Revolution in Pasing

1918 - 1919

Begleitbuch zur Ausstellung im Rathaus Pasing vom 8.11.2018 bis 4.5.2019 1

Bernhard Koch, Peter Pich, Angela Scheibe-Jaeger Revolution in Pasing 1918 - 1919

Begleitbuch zur Ausstellung "Revolution in Pasing 1918 - 1919" im Rathaus Pasing vom 8. November 2018 bis 4. Mai 2019

Herausgegeben vom Kulturforum München-West e. V. und dem Institut für zukunftsweisende Geschichte e. V.

Unterstützt von Bezirksausschuss 21 Pasing - Obermenzing, Kulturreferat der Landeshauptstadt München

und Aktive Zentren Pasing, gefördert von Bund, Freistaat Bayern und Landeshauptstadt München im Städtebauförderungsprogramm Leben findet Innenstadt – Programm Aktive Zentren 2 Inhalt 3

Revolution in Pasing 1918 - 1919

Inhaltsverzeichnis ...... 3 Vorwort ...... 4 Einleitung ...... 5

I Kurzer Überblick zur Geschichte der Revolution ...... 6 1. Vorgeschichte und Ursachen der bayerischen Revolution 1918/19...... 6 a) Vorgeschichte b) Ursachen 2. Verlauf der Revolution ...... 7 3. Ergebnisse und Auswirkungen der Revolution ...... 8 a) Die Ergebnisse b) Langfristige politische Auswirkungen

II Andreas Heusler: Revolution und Räterepublik in Pasing ...... 11

III Die Entwicklung 1918/19 in Deutschland, Bayern und München sowie Pasing ...... 22

IV Anhang ...... 30 1. Die Proklamation von ...... 30 2. Staatsgrundgesetz der Republik Bayern vom 4. Januar 1919 ...... 31 3. Glossar ...... 33

V Die Tafeln der Ausstellung ...... 36 4 Vorwort

Zum 100. Jubiläum der Revolution Die Tafeln der Ausstellung sind in dieser Broschüre in Bayern 1918 plante das Kulturreferat der LH Mün- wiedergegeben. Sie enthält außerdem einen Beitrag chen bereits Mitte 2017 eine stadtweite Veranstal- zur damaligen politischen Situation in Pasing, Chro- tungsreihe, in deren Mittelpunkt eine Auseinander- niken des Geschehens im Deutschen Reich, Bayern, setzung mit den historischen Ereignissen sowie mit München und Pasing sowie kurze Beiträge von Demokratie als Form des gesellschaftlichen Zusam- Internetportalen, die das Thema Revolution in Mün- menlebens stehen sollte. Einige Mitglieder der Pasin- chen und Bayern vertiefen. ger Geschichtswerkstatt Pasing nahmen sich vor, zu den vielen Beiträgen aus München auch die Pasinger Wir danken dem Kulturforum München-West und Perspektive einzubringen. dem Institut für zukunftsweisende Geschichte für die Trägerschaft und Hilfe bei diesem Unternehmen. Wir Pasing war zu jener Zeit noch eine selbständige Stadt danken auch den Förderern, dem Kulturreferat der vor den Toren Münchens. Natürlich gingen die meis- Landeshauptstadt München, dem Bezirksausschuss ten politischen Impulse 1918/19 von dort aus. Aber 21 Pasing-Obermenzing sowie den Aktiven Zentren es entfaltete sich im Schatten des revolutionären Zen- Pasing, die wiederum von Bund, Freistaat Bayern und trums München auch eine rege revolutionäre Tätigkeit Landeshauptstadt München im Städtebauförderungs- in Pasings Parteien und der Bürgerschaft. Es kam zu programm Leben findet Innenstadt – Aktive Zentren überraschenden Entwicklungen, die in einer Ausstel- gefördert werden. lung im Pasinger Rathaus und in diesem Begleitbuch dargestellt werden. November 2018, Die Ausstellung stellt vom 8.11.2018 bis zum 4.5.2019 Bernhard Koch die lokalen Ereignisse und die Beteiligten vor. Gezeigt Peter Pich werden Zeitungsausschnitte der lokalen Presse, Fotos Angela Scheibe-Jaeger und Texte mit eigenen Rechercheergebnissen. Damit soll ein Stück vom Revolutionsalltag der Menschen in Pasing wiedergegeben werden; denn Zeitungen, Flugblätter und Plakate waren damals die einzigen und somit die wichtigsten Informationsmedien. Einleitung 5

Vor 100 Jahren brach in München eine Pasing wurde sie am 7. April auf dem Marienplatz aus- Revolution aus, die sich bereits einige Zeit vorher ab- gerufen. Die legitime sozialdemokratische Regierung gezeichnet hatte. Die unmittelbaren Ursachen für den unter Ministerpräsident Hoffmann floh nach Umsturz waren eine tiefgreifende Kriegsmüdigkeit und versuchte weiterhin das Land zu verwalten. Eine und die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung. Woche darauf folgte in München die Proklamation der Die Friedenssehnsucht zeigte sich schon im Januar kommunistischen Räterepublik. Damit war ein Stadi- 1918 in Streiks und Demonstrationen, der Vertrauens- um der revolutionären Entwicklung erreicht, das nur verlust der Regierung von Ludwig III. nahm im Laufe noch von einer Minderheit akzeptiert wurde. des Jahres weiter zu. In Pasing lief ähnlich wie in München ein Radikalisie- Den zündenden Funken entfachte schließlich der cha- rungsprozess ab, der in einer „Machtübernahme“ rismatische Redner und Politiker Kurt Eisner in der des Revolutionären Arbeiterrats (RAR) gipfelte: Der Nacht vom 7. zum 8. November im Mathäserbräu; an- städtische Magistrat und die Bürgervertretung (Kol- schließend wurde das Landtagsgebäude besetzt und legium der Gemeindebevollmächtigten) wurden für der „Freie Volksstaat Bayern“ proklamiert. Der König einige Zeit abgesetzt, die städtischen Bediensteten floh noch in dieser Nacht aus München und legte spä- mussten unter massiven Drohungen schriftlich ihre ter die Regierung nieder. Damit war die Monarchie in Loyalität gegenüber dem RAR erklären. Bayern unblutig gestürzt worden. Ende April rief die im Exil befindliche bayerische Re- Die bayerische Revolution war die erste ihrer Art im gierung reguläre Militäreinheiten und sog. Deutschen Reich; sie erfasste schnell das ganze Land. gegen die Rotgardisten zu Hilfe, um der Räterepub- Die revolutionäre Entwicklung in Bayern verlief in vier lik ein Ende zu bereiten. Dabei kam es zu heftigen Phasen mit zunehmender Radikalisierung. Nach der Kämpfen und blutigen Vergeltungsaktionen. In Mün- Ermordung Eisners im Februar 1919 entstand eine chen soll es nach den damaligen offiziellen Angaben neue Dynamik: Eine revolutionäre Idee folgte auf die ca. 600 Todesopfer gegeben haben (in der Mehrzahl andere – und das im konservativ ausgerichteten Bay- Rotgardisten und Zivilisten); heute geht man von deut- ern. Reform oder Revolution, das war die Frage. Die lich höheren Opferzahlen aus. Pasing dagegen wurde parlamentarische Demokratie stand gegen die radikal – dank rechtzeitiger Verhandlungen mit der Führung linke Staatsform, die Räterepublik – manche sprachen der Regierungstruppen – kampflos übergeben. auch von Rätediktatur. Die Anhänger der Räterepublik gewannen in München die Oberhand, und auch in Damit war die Revolution zu Ende. 6 Kurzer Überblick zur Geschichte der Revolution

1. Vorgeschichte und Ursachen der bayerischen Revolution 1918/19 a) Vorgeschichte b) Ursachen

Die Revolution in Bayern nahm ihren Der Sturz des bayerischen Königshauses Ausgang Ende Oktober 1918 bei der Meuterei der hatte seine Ursache zuvorderst in den Verwerfungen, deutschen Hochseeflotte. Signalcharakter hatte al- die der Erste Weltkrieg in Staat und Gesellschaft aus- lerdings schon die russische Oktoberrevolution des löste. Allerdings sind auch weiter zurückreichende Jahres 1917. strukturelle Ursachen festzustellen. Ungelöste Proble- me der Vorkriegszeit waren unter anderem: Zur Vorgeschichte gehört ferner die Spaltung der • der mit der seelischen Erkrankung von Ludwig II. deutschen Arbeiterbewegung. Bereits ab 1916 hat- einsetzende Autoritätsverlust der bayerischen Monar- te sich innerhalb der Münchner SPD ein Kreis von chie, der infolge fehlender politischer Durchsetzungs- Oppositionellen formiert, der den amtlichen Stand- kraft der ihn vertretenden Regenten weiter befördert punkt in Frage stellte, demzufolge Deutschland ei- wurde; nen Verteidigungskrieg gegen Russland und das • der in der Verfassung nicht vorgesehene politische mit diesem verbündete Frankreich führte. Unter Einfluss der staatlichen Administration; Leitung des Journalisten Kurt Eisner, der auch Frei- • das wachsende Gewicht der im Verfassungsrecht denker wie Erich Mühsam (1878-1934), Josef Sont- ebenfalls unberücksichtigten politischen Parteien; heimer (1867-1919) und Oskar Maria Graf (1894- • der Emanzipationsdrang der Arbeiterschaft 1967) zu seinem Umfeld zählte, wurde daher die und die neu aufstrebende Frauenbewegung sowie rasche Beendigung des Krieges und der Verzicht die durch die Industrialisierung aufgeworfene soziale auf Reparationen und Annexionen gefordert. Frage.

Nach der Spaltung der SPD Anfang April 1917 Nachhaltig erschüttert wurde das Vertrauen in den schlossen sich die Eisner-Anhänger der neuge- Staatsapparat allerdings erst durch die kriegsbeding- gründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen ten Versorgungsengpässe, die Härten der Zwangs- Partei Deutschlands (USPD) an. Im Januar 1918 ge- bewirtschaftung und die vollständige militärische lang es ihnen, die Münchner Rüstungsarbeiter in Kapitulation, die große Teile der Bevölkerung (inkl. einen mehrtägigen Aufstand zu führen, der bereits der Führungsschicht) unvorbereitet traf. Die (falsche) auf den Sturz der Monarchie abzielte, jedoch durch Annahme, eine rasche Parlamentarisierung würde die Verhaftung der Streikführer beendet wurde. Deutschland erträglichere Friedensbedingungen ein- Als Eisner Mitte Oktober 1918 aus der Untersu- bringen, wurde daraufhin rasch populär. Das Versa- chungshaft entlassen wurde, da ihn die USPD als gen der in München stationierten Ersatztruppen hatte Kandidaten für die in München anstehende Ersatz- aber auch mit ihrem drohenden Einsatz zur Verteidi- wahl zum Deutschen Reichstag aufgestellt hatte, gung der Landesgrenzen zu tun. Wie sich zeigte, wa- setzte er seine Agitation fort. ren die Soldaten nicht mehr bereit, Leib und Leben für eine ohnehin verlorene Sache zu riskieren.

Autor: Dr. Bernhard Grau Quelle: Historisches Lexikon Bayerns Online: Revolution, 1918/19, Kapitel 3 und 4. Link vom 1.9.2018. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Revolution,_1918/1919#Etappen_der_Revolution_I:_Die_Amts- zeit_des_Ministerpräsidenten_Kurt_Eisner_.288._November_1918-21._Februar_1919.29 Kurzer Überblick zur Geschichte der Revolution 7

2. Verlauf der Revolution

Am Ende des Ersten Weltkriegs kam es Machtkämpfe zwischen Anhängern des Rätesystems angesichts der sich spätestens ab Ende September und des pluralistischen Parlamentarismus zu. 1918 abzeichnenden Kriegsniederlage Deutschlands und Österreich-Ungarns sowie der aus der Unterver- Am 17. März wurde nach wochenlangen Verhandlun- sorgung resultierenden Not zur Novemberrevolution gen Johannes Hoffmann (SPD) als Vertreter einer plu- im Deutschen Reich. Die Revolution breitete sich in- ralistisch-parlamentarischen Demokratie vom Land- nerhalb weniger Tage ausgehend vom Matrosenauf- tag zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt. Gegen stand in Wilhelmshaven und Kiel im gesamten Reich dessen Regierung kam es am 7. April zur Bildung der aus und erfasste auch das Königreich Bayern und des- Räterepublik, die sich in weitere zwei Phasen auftei- sen Hauptstadt München – noch vor der Reichshaupt- len lässt: Die erste war in ihrer Führung dominiert von stadt . pazifistischen und anarchistischen Intellektuellen, die zweite von Anhängern und Mitgliedern der Kommu- Als erster deutscher Monarch wurde am 7. Novem- nistischen Partei Deutschlands. ber 1918 der bayerische König Ludwig III. abge- setzt. Damit wurde das mindestens seit 919 (es gibt Ab Mitte April griffen vom inzwischen nach Bamberg unterschiedliche Anfangsdaten) in Bayern etwa 1.000 ausgewichenen Kabinett Hoffmann zu Hilfe gerufene Jahre existierende und seit 1180 herrschende Adels- Freikorpseinheiten, auch als Weiße Truppen bezeich- geschlecht der Wittelsbacher gestürzt. Kurt Eisner net, die Verteidiger der Räterepublik an und erober- von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Par- ten zusammen mit aus Berlin angeforderten Reichs- tei (USPD) rief den Freien Volksstaat Bayern aus und wehrverbänden München bis zum 2. Mai 1919 zurück. wurde vom Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat zum Im Laufe der Kämpfe kam es zu Grausamkeiten, bei ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik denen hunderte Menschen starben, in der Mehrzahl gewählt. als Opfer der Freikorps.

Am 12. Januar 1919 fand nach einem neuen allgemei- Die Errichtung der Räterepublik sowie verschiedene nen Wahlrecht die Wahl zu einem verfassunggeben- Entwicklungen im Revolutionsverlauf, zum Beispiel den Landtag statt, bei der die USPD eine vernichten- das Vorgehen der SPD-Spitze mit ihrem Rückgriff auf de Niederlage hinnehmen musste. reaktionäre und republikfeindliche militärische und paramilitärischer Verbände zur Niederschlagung der Nachdem Eisner am 21. Februar 1919, kurz vor sei- Räterepublik, begünstigten nationalistische Kräfte in ner geplanten Rücktrittserklärung, von dem Attentäter Bayern. In den 1920er Jahren wurde Bayern zur „Ord- Anton Graf von Arco auf Valley ermordet worden war, nungszelle“ des Deutschen Reiches. Hier begann wurde die Landtagssitzung nach Tumulten, die zwei auch die politische Karriere des späteren Diktators weitere Todesopfer zur Folge hatten, vertagt. Als pro- Adolf Hitler, der 1923 in München mit einigen An- visorische Regierung konstituierte sich ein „Zentral- hängern den vorerst noch erfolglosen „Hitlerputsch“ rat der bayerischen Republik“ unter durchführte. (SPD, später USPD). In der Folgezeit spitzten sich die

Quelle: Wikipedia: Münchner Räterepublik (Auszug) Link vom 1.9.2018: https://de.wikipedia.org/wiki/Münchner_Räterepublik 8 Kurzer Überblick zur Geschichte der Revolution

3. Ergebnisse und Auswirkungen der Revolution

a) Die Ergebnisse

Mit der Niederschlagung der Räterepublik Trennung der kirchlichen und der staatlichen Sphäre war in Bayern die revolutionäre Phase beendet. Mit- massiv profitierten, wurde erst nach Verabschiedung telfristig bedeutete dies auch das Ende der Arbeiter-, der neuen Reichs- und der bayerischen Verfassung Soldaten- und Bauernräte. Andere Errungenschaften richtig deutlich. So entfielen die staatlichen Eingriffe der Revolution hatten jedoch Bestand. So erwies sich in die innerkirchlichen Angelegenheiten, gleichzeitig die Beseitigung der Monarchie als dauerhaft. An ihre wurde den Kirchen freilich ein öffentlich-rechtlicher Stelle trat eine parlamentarische Demokratie mit all- Status zuerkannt, der nicht zuletzt die Finanzierung gemeinem, gleichem, unmittelbarem und geheimem über Steuern gewährleistete, die durch den Staat ein- Verhältniswahlrecht. Die Jahrzehnte langen Bestre- getrieben wurden. Der Preis bestand in der Beseiti- bungen der Frauenrechtlerinnen bewirkten, dass von gung der kirchlichen Schulaufsicht und im Recht der Kurt Eisner das aktive und passive Frauenwahlrecht in Eltern, über die Teilnahme ihrer Kinder am Religions- die provisorische Verfassung aufgenommen wurde – unterricht zu entscheiden. Rückgängig gemacht wur- und später in die Reichsverfassung Eingang fand. Be- den hingegen die Maßnahmen zur Beseitigung der seitigt wurden die Kammer der Reichsräte und damit Bekenntnisschule. Das Verhältnis Staat-Kirche wurde die Reste des Ständestaats mit den daran geknüpften durch das Konkordat und die Kirchenverträge von politischen Vorrechten des Adels. 1924/25 neu geregelt.

