. Bei schlechten Sichtbedingungen kann es jedoch insbesondere aufgrund der hohen Flugaktivität zu Kollisionen kommen. Brandseeschwalben weisen nach den Seetauchern und den

372 Samtenten den vierthchsten Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex aller untersuch- ten Vogelarten auf (GARTHE & HÜPPOP 2004). Obwohl Brandseeschwalben mit Ausnahme der Flughhe das gleiche (Flug)-Verhalten wie Fluss- und Kstensee- schwalben zeigen, liegt ihr Windenergie-Sensitivitätsindex aufgrund der hheren Werte in der Kategorie „Status“ deutlich ber den Werten der beiden anderen Seeschwalbenarten. Brandseeschwalben erbeuten ihre Nahrung durch Stoßtauchen oder durch Aufnahme von Beuteobjekten an der Wasseroberfläche im Flug. Beim Stoßtauchen erreichen sie meist nur Tiefen bis etwa zwei Meter. Daher ist die Gefahr, dass sie sich in den meist tiefer ausgebrachten bodennahen Stellnetzen verfangen knnen, gering. In oberflä- chennahen Kiemennetzen, wie sie z.B. fr den Lachsfang eingesetzt werden, knnen sich Brandseeschwalben jedoch vermutlich beim Stoßtauchen verfangen und dadurch ertrinken. Aufgrund des relativ geringen Zeitanteils, der mit Schwimmen auf dem Wasser verbracht wird (auf See rasten Brandseeschwalben meist auf Seezeichen, Holz etc.), ist die Gefahr einer Verlung durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen oder durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichen- de“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen) relativ gering. Allerdings kann es beim Stoßtauchen in verlten Gewässern zu einer Kontamination kommen. Ölverschmut- zung kann zudem auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Als spezialisierte Fischfresser (vgl. Kapitel 25.5.6) haben Brandseeschwalben – im Gegensatz zu Fluss- und Kstenseeschwalben – nur eingeschränkte Mglichkeiten bei schlechter Nahrungsverfgbarkeit auf alternative Beutearten auszuweichen. Dies macht sie besonders empfindlich gegenber zeitlichen und räumlichen Veränderungen im Beutevorkommen (STIENEN et al. 2000). Veränderungen in der Nahrungsverfg- barkeit knnen bei Nahrungsspezialisten zu weitreichendem Brutausfall und Populati- onsrckgang fhren. In den Niederlanden nimmt die Brutpopulation der Brandsee- schwalben in Jahren mit geringen Vorkommen von Heringen ab (STIENEN & BRENNINKMEIJER 1998). In der sdlichen Nordsee spielen bei der Kkenaufzucht neben Heringsfischen insbesondere Sandaale eine große Rolle (GORKE 1990, GARTHE

373 & KUBETZKI 1998). Durch die Industriefischerei werden in der Nordsee große Mengen an Sandaalen und Heringsfischen entnommen, so dass hier eine starke Konkurrenz um die Nahrungsressourcen besteht. Indirekt kann zudem eine Beeinträch- tigung oder Zerstrung der Sandaal-Habitate beispielsweise durch Sedimentabbau zu einer deutlichen Verschlechterung der Nahrungssituation fhren. Mwen sind vielfach als Kleptoparasiten von Brandseeschwalbennahrung dokumen- tiert worden (GARTHE & KUBETZKI 1998, STIENEN et al. 2000, STIENEN 2006). Im Fall von veränderten Ernährungsbedingungen fr Mwen (z.B. Wegfall von Discards aus der Fischerei) ist damit zu rechnen, dass sich sowohl der Kleptoparasitismus an Seeschwalben als auch der direkte Prädationsdruck auf Seeschwalbenkken verstärken kann (s. Silbermwe). Eine starke Gefährdung besteht in der Kontamination mit Umweltgiften, die sich in der Fischnahrung anreichern und dann in Brandseeschwalben als Prädatoren am oberen Ende der Nahrungskette zu hoher Konzentrationen akkumulieren knnen. In den Niederlanden wurden in den 1960er Jahren in toten Brandseeschwalben hohe Konzentrationen an Pestiziden (chlorierte Kohlenwasserstoffe) festgestellt. Sie werden als eine der Hauptursachen fr den dortigen enormen Bestandseinbruch der Brandsee- schwalben von 40.000 Paaren im Jahr 1954 auf 650 Paare im Jahr 1965 genannt (KOEMAN 1975). Ein weiteres Problem fr Brandseeschwalben knnte sich knftig durch die zuneh- menden Klima- und Wetterveränderungen ergeben. Die Art brtet im nrdlichen Mitteleuropa in vielen Kolonien entlang der Ksten nahe der mittleren Hochwasserli- nie. Ihre Brutplätze sind daher durch Überflutungen gefährdet. Da Sturmfluten knftig vermutlich häufiger auftreten werden, ist hier mit einer zunehmenden Gefahr fr die Brutgebiete der Brandseeschwalben zu rechnen. Brandseeschwalben beginnen ab dem 3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und haben eine hohe Überlebensrate adulter Tiere, jedoch eine relativ geringe Anzahl an Jungvgeln. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Dies setzt einen umfassenden Schutz in den Brutgebieten voraus. Brandseeschwalben sind in ihrer Auswahl des Bruthabitates sehr eingeschränkt und brten meist aggregiert in wenigen, dicht besiedelten Kolonien. Gefährdungen in diesen Kolonien knnen somit weitreichende Konsequenzen fr die gesamte europäische Brutpopulation haben (STIENEN 2006). Insbesondere in der Brutansiedlungsphase sind Brandseeschwalben sehr strungsanfäl- lig. Brandseeschwalben sind mit ber 50 % ihres Weltbestandes auf Europa konzentriert und besitzen dort zudem einen ungnstigen Erhaltungszustand (SPEC 2). Zudem ist

374 die Art auf dem Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet (Tab. 25-4). In einem Versuch alle deutschen Brutvgel gemäß der Verantwortung Deutschlands fr ihren Schutz zu klassifizieren hat DENZ (2003) Brandseeschwalben vor allen anderen Ksten- und Seevgeln auf Platz 6 von insgesamt 255 Arten gesetzt.

Tab. 25-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Brandseeschwalben in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + V V 3 2 2, IntV 2 Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I 2 II II +

25.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: vom Schiff aus sind im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltens- beobachtungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

25.8 Forschungsbedarf - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in Nord- und Ostsee - Mglicher Einfluss der Industriefischerei auf die Nahrungsverfgbarkeit - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

375 26 Flussseeschwalbe

Sterna hirundo Linnaeus 1758

GB: Common Tern NL: Visdief

DK: Fjordterne Foto: N. Sonntag S: Fisktärna Abb. 26-1: Flussseeschwalbe im PK PL: Rybitwa rzeczna

26.1 EU-Code A193

26.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Sternidae - Seeschwalben

26.3 Kennzeichen Rotfßige Seeschwalbe mit hellgrauer Oberseite und Brust, schwarzer Kopfkappe und rotem Schnabel mit dunkler Spitze. Im SK Stirn weiß und Schnabel dunkel. Die Schwanzspieße berragen die Flgelspitzen nicht. Die äußeren Handschwingen sind dunkel und bilden einen Flgelkeil, der im Frhjahr noch sehr schwach ist und im Sommer durch Abnutzung stärker hervortritt. Im JK Oberseite gelbbraun gebändert, Armflgel mit dunklem Vorderrand und dunklen Armschwingen. Handflgel mit diffus dunklem Hinterrand. Brzel hellgrau, Schnabelbasis und Fße orange. Kopf mit schwarzer Maske und gelbbrauner Stirn. Verwechslungsmglichkeiten: sehr ähnlich Kstenseeschwalbe. Flussseeschwalbe etwas grßer, Hals-Kopf-Profil im Flug länger, Kopf flacher mit längerem Schnabel. Flgel etwas breiter und etwa in der Krpermitte ansetzend. Schwanzspieße krzer. Handflgel unterseits mit breitem, verwaschen dunklem Hinterrand, im Flug nur innere Handschwingen hell durchscheinend. Im Sommer deutlicher dunkler Flgelkeil auf den Handschwingen. Flussseeschwalbe im JK mit dunklen Armschwingen und diffus dunklem Hinterrand der Handschwingen, Schnabelbasis auch im August noch orange; bei Kstensee- schwalbe Armschwingen weiß und Handschwingen mit scharfem schwarzem Hinterrand, Schnabel dunkelt sehr schnell. Schnabel dunkelt sehr schnell.

