FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 30. 11. 1964

30. November 1964: Fraktionssitzung

ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-758. Überschrift: »Kurzprotokoll der Frakti- onssitzung am 30. November 1964«. Zeit: 20.02–23.50 Uhr. Vorsitz: Mischnick. Anwe- sende Fraktionsmitglieder: keine Angabe.

Sitzungsverlauf: A. Bericht über die letzten Koalitionsgespräche. B. Bericht von Bundeskanzler Erhard über die europäische Agrarpolitik und den Mansholt- Plan mit anschließender Aussprache.

[A.] Mischnick: a) Bekanntgabe der abwesenden entschuldigten Abgeordneten. b) Gratulation für Herrn Ertl zur Wahl als stellvertretender Landesvorsitzender der FDP in Bayern. c) Bericht über die letzten Koalitionsgespräche. 1. Koalitionsgespräch 23.11.1964. Diente der Information. Teilnehmer: FDP: Zog- lmann, Dr. Starke, Dr. Effertz, Mischnick, Dr. Dahlgrün. CDU: Brand1, Struve2 usw. CSU nicht vertreten, außerdem Westrick3 und Schmücker4 neben dem Kanzler. Erhard unterrichtete über die Gespräche mit dem Bauernverband. Begründung: Man müsse sich »von der Stelle bewegen« in Brüssel. Die FDP vertrat die Auffassung, bzw. hatte den Eindruck, daß die Meinungsbildung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Der Artikel Feurys5, in dem eine Anhebung des Getreidepreises gefordert worden war, kam zur Sprache. Es wurde erklärt, daß die Abwesenheit der CSU damit in keiner Verbindung stünde. Der Kanzler erklärte, daß hinsichtlich des 15. Dezembers keine Zusagen zu vorzeitiger Harmonisierung g erfolgt sind. Es sei also durch die Koalition nichts abzudecken, was ohne Auftrag über die Regie- rung erfolgt sei. Die Bundesrepublik befinde sich auf der Anklagebank. Bei dem Hin- weis auf die Entschließung im vom 19. März ds. Js. war aus der Reaktion von Hohmann6-Westrick und dem Kanzler eindeutig festzustellen, daß diese Entschließung ihnen offensichtlich entgangen war. Im Laufe der Sitzung wurde festgestellt, daß diese Entschließung nach wie vor Gültigkeit besitzt. Das nächste Gespräch fand zusammen mit dem Bauernverband am Freitag vergangener Woche statt. FDP-Teilnehmer: Dr. Dahlgrün, Zoglmann, Genscher7, Mischnick. Wir hatten Dr. Dahlgrün nahegelegt, keinerlei Vorschläge zu machen. Das heutige Ge- spräch fand in einer einmaligen Konstellation zwischen drei Gruppen statt. Regierung:

1 , MdB (CDU), Vorsitzender des Arbeitskreises II (Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft) der CDU/CSU-Fraktion, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. 2 , MdB (CDU) stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erster Vorsitzender des Bauernverbandes Schleswig-Holstein. 3 Ludger Westrick, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts (CDU). 4 Kurt Schmücker, MdB (CDU), Bundesminister für Wirtschaft. 5 Otto Freiherr von Feury, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (CSU). 6 Karl Hohmann, Ministerialdirektor und Leiter des Kanzlerbüros im Bundeskanzleramt. 7 Hans-Dietrich Genscher, Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

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Erhard, Blank8, Schwarz9, Schmücker, Lahr10. CDU/CSU und FDP: Dr. Barzel11, Strauß12, Brand, Bauer13-Wasserburg, Dr. Starke, Dr. Effertz, Mauk, Mischnick. Bau- ernverband: Rehwinkel14, Struve, von Feury, Bauknecht15, Hummel16. Erhard trug folgendes vor: Zusätzliche Leistungen für die Landwirtschaft für 1965 im Rahmen der Vorfeldbereinigung 840 Mio. DM davon 460 Mio. DM für Altersversorgung 150 Mio. DM Unfallversicherung 150 Mio. DM Zuckersteuer 70 Mio. DM Ablösung von Altdarlehen 50 Mio. DM Diesel-Kraftstoff-Verbilligung 460 Mio. DM Zweite Gruppe 380 Mio. DM davon Grundsteuer 200 Mio. DM Ablösung des Lastenausgleichs 180 Mio. DM Gegen diese letzten beiden Vorschläge bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Ein- mal würden die Lastenausgleichsabgaben voll beseitigt, zum anderen die Grundsteuer auf die Hälfte ermäßigt. Daher bleiben zunächst die 380 Mio. DM offen. Zu diesem Gesamtbetrag von 840 Mio. DM ist für 1966 ein zusätzlicher Betrag von 260 Mio. vorgesehen, so daß für dieses Jahr eine Gesamtsumme von 1,12 Mrd. DM zustande kommt. Vom Zeitpunkt der Getreidepreissenkung an ist ein Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem späteren und heutigen Preis vorgesehen. Der Bauernverband soll sich mit dieser Lösung einverstanden erklärt haben. Offen blieb die Frage, wer diese Summen aufzubringen hat und wie sie aufzubringen sind. Nach diesem Vorschlag zogen sich die drei Gremien einzeln zur weiteren Beratung zurück. Zwischen den Fraktionen wurde folgendes vereinbart: Am Mittwoch erfolgt eine Erklä- rung im Plenum im Rahmen eines Teiles I über die europäischen Notwendigkeiten. Am Donnerstag werden im Teil II die Zahlen vorgetragen. Der Kanzler muß sich auf den 19.3. beziehen und darlegen, welche Gründe für eine andere Haltung maßgebend gewe- sen sind. Mit Dr. Starke wurde dann darauf hingewiesen, daß in der Erklärung die Fra- ge des Zuckerrübenpreises, des Preises für die Ölfrüchte, die Frage der Marktordnun- gen, die Frage einer Finanzordnung mit in der EWG zu behandeln sind. Der Kanzler

