Weimarer Republik
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II Die bayerische SPD während der Weimarer Republik Der Freistaat Bayern entsteht Kurt Eisner übernimmt die Regierung Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“ Räte oder Nationalversammlung? Die Wahlen vom 12. Januar 1919 Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“ Die staatsrechtliche Neuordnung Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“ Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus Der Untersuchungsausschuss zum Hitlerputsch August 1930: Die BVP verweigert ein Bündnis mit der SPD WDieeimarer bayerische SPD Fazit: das Dilemma der bayerischen Sozialdemokratie Republik 35 II DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK Der Freistaat Bayern entsteht Die Revolution des Jahres 1918 kam für die meisten digung des Krieges und zur Beseitigung des seiner Untertanen der bayerischen Krone überraschend. Ansicht nach dafür verantwortlichen Herrschaftssys- Revolution trotz Die Verfassungsreformen standen unmittelbar vor ih- tems wieder aufgenommen hatte. versprochener rem Abschluss und hatten einen friedlichen Übergang Verfassungsreformen zur parlamentarischen Monarchie versprochen (siehe Die bayerische USPD (Unabhängige Sozialdemokra- Kapitel 1). Die Landtags-SPD war daran beteiligt ge- ten) war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr als wesen und sollte auch in der neuen bayerischen Re- ein kleines Häuflein von Sektierern, deren Durchset- gierung vertreten sein. Revolutionäre Unruhe war al- zungschancen allgemein als äußerst gering galten. lenfalls in der Landeshauptstadt zu spüren gewesen, Dennoch gelang es Eisner und den Unabhängigen am wo Kurt Eisner nach seiner Haftentlassung den mit 7. November 1918, die gemeinsame Friedensdemons- dem Januarstreik 1918 begonnenen Kampf zur Been- tration von MSPD (Mehrheitssozialdemokraten), Der Umsturz begann auf der Münchner Theresienwiese Eine neue Zeit bricht an: Die sozialistischen Parteien Münchens haben am 7. November 1918 zur Friedenskundgebung aufgerufen. 37 Die Monarchie ist in Bayern Geschichte: Die Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen die Macht. USPD und Gewerkschaften auf der Münchner The- in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! resienwiese zum Ausgangspunkt der Revolution zu Es lebe die Revolution!‘“ machen. Mit dabei war der Privatsekretär von Kurt Eisner, Felix Fechenbach. Aus seiner Schilderung des Da ernsthafter Widerstand ausblieb, kam es im Ma- Der Landtag Geschehens: thäserbräu umgehend zur Bildung eines Arbeiter- und wird gestürmt! eines Soldatenrates. Der Landtag wurde gestürmt „Dort, wo auf der Wiese die Soldaten standen, und umgehend die erste gemeinsame Sitzung der Ar- war nicht alles so programmäßig verlaufen. Drei beiter- und Soldatenräte eröffnet. In einem rasch for- Redner sprachen an dieser Stelle. Zuerst Kurt Eis- mulierten Aufruf (siehe oben) nahmen diese für sich ner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet wor- in Anspruch, die Regierung in sicherer Hand zu ha- den, man müsse jetzt handeln! Der Bauernführer ben. Tags darauf, am 8. November 1918, fand die ers- Ludwig Gandorfer verspricht, daß das Landvolk te Tagung des „Provisorischen Nationalrates“ statt. die Arbeiter nicht im Stich lassen werde. Dann tre- Der alte Landtag galt als nicht mehr existent, obgleich te ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand, eine offizielle Auflösung nie erfolgte. Formal betrach- erinnere daran, daß die Soldaten in den Kasernen tet, hatte damit auch die SPD-Landtagsfraktion zu zurückgehalten werden. Und dann: ‚Soldaten! Auf bestehen aufgehört. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK Kurt Eisner übernimmt die Regierung Kurt Eisner (1867–1919) stammte aus bürgerlichen mit den Unabhängigen eine gemeinsame Regierung Verhältnissen und entschied sich nach Abbruch des zu bilden, so handelte es sich dabei um eine rein prag- Studiums für den Beruf des Journalisten. Der Sozial- matische Entscheidung: Um von der Entwicklung demokratie trat er erst 1898 bei. Wilhelm Liebknecht, nicht fortgespült zu werden, sondern sie mittragen der Chefredakteur des „Vorwärts“, holte ihn zum und mitgestalten zu können, dürfte man nicht abseits Zentralorgan der Partei nach Berlin. 1907 wechselte stehen. Davon zeugen die internen Verhandlungen, er nach Nürnberg an die „Fränkische Tageszeitung“, die der Kabinettsbildung auf Seiten der MSPD vor- 1910 ging Eisner als Landtagsberichterstatter für die ausgingen. Aus den Erinnerungen des späteren Justiz- Kurt Eisner, Vorsitzender Parteipresse nach München. Bei Ausbruch des Ersten ministers Johannes Timm: des Arbeiter- und Weltkrieges befürwortete er zunächst die Kriegs- Soldatenrates und später kredite, wandelte sich jedoch rasch zu einem der „In unserem Fraktionszimmer waren alle Kollegen Ministerpräsident schärfsten Kriegsgegner und zum radikalen Kritiker erschienen. Kurt Eisners Aufruf in den Morgenzei- des bestehenden politischen und tungen war bekannt, ebenso die Erklärung des gesellschaftlichen Systems. Für Münchener Polizeipräsidenten von Beckh, die ei- ein Landtagsmandat bewarb er ner Abdankung gleichkam. Es stand fest, daß die sich erstmals bei den Januar- revolutionären Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte wahlen des Jahres 1919. mit Kurt Eisner an der Spitze die Macht in Händen hatten. […] Jetzt galt es zu entscheiden, wie unse- Die Revolution vom 7. Novem- re Partei sich in Bayern zu den vollzogenen neuen ber 1918 hatte nicht nur zum Machtverhältnissen einzustellen habe. […] Die Be- Sturz der bayerischen Mo- ratung selbst war von kurzer Dauer. Es bestand nur narchie geführt, sie hatte mit eine Meinung darüber, daß die Beherrschung der Kurt Eisner und seinen Gefolgs- neuen Situation Kurt Eisner und seinen Anhängern leuten erstmals auch Sozialdemo- nicht allein überlassen werden dürfe. Dazu war die kraten an die Macht gebracht. ganze Lage zu kritisch.“ Die revolutionären Ereignisse verdeutlichten allerdings auch An diesen Verhandlungen hatten die Mitglieder der das Dilemma, in dem sich die ehemaligen Landtagsfraktion, aber auch Vertreter der Sozialdemokraten bereits zu die- freien Gewerkschaften teilgenommen. Um die Kon- sem Zeitpunkt befanden: Die trolle über die Ereignisse nicht völlig zu verlieren, vo- bayerische Mehrheitssozialde- tierten die Anwesenden für eine Zusammenarbeit mit mokratie hatte die Revolution Eisner. Zugleich erarbeiteten sie einen Vorschlag für nicht gewollt, ja sogar aktiv be- die Besetzung der Ministerposten, der bei den Ver- Titelblatt der Zeitschrift „Simplicissimus“ im November 1918: Die Revolution spült die kämpft. Wenn ihre Anführer handlungen mit Eisner nur noch kleinere Änderun- Fürstenkronen hinweg. sich dennoch dazu bereit fanden, gen erfuhr. Kurt Eisner übernimmt die Regierung 39 Angelegenheiten – ein klares Übergewicht. Alle Die Sozialdemokraten MSPD-Minister hatten der früheren SPD-Landtags- im Kabinett Eisner fraktion angehört. Vervollständigt wurde das Kabinett durch zwei bürgerliche Fachminister: Heinrich von Frauendorfer (Verkehr) und Edgar Jaffé (Finanzen). Am 8. November 1918 stellte Eisner die Mitglieder der neuen Regierung im Provisorischen Nationalrat vor. Sie wurden von den Delegierten per Akklamation bestätigt. Erhard Auer (1874–1945) stammte aus ärmlichs- ten Verhältnissen und wuchs elternlos als Dorfar- menkind auf. Dennoch gelang es ihm, aus dem kleinbäuerlichen Milieu auszubrechen, eine Be- rufsausbildung zum Kaufmann zu absolvieren und in der sozialdemokratischen Partei rasch auf- zusteigen. Damit verkörperte er beispielhaft den Selbstbehauptungs- und Emanzipationswillen der bayerischen Arbeiterbewegung. Als langjäh- riger Sekretär und enger Vertrauter Georg von Vollmars unterstützte er den von Vollmar einge- schlagenen reformorientierten Sonderweg der Innenminister und Entwurf für die Ministerliste der Regierung Eisner vom bayerischen Sozialdemokratie. Aufgrund seiner Kurt Eisners 8. November 1918 Fixierung auf reformistische Ziele brachte Auer Gegenspieler: für die hoch gesteckten Ziele von Kurt Eisner Erhard Auer Dem neuen Kabinett gehörten nur zwei Unabhängi- und dessen Gefolgschaft wenig Verständnis auf. ge an, Kurt Eisner selbst (Ministerpräsident und Auf lange Sicht entfremdete er sich damit auch Außenminister) sowie Hans Unterleitner (Minister von vielen seiner eigenen Anhänger. Der SPD- für soziale Fürsorge). Diesen gegenüber besaß die Landtagsfraktion gehörte Auer von 1907 bis MSPD mit ihren vier Ministern – Johannes Hoff- 1933 an. mann wurde Vizepräsident und Kultusminister, Er- hard Auer Innenminister, Johannes Timm Justizmi- nister, Albert Roßhaupter Minister für militärische DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“ Im Zuge der Revolution waren die Funktionen des Landtages auf die neu geschaffenen revolutionären Gremien übergegangen. Dabei repräsentierten vor allem die Münchner Arbeiter- und Soldatenräte den Machtanspruch der revolutionären Kräfte. An ihre Seite trat bald darauf ein Bauernrat, der die Verbun- denheit zwischen Stadt und Land verkörpern sollte. Aber auch außerhalb der bayerischen Landeshaupt- stadt kam es im November und im Dezember 1918 zur Bildung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrä- ten. In der Mehrzahl waren diese Gremien keines- wegs linksradikal eingestellt. Vielmehr verstanden sie sich selbst meist als vorübergehende Einrichtungen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie als Instanzen zur Sicherung der revolutionären Er- rungenschaften. So hieß es im Aufruf des Münchner Arbeiter- und Soldatenrates