376 26.4 Verbreitung / Bestand 26.4.1 Welt / Europa Flussseeschwalben brten in weiten Teilen des gemäßigten und arktischen Eurasiens sowie in Amerika lckenhaft von Kanada bis in die Karibik. An der afrikanischen Westkste gibt es ebenfalls einige kleinere Kolonien. Flussseeschwalben werden in vier Unterarten aufgeteilt: Die Nominatform kommt in der gesamten Holarktis mit Ausnahme des nordstlichen Teils Asiens sowie Innerasiens vor, zwei Unterarten brten im zentralen Asien (S. h. tibetana: tibetanisches Plateau, Tienshan; S. h. minussensis: Mongolei bis Baikalsee) und von Nordostsibirien bis Nordostchina brtet die Unterart S. h. longipennis. Der Weltbestand wird auf 1,61 Mio.- 4,56 Mio. Individuen geschätzt (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Flussseeschwalben halten sich in Europa berwiegend an den Ksten auf, brten im Gegensatz zu den anderen Seeschwalbenarten aber auch in weiten Teilen des europäischen Binnenlandes. Der europäische Gesamtbestand beträgt 270.000-570.000 Brutpaare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Im Winter sind Flussseeschwalben an fast allen Ksten um den Äquator und in der sdlichen Hemisphäre anzutreffen. Zwei der acht biogeografischen Populationen der Unterart S. h. hirundo brten in Europa (Tab. 26-1).

Tab. 26-1:Verbreitungs- und Bestandsangaben zu den in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Populationen der Flussseeschwalben (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium S. h. S-, W-Europa Ksten W- 170.000 - S-, W-Europa stabil 1.900 hirundo (Brutzeit) Afrikas 210.000 NO-Europa, S. h. N-, O-Europa vor allem hauptsächlich 630.000 - stabil 11.000 hirundo (Brutzeit) Länder um S-Afrika 1,5 Mio. die Ostsee

26.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Durchzgler. Die in Deutschland vorkommenden Flussseeschwalben gehren zur biogeografischen Population „N-, O-Europa“. Der Brutbestand der Flussseeschwalben in Deutschland beträgt 9.500 Paare (Bezugs- zeitraum 2001-2003, GEDEON et al. 2004). Flussseeschwalben halten sich von April

377 bis September in Deutschland auf. Die Brutvorkommen befinden sich berwiegend in den Kstenregionen von Nord- und Ostsee. Im Wattenmeer brten etwa 6.400 Paare. Daneben gibt es auch Brutvorkommen im Binnenland. Die Verbreitung auf Nord- und Ostsee beschränkt sich berwiegend auf den kstennahen Bereich (Abb. 26-2). Daten der landbasierten Wasservogelzählung liegen fr das Sommerhalbjahr nicht vor.

Abb. 26-2: Verbreitung der Flussseeschwalben auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum Nord- see: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Flussseeschwalben kommen auf der deutschen Nordsee nur im Sommerhalbjahr vor (Tab. 26-2). Während des Frhjahrs ist die Elbmndung ein wichtiger Konzentrations- bereich. Ein weiterer Schwerpunkt befindet sich vor Amrum und Sylt. Zur Brutzeit treten Flussseeschwalben v.a. im Übergangsbereich zwischen Wattenmeer und kstennahem Offshore-Gebiet auf und spiegeln die Lage der wichtigsten Brutkolonien wider. Die wichtigsten Brutgebiete liegen in der äußeren Jade im Einzugsbereich der Kolonie auf der Minsener Oog sowie im Bereich der Elbmndung und im nordfriesi- schen Kstengebiet. In großer Entfernung zur Kste fehlen Flussseeschwalben im Sommer fast vollständig. Während des Wegzuges im Herbst steigt die Gesamtabun- danz deutlich an. Außerdem halten sich Flussseeschwalben zu dieser Zeit auch deutlich weiter entfernt von der Kste auf. Im kstennahen Bereich liegt jedoch ein deutlicher Schwerpunkt vor den Nordfriesischen Inseln. Im Winter verlassen die Flussseeschwalben die Nordsee. Der Brutbestand der Flussseeschwalben entlang der deutschen Nordseekste betrug im Jahr 2003 6.148 Brutpaare (HÄLTERLEIN / NPA Tnning, briefl.). Im kstenfern gelegenen SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Flussseeschwal- ben nur im Sommer und im Herbst vor (Tab. 26-3). Der grßte Bestand wird im Herbst erreicht, wenn die Verbreitung nach der Brutzeit stärker von der Kste gelst ist. Im

378 Sommer halten sich Flussseeschwalben in Kolonienähe auf, dementsprechend sind die Anzahlen im SPA, verglichen mit dem Gesamtbestand an der deutschen Nordseekste, sehr gering.

Tab. 26-2: Rastbestandszahlen der Flussseeschwalben fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugs- zeitraum: 1993-2003), sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum: 1996-2005). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 10.000 0,9 150 <0,1 0 0,0 Sommer 19.500 1,8 0 0,0 240 <0,1 Herbst 5.800 0,5 800 <0,1 900 <0,1 Winter 0 0,0 0 0,0 0 0,0

Ostsee Auf der deutschen Ostsee treten Flussseeschwalben nur in sehr geringer Anzahl und fast ausschließlich in unmittelbarer Kstennähe auf. Als Nahrungshabitate fr Vgel der Brutkolonien im Kstenbereich dienen berwiegend die angrenzenden Boddenge- wässer oder kstennahe Binnenseen, die eigentlichen Meeresgebiete werden kaum genutzt (KLAFS & STÜBS 1987, SCHELLER et al. 2002, FTZ unverffentl.). In Mecklenburg-Vorpommern brten Flussseeschwalben in den inneren Kstengewäs- sern und suchen dort auch nach Nahrung. Im Frhjahr und v.a. im Herbst findet entlang der Außenkste Zug statt. Von KUBE et al. 2005a wurde die Art kstenfern insbesondere während des Herbstzuges in der Arkonasee beobachtet. Im Jahr 2003 betrug der Brutbestand der Flussseeschwalben an der deutschen Ostseekste nur noch 774 Paare (BOSCHERT 2005). Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden Flussseeschwalben bisher nur unregelmäßig und in sehr geringen Anzahlen in den Monaten Juni bis August beobachtet.

Tab. 26-3: Rastbestandszahlen der Flussseeschwalben fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2007). Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 0 0 0 0 Sommer k.A. k.A. 0 0 0 0 Herbst k.A. k.A. 0 0 0 0 Winter 0 0 0 0 0 0

379 26.4.3 Bestandsentwicklung Eine Einschätzung der Bestandsentwicklung der Flussseeschwalben ist schwierig, da der Bestand von Jahr zu Jahr starken natrlichen Schwankungen unterworfen ist, die auf Nahrungsverfgbarkeit und Witterungsverhältnisse zurckzufhren sind. Außer- dem kann es zu großräumigen Umsiedlungen der Kolonien kommen. Dennoch ist es mglich, eine (mit gewissem Fehler behaftete) Einschätzung der Brutbestandsentwick- lung vorzunehmen: An der deutschen Nordseekste haben die Brutbestände der Flussseeschwalben von etwa 1940 bis weit in die 1970er Jahre hinein deutlich abgenommen. Nach einer Erholung zu Beginn der 1980er Jahre stagnierte der Bestand zeitweise, verzeichnete aber seit Mitte der 1990er Jahre wieder eine Abnahme. Während an der Ostseekste Schleswig-Holsteins der Bestand seit Ende der 1980er Jahre auf niedrigem Niveau stagniert, nahmen die Bestände an der Ostseekste Mecklenburg-Vorpommerns ab. Im Binnenland nahmen die Brutbestände vielerorts bis Anfang der 1980er Jahre ab. Insgesamt konnte sich der binnenländische Bestand von den 1970er Jahren bis zum Jahr 2003 (2.300 Paare) mehr als verdreifachen; dies wird mit Maßnahmen zur Gewässerreinhaltung und mit dem Anlegen von knstlichen Brutflßen begrndet (GEDEON et al. 2004). Die Zunahmen im ostdeutschen Binnenland gingen zeitlich mit der Abnahme der Bestände an der Kste Mecklenburg-Vorpommerns einher; durch Ringfunde ist eine Umsiedlung aus den Kstenkolonien nachweisbar (EICHSTÄDT et al. 2006).