8 , MdB (CDU), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. 9 Werner Schwarz, MdB (CDU), Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 10 Rolf Lahr, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. 11 , MdB (CDU), stellvertretender und amtierender Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfaktion. 12 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzen- der der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Landesvorsitzender der CSU. 13 , MdB (CSU), stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. 14 Edmund Rehwinkel, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. 15 , MdB (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes. 16 Johannes Hummel, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes.

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meinte, das Ganze müsse unter dem größeren Gesichtspunkt Europa gesehen werden. Wir haben darauf hingewiesen, daß ohne eine Regelung dieser Dinge die Bundesrepu- blik in kürzester Frist wieder auf der Anklagebank sitzen würde. Offensichtlich hatte man sich darüber keine Gedanken gemacht. Außerdem soll die Finanzierung in den Gesprächen zwischen den Ressorts geklärt werden. Wir standen vor folgender taktischer Situation: Auf der Erklärung vom 19.3. weiter zu bestehen. Dem stand eine Einigung von Bauernverband und Bundeskanzler gegenüber. Wir hätten uns gegen diese Vorschläge stellen können oder sie angesichts der Fragen, die mit gelöst werden sollen, und die wir mit gelöst haben wollen, annehmen können. Nach unserer Meinung wäre es gefährlich gewesen, sich dagegen zu erklären, weil in der Öffentlichkeit damit der Eindruck entstanden wäre, wir wollten diese Leistungen für die Landwirtschaft nicht, ohne daß die Möglichkeit bestanden hätte, uns mit unserer eigenen Auffassung durchzusetzen. In dieser Situation hielten wir es für das Beste, wenn der Kanzler vor das Plenum tritt. Die FDP sollte in der Debatte ihre Skepsis zum Ausdruck bringen, ebenso die Hoffnung, daß die Opfer, die von uns erbracht werden, eine Würdigung finden. Entsprechende ergänzende Darlegungen sollen nach den Äuße- rungen des Kanzlers vorgetragen werden. Er schlägt vor, daß nach dem Eintreffen des Kanzlers nach dessen Vortrag nicht disku- tiert wird, sondern lediglich Fragen gestellt werden. Zeit: 20.28 Uhr. [B.] Bundeskanzler Erhard: Geht auf den 19. März und die Entschließung ein. Ein entsprechender Standpunkt wur- de von ihm bis zum letzten vertreten. Er hat bis eine Minute vor 12.00 Uhr gewartet. Wir sind auf dem europäischen Felde der Integration nicht weitergekommen. Wir wer- den dabei für alles schuldig gesprochen. Ein hartes Nein wäre hierbei nicht sehr ange- nehm, wenn wir mit den bescheidenen Vorschlägen zur Europapolitik weiter kommen wollen. Es wird uns entgegengehalten, wie sollen wir diesen Vorstoß ernstnehmen, wenn ... Der Schritt über den Rubikon soll nicht gegen die Landwirtschaft, sondern mit der Landwirtschaft getan werden. Er hat daher Gespräche geführt, a) mit Rehwinkel b) mit den Fraktionen c) nochmals mit Rehwinkel d) mit der Europäischen Kommission in Brüssel. Ergebnis: 1. Der Getreidepreis wird vor dem 1. Juli 1967 nicht diskutiert, nachdem das Jahr 1966 einmal erörtert wurde. 2. Wenn eine gemeinsame Basis nicht zustande kommen könnte, bestünde die Gefahr, ab 1. Januar 1966 majorisiert zu werden. 3. Ausgleichszahlungen sollen vom 1. Juli 1967 bis 1. Januar 1970 erfolgen. Die Bun- desregierung ist mit 560 Mio. DM nicht zufrieden. 4. Über die Höhe des gemeinsamen Getreidepreises ist eine konkrete Aussage nicht gemacht worden. Mansholt17 hatte 425 DM pro dz gefordert. Wir waren dabei vor-

17 Sicco Leendert Mansholt, EWG-Kommissar für Landwirtschaft und Vizepräsident der EWG- Kommission.

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sichtig. Es stellt sich nicht nur die Frage des absoluten Getreidepreises, sondern auch die Relation zum Roggenpreis, zum Futtergetreidepreis usw. Wir sind uns mit