Fundamentale und dauerhafte Veränderungen brach- Mit der Schaffung eines Ministeriums für soziale Für- te die Revolution auch für die Religionsgemeinschaf- sorge (Verordnung vom 14. ) war der ten mit sich, da sie das Ende der staatlichen Kirchen- Sozialstaatsgedanke erstmals im Verwaltungsaufbau hoheit bedeutete. Einen noch massiveren Einschnitt verankert worden. Zwar fiel das Ressort der Verwal- stellte aber das Ende des landesherrlichen Kirchen- tungsreform des Jahres 1928 zum Opfer, doch lebte regiments für den Protestantismus dar. Mit dem Mo- es nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Staatsmi- narchen verlor dieser zugleich sein Oberhaupt und nisterium für Arbeit und soziale Fürsorge wieder auf. damit eine tragende Säule seiner innerkirchlichen Auch ein Ministerium für Landwirtschaft sowie ein Verfassung, weshalb sich 1921 die pfälzische und Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe wur- die bayerische Landeskirche neue Verfassungen den in der Revolutionszeit begründet (1. bzw. 3. April gaben. Dass die Religionsgemeinschaften von der 1919). Kurzer Überblick zur Geschichte der Revolution 9

b) Langfristige politische Auswirkungen

Für das Wirtschaftsleben brachten aber vor terepublik im bürgerlichen Lager tief eingeprägte allem die Einführung des Achtstundentags und die Antisozialismus verhinderte noch in der Endphase Anerkennung des Koalitions- und Streikrechts der der Weimarer Republik eine Zusammenarbeit mit der Staatsarbeiter Neuerungen, die auch im Alltagsleben gemäßigten Linken und schwächte damit das demo- spürbar waren. Verwirklicht wurde außerdem die kratische Lager. weitgehende Befreiung des Kulturlebens und der Medien von staatlicher Aufsicht und Zensur. Als verhängnisvoll erwies sich ferner die Tatsache, dass nach der Niederschlagung der Räterepublik die Die Revolution des Jahres 1918/1919 wird vielfach Deutungshoheit auf die Sieger, das heißt letztlich die mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Zusam- politische Rechte und das bürgerlich-konservative menhang gebracht, der in München seinen Anfang Lager, überging. Dies hatte zur Folge, dass der Sturz nahm. Das Bemühen, einen stringenten Zusammen- der Monarchie, der im November 1918 mehrheitlich hang zwischen beiden Phänomenen herzustellen, ist als unvermeidlich hingenommen worden war, fortan freilich zum Scheitern verurteilt. Dies bedeutet je- als illegitime Tat einiger weniger landfremder Elemen- doch nicht, die Augen vor den verhängnisvollen poli- te hingestellt werden konnte. Selbst die militärische tischen Folgen zu verschließen, welche die Revolution Niederlage wurde den "vaterlandslosen Gesellen" gerade in Bayern gehabt hat. Als ambivalent erwies aus der politischen Linken in die Schuhe geschoben sich insbesondere die politische Mobilisierung brei- (vgl. Dolchstoßlegende). Die Verfälschung der wahren ter Bevölkerungsschichten. Sie führte nicht nur zu Kausalitäten sollte sich als äußerst wirkmächtig erwei- einer Zersplitterung, sondern auch zu einer Polari- sen und hatte für die Akzeptanz der demokratischen sierung der Parteienlandschaft, das heißt zu einer Grundordnung fatale Folgen. dauerhaften Etablierung links- wie rechtsradikaler Gruppierungen. Der durch die Erfahrungen der Rä-

Autor: Dr. Bernhard Grau Quelle: Historisches Lexikon Bayerns Online: Revolution, 1918/19, Kapitel 16 und 17. Link vom 1.9.2018: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Revolution,_1918/1919#Etappen_der_Revolution_I:_Die_Amts- zeit_des_Ministerpräsidenten_Kurt_Eisner_.288._November_1918-21._Februar_1919.29, eingesehen Sept.2018. 10 Revolution und Räterepublik 11 Andreas Heusler

Der folgennde Artikel von Dr. Andreas Heusler zwei Vertreter in das Gemeindekollegium und in den wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors Magistrat. Darüber hinaus trat er jedoch öffentlich und des Verlages abgedruckt und in der Ausstel- kaum in Erscheinung, was zweifellos auf die starke lung mehrfach zitiert. Quelle: Spuren. Beiträge Präsenz der MSPD (Mehrheitssozialdemokraten) und zur Pasinger Geschichte, Hg. Geschichtswerkstatt der freien Gewerkschaften im Arbeiterrat zurückzu- Arbeiten und Leben in Pasing e. V., Begleitbuch führen war. Beide hatten kein Interesse an einer Zu- zur Ausstellung vom 21. September bis zum spitzung der politischen Krise und bemühten sich, die 8. Oktober 1989 in der Pasinger Fabrik, Profil Rätebewegung auf eine gemäßigte Linie festzulegen. Verlag München. Aus dem Kapitel von Dr. Andreas Heusler: "Zwischen Kaiserreich und Diktatur Angeregt durch das Münchner Vorbild konstituierte – Pasing in der Weimarer Republik" ist der Abschnitt sich auch in Pasing Ende November 1918 ein „Rat "Revolution und Räterepublik", S. 95 - 111, wieder- geistiger Arbeiter“, der jedoch keine nennenswerte gegeben. politische Initiative entfaltete, sondern vorrangig als Interessenvertretung der durch die Revolution sich bedroht fühlenden Pasinger Intelligenz auftrat.

Von den Wirren und Aufregungen, Um möglichen Ausschreitungen vorzubeugen und welche die revolutionären Ereignisse im benachbar- zur Unterstützung der örtlichen Polizeibehörden rich- ten München hervorgerufen hatten, war Pasing zu- tete der Magistrat Mitte November eine städtische nächst nicht betroffen. Der Übergang zur neuen Ord- Sicherheitswache ein, bestehend aus 24 bewaffneten nung, von der Monarchie zur Republik, vollzog sich Pasinger Bürgern, „mit den Verhältnissen vertraute, geräuschlos, ohne pathetische Proklamationen und gesetzte, militärgediente Leute.“ Die Sicherheitswa- revolutionäre Manifestationen. Magistrat und Stadtver- che hatte ihren Posten im damaligen Saalbau Graml waltung setzten ihre Arbeit unbeirrt fort, der Pasinger in der Bahnhofstraße. Würmtalbote veröffentlichte pflichtgemäß die Ver- ordnungen und Bekanntmachungen der neuen Re- Lediglich der Lokalredakteur des Würmtalboten – das gierung. Die aus anderen Städten bekannten Aufrufe Blatt stand dem Zentrum bzw. der BVP nahe – ließ sich an die Bevölkerung, Ruhe und Ordnung zu bewahren, einmal zu einer zahmen Glosse die neue Ordnung be- blieben aus – ein Hinweis darauf, dass man in Pasing treffend hinreißen. Unter dem Titel „Schlimme Zeiten“ nicht mit gewalttätigen Ausschreitungen rechnete. notierte er: „Die politische Umwälzung wird zur Folge haben, daß es in Bayern und Deutschland auch keine Von den Veränderungen, welche die Revolution in der Ordensauszeichnungen und keine Titelverleihungen Stadtverwaltung und bei den Parteien herbeigeführt mehr gibt. Die Herren Kommerzien-, Justiz- und andere hatte, war für die Pasinger in den ersten Wochen nach Räte werden ebenso verschwinden wie die Herren Ge- dem Sturz der Wittelsbacher kaum etwas zu spüren. heimräte. Auch die Knopflochschmerzen werden nicht Wie überall Im Land konstituierte sich auch in Pasing mehr gestillt werden.“ ein Arbeiterrat, dem nach Maßgabe der neuen Re- gierung das Recht zustand, bis zu drei Vertreter mit Der Mord, der alles änderte beratender Stimme in die Sitzungen von Stadtmagis- trat und Gemeindekollegium abzuordnen. Über alle öffentlichen Angelegenheiten musste den Arbeiter- Die politische Lage in Pasing änderte sich schlagar- räten Auskunft erteilt werden; bei wichtigen Anläs- tig mit dem 21. Februar 1919. In München war der sen sollten sie Vorschläge, Anregungen und Anträge noch amtierende Ministerpräsident Eisner auf offener vorbringen dürfen. Nur widerwillig fügten sich die Straße ermordet worden. Nur wenige Stunden später Gemeindeparlamente diesem Eingriff in ihre Auto- fielen im bayerischen Landtag Schüsse. Alois Lindner, rität. Bürgermeister Wunder protestierte im Namen ein Eisner-Anhänger schoss den MSPD-Vorsitzenden des Magistrats gegen die Regierungsverordnung und Auer nieder, verletzte ihn schwer und tötete den ange- wies auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden sehenen Pasinger BVP-Abgeordneten Heinrich Osel hin, das durch die Anordnung von oben verletzt wer- und einen Offizier. Der Mord an Kurt Eisner und die de. Dennoch entsandte der Pasinger Arbeiterrat je Schüsse im Landtag stürzten das Land in eine schwere 12 Revolution und Räterepublik

politische Krise. Überstürzt löste sich der Landtag vom 21. zum 22. Februar und äußerten die Ansicht, auf – Legislativ- und Exekutivfunktion übernahm der die ganze Angelegenheit habe „etwas putschartiges“ „Zentralrat“. Der Generalstreik wurde ausgerufen und an sich gehabt. Allerdings, so räumte der MSPD-Ar- die bürgerliche Presse unter Zensur gestellt. Trotz der beiterrat Lichtinger ein, „nachdem (...) in der folgenden vernichtenden Wahlniederlage der USPD bei den Janu- öffentlichen Volksversammlung der jetzt bestehende arwahlen zum Landtag und zur verfassungsgebenden Arbeiterrat einstimmig gewählt wurde, liegen die Din- Nationalversammlung genoss Eisner innerhalb der Ar- ge doch etwas anders.“ Prominente Pasinger MSPD- beiterschaft nach wie vor hohes Ansehen. Vielen galt Genossen sprachen sich demnach für eine gemäßigte er als Symbol der Revolution und als Künder einer ge- Linie aus, beugten sich aber dem in der Versammlung rechten und freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Sein vom Samstag zum Ausdruck gekommenen Willen der gewaltsamer Tod empörte und verbitterte die Arbeiter. Pasinger Arbeiter. Damit war allerdings auch absehbar, Die Gegenrevolution schien auf dem Vormarsch – die dass in der Folgezeit eine konfliktfreie Zusammenar- Errungenschaften der Revolution waren in Gefahr. beit zwischen der zu pragmatischen Entscheidungen neigenden MSPD und der eine radikalere Linie verfol- Die Ereignisse vom 21. Februar blieben auch in Pasing genden USPD nur schwer durchzuhalten war. nicht ohne Resonanz und mobilisierten die sozialde- mokratischen Parteien und ihre Anhänger. Noch am Am Sonntagabend, es war der 23. Februar, trat der Re- Abend desselben Tages verständigten sich MSPD und volutionäre Arbeiterrat (im folgenden abgekürzt RAR) USPD nach eingehenden Beratungen, an denen auch zu seiner ersten öffentlichen Sitzung zusammen und Vertreter der Republikanischen Schutzwache und des fasste einstimmig eine Reihe von Beschlüssen, die, soll- in Pasing stationierten 1. Reserve-Infanterie-Regiments ten sie durchgeführt werden, für die Pasinger Stadtpo- teilnahmen, auf eine gemeinsame Aktion. Wie in Mün- litik von größter Tragweite sein mussten. U. a. sollte das chen beschloss man, die Arbeiterschaft zum General- Kollegium der Gemeindebevollmächtigten aufgelöst streik aufzurufen. Noch in der Nacht eilends gedruck- und dem Magistrat fünf Arbeiterräte mit beratender te Plakate verkündeten den Pasingern am nächsten Stimme zur Seite gestellt werden. Daneben sollte der Morgen die neue politische Lage. An die Stelle des Arbeiterrat berechtigt sein, in alle städtischen Betrie- Arbeiterrates trat ein „Revolutionärer Arbeiter- und Sol- be Kontrollorgane zu entsenden, „denen jederzeit alle datenrat“. Dem Generalstreik, der bis zum 24. Februar gewünschte Aufklärung zu geben ist.“ Gefordert wur- dauerte, wurde auf breiter Front in den Pasinger Be- den zudem die vorläufige Aufrechterhaltung der Zei- trieben Folge geleistet. Der Würmtalbote, der während tungszensur und ein Verbot von Tanzveranstaltungen. der Streiktage nicht erscheinen konnte und nun „unter Begründet wurde der Forderungskatalog wie folgt: der Kontrolle des Revolutionären Vollzugsrates“ heraus- „Die sozialistischen Parteien Pasings haben sich darüber gegeben wurde, meldete am 25. Februar befriedigt: geeinigt, daß die zweite Revolution eine unbedingte Si- „Der Generalstreik wurde bereits gestern Abend been- cherung der sozialistischen Idee herbeiführen muß.“ det. Der Zweck der Demonstration – Protest gegen je- den Versuch gegenrevolutionärer Bestrebungen – wur- Bei dieser Proklamation sollte es im Wesentlichen blei- de völlig erreicht. Die Arbeiterschaft hat infolgedessen, ben. Das Gemeindekollegium wurde nicht aufgelöst. ihrer Verantwortung voll bewußt, die Arbeit heute früh Nachdem der Magistrat, eingedenk der neuen Macht- wieder aufgenommen.“ konstellationen und sicher auch, um einem unbere- chenbaren Konflikt mit dem Rätegremium von vorn- Der Eindruck der Einmütigkeit, mit der die beiden ri- herein die Spitze zu nehmen, die „weitere praktische valisierenden sozialdemokratischen Parteien auf die Mitarbeit seitens des Arbeiterrates (...) willkommen“ Münchner Ereignisse reagiert hatten, aber täuscht. geheißen hatte, unternahm der RAR zunächst keine Führende Pasinger MSPD-Genossen waren keines- weiteren Schritte, um das kommunale Vertretungs- und wegs mit der Absetzung des alten Arbeiterrats und der Verwaltungssystem umzugestalten. Lediglich die Pres- Bildung eines Revolutionären Arbeiter- und Soldatenra- sezensur wurde vorerst noch beibehalten. Sie erwies tes einverstanden, und sie brachten diese Auffassung sich aber im Grunde als überflüssig, da sich die Re- auf einer der nächsten Sitzungen des RAR auch un- daktion des Würmtalboten einer Art freiwilliger Selbst- missverständlich zum Ausdruck. Sie verwiesen auf den kontrolle unterwarf und kritische Töne im Hinblick auf ungesetzlichen Charakter der Vorgänge in der Nacht die veränderte politische Lage vermied. Revolution und Räterepublik 13

Die öffentlichen Sitzungen des RAR, über deren Ta- Radikalisierung der Arbeiter- gesordnung und Verlauf eingehend im Würmtalbo- schaft und Stärkung der USPD ten berichtet wurde, sind gekennzeichnet von dem Versuch, gegenüber dem nach wie vor bestehenden Stadtmagistrat ein eigenes Profil zu entwickeln. Man Zu einer engen und konstruktiven Zusammenarbeit war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass der zwischen Magistrat und Arbeiterrat, die vor dem Hin- RAR zwar seine Legitimation aus der revolutionären tergrund der bestehenden Probleme zweckmäßig Situation ableiten konnte, dies aber unzureichend gewesen wäre, kam es in der Folgezeit aber nicht. Im bleiben musste, solange den Räten Rückhalt und Arbeiterrat selbst zeigten sich jedoch bemerkens- Zustimmung aus der Bevölkerung fehlten. Der RAR werte Veränderungen. Der Mord an Kurt Eisner und wandte sich daher jenen Problemen zu, die den Pa- die damit verbundene Furcht vor gegenrevolutionä- singern, vor allem den zahlreichen Arbeiterfamilien, ren Aktionen führte zu einer Radikalisierung der Ar- am ärgsten zusetzten, und deren Lösung der Magis- beiter. Von dieser Entwicklung profitierte die USPD, trat, wie es schien, nicht die notwendige Aufmerk- die sich der Arbeiterschaft als berufenste Sachwal- samkeit widmete: Ernährungs- und Versorgungslage, terin der sozialistischen Idee präsentierte und die Schleichhandel und Wucherpreise, Regelung von feste Einbindung der Räte in das politische System Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitge- zu einem Hauptpunkt ihrer Forderungen erhoben . Die Pasinger Räte verstanden sich ursprünglich hatte. Auf der Suche nach einer glaubwürdigen so- nicht als Konkurrenz zum Stadtmagistrat, zumal des- zialistischen Politik fanden zahlreiche von der Mehr- sen Aufgaben von den Arbeiterräten, die kaum über heitspartei enttäuschte Arbeiter und Genossen eine Erfahrungen in der kommunalen Verwaltungspraxis neue politische Heimat bei den Unabhängigen. Einige verfügten, wohl auch nicht hätten bewältigt werden mehrheitssozialdemokratische Arbeiterräte wechsel- können. Vielmehr sahen die Räte sich als Korrektiv ten die Parteibücher, so dass nun eine gestärkte USPD und Ergänzung zu den Gemeindegremien, vor allem ihren Anspruch auf die Position des 2. Vorsitzenden im auf sozialpolitischem Gebiet. Profilierte Magistrats- RAR anmelden konnte. Am 6. März fiel die Wahl ein- mitglieder wie der Mehrheitssozialdemokrat Hans stimmig auf den Pasinger USPD-Vorsitzenden Georg Nimmerfall betrachteten den Arbeiterrat jedoch mit Kugler, dem gleichzeitig die Geschäftsführung des Skepsis und zogen die Arbeit im Magistrat einer Mit- RAR übertragen wurde. Kugler, von Beruf Kaufmann, wirkung im Arbeiterrat – die sich eigentlich angebo- war bis zu diesem Zeitpunkt politisch nicht besonders ten hätte – vor. hervorgetreten. In den folgenden Wochen wurde er jedoch zur entscheidenden, aber auch umstrittensten Die im Magistrat vertretenen Parteien setzten auf Persönlichkeit der Pasinger Stadtpolitik. Neben Kug- Kontinuität und überparteiliche Zusammenarbeit, die ler führte der 1.Vorsitzende Josef Amann, der von der solidere Erfolge versprach, als dies von unberechen- MSPD gestellt wurde, lediglich ein Schattendasein. baren rätedemokratischen Experimenten zu erwar- ten war. Schon vor dem denkwürdigen 21. Februar Kugler drückte der Arbeit des RAR seinen Stempel hatten die Pasinger Parteigliederungen von MSPD, auf. Seine Initiativen und Aktivitäten haben das öffentli- BVP und DDP (Deutsche Demokratische Partei d. che Erscheinungsbild des Arbeiterrates in diesen Wo- bayer. Pfalz) zu einer gemeinsamen Protestversamm- chen entscheidend geprägt. Unter Kuglers Führung lung gegen die Politik der Siegermächte aufgerufen vermochte der RAR in der Tat ein eigenes Profil zu (13. Februar). Signalisierte die sozialdemokratische entwickeln und konnte zeitweise – zumindest bei der Mehrheitspartei unter der Führung Nimmerfalls da- Pasinger Arbeiterbevölkerung – ein hohes Maß an mit Kooperationsbereitschaft, so lehnte die Pasinger Zustimmung erreichen. Mehrfach gelang es Lebens- USPD eine Teilnahme aus “prinzipiellen Gründen“ mittelkontrolleuren aus den Reihen des RAR, gehorte- ab. In der Versammlung riefen prominente Redner te Lebensmittel in größeren Mengen sicherzustellen. der beteiligten Parteien übereinstimmend dazu auf, So wurden beispielsweise bei der Fa. Ritter und Sohn auf parteipolitische Auseinandersetzung zu verzich- ca. 25 - 30 Ztr. Speisekartoffeln – im Schweinestall ten, um “gemeinsam an dem Wiederaufbau des dar- unter Stroh versteckt – aufgespürt. In einem anderen niederliegenden weiteren und engeren Vaterlandes Pasinger Unternehmen wurden mehrere Ztr. Weizen zusammenzuarbeiten. “ entdeckt. In einer Zeit, in der die Versorgung mit Le- 14 Revolution und Räterepublik

bensmitteln sich dramatisch zugespitzt hatte, waren Spannungen zwischen RAR und dies unerhörte Vorgänge, die von der Bevölkerung Pasinger Magistrat mit Empörung registriert wurden. Auch gegen eine unangemessen hohe Preisgestaltung einzelner Kauf- leute ging der RAR mit drakonischen Strafen vor. Eine Die Aktivitäten des RAR wurden vom Magistrat mit Milchhändlerin, die ihren Kunden für den Liter Milch 1 zunehmendem Missfallen beobachtet. Die erfolgrei- Mark abverlangt hatte, wurde mit einer Geldbuße von chen und populären Initiativen und Maßnahmen der 250 Mark belegt – zahlbar an die Kasse der Kriegsbe- Arbeiterräte hatten zu einer Stärkung der Position der schädigten. Kugler selbst bemühte sich beim Magist- USPD geführt und deuteten auf eine Machtverschie- rat “mit Rücksicht auf die fortschreitende Teuerung der bung zugunsten des RAR gegenüber dem Magistrat Lebenshaltung“ um eine Anhebung der Sätze der Er- hin. Insbesondere Kuglers selbstbewusstes Auftreten werbslosenfürsorge. Solange es jedoch für das Geld stieß bei den Magistratsräten auf wachsenden Wider- nichts oder nur wenig zu kaufen gab, musste eine An- stand. Es stand zu befürchten, dass der 2.Vorsitzende hebung der Unterstützungssätze ins Leere laufen. Der des RAR den Magistrat ins Abseits drängen würde. RAR protestierte daher “energisch“ beim Bezirksamt Ende März kam es schließlich zum offenen Konflikt. gegen die “mangelhafte und zumeist einseitige Zuwei- In einer kontrovers geführten nichtöffentlichen Ma- sung von Lebensmitteln aller Art seitens des Bezirksam- gistratssitzung am 26. März zur Frage der Erhöhung tes. (...) Wir fordern daher nochmals ebenso höflich als der Straßenbahntarife kam es zum Eklat. Kugler hat- dringend, sich endgültig über die Lebensmittelvertei- te sich im Interesse der sozial Schwachen gegen lung mit uns und dem Wirtschaftsamt in Verbindung zu eine Anhebung ausgesprochen, worauf ihm Magist- setzen, damit wir in der Lage sind, der Bevölkerung eine ratsrat Riemerschmid das Wort entzog. Der Magistrat sofortige gerechte Verteilung in Aussicht zu stellen.“ suchte offensichtlich die Kraftprobe. Kugler und die USPD-Arbeiterräte versuchten daraufhin den RAR zu Von ihren Bemühungen um die Verbesserung der einer offiziellen Protestresolution an den Magistrat zu Lebenssituation der Pasinger Arbeiterfamilien veranlassen. RAR-Vertreter sollten künftig das gleiche schlossen die Arbeiterräte besser gestellte Bevöl- Stimmrecht wie die Magistratsräte besitzen, geheime kerungskreise aus. Eine schroffe Abfuhr handelte Sitzungen sollte der Magistrat keine mehr abhalten. sich ein Villenbesitzer ein, der um eine größere Wichtigste Forderung war jedoch das Verlangen nach Kohlenzuteilung nachgesucht hatte. Dem Antrag- Riemerschmids Rücktritt. Der RAR sollte bis zur Erfül- steller wurde in kühlem Ton mitgeteilt, dass er “im lung dieser Forderungen auf die Teilnahme an den Ma- Interesse der Allgemeinheit“ nicht mit neuen Koh- gistratssitzungen verzichten. In der Diskussion wurden lenlieferungen rechnen könne, sobald er seine Vor- die im RAR bestehenden tiefen Gräben zwischen den räte verbraucht habe. Auch die Pasinger Arbeitge- beiden sozialistischen Fraktionen deutlich. Die MSPD- ber konnten nicht auf das Entgegenkommen des Räte waren nicht bereit, die Resolution – die zweifellos RAR rechnen. In der Frage der Lohnzahlungen für zum Bruch mit dem Stadtmagistrat geführt hätte – mit- die während des Generalstreiks ausgefallenen Ar- zutragen. Auch nach einer heftig geführten Debatte beitstage entschieden die Räte erwartungsgemäß kam zwischen den beiden Parteien keine Einigung zugunsten der Arbeitnehmer. Nachdem zahlreiche zustande. Der schon seit Wochen schwelende Kon- Arbeitgeber die Lohnzahlungen verweigert hatten, flikt zwischen MSPD und USPD, der zwischenzeitlich fasste der RAR folgenden Beschluss: „Nachdem in nur notdürftig unterdrückt worden war, trat nun offen dieser Frage eine Entscheidung des Zentralrates zu Tage. Kugler trat von allen Ämtern im RAR zurück in München für ganz Bayern besteht, wonach diese und verließ unter Protest den Saal. Seine Parteifreun- Löhne auf alle Fälle von den Arbeitgebern bezahlt de folgten geschlossen und erklärten sich in einer öf- werden müssen, ergeht an die Geschäftsleitung des fentlichen Erklärung mit Kugler solidarisch: „Die USP- Rev.-A.R. die Weisung, alle säumigen Firmen zur so- Mitglieder des Rev. Arbeiter-Rates billigen einmütig das fortigen Nachzahlung der in Betracht kommenden Vorgehen ihres Parteivorsitzenden Kugler Georg und Beträge anzuhalten. (...) Eine Einbuße von Seiten der werden den Sitzungen des Arbeiter-Rates vor der end- Arbeiterschaft kann auf keinen Fall erfolgen.“ gültigen Beilegung der Krise mit dem Magistrat nicht mehr beiwohnen.“ Unterzeichnet ist die Erklärung von Revolution und Räterepublik 15

Abb. 1: Titelseite „Pasinger Würmtal-Bote“ vom 8. mit Aufruf des revolutionären Zentralrats Baierns. Quelle: Bayer. Staatsbibliothek, München. 16 Revolution und Räterepublik

neun Arbeiterräten; durch mehrere Übertritte von der Wirkung. Für Kugler war nun der Zeitpunkt gekommen, Mehrheitspartei hatte die USPD die Zahl ihrer Arbeiter- dem Rätegedanken in Pasing zum endgültigen Durch- räte inzwischen verdoppeln können und die Hälfte der bruch zu verhelfen und jene politischen Kräfte auszu- Mandate im RAR erreicht. schalten, die bislang eine konsequente sozialistische Neuordnung der Stadtpolitik verhindert hatten. [Abb. 1] In der Auseinandersetzung mit dem RAR sah sich der Stadtmagistrat schließlich zum Nachgeben gezwun- Für die Pasinger waren die politischen Veränderungen gen. Kugler hatte in der kurzen Zeit seines Wirkens im unübersehbar. Mit einer ganzseitigen Proklamation des RAR einen beträchtlichen Teil der Pasinger Arbeiter- „Revolutionären Zentralrates Baierns“ und großformati- schaft auf seine Seite bringen können. Angesichts der gen Aufrufen an die Pasinger Bevölkerung verkündete allgemeinen politischen Krise in Bayern und im Reich, der Würmtalbote am 8. April die neue politische Lage. der wachsenden Unzufriedenheit der Arbeiter und den Für den Pasinger Arbeiterrat formulierte Kugler die immer lauter werdenden Rufen nach Errichtung der Richtlinien der “sozialistisch-kommunistischen Räterepu- Räterepublik, konnte der Magistrat nicht riskieren, den blik“ und veröffentlichte einen 5 Punkte umfassenden Konflikt mit der USPD auf die Spitze zu treiben. Riemer- Maßnahmenkatalog: [Abb. 2] schmid lenkte ein und gab eine gewundene Entschul- Außerordentlich problematisch war, neben der Abset- digung ab; der Magistrat bot eine klärende Aussprache zung von Stadtmagistrat und Gemeindekollegium, zwei- mit Kugler an. fellos die Aufforderung an die städtischen Bediensteten, ihre Loyalität mit der Räterepublik zu erklären. Die Ent- Die Ausrufung der Räterepublik lassungsdrohung – sicher kein geeignetes Mittel, um die städtischen Bediensteten auf die neue Regierungsform sorgt für neuen Zündstoff einzuschwören – verfehlte ihre Wirkung nicht, zumal sie am folgenden Tag noch deutlich verschärft wurde: Doch bereits wenige Tage später erreichte der Kon- flikt zwischen Arbeiterrat und Magistrat einen neuen Neben der sofortigen Entlassung wurde zusätzlich die und vorläufig letzten Höhepunkt. In der Nacht zum 7. Streichung aller Versorgungsansprüche angekündigt. April war in München die Räterepublik ausgerufen Es ging zudem das Gerücht, dass widerspenstigen An- worden. Die Regierung Hoffmann zog sich ins sichere gestellten und Beamten die Lebensmittelrationen gestri- Bamberger Exil zurück – die Macht übernahm ein „Re- chen werden sollten. Unter dem Eindruck derart mas- volutionärer Zentralrat“. Selbst der kaum zu radikalen siver Repressionen scheinen sich alle Betroffenen zur Parolen neigende Pasinger Magistratsrat Nimmerfall, Unterschriftsleistung bereit gefunden zu haben, wie ein der unter der Eisner-Regierung als Staatsrat im Minis- im Stadtarchiv befindliches Dokument zeigt. terium für militärische Angelegenheiten tätig gewesen war, sprach sich anlässlich einer sozialdemokratischen Am 8. April stellte sich auch Bürgermeister Wunder Gaukonferenz in München (5./6. April) für die Prokla- „auf den Boden der gegebenen Tatsachen“ und erklär- mation der Räterepublik aus. Allerdings unter dem Vor- te seine Bereitschaft, mit den neuen Herren im Rathaus behalt, dass hinsichtlich der Vorgehensweise bei allen zusammen zuarbeiten: „Es ist mir ein Gebot übernom- drei sozialistischen Parteien (MSPD, USPD und KPD) mener Pflichten, in guten wie in ernsten Tagen das ganze Einigung erzielt werden würde. Nimmerfall durfte je- Können und Wollen mit voller Hingabe in den Dienst der doch damit rechnen, dass zwischen MSPD – von den Stadt und der Öffentlichkeit zu stellen.“ Die Motive für die- Kommunisten als „Arbeiterverräter“ beschimpft – und sen Schritt bleiben im Dunkeln. Man darf indessen darü- KPD wohl kaum eine gemeinsame Plattform erreicht ber spekulieren, ob Wunder, wie er angibt, im Interesse werden konnte, da die Kommunisten jegliche Koope- der Stadt eine personelle Kontinuität in der Stadtspitze ration mit der Mehrheitspartei kategorisch ablehnten. sicherstellen wollte oder aus eigennützigen Beweggrün- Dies legt den Schluss nahe, dass Nimmerfalls Votum den handelte. In diesem Zusammenhang sei darauf hin- für die Räterepublik im Wesentlichen taktischen Erwä- gewiesen, dass Wunder sich auch 14 Jahre später, 1933, gungen folgte und der Stimmung an der MSPD-Basis wieder „auf den Boden der gegebenen Tatsachen“ und Rechnung trug. den neuen Machthabern zur Verfügung stellte. In Pasing mit seiner starken USPD-Anhängerschaft blieben die Münchner Erschütterungen nicht ohne Revolution und Räterepublik 17

Abb. 2: „Aufruf“ des Revolutionären Arbeiterrats Pasing mit Veröffentlichung eines 5-Punkte-Maßnahmenkatalogs im Würmtalboten vom 8. April 1919. Quelle: Bayer. Staatsbibliothek, München. Abb. 3: Ausrufung der Räterepublik auf dem Marienplatz Pasing am 7.4.1919. Aufnahme des Fotografen Rudolf Kahl, auf dem Bild datiert 7.4.19. Quelle: Sammlung Möllmann 18 Revolution und Räterepublik

Der Pasinger RAR den kommunalen Verwaltungsaufgaben völlig über- fordert und sah sich außerstande, die Geschäfte von gerät in eine Krise Magistrat und Gemeindekollegium weiterzuführen.

Lediglich in der Pasinger MSPD wurden kritische Neuer Umsturz Stimmen laut. Der 1.Vorsitzende im RAR, Josef Amann, dessen Name von Kugler ohne Amanns Einverständ- und neue Herausforderungen nis unter die Proklamationen vom 8. April gesetzt worden war, protestierte energisch gegen „solchen In München war indes in der Nacht vom 12. zum 13.Ap- Terror“ und erklärte seinen Austritt aus dem RAR. Die ril ein Versuch regierungstreuer Truppen gescheitert, Zusammenarbeit im Arbeiterrat gestaltete sich un- die Räteregierung zu beseitigen. Die Räterepublik trat ter diesen Bedingungen schwierig. Zum endgültigen nun in ihre zweite Phase: die Kommunisten verdräng- Bruch zwischen MSPD und USPD kam es schließlich ten den Zentralrat und übernahmen die Macht. Die am 12. April, als die Mehrheitspartei geschlossen den Münchner Bevölkerung war durch diese Vorgänge RAR verließ. In einer Erklärung begründete die MSPD zutiefst verunsichert, und auch die Pasinger Bürger diesen Schritt u. a. mit Kuglers selbstherrlichem Füh- empfanden die Radikalisierung in der nahegelege- rungsstil und der Tatsache, dass der RAR, namentlich nen Hauptstadt als starke Bedrohung. Gerüchte über die mehrheitssozial-demokratischen Mitglieder, über eine militärische Intervention regierungstreuer Trup- entscheidende Maßnahmen Kuglers nur unzurei- pen zur Wiedereinsetzung der Regierung Hoffmann chend informiert worden waren: „Die unterzeichneten machten die Runde. Im Fall des Vorrückens von Militär Mitglieder des Rev. AR. erkennen keine Diktatur an und auf München war Pasing als Vorstadt und durch seine legen unter diesen Umständen ihre Mandate nieder ohne verkehrsgünstige und daher strategisch zentrale Lage damit zur Frage der Räterepublik Stellung zu nehmen.“ besonders gefährdet.

Der Austritt der MSPD-Räte brachte Kugler in eine Kugler sah sich unter diesen Bedingungen zu einem schwierige Lage. Einerseits büßte er seinen Rückhalt riskanten taktischen Manöver gezwungen. Da er den bei vielen der Mehrheitspartei nahestehenden Arbei- in der Stadtpolitik erreichten Stand nicht aufs Spiel tern ein. Andererseits war der Rumpfarbeiterrat mit setzen wollte, versuchte er durch öffentliche Aufrufe die Pasinger Arbeiter zum Generalstreik und zur Verteidigung der revolutionären Errungen- schaften zu mobilisieren. Die Pasinger Arbei- ter wurden zum Beitritt in die Rote Garde, die aus der städtischen Sicherheitswache gebil- det worden war, aufgerufen. Waffen erhielt die Rote Garde, die zeitweise 60 Mann umfasste, aus den Beständen des mittlerweile aufgelös- ten 1. Reserve-Infanterie-Regiments.

Trotz der radikalen und aufrüttelnden Propa- ganda für die Räterepublik versuchte Kugler eine allzu enge Anlehnung an die Münchner Räteregierung zu vermeiden. Das in München herrschende Kompetenzchaos, die unüberleg- ten Maßnahmen und Anordnungen, die sich vielfach widersprachen, sowie die fehlende politische Leitlinie im Handeln der Verantwort-

Abb. 4: Mitteilung des RAR an die „Bürger von Pasing!“, Würmtalbote vom 10. April 1919. Quelle: Bayer. Staatsbibliothek, München. Revolution und Räterepublik 19

reich waren sie nur in einem Fall: Karl Schmidt, Redakteur bei den „Münch- ner Neuesten Nachrichten“, wurde nachts um 2.00 Uhr in seiner Pasinger Wohnung festgenommen und nach München ins Luitpold-Gymnasium (dem Schauplatz des späteren Gei- selmordes) gebracht. Auf Fürsprache Kuglers wurde Schmidt jedoch wie- der freigelassen.

Kuglers Bemühungen, sich zwischen den Fronten der vorrückenden re- publikanischen Truppen und den radikalen Münchner Machthabern zu behaupten, waren letztlich zum Scheitern verurteilt. Ein außerordent- lich heftig geführter öffentlicher Streit zwischen Kugler und dem Pasinger MSPD-Funktionär Lichtinger, bei dem auf beiden Seiten mit persön- lichen Beleidigungen nicht gespart wurde, trug dazu bei, dass Kuglers Ansehen in der Pasinger Arbeiter- schaft sank. Im Würmtalboten wurde Kugler vorgeworfen, er habe sich aus „parteipolitischen Gründen (…) über den Kopf des Arbeiterrates hinweg zum Diktator aufgespielt.“ In der Tat musste Kuglers Amtsführung, die der eines mit umfassenden Kontroll- und Exekutivbefugnissen ausgestatteten Stadtkommandanten nahekam, Kritik Abb. 5: Flugblatt des Pasinger Arbeiterrats zum Generalstreik, 14. April 1919 . herausfordern. Die Amtsenthebung Quelle: Spuren, a. a. O., S. 105. der Gemeindegremien und die Nö- tigung der städtischen Bediensteten lichen, mussten auf jemand, der in einem überschau- waren kaum geeignet, in einer von heftigen Krisen- baren Gemeinwesen wie Pasing eine zielgerichtete situationen begleiteten Zeit ein Klima der Verständi- sozialistische Politik betrieb, abschreckend wirken. gung und Kooperation zu schaffen, in dem politische Vieles deutet darauf hin, dass Kugler auch daran ge- Reformen ohne nennenswerte äußere und innere Wi- legen war, eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. derstände gedeihen konnten. Kugler musste den Aus- Er bemühte sich intensiv, gewalttätige Übergriffe zu gleich mit den bürgerlichen Kräften und der Mehr- verhindern und verweigerte den Münchner Räten heitspartei suchen. Um einen geordneten Vollzug der mehrfach die Gefolgschaft. Als von München Wei- Stadtgeschäfte zu gewährleisten, sah er sich am 19. sung erteilt wurde, Bürgermeister Wunder, Magist- April gezwungen, Magistrat und Gemeindekollegium ratsrat Riemerschmid, Buchdruckereibesitzer Meindl, wieder einzusetzen. Die den städtischen Bedienste- Gräfin Gatterburg sowie Hans Nimmerfall als Geiseln ten abgepresste Loyalitätserklärung wurde als ge- zu nehmen, lehnte Kugler dies ab. Münchner Rotgar- genstandslos erklärt. Auch der Streit mit der MSPD disten versuchten daraufhin verschiedentlich, pro- musste beigelegt werden. minente Pasinger als Geiseln festzunehmen. Erfolg- 20 Revolution und Räterepublik Revolution und Räterepublik 21

Für Ende April anberaumte Neuwahlen sollten der lich zurückging. Die feste Einbindung der Arbeiter- Mehrheitspartei die Gelegenheit geben, ohne Ge- räte in das kommunale Verwaltungssystem hatte sich sichtsverlust Ihre Mitarbeit im Arbeiterrat wieder auf- bereits durch Kuglers Rückzieher bei der Wiederein- zunehmen. Zur Wahl waren ausschließlich Mitglieder setzung von Stadtmagistrat und Gemeindekollegium der sozialdemokratischen Parteien und der Freien als aussichtsloses Unterfangen erwiesen. Zudem war Gewerkschaften zugelassen. Mitglieder des christli- in den letzten Apriltagen täglich mit dem Vormarsch chen Orts- und Gewerkschaftskartells waren ebenso der regierungstreuen Truppen – es handelte sich um ausgeschlossen wie Arbeiter, die nicht organisiert Reichswehrtruppen, württembergische Verbände waren. Der Wahlaufruf wurde gemeinsam von USPD, und in Nordbayern ausgehobene Freikorps mit einer MSPD und den Freien Gewerkschaften unterzeichnet. Stärke von nahezu 3.5000 Mann – zu rechnen. In Da- Kritik blieb nicht aus. Im Namen des der BVP naheste- chau zeichnete sich die Niederlage der Roten Armee henden christlichen Orts- und Gewerkschaftskartells ab; größere Truppenverbände waren in Starnberg richtete Karl Wolf schwere Vorwürfe an die Adresse stationiert worden. Der Marsch auf München stand un- der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen mittelbar bevor, und Pasing würde als eine der ersten Parteien. Er kritisierte den Ausschluss großer Teile Städte den Regierungstruppen in die Hände fallen. der Pasinger Arbeiterschaft vom Wahlrecht, zumal Vor diesem Hintergrund war das Fernbleiben der Pa- sich die christliche Arbeiterschaft nicht bewusst sei, singer Arbeiter von den Wahlurnen nicht allein Folge „daß sie die Interessen der Arbeiterschaft nicht ge- des verlorengegangenen Vertrauens in die Räteidee, wahrt hätte, somit kein Grund vorgelegen hätte, der sondern auch Ausdruck der Resignation vor den mit solchen Terror rechtfertigen dürfte.“ Auch die DDP Pa- Hilfe militärischer Machtmittel geschaffenen Realitä- sing äußerte Unverständnis über den Charakter der ten. Wahl. Die Partei erklärte, „daß sie eine Körperschaft, Um ein Blutvergießen beim Einmarsch der „Weißgar- die aus einer solchen, willkürlich beschränkten Wahl disten“ in Pasing zu verhindern, entschloss sich Kug- hervorgeht, nicht als Arbeiterrat anerkennt. Wenn eine ler gemeinsam mit Bürgermeister Wunder und den allgemeine Neuwahl des Arbeiterrates auf gesetzlicher MSPD-Funktionären Amann und Höss nach Starnberg Grundlage stattfände, würde sich unsere Partei selbst zu fahren, um mit dem Kommandeur der Regierungs- verständlich daran beteiligen.“ truppen Oberstleutnant Bogendörfer Übergabever- handlungen zu führen. Am 27. April traf die Pasinger Bei den Wahlen am 27.April wurden 1.152 Stimmen Delegation in Starnberg ein und unterbreitete Bo- abgegeben. Davon entfielen 689 Stimmen auf die gendörfer das Angebot, Pasing ohne Widerstand zu USPD (12 Sitze) und 463 Stimmen auf die MSPD (8 übergeben; die Pasinger Rote Garde sollte jedoch bis Sitze). Allein aufgrund des hohen gewerkschaftlichen zur Übergabe ihre Waffen behalten dürfen. Bogen- Organisationsgrades in Pasing – 1920 waren etwa dörfer, der die vollständige Entwaffnung der Pasinger 3.500 Arbeiter Mitglied im Gewerkschaftsverein – Rotgardisten forderte, akzeptierte schließlich einen eine erstaunlich geringe Wahlbeteiligung. Immerhin Kompromiss: den Regierungstruppen sollte beim hatten bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Natio- Einmarsch keinerlei Widerstand entgegengesetzt nalversammlung am 19. Januar 1919 noch annähernd werden; die Rote Garde, bis auf 30 Mann entwaffnet, 3.200 Pasinger den beiden sozialdemokratischen Par- sollte bis zur Ankunft der Regierungstruppen Ruhe teien ihr Vertrauen gezeigt. Ende April wurde jedoch und Ordnung in der Stadt sicherstellen. Damit war deutlich, dass innerhalb der Pasinger Arbeiterschaft die drohende Gefahr einer militärischen Eskalation in die Bereitschaft zur Unterstützung der Räteidee deut- Pasing ausgeräumt.

Abb. 6: Die Rote Garde auf dem Pasinger Marienplatz. Aufnahme aus dem Atelierfenster des Fotografen Rudolf Kahl, datiert auf dem Foto 21.4.19. Quelle: Sammlung Möllmann. Abb. 7: Einmarsch der Weißen Truppen in Pasing. Aufnahme aus dem Atelierfenster des Fotografen Rudolf Kahl, Quelle: Sammlung Möllmann. 22 Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919 23

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

1918 28.-31. Jan. „Januarstreik“ der Münchner Rüstungsarbeiter/innen, der sich gegen die Kriegsführung und die katastrophale soziale Lage richtet. 15.-17. Jun. Die letzte Offensive der Die der Unabhängigen SPD (USPD) deutschen Heere in Frankreich schei- angehörenden Anführer – darunter tert. Kurt Eisner – werden monatelang in- haftiert. Unter den Verhafteten ist auch Sarah Sonja Lerch, eine Mitstreiterin für die Revolution. Sie wird im Gefäng- nis Stadelheim in einer Zelle tot aufge- 14. Aug. Die Oberste Heeresleitung funden. (OHL) erklärt die Fortführung des Krieges als aussichtslos. 15. Aug. Aufforderung des baye- rischen Ministerrats an die Reichslei- tung zur Suche nach einem Verständi- gungsfrieden.

29. Sept. Die OHL fordert von der Reichsleitung sofortige Waffenstill- standsverhandlungen und die Bildung einer „parlamentarisch getragenen Regierung“. 30. Sept. Daraufhin Erlass Kai- ser Wilhelm II. zur Umwandlung des Deutschen Kaiserreichs in eine par- lamentarische Monarchie. Damit soll die Verantwortung für die drohende Niederlage und ihre Folgen den Politi- kern zugeschoben werden.

3./4. Okt. Auf Druck der OHL rich- tet der neu ernannte Reichskanzler Max von Baden ein Waffenstillstand- sersuchen auf Basis des sog. 14-Punk- te-Programms an den amerikanischen Präsidenten Wilson als Vermittler.

24. Okt. Meuterei innerhalb der deutschen Kriegsflotte in Wilhelmsha- ven; wenige Tage später auch in Kiel. 28. Okt. Der Reichstag beschließt Verfassungs- und Gesetzesänderun- gen zur Einführung eines parlamen- tarischen Regierungssystems. Diese führen u. a. zu einer Stärkung der Po- sition des Reichstags gegenüber dem Reichskanzler; ihre sonstigen konkre- ten Auswirkungen sind jedoch gering. 24 Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

2. Nov. König Ludwig III. verkün- det die Einführung des parlamentari- schen Regierungssystems in Bayern. 3./4. Nov. Aufstand der Marinesol- daten in Kiel greift auf andere deut- 3. Nov. Nach einer Demonstrati- sche Städte über und führt dort zur on auf der Münchner Theresienwiese Bildung von Arbeiter- und Soldatenrä- fordert die Menschenmenge vor dem ten. Wittelsbacher Palais – dem Wohnsitz König Ludwig III. – die Schaffung einer sozialistischen Republik. 5. Nov. Bei einer Kundgebung auf der Theresienwiese verkündet Kurt Eisner (USPD) eine revolutionä- re Erhebung innerhalb der nächsten zwei Tage. 6. Nov. Zustimmung der Kam- mer der Abgeordneten im bayeri- schen Landtag zu einem Gesetzent- wurf, der eine Umwandlung Bayerns von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie vorsah. Zur vorgesehenen Abstim- mung am 8.11. kam es nicht mehr.

7. Nov. Eisners Revolution

Große Friedensdemonstration von ca. 40.000 Personen auf der There- sienwiese. Anschließend gelingt Eis- ners Mitstreiter die Mobilisierung der Münchner Solda- ten für die Revolution. Danach gründet sich in den Bierhallen des Mathäser- bräu am Hauptbahnhof ein Arbeiter- und Soldatenrat unter dem Vorsitz von Kurt Eisner. Dieser dringt dann mit großem Gefolge am späten Abend in den Sitzungssaal des Bayerischen Landtags ein. Dort verkündet er den Kriegsaustritt Bayerns sowie das Ende der bayerischen Monarchie und ruft den „Freien Volksstaat Bayern“ aus.

Flucht König Ludwigs III. auf sein Schloss Wildenwart am Chiemsee, am nächsten Tag nach Schloss Anif bei Salzburg.

8. Nov. Bildung einer über- wiegend aus Mitgliedern der Mehr- heits-SPD (MSPD) bestehenden provisorischen parlamentarischen „Volksregierung“ unter Vorsitz von Ministerpräsident Kurt Eisner (4 Mi- nister MSPD, 2 USPD, 2 parteilos).

Als Träger der revolutionären Staatsge- walt fungieren auf Verlangen Eisners die Arbeiter- Soldaten- und Bauernräte. Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919 25

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

Im bayerischen Landtag konstitu- iert sich ein „Provisorischer Nati- onalrat“ mit lediglich beratender Funktion. Er soll der aus einem Um- 9. Nov. Ausrufung der „Deut- sturz und nicht aus einer Wahl ent- 9. Nov. Die Stadtverwaltung schen Republik“ in Berlin durch Philipp standenen provisorischen Koaliti- wird „durch Beiziehung von Vertre- Scheidemann (MSPD) . onsregierung von MSPD und USPD tern aus allen Bevölkerungsschich- eine gewisse Legitimität verleihen. ten, insbesondere der Arbeiterschaft“ Verkündung des Thronverzichts von bürgernäher. Von dieser „erweiterten Kaiser Wilhelm II und des Kronprinzen. Ein Aufruf Eisners an die Bevölkerung Stadtverwaltung“ ergeht als erstes die Münchens und die Entmachtung der Aufforderung, Ruhe, Ordnung und Be- Die SPD und die bürgerlich-demokra- Dynastie Wittelsbach werden öffent- sonnenheit zu wahren (siehe Tafel 2, tischen Parteien setzten sich nach zum lich verkündet. rechte Spalte). Teil bürgerkriegsartigen Unruhen mit ihren Vorstellungen durch. Die Aktion Anfang Nov. Gründung des Pa- Scheidemanns markiert damit das singer Arbeiterrats durch Vertre- Ende des Kaiserreichs und die Ge- ter der Mehrheits-SPD und des burtsstunde der Weimarer Republik, Gewerkschaftsvereins (15 Mitglie- der ersten Republik, die den gesam- der) sowie der Unabhängigen SPD ten deutschen Nationalstaat umfasste. (5 Mitglieder). Entsprechend dem politischen Kräfteverhältnis über- 10. Nov. Berlin: MSPD und USPD nimmt der Gewerkschafter Karl bilden in einer Koalition den „Rat der Hesselbach die führende Rolle. Volksbeauftragten“ als revolutionäres Kontrollorgan des Regierungskabi- An den Sitzungen des Magistrats neh- netts, ausgestattet mit umfassenden men Vertreter des Arbeiterrates ohne Befugnissen. Daneben besteht ein Stimmrecht teil. „Vollzugsrat der Arbeiter- und Solda- tenräte“ als Kontrollorgan.

11. Nov. Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages durch die 12. Nov. Gründung der Bayeri- deutschen Unterhändler. schen Volkspartei (BVP) als Ableger der Zentrumspartei. Mitte Nov. Einrichtung einer städ- tischen Sicherheitswache zur Unter- 13. Nov. König Ludwig III legt die stützung der örtlichen Polizeistation. Regierung nieder und entbindet alle Beamten und Soldaten des ehemali- gen Königreiches Bayern von ihrem Treueeid. Dies wird von den Führern der Revolution als Thronverzicht auf- gefasst und verkündet. Eine offiziel- 22. Nov. Gründung einer Orts- le Abdankung von Ludwig III erfolgt gruppe der Bayerischen Volkspartei nicht. (BVP).

28. Nov. Kaiser Wilhelm II unter- zeichnet seinen Thronverzicht. Ende Nov./Anfang Dez. Zahlreiche Wahlveranstaltungen zur Landtagswahl und Nationalversamm- lung im Januar. 13. Dez. Der provisorische Baye- Eine neue und wichtige Zielgruppe rische Nationalrat tritt zu seiner ersten sind die jetzt wahlberechtigten Frauen 30. Dez. Gründung der Kommu- Sitzung zusammen. [siehe Tafeln 3 und 4]. nistischen Partei Deutschlands (KPD) aus anderen sozialistischen Gruppen. 26 Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing 1919

5. – 7. Jan. Spartakusaufstand in Berlin. Regierungstruppen und Frei- korps erschießen 156 Aufständische und Zivilisten. 7. Jan. Im Zuge des Spartakus- aufstands erhält Gustav Noske von Friedrich Ebert den Oberbefehl über die Truppen in und um Berlin. Aufstel- 12. Jan. An der ersten Land- 12. Jan. 92% der wahlberech- lung weiterer Freikorps in Berlin. tagswahl in Bayern nach Kriegs- tigten Pasinger Bürger/innen betei- ende können jetzt auch Frauen ligen sich an den Landtagswahlen. teilnehmen. Die KPD tritt zur Wahl Die Frauen sind erstmals wahlberech- nicht an. Die Ergebnisse: BVP 35%, tigt. Das Wahlergebnis: MSPD 48,6%, MSPD 33%, Deutsche Demokrati- USPD 2,1%. sche Partei (DDP) 14%, USPD 2,5%. 15. Jan. Der Arbeiterrat erhält Die Regierung Eisner gerät we- das Recht, bis zu drei Vertreter mit gen des eindeutigen Votums ge- beratender Stimme in den Magistrat gen eine Räte-Regierung in eine zu entsenden; ihnen ist über den Be- tiefe Legitimationskrise. ratungsgegenstand rechtzeitig Mittei- lung zu machen. Über alle öffentlichen Die MSPD strebt eine Koalition mit Angelegenheiten ist den Arbeiter- den bürgerlichen Parteien an. räten Auskunft zu erteilen. Bei allen wichtigen Angelegenheiten sind sie mit ihren Vorschlägen, Anregungen und Anträgen zu hören.

19. Jan. Bei der Wahl zur verfas- 19. Jan. Wahl zur verfassungge- sunggebenden deutschen National- benden deutschen Nationalversamm- versammlung wird die MSPD mit 165 lung. Wahlergebnis in Pasing: MSPD Mandaten stärkste Kraft im Deutschen 46,5%, USPD: 8,4%. Reich (USPD 22 Mandate).

11. Feb. Die deutsche National- versammlung in Berlin wählt Friedrich Ebert zum provisorischen Reichsprä- 13. Feb. Gemeinsame Demons- sidenten. tration von MSPD (mit Staatssekretär Hans Nimmerfall), Bayerischer Volks- partei (BVP) und Deutscher Demo- kratischer Partei (DDP) gegen die Gewaltpolitik der Siegermächte. Die USPD lehnt eine Beteiligung an die- sem Bündnis aus prinzipiellen Grün- den ab. 21. Feb. Unmittelbar vor der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags und seiner Rücktrittserklä- rung wird der provisorisch amtieren- de Ministerpräsident Kurt Eisner von einem rechtsradikalen ehemaligen Offizier ermordet. Der stellvertreten- de Ministerpräsident und Innenmi- nister wird von einem rachsüchtigen Eisner-Anhänger durch zwei Schüsse schwer verletzt. Der führungslose und geschockte Land- tag vertagt sich. Auch Heinrich Osel aus Pasing wird dabei erschossen. Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919 27 in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

2. Phase der Revolution

21. Feb. Als Reaktion auf den 21./22. Feb. Nach der Ermordung Mord und das dadurch entstandene von Ministerpräsident Eisner bildet Machtvakuum bildet sich als radikal sich in Pasing eine Koalition von MSPD, linker politischer Gegenpol zu den ge- USPD, Republikanischer Schutzwa- wählten Volksvertretern ein „Zentralrat che und dem Soldatenrat des 1. Re- der bayerischen Republik“. Er besteht serve-Infanterie-Regiments. aus Vertretern aller an der Revolution Der bisherige Arbeiterrat wird durch beteiligten relevanten Gruppen. einen provisorischen „Revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat“ (RASR) ab- Der Zentralrat zieht in der als kom- gelöst, Vorsitzender ist Josef Amann missarisches Regierungsgremium (MSPD). Die lokalen Zeitungsredakti- die Macht an sich. Er ruft den Gene- onen werden besetzt und eine Zensur ralstreik aus und verhängt den Bela- verhängt. gerungszustand über München. 23. Feb. Öffentliche Bekanntma- chung des RASR von überraschenden Beschlüssen: - Unterordnung des Bürgermeisters und des Magistrats unter die Aufsicht des RASR. - Auflösung des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten (Stadt- rat). - Entsendung von Kontrollorganen 26. Feb. An der Trauerfeier für in die städtischen Betriebe. Kurt Eisner nehmen in München etwa - Aufruf zu einem dreitägigen Ge- 100.000 Menschen teil. Für ganz Bay- neralstreik, um befürchtete konter- ern wird Landestrauer angeordnet. revolutionäre Aktivitäten zu verhindern.

28. Feb. Der Kongress der bay- Diese öffentlich proklamierten Forde- erischen Arbeiter-, Bauern- und Sol- rungen werden jedoch vorerst nicht datenräte („Rätekongress“) fungierte umgesetzt, weil dem Arbeiter- und kurzzeitig als Übergangsparlament. Soldatenrat dazu (noch) die Macht- Ein Antrag auf Ausrufung einer Räte- basis fehlt. Nur die Pressezensur wird republik wurde mit großer Mehrheit weiter praktiziert, obwohl dafür kein abgelehnt. Stattdessen wurde eine konkreter Anlass besteht. [Siehe Pro- sofortige Landtagssitzung zur Wahl klamation auf Tafel 5, rechte Spalte] einer sozialistischen Regierung, sowie deren Ausstattung mit weitreichenden Vollmachten, befürwortet. 6. März Neuwahl des mittlerwei- le „entmilitarisierten“ „Revolutionä- ren Arbeiterrats“ (RAR): Der USPD- Vorsitzende Georg Kugler wird 2. Vorsitzender und Geschäftsführer. Er entwickelt sich in kurzer Zeit zur do- minierenden Person dieses Gremi- ums. Durch soziale Aktivitäten für die notleidende Bevölkerung verbessert er das Ansehen des RAR erheblich und mehrt dadurch dessen politische Einflussmöglichkeiten. Der 1. Vorsit- zende Josef Amann (MSPD) gerät ins Abseits.

12. März Mitteilung des Magist- rats an das Bezirksamt München über die Verteilung von Waffen durch den RAR. 28 Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

17. März Die zweite Fassung des Staatsgrundgesetzes des Freistaats wird vom Landtag beschlossen, sie löst die Fassung vom 4. Januar ab. 17./18. März Nach schwierigen Verhandlungen zwischen dem re- volutionären „Zentralrat der bayeri- schen Republik“ und den gewählten 26. März Machtprobe zwischen Parteien kann der bayerische Land- RAR und Magistrat: tag Johannes Hoffmann (MSPD) zum - Der RAR verweigert die Zustimmung ersten demokratisch legitimierten Mi- zu der vom Magistrat geforderten An- nisterpräsidenten wählen und dessen hebung der Straßenbahntarife. Kabinett bestätigen. Durch den Erlass - Der RAR fordert die Gleichstellung weiterer Gesetze wird die Handlungs- bei Abstimmungen im Magistrat und im fähigkeit der neuen Landesregierung Kollegium der Gemeindebevollmäch- sichergestellt. tigten sowie die Abschaffung nicht- öffentlicher Sitzungen. Wegen dieser Forderungen kommt es zu heftigen Konflikten zwischen USPD- und MSPD-Arbeiterräten inner- halb des RAR. Der Pasinger Magistrat ist wegen der stärker gewordenen Position der 3. Phase der Revolution USPD im RAR zum Nachgeben ge- Ausrufung der Räterepublik Baiern zwungen.

7. April Die weitere Entwick- 7. April Der „Revolutionäre lung zur parlamentarisch regierten Zentralrat Baierns“ verkündet in al- Republik wird von der Ausrufung len Zeitungen die zur Wirklichkeit der „Räterepublik Baiern“ durch den gewordene Diktatur des Proletariats „Revolutionären Zentralrat Baierns“ sowie die Einführung der sozialis- und den „Revolutionären Arbeiterrat“ tisch-kommunistischen Räterepub- gestoppt. USPD und KPD sind an der lik. Der von Kugler und den USPD- Aktion nicht beteiligt worden. Mitgliedern dominierte RAR Pasings übernimmt es, dem „Pasinger Pro- Diese Räterepublik verfügt die Auf- letariat“ die 12 Richtlinien der neuen lösung des Landtags und verkün- Räte-Herrschaft bekannt zu geben. Er det die Diktatur des Proletariats. In schließt sich mit einem Aufruf und ei- der Folgezeit wird die Ministerial- nem eigenen 5-Punkte-Maßnahmen- bürokratie durch Volksbeauftragte katalog an. [Siehe Tafel 6] ersetzt, das sog. Proletariat bewaff- Der 1. Vorsitzende des RAR, Josef net, die Presse sozialisiert und sog. Amann, erklärt angesichts dieser nicht Volksgerichte eingerichtet. mit ihm abgestimmten Aktivitäten sei- nen Rücktritt. Die Repräsentanten dieser Räterepu- blik sind die pazifistisch-anarchistisch Um 15:00 Uhr, bei einer Volksver- gesinnten Intellektuellen Erich Müh- sammlung mit etwa 1.500 Teilneh- sam, Gustav Landauer und . mern auf dem Marienplatz, verkün- den die USPD-Arbeiterräte Lichtinger Die abgesetzte Regierung Hoffmann und Bachmair die Ausrufung der Rä- flieht nach Bamberg und verhängt terepublik in Bayern und fordern zur eine Lebensmittelsperre über alle Zustimmung auf. bayerischen Städte, die sich der Räte- revolution anschließen. 8. April Der 1. Bürgermeister Dr. Wunder verkündet in einer öffent- lichen Erklärung seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herren im Rathaus [siehe Tafel 8, linke Spalte]. Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919 29 in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

10. April Der RAR warnt die Bür- ger vor konterrevolutionären Aktivitä- ten und weist auf die Verhängung des Belagerungszustands durch das 1. Armee-Korps hin.

12. April Alle zwölf Arbeiterräte 13. April Die bayerische Regie- der MSPD legen wegen des diktato- rung versucht, das Räteregime durch rischen Handelns der USPD und ihres einen militärischen Überraschungs- Vorsitzenden Kugler ihre Mandate angriff auf die Landeshauptstadt zu nieder. Damit ist die Zusammenar- stürzen, dem sog. Palmsonntags- beit der beiden sozialdemokratischen putsch. Diese Attacke scheitert am Parteien vorübergehend beendet. Widerstand der von Kommunisten Der deutlich verkleinerte Revolutio- geführten paramilitärischen Revoluti- näre Arbeiterrat gerät dadurch in eine onstruppen (Rote Armee). schwierige Situation, denn er kann die Verwaltungsaufgaben, die er kürzlich an sich gerissen hat, nicht wahrneh- 4. Phase der Revolution, men. 2. Räterepublik

14. April In der Folge treten die 14. April Die Bevölkerung ist von Münchner Kommunisten an die Spit- den Nachrichten über den kommu- ze der Revolution und rufen die kom- nistischen Umsturz in München und munistische Räterepublik nach un- eine drohende militärische Interven- garisch-russischem Vorbild aus. Die tion der Regierung Hoffmann stark gesetzgebende Gewalt wird einem verschreckt; sie fürchtet um ihr Leben vierköpfigen Vollzugsrat unter der und ihr Eigentum. Leitung von Eugen Leviné übertragen. Georg Kugler ist der star- 14. April Beginn eines neuntägi- ke Mann in der Not, denn er gen Generalstreiks in München. Über nimmt eine Doppelrolle ein. den weiteren Verlauf ist nichts be- Als Herrscher des Revolutionären Ar- kannt. beiterrats appelliert er an die bürger- 16. April Bei Dachau kann die liche Bevölkerung, dem Schutz durch Rote Armee Truppenverbände der den RAR zu vertrauen und diesem bayerischen Regierung für kurze Zeit keine Schwierigkeiten zu bereiten. zurückschlagen. Als Chef der USPD ruft er die Arbei- 16. April Bei Dachau kann die terschaft zum Generalstreik auf und Rote Armee Truppenverbände der mobilisiert sie für den Eintritt in die bayerischen Regierung für kurze Zeit Rote Garde, die zur Verteidigung der zurückschlagen. revolutionären Errungenschaften an- 17. April Das weitere militärische getreten ist. [Siehe Tafel 9] Vorgehen der bayerischen Regierung 20. April Der Rest-RAR nimmt öf- gegen die Räterepublik erfolgt jetzt fentlich seine am 8. April verkünde- in Zusammenarbeit mit dem Reichs- ten Maßnahmen teilweise zurück und Kriegsministerium in Berlin. Die Bil- schwenkt um auf eine erneute Koope- dung von Freikorpsverbänden wird ration mit der MSPD, um sie in die po- durch massive Anwerbung von Frei- litische und administrative Verantwor- willigen gefördert. tung für die Stadt einzubinden [siehe Tafel 10, linke Spalte]. 22. April Große Truppenschau als Machtdemonstration der Räterepublik 24. April Gemeinsamer Aufruf von am Ende des Generalstreiks. Es neh- MSPD, USPD und der Freien Gewerk- men ca. 12.000 Rotgardisten und be- schaften zur öffentlichen Neuwahl des waffnete Zivilisten teil. RAR, in dem künftig alle gesellschaftli- chen Gruppen (Stände) vertreten sein 25. April Die Landesregierung sollen. Wahlberechtigt sind jedoch nur verhängt über Bayern das Kriegs- Mitglieder der zur Wahl aufrufenden recht. Organisationen. Diese undemokrati- sche Einschränkung des Wahlrechts führt zu heftigen Protesten. 30 Die Entwicklung der Revolution 1918 / 1919

in Deutschlandin Bayern und München in Pasing

27. April München wird von Bay- 27. April Die Beteiligung an der erischen Regierungstruppen und Wahl zum RAR ist gering. Dies sig- Freikorpsverbänden eingeschlossen. nalisiert eine stark abnehmende Ak- Verhandlungen des revolutionären zeptanz in der Arbeiterschaft, aber Aktionsausschusses mit der Regie- auch Unsicherheit bezüglich der po- rung Hoffmann über eine Beendigung litischen Entwicklung. Sitzverteilung: der Kämpfe, scheitern an deren For- USPD 12, MSPD 8. derung nach bedingungsloser Kapitu- 28. April Übergabeverhandlung lation. einer städtischen Delegation mit dem Kommandeur der Regierungstruppen in Starnberg. Damit wird der friedli- che Verlauf der militärischen Beset- zung Pasings sichergestellt. 29. April Rotgardisten aus Mün- chen versuchen noch in letzter Minute durch die Geiselnahme prominenter Bürger das Ende der Räterepublik aufzuhalten. Eine nächtliche Entfüh- rung gelingt jedoch nur bei Dr. Kurt Schmidt, dem Schriftleiter der kon- servativ ausgerichteten Münchner Neuesten Nachrichten. Kugler er- reicht jedoch seine umgehende Frei- lassung. 30. April Bekanntmachung von Verhaltensmaßregeln wegen des un- mittelbar bevorstehenden Eintreffens Ende der Revolution in Bayern der sog. Weißen Garden.

1. Mai Nach blutigen Straßen- 1. Mai Einmarsch der Regie- schlachten und Häuserkämpfen wird rungstruppen in Pasing. Die Stadt München durch regierungstreue Ver- wird friedlich übergeben. Es ergehen bände erobert. Die Kämpfe fordern mehrere Appelle an die Bevölkerung, über 600 Opfer, die meisten davon jegliche Art von Schusswaffen und sind Rotgardisten und Zivilisten. Die Munition abzuliefern. [Siehe Tafeln bayerische Räterepublik ist besiegt. 11-13]. 1. /2. Mai 53 unbewaffnete ehe- malige russische Kriegsgefangene werden von Regierungstruppen am Bahnhof verhaftet, nach Gräfelfing ab- 8. Mai Die letzten Kämpfe in geführt, dort standrechtlich abgeur- und um München gehen zu Ende. teilt und erschossen [siehe Tafel 15].

31. Mai Die MSPD bildet unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann eine Koalitionsregierung mit der Bay- erischen Volkspartei (BVP) und der Deutschen Demokratischen Partei 28. Jun. Abschluss des Friedens- (DDP). Die USPD gehört der neuen 6. Juni Georg Kugler wird vom vertrages von Versailles. Landesregierung nicht an. Standgericht München-Au von der Anklage wegen Beihilfe zum Landes- verrat freigesprochen. 31. Jul. Annahme der neuen Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Verfassung) durch die Na- tionalversammlung. 12. Aug. Der noch in Bamberg residierende bayerische Landtag be- schließt die Annahme einer neuen Verfassung (Bamberger Verfassung), sie tritt am 15.September 1919 in Kraft. Proklamation des Freistaats Bayern 31

An die Bevölkerung Münchens!

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchener Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die vom Vertrauen der Masse getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an! Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt. Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augen- blick durch die Selbstregierung des Volkes die Entwicklung der Zustände ohne allzu schwere Erschütterung zu ermöglichen, bevor die feindlichen Heere die Grenzen überfluten oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten deutschen Truppen das Chaos herbeiführen. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt. Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und Disziplin aufrechterhalten. Offiziere, die sich den Forderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen. Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen! Alle Beamte bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt. Die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden. Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen sich vorbereitet! Helft alle mit, daß sich die unvermeidliche Umwandlung rasch, leicht und friedlich vollzieht. In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein! Bewahrt die Ruhe und wirkt mit am Aufbau der neuen Welt! Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Einheit zurückgeführt. Es lebe die bayerische Republik! Es lebe der Frieden! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!

München, Landtag, in der Nacht zum 8. November 1918

Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern Der erste Vorsitzende: Kurt Eisner

[Münchner Neueste Nachrichten vom 8.11.1918, unveränderte Abschrift] 32 Staatsgrundgesetz der Republik Bayern vom 4. Januar 1919

Präambel In einem umfassenden Verfassungswerk sollen die Grundsätze der sozialistischen Republik zur Darstel- Der Weltkrieg hat den Zusammenbruch der politi- lung gelangen. schen und wirtschaftlichen Ordnung herbeigeführt. Das entrechtete, von der Entscheidung über seine Bis zur Vollendung dieser Aufgabe, die dem von Lebensfragen ausgesperrte Volk wurde von schran- der revolutionären Regierung einberufenen kenlos herrschenden Gewalten in Krieg und Unter- Landtag obliegt, bleibt das folgende vorläufige gang getrieben. In der Stunde höchster Not aber, Staatsgrundgesetz in Kraft, das die unerläßli- raffte sich dieses ohnmächtige Volk auf, zertrat in chen Grundsätze der künftigen Verfassung fest- gewaltiger revolutionärer Erhebung das schuldige legt, und solange die giltige provisorische Ver- System der Vergangenheit und riß die Macht an sich. fassung der Republik Bayern darstellt, bis die Das politisch ohnmächtige Volk wurde durch die Re- endgültige Verfassung zustande gekommen ist. volution das freieste. Das bayerische Volk ist in der Befreiung Deutsch- lands vorangegangen. Es ist entschlossen, als ein kraftvolles, selbstständiges Glied in einigem Verein Text des Gesetzes deutscher Staaten und im Geiste des kommenden Völkerbundes zu wirken, der die Menschheit zu Bayern ist eine Republik. friedlicher gemeinschaftlicher Arbeit für alle Zeiten zusammenschließt. 1. Bayern ist Mitglied der Vereinigten Staaten Deutsch- Die Vergangenheit ist tot. Auf neuen Wegen ringt lands (Deutsches Reich). das Volk um die Gestaltung seines Schicksals. Daß dieses Volk in seiner Gesamtheit frei über die Be- 2. Die höchste Gewalt des Bayerischen Staates liegt dingungen und Formen seines Lebens entscheidet, beim Volk. ist das unantastbare ewige Grundgesetz der baye- rischen Republik. Seine Herrschaft soll nicht in der 3. Das Volk äußert seinen Willen durch Abstimmun- Anwendung leerer äußerlicher Rechte bestehen, gen und Wahlen der Staatsbürger und die durch die sondern in der unmittelbaren und unablässigen Mit- Verfassung eingesetzten Organe. arbeit an den Angelegenheiten des Staates und in Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, des der gesetzlich verbürgten Macht, den Volkswillen je- Geschlechtes, des Glaubens und des Berufes jeder derzeit durchzusetzen. Diese lebendige Demokratie Angehörige des Bayerischen Staates, der das 20. Le- vollzieht und vollendet sich in den freien Organisa- bensjahr vollendet hat. tionen des Volkes wie im Landtag und ganz beson- ders in der Volksabstimmung, die den Zweck und die 4. Durch Wahlen der Staatsbürger wird der Landtag Wirkung hat, die Übereinstimmung zwischen dem gebildet, der aus einer Kammer besteht. Die Wahl Willen des Volkes und seinen Vertretungen in Regie- ist allgemein, gleich, unmittelbar, geheim, nach dem rung und Landtag zu sichern. Verhältnisse der Stimmen. Die uneingeschränkte Herrschaft des Volkes, die gewaltige Kraft der Massen kann aber nur dann in 5. Wahlberechtigt sind alle bayerischen Staatsbürger, schöpferische Leistung umgesetzt werden, wenn wählbar sind alle bayerischen Staatsbürger über 25 alle mit Kopf und Hand Arbeitenden im Staate durch- Jahre. drungen sind von der einheitlichen Erkenntnis der Staatsziele und der Klarheit über die Mittel ihrer 6. Die oberste vollziehende Gewalt wird vom Gesamt- Erreichung. Aus der völligen Zerrüttung der alten ministerium ausgeübt. Verhältnisse kann nur die soziale Neuordnung her- ausführen. Die neue Demokratie kann ihre Lebens- 7. Das Gesamtministerium hat das Recht, Beschlüs- fähigkeit und ihr Daseinsrecht nur in dem Grade be- se des Landtags spätestens innerhalb 4 Wochen der weisen, als es ihr gelingt, in ruhiger organisierender Volksbestimmung (Referendum) zu unterbreiten. Arbeit, den sozialen Neuaufbau der Gesellschaft von In solchen Fällen werden die Beschlüsse des Land- Grund aus zu verwirklichen. Staatsgrundgesetz der Republik Bayern 33 vom 4. Januar 1919

tags erst wirksam, wenn sie in der Volksabstimmung 15. Das Unterrichtswesen ist eine staatliche Angele- mit einfacher Mehrheit der abstimmenden Staatsbür- genheit. Die Erteilung des Religionsunterrichts ob- ger bestätigt sind. liegt den Glaubensgesellschaften. Entscheidet die Volksabstimmung gegen den Land- Staatliche Lehrpersonen können zur Erteilung des tag, so ist er aufzulösen. Religionsunterrichts nicht gezwungen werden; Entscheidet sie gegen das Gesamtministerium, so hat die Erziehungsberechtigten können von Staatswegen es zurückzutreten. nicht gezwungen werden, die ihnen anvertraute Ju- gend zur Teilnahme am Religionsunterricht oder an 8. Der Staat sichert die Unverletzlichkeit der Person, religiösen Übungen anzuhalten. Freiheit des Glaubens und der Meinung in Rede und Schrift, Freiheit der Lehre, Wissenschaft und Kunst. 16. Die Beamten haben das unbeschränkte Recht ih- rer staatsbürgerlichen Betätigung. Die Rechte der Be- 9. Das Eigentum ist unverletzlich. Die Enteignung von amten bleiben unangetastet. Vermögen kann nur zum Zwecke des Gemeinwohls auf Grund von Gesetzen erfolgen. 17. Bis zur endgültigen Erledigung des Verfassungs- entwurfes, der dem Landtag sofort nach seinem 10. Vor dem Gesetze sind alle Einwohner gleich. Nie- Zusammentritt vorgelegen werden muß, übt die re- mand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen wer- volutionäre Regierung die gesetzgebende und voll- den. Die Rechtsprechung wird durch unabhängige ziehende Gewalt aus. Gerichte ausgeübt. 18. Dieses Staatsgrundgesetz tritt, insoweit es nicht 11. Alle Vorrechte der Geburt und des Adels, sowie bloße Programmsätze (Ziff. 11, 12, 13, 14, 15) enthält, Titel, die keine Berufsbezeichnungen sind, werden mit seiner Verkündigung in Kraft. aufgehoben. Neue Fideikommisse dürfen nicht errichtet werden, München, den 4. Januar 1919 die bestehenden sind durch besonderes Gesetz auf- zuheben. Kurt Eisner. E. Auer. H. v. Frauendorfer. Hoffmann. Dr. Jaffé. Roßhaupter. J. Timm. Unterleitner. 12. Die öffentlichen Lasten sind ansteigend nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen.

13. Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht, weitgehender Selbstverwaltung. Quelle: Wolfgang Ehberger, Bayerische Verfassung, Die Wahlen zu den gemeindlichen Vertretungskör- 1919, publiziert am 23.08.2017; in: Historisches Lexikon pern erfolgen nach den Grundsätzen des Landtags- Bayerns, URL: , eingese- hen 11.10.2018. 14. Die Glaubensgesellschaften sind unabhängig von Staate und unterstehen dessen Schutz. Alle Glaubens- Anmerkung: Dieses Staatsgrundgesetz der Republik gesellschaften sind gleichberechtigt und frei in ihrer Bayern wurde aufgehoben durch das vorläufige Staats- Bestätigung. grundgesetz des Freistaates Bayern, beschlossen durch Niemand kann zum Eintritt in eine Glaubensgesell- den Landtag am 17. März 1919. Ihm folgte kurz dar- schaft, zur Teilnahme an ihren Kultus oder zum Ver- auf die sog. Bamberger Verfassung (siehe „Glossar“) bleiben in einer Glaubensgesellschaft gezwungen vom 12. August 1919. Diese wurde 1934 durch die sog. werden. Gleichschaltung der Länder und formal durch das Bestehende Rechte der Glaubensgesellschaften kön- „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“ aufgehoben. nen nur auf dem Wege der Gesetzgebung abgelöst Am 8. Dezember 1946 trat die bis heute gültige Verfas- werden. sung des Freistaats Bayern in Kraft. 34 Glossar zur Bayerischen Revolution 1918/19

Anifer Erklärung Belagerungszustand König Ludwig III. floh zusammen mit Königin The- Im Falle des Ausnahmezustands konnte die Regie- rese und einigen Mitgliedern des Hofstaats noch in rung durch Verhängung des Belagerungszustands der Nacht der Revolution am 7. November 1918 nach zusätzliche Kompetenzen für sich beanspruchen und Schloss Anif bei Salzburg. Am 12. November 1918 allgemeine Grundrechte aufheben. entband er in einer schriftlichen Erklärung die Beam- ten, Soldaten und Offiziere von ihrem Treueid. Eine In Bayern war der Belagerungszustand während des explizite Abdankung formulierte er hingegen nicht. Ersten Weltkriegs gegeben; er wurde unter anderem Kurt Eisner fasste diese so genannte Anifer Erklärung dazu genutzt, die Wirtschaft zentral zu steuern. Infolge als Abdankung auf. des am 21. Februar 1919 auf Ministerpräsidenten Eis- ner verübten Attentats verhängte der Zentralrat den Arbeiter- und Soldatenrat Belagerungszustand über mehrere bayerische Städte Nach der bayerischen Revolution am 7.11.1918 wur- und erwirkte dadurch unter anderem die Zensur der den in ganz Bayern Arbeiter-, Soldaten- und Bauern- Presse und Versammlungsverbote. räte gebildet. Die Räte sollten die Regierungsgewalt der staatlichen und kommunalen Einrichtungen über- Freikorps nehmen und für eine reibungslose Durchsetzung der Im April 1919 hob die Regierung Hoffmann in ganz Revolution sorgen. Allerdings konnten sich die meis- Bayern paramilitärische Freiwilligenverbände aus, die ten Räte nur für kurze Zeit gegenüber den alten Ob- zusammen mit Einheiten der die Rätere- rigkeiten behaupten und sanken bald wieder in die publik in München niederwerfen sollten. Teile dieser Bedeutungslosigkeit herab. so genannten Weißen Truppen gingen hierbei mit großer Brutalität gegen die Rote Armee und die Zivil- bevölkerung vor. Bamberger Regierung/Bamberger Verfassung Nachdem am 7. April 1919 in München die „Rätere- Palmsonntagsputsch publik Baiern“ ausgerufen worden war, verlagerten Am 13. April 1919, dem Palmsonntag, verhaftete die die parlamentarisch gewählte Regierung von Minis- Republikanische Schutztruppe, die hinter Minister- terpräsident Johannes Hoffmann und der Bayerische präsident Hoffmann stand, mehrere Anführer des Bay- Landtag den Regierungssitz nach Bamberg. Hier wur- erischen Zentralrats in München und beendete damit de auch die Verfassung des Freistaats Bayern ausge- die erste Räterepublik. arbeitet und beschlossen. Sie wird nach dem Ort ihrer Entstehung als „Bamberger Verfassung“ bezeichnet. Räterepublik Die Idee der Räterepublik besagt, dass alle politi- Bayerischer Rätekongress schen Entscheidungen durch die in Räten organisier- Am 13. Februar 1919 fanden sich erstmals Delegier- ten Basisgruppen der Gesellschaft getroffen werden. te der Rätegremien aus ganz Bayern auf dem Baye- Die Willensbildung im Staat soll sich also von unten rischen Rätekongress in München ein. Hauptforde- nach oben vollziehen. rung des Kongress war die Erhaltung der durch die Revolution entstandenen Rätegremien auch nach den In Bayern kam es am 7. April 1919 zur Proklamation geplanten Landtagswahlen; die Rätegremien sollten der ersten Räterepublik. Mit ihrem Anspruch, die Rä- fest in das zukünftige politische System des Freistaats te-Idee als Ideal umzusetzen, glich sie einer Utopie. Bayerns eingebunden werden. Nach dem Attentat auf Nach dem Sturz der ersten Räterepublik am13. April Ministerpräsident Kurt Eisner berief der Zentralrat am 1919 nutzte die KPD das entstandene Machtvakuum 25. Februar 1919 erneut den Rätekongress, um über und proklamierte in München die zweite Räterepublik, die weitere politische Entwicklung Bayerns beraten die dem Beispiel Sowjetrusslands folgen sollte. Den zu lassen. In einer Übereinkunft mit Vertretern des Kommunisten war die erste Räterepublik nicht radikal auseinander gebrochenen Landtags sprach sich eine genug gewesen, sie verspotteten sie als „Scheinräte- große Mehrheit der Delegierten am 28. Februar 1919 republik“. Die kommunistische Räterepublik wurde gegen die Errichtung eines Rätesystems und für die Anfang Mai durch Truppen der parlamentarischen parlamentarische Demokratie aus. Regierung Hoffmann beseitigt. Glossar zur Bayerischen Revolution 1918/19 35

Revolution Spartakisten In der Geschichte Bayerns ist der Begriff Revolution Im nach dem Anführer des römischen Sklavenauf- hauptsächlich mit zwei Ereignissen verbunden: stands im 1. Jahrhundert v. Chr. benannten Spartakus- bund sammelten sich seit 1915 radikale Sozialisten 1. Im Zuge der revolutionären Erhebungen in Frank- und Pazifisten aus den Reihen der SPD. 1917 schlos- reich und mehreren deutschen Ländern 1848 kam sen sich die Spartakisten der neugebildeten USPD es auch in München sowie in Teilen Schwabens und (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutsch- Frankens zu Unruhen, die schließlich zu Verfassungs- lands) an. Im Jahr 1919 wurde aus dem Spartakus- reformen sowie zur Abdankung des durch die Lola- bund heraus die KPD gegründet. Montez-Affäre angeschlagenen, Königs Ludwig I. zu- In Bayern entstanden ab 1919 nur in wenigen Indust- gunsten seines Sohnes Maximilian (II.) führten. riegebieten Spartakusgruppen, allerdings wurde der Begriff „Spartakisten“ im Vorfeld und zu Zeiten der 2. Im Anschluss an eine Friedensdemonstration auf Räterepubliken als Sammelbegriff auf Sozialisten und der Theresienwiese am 7. November 1918 besetzte Linksradikale jeder Couleur angewendet. eine kleine Gruppe unabhängiger Sozialisten (USPD) unter Führung Kurt Eisners Kasernen und Regierungs- Volksbeauftragter gebäude. Die Monarchie der Wittelsbacher wurde für In der am 7. April 1919 in München ausgerufenen ers- abgesetzt erklärt. In der darauffolgenden Nacht wur- ten Räterepublik wurden vom Revolutionären Zentral- de der Freistaat Bayern proklamiert mit Kurt Eisner an rat Volksbeauftragte gewählt, die in etwa die Stellung der Spitze als Vorsitzender des Ministerrats. von Ministern einnahmen.

Rote Armee Vollzugsrat Die nach der Ausrufung Bayerns zur Räterepublik Nach dem so genannten Palmsonntagsputsch am 13. am 7. April 1919 nach sowjetrussischem Vorbild auf- April 1919 wählte der im Münchner Hofbräuhaus ver- gestellte Rote Armee sollte die Räterepublik vor den sammelte Betriebs- und Soldatenrat von München ei- Weißen Truppen der parlamentarischen Bamberger nen Aktionsausschuss. Dieser wählte wiederum den Regierung verteidigen. Allerdings war die Rote Ar- Vollzugsrat, dem Eugen Leviné vorsaß. Der Vollzugs- mee schlecht ausgerüstet und organisiert, so dass sie rat stellte in der zweiten Räterepublik eine Art von Re- beim Vorrücken der regierungstreuen Truppen auf gierung dar. Er koordinierte die verschiedenen Gre- München schnell auseinanderfiel. mien und tätigte die laufenden Regierungsgeschäfte.

Standrecht Zentralrat Beim Standrecht geht die von Behörden des öffent- Nach der Ermordung von Ministerpräsident Kurt Eis- lichen Rechts ausgeübte Gerichtsbarkeit im öffent- ner am 21. Februar 1919 durch Graf Arco auf Valley lichen Recht auf den höchsten Militärbefehlshaber und dem Attentat auf Innenminister Erhard Auer ver- über, dem ein Kriegsgericht zur Seite steht, das so ließen die Abgeordneten fluchtartig das Gebäude, genannte Standgericht. die Regierung war handlungsunfähig. Daraufhin wähl- te ein von sozialistischen Vertretern gebildeter Akti- Die Einführung des Standrechts basiert auf der An- onsausschuss den so genannten Zentralrat, der bis nahme, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren aus auf Weiteres die Ausübung der Regierungstätigkeiten Mangel an Zeit oder Gelegenheit nicht durchführbar übernehmen sollte. Nach der Ausrufung der ersten und eine Bestrafung des Täters in Form des „Kurzen Räterepublik in Bayern am 7. April 1919 wurde der Prozesses“ wegen der B0edeutung der Tat – oder als Zentralrat in den „Revolutionären Zentralrat“ umge- abschreckendes Beispiel für andere – unumgänglich wandelt, der als höchstes Gremium der Räterepublik sei. Durch Standgerichte wurden in der Geschichte fungieren sollte. zahlreiche Todesurteile gefällt oder deren Vollstre- ckung veranlasst. Die Vollstreckung erfolgte oft durch Quelle: Standrecht: https://de.wikipedia.org/wiki/Stand- Erschießung („standrechtliche Erschießung“) oder recht . Die übrigen Begriffe: Haus der Bayerischen durch Hängen („durch den Strang“). Geschichte https://www.hdbg.eu/revolution/web/revo- lution_glossar.php, eingesehen Oktober 2018. 36 Ausstellungstafeln 1 bis 19

Auf den folgenden Seiten werden die Tafeln

der Ausstellung verkleinert wiedergegeben. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 1 Die kriegsbedingte Not

"Wer hamstert, kommt ins Zuchthaus. Wer nicht hamstert, kommt ins Irrenhaus. Wer von den Marken lebt, kommt ins Leichenhaus."

Links oben: Pasinger Zeitung 29.10.18, drei Bekanntmachungen Links unten: Würmtalbote 31.10.18, Sterbeanzeige Rechts oben: Pasinger Zeitung 26.11.18 Rechts Mitte: Würmtalbote 24.01.19, darunter 15.2.19, "Lokales" Unten: Notgeld der Stadt Pasing. Quelle: Pasinger Archiv e. V. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 2 Die erste Revolution

Die Ausrufung des Freistaats Bayern am 7. November 1918 durch Kurt Eisner und die Folgen für Pasing

Oben: Würmtalbote 12.11.18. Die konservativ eingestellte Pasinger Presse berichtete zögerlich und distanziert von der Revolution. Offizielle Mitteilungen wurden natürlich publiziert. Unten: Pasinger Zeitung 13.11.18.

Oben: Pasinger Zeitung 9.11.18, die "erweiterte Stadtverwaltung" mahnt zur Ruhe. Bild links: Saalbau Graml. Quelle: Pasinger Archiv e.V. Die Revolution beginnt in Pasing mit einer vorsichtigen Öffnung der städtischen Verwaltungsgremien (Magist- rat und Gemeindekollegium) für bisher benachteiligte gesellschaftliche Gruppen, vor allem der Arbeiterschaft. Die Frauen profitieren von dieser Entwicklung ebenfalls [siehe Aufruf auf Tafel 3]. Um möglichen Ausschreitun- gen vorzubeugen, richtet der Magistrat Mitte November eine städtische Sicherheitswache ein, bestehend aus 24 bewaffneten Pasinger Bürgern. Sie hat ihren Sitz im Saalbau Graml [links] in der heutigen Gleichmannstraße. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 3 Die Parteien bringen sich für die Wahlen in Stellung

Wahlen zum Bayerischen Landtag und zur verfassungsgebenden Nationalversammlung

Würmtalboten 26.11.18, Anzeige

Würmtalbote 6.12.18, Anzeige

Anzeige zur Gründung der Ortsgruppe in der Pasinger Zeitung 23.11.18 Bild unten: Postkarte von 1910. Pasinger Archiv e.V.

Pasinger Zeitung 26.11.18, Anzeige zur Gründung des Ortsvereins

Anzeige zur Gründungsversammlung im Würmtalboten 26.11.18. Bild unten: Hotel zur Eisenbahn, Postkarte von 1908, Pasinger Archiv e.V.

Pasinger Zeitung 1.12.18, Anzeige zur Gründungsversammlung eines Rates geistiger Arbeiter. Damit versuchen die Akademiker, ihren Einfluss in der Rätebewegung. zu sichern.

Die Nachkriegssituation hat die politische Landschaft Bayerns in Bewegung gebracht und die Gründung neuer Parteien bewirkt. Für die Wahlen zum bayerischen Landtag und zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung im Januar 1919 drän- gen neue und alte Organisationen an die Öffentlichkeit Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 4 Zwei Wahlen in einer Woche

Wahlveranstaltungen in Pasing

Die Wahlpropaganda für die richtungsweisenden Wah- len im Januar gilt vor allem den gewaltigen politi- schen Umwälzungen und der Suche nach der idea- len Regierungsform. Frauen sind jetzt wahlberechtigt und werden als neue, wichtige Wählergruppe von den Parteien besonders intensiv angesprochen.

Anzeige zur Wahl der Nationalversammlung. Würmtalbote, 16.1.19.

Anzeige der BVP zu beiden Wahlen. Würmtalbote, 8.1.19. Anzeige der DVP zur Landtagswahl. Würmtalbote, 12.1.19.

Anzeige der MSPD. Pasinger Zeitung, 17.1.19. Anzeige der MSPD. Pasinger Zeitung, 10.1.19. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 5 Die zweite Revolution

Noch in der Nacht nach der Ermordung Eisners wird in Pasing von MSPD und USPD anstelle des Arbeiterrates ein Revolutionärer Arbeiter- und Soldatenrat (RAR) gebildet.

Links oben und Mitte: Pasinger Zeitung 22.2.19, drei Bekannt- machungen des Revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates. Links unten: Pasinger Zeitung 26.2.19. Rechts: Pasinger Zeitung 23.2.19, die ersten Maßnahmen zur Übernahme der Macht und zur Sicherung der sozialistischen Errungenschaften nach der Ermordung Kurt Eisners. München: Trotz der radikalen Töne ist in dieser Phase der Unten: Pasinger Zeitung 6.3.19, Beispiel für die regelmäßig Revolution die Frage "Partei-Demokratie oder kommu- publizierten Nachrichten des Revolutionären Arbeiterrates. nistische Räterepublik" nicht entschieden. Die Delegier- Pasing: Trotz der scharfen Proklamation ver- ten des Rätekongresses stimmen für eine sofortige läuft die Zusammenarbeit mit der Verwaltung Einberufung des Landtags. Dieser wählt nach wochen- zwar nicht spannungslos, aber reibungslos. langen Verhandlungen am 17. März 1919 einstimmig Wichtig ist die Beseitigung der Not. Johannes Hoffmann (SPD) zum Ministerpräsidenten. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 6

Rechts: Pasinger Zeitung 7.4.19, Proklamation des neuen Zentralrats. Links: Pasinger Zeitung 7.4.19, Beschlüsse des Zentralrats in Mün- chen. Darunter die Maßnahmen des RAR in Pasing. Die Revolution radikalisiert sich

Die Ausrufung der Räterepublik Baiern am 7. April 1919 gilt als 3. Phase der Revolution

In der Nacht vom 6. auf den 7. April proklamiert die USPD die Räterepublik und verlässt die Regierung Hoffmann. Diese flieht nach Bamberg, der Landtag wird für aufgelöst erklärt. Die Macht hat jetzt der Revolutionäre Zentralrat inne unter dem Vorsitz von Ernst Toller (USPD). Diese Räterepublik versteht sich als sozialistisch-kommunis- tisch. Aber die Kommunisten verweigern die Mitarbeit.

In Pasing setzt der Revolutionäre Arbeiterrat (RAR) die ge- wählte Bürgervertretung (Magistrat und Gemeindekollegium) ab. Die städtischen Beamten und Bediensteten müssen eine So- lidaritätserklärung abgeben [siehe „Aufruf“ links unten].Diese Maßnahme wird bereits eine Woche später zurückgenommen. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 7 Die Revolution radikalisiert sich

Die Ausrufung der Räterepublik in Pasing

Nur wenige Stunden nach der Proklamation der Räterepublik Baiern in München am 7. April wird sie auf dem Pasinger Marienplatz ausgerufen.

„Heut Nachmi ag 3:0 Uhr oß Vlksvemng uf de Mepaz. Pa der Räteeb! P- er ec=e>n > Ma e! R .A. Kuer" So nY #=eve)@ündenY nY Deuee,De rŁ e Zŕ c . D Sac= mAKt c_ m>r uc_ nc9Ne! E>D e>D Men< A)5eter 9Tŕ sc_ e>n<,;nde . Her Lc9>nn)her, A)5etea - hl e>D R,d, > der er e>D 7iŕ ReBu ;ür ł wen7g eac9t,t nY F Fa Für nY Wder Sr Räteeb 5ac9t. D chQng sc_ der AŬ e#kn7Fa BachCeer uf de Tc_ nY 5,\ m e>Der Qhe Sch>m^nKen>mC „D Aum. Naü)c_ Qr l, ;ür 7 Räteeb. Ic_ 9ŕ m, Qlt 5er c9 *@ee , 7c9<9Ne S wede . Da 7e>< H}c_ uf 7 Räteeb, Intenan, WeBu us., B GlT BachCeer S End der Vemng u<5ac9, ng 5er F}c_ ,c9 chQac_ . Links: 2 mal Würmtalbote 10.4.19. Oben: Aus den Tagebuchaufzeichnungen eines 16-jährigen Pasinger Gymnasiasten, Quelle Pasinger Archiv e. V. Unten: Ausrufung der Räterepublik auf dem Pasinger Marienplatz. Aufnahme des Fotografen Rudolf Kahl, auf dem Bild datiert 7.4.19. Quelle: Sammlung Möllmann. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 8 Die Revolution radikalisiert sich

Anpassung und Widerstand in Pasing

Mit der Ausrufung der Räterepublik am 7. April wird in Pasing Magistrat und Gemeindekollegium abgesetzt [Tafel 6]. Der Revolutionäre Arbeiterrat RAR hat damit die alleinige Regierungsgewalt in Pasing. Am 12. April verlassen die Mitglieder der MSPD geschlos- sen den RAR und begründen dies u.a. mit Kuglers selbst- herrlichem Führungsstil und der Tatsache, dass der RAR, namentlich die mehrheitssozialistischen Mitglieder, über entscheidende Maßnahmen Kuglers nur unzureichend informiert waren: "Die unterzeichneten Mitglieder des Rev.A.R. erkennen keine Diktatur an und legen unter die- sen Umständen ihre Mandate nieder ohne damit zur Fra- ge der Räterepublik Stellung zu nehmen." Ein paar Tage später wird die Neuwahl zum Revolutionären Arbeiterrat auf den 27. April festgesetzt.

Links oben: Pasinger Zeitung 9.4.19, Dr. Wunder zur neuen politischen Lage. Links unten: Würmtalbote 11.4.1919, Würdigung des abgesetzten Stadtrates. Rechts unten: Pasinger Zeitung 24.4.1919, Neuwahl des RAR. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 9 Die Revolution radikalisiert sich

Die Ausrufung der kommunistischen Räterepublik am 14. April 1919 gilt als 4. Phase der Revolution.

In München übernehmen die Kommunisten die Macht. Die Pasinger Revolutionäre schließen sich an, obwohl hier die KPD nicht vertreten ist.

Links: Würmtalbote 15.4.19, Bewaffnung des Pasinger Proletariats Rechts oben: Würmtalbote 15.4.19, Aufruf zum Generalstreik Rechts unten: Würmtalbote 15.4.19, Begründung des Generalstreiks

Am 13. April unternimmt die Regierung Hoffmann mit Teilen der regulären Münchner Truppen und der Republikanischen Schutztruppe einen Putsch- versuch gegen die junge Räteregierung. Das Un- ternehmen wird jedoch von der kommunistisch ge- führten „Roten Garde“ – ihr Kommandant ist Rudolf Egelhofer – in schweren Straßenkämpfen blutig niedergeschlagen. Aufgrund dieses Sieges übernimmt am 14. April die radikale Linke die Macht in den Ar- beiter- und Soldatenräten und proklamiert die Kommunistische Räterepublik. Die gesetzgebende Gewalt übernimmt jetzt ein vierköpfigerVollzugsrat unter Leitung von Max Levien und Eugen Leviné; unterstützt wird das Leitungsgre- mium von einem 15-köpfigen Aktionsausschuss. Die Forderungen nach der Diktatur des Proletariats ge- mäß russischem Vorbild sind damit erfüllt. Die mar- kantesten neuen Maßnahmen sind Pressezensur, die Gründung der Roten Armee sowie ein mehrtä- giger Generalstreik. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 10 Umdenken in Pasing

in Pasing wird die Revolution ohne Blutvergießen beendet

Am 20.4. nimmt Kugler als Vorsitzender des Rumpf- Arbeiterrates die Absetzung von Gemeindekollegium und Magistrat vom 7.4. zurück, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wieder herzustellen. Die erzwungenen Loyali- tätserklärungen der Beamten "gelten als nicht abgegeben". Bürgermeister Wunders flexible Reaktion auf die harschen Maßnahmen des RAR mag Kuglers Umdenken ebenso be- einflusst haben wie die Zuspitzung der militärischen Lage der Räterepublik. Bemerkenswerterweise ist die Bekannt- machung des RAR vom 30. 4. nicht mit Kuglers Namen unterzeichnet [links unten].

In den letzten Apriltagen ist täglich mit dem Vormarsch der regierungstreuen Truppen mit einer Stärke von nahezu 35.000 Mann zu rechnen. Der Marsch auf München steht unmittelbar bevor, und Pasing würde als eine der ersten Städte den Regierungstruppen in die Hände fallen.

Um ein Blutvergießen zu verhindern, entschließen sich Bürgermeister Wunder, die MSPD-Funktionäre Amann und Höss sowie der RAR-Vorsitzende Kugler nach Starnberg zu fahren, um mit dem Kommandeur der Regierungstruppen Bogendörfer Übergabeverhandlungen zu führen. Am 27. April trifft die Pasinger Delegation in Starnberg ein und unterbreitet das Angebot, Pasing ohne Widerstand zu Oben Pasinger Zeitung 20.4.1919. [Vgl. Aufruf, Tafel 6 sowie übergeben. Offener Brief, Tafel 8]. Unten: Pasinger Zeitung 1.5.1919 Tatsächlich vollzieht sich der Einmarsch der Regierungs- truppen ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Kuglers Vermittlertätigkeit wird als Verrat an der Sache der Räterepublik betrachtet und führt dazu, dass der Befehlshaber der Roten Armee, der Matrose Egelhofer, einen Haftbefehl gegen ihn ausstellt. Der mit der Festnahme beauftragte Führer der Pasinger Roten Garde Freund (USPD) führt diesen Befehl nicht aus und rettet damit Kuglers Leben. Festnahme und Auslieferung nach München wären zweifellos sein Todesurteil gewesen.

Die friedliche Übergabe von Pasing sollte kurz darauf Kugler zugute kommen, gegen den – er wurde am 6. Mai festgenom- men – von der Münchner Staatsanwaltschaft Anklage wegen Beihilfe zum Hochverrat erhoben wurde. Die Hauptverhand- lung vom 26. Juni 1919 endete mit Kuglers Freispruch. Quelle: A. Heusler, Revolution und Räterepublik, in: Spuren, München 1989 Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 11 Ende der Revolution:

1. Mai: Pasing wird ohne Gegenwehr von den Weißen Truppen der Regierung Hoffmann eingenommen.

Ausschnitte aus der Pasinger Zeitung vom 3.5.19 unter "Lokales" Bild unten: Einmarsch der Weißen Truppen in Pasing. Aufnahme aus dem Atelierfenster des Fotografen Rudolf Kahl, Quelle Sammlung Möllmann. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 12

Oben: Einmarsch der Weißen Truppen in Pasing am 1. Mai 1919. Aufnahmen aus dem Atelierfenster des Fotografen. Rudolf Kahl, Blick nach Westen in die heutige Bodenseestraße. Quelle: Sammlung Möllmann. Unten: Blick in die heutige Gleichmannstraße Richtung Bahnhof. Soldaten der Regierungstruppen führen eine Gruppe von 54 unbewaffneten, uniformierten Personen ab. Dies sind vermutlich die russischen Kriegsgefangenen, auf die die Eroberer von Pasing am Bahnhof gestoßen sind [siehe Tafel 15]. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 13 Ende der Revolution:

Berichte vom Einmarsch der Weißen Truppen in Pasing

„Kurz vor ein Uhr plöt2c_ d Nachc9t: D R,geu\suHen KiY FT! SchD c H t uY MLc =er! DT m s c_ c_ Fbe` Kein! VoD vor 7e Ra+9 sY sc9on eiD AqLe u^ Kv e. Ec_! Ec_! D SlFaLen wen vŇ ś c_ s

Links oben: Pasinger Zeitung 3.5.19, Sinnieren über den Machtwechsel. Rechts oben: Aus den Tagebuchaufzeichnungen eines 16-jährigen Gymnasiasten. Quelle: Pasinger Archiv e.V. Links unten: Ein gefangener Rotarmist wird abgeführt. Quelle Sammlung Möllmann, Rechts unten: Plakat vom 1.5.1919, bemerkenswerterweise an die Münchner adressiert. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 14 Nach der Niederschlagung der Revolution

Studienrat Franz Schaehle, der erste bedeutende Chronist Links oben: Pasings, schrieb über das Ende der Räteherrschaft unter an- Würmtalbote 27.5.1919: Plakate und Ansammlungen verboten! derem: „Für die Truppen der Hoffmannschen Regierung bilde- Links unten: Pasinger Zeitung 4.5.1919: Bürgerwehr für Ruhe und Ordnung. te das Pasinger Schloss [die sog. Gatterburg] bei den Kämpfen Rechts oben: Foto der Gatterburg, Quelle Pasinger Archiv e. V. gegen München [gemeint ist die Räteregierung] für kurze Zeit Rechts Mitte: das Hauptquartier. 53 Russen, die gegen die Regierungstruppen Würmtalbote 4.5.1919: Todesstrafe für nicht abgelieferte Waffen gekämpft hatten, wurden bei Gräfelfing erschossen.“ [Tafel 15] Rechts unten: Würmtalbote 4.6.1919: Wer will wieder Krieg? Die Stadtkommandantur Pasing stand unter dem Befehl des Hessisch-Thüringisch-Waldeck’schen Freikorps; sie verblieb am Ort bis Ende Mai 1919. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 15 Die Ermordung von 53 russischen Gefangenen am 2. Mai 1919

Die von Franz Schaehle erwähnte Erschießungsaktion – ver- mutlich die größte bei der Niederschlagung der Revolution – fand am 2. Mai 1919 statt [Siehe Tafel 14]. Vorausgegangen war Folgendes: Als die Regierungstruppen am 1. Mai von Westen her nach München einmarschierten, stießen sie bei der Besetzung des Pasinger Bahnhofs auf eine größere Gruppe unbewaffne- ter ehemaliger russischer Soldaten in bayerischen Uniformen. Diese waren gerade mit dem Zug von München angekommen und auf dem Weg zurück zu ihrer Unterkunft in Puchheim. Dort befand sich ein bereits Ende April aufgelöstes Lager mit ca. 2.000 russischen Kriegsgefangenen, etwa 120 von ihnen waren von den Roten Garden zur Verteidigung von Fürstenfeldbruck angeworben worden. Das "Russengrab" an der Westmauer des Gräfelfinger Friedhofs. Oben: der ursprüngliche Grabstein, gestaltet von Richard Die Russen wurden gefangen genommen, nach Lochham abge- Riemerschmid mit einem Text des Schriftstellers Korfitz Holm: führt und dort eingesperrt. [Auf dem unteren Foto von R. Kahl auf "Fern von der Heimat fanden hier ihr Grab 53 russische Tafel 12 ist vermutlich der Zug der uniformierten, unbewaffneten Kriegsgefangene, zum zweiten Mal gefangen genommen Gefangenen duch die heutige Gleichmannstraße festgehalten.] im Kampfe gegen die Regierungstruppern. Am 2. Mai 1919 standrechtlich erschossen in der grossen Sandgrube nahe Noch in der Nacht trat ein Standgericht zusammen, das kurzer- bei diesem Friedhof. Wanderer, wer du auch seist, wünsche hand alle Männer zum Tode verurteilte. Am nächsten Tag wurden ihnen eine sanfte Ruhe! War nicht auch von ihnen jeder einer die Gefangenen in einer Sandgrube neben dem Gräfelfinger Mutter Sohn? – Diese Tafel errichtete zum Gedächtnis für Friedhof erschossen und in einem Massengrab auf dem be- kommende Geschlechter die Bäckerinnung München" nachbarten Gräberfeld verscharrt. Unten: das 1945 von der Gemeinde Gräfelfing wieder errich- tete Grabmal im heutigen Zustand. Quelle beider Bilder: Privat Bereits am 1. Mai des Folgejahres veranstalteten trotz eines Ver- bots etwa 600 bis 700 Pasinger Anhänger linker Parteien und Gewerkschaften – aus Solidarität mit den Opfern der Mordak- tion – einen Gedenkmarsch zum sog. Russengrab. Die Tradi- tion dieser Gedenkveranstaltung am wichtigsten Feiertag der Arbeiterbewegung fand im Jahr 1933 ihr jähes Ende. Seit April 1921 erinnerte an der Westmauer des Gräfelfinger Friedhofs eine – auf Initiative der Münchner Bäcker-Innung angebrachte – Gedenktafel an das Massaker. Anlässlich der Beerdigung von Hitlers Leibchauffeur Julius Schreck im Mai 1936 auf dem Gräfelfinger Friedhof zerstörten die Nazis die Grabstätte. