II Die bayerische SPD während der Weimarer Republik

Der Freistaat Bayern entsteht

Kurt Eisner übernimmt die Regierung

Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“

Räte oder Nationalversammlung? Die Wahlen vom 12. Januar 1919

Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen

Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen

Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“

Die staatsrechtliche Neuordnung

Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition

Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“

Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus

Der Untersuchungsausschuss zum Hitlerputsch

August 1930: Die BVP verweigert ein Bündnis mit der SPD WDieeimarer bayerische SPD Fazit: das Dilemma der bayerischen Sozialdemokratie Republik 35 II DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Der Freistaat Bayern entsteht

Die Revolution des Jahres 1918 kam für die meisten digung des Krieges und zur Beseitigung des seiner Untertanen der bayerischen Krone überraschend. Ansicht nach dafür verantwortlichen Herrschaftssys- Revolution trotz Die Verfassungsreformen standen unmittelbar vor ih- tems wieder aufgenommen hatte. versprochener rem Abschluss und hatten einen friedlichen Übergang Verfassungsreformen zur parlamentarischen Monarchie versprochen (siehe Die bayerische USPD (Unabhängige Sozialdemokra- Kapitel 1). Die Landtags-SPD war daran beteiligt ge- ten) war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr als wesen und sollte auch in der neuen bayerischen Re- ein kleines Häuflein von Sektierern, deren Durchset- gierung vertreten sein. Revolutionäre Unruhe war al- zungschancen allgemein als äußerst gering galten. lenfalls in der Landeshauptstadt zu spüren gewesen, Dennoch gelang es Eisner und den Unabhängigen am wo nach seiner Haftentlassung den mit 7. , die gemeinsame Friedensdemons- dem Januarstreik 1918 begonnenen Kampf zur Been- tration von MSPD (Mehrheitssozialdemokraten),

Der Umsturz begann auf der Münchner Theresienwiese

Eine neue Zeit bricht an: Die sozialistischen Parteien Münchens haben am 7. November 1918 zur Friedenskundgebung aufgerufen. 37

Die Monarchie ist in Bayern Geschichte: Die Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen die Macht.

USPD und Gewerkschaften auf der Münchner The- in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! resienwiese zum Ausgangspunkt der Revolution zu Es lebe die Revolution!‘“ machen. Mit dabei war der Privatsekretär von Kurt Eisner, . Aus seiner Schilderung des Da ernsthafter Widerstand ausblieb, kam es im Ma- Der Landtag Geschehens: thäserbräu umgehend zur Bildung eines Arbeiter- und wird gestürmt! eines Soldatenrates. Der Landtag wurde gestürmt „Dort, wo auf der Wiese die Soldaten standen, und umgehend die erste gemeinsame Sitzung der Ar- war nicht alles so programmäßig verlaufen. Drei beiter- und Soldatenräte eröffnet. In einem rasch for- Redner sprachen an dieser Stelle. Zuerst Kurt Eis- mulierten Aufruf (siehe oben) nahmen diese für sich ner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet wor- in Anspruch, die Regierung in sicherer Hand zu ha- den, man müsse jetzt handeln! Der Bauernführer ben. Tags darauf, am 8. November 1918, fand die ers- Ludwig Gandorfer verspricht, daß das Landvolk te Tagung des „Provisorischen Nationalrates“ statt. die Arbeiter nicht im Stich lassen werde. Dann tre- Der alte Landtag galt als nicht mehr existent, obgleich te ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand, eine offizielle Auflösung nie erfolgte. Formal betrach- erinnere daran, daß die Soldaten in den Kasernen tet, hatte damit auch die SPD-Landtagsfraktion zu zurückgehalten werden. Und dann: ‚Soldaten! Auf bestehen aufgehört. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Kurt Eisner übernimmt die Regierung

Kurt Eisner (1867–1919) stammte aus bürgerlichen mit den Unabhängigen eine gemeinsame Regierung Verhältnissen und entschied sich nach Abbruch des zu bilden, so handelte es sich dabei um eine rein prag- Studiums für den Beruf des Journalisten. Der Sozial- matische Entscheidung: Um von der Entwicklung demokratie trat er erst 1898 bei. , nicht fortgespült zu werden, sondern sie mittragen der Chefredakteur des „Vorwärts“, holte ihn zum und mitgestalten zu können, dürfte man nicht abseits Zentralorgan der Partei nach . 1907 wechselte stehen. Davon zeugen die internen Verhandlungen, er nach Nürnberg an die „Fränkische Tageszeitung“, die der Kabinettsbildung auf Seiten der MSPD vor- 1910 ging Eisner als Landtagsberichterstatter für die ausgingen. Aus den Erinnerungen des späteren Justiz- Kurt Eisner, Vorsitzender Parteipresse nach München. Bei Ausbruch des Ersten ministers Johannes Timm: des Arbeiter- und Weltkrieges befürwortete er zunächst die Kriegs- Soldatenrates und später kredite, wandelte sich jedoch rasch zu einem der „In unserem Fraktionszimmer waren alle Kollegen Ministerpräsident schärfsten Kriegsgegner und zum radikalen Kritiker erschienen. Kurt Eisners Aufruf in den Morgenzei- des bestehenden politischen und tungen war bekannt, ebenso die Erklärung des gesellschaftlichen Systems. Für Münchener Polizeipräsidenten von Beckh, die ei- ein Landtagsmandat bewarb er ner Abdankung gleichkam. Es stand fest, daß die sich erstmals bei den Januar- revolutionären Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte wahlen des Jahres 1919. mit Kurt Eisner an der Spitze die Macht in Händen hatten. […] Jetzt galt es zu entscheiden, wie unse- Die Revolution vom 7. Novem- re Partei sich in Bayern zu den vollzogenen neuen ber 1918 hatte nicht nur zum Machtverhältnissen einzustellen habe. […] Die Be- Sturz der bayerischen Mo- ratung selbst war von kurzer Dauer. Es bestand nur narchie geführt, sie hatte mit eine Meinung darüber, daß die Beherrschung der Kurt Eisner und seinen Gefolgs- neuen Situation Kurt Eisner und seinen Anhängern leuten erstmals auch Sozialdemo- nicht allein überlassen werden dürfe. Dazu war die kraten an die Macht gebracht. ganze Lage zu kritisch.“ Die revolutionären Ereignisse verdeutlichten allerdings auch An diesen Verhandlungen hatten die Mitglieder der das Dilemma, in dem sich die ehemaligen Landtagsfraktion, aber auch Vertreter der Sozialdemokraten bereits zu die- freien Gewerkschaften teilgenommen. Um die Kon- sem Zeitpunkt befanden: Die trolle über die Ereignisse nicht völlig zu verlieren, vo- bayerische Mehrheitssozialde- tierten die Anwesenden für eine Zusammenarbeit mit mokratie hatte die Revolution Eisner. Zugleich erarbeiteten sie einen Vorschlag für nicht gewollt, ja sogar aktiv be- die Besetzung der Ministerposten, der bei den Ver- Titelblatt der Zeitschrift „Simplicissimus“ im November 1918: Die Revolution spült die kämpft. Wenn ihre Anführer handlungen mit Eisner nur noch kleinere Änderun- Fürstenkronen hinweg. sich dennoch dazu bereit fanden, gen erfuhr. Kurt Eisner übernimmt die Regierung 39

Angelegenheiten – ein klares Übergewicht. Alle Die Sozialdemokraten MSPD-Minister hatten der früheren SPD-Landtags- im Kabinett Eisner fraktion angehört. Vervollständigt wurde das Kabinett durch zwei bürgerliche Fachminister: Heinrich von Frauendorfer (Verkehr) und Edgar Jaffé (Finanzen). Am 8. November 1918 stellte Eisner die Mitglieder der neuen Regierung im Provisorischen Nationalrat vor. Sie wurden von den Delegierten per Akklamation bestätigt.