Mansholt einig, daß die Relation 100 : 85 vom Getreide- zum Futtergetreidepreis wichtiger als die absolute Höhe ist. Eine Veränderung dieser Relation wäre schlech- ter als ein paar DM mehr oder weniger. Wie hoch die Ausgangszahlungen anfangs liegen werden für den Ausgleich nach der Senkung bei 560 Mio. 800 Mio. oder einer Mrd., kann nicht gesagt werden. Die Landwirtschaft hat hier selbst Angst wegen des Zündstoffes. Er glaubt, daß wir auf dem rechten Weg sind: a) mit einer Bereinigung des Vorfeldes zur Verbesserung des Wettbewerbsbildes hin- sichtlich der Kosten der Belastungen und der Sozialsubvention. Er stimmt zu, daß unter Umständen gefährliche Rechenkunststücke, wieviel Subventionen in diesen Sektor entfallen, auch auftauchen können. Aber man muß den verschiedenartigen Charakter doch sehen. b) der Erlösausfall wird 1967 und noch nicht heute sichtbar und feststellbar werden. Hinsichtlich der rechnerischen Grundlage für die Ausgleichszahlungen hat die Kommission einer Revisionsklausel zugestimmt. In diese werden die Kostensteige- rungen entsprechend der Indizes von 1962/’63 bis 1967 aufgenommen. Bei einem

Kaufkraftschwund von 2,5 % pro anno ergibt dies in 4 Jahren etwa 10 %. Damit wä- re im Januar 1967 der Preis etwa so hoch wie heute. Die Verhandlungskommission soll Spielraum haben hinsichtlich a) der Höhe und b) der Relation. Die Vorfeldbereinigung ist im Rahmen folgenden Volumens gedacht: (es erfolgt die gleiche Darlegung durch Herrn Mischnick.) Der Haushalt macht ihm Sorgen, dabei kann er mitteilen, daß die CDU-Fraktion mit ihren Experten der Auffassung ist, daß das Volumen von 63,9 Mrd. nicht überschritten werden darf. Es ist weiter noch offen, ob die Zusagen an die Landwirtschaft ihren Niederschlag in einem Gesetz finden oder ob sie in anderer Weise realisiert werden sollen. Darüber muß noch gesprochen werden. Er ist der Auffassung, daß wir uns nunmehr freigeschwommen haben in der Agrarpoli- tik, in der EWG für die Kennedy-Runde und für die politischen Integrationsansätze. Eine völlig andere Frage ist die MLF18. Vor Adenauer19 mit de Gaulle20 zusammen- traf, hatte er ihm gesagt, daß er in diesen Dingen (Getreidepreis) de Gaulle gewisse Chancen sichtbar werden lassen könne. Daß es aber hinsichtlich der MLF kein Tausch- geschäft geben könne. Diese Frage gehe alle NATO-Partner an. Er hat sich heute nochmals mit Schröder21 unterhalten. Die Erklärungen von Wilson22 und Gordon Wal- ker23 hatten einigen Staub aufgewirbelt, aber es scheint, als seien die Engländer mehr oder weniger bereit. Er hatte auch bereits in Berlin vor der FDP erklärt, daß keine Zweierbindung erfolgen werde. Dies stehe praktisch auch nicht mehr zur Diskussion. Innerhalb der europäi-

18 Multilateral Force. 19 , MdB (CDU), Bundesvorsitzender der CDU, 1949–1963 Bundeskanzler. 20 Charles de Gaulle, Präsident der Französischen Republik. 21 Gerhard Schröder, MdB (CDU), Bundesminister des Auswärtigen. 22 James Harold Wilson, Premierminister des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. 23 Patrick Gordon Walker, britischer Außenminister.

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schen Bereiche ist in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West das Konzept strategischer nuklearischer Verteidigung vorgezeichnet. Es gibt in Europa keine gleich- wertige Kraft gegen die Sowjetunion. Bei einem konventionellen Krieg würde unser Potential nicht ausreichen. Einem massiven Einsatz muß gleichwertiges entgegengesetzt werden können. Es ist daher der Standpunkt zu vertreten, daß die NATO sich als Gan- zes begreifen und in sich integrieren muß. Zeit: 20.50 Uhr. Ertl: Will die deutsche Delegation den Mansholt-Plan akzeptieren? Kanzler [Erhard]: Nein. Ertl: Was geschieht, wenn andere Länder den Mansholt-Plan ablehnen? (Er verweist auf die »FAZ«24, in der auf die italienische Haltung Stellung genommen wird.) Er bezwei- felt, wie die politisch-europäische Situation durch die Zugeständnisse verbessert werden soll. Er sieht die Gefahr, die Landwirtschaft in ein sozialistisches Subventionskarussell ab- zudrängen. Kanzler [Erhard]: Es ist von uns kein Blanko-Scheck ausgestellt worden. Wir haben Forderungen hinsichtlich der Regionalisierung, der Frachtendifferenzierung und Revi- sionsklausel. Die Verhandlungspartner sind über die Linie instruiert. Es wäre nicht gut gewesen, erst am 15. Dezember ja oder nein zu sagen. Wenn wir 14 Tage vorher soweit sind, können wir eher etwas hereinholen. Italien wird es nicht bis zum Letzten treiben. Sie stehen jetzt ziemlich allein und werden etwas aus der Kasse holen wollen. Rehwinkel erklärte, er habe keine Sorge vor dem Wettbewerb hinsichtlich der deut- schen Situation, er meine, bei dieser Meinung Rehwinkels brauche man nicht weniger hoffnungsvoll zu sein. Logemann: Hat abgesehen davon, daß die weitgehenden Zusagen zu schön sind, um wahr zu sein, die Frage, ob die Regierung bereit ist, die FDP-Novelle zum Landwirt- schaftsgesetz zu unterstützen, so daß dieses verbindlicher für die Regierung gestaltet wird. Was gedenkt die Bundesregierung zur Erhaltung der Familienbetriebe zu tun, wenn durch die Senkung des Getreidepreises die Veredelung sich im gewerblichen Sektor stärker ausweitet? Niedrigere Butterpreise sind für die Familienbetriebe tödlich. Wie können sie abgefangen werden, ist evtl. daran gedacht, Lizenzen für die Neuzulassung zu erteilen? Kanzler [Erhard]: Er hatte nicht den Eindruck bei den Gesprächen mit der Landwirt- schaft, daß dies eine besondere Sorge sei. Im übrigen möchte er annehmen, daß die Frage der Lizenzierung in einer liberalen Partei nickt ernsthaft erwogen werde. Die Frage des Landwirtschaftsgesetzes ist Gegenstand der Verhandlung der Koalitionspar- teien, diese Sache wurde heute früh schon angeschnitten. Vom Standpunkt der Regie- rung sind keine Einwände gegen eine stärkere Konkretisierung. Logemann: Sieht die Gefahr der gewerblichen Veredelung durch den Einsatz großer ausländischer Kapitalsummen und die dadurch bedingte Möglichkeit, hohe Stückzahlen in der Produktion zu erreichen.