26.5 Biologie / Ökologie 26.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: erste Brut meist mit 3, z.T. erst mit 4 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen, Partnertreue durch Nistplatztreue Brutzeit: Ankunft am Brutplatz in Deutschland ab April, Hauptlegezeit Mai, Nachgelege bis Anfang Juli; Brutdauer 20-26 Tage; beide Eltern brten Gelege: 2-3 Eier; 1 Jahresbrut, Zweit- und Schachtelbruten bekannt, bis zu 2 Nachgelege mglich Kken: erst bernimmt das Männchen die Nahrungsversorgung, während das Weibchen hudert, nach 2 Tagen suchen Kken Verstecke in Nestnähe auf, später fttern beide Eltern, Kken sind nach 23-27 Tagen flugfähig, werden jedoch noch 6 Wochen gefttert, lernen offenbar durch Nachahmung Fischfang; Spätbruten werden mit- unter erst Ende August flgge

380 26.5.2 Alter / Sterblichkeit Generationslänge: 9 Jahre Ältester Ringvogel: 30 Jahre 9 Monate Sterblichkeit: Adulte: 10 %. Bei Untersuchungen in Niedersachsen kehrten 61 % der flggen Jungvgel zur Brutkolonie zurck, 27 % rekrutier- ten in den Brutbestand; es gab keine Geschlechtsunterschiede in der Sterblichkeit.

26.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser beginnt bisweilen schon im August, meist aber erst im November im Winterquartier. Flussseeschwalben durchlaufen bis zum Ende des 3. KJs verschiedene Mauserzyklen der Handschwingen. Bei den adulten Vgeln beginnt die Vollmauser und damit die Erneuerung der 1. Handschwinge meist im Brut- oder Mausergebiet ab Juli. Vor dem Wegzug wird die Schwingenmauser unterbrochen und erst im Winterquartier fortgesetzt. Wie bei den Kstenseeschwalben werden die Schwingen nacheinander gemausert, so dass Flussseeschwalben zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit eingeschränkt sind.

26.5.4 Wanderungen Flussseeschwalben sind Langstreckenzieher, die vorwiegend entlang von Ksten wandern. Die Brutvgel aus dem nrdlichen Mitteleuropa ziehen zunächst zur Nord- und Ostseekste, bevor sie in ihre afrikanischen Winterquartiere fliegen. Vgel des tieferen Binnenlandes folgen zunächst großen Flssen bis in den Mittelmeerraum, von wo aus sie in westliche Richtung weiterziehen. Brutvgel aus Deutschland berwintern vor allem an der Kste Westafrikas. Wie Brandseeschwalben vollziehen auch Flussseeschwalben, wenn die Jungen fliegen knnen, mit diesen zusammen einen Zwischenzug in verschiedene Richtungen. Dabei kommt es z.B. bei Brutvgeln der Nordsee zu zahlenstarken Einflgen in die Unterelbe (GARTHE 1996b). Während die Jungvgel bis August in diesen Gebieten bleiben, beginnen die Altvgel schon Ende Juli ihren Wegzug in die Überwinterungsgebiete. Schon ab September erreichen die ersten Vgel Westafrika. Der Heimzug erfolgt meist zwischen März und Mai. Einjährige Vgel bersommern in ihren Winterquartieren, während die zweijährigen Vgel meist später als die Adulten ihre Brutgebiete erreichen (Juni / Juli).

26.5.5 Habitat Flussseeschwalben brten an bersichtlichen Plätzen in der Nähe ihrer Nahrungsge- wässer. Die meisten Kolonien, beispielsweise in Ostdeutschland, liegen direkt in oder an Gewässern, die auch als Jagdgebiete dienen (NEUBAUER 1998). Flussseeschwalben

381 bauen ihre Nester in kurzrasigen Salzwiesen an Flachwasserksten, an Wattksten und z.T. in Dnen (zur Verbreitung s. Kapitel 26 1.4.1), sie brten aber auch entlang von Flssen, an Seen und an grßeren Teichen. Flussseeschwalben nutzen auch Gebiete mit dichter und hoher Vegetation, jedoch muss die Sukzession z.B. durch Hochwasser hin und wieder unterbrochen werden, um eine zu starke Verbuschung zu verhindern. Flussseeschwalben passen sich den schnellen Veränderungen ihrer natrlichen Nisthabitate an und knnen neu entstandene Lebensräume in kurzer Zeit besiedeln. Diese Dynamik fhrt zu einer ständigen Veränderung ihrer regionalen Verbreitungs- muster, weshalb man bei Bestandsabschätzungen die berregionalen Veränderungen bercksichtigen muss (SÜDBECK et al. 1998). Im Binnenland finden Flussseeschwal- ben nur noch selten natrliche Brutplätze. Vielmehr nutzen sie dort inzwischen Inseln in Kies- und Sandgruben sowie knstliche Schotterinseln oder Brutflße. Untersu- chungen von BECKER et al. (1993a) zeigten, dass Flussseeschwalben während der Brutzeit durchschnittlich im Umkreis von 6,3 ± 2,4 km der Kolonie nach Nahrung suchen. Der eigentliche Radius knnte jedoch grßer sein, denn in 12 % der untersuch- ten Nahrungsflge lag die Entfernung der Tiere außerhalb der Reichweite der Messgeräte. Beobachtungen, die in NEUBAUER (1998) zusammengestellt sind, bestätigen, dass Flussseeschwalben auch noch in Gewässern nach Nahrung suchen, die bis zu 18 km von der Kolonie entfernt sind. Während der Zugperioden und im Winter nahezu ausschließlich im Kstenbereich und auf der offenen See.

26.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Flussseeschwalben ernähren sich hauptsächlich von kleinen, pelagischen Fischen, daneben werden auch Crustaceen und besonders im Binnenland Wasserinsekten erbeutet. Im Wattenmeer werden auch Polychaeten und andere Wirbellose gefressen. Flussseeschwalben sind insgesamt Nahrungsopportunisten, die schnell zwischen verschiedenen Beuteorganismen und Ernährungsmethoden wechseln knnen. Fische werden berwiegend stoßtauchend nahe der Wasseroberfläche erbeutet. Vor dem Stoßtauchen, das meist aus geringer Hhe (1-6 m) stattfindet, wird oftmals in der Luft gerttelt. Teilweise tauchen sie mit dem ganzen Krper ins Wasser ein, die Tauchtiefe liegt meist bei 20-50 cm. Dabei wird pro Tauchgang gelegentlich mehr als ein Fisch erbeutet. Die Nahrungssuchaktivität ist am frhen Morgen und am Abend am grßten, wobei in einigen Studien auch ein Gezeiteneinfluss gezeigt werden konnte (z.B. BOECKER 1967, BECKER & SPECHT 1991, FRANK 1992, FRANK & BECKER 1992). Nordsee BOECKER (1967) untersuchte die Nahrung von Seeschwalben auf Wangerooge durch Beobachtung von Kkenftterungen. Zusätzlich untersuchte er Mageninhalte und

382 hervorgewrgte Nahrungsreste sowie fallengelassene Beutetiere, die er in der Kolonie fand. Nach seinen Beobachtungen verftterten Flussseeschwalben grßtenteils Fische (75 %), wobei Heringsartige (Clupeidae) dominierten. Zu 25 % wurden Wirbellosen wurden verfttert, grßtenteils waren es Crustaceen (Crangonidae und Portunidae). Die Nahrungsproben zeigten ähnliche Ergebnisse: Auch hier wurden berwiegend Fische gefunden (63 %), Polychaeten (18 %), Crustaceen (14 %) und Insekten (4 %) traten seltener auf.

BECKER et al. (1987) untersuchten 1981 bis 1984 Speiballen und umherliegende Nahrung (hauptsächlich während der Kkenaufzuchtsphase) in sechs Brutkolonien an der Nordseekste. Die Nahrung bestand je nach Kolonie zu unterschiedlichen Anteilen aus Stichlingen (Gasterosteidae), Heringsartigen, Plattfischen (Pleuronectidae), Seenadeln (Syngnathidae), sonstigen Fischen und Krebsen. Die Beutearten unterschie- den sich deutlich zwischen den sechs Kolonien, wobei jeweils die Arten berwogen, die in der Nähe der jeweiligen Kolonie am häufigsten zur Verfgung standen.

FRICK & BECKER (1995) untersuchten die Ernährung von Seeschwalbenkken auf der Minsener Oldeoog. Sie beobachteten, dass Flussseeschwalben signifikant grßere Beute als Kstenseeschwalben an ihre Kken verfttern. Das Nahrungsspektrum bestand aus Heringsartigen, Fischlarven, Sandaalen (Ammodytidae), Seenadeln, Plattfischen und Garnelen. Im Gegensatz zu Kstenseeschwalben nutzen diejenigen Flussseeschwalben, deren Kolonien einen Zugang zum Binnenland haben, regelmäßig limnische Habitate zur Nahrungssuche. Durch einen solchen Habitatwechsel knnen Zeiten mit geringerer Nahrungsverfgbarkeit im marinen Bereich (v.a. während der Hochwasserphasen) berbrckt werden (BECKER & SPECHT 1991, BECKER et al. 1997).

26.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Flussseeschwalben sind tagaktive Vgel, die teilweise schon in der Morgendämme- rung zu fischen beginnen. Zugaktivitäten knnen auch nachts stattfinden. Flusssee- schwalben fliegen bei Nebel oder Dunkelheit meist relativ flach bers Wasser, bei gutem Wetter jedoch auch recht hoch. KRÜGER & GARTHE (2001) beobachteten, dass Fluss- / Kstenseeschwalben bei Gegenwind zu 79 % in Hhen zwischen 1,5 m und 12 m fliegen, während sie bei Rckwind tendenziell eher in Hhen zwischen 12 m und 25 m ziehen. Während des Zuges knnen Flussseeschwalben auch auf dem Wasser rastend beobachtet werden (FTZ unverffentl.).

383 26.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 26.6.1 Gefährdungsursachen Flussseeschwalben sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropo- gene Gefährdungen betroffen: - Umweltgifte (Anreicherung in der Fischnahrung) - Reduktion des Nahrungsangebotes durch Beeinträchtigung oder Zerstrung von Nahrungsgrnden durch Fischerei oder Sedimentabbau - Stärkerer Prädationsdruck und Kleptoparasitismus durch Mwen im Falle einer veränderten Discardverfgbarkeit In den Brut- und Rastgebieten treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Strung und Verlust von Bruthabitaten durch anthropogene Aktivitäten (z.B. Tourismus, Gewässerausbau, Gewässerbegradigung, Überbauung, Kiesabbau an Fließgewässern) - Verlust von Bruthabitaten durch Aufforstungen, Überflutungen, aber auch durch fortgeschrittene natrliche Sukzession. Flussseeschwalben waren frher stark an Gebiete mit hoher natrlicher Dynamik gebunden, die heute vielerorts fehlen - An Binnengewässern Nahrungsmangel durch fehlendes Jungfischaufkommen oder durch den Besatz mit zu großen Fischen - In Mecklenburg-Vorpommern Gefährdung der Bestände auf den Brutinseln in den inneren Kstengewässern durch hohen Prädationsdruck, außerdem Verlust von Makrophytenbestände als Nahrungshabitat als Folge der Eutrophierung im Zuge der gegenwärtigen landwirtschaftlichen Praxis (KUBE et al. 2005a, 2005b) - Direkte Verfolgung in den Durchzugs- und Überwinterungsgebieten

26.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Flussseeschwalben gegenber ausge- wählten anthropogenen Faktoren Flussseeschwalben weisen eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004), die Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann als gering eingestuft werden. Vielmehr kann es durch Verwirbelungen im Schraubenwasser zu Attraktionseffekten hinter Schiffen kommen, wo Flussseeschwalben häufig nach Nahrung suchen. Auch als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen treten Flusssee- schwalben auf (FTZ unverffentl.). Auf See bewegen sich Flussseeschwalben meist fliegend fort und zeigen insbesondere zur Brutzeit eine hohe Flugaktivität zwischen Kolonie und Nahrungsgebieten. Die

384 Flughhe ist meist gering, ebenso die nächtliche Flugaktivität. Zudem knnen Flussseeschwalben sehr gut manvrieren. Die Empfindlichkeit gegenber Kollisionen mit technischen Bauwerken wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen ist daher als eher gering einzustufen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten. Bei schlechten Sichtbedingungen kann es jedoch insbesondere wegen der hohen Flugaktivität durchaus zu Kollisionen kommen. Flussseeschwalben erbeuten ihre Nahrung durch Aufnahme von Beuteobjekten an der Wasseroberfläche im Flug oder durch Stoßtauchen. Dabei erreichen sie nur die oberflächennahen Wasserschichten (vermutlich nicht tiefer als 0,5 m) und sind somit wenig gefährdet, sich in den meist bodennah ausgebrachten Stellnetzen zu verfangen. In oberflächennahen Kiemennetzen, wie sie z.B. fr den Lachsfang eingesetzt werden, knnte es jedoch beim Stoßtauchen zu Verlusten durch Verfangen und Ertrinken kommen. Während des Zuges knnen Flussseeschwalben auch fter auf dem Wasser rastend beobachtet werden (FTZ unverffentl.). Sie sind damit empfindlicher als Brandsee- schwalben gegenber Ölverschmutzung, sowohl durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen als auch durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen). Zudem kann es beim Stoßtauchen in verlten Gewässern zu einer Kontamination kommen. Ölver- schmutzung kann auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwicklungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Flussseeschwalben sind in den deutschen Kstengewässern bei ihrer Nahrungswahl relativ opportunistisch (s. Kapitel 26.5.6). Neben verschiedenen Fischarten stellen lokal auch Crustaceen und Polychaeten einen großen Anteil der Kkennahrung. Die Art nutzt zudem neben marinen Nahrungsgebieten auch limnische Habitate in Kolonienähe zur Nahrungssuche. Flussseeschwalben sind daher aktuell wenig durch Nahrungsreduktion, z.B. aufgrund von derzeit bestehenden Fischereien oder Sedi- mentabbau, gefährdet. Mwen sind vielfach als Kleptoparasiten von Flussseeschwalbennahrung dokumentiert worden (z.B. GORKE 1990). Im Fall von veränderten Ernährungsbedingungen fr

385 Mwen (z.B. bei Wegfall von Discards aus der Fischerei) ist damit zu rechnen, dass sich sowohl der Kleptoparasitismus an Seeschwalben als auch der direkte Prä- dationsdruck auf Seeschwalbenkken verstärken kann (s. Silbermwe). Eine starke Gefährdung besteht in der Kontamination mit Umweltgiften, die sich in der Fischnahrung anreichern und dann in Flussseeschwalben als Prädatoren am oberen Ende der Nahrungskette sehr hohe Konzentrationen erreichen knnen. Eine signifikan- te Abnahme des Bruterfolges durch Belastung mit Umweltgiften konnte bereits 1988 im Elbeästuar belegt werden (BECKER et al. 1993b). In weiteren Untersuchungen Ende der 1990er Jahre wurden ebenfalls Auswirkungen von Umweltgiften auf den Bruter- folg der Flussseeschwalben festgestellt (BECKER et al. 1998). Ein weiteres Problem fr Flussseeschwalben knnte sich knftig durch die zunehmen- den Klima- und Wetterveränderungen ergeben. Die Art brtet im nrdlichen Mitteleu- ropa in vielen Kolonien entlang der Ksten nahe der mittleren Hochwasserlinie. Ihre Brutplätze sind daher durch Überflutungen gefährdet. Da Sturmfluten knftig vermutlich häufiger auftreten werden, ist hier mit einer zunehmenden Gefahr fr die Brutgebiete der Flussseeschwalben zu rechnen. Flussseeschwalben beginnen meist im 3. Lebensjahr mit der Fortpflanzung und haben eine relativ geringe Anzahl von Jungvgeln bei einer hohen Überlebensrate adulter Tiere. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, was jedoch einen umfassenden Schutz in den Brutgebieten voraussetzt. In Deutschland stehen Flussseeschwalben auf der Vorwarnliste der Roten Liste, die Brutvorkommen in Niedersachsen und Mecklen- burg-Vorpommern gelten als stark gefährdet (Tab. 26-4). Flussseeschwalben sind im Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet. In Europa wird ihr Status derzeit als „gesichert“ eingestuft (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004).