Erhard Auer (1874–1945) stammte aus ärmlichs- ten Verhältnissen und wuchs elternlos als Dorfar- menkind auf. Dennoch gelang es ihm, aus dem kleinbäuerlichen Milieu auszubrechen, eine Be- rufsausbildung zum Kaufmann zu absolvieren und in der sozialdemokratischen Partei rasch auf- zusteigen. Damit verkörperte er beispielhaft den Selbstbehauptungs- und Emanzipationswillen der bayerischen Arbeiterbewegung. Als langjäh- riger Sekretär und enger Vertrauter Georg von Vollmars unterstützte er den von Vollmar einge- schlagenen reformorientierten Sonderweg der Innenminister und Entwurf für die Ministerliste der Regierung Eisner vom bayerischen Sozialdemokratie. Aufgrund seiner Kurt Eisners 8. November 1918 Fixierung auf reformistische Ziele brachte Auer Gegenspieler: für die hoch gesteckten Ziele von Kurt Eisner Dem neuen Kabinett gehörten nur zwei Unabhängi- und dessen Gefolgschaft wenig Verständnis auf. ge an, Kurt Eisner selbst (Ministerpräsident und Auf lange Sicht entfremdete er sich damit auch Außenminister) sowie Hans Unterleitner (Minister von vielen seiner eigenen Anhänger. Der SPD- für soziale Fürsorge). Diesen gegenüber besaß die Landtagsfraktion gehörte Auer von 1907 bis MSPD mit ihren vier Ministern – Johannes Hoff- 1933 an. mann wurde Vizepräsident und Kultusminister, Er- hard Auer Innenminister, Johannes Timm Justizmi- nister, Albert Roßhaupter Minister für militärische DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“

Im Zuge der Revolution waren die Funktionen des Landtages auf die neu geschaffenen revolutionären Gremien übergegangen. Dabei repräsentierten vor allem die Münchner Arbeiter- und Soldatenräte den Machtanspruch der revolutionären Kräfte. An ihre Seite trat bald darauf ein Bauernrat, der die Verbun- denheit zwischen Stadt und Land verkörpern sollte. Aber auch außerhalb der bayerischen Landeshaupt- stadt kam es im November und im Dezember 1918 zur Bildung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrä- ten. In der Mehrzahl waren diese Gremien keines- wegs linksradikal eingestellt. Vielmehr verstanden sie sich selbst meist als vorübergehende Einrichtungen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie als Instanzen zur Sicherung der revolutionären Er- rungenschaften. So hieß es im Aufruf des Münchner Arbeiter- und Soldatenrates vom 7. November 1918:

„Bewohner Münchens! Unter dem fürchterlichen Druck innerer und äußerer Verhältnisse hat das Pro- letariat die Fesseln mit gewaltiger Anstrengung zer- rissen und sich jubelnd befreit! Ein Arbeiter- und Soldatenrat ist gegründet, der die Regierung in si- cherer Hand hat. Arbeiter Münchens, Bürger Mün- chens! Ihr müßt zu dem neugewählten Arbeiter- und Soldatenrat, der Euch Friede bringt und Be- freiung von elendem Drucke und jeder Dynastie, wo sie auch sei, volles Vertrauen haben und Euch willig den Anordnungen fügen. Bewahrt Eure Ruhe so wie wir Euch und Euer Leben schützen! Es lebe der Frieden! Nieder mit der Dynastie!“ Kurt Eisner, der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates, bei der ersten Sitzung des Provisorischen Nationalrates: „Bayern ist gestern ein Freistaat geworden und wird ein Als eigentlicher Ersatz für den Bayerischen Landtag Freistaat bleiben“. fungierte der so genannte Provisorische Nationalrat. Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“ 41

Im Gegensatz zur früheren Kammer der Abgeordneten ging er allerdings nicht aus Wahlen hervor, sondern präsentierte sich eher als berufsständisches Parla- ment. Darin ähnelte er der Reichsräte- kammer, auch wenn seine Zusammen- setzung eine vollständig andere war. Nach dem Willen Kurt Eisners sollten in diesem Nationalrat nur diejenigen Kräf- te repräsentiert sein, die bereit waren, ak- tiv am Aufbau des demokratischen Ge- meinwesens mitzuwirken. Den Grund- stock bildeten daher die Münchner Ar- beiter-, Soldaten- und Bauernräte. Darü- ber hinaus saßen im Provisorischen Na- tionalrat aber auch viele der früheren Landtagsmitglieder. Die ehemalige SPD- Mitglieder des „Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte“ Anfang 1919 (von links): Fraktion zog sogar komplett in das Über- Max Reuter, Joseph Eisenhut, Joseph Feinhals, , Georg Kandlbinder, Heinrich Süß, gangsparlament ein. Hinzu kamen die Carl Kröpelin, Edwin Steinmetz Abgeordneten des Bayerischen Bauernbundes und Mehrheitssozialdemokraten befanden, erhielten sie einige Linksliberale. Außerdem erhielten Vertreter rasch weiteren Zuzug. Insgesamt konnten mehr als 70 unterschiedlichster Interessenverbände Sitz und Stim- der insgesamt 256 Nationalratsmitglieder der neuen me. Nicht nur die Gewerkschaften und andere be- MSPD-Fraktion zugerechnet werden. Mit der USPD rufsständische Organisationen konnten Delegierte sympathisierten knapp 40 Delegierte. Als weitere entsenden, sondern auch sonstige Zusammenschlüsse Fraktionen formierten sich die Bauernräte, die De- Allmähliche wie die der Kriegsbeschädigten und die Konsumver- mokratische Fraktion und die Freie Vereinigung. Da- Fraktionsbildung im eine. neben gab es aber auch Nationalratsvertreter, die sich Provisorischen einer eindeutigen Fraktionszugehörigkeit entzogen. Nationalrat Fraktionen bildeten sich im Provisorischen National- rat erst allmählich heraus. Doch stellten die Angehö- Die Einflussmöglichkeiten, die die Mitglieder des rigen der ehemaligen SPD-Fraktion von Anfang an Provisorischen Nationalrates besaßen, waren freilich eine einheitliche und politisch erfahrene Gruppie- beschränkt. Der Nationalrat trat in den vier Monaten rung dar. Da sich auch unter den Rätemitgliedern und seines Bestehens lediglich zehn Mal zusammen. Auch den Delegierten der Interessenverbände zahlreiche besaß er nicht die volle Gesetzgebungsgewalt. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Räte oder Nationalversammlung? Die Wahlen vom 12. Januar 1919

Die Münchner Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte nach der Terminierung von Neuwahlen. Noch in der stellten zweifellos den größten Rückhalt für Eisners Revolutionsnacht hatte Eisner versprochen, baldmög- Machtposition dar. Es war jedoch nicht nur Machtbe- lichst eine konstituierende Nationalversammlung ein- wusstsein, wenn er eine Verankerung der Räte in der zuberufen, zu der alle mündigen Frauen und Männer neuen Bayerischen Verfassung anstrebte: Eisner hatte das Wahlrecht haben sollten. Tatsächlich ging Eisner im Ersten Weltkrieg gelernt, den Parteifunktionären jedoch von einer längeren Übergangsphase aus, in der zu misstrauen. In seinen Augen hatten die parlamenta- die revolutionären Errungenschaften dauerhaft veran- rischen Vertreter der SPD mit ihrer Burgfriedenspo- kert werden sollten. Demgegenüber drängte die litik die wahren Interessen der arbeitenden Bevölke- MSPD in Übereinstimmung mit den bürgerlichen rung missachtet. Aus diesem Grund suchte er nach Parteien auf einen raschen Wahltermin und die baldi- Eisner misstraut den neuen Formen der politischen Meinungsbildung, ge Einberufung des neuen Landtages. Die Mehrheits- Parteifunktionären insbesondere nach Möglichkeiten für eine direkte Be- sozialdemokraten hielten die Regierung Eisner für teiligung des Wahlvolkes an der Politik. Die Mehr- nicht ausreichend legitimiert, um weitreichende heitssozialdemokratie lehnte Eisners Modell rundweg Grundsatzentscheidungen zu treffen. Diesem Druck ab. Ihren Repräsentanten war in- stinktiv klar, dass das Fortbeste- hen der Räte das Monopol auf die politische Vertretung der Ar- beiterinteressen gefährden mus- ste, das Partei und Fraktion bis dahin für sich in Anspruch genommen hatten. Mehrheitsso- zialdemokraten sahen in den re- volutionären Gremien daher le- diglich Übergangslösungen bis zum Zusammentritt des neuen Parlamentes.