24 Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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Kanzler [Erhard]: Teilt nicht die Auffassung, daß im gewerblichen Bereich eine Über- legenheit durch eine andere Kostensituation entstehen könnte, sofern entsprechende Marktorganisationen gebildet werden. Dr. Rutschke: Erkundigt sich wegen der 180 Mio. Lastenausgleichsabgaben mit dem Hinweis, daß die notfalls dem Lastenausgleichsfonds in Zukunft fehlen würden. Kanzler [Erhard]: Eine Gefahr für das LAG25-Aufkommen besteht nicht. Wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken ist man bereits übereingekommen, Leistungen in Höhe dieser 280 Mio. in Form produktenneutraler Subventionen zu leisten. Dürr: Welche Stellung hat Rehwinkel hinsichtlich des Urteils des Bundesfinanzhofes in Sachen VOL26 eingenommen? Werden die Mehrbelastungen für die Landwirtschaft aus dem Haushalt abgedeckt werden? Dr. Dahlgrün: Im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerden wegen des Bewertungsge- setzes hat er einen Brief an alle Fraktionsvorsitzenden geschrieben. Es sei zu hoffen, daß Entscheidungen vor Ende des nächsten Jahres nicht gefällt werden. Es würden davon 1,3 Mio. Landwirte betroffen. Er steht mit den Länderfinanzministern bereits in Ver- bindung wegen einer Regelung für die Übergangszeit. Er ist der Hoffnung, daß hier eine verfassungsneutrale Lösung gefunden wird. Ein entsprechendes Gespräch wird mit dem Generalsekretär Hummel geführt werden, sobald eine Vereinbarung mit den Län- derfinanzministern getroffen worden ist. Wegen des Bewertungsgesetzes hat er auch mit Preusker27 gesprochen. Es ist dabei an eine Neutralisierungsklausel gedacht. Wenn 1966/’67 begonnen wird, wird für die Bewertung eine Zeit von 3 bis 3½ Jahren erforderlich sein. Vor 1970 ist mit einem Abschluß nicht zu rechnen. Mauk: Mit der Einigung über den Getreidepreis sind die anderen Fragen gleichzeitig abzustimmen: Milchpreis, Ölsaaten, Zuckerrübenpreis usw. Gilt die Revisionsklausel über 1967 hinaus? Kanzler [Erhard]: Über 1967 hinaus nicht. Die weiteren Regelungen haben zum 1. Juli 1967 zu folgen. Wegen möglicher Einwände gegen produktenneutrale Subventionen hat er mit Hall- stein28 und von der Groeben29 gesprochen. Er hat die Zusage erhalten, daß es hier bei den Dingen bleibt. Der deutsche Zuckerrübenpreis liegt jetzt bei.6,76 [DM]. Der durch- schnittliche bei 6,75 DM. Wenn der deutsche auf 7,25 DM steigt, ergibt sich ein Durch- schnittspreis von 6,86 DM. Bei einem vollen Ausgleich der 39 Pfennig (6,86 – 7,25 DM) entstehen 50 Mio. DM Differenz. Das wäre eine Größenordnung, über die wir uns jetzt den Kopf nicht zu zerbrechen brauchen. Zoglmann: Ist angesichts unseres großen Opfers eine gewisse Garantie für eine erfolg- reiche Kennedy-Runde gegeben? Welche Sicherheiten haben wir dafür (Dr. Dahlgrün: Nichts III)? Welchen Pressionen werden wir weiter ausgesetzt werden, nachdem wir nunmehr nachgegeben haben?