Tab. 26-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Flussseeschwalben in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + V 2 + 2 2, IntV 3 Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I Non-SPEC II II +

386 26.8 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Fluss- und Kstenseeschwalben sind vom Flugzeug aus nicht auf Art bestimmbar; vom Schiff aus sind zudem im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltensbeobachtungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

26.9 Forschungsbedarf - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Welche Faktoren bestimmen die Habitatwahl auf See? - Nahrungswahl und Ernährungskologie in der Ostsee - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

387 27 Kstenseeschwalbe Sterna paradisaea (Pontoppidan 1763)

GB: Arctic Tern NL: Noordse Stern DK: Havterne Foto: B. Mendel S: Silvertärna Abb. 27-1: Kstenseeschwalbe im PK PL: Rybitwa popielata

27.1 EU-Code A194

27.2 Systematik Ordnung: Charadriiformes - Wat-, Alken- und Mwenvgel Familie: Sternidae - Seeschwalben

27.3 Kennzeichen Rotfßige Seeschwalbe mit hellgrauer Oberseite, schwarzer Kopfkappe und dunkelro- tem Schnabel. Brust und Bauch verwaschen grau. Im SK Stirn weiß und Schnabel dunkel. Lange Schwanzspieße, berragen die Flgelspitzen deutlich. Handflgel oberseits insgesamt hellgrau, mit schmalem, schwarzem und scharf abgesetztem Hinterrand. Im Flug von unten alle Schwungfedern durchscheinend. Im JK Oberseite mit halbmondfrmigen gelben Flecken, Armflgel mit schmalem, diffus dunklem Vorderrand und weißen Armschwingen, die ein helles Dreieck am Flgel bilden. Handflgel mit scharf abgesetztem dunklen Hinterrand. Brzel weiß, Schnabel dunkel. Kopf mit schwarzer Maske und gelblicher Schnabelbasis. Verwechslungsmglichkeiten: sehr ähnlich Flussseeschwalbe. Kstenseeschwalbe etwas kleiner, Hals-Kopf-Profil im Flug krzer und Schwanzspieße länger, Flgel scheinen daher vor der Krpermitte anzusetzen. Stirn steiler und Schnabel krzer. Flgel wirkt insgesamt heller, im Flug von unten alle Schwungfedern hell durchschei- nend, Oberflgel ohne dunklen Keil wie bei Flussseeschwalbe. Fliegt oft elastischer und schwungvoller als Flussseeschwalbe. Kstenseeschwalbe im JK mit hellen Armschwingen und scharf abgesetztem, dunklem Hinterrand der Handschwingen, Oberseite weniger kontrastreich und weniger braun gefärbt als bei Flussseeschwalbe, Schnabel ab August schwarz.

388 27.4 Verbreitung / Bestand 27.4.1 Welt / Europa Kstenseeschwalben sind hocharktische Vgel, die zirkumpolar verbreitet sind. In Europa erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet mit einem Schwerpunkt in der Subarktis ber Island, Skandinavien, Großbritannien und den Ostseeraum. Die Art erreicht in den Niederlanden, dem deutschen Wattenmeer und an der deutschen Ostseekste die sdliche Verbreitungsgrenze. Kstenseeschwalben haben einen der längsten Zugwege aller Vogelarten bis in die Antarktis, wo die Brutvgel der nordamerikanischen und der nordeurasischen biogeografischen Populationen berwintern. Zum Weltbestand gibt es nur ungenaue Angaben; WETLANDS INTERNATIONAL (2006) geben einen Bestand von > 2 Mio. Individuen an, MITCHELL et al. (2004) nennen 800.000-2,7 Mio. Paare. In den Kstenregionen des nrdlichen Mitteleuropas sind Kstenseeschwalben häufige Brut- und Sommervgel. Auf der Nordsee kann man viele Durchzgler beobachten, die jedoch bereits im kstennahen Binnenland selten sind. Der Brutbestand von Kstenseeschwalben in Europa wird mit 500.000-900.000 Paaren angegeben (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). In Europa kommt nur eine biogeografische Population vor (Tab. 27-1).

Tab. 27-1: Verbreitungs- und Bestandsangaben zu der in Europa vorkommenden biogeogra- fischen Population der Kstenseeschwalben (WETLANDS INTERNATIONAL 2006). Art / Biogeogr. Brut- Winter- Bestand 1 % Trend Unterart Population verbreitung verbreitung (Ind.) Kriterium Europa nrdl. Frankreichs Antarktische N-Eurasien S. paradisaea Skandinavien, Meeresge- >1 Mio. k.A. k.A. (Brutzeit) Russland nrdl. wässer des Polarkreises

27.4.2 Deutschland Status: Brutvogel, Durchzgler. Die in Deutschland brtenden Kstenseeschwalben gehren zur biogeografischen Population „N-Eurasien“. Der Brutbestand der Kstenseeschwalben in Deutschland beträgt 6.100 bis 6.700 Paare (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004; Bezugszeitraum: 1995-1999). Die Art hält sich von Mai bis August und damit krzer als die anderen Seeschwalbenarten in Deutschland auf. Die Brutkolonien liegen fast ausschließlich in Kstenregionen (und nur selten an Flssen und Seen des kstennahen Binnenlandes), so dass die Sommerverbreitung der

389 Kstenseeschwalben auf Nord- und Ostsee und die angrenzenden Kstengebiete beschränkt ist (Abb. 27-2). Daten der Wasservogelzählung liegen fr Kstensee- schwalben nicht vor.

Abb. 27-2: Verbreitung der Kstenseeschwalben auf der deutschen Nord- und Ostsee im Sommerhalbjahr, basierend auf Schiffstransektzählungen (Bezugszeitraum: Nord- see: 1990-2006, Ostsee: 2000-2006).

Nordsee Kstenseeschwalben kommen nur im Sommerhalbjahr auf der deutschen Nordsee vor (Tab. 27-2). Im Frhjahr konzentriert sich die Verbreitung berwiegend auf das watt- und kstennahe Seegebiet der Nordfriesischen Inseln, während im kstenfernen Bereich nur sehr geringe Anzahlen vorkommen. Niedrige Konzentrationen befinden sich auch im Mndungsbereich von Elbe und im Jade-Weser-Dreieck. Im Sommer liegen die Verbreitungsschwerpunkte im inneren und äußeren Wattenmeer nahe den wichtigsten Brutkolonien auf den Halligen Nordfrieslands, kleinere Vorkommen befinden sich zudem in der äußeren Elbe und entlang der Ostfriesischen Inseln. Während der Brutzeit knnen grßere Ansammlungen von Nichtbrtern oder Brutabbrechern im Offshorebereich vorkommen (CAMPHUYSEN & WINTER 1996). Im Herbst nehmen die Zahlen deutlich ab, und die Verbreitung ist weitgehend von der Kste losgelst. Die Art kommt nun verstreut im Ksten- und Offshore-Bereich vor, mit einem gehäuften Vorkommen in der äußeren Elbmndung. Im Winter halten sich keine Kstenseeschwalben auf der deutschen Nordsee auf. Der Brutbestand der Kstenseeschwalben entlang der deutschen Nordseekste betrug im Jahr 2003 4.964 Brutpaare (HÄLTERLEIN / NPA Tnning, briefl.). Im kstenfern gelegenen SPA „Östliche Deutsche Bucht“ kommen Kstensee- schwalben in geringen Anzahlen im Sommerhalbjahr vor (Tab. 27-2). Der hchste Bestand wird im Herbst erreicht, wenn die Verbreitung nach der Brutzeit stärker von der Kste gelst ist.

390 Tab. 27-2: Rastbestandszahlen der Kstenseeschwalben fr die gesamte deutsche Nordsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (GARTHE et al. 2007a; Bezugs- zeitraum: 1993-2003) sowie fr das SPA „Östliche Deutsche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (SONNTAG et al. 2007; Bezugszeitraum 1996-2005). Da die Angaben zur Grße der biogeografischen Population sehr ungenau sind, wurde der Anteil der Vgel an der biogeografischen Population nicht berechnet. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Östl. biogeogr. Nordsee Pop. (%) Nordsee Pop. (%) Dt. Bucht Pop. (%) Frhjahr 7.500 k.A. 120 k.A. 190 k.A. Sommer 15.500 k.A. 210 k.A. 100 k.A. Herbst 3.100 k.A. 1.700 k.A. 650 k.A. Winter 0 0 0 0 0 0

Ostsee Auf der deutschen Ostsee treten Kstenseeschwalben nur in sehr geringer Anzahl und fast ausschließlich in unmittelbarer Kstennähe auf. Als Nahrungshabitate fr Vgel der Brutkolonien entlang der Kste dienen berwiegend die angrenzenden Boddenge- wässer oder kstennahe Binnenseen, die eigentlichen Meeresgebiete werden kaum genutzt (KLAFS & STÜBS 1987, SCHELLER et al. 2002, FTZ unverffentl.). In Mecklenburg-Vorpommern brten Kstenseeschwalben nur in der Wismarbucht, wo sie auch nach Nahrung suchen. Im Frhjahr und v.a. im Herbst findet Zug entlang der Außenkste statt. Kstenfern wurde die Art insbesondere während des Herbstzuges in der Arkonasee beobachtet (KUBE et al. 2005a). Der Brutbestand der Kstenseeschwalben an der deutschen Ostsee betrug im Jahr 2000 136 Paare (GARTHE et al. 2003a). Im SPA „Pommersche Bucht“ wurden Kstenseeschwalben bisher nicht nachgewie- sen.

Tab. 27-3: Rastbestandszahlen der Kstenseeschwalben fr die gesamte deutsche Ostsee, fr die AWZ, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeit- raum: 2000-2007) sowie fr das SPA „Pommersche Bucht“, basierend auf Schiffstransektzählungen (FTZ unverffentl.; Bezugszeitraum: 2000-2006). Da die Angaben zur Grße der biogeografischen Population sehr ungenau sind, wurde der Anteil der Vgel an der biogeografischen Population nicht berechnet. Bestand Anteil an Bestand Anteil an Bestand Anteil an dt. biogeogr. dt. AWZ biogeogr. SPA Pomm. biogeogr. Ostsee Pop. (%) Ostsee Pop. (%) Bucht Pop. (%) Frhjahr k.A. k.A. 0 0 0 0 Sommer k.A. k.A. 0 0 0 0 Herbst k.A. k.A. 0 0 0 0 Winter 0 0 0 0 0 0

391 27.4.3 Bestandsentwicklung Eine Einschätzung der Bestandsentwicklung gestaltet sich schwierig, da der Bestand der Kstenseeschwalben starken natrlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr unterliegt, die auf Nahrungsverfgbarkeit und Witterungsverhältnisse zurckzufhren sind. Außerdem kann es zu unvorhergesehenen großräumigen Umsiedlungen der Kolonien kommen. Längerfristige Bestandstrends an der deutschen Nordseekste sind wegen oft ungen- gender Artidentifizierung schwer zu beurteilen, doch scheinen die Schwankungen in der Vergangenheit geringer als bei Flussseeschwalben gewesen zu sein (SÜDBECK et al. 1998, HÄLTERLEIN et al. 2000). Während sich an der Nordseekste in den 1990er Jahren ein leichter Aufwärtstrend andeutete, nahm der Bestand an der deutschen Ostseekste um mehr als die Hälfte ab (HÄLTERLEIN et al. 2000). In Mecklenburg- Vorpommern ist der einzige Brutstandort in der Wismarbucht von der Aufgabe bedroht (EICHSTÄDT et al. 2006).

27.5 Biologie / Ökologie 27.5.1 Fortpflanzung / Brutbiologie Geschlechtsreife: mit 3-5 Jahren, wahrscheinlich mit 4 Jahren Paarbildung: monogame Saisonehen mit Neigung zur Partnertreue; junge Paare trennen sich fter Brutzeit: Legebeginn an der Nordsee frhestens Anfang Mai, meist Mitte Mai bis Juni, in der Arktis ab Juni; Brutdauer 20-22 Tage, beide Eltern brten Gelege: 1-3 Eier; 1 Jahresbrut, im Sden auch Nachgelege mglich Kken: Kken werden von beiden Eltern betreut, knnen nach 2 Tagen schwimmen, sind nach 21-24 Tagen flugfähig, werden aber noch längere Zeit gefttert

27.5.2 Alter Generationslänge: 14 Jahre Ältester Ringvogel: Europa: 29 Jahre 9 Monate; USA: Ringvogel 34-jährig brtend kontrolliert Sterblichkeit: im 1. Lebensjahr nach Erreichen der Flugfähigkeit 19 % (Großbritannien); Adulte: 11-13 % pro Jahr (Deutschland)

392 27.5.3 Mauser Die postjuvenile Mauser (Vollmauser) beginnt bei den meisten Vgeln ab Ende Oktober, ist aber vor Ankunft ins Winterquartier wenig umfangreich. Die Schwingen werden hauptsächlich von Dezember / Januar des 1. Winters bis zum April / Mai erneuert. Die darauf folgenden Mauserperioden sind ähnlich wie bei adulten Vgeln. Die Vollmauser der adulten Kstenseeschwalben beginnt im Winterquartier meist ab Oktober, Nichtbrter und erfolglose Brutvgel beginnen vermutlich frher. Wie auch bei den Flussseeschwalben werden die Schwingen nacheinander gemausert, so dass die Seeschwalben zu keiner Zeit in ihrer Flugfähigkeit eingeschränkt sind. Die Pränupti- almauser (Teilmauser) vollzieht sich von Februar bis Mitte März und ist bei Zugbe- ginn grßtenteils abgeschlossen.

27.5.4 Wanderungen Kstenseeschwalben sind ausgesprochene Langstreckenzieher mit dem längsten Zugweg aller Vogelarten: ihre Winterquartiere erstrecken sich von den Ksten Chiles und Sdafrikas bis an den Rand der antarktischen Packeiszone. Von arktischen Brutgebieten nahe dem Nordpol ziehen sie somit fast bis zum Sdpol. In Mitteleuropa werden die letzten Beobachtungen von ziehenden Kstenseeschwalben meist im November gemacht. Es gibt nur wenige Nachzgler, die sich noch im Dezember in mitteleuropäischen Gewässern aufhalten. Der Heimzug entlang der westafrikanischen Kste vollzieht sich meist im April. Die frhesten Ankunftsnachweise von Kstenseeschwalben in den Niederlanden und an der Ostseekste stammen von Mitte April.

27.5.5 Habitat Zur Brutzeit sind Kstenseeschwalben in M- und NW-Europa ausgeprägte Kstenv- gel, in den borealen Wald- und Tundrenzonen kommen sie jedoch auch weit im Binnenland vor (zur Verbreitung s. Kapitel 27.4.1). Die Brutplätze befinden sich an den Ksten auf kurzrasigen Salzwiesen oder an Primärdnen, auf Muschelschill- und strukturierten Strandabschnitten. In der Deutschen Bucht sind Kstenseeschwalben bei der Nahrungssuche noch stärker als Flussseeschwalben auf das kstennahe Watt mit seinen Prielen und auf die Flussmndungen fixiert. Während der Zugperioden und im Winter halten sie sich nahezu ausschließlich im Kstenbereich und auf der offenen See auf.

393 27.5.6 Ernährungskologie Ernährungsstrategie Kstenseeschwalben ernähren sich berwiegend von kleinen marinen Fischen, Krebsen und in geringeren Mengen von Insekten. Fische werden dabei berwiegend stoßtauchend erbeutet, wobei die Seeschwalben oftmals zuvor rttelnd in der Luft stehen. Das Tauchen erfolgt meist aus geringer Hhe (1-5 m), meist tauchen die Kstenseeschwalben dabei nur flach unter die Wasseroberfläche, vermutlich nicht tiefer als 0,5 m. Wenn die Beute direkt an oder sehr nahe der Oberfläche ist, tauchen die Seeschwalben nur teilweise ins Wasser ein. Kleine Beuteobjekte wie Krebstiere und Insekten werden oftmals aus dem Fluge von der Wasseroberfläche erbeutet. Insekten werden auch in der Luft verfolgt. Kstenseeschwalben suchen teilweise einzeln oder in kleinen Gruppen nach Nahrung, wobei insbesondere Fischschwärme große Mengen nahrungssuchender Vgel anziehen knnen. Im Vergleich zu Flusssee- schwalben ist die Nahrung vielfältiger, oft mit einem etwas geringeren Fischanteil. Es kann allerdings starke Unterschiede in der Beutequalität und -quantität zwischen Kolonien oder verschiedenen Jahren geben (z.B. MONAGHAN et al. 1989, 1992). Die hchste Nahrungssuchaktivität ist meist am frhen Morgen und vor Sonnenuntergang festzustellen. In einigen Studien ließ sich ein Gezeiteneinfluss auf den Erfolg bzw. die Intensität der Nahrungssuche feststellen (z.B. BOECKER 1967, FRICK & BECKER 1995, SCHWEMMER 2007). Als Beutefische nutzen Kstenseeschwalben häufig Sandaale (Ammodytidae) sowie Heringsartige, v.a. Hering (Clupea harengus) und Sprotte (Sprattus sprattus). Nordsee BOECKER (1967) untersuchte die Nahrung von Kstenseeschwalben auf Wangerooge durch Beobachtung von Kkenftterungen, Analyse von Mageninhalten und hervor- gewrgten Nahrungsresten. Nach seinen Beobachtungen verftterten die Kstensee- schwalben 51,8 % Fische, davon die Hälfte Heringsartige. Mit 48,2 % stellten Wirbellose, grßtenteils Crustaceen (Portunidae und Crangonidae), den Rest. Die Nahrungsproben bestanden zu 44,6 % aus Fischen, zu 33,9 % aus Crustaceen, zu 10,7 % aus Polychaeten und zu 10,7 % aus Mollusken.

HARTWIG et al. (1990) beobachteten in eine Kolonie auf Scharhrn (Hamburgisches Wattenmeer) eingebrachte Nahrung. Unbestimmte Jungfische machten 29 % der Nahrung aus, Sandaale 17,8 %, unbestimmte Kleinfische 16,1 %, Sprotten 12,1 % und Garnelen 9,7 %. Der Rest setzte sich aus unbestimmten Heringsartigen, Stichlingen, Plattfischen, und Strandkrabben zusammen.

FRICK & BECKER (1995) beobachteten die Ernährung von Seeschwalbenkken auf Minsener Oldeoog (ostfriesisches Wattenmeer). Sie stellten fest, dass Kstensee-

394 schwalben signifikant kleinere Beuteobjekte an ihre Kken verftterten als Flusssee- schwalben. Das Nahrungsspektrum der Kken bestand aus Garnelen, Krabben, Plattfischen, Fischlarven und Heringsartigen.

NIEDERNOSTHEIDE (1996) konnte auf Nigehrn und Scharhrn bei Kstenseeschwal- ben, im Gegensatz zu Flussseeschwalben, eine hhere Bedeutung von Crustaceen in der Ernährung feststellen. Ostsee In Kolonien der Ostsee scheinen Wirbellose (zumindest phasenweise) eine bedeuten- dere Rolle in der Nahrung von Kstenseeschwalben einzunehmen als in der Nordsee: DIERSCHKE & KLÜMANN (1988) beobachteten während der Brutzeit 1986 die an Kken verftterten Nahrungsbestandteile in einer Kolonie bei Oehe-Schleimnde (Schleswig-Holsteinische Ostseekste). Sie fanden einen großen Anteil von Poly- chaeten (berwiegend Seeringelwrmer Nereidae), der an den einzelnen Tagen zwischen 58 % und 71 % schwankte. Fische (29-38 %), dabei berwiegend Dreistach- lige Stichlinge (Gasterosteus aculeatus), und besonders Krebse (0-8 %) waren quantitativ von geringerer Bedeutung. Mit der gleichen Methodik wurden Kstensee- schwalben im selben Gebiet auch 1995 untersucht: MARAHRENS (2001) ermittelte junge Heringe mit 62 % als die Hauptnahrung der Kken, gefolgt von Nordseegarne- len (Crangon crangon, 17 %) und Seeringelwrmern (Nereidae, 14 %).

27.5.7 Sonstige Verhaltensweisen Kstenseeschwalben sind tagaktiv. Sie sind außerhalb der Brutzeit gesellig, fliegen während des Zuges oft in kleinen Trupps oder alleine. Im Überwinterungsgebiet kommen sie in großen Schwärmen vor.

KRÜGER & GARTHE (2001) beobachteten, dass Fluss- / Kstenseeschwalben bei Gegenwind zu 79 % in Hhen zwischen 1,5 und 12 m fliegen, während sie bei Rckenwind tendenziell eher hher (12-25 m) ziehen. Während des Zuges knnen Kstenseeschwalben auch auf dem Wasser rastend beobachtet werden (FTZ un- verffentl.).

27.6 Gefährdungen, Empfindlichkeiten, Verantwortlichkeiten 27.6.1 Gefährdungsursachen Kstenseeschwalben sind auf Nord- und Ostsee insbesondere durch folgende anthropogene Gefährdungen betroffen: - Umweltgifte (Anreicherung in der Fischnahrung) - Anfälligkeit gegenber Veränderungen im Nahrungsangebot

395 - Reduzierung kleiner Beutefische als Effekt kommerzieller Fischerei - Stärkerer Prädationsdruck und Kleptoparasitismus durch Mwen im Falle einer veränderten Discardverfgbarkeit In den Brut- und Rastgebieten treten v.a. folgende Gefährdungen auf: - Strung und Bruthabitatverlust durch anthropogene Aktivitäten (z.B. Touris- mus, Kstenschutzmaßnahmen mit veränderten Sedimentations- und Überflu- tungsbedingungen, Überbauung) - Bruthabitatverlust durch Winderosion, Überflutungen, und v.a. natrliche Sukzession. Kstenseeschwalben sind im Vergleich zu Flussseeschwalben stärker von Überflutungen (auch durch globale Erwärmung) bedroht, da sie näher an der mittleren Hochwasserlinie brtet - Brutverluste durch Prädation (Mwen, Krähen, Raubsäuger) - Direkte Verfolgung (Fang) in den Rast- und Überwinterungsgebieten

27.6.2 Besondere Empfindlichkeiten der Kstenseeschwalben gegenber ausgewählten anthropogenen Faktoren Kstenseeschwalben weisen eine sehr geringe Fluchtdistanz gegenber Schiffen auf (GARTHE et al. 2004), die Empfindlichkeit gegenber Schiffsverkehr kann als gering eingestuft werden. Vielmehr kann es durch Verwirbelungen im Schraubenwasser zu Attraktionseffekten hinter Schiffen kommen, wo Kstenseeschwalben häufig nach Nahrung suchen. Auch als Schiffsfolger hinter Fischereifahrzeugen wird die Art regelmäßig beobachtet (FTZ unverffentl.). Auf See bewegen sich Kstenseeschwalben meist fliegend fort und zeigen insbesonde- re zur Brutzeit eine hohe Flugaktivität zwischen Kolonie und Nahrungsgebieten. Die Flughhe ist meist gering, ebenso die nächtliche Flugaktivität. Zudem knnen Kstenseeschwalben sehr gut manvrieren. Die Empfindlichkeit gegenber einer Kollision mit technischen Bauwerken, wie z.B. Offshore-Windenergieanlagen, ist daher als eher gering einzustufen. Der Wert im Windenergie-Sensitivitätsindex nach GARTHE & HÜPPOP (2004) liegt im unteren Bereich aller untersuchten Arten. Bei schlechten Sichtbedingungen knnte es jedoch insbesondere wegen der hohen Flugaktivität durchaus zu Kollisionen kommen. Kstenseeschwalben ernähren sich durch Aufnahme von Beuteobjekten an der Wasseroberfläche im Flug oder durch Stoßtauchen. Dabei erreichen sie nur die oberflächennahen Wasserschichten (vermutlich nicht tiefer als 0,5 m) und sind somit wenig gefährdet, sich in den meist bodennah ausgebrachten Stellnetzen zu verfangen. In oberflächennahen Kiemennetzen, wie sie z.B. fr den Lachsfang eingesetzt werden,

396 knnte es jedoch beim Stoßtauchen vermutlich zu Verlusten durch Verfangen und Ertrinken kommen. Während des Zuges knnen Kstenseeschwalben auch fter auf dem Wasser rastend beobachtet werden (FTZ unverffentl.). Sie sind damit stärker als z.B. Brandsee- schwalben durch Verlung gefährdet, die durch große Ölteppiche in Folge von Ölunfällen sowie durch kleinere Ölflecken z.B. als Folge von illegalen oder legalen Einleitungen („schleichende“ Verlung, z.B. durch Tankreinigungen) hervorgerufen werden kann. Zudem kann es beim Stoßtauchen in verlten Gewässern zu einer Kontamination kommen. Ölverschmutzung kann auch durch die Aufnahme belasteter Beuteorganismen negative Auswirkungen auf Seevgel haben, da kleinste Mengen Öl im Meerwasser gelst und von zahlreichen Organismen aufgenommen werden. Ölpartikel oder beim Abbau entstehende Substanzen gelangen so in die Nahrungskette, wo sie sich als Schadstoffe anreichern und zu Verhaltens-, Wachstums- und Entwick- lungsstrungen fhren knnen. Eine derartige Gefahr besteht insbesondere nach dem Auftreten großflächiger Ölverschmutzungen durch Schiffsunfälle, die meist zu einer weitreichenden und ber Jahre hinweg andauernden Belastung der Meeresumwelt fhren. Kstenseeschwalben weisen in den deutschen Kstengewässern ein relativ breites Nahrungsspektrum auf (vgl. Kapitel 27.5.6). Neben verschiedenen Fischarten stellen gebietsweise auch Crustaceen und Polychaeten einen großen Anteil der Kkennah- rung. Die Art ist daher aktuell wenig durch Nahrungsreduktion, z.B. aufgrund von derzeit bestehenden Fischereien oder Sedimentabbau, gefährdet. Studien auf den Shetland-Inseln haben jedoch gezeigt, dass Kstenseeschwalben anfällig gegenber Nahrungsverknappung sein knnen. Starke Brutausfälle Ende der 1980er Jahre resultierten daraus, dass in dem räumlich begrenzten Aktionsradius von Kstensee- schwalben während der Brutzeit nicht ausreichend Kleinfische verfgbar waren (MONAGHAN 1996, UTTLEY et al. 1992). Mwen sind vielfach als Kleptoparasiten von Seeschwalbennahrung dokumentiert worden (z.B. GORKE 1990, GARTHE & KUBETZKI 1998). Im Fall von veränderten Ernährungsbedingungen fr Mwen (z.B. Wegfall von Discards aus der Fischerei) ist damit zu rechnen, dass sich sowohl der Kleptoparasitismus an Seeschwalben als auch der direkte Prädationsdruck auf Seeschwalbenkken verstärken kann (s. Silbermwe). Eine starke Gefährdung besteht in der Kontamination mit Umweltgiften, die sich in der Fischnahrung anreichern und dann in Kstenseeschwalben als Prädatoren am oberen Ende der Nahrungskette zu hoher Konzentrationen akkumulieren knnen. In der sdlichen Nordsee haben Umweltgifte Mitte der 1960er Jahre zu einem deutlichen Be-

397 standsrckgang der Kstenseeschwalben gefhrt, der bis heute nicht wieder voll ausgeglichen ist (z.B. KOEMAN 1975, BECKER & ERDELEN 1987). Ein weiteres Problem fr Kstenseeschwalben knnte sich knftig durch die zuneh- menden Klima- und Wetterveränderungen ergeben. Die Art brtet im nrdlichen Mitteleuropa in vielen Kolonien entlang der Ksten nahe der mittleren Hochwasserli- nie. Ihre Brutplätze sind daher durch Überflutungen gefährdet. Da Sturmfluten knftig vermutlich häufiger auftreten werden, ist hier mit einer zunehmenden Gefahr fr die Brutgebiete der Kstenseeschwalben zu rechnen. Kstenseeschwalben beginnen zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr mit der Fortpflan- zung und haben eine relativ geringe Anzahl von Jungvgeln bei einer gleichzeitig hohen Überlebensrate adulter Tiere. Durch das Reproduktionspotential knnen Mortalitätsverluste daher nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, was jedoch einen umfassenden Schutz in den Brutgebieten voraussetzt. In Niedersachsen stehen Kstenseeschwalben als Brutvgel auf der Vorwarnliste der Roten Liste (Tab. 27-4). In Mecklenburg-Vorpommern sind Kstenseeschwalben auf wenige Kolonien in der Wismarbucht beschränkt und dort insbesondere durch starke Prädation durch Fchse vom Aussterben bedroht (EICHSTÄDT et al. 2006). In Europa wird der Status nach BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004) vorläufig als „gesichert“ eingestuft. Kstenseeschwalben sind auf dem Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet.

Tab. 27-4: Rote-Liste- und Schutzstatus der Kstenseeschwalben in Europa (Erläuterungen s. Kapitel II). Rote Listen D Nds. SH M-V Dt. Wattenmeer Dt. Ostsee Europa (2002) (2002) (1995) (2003) (1995) (1996) + - V - 1 2 2 Schutzstatus EU-VSchRL SPEC Bonner Konvention Berner Konvention AEWA I Non-SPEC II II +

27.7 Erfassung Schiffs- und Flugzeugtransektzählungen Zu beachten: Ksten- und Flussseeschwalben sind vom Flugzeug aus nicht auf Art bestimmbar; vom Schiff aus sind zudem im Gegensatz zum Flugzeug detaillierte Verhaltensbeobachtungen mglich Ksten-Wasservogelzählung (bei kstennahen Vorkommen)

398 27.8 Forschungsbedarf - Rolle des kstennahen Binnenlandes sowie der Flussunterläufe von z.B. Elbe und Eider fr die Ernährung - Populationsbiologische Untersuchungen der heimischen Brutvgel - Abschätzung mglichen Habitatverlustes durch anthropogene Aktivitäten auf See - Abschätzung der Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf heimische Brutvgel: Lage der Brutplätze, Bruterfolg, Bestandsentwicklung

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434 V Abkrzungsverzeichnis und Glossar Im Folgenden werden nur spezielle Abkrzungen und Begriffe erklärt, die fr das Verständnis der Texte wichtig sind. Gängige Abkrzungen und biologische Fachbegriffe bleiben weitgehend unbercksichtigt.

Abb. Abbildung AEWA Afrikanisch-Eurasisches Wasservogelabkommen AWZ Ausschließliche Wirtschaftszone (Erklärung siehe unten) D Deutschland DDA Dachverband Deutscher Avifaunisten DK Dänemark ESAS European Seabirds-at-Sea Specialist Group EU Europäische Union dt. deutsch, deutsche EU-VSchRL EU-Vogelschutzrichtlinie FTZ Forschungs- und Technologiezentrum Westkste GB Großbritannien Ind. Individuen insb. insbesondere IUCN Weltschutzorganisation (International Union for the Conservation of Nature and Natural Resources) JK Jugendkleid Juv. Juvenil k.A. keine Angabe KJ Kalenderjahr M- Mittel- M-V Mecklenburg-Vorpommern N Nord, Norden Nds. Niedersachsen NL Niederlande NO Nordost, Nordosten NPA Nationalparkamt NW Nordwest, Nordwesten O Ost, Osten OSPAR Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des NO- Atlantiks (Oslo-Paris-Konvention)

435 pers. Mitt. Persnliche Mitteilung PK Prachtkleid PL Polen Pop. Population S Sd, Sden SAS Seabirds-at-Sea SH Schleswig-Holstein SK Schlichtkleid Sm Seemeilen SO Sdost, Sdosten SPA Special Protection Area SPEC Species of European Conservation Concern SW Sdwest, Sdwesten Tab. Tabelle u.A. unter Anderem u.U. unter Umständen W West, Westen WK Winterkleid

Glossar

AWZ-Grenze: Seewärtige Begrenzung des Festlandsockels und der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der BRD Discard: ungenutzter, auf See ber Bord gegebener Beifang in der Fischerei EcoQO: Ökologisches Qualitätsziel (Ecological Quality Objective) der EU zur Erreichung eines kologisch gesunden Zustandes der Nordsee Fulmar-Litter-EcoQO: Beurteilung der Mllbelastung der Meere anhand von Untersuchungen zum Vorkommen von Plastikmll in Eis- sturmvgeln (Fulmars) im Rahmen der → EcoQOs Gammelfischerei: Fischerei, deren Fang zur Herstellung von Fischmehl oder -l verwendet wird (Gammel: i.e.S. unverkäuflicher Rest beim Krabbenfang) Hoheitsgrenze: Seewärtige Begrenzung des Kstenmeeres (12 Sm Zone) der BRD inkl. Tiefwasserrede (letzteres bei Nordsee) Langleinenfischerei: Fischerei, bei der mit Kdern bestckte Haken an einer Leine ausgelegt werden

436 Monofilament-Netz: Netz, dessen Material aus nur einer Nylonfaser besteht Offshore: etwa 3 km von der Kstenlinie entfernte Meeresgebiete in seewärtige Richtung Stellnetze: Passive Fischerei mit Netzwänden aus feinem Garnmaterial, die (häufig in Bodennähe) in der Wassersäule aufgestellt werden

437 Zum Schutz der küstenfern überwinternden und mausernden See- und Wasser- vögel wurde 2005 in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (12-200 Seemeilenzone) je ein Teilbereich von Nord- und Ostsee als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Diese beiden Gebiete, die „Östliche Deutsche Bucht“ und die „Pommersche Bucht“, sind Bestandteil des europäischen Schutzgebietsnetz- werks Natura 2000 und zählen mit insgesamt mehr als 5000 km2 zu den größten Vogelschutzgebieten Europas. Für die Entwicklung der gebietsspezifischen Managementpläne werden in die- sem Buch die wissenschaftlichen Grundlagen über die Ökologie der nach europä- ischem Recht geschützten Vogelarten dargestellt. Dies geschieht anhand einer Zusammenfassung von neuen und bestehenden Daten über die biologischen Charakteristika der 27 für die Gebiete bedeutsamsten Arten. Eine vergleichbare Zusammenstellung fehlte bislang, ist aber eine wesentliche Voraussetzung, um für jede Art spezifische Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Zusätzlich werden auf der Grundlage ihrer morphologischen, verhaltens-biologischen und ernäh- rungsökologischen Eigenschaften die spezifischen Empfindlichkeiten der Arten gegenüber menschlichen Aktivitäten im Meer abgeleitet. Die Artensteckbriefe der See- und Wasservögel in Nord- und Ostsee fassen das bestehende Wissen für die Praxis leicht verständlich und übersichtlich zusam- men und sind damit eine essentielle Grundlage für die Entwicklung von Schutz- maßnahmen und die Bewertung von Eingriffen in die Lebensräume der Seevögel auf unseren Meeren.