Die Rätefrage war allerdings nur einer der Punkte, an denen sich MSPD und USPD mit abwei- Abweichende chenden Auffassungen gegen- Auffassungen von überstanden. Eine äußerst heftige MSPD und USPD politische Auseinandersetzung Demonstration für das Rätesystem am 16. Februar 1919 in München (in der Mitte knüpfte sich auch an die Frage Eisner mit Frau) Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen 43

Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen musste Eisner schließlich nachgeben, die Wahlen wur- Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte die SPD-Frak- den auf den 12. Januar 1919 festgelegt. In seinem „Re- tion die Ziele der Frauenwahlrechtsbewegung unter- volutionstagebuch” schreibt Josef Hofmiller über die- stützt. Eine entsprechende Gesetzesänderung war je- sen besonderen Tag: doch am Widerstand der bürgerlichen Parteien ge- scheitert. Erst die Revolution bot die Möglichkeit, „Heute Wahl zum Bayerischen Landtag. Gutes, etwas diesen nur schwer zu rechtfertigenden Missstand zu frisches Wetter, heiter und klar, geeignet zu Demonstra- beseitigen. Folgerichtig waren schon im Provisori- tionen, von denen aber bis jetzt nicht viel zu bemerken. schen Nationalrat, dessen Zusammensetzung die Auch für gestern Abend waren Putsche erwartet, wir Führer von Mehrheitssozialdemokratie und Unab- gingen deshalb sogar um eine halbe Stunde früher aus hängigen weitgehend unter sich ausgemacht hatten, und von unserem asketischen Dünnbier-Dämmerschop- acht Frauen vertreten, darunter Hedwig Kämpfer als pen nach Haus, aber alles blieb ruhig. Die Wahlbetei- ligung war sehr stark, die Leute standen an wie um Butter, Zigaretten oder Pferdefleisch. Der Anblick der zahlreichen Frauen und Soldaten in und vor dem Wahllokal fiel auf.“ Die Ergebnisse der Wahlen waren aus Sicht der bayerischen Arbeiterbewegung zwiespäl- tig. Die Mehrheitssozialdemokratie hatte zwar 33 Prozent der Stimmen erzielt und gemessen an den Vorkriegswahlen, bei denen ihr Anteil zuletzt 19,5 Prozent betragen hatte, bedeutete dies einen gewaltigen Erfolg. Auch hatte sich die Zahl ihrer Abgeordneten in dem geringfü- gig vergrößerten Parlament von 30 auf 61 mehr als verdoppelt; hinzu kamen noch drei Abgeordnete der USPD, die landesweit 2,5 Prozent der Stimmen erzielte. Aber: Die bei- den sozialdemokratischen Parteien besaßen im neuen Landtag keine Mehrheit. Stärkste Partei wurde vielmehr die katholisch-konser- vative Bayerische Volkspartei (BVP), die die Nachfolge des Zentrums angetreten hatte. Sie stellte mit 66 Abgeordneten (35 Prozent der abgegebenen Stimmen) die größte Fraktion. Gleiches Recht im Wahllokal: Dank der Sozialdemokraten durften 1919 endlich auch Frauen an die Urnen. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Mitglied des Landesarbeiterrates sowie Anita Augs- Frauen entschieden sich dagegen nur 32,2 Prozent für purg, Emilie Mauerer und Rosa Kempf als Vertrete- die MSPD (und gar nur 0,9 Prozent für die USPD). Erschreckend gering: rinnen der bayerischen Frauenbewegung. Die Frau- die Zahl weiblicher enrechtlerin und Pazifistin Lida Gustava Heymann Gemessen am Stimmenanteil der Frauen war die Zahl Delegierter schreibt in ihren Erinnerungen „Erlebtes – Erschau- der weiblichen Delegierten, die in die Bayerische Na- tes: Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und tionalversammlung einzogen, sehr gering. Unter den Frieden“ an die Münchner Novemberrevolution: insgesamt 180 Abgeordneten befanden sich lediglich sechs Politikerinnen. Die ersten Frauen in der Land- „Nun begann ein neues Leben! Zurückdenkend er- tagsfraktion der bayerischen Mehrheitssozialdemo- scheinen die folgenden Monate wie ein schöner kraten waren Aurelie Deffner und Emilie Mauerer. Traum, so unwahrscheinlich herrlich waren sie. Der Tag verlor seine Zeiten, die Stunde der Mahlzeiten wurde vergessen, die Nacht wurde zum Tage, man brauchte keinen Schlaf; nur eine lebendige Flam- me brannte: sich helfend am Aufbau einer besse- Die Ermordung Kurt Eisners ren Gesellschaft zu betätigen. Endlich konnten und ihre Folgen Frauen aus dem vollen schaffen. Frauenmitarbeit war auf allen politischen und sozialen Gebieten erwünscht.“ Die Eröffnung des neu gewählten Bayerischen Land- tages sollte am 21. Februar 1919 stattfinden. Im Kabi- Obwohl innerhalb der Sozialdemokratie also prinzi- nett war beschlossen worden, dass Eisner bei dieser pielle Einigkeit über die Einführung des Frauenwahl- Gelegenheit den Rücktritt seiner Regierung erklären rechts bestand, waren in der Regierung hierüber noch und so den Weg zur Bildung einer neuen Regierung einmal Bedenken aufgekommen. So befürchtete Kurt frei machen würde. Doch dazu kam es nicht: Eisner Eisner wegen des starken Einflusses der Kirche in wurde auf dem Weg in den Landtag von dem jungen Bayern, dass die Frauen vorwiegend konservativ wäh- Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. len würden. Da aber weder USPD noch MSPD un- Kurze Zeit später kam es auch im Landtag zu einer glaubwürdig werden wollten, blieb es bei der Einfüh- Schießerei, bei der der BVP-Abgeordnete Heinrich rung des Frauenstimmrechts. Die Ergebnisse der Osel sowie ein Major getötet und Erhard Auer schwer Landtagswahlen im Januar 1919 schienen den Beden- verletzt wurden. Auf Auer hatte es der Attentäter Alois kenträgern Recht zu geben: In den sechs oberbayeri- Lindner, ein Mitglied des Revolutionären Arbeiterra- schen Stimmkreisen, in denen Frauen und Männer tes, abgesehen, weil er ihn als Drahtzieher des Eisner- getrennt abstimmten, gaben 47,4 Prozent der männ- Mordes betrachtete. In seinem Lebensbericht „Der lichen Wahlberechtigten ihre Stimme den Mehrheits- Wendepunkt“ denkt Klaus Mann an den Tag der Er- sozialdemokraten (der USPD 2,3 Prozent), von den mordung Eisners zurück: Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen 45

„Am 21. Februar 1919 wurde gerade um die Ecke buchnotizen, diesen Vorfall betreffend, zeichnen von unserem Schulgebäude der bayerische Minis- sich durch ein etwas unbeholfenes Pathos aus. Es terpräsident Kurt Eisner erschossen. Meine Tage- heißt da, daß ich um den Ermordeten ‚bittere Trä- nen‘ vergossen hätte […]. Was mich zu diesem rhetorisch stilisierten Erguß veranlaßt hatte, war wohl nicht so sehr mein Kummer über Eisners Tod wie mein Ekel vor dem Zynismus, mit dem die Münchener Spießer, einschließlich meiner Lehrer und Klassengenossen, die Todesnachricht begrüß- ten.“

Diese Attentate führten zur Sprengung des Landta- ges, noch ehe er in die Geschäftsordnung eingetreten war. Es folgten Wochen, die von politischer Instabi- Johannes Hoffmann lität und einer wachsenden Radikalisierung geprägt wird Nachfolger waren. Die Münchner Räte gewannen nun wieder an des ermordeten Eisner Macht und Einfluss. Dieser Umstand erklärt, weshalb die entscheidenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung in Nürnberg und in ge- führt wurden, wo sich zahlreiche Spitzenvertreter der verschiedenen Landtagsfraktionen nach dem 1. März versammelt hatten. Mit Billigung der bürgerlichen Parteien wurde der Mehrheitssozialdemokrat Johan- nes Hoffmann als neuer Ministerpräsident auserse- hen, der einer Minderheitsregierung aus MSPD, USPD und Bauernbund vorstehen sollte. Aus den Er- innerungen des Justizministers Ernst Müller-Meinin- gen (Deutsche Demokratische Partei) an die politi- schen Verhältnisse nach der Ermordung Eisners:

„Wir standen unter größtem Druck der Räte. Ein Zusammenkommen im Landtag war unmöglich. Die Tagungen in Privatwohnungen konnten natür- In der Promenadestraße (heute: Kardinal-Faulhaber- Straße) in München wurde Kurt Eisner ermordet. Heute lich nur zwischen einer kleinen Anzahl von Führern befindet sich dort ein Bodendenkmal. stattfinden. Die Mehrheitssozialisten fühlten sich DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

ganz besonders bedrückt. […] Die alten poli- stellte er im Plenum sein Kabinett vor. Das Außen- tischen und Gewerkschaftsführer drohten völlig von und das Kultusministerium übernahm er selbst. Die jedem Einflusse ausgeschlossen zu werden. So weiteren Regierungsmitglieder waren seine Frak- bahnte sich zwischen den Mehrheitssozialisten tionskollegen Fritz Endres (Justiz), (In- und den sogenannten ‚bürgerlichen Parteien‘ neres) und Ernst Schneppenhorst (Militärische Ange- naturgemäß ein einheitlicher Gedankengang an: legenheiten). Außerdem wurden der Bauernbündler Ordnung um jeden Preis zu schaffen.“ Martin Steiner (Land- und Forstwirtschaft) sowie die Unabhängigen Sozialdemokraten Hans Unterleitner Die zur Ernennung des neuen Kabinetts erforder- (Soziale Fürsorge) und Josef Simon (Handel, Indus- liche Einberufung des Landtages erfolgte unter trie und Gewerbe) berufen. Dass MSPD und USPD schwierigen äußeren Bedingungen. In der Sitzung in der neuen Regierung vertreten waren, legte der Ar- vom 17. März 1919 wurde zunächst das MSPD-Frak- beit ihrer Landtagsabgeordneten natürlich Zügel an. tionsmitglied Franz Schmitt zum neuen Landtagsprä- Belohnt wurde die konstruktive Parlamentsarbeit sidenten gewählt. Die anschließende Wahl von aber mit dem unmittelbaren Einfluss, den sie in dieser Johannes Hoffmann zum Bayerischen Ministerpräsi- Phase auf die Ausgestaltung von Staat und Verfassung denten erfolgte ohne Gegenstimme. Einen Tag später gewannen.

Johannes Hoffmann (1867–1930), ein Volksschullehrer aus der Pfalz, trat 1905 der Sozialdemokratie bei. Im früheren Wahlkreis des „roten Pfalzgra- fen“ Franz Josef Ehrhart kandidierte er nach dessen Tod 1908 erfolgreich für den Einzug in den Bayerischen Landtag; ab 1912 MdR, Stadtrat und stellv. Bürgermeister in . Der langjährige bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion wurde Eisners Staatsminister für Un- terricht und Kultus (1918/19) und dessen Nachfolger als Bayerischer Mi- nisterpräsident (1919); ab zusätzlich Kultus- und Außenminis- ter. Obwohl er eher dem linken Flügel angehörte, war eine Räteherrschaft auch für ihn nicht vorstellbar. Nach dem Austritt der SPD aus der bayeri- schen Regierung Lehrer in Kaiserslautern, bis zu seinem Tod MdR.

Johannes Hoffmann Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“ 47

Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“

Es gelang der Regierung Hoffmann nicht, das aufge- „Im Landtag herrschte eine schwirrende Nervo- Hilferuf der wühlte politische Klima in der bayerischen Landes- sität. Im Torgewölbe standen Soldaten und bewaff- Landesregierung an das Deutsche Reich hauptstadt zu beruhigen. Die Androhung einer zwei- nete Zivilisten und schichteten Munition vor die Ma- ten Revolution hing wie ein Damoklesschwert über schinengewehre. Es sah aus, als wolle man sich be- dem Land. Dieser Umsturz wurde traurige Wirklich- festigen gegen kommende Angriffe. Niemand be- keit, als der neu formierte Revolutionäre Zentralrat in trachtete uns, jeder flitzte wichtig hinum und her- der Nacht vom 6. zum 7. April 1919 die „Räterepublik um, Worte wie ‚Weiße Garden! München umzin- Baiern“ ausrief. Der Ernst der Lage wurde dadurch gelt! Noske-Truppen im Anmarsch!‘ flogen von Ohr deutlich, dass sich Regierung und Landtag gezwun- zu Ohr. Gangauf und gangab liefen Menschen, gen sahen, München zu verlassen und in Bamberg verschwanden in den Sitzungssälen und kamen Unterschlupf zu suchen. Da ein Kompromiss ausge- wieder heraus.“ schlossen erschien, die Münchner Räterepublikaner aber trotz ihrer isolierten Stellung nicht zur Kapitula- Nachdem der Versuch, die Münchner Räterepublik tion bereit waren, steuerte alles auf eine gewaltsame durch die Verhaftung ihrer Anführer zu stürzen, am Konfrontation zu. Über diese Wochen in der Landes- 13. April kläglich gescheitert war, sah sich Hoffmann hauptstadt schrieb Oskar Maria Graf, selbst ein akti- gezwungen, das Deutsche Reich um Hilfe anzurufen ver Räterepublikaner: und damit das Schicksal Bayerns in die Hände der Fritz Endres

Die mehrheitssozialdemokratische Regierung Hoffmann und das bayerische Tagungsort Konzertsaal: Der Landtag kommt in Bamberg zusammen. Landtagspräsidium in Bamberger „Exil“ DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Die staatsrechtliche Neuordnung

Reichswehrgeneralität zu legen. Die Ermordung der Noch in der Zeit des „Bamberger Exils“ fanden die von den Räterepublikanern inhaftierten Geiseln im parlamentarischen Beratungen über die neue Bayeri- Münchner Luitpold-Gymnasium lieferte den rasch sche Verfassung statt. Bedingt durch die Mehrheits- mobilisierten Truppen und Freikorpsverbänden den verhältnisse stellte diese einen Kompromiss dar, der Vorwand, mit gnadenloser Brutalität gegen echte und sowohl den Abgeordneten der Mehrheitssozialdemo- vermeintliche Rotarmisten vorzugehen – die Beset- kratie als auch den Vertretern der BVP erhebliche Blutbad bei der zung Münchens endete Anfang Mai 1919 in einem Zugeständnisse abverlangte. Dennoch gelang es der Besetzung Münchens Blutbad. MSPD, viele ihrer langjährigen Forderungen in der neuen Staatsverfassung zu verankern. Die Umwand- Am 2. Juni prangerte der oberbayerische MSPD-Ab- lung Bayerns in eine parlamentarische Demokratie geordnete Alwin Saenger im Landtag die Ausschrei- konnte sie ebenso als ihren Erfolg verbuchen wie die tungen an und betonte, die Grenze des Entschuldba- nun festgelegte Verantwortlichkeit der Minister ren sei in München weit überschritten worden. Damit gegenüber dem Landtag. Auch für Abgeordnete war stellte er freilich auch der Regierung Hoffmann ein es künftig möglich, ein Ministeramt zu bekleiden. Das negatives Zeugnis aus, hatte sich diese doch vergeb- Recht zur Einberufung, Vertagung oder gar Auflö- Hoffmann erzwingt den lich darum bemüht, die eskalierende Gewalt zumin- sung des Landtages ging vom König auf das Parla- Regierungseintritt der BVP dest einzudämmen. ment über. Gegen seinen Willen konnte der Landtag nur noch auf dem Wege der Volksabstimmung aufge- Den Ministerpräsidenten veranlassten diese Aus- hoben werden. Die Beseitigung der Reichsrätekam- schreitungen zu einer Regierungsumbildung. Ende mer und die Einführung des Einkammer-Systems Mai 1919 zwang Hoffmann die BVP ultimativ zum entsprachen ebenfalls sozialdemokratischen Forde- Eintritt in die Regierung, also zur Übernahme der po- rungen. Ein weiterer Erfolg: Das Verhältniswahlrecht litischen Mitverantwortung. Mit im Kabinett saß fort- ersetzte endlich das Mehrheitswahlrecht, das die an auch die Deutsche Demokratische Partei, USPD Wähler in den dünn besiedelten ländlichen Gebieten und Bauernbund waren nicht mehr vertreten. Der begünstigt hatte. Außerdem wurde die Wahlberechti- Bayerische Landtag blieb noch bis zum 16. August in gung auf Frauen sowie auf die 20- bis 25-Jährigen Oberfranken, erst ab dem 1. Oktober 1919 tagte er ausgedehnt. Zudem wurde der Zensus, also die Bin- wieder in München. dung des Wahlrechtes an die Entrichtung einer direk- ten Steuer, beseitigt. Darüber hinaus schufen Volks- Alwin Saenger (1881– begehren und Volksentscheid neue Mitwirkungsmög- 1929), Rechtsanwalt aus lichkeiten für die Staatsbürger. München; 1919–1920 Staatssekretär im Auch für das Verhältnis des Freistaates Bayern zum Kultusministerium, 1919–1924 MdL, 1919 Deutschen Reich wurden in der Amtszeit Johannes und 1924–1929 MdR. Hoffmanns wichtige Grundlagen geschaffen. Dies er- Die staatsrechtliche Neuordnung 49

füllte die öffentliche Meinung in Bay- Hoffmann zeigt ern zum Teil mit großer Sorge, da die Verständnis für die Sozialdemokratie im Ruf stand, nur ge- Belange des Reiches ringes Interesse an der bayerischen Ei- genständigkeit zu besitzen. Zur allge- meinen Überraschung hatte allerdings Kurt Eisner zunächst einen strikt föde- ralistischen Kurs eingeschlagen, der für seine Widersacher auf der äußersten Linken fast schon an Separatismus grenzte. Verglichen damit bewies Jo- hannes Hoffmann deutlich mehr Ver-

Im „Bayerischen Kurier“ vom Unter sozialdemokratischer Regierung legte die Verfassung des 2. Januar 1919: Brandpredigt von Erz- Freistaates Bayern fest: „Bayern ist ein Freistaat und Mitglied des bischof Faulhaber gegen die Trennung Deutschen Reiches. […] Die Landesfarben sind weiß und blau.“ von Kirche und Staat DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

ständnis für die Belange des Reiches. Dass die Inter- Die Trennung von Staat und Kirche hatte schon im essen Bayerns in der Weimarer Reichsverfassung we- Königreich zu den Kernforderungen der Landtags- nig Berücksichtigung fanden, lag freilich auch an den SPD gehört. Unter den Regierungen Eisner und politischen Umständen: In der entscheidenden Phase Hoffmann kam es vor allem auf dem Gebiet der der Berliner Verfassungsberatungen war die bayeri- Schulpolitik rasch zu einschneidenden Neuerungen. sche Regierung durch den Konflikt mit der Münch- Im Provisorischen Nationalrat hatte der damalige ner Räterepublik gelähmt. Die Notwendigkeit, in die- Kultusminister Johannes Hoffmann bereits am 3. De- ser Auseinandersetzung das Reich um Hilfe anzuru- zember 1918 ausgeführt: fen, verschlechterte ihre Durchsetzungschancen zu- sätzlich. Allerdings vermochte sich die bayerische „In kurzen Worten kann ich mein Programm zu- SPD auch in den folgenden Jahren nicht als eine Par- sammenfassen: Freier Staat, freie Schule, freie Kir- tei für spezifisch bayerische Belange zu profilieren. che. Die neue Zeit verlangt ein neues Geschlecht, Bereits im Dezember 1919 sprach sich der Pfälzer und dieses verlangt eine neue Schule. Bisher hat in MSPD-Abgeordnete Friedrich Profit unmissver- der Schule der autokratische Geist der Kirche und ständlich für den deutschen Einheitsstaat aus, eine der autokratische Geist des Militärstaates ge- Aussage, der sich die Abgeordneten der USPD an- herrscht. […] Die neue Schule soll erziehen freie schlossen. Am 10. November 1920 bekannte sich im Staatsbürger und gute Menschen.“ Bayerischen Landtag auch der Mehrheitssozialdemo- krat Hans Dill, dessen Wahlkreise im östlichen Ober- Durch Verordnung vom 1. Januar 1919 wurde nun die franken lagen, im Namen seiner Parteifreunde offen geistliche Schulaufsicht beseitigt. Wenig später entfiel zum Unitarismus: auch der verpflichtende Religionsunterricht; Kinder durften fortan nicht mehr gegen den Wunsch der Er- „Wir Sozialdemokraten sind Unitarier, das heißt, ziehungsberechtigten zum Besuch von Religionsstun- wir wollen die eine einheitliche, unteilbare Repu- den angehalten werden. Die Volksschullehrer wurden blik, die die großen Probleme der Außenpolitik, nicht nur vom Kirchendienst freigestellt, ihnen wurde der Finanz- und Wirtschaftspolitik und der Kultur- auch der seit langem geforderte Beamtenstatus ge- politik nach einheitlichen Grundsätzen feststellt. währt. Darüber hinaus kämpfte Hoffmann für die Diese einheitliche, unteilbare Republik wird aber Einführung der Gemeinschaftsschule. Sie sollte die nur lebensfähig und stark sein auf der Grundlage Bekenntnisschule ablösen, an der jeweils nur eine des freiesten Selbstverwaltungsrechts der in ihr ver- Glaubensrichtung geduldet war. einigten Länder, Landesteile und Gemeinden.“ Nach Hoffmanns Rücktritt im März 1920 begannen Äußerungen wie diese beeinträchtigten die Akzeptanz jedoch sofort die Bemühungen der Christlich-Kon- der bayerischen Sozialdemokratie nicht nur beim servativen, zumindest Teile der ursprünglich von ih- Bürgertum, sondern auch bei der Landbevölkerung. nen mitgetragenen Regelungen wieder rückgängig zu Die staatsrechtliche Neuordnung 51

machen. Vergeblich versuchte die MSPD-Fraktion im März 1920, die Aushebelung der Simultanschul- verordnung zu verhindern. Ebenso wenig gelang es ihr, die Rückkehr zur Unvereinbarkeit von Ehe und Berufstätigkeit bei Lehrerinnen zu blockieren. Die Auffassungen der Mehrheitssozialdemokraten vertra- ten im Landtagsplenum der Pfälzer Friedrich Acker- mann und Hans Nimmerfall aus Oberbayern.

50%

40%

30%

20% Vereinigung von MSPD und USPD zur VSPD (September 1922): Kundgebung im Nürnberger Luitpoldhain anlässlich des Wiedervereinigungsparteitages 10%

0% 1919 1920 1924 1928 1932 1933

Friedrich Ackermann Bayerische Volkspartei (BVP) (1876–1949), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Rechtsanwalt aus Frankenthal/Pfalz; Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 1918/19 Referent des Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Kultusministers Johannes Hoffmann, 1919–1933 Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) MdL und zweiter Bürgermeister in Ergebnisse der Wahlen zum Bayerischen Landtag 1919 bis 1933 Augsburg. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition

Mitte März 1920 wurde in Berlin der Kapp-Putsch angezettelt. Während der Umsturzversuch überall im Reich am geballten Widerstand der Arbeiterbewe- gung und am passiven Verhalten der staatlichen Ver- waltungen scheiterte, nutzten in Bayern rechtskon- servative Kreise die Gunst der Stunde. In ihrem Na- men forderte General Arnold von Möhl, der Leiter der bayerischen , die Regierung Hoff- mann zur Übertragung der vollziehenden Gewalt auf. Er drohte damit, anderenfalls die Aufrechterhal- tung von Ruhe und Ordnung nicht mehr garantieren zu können. Diese Taktik stürzte die Regierung in ei- nen schweren inneren Konflikt, der im März 1920 mit dem Rücktritt Hoffmanns endete.

Damit hatte die Mehrheitssozialdemokratie das Feld praktisch kampflos preisgegeben. Zermürbt durch die vorangegangenen politischen Auseinandersetzun- gen, waren große Teile der Fraktion nur zu gern be- reit, wieder in die gewohnte Oppositionsrolle zurück- zukehren. Dahingestellt bleibt, ob ein ernsthafter Widerstand den politischen Kurswechsel und die Etablierung der „Ordnungszelle Bayern“ unter dem neuen Ministerpräsidenten hätte verhindern können. Für die bayerische Sozial- demokratie sollte sich der Rückzug von der Macht je- denfalls bitter rächen: Während der Weimarer Repu- blik konnte sie zu keiner Zeit nochmals einen bestim- menden Einfluss auf die Geschicke des Landes Bay- ern gewinnen.

Eine prompte Quittung für ihre unentschiedene Hal- tung bekam die MSPD schon bei den Landtagswah- len am 6. Juni 1920: Statt 33 Prozent der abgegebe- Wahlplakat der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) aus dem Jahr 1920 Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition 53

nen Stimmen wie noch 1919 erreichte sie nur noch ei- gebüßt. Selbst ihre Wiedervereinigung, die – mit Wir- nen Wähleranteil von 16,5 Prozent. Vor allem auf kung für das gesamte Deutsche Reich – im September dem linken Flügel waren der Mehrheitssozialdemo- 1922 in Nürnberg erfolgte, konnte den Abwärtstrend kratie die Anhänger verloren gegangen. Der Stim- nicht aufhalten: Bei den Landtagswahlen des Jahres menzuwachs der USPD von 2,5 auf 12,8 Prozent war 1924 erzielte die Vereinigte Sozialdemokratische Par- ein deutliches Indiz dafür, dass viele Stammwähler der tei (VSPD) nur noch 17,2 Prozent der Stimmen. Mit Partei vorwarfen, zu wenig für die Durchsetzung spe- einem hauchdünnen Vorsprung vor der NSDAP war zifisch sozialistischer Ziele unternommen zu haben. sie damit aber immer noch die zweitstärkste Partei in Aber auch insgesamt hatten die sozialdemokratischen Bayern. Als ernst zu nehmende Konkurrenz auf der Parteien mehr als 6 Prozent der Wählerstimmen ein- Linken erwiesen sich nun die Kommunisten, die 8,3 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigten.

Nach dem Rücktritt der Regierung Hoffmann trat für die Partei die Landtagsarbeit wieder stärker in den Vordergrund. Auf diese Weise gewann die Fraktion an Bedeutung und an Profil. Die Landtagsfraktion der bayerischen Sozialdemokratie führte darüber hinaus in zunehmendem Maße nicht nur die parlamentari- sche Arbeit aus. Vielmehr nahm sie auch die Geschäf- te eines Landesvorstandes wahr, da es einen solchen nach dem Organisationsstatut von 1924 nicht mehr gab. Die Fraktion war zu dieser Zeit zweifellos das wichtigste Führungsgremium der Partei.

Die große Bedeutung der Fraktionszugehörigkeit für den Einfluss innerhalb der Partei sorgte auch für eine starke Kontinuität in ihrer Zusammensetzung. Von den 30 Sozialdemokraten, die am Ende des bayerischen Königreiches Mitglieder der Abgeordnetenkammer waren, fanden sich 21 auch im 1919 neu gewählten Landtag wieder. Besonders einflussreiche Parteifüh- rer gehörten der Fraktion während der gesamten Dauer der Weimarer Republik an. Dabei handelte es sich um Friedrich Ackermann, Erhard Auer, Karl Wahlwerbung der wiedervereinigten SPD Giermann, Albert Roßhaupter und Johannes Timm. DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“

Auch unter den Abgeordneten, die über vier der ins- Mit dem Regierungsantritt Gustav Ritter von Kahrs gesamt fünf Legislaturperioden dem Parlament ange- wurde Bayern zum Hort der Reaktion. Die radikale hörten, finden sich viele namhafte Parteivertreter, so Rechte und die Einwohnerwehren – deren Entwaff- Lina Ammon, Max Blumtritt (bis 1922: USPD), Hans nung die Reichsregierung unter dem Druck der Sie- Dill, Fritz Endres, Clemens Högg, Bruno Körner, germächte erst im Juni 1921 erzwang – konnten unge- Martin Segitz und Julius Steeger. Johannes Timm war stört ihren verfassungsfeindlichen Aktivitäten nachge- in all diesen Jahren Fraktionsvorsitzender. Erst 1933, hen, während die politische Linke durch kleinliche kurz vor der vollständigen Ausschaltung des Landta- Auflagen und Verbote schikaniert wurde. Die Aufklä- ges, trat für kurze Zeit Albert Roßhaupter an seine rungsquote bei politisch motivierten Verbrechen war Stelle. äußerst gering; Interventionen der Reichsregierung wurden nicht beachtet oder sabotiert. All dies zog Max Blumtritt führende Rechtskonservative aus ganz Deutschland (1877–1931), Redakteur nach Bayern und erzeugte ein günstiges Klima für das aus Hof, Stadtrat; 1917 USPD, 1922 SPD, Gedeihen der völkischen Bewegung. 1919–1931 MdL sowie Stadtrat in Hof.

Johannes Timm (1866–1945), ein war Timm Vorsitzender der Land- Schneider aus Schleswig-Holstein, tagsfraktion. Einen seiner wichtigs- wurde 1898 Mitarbeiter des ten Auftritte im Landtag hatte er bei Münchner Arbeitersekretariats. Ab den parlamentarischen Verhandlun- 1904 war er Vorsitzender des Gau- gen über den Kapp-Putsch und den vorstandes der südbayerischen SPD, daran geknüpften Regierungswech- ab 1905 Mitglied des Bayerischen sel in Bayern (29. März 1920). Landtages und ab 1908 Angehöri- ger der zentralen Kontrollkommis- sion des Parteivorstandes der baye- rischen SPD. Schon vor 1918 ge- hörte er zum engsten Führungszir- kel der MSPD. Von 1918 bis 1933 Johannes Timm Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“ 55

Die beiden sozialdemokratischen Parteien brachten gust 1921 gegen die von Reichspräsident Friedrich Endlich: Die BVP entzieht diese Missstände wiederholt im Parlament zur Spra- Ebert in dieser Sache erlassene Notverordnung auf- Kahr das Vertrauen che. Dabei gingen vor allem die Abgeordneten, die lehnte, hatte sie den Bogen allerdings überspannt. sich mit den illegalen Praktiken der Einwohnerwehren Die BVP entzog ihr nun das Vertrauen und erzwang und deren Fememorden auseinander setzten, ein ho- so im September 1921 ihren Rücktritt. Als Gene- hes persönliches Risiko ein. So wurde der USPD-Ab- ralstabskommissar kehrte Kahr dennoch von Ende geordnete Karl Gareis, der sich im Landtag mit be- bis Mitte Februar 1924 noch einmal sonderem Nachdruck für die Entwaffnung der Ein- an die Macht zurück. Eine Stabilisierung der politi- wohnerwehren und die Verfolgung der Fememörder schen Verhältnisse gelang erst nach dem Amtsantritt eingesetzt hatte, am 9. Juni 1921 auf offener Straße er- des Ministerpräsidenten (BVP). Des- mordet. Dieses Verbrechen veranlasste MSPD und sen Koalition mit dem Bauernbund und der Deutsch- USPD zu einer gemeinsamen Interpellation im Land- nationalen Volkspartei (DNVP) hielt bis 1930. tag. Im Plenum griffen Erwin Neumann (USPD) aus Mittelfranken und Alwin Saenger (MSPD) die Regie- Durch harte Urteile gegen die Anhänger der Münch- Die Justiz ist auf dem rung Kahr scharf an und beschuldigten sie schwerer ner Räterepublik und milde Strafen gegen Gesetzes- rechten Auge blind Unterlassungssünden. Die Tatsache,dass im Mordfall brecher mit völkischen Motiven hatte auch die baye- Gareis wie in vielen anderen Fällen die Hintermänner rische Justiz frühzeitig die harsche Kritik der Sozial- nie ermittelt wurden, weckte nicht nur bei der Sozial- demokratie Zweifel an einer ernsthaften staatlichen Strafverfolgung. Ungestraft hatte sich auch der „Volks- dichter“ Ludwig Thoma am 3. Juni 1921 im „Miesba- cher Anzeiger“ über Gareis ereifern dürfen: „Haltet euch bereit, denn, wenn der Gareis auch bloß mit dem Maul droht, so gibt es doch Gesindel genug, das bloß auf ein Signal wartet. Es ist jetzt an der Zeit, wachsam zu sein. Wenn solche Leute, wie der Gareis, frech werden und im Parlamente selbst mit Umsturz drohen, dann wissen sie, daß sie eine Schar von Lumpen hinter sich haben. Aber, das soll Karl Gareis geschworen sein, sie sollen eine andere Suppe aus- fressen müssen, wie die im Mai 1919.“ Als sich die Regierung Kahr nach der Ermordung des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger im Au- SPD-Demonstration gegen die politischen Morde in München DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

