30. November 1964: Fraktionssitzung
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FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 30. 11. 1964 30. November 1964: Fraktionssitzung ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-758. Überschrift: »Kurzprotokoll der Frakti- onssitzung am 30. November 1964«. Zeit: 20.02–23.50 Uhr. Vorsitz: Mischnick. Anwe- sende Fraktionsmitglieder: keine Angabe. Sitzungsverlauf: A. Bericht über die letzten Koalitionsgespräche. B. Bericht von Bundeskanzler Erhard über die europäische Agrarpolitik und den Mansholt- Plan mit anschließender Aussprache. [A.] Mischnick: a) Bekanntgabe der abwesenden entschuldigten Abgeordneten. b) Gratulation für Herrn Ertl zur Wahl als stellvertretender Landesvorsitzender der FDP in Bayern. c) Bericht über die letzten Koalitionsgespräche. 1. Koalitionsgespräch 23.11.1964. Diente der Information. Teilnehmer: FDP: Zog- lmann, Dr. Starke, Dr. Effertz, Mischnick, Dr. Dahlgrün. CDU: Brand1, Struve2 usw. CSU nicht vertreten, außerdem Westrick3 und Schmücker4 neben dem Kanzler. Erhard unterrichtete über die Gespräche mit dem Bauernverband. Begründung: Man müsse sich »von der Stelle bewegen« in Brüssel. Die FDP vertrat die Auffassung, bzw. hatte den Eindruck, daß die Meinungsbildung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Der Artikel Feurys5, in dem eine Anhebung des Getreidepreises gefordert worden war, kam zur Sprache. Es wurde erklärt, daß die Abwesenheit der CSU damit in keiner Verbindung stünde. Der Kanzler erklärte, daß hinsichtlich des 15. Dezembers keine Zusagen zu vorzeitiger Harmonisierung g erfolgt sind. Es sei also durch die Koalition nichts abzudecken, was ohne Auftrag über die Regie- rung erfolgt sei. Die Bundesrepublik befinde sich auf der Anklagebank. Bei dem Hin- weis auf die Entschließung im Bundestag vom 19. März ds. Js. war aus der Reaktion von Hohmann6-Westrick und dem Kanzler eindeutig festzustellen, daß diese Entschließung ihnen offensichtlich entgangen war. Im Laufe der Sitzung wurde festgestellt, daß diese Entschließung nach wie vor Gültigkeit besitzt. Das nächste Gespräch fand zusammen mit dem Bauernverband am Freitag vergangener Woche statt. FDP-Teilnehmer: Dr. Dahlgrün, Zoglmann, Genscher7, Mischnick. Wir hatten Dr. Dahlgrün nahegelegt, keinerlei Vorschläge zu machen. Das heutige Ge- spräch fand in einer einmaligen Konstellation zwischen drei Gruppen statt. Regierung: 1 Peter Wilhelm Brand, MdB (CDU), Vorsitzender des Arbeitskreises II (Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft) der CDU/CSU-Fraktion, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. 2 Detlef Struve, MdB (CDU) stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erster Vorsitzender des Bauernverbandes Schleswig-Holstein. 3 Ludger Westrick, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts (CDU). 4 Kurt Schmücker, MdB (CDU), Bundesminister für Wirtschaft. 5 Otto Freiherr von Feury, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (CSU). 6 Karl Hohmann, Ministerialdirektor und Leiter des Kanzlerbüros im Bundeskanzleramt. 7 Hans-Dietrich Genscher, Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Copyright © 2018 KGParl 1 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 30. 11. 1964 Erhard, Blank8, Schwarz9, Schmücker, Lahr10. CDU/CSU und FDP: Dr. Barzel11, Strauß12, Brand, Bauer13-Wasserburg, Dr. Starke, Dr. Effertz, Mauk, Mischnick. Bau- ernverband: Rehwinkel14, Struve, von Feury, Bauknecht15, Hummel16. Erhard trug folgendes vor: Zusätzliche Leistungen für die Landwirtschaft für 1965 im Rahmen der Vorfeldbereinigung 840 Mio. DM davon 460 Mio. DM für Altersversorgung 150 Mio. DM Unfallversicherung 150 Mio. DM Zuckersteuer 70 Mio. DM Ablösung von Altdarlehen 50 Mio. DM Diesel-Kraftstoff-Verbilligung 460 Mio. DM Zweite Gruppe 380 Mio. DM davon Grundsteuer 200 Mio. DM Ablösung des Lastenausgleichs 180 Mio. DM Gegen diese letzten beiden Vorschläge bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Ein- mal würden die Lastenausgleichsabgaben voll beseitigt, zum anderen die Grundsteuer auf die Hälfte ermäßigt. Daher bleiben zunächst die 380 Mio. DM offen. Zu diesem Gesamtbetrag von 840 Mio. DM ist für 1966 ein zusätzlicher Betrag von 260 Mio. vorgesehen, so daß für dieses Jahr eine Gesamtsumme von 1,12 Mrd. DM zustande kommt. Vom Zeitpunkt der Getreidepreissenkung an ist ein Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem späteren und heutigen Preis vorgesehen. Der Bauernverband soll sich mit dieser Lösung einverstanden erklärt haben. Offen blieb die Frage, wer diese Summen aufzubringen hat und wie sie aufzubringen sind. Nach diesem Vorschlag zogen sich die drei Gremien einzeln zur weiteren Beratung zurück. Zwischen den Fraktionen wurde folgendes vereinbart: Am Mittwoch erfolgt eine Erklä- rung im Plenum im Rahmen eines Teiles I über die europäischen Notwendigkeiten. Am Donnerstag werden im Teil II die Zahlen vorgetragen. Der Kanzler muß sich auf den 19.3. beziehen und darlegen, welche Gründe für eine andere Haltung maßgebend gewe- sen sind. Mit Dr. Starke wurde dann darauf hingewiesen, daß in der Erklärung die Fra- ge des Zuckerrübenpreises, des Preises für die Ölfrüchte, die Frage der Marktordnun- gen, die Frage einer Finanzordnung mit in der EWG zu behandeln sind. Der Kanzler 8 Theodor Blank, MdB (CDU), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. 9 Werner Schwarz, MdB (CDU), Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 10 Rolf Lahr, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. 11 Rainer Barzel, MdB (CDU), stellvertretender und amtierender Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfaktion. 12 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzen- der der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Landesvorsitzender der CSU. 13 Josef Bauer, MdB (CSU), stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. 14 Edmund Rehwinkel, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. 15 Bernhard Bauknecht, MdB (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes. 16 Johannes Hummel, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Copyright © 2018 KGParl 2 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 30. 11. 1964 meinte, das Ganze müsse unter dem größeren Gesichtspunkt Europa gesehen werden. Wir haben darauf hingewiesen, daß ohne eine Regelung dieser Dinge die Bundesrepu- blik in kürzester Frist wieder auf der Anklagebank sitzen würde. Offensichtlich hatte man sich darüber keine Gedanken gemacht. Außerdem soll die Finanzierung in den Gesprächen zwischen den Ressorts geklärt werden. Wir standen vor folgender taktischer Situation: Auf der Erklärung vom 19.3. weiter zu bestehen. Dem stand eine Einigung von Bauernverband und Bundeskanzler gegenüber. Wir hätten uns gegen diese Vorschläge stellen können oder sie angesichts der Fragen, die mit gelöst werden sollen, und die wir mit gelöst haben wollen, annehmen können. Nach unserer Meinung wäre es gefährlich gewesen, sich dagegen zu erklären, weil in der Öffentlichkeit damit der Eindruck entstanden wäre, wir wollten diese Leistungen für die Landwirtschaft nicht, ohne daß die Möglichkeit bestanden hätte, uns mit unserer eigenen Auffassung durchzusetzen. In dieser Situation hielten wir es für das Beste, wenn der Kanzler vor das Plenum tritt. Die FDP sollte in der Debatte ihre Skepsis zum Ausdruck bringen, ebenso die Hoffnung, daß die Opfer, die von uns erbracht werden, eine Würdigung finden. Entsprechende ergänzende Darlegungen sollen nach den Äuße- rungen des Kanzlers vorgetragen werden. Er schlägt vor, daß nach dem Eintreffen des Kanzlers nach dessen Vortrag nicht disku- tiert wird, sondern lediglich Fragen gestellt werden. Zeit: 20.28 Uhr. [B.] Bundeskanzler Erhard: Geht auf den 19. März und die Entschließung ein. Ein entsprechender Standpunkt wur- de von ihm bis zum letzten vertreten. Er hat bis eine Minute vor 12.00 Uhr gewartet. Wir sind auf dem europäischen Felde der Integration nicht weitergekommen. Wir wer- den dabei für alles schuldig gesprochen. Ein hartes Nein wäre hierbei nicht sehr ange- nehm, wenn wir mit den bescheidenen Vorschlägen zur Europapolitik weiter kommen wollen. Es wird uns entgegengehalten, wie sollen wir diesen Vorstoß ernstnehmen, wenn ... Der Schritt über den Rubikon soll nicht gegen die Landwirtschaft, sondern mit der Landwirtschaft getan werden. Er hat daher Gespräche geführt, a) mit Rehwinkel b) mit den Fraktionen c) nochmals mit Rehwinkel d) mit der Europäischen Kommission in Brüssel. Ergebnis: 1. Der Getreidepreis wird vor dem 1. Juli 1967 nicht diskutiert, nachdem das Jahr 1966 einmal erörtert wurde. 2. Wenn eine gemeinsame Basis nicht zustande kommen könnte, bestünde die Gefahr, ab 1. Januar 1966 majorisiert zu werden. 3. Ausgleichszahlungen sollen vom 1. Juli 1967 bis 1. Januar 1970 erfolgen. Die Bun- desregierung ist mit 560 Mio. DM nicht zufrieden. 4. Über die Höhe des gemeinsamen Getreidepreises ist eine konkrete Aussage nicht gemacht worden. Mansholt17 hatte 425 DM pro dz gefordert. Wir waren dabei vor- 17 Sicco Leendert Mansholt, EWG-Kommissar für Landwirtschaft und Vizepräsident der EWG- Kommission. Copyright © 2018 KGParl 3 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 30. 11. 1964 sichtig. Es stellt sich nicht nur die Frage des absoluten Getreidepreises, sondern auch die Relation zum Roggenpreis, zum Futtergetreidepreis usw. Wir sind uns mit Mansholt einig, daß die Relation 100 : 85 vom Getreide- zum Futtergetreidepreis wichtiger als die absolute Höhe ist. Eine Veränderung dieser Relation wäre schlech- ter als ein paar DM mehr oder weniger. Wie hoch die Ausgangszahlungen anfangs liegen werden für den Ausgleich nach der Senkung bei 560 Mio. 800 Mio. oder einer Mrd., kann nicht gesagt werden. Die Landwirtschaft hat hier selbst Angst wegen des Zündstoffes. Er glaubt,