25 Lastenausgleichsgesetz. 26 Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft. 27 Victor-Emanuel Preusker, Präsident des Zentralverbandes Deutscher Haus- und Grundeigentümer, 1949–1961 MdB (FDP, ab 23. Februar 1956 fraktionslos, ab 15. März 1956 DA, ab 26. Juni 1956 FVP, ab 14. März 1957 DP/FVP, ab 15. Oktober 1957 DP, 1. Juli 1960 fraktionslos, ab 20. September 1960 CDU). 28 , Präsident der EWG-Kommission. 29 Hans von der Groeben, EWG-Kommissar für Wettbewerb.

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Woher soll die Deckung für die genannten Beträge kommen, und wie steht es um die Glaubhaftigkeit eines Finanzministers, der in einem Haushalt von 63,9 Mrd. DM auf einem Spaziergang 840 Mio. freimachen soll? Welche Gewißheit hat der Bauernver- band, daß 2 Mrd. und dann noch weitere Ausgleichsbeträge bezahlt werden? Kanzler [Erhard]: Die Zusagen an den Deutschen Bauernverband sind unter allen Um- ständen zu erfüllen. In Europa-Fragen hat sich nach der Veränderung der Situation hinsichtlich des Getreidepreises sofort eine flexiblere Politik bei den Franzosen und auch den Italienern bemerkbar gemacht. Dies gilt auch für die Ausnahmelisten. Beim französischen Staatspräsidenten und auch beim französischen Botschafter hat sich im Hinblick auf die politische Situation sofort eine positivere Haltung gezeigt. Ob wir ein weiteres Opfer bringen sollen, ist nicht absolut zu beantworten. Er glaubt, daß auch in den genannten Sektoren eine Vereinbarung herbeizuführen ist. Er ist aber überfragt, wenn hier endgültiges dargelegt werden soll; »außerhalb der Agrarpolitik haben wir Forderungen zu stellen«. Was die Glaubwürdigkeit des Finanzministers in der Haushaltspolitik anbelangt, dar- über müssen wir einmal verhandeln. Dem Finanzminister fühlt er sich nicht nur menschlich verbunden. Dr. Emde: Welche Möglichkeiten sieht der Kanzler, die 840 Mio. freizustellen? Hinzu treten Forderungen der CDU, der Koalitionsparteien, Höcherls30, insgesamt mehr als 2 Mrd. zusätzlich. Er persönlich sieht keine Möglichkeit. Kanzler [Erhard]: Man wird sich zusammensetzen müssen, um über Kürzungen zu beraten, ebenso wird die Inkraftsetzung eine Rolle spielen. Die Stabilität der Preise ist das Problem Nr. 1. Schultz: Auf dem sozialpolitischen Gebiet gibt es Forderungen an den Finanzminister. Wenn die Landwirtschaft berücksichtigt wird, werden andere nicht schweigen. Kanzler [Erhard]: Glaubt an eine Übereinstimmung im sozialen Bereich. Es gibt hierin klare Aussagen. Mit seiner Zustimmung zum 312-Mark-Gesetz ist für die Lohnfortzah- lung und die Krankenversicherung kein Raum mehr gewährleistet. Zoglmann: Es sind also 840 Mio. zugesagt worden, ohne daß konkrete Vorstellungen über die Abwicklung vorhanden sind. Kanzler [Erhard]: Wo diese herkommen sollen, kann er im Moment nicht sagen, aber er will der Verantwortung nicht fliehen. Nicht alles, was in den 840 Mio. enthalten ist, ist ganz neu. Ertl: Was wird geantwortet, wenn die SPD sich erkundigt, warum wir ihrem Antrag nicht zugestimmt haben? Welche politischen Folgen wird es haben: a) für die Bauern bei weiteren Subventionen, die sie an sich nicht wollen? b) bei den Verbrauchern, die eher höhere Preise zu erwarten haben? c) beim Steuerzahler, der höhere Subventionen erbringen muß? Kanzler [Erhard]: Er betrachtet Subventionen als ein legitimes Anliegen, wenn sie aus überkonjunkturellen Gesichtspunkten heraus gewährt werden. Er hat die persönliche Erfahrung am Wochenende in seinem Wahlkreis, der zur Hälfte aus bäuerlichen Wäh- lern besteht, gemacht, daß man hier froh ist, die Kuh endlich vom Eis zu haben. Sie haben ihn alle gewählt. Vor der SPD hat er wegen deren Antrag keine Sorge. Was wir für die Landwirtschaft tun, können wir rechtfertigen. Jeder Haarschnitt ist teurer ge- worden, bei den Leistungen, die der Bauer zu erbringen hat, kann man nicht ausgerech-

30 Hermann Höcherl, MdB (CSU), Bundesminister des Innern.

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net viel geringere Einkünfte zumuten. Er wird sich mit der ganzen Kraft des Amtes vor die Bauern hinstellen. Dr. Menne: Ist beabsichtigt, anderen Ländern Konzessionen zu erteilen? Den USA ist es verhältnismäßig gleichgültig, was wir machen, solange sie Zugang zum europäischen Markt haben. Kanzler [Erhard]: Diesem Gedanken gibt er primär recht. Es ist das Anliegen der USA, die Überschüsse abzusetzen. Korrekturen im europäischen Markt liegen im Bereich des Möglichen. Er denkt an das gewerbliche Gebiet, den Abbau der Zölle und Steuern, an die Konjunkturpolitik. Dr. Dahlgrün: Der Kanzler und der Finanzminister zusammen ergeben noch keinen Diktator. Die Haushaltslage ist erschreckend, nicht wegen der fixen Kosten, sondern wenn Rücksicht auf die Landwirtschaft genommen wird, stehen dem gegenüber die großen Wünsche Kohle, der Reeder, der Werften, wobei die Reeder mit einem soge- nannten Blauen Plan an die Öffentlichkeit treten wollen. Am Mittag noch hat er ver- sucht, hier die Dinge etwas zu beeinflussen. Hinzu treten die Wünschen der Sozialaus- schüsse der CDU mit vollen neuen Vorschlägen: Aussteuerbeihilfen 250 Mio., Ehe- schließungskosten 140 Mio. (Zum Kanzler gewendet:) Halten Sie den Teil am Zügel, der mit der SPD zu gehen bereit ist. Man kann mir keinen Vorwurf machen, daß ich nicht mit offenen Karten gespielt hätte. Wir werden 1965 voraussichtlich 700–800 Mio. mehr haben, als ursprünglich vorausgeschätzt werden konnte. Dieser Teil ist weg. für das Steueränderungsgesetz Teil II bleiben noch 100 bis 130 Mio. übrig. Die Bundesbahn möchte 750 Mio., der Sozialbereich zusätzlich 834 Mio., die Landwirtschaft 770 Mio., hinzu treten weitere 938 Mio., ergibt rund 3,2 Mrd. mehr. 1,2 Mrd. sind als Minderaus- gaben zur Herstellung des Gleichgewichts bereits eingesetzt. Dieses Verfahren bringt von Anfang bis Ende des Jahres mit den Ressortministern jede Woche mehrmals Ärger, wenn sie die gesperrten Mittel freihaben wollen. 4,4 Mrd. zusätzlich sind erschreckend, hier kann nur mit Kürzungen drastischster Art etwas erreicht werden. Es tut einem weh, wenn dringende Vorhaben der Atomphysik von 25–30 Mio. nicht finanziert wer- den können. Reichmann: Wer wird der Hauptnutznießer des gesamten Projektes sein? Kanzler [Erhard]: Eine Änderung der Beteiligung am Fonds muß herbeigeführt wer- den. So kann es nicht bleiben. Wir haben dabei Partner. Reichmann: Regt an, ein Weißbuch über die bisherigen Vorleistungen der Bundesre- publik vorzulegen. Kanzler [Erhard]: In diesem Augenblick wäre bei einer Vorlage der Effekt nicht am günstigsten. Wenn aber größere Schwierigkeiten auftreten sollten, ist dies zu erwägen. Kienbaum31: Die Ausgleichsfrage ist offen, obwohl hunderte von Mio. zugesagt wor- den sind. Die Pressionsversuche im Landtag werden übermorgen im Bundestag fortge- setzt werden. Probleme des Ausfalls der Umsatzsteuer, der Bergmannsprämien usw.

Kanzler [Erhard]: Für 350 000 Leute des Bergbaus leistet der Bund ohne Steuervergün- stigungen jährlich über 2 Mrd. Mit den Leistungen der Länder zusammen 3 Mrd. Die Verhandlungen mit Kohle und Öl haben ergeben, daß das Öl nicht mit seinem Absatz in die Verstromung vordringen will. Hier besteht Einvernehmen mit dem Bund und den amerikanischen Bossen. Wenn diese Vereinbarung nicht ziehen sollte, bleibt noch der § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes. Es geht dabei um das Problem, daß die

31 Gerhard Kienbaum, Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein- Westfalen (FDP).

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Kohle aus eigener Kraft wettbewerbsfähig wird. Das Öl ist nirgends so billig wie in der Bundesrepublik. Die Ölfirmen denken an morgen, sie wollen sich bestimmte Quoten erarbeiten. Moersch: Bedeutet die Absage an die Krankenversicherungsreform den Verzicht auf das Mutterschaftsgesetz? Wird die Bundesregierung sich die Einfuhr von Veredelungs- produkten aus dem Osten bei der EWG garantieren lassen? Kanzler [Erhard]: Er hat mit Hallstein darüber gesprochen. Dieses Interesse ist mit Frankreich gemeinsam. Das Ja zur Vermögensbildung wurde von ihm gegeben, unter der Voraussetzung, daß die anderen Dinge nicht erfolgen. Dr. Starke: Hat Bedenken wegen des Wortes, Subventionen seien ein legitimes Mittel. Selbstverständlich vertritt er die Auffassung, daß die Landwirtschaft ihr Auskommen haben muß. Die Frage stellt sich nur, wo das Geld herkommen soll. Er verweist auf die Verhältnisse in der Schweiz. Im erwähnten Zusammenhang hält er Subventionen nicht mehr für ein legitimes Mittel. Dies ist ein Abgang von der Basis, die wir gemeinsam haben. Die neue Finanzordnung der EWG sollte vom Getreidepreis abhängig gemacht werden. Es stecken darin bereits wieder Zugeständnisse deutscher Beamter. Der Ost- handel wie andere Drittländer hängen vom Absatz ihrer Veredelungsproduktion ab. Was geschieht, wenn bei uns keine Einfuhrlücke mehr besteht? Die Koalitionspartner müssen vor dem 15. Dezember sehen, was vereinbart werden soll. Sonst werden von uns Dinge zugestanden, die man nicht mehr ändern kann. Kanzler [Erhard]: Selbstverständlich wäre es der Landwirtschaft lieber, wenn sie die Kosten über die Preise decken könnte. Man wollte vor der Wahl nicht an das Problem heran. Nach gewonnener Schlacht kann man es sehr wohl deutlich machen, daß es sich um ein fragwürdiges Unternehmen han- delt. Der Hinweis auf die Schweiz ist in diesem Zusammenhang interessant. Wir kön- nen einen Zweig nicht völlig erstarren lassen. Die anderen Fragen würden in der Dis- kussion zu sehr ins einzelne führen. Man müßte sich hierzu vorher orientieren. Dr. Starke: Die Schwierigkeiten liegen darin, daß die Subventionen nicht mehr rück- gängig zu machen sind. Dr. Emde: Er hat bei den Kriegsopfern die Zusage gegeben, daß 400 Mio. gestrichen werden können, ohne daß die Richtung geändert werden muß. Glaubt das Kabinett, daß der Haushaltsausschuß ohne Änderung des Volumens, ohne tiefgreifende Strei- chungen, den Verteidigungshaushalt, die die Planungen intern verändern, auch hier entsprechende Lösungen finden kann? Kanzler [Erhard]: Darüber muß noch in dieser Woche gesprochen werden. Zoglmann: Ist der Kanzler der Auffassung, daß Ministern aus dem Ostblock, die für Fragen des Osthandels zuständig sind, das Einreisevisum nicht erteilt werden soll? Sind Sie zu einer entsprechenden Weisung an das Auswärtige Amt bereit, daß, nicht wie geschehen, solche Visen verweigert werden? Halten Sie es für zweckmäßig, daß der deutsche Botschafter in Bukarest ausgerechnet bei einem Staatsakt in einem Beuck32 vorfährt, wenn gleichzeitig festzustellen ist, daß von 58 vorfahrenden Fahrzeugen 22 deutscher Herkunft sind? Mischnick: Bedauert, daß das Problem der 840 Mio. nicht gelöst ist. Es ist wohl klar, daß der Finanzminister, wenn es um entsprechende Kürzungen geht, nicht als Schuldi- ger dastehen kann.

32 Gemeint ist die Automarke »Buick«.

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Kanzler [Erhard]: Es kommt gar nicht in Frage, daß die gemeinsamen Beschlüsse zu Lasten der FDP gehen. Er fühlt sich dem Finanzminister nicht nur persönlich verbun- den, er würde solch eine Haltung als illoyal und unfair betrachten. Der Kanzler wird sich um die politische Verantwortung nicht drücken. 22.00 Uhr, Diskussion in der Fraktion. Ertl: Geht auf die vorbereitete Große Anfrage des Landwirtschaftsgesetzes und einer Reihe weiterer Punkte ein. Mischnick: Die FDP-Forderungen sind nicht abgelehnt. Dr. Dahlgrün: Unter der Wortführung Effertz ist über das Landwirtschaftliche Anpas- sungsgesetz gesprochen worden. Schwarz hat dem zugestimmt. Das Bauernpräsidium hat dem zugestimmt. Die Jahre ’65/’66 sollen als Vorfeldjahre behandelt werden. Über die Regelungen nachher wird gesprochen werden. Entsprechende Verbindungen sind mit Hummel aufgenommen. Jacobs33, Bauknecht und Feury haben dem Gesetz zugestimmt, obwohl zunächst wegen Struve und der CSU gewisse Sorgen bestanden. Zum Abschluß war jedoch eine einheit- liche Meinung vorhanden. Wenn wir en bloc gegen den Getreidepreis stimmen, bestehen eine Reihe anderer Be- denken, die uns von der EWG her in weitere Schwierigkeiten bringen können, z. B. beim Milchpfennig. Wir können den Gang der Verhandlungen in Brüssel nicht koaliti- onsmäßig beschließen und bis zum 31.12.1965 warten. Schwarz und Hüttebräuker34 können sich so auf ein Zehnjahresanpassungsprogramm einrichten. Zur Finanzierungsverordnung hat der Kanzler nicht geantwortet, da er nicht dabei war, als sie beschlossen wurde. Hinsichtlich der Abschöpfungseinnahmen wird der Kommission ein Vorschlag unter- breitet werden. Dies gilt ebenso für die Zollschranken und die Steuergrenzen. Man sollte das nicht als Junktim tun, sondern im Rahmen gewisser Erklärungen. Von seiten der Franzosen ist eine Bereitschaft hierzu da, wie sie erklärten. Dr. Effertz: Erhard hat heute morgen noch unter dem Einfluß Struves dem EWG- Anpassungsgesetz widersprochen. Nach den Äußerungen Mischnicks und Dahlgrüns war dies heute mittag bereits anders. Struve war dagegen, weil die Initiative von der FDP kam. Es war ihm (Effertz) schon vorher mitgeteilt worden, daß, wenn Bauknecht und Feury den Widerstand Struves brechen, daß dann auch Barzel nicht mehr dagegen sei. Ertl: Weist auf Punkt 6) des Berliner Programms, auf dem Wahlaufruf 1961. Wir wer- den aus dem Subventionskarussell nicht mehr herauskommen. Die SPD wird der große Gewinner sein. Wir müssen auf den 19. März eingehen und sagen, daß in einem Indu- striestaat die Regelung besser über die Preise erfolgt. Nachdem die Dinge aber so gelau- fen sind, sind die 800 Mio. auf unsere Initiative hin zustande gekommen. Dr. Starke: Es ist etwas schief gegangen, weil im Kanzleramt einige führende Herren der Auffassung waren, daß das, was er und einige Vertreter der Bauern vertreten, sei deren Minderheitenmeinung und nicht die der Fraktion. Die europäischen Fragen werden politisch nicht um einen Funken belebt. In diesem Geschäft ist Neef35 neu, Erhard war nie da, Grund36 ist neu, ebenfalls Schmücker. Die

33 Gemeint ist wohl Konrad Jacob, Präsident des Hessischen Bauernverbands. 34 Rudolf Hüttebräuker, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 35 Fritz Neef, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft.

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europäische Finanzordnung muß 1965 gemacht werden. Erhard war der Auffassung, die Atomflotte sei die politische Frage, über die man das Geschäft mit dem Getreide- preis machen könne. Abgesehen davon hat er sich aber in der Fraktion gut geschlagen. Aber er kann nicht mehr mit, wenn die Auffassung vertreten wird, die Subvention sei ein legitimes Mittel. Die Konsequenzen werden dieselben sein wie die der dynamischen Rente von 1957. Seine innere Einstellung ist, daß die Bundesregierung sich absolut ge- gen das eingesetzt hat, was die FDP will. Die FDP hat ihren Apparat nicht entsprechend eingesetzt. Es muß jetzt gerettet wer- den, was zu retten ist. Er wird nach allem diese Lösung vertreten, auch wenn es ihm wahnsinnig schwer fällt. Schmidt: Feury war vorbereitet. Das wird gegen uns ausgenutzt. Mischnick: Wenn die Vereinbarungen nicht richtig waren, muß man uns jetzt sagen, was wir im Kanzleramt hätten tun sollen. Mauk: Es war ihm heute morgen neu, daß der Bauernverband zu den Kanzlervorschlä- gen ja gesagt hat. Er sah daher im Moment gar keine anderen Möglichkeiten. Es bleibt nur die Hoffnung, daß die EWG-Bauern gemeinsam hier andere Wege suchen. Schultz: Er hat die gleichen Bedenken wie Dr. Dehler und Ertl. Es war das mieseste, was passieren konnte. Eine ablehnende Haltung von uns jedoch wäre nicht als ein Ver- such zu einer besseren Lösung abgenommen worden, sondern als eine Gegnerschaft gegen die sozialen Leistungen. Moersch: Ist anderer Meinung. Die Fraktion hätte die Woche zuvor tagen müssen. Er macht es dem Vorstand zum Vorwurf, daß nichts geschehen ist. Rehwinkel wäre für ihn überhaupt kein Argument. Dies wäre ein Punkt, wo man fragen muß, ob es einen Sinn hat, unter solchen Bedingungen die Koalition fortzusetzen. Der Kanzler weiß wegen 840 Mio. nicht Bescheid. Nach der Zustimmung zum 312-Mark-Gesetz sieht er über- haupt keine Basis mehr. Mischnick: Weist darauf hin, daß schon aus dem ganzen Zeitablauf eine Einberufung der Fraktion nicht möglich war, es ei sei denn auf 6.00 bis 9.00 Uhr vor dem Koalitions- gespräch. Dr. Krümmer: Sieht sich seit seiner Mitgliedschaft in der Fraktion in der deprimierend- sten Situation. Wie kann man einer Sache zustimmen, die a) nichts bringt, b) gegen eigene Grundauffassungen verstößt, c) die Vermutung bestärkt, daß von der FDP nicht richtig die Möglichkeit gesehen worden ist? Weber: Wir können noch ein klares Nein sagen, wir müssen nur der ganzen deutschen Öffentlichkeit sagen, was dieser Vorschlag bedeutet. Offensichtlich waren die Kabi- nettsmitglieder vorher nicht damit befaßt. Dr. Effertz: Er war in Verbindung mit Rehwinkel. Er hat ihn dazu gebracht, ein kate- gorisches Nein zu sagen, wenn ein voller Ausgleich nicht gewährleistet ist. Es war klar, daß Erhard nachgeben wollte. Logemann: Bedauert, daß Starke von der Fraktion nicht unterstützt wurde. Er möchte der Verhandlungskommission trotz allem seine Anerkennung aussprechen. Es handelt sich um die Verwirklichung alter FDP-Forderungen.

36 Walter Grund, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.

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Zoglmann: Im Plenum müssen die Bedenken dargelegt werden und auch die Opfer, die wir bisher gebracht haben, Erwähnung finden. Die Erpressungen werden trotzdem weitergehen. Dr. Starke: Die 1,1 Mrd. DM werden in den Großstädten schwer zu verkaufen sein. Trotzdem konnten wir jetzt nicht nein sagen. Zoglmann: Der Kanzler hat uns am Montag getäuscht, als er erklärte, Adenauer seien keine Vollmachten hinsichtlich des Getreidepreises erteilt worden. Eine Darstellung des Getreidepreisproblems muß morgen in die Partei hinaus.

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