demokratie auf sich gezogen. Großes Aufsehen er- del und Preistreiberei sowie auf die Form ihrer Abur- regte etwa das geringe Strafmaß für den Eisner-Mör- teilung. Auch in den Folgejahren forderten die Sozi- der Graf Arco. Unzureichende Ermittlungsergebnisse aldemokraten im Landtag wiederholt Aufklärung und unverständliche Urteile bei Fememordfällen und über die juristische Urteilspraxis, den Stand von Ein- Einwohnerwehrdelikten untermauerten den Vorwurf zelverfahren sowie über Möglichkeiten zur Wieder- gegen die Justiz, auf dem rechten Auge blind zu sein. herstellung der Rechtssicherheit. Ganz allgemein hat- Für die Landtagsfraktion der bayerischen SPD waren te Karl Gareis am 16. Dezember 1920 im Bayerischen diese Missstände ein Dauerthema. Der für Oberfran- Landtag festgestellt: ken im Landtag sitzende USPD-Abgeordnete Max Blumtritt sprach 1921 von zweierlei Recht, das in Bay- „Es fällt uns nun nicht ein, für diesen Charakter der ern zum herrschenden Prinzip erhoben worden sei. Im gegenwärtigen Klassenjustiz einzelne Personen wie Jahre 1928 war es der SPD-Fraktionsvorsitzende Jo- etwa ein Justizministerium, das nur eine ganz vor- hannes Timm, der die erneute Besetzung des Justiz- übergehende Erscheinung ist, verantwortlich zu ma- ministeriums mit dem Deutschnationalen Franz chen. Dagegen machen wir das gegenwärtige Mi- Gürtner als „Justizschande“ bezeichnete. nisterium und den gegenwärtigen Justizminister da- Zweierlei Maß auch bei der Aburteilung für verantwortlich, daß die Justiz in Bayern über die- zeittypischer Delikte Dabei beschäftigte sich die Fraktion keineswegs nur sen allgemeinen Klassencharakter hinausgehend in mit politischen Strafverfahren, sondern auch mit der weitgehendem Maße politisiert ist, und daß in ihr mit Aburteilung zeittypischer Delikte. So zielte etwa eine zweierlei Maß gerechnet wird, je nachdem der vor Landtagsanfrage der MSPD vom August 1921 auf die den Schranken des Gerichts stehende der oder jener Zahl der Strafverfahren wegen Wucher, Schleichhan- politischen Partei oder Richtung angehört.“

Die „Auergarde“, der Selbstschutzverband der SPD, im Mai 1923 auf der Münchner Theresienwiese Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus 57

Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus

Die bayerischen Sozialdemokraten mussten sich frü- her als ihre Parteigenossen im Reichstag oder in den anderen Länderparlamenten mit dem Nationalsozia- lismus auseinander setzen. Von Anfang an nutzten sie dabei die Tribüne des Landtages, um sich öffentlich von den nationalistischen, antisemitischen und verfas- sungsfeindlichen Bestrebungen der NSDAP zu dis- tanzieren. Zu heftigen Konfrontationen kam es aber auch außerhalb des Parlamentes, etwa wenn sozialde- mokratische Veranstaltungen durch völkische Kampf- verbände gestört wurden. Da die gegen den rechten Te rror gerichteten Anträge und Interpellationen der SPD-Fraktion keinerlei Abhilfe brachten, sah sich die Partei schon Ende 1922 gezwungen, einen eigenen Selbstschutzverband (die „Auergarde“) ins Leben zu rufen. Dieser ging wenig später im „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, dieses wiederum in der „Eiser- nen Front“ auf.

Einen ersten Höhepunkt erreichten die Konflikte mit den Nationalsozialisten im Frühjahr 1923, als die NSDAP die Maifeiern der Münchner Arbeiterbewe- gung verhindern wollte und offen mit Gewaltaktio- nen drohte. Im selben Jahr kam es am 8. und 9. No- vember im Rahmen des Hitlerputsches erneut zu massiven Übergriffen. Das Vorhaben der nationalso- zialistischen Putschisten, von München aus die Reichs- regierung zu stürzen, misslang zwar – die Landespoli- zei stoppte deren Marsch zur Feldherrnhalle, wobei 4 Polizeibeamte, ein Passant und 15 Aufrührer den Tod fanden. In den Putschtagen wurden jedoch sozialde- mokratische Parteifunktionäre als Geiseln genommen und das Verlagsgebäude der „Münchener Post“ von Hitleranhängern gestürmt und verwüstet. Hitlerputsch im DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Der Untersuchungsausschuss zum Hitlerputsch

Mit Datum vom 3. Juni 1924 stellte die SPD-Fraktion die Anregung zur Einsetzung des Untersuchungsaus- den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsaus- schusses ausgegangen war. Das damit verbundene An- schusses. Dieser sollte die Krawalle vom 1. Mai 1923 liegen beschrieb Hoegner am 31. Juli 1924 im Land- in München sowie die Vorgänge rund um den Hitler- tag folgendermaßen: putsch unter die Lupe nehmen. In diesem Zu- sammenhang verdiente sich ein junger Landtagsabge- „Es handelt sich für uns in der Hauptsache darum, ordneter seine ersten Sporen: der spätere Bayerische folgendes festzustellen: Wie war es möglich, daß Ministerpräsident . Mit ihm, der die berühmte ‚Ordnungszelle‘ Bayern nach den selbst als Staatsanwalt beziehungsweise Amtsrichter Worten des gegenwärtigen Herrn Ministerpräsiden- tätig war, hatte die SPD-Fraktion einen Spezialisten ten vom Februar 1924 zu einer ‚Unordnungszelle für Justizfragen gewonnen. Aber auch zu Fragen der ersten Ranges‘ geworden ist? Das aufzuklären, Wilhelm Hoegner (1928) völkischen Bewegung meldete sich Hoegner im daran hat auch die gesamte bayerische Öffent- Landtag wiederholt zu Wort. Er war es auch, von dem lichkeit, hat das bayerische Volk ein dringendes Interesse. Wir verlangen ferner, daß die gesamte Regierungstätigkeit des vermeintlichen Retters Bayerns, des Herrn von Kahr, einer genauen Nach- prüfung unterzogen wird. Wir wollen nicht den ganzen Hitlerprozeß wieder aufnehmen, wir wol- len lediglich die politischen Vorgänge, die im Hit- lerprozeß nicht aufgedeckt worden sind, klarstellen lassen.“

Der beantragte Ausschuss wurde im Juli 1924 vom Landtag gebilligt, Ende April 1928 legte er dem Ple- num seine Ergebnisse vor. Schon in den Monaten zu- vor war die Arbeit des Ausschusses auf starkes öffent- liches Interesse gestoßen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der Frage, weshalb die Justiz nicht schon nach den Unruhen im Frühjahr 1923 gegen die Nationalsozialisten durchgegriffen hatte. Was den Hitlerputsch anging, so wollte die Öffentlichkeit vor Die Angeklagten im Hitlerprozess (von links): Heinz Pernet, Christian Weber, Wilhelm allem wissen, ob und inwieweit die bayerische Staats- Frick, Hermann Kriebel, , , Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, führung und die staatliche Verwaltung in das Gesche- Adolf Wagner hen verstrickt waren. August 1930: Die BVP verweigert ein Bündnis mit der SPD 59

Gemessen an der Erwartungshaltung waren die kon- zweitstärksten Partei im Landtag nun die Möglich- kreten Untersuchungsergebnisse allerdings dürftig. keit einer Rückkehr in die Regierungsverantwortung. Hoegner warf daraufhin den übrigen Ausschussmit- Sie nahm den Auftrag des Landtagspräsidenten zur Regierungsbildung durch gliedern im Landtag vor, sich mit der Feststellung Regierungsbildung an, obwohl ein Kabinett ohne Be- SPD scheitert dessen begnügt zu haben, was nicht gewesen sei, weil teiligung der BVP kaum vorstellbar war. Diese war die Wahrheit der Mehrheit nicht in den Kram gepasst aber zu einer Zusammenarbeit nicht bereit. Die Be- habe. Für ihn war das Versagen der bayerischen Be- mühungen der SPD liefen denn auch ins Leere und hörden und der bayerischen Justiz offenkundig. Sein das Kabinett Held blieb geschäftsführend im Amt. wesentlich schärfer formuliertes Sondervotum kam Helds Minderheitsregierung war allerdings auf die Neuerliche im Landtag jedoch nicht zur Abstimmung. Hoegners Tolerierung durch den Bauernbund und die Sozial- Spekulationen über ein Erkenntnisse wurden lediglich in der zweiteiligen demokratie angewiesen. Tatsächlich trug die SPD, Bündnis mit der BVP Druckschrift „Hitler und Kahr. Die bayerischen Na- deren größte Sorge dem Fortbestand der demokrati- poleonsgrößen“ publik gemacht. schen Grundordnung galt, in den folgenden Jahren wieder- holt dazu bei, den Staats- August 1930: Die BVP verweigert ein haushalt und wichtige Geset- Bündnis mit der SPD zesvorhaben der Regierung durch den Landtag zu brin- Ab dem Jahr 1924 kam der SPD die allmähliche Sta- gen. bilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhält- nisse zugute. Dies schlug sich beispielsweise bei den Ihr Verhalten führte dazu, Landtagswahlen 1928 in einem Stimmenanteil von dass die Spekulationen über respektablen 24,2 Prozent nieder. Damit kehrten ein Bündnis aus BVP, SPD auch der alte Optimismus und die Hoffnung auf eine und Bauernbund nicht mehr Ablösung der scheinbar unanfechtbaren Regierungs- verstummen wollten. Einer koalition aus BVP, DNVP und Bauernbund zurück. solchen Zusammenarbeit stand freilich der ausgepräg- Im August 1930 kam die Regierung Held dann tat- te Antisozialismus im Wege, sächlich zu Fall. Sie stürzte über einen aus heutiger der auf Seiten der Bayeri- Sicht marginalen Gegenstand, nämlich die Einfüh- schen Volkspartei intensiv rung einer Schlachtsteuer. Der Bauernbund verwei- gepflegt wurde. Die SPD ih- gerte sich dem Vorhaben und verließ die Regierungs- rerseits sah keinen Ansatz- koalition, was wenig später deren Rücktritt zur Folge punkt mehr, um selbst die In- hatte. Erstmals seit 1920 bot sich der SPD als der itiative zu ergreifen. Da sie Wahlplakat aus dem Jahr 1924 DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

gleichzeitig an besagter Tolerierung festhielt, machte wählten Landtag zunächst einen kooperativen An- sie sich mehr und mehr zum Erfüllungsgehilfen der strich. Im Konsens mit den Regierungen Eisner und Christlich-Konservativen. Hoffmann beteiligten sich beide sozialdemokratische Fraktionen an der Ausgestaltung des Freistaates Bay- Landtagswahl 1932: Dieser geschilderte Umstand war sicher einer der ern als demokratisches Gemeinwesen. Die Verdienste katastrophales Wahl- Gründe für den katastrophalen Ausgang der Land- um die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, ergebnis für die SPD tagswahl von 1932: Mit nur 15,4 Prozent der Stimmen der Verzicht auf eine Vergesellschaftung der Produk- fuhr die SPD das schlechteste Ergebnis der Weimarer tionsmittel und die Orientierung an der parlamentari- Jahre ein. Sie verlor den Status als zweitstärkste poli- schen Demokratie trugen dabei vor allem der MSPD tische Kraft im Landtag und damit das Recht auf den große Sympathien ein. Das Resultat war ein beein- Posten des ersten Vizepräsidenten. Erhard Auer, der druckender Wahlerfolg, der sie knapp hinter der diese Funktion seit 1920 ohne Unterbrechung inne- Bayerischen Volkspartei zur zweitstärksten politi- gehabt hatte, musste sich nun mit dem Amt des zwei- schen Kraft in Bayern machte. Nach dem Rücktritt ten Stellvertreters zufrieden geben. von Johannes Hoffmann im März 1920 gelang es der MSPD-Fraktion jedoch nicht mehr, diese Stärke auch Weiterhin keine Obwohl ein Zusammengehen von BVP und SPD an- in politischen Einfluss umzumünzen. Dieses Unver- mehrheitsfähige gesichts des erstarkenden Nationalsozialismus auch mögen hatte nicht allein mit der abnehmenden Zu- Regierung im Landtag zu diesem Zeitpunkt noch eine realistische politische stimmung in der Bevölkerung zu tun. Hinzu kam, Alternative gewesen wäre, verweigerte die BVP trotz dass sich die Bayerische Volkspartei, damals der einzi- des Drängens der SPD die Bildung einer mehrheits- ge denkbare Koalitionspartner im Kreis der demokra- fähigen Regierung. Heinrich Held setzte seine Min- tischen Parteien, einer Zusammenarbeit bis zuletzt derheitsregierung ungerührt fort und konnte sich verweigerte. dennoch der Unterstützung durch die SPD bis zuletzt sicher sein: Die Sozialdemokratie betrachtete nämlich Die bayerische Sozialdemokratie war aber nicht ganz einen Verfassungskonflikt oder gar ein Eingreifen der unverschuldet in diese Zwangslage geraten. So war es Reichsregierung letztlich als das größere Übel. MSPD und USPD nach dem Ende des Ersten Welt- krieges zunächst nicht gelungen, die unproduktive Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Die- Fazit: das Dilemma der bayerischen ses Manko war auch durch die Wiedervereinigung im Sozialdemokratie Jahr 1922 nicht mehr zu beheben, da zum einen mit dem Einzug der KPD in den Landtag auf der äu- Die Revolution des Jahres 1918 führte die bayerische ßersten Linken eine neue Konkurrenz entstanden war Sozialdemokratie erstmals in die Regierungsverant- und zum anderen bürgerliche Wähler durch die anti- wortung. Dies verlieh der Arbeit von MSPD und sozialistische Propaganda der Rechtsparteien abge- USPD im Provisorischen Nationalrat und im neu ge- schreckt wurden. Doch trugen auch das Scheitern der Fazit: das Dilemma der bayerischen Sozialdemokratie 61

Regierung Hoffmann beim Kampf gegen die Münch- während des Sozialistengesetzes beseelte, wollen ner Rätebewegung und der kampflose Rückzug der auch wir diesen Kampf bestehen. Es ist ein Stück SPD aus der Regierungsverantwortung mit dazu bei, des gewaltigen geschichtlichen Ringens um die die bayerische Sozialdemokratie zu schwächen. Freiheit des deutschen Volkes.”

Nach der Rückkehr in die Opposition war die Land- Letztlich scheiterte die Republik auch an der Unfä- tagsarbeit der SPD in Bayern vor allem darauf gerich- higkeit der demokratischen Parteien zu Kompromiss tet, die zuvor erkämpften Errungenschaften zu vertei- und Konsensfindung. digen. Hierzu gehörte in besonderer Weise der Kampf gegen die von ganz links wie von rechts ausge- henden Versuche, die demokratische Verfassung wie- der zu beseitigen. Keine andere Partei stemmte sich im Parlament mit vergleichbarem Nachdruck gegen das Anwachsen der völkischen Bewegung. Die Kritik der SPD-Fraktion beschränkte sich dabei keineswegs auf den ideologischen Gegner, sondern richtete sich auch gegen die Untätigkeit von Staatsregierung, Jus- tiz und Polizei. Doch ohne eine enge Zusammenar- beit mit den Parteien der bürgerlichen Mitte war der Nationalsozialismus auch von Seiten der Sozialdemo- kratie nicht zu verhindern. Gleichwohl rief noch An- fang Februar 1933 Hans Unterleitner auf der Gene- ralversammlung des Sozialdemokratischen Vereins München mit glühenden Worten zum Kampf auf:

„Die bevorstehende Reichstagswahl ist eine Ent- scheidungsschlacht in des Wortes vollster Bedeu- tung. Es geht um die elementarsten Rechte des Vol- kes, um die Existenz der fortschrittlichen und sozial denkenden Arbeiterschichten. Die Sozialdemokra- tie steht in diesem Kampf in vorderster Front und wird ihn auf dem Boden des Gesetzes zu führen wissen. Es darf keine Täuschung geben. Diese Wahlen werden zu Terrorwahlen werden! Mit dem Republikaner kämpfen um die Demokratie: Wahlplakat Opfermut, der die vorangegangene Generation zur Reichstagswahl von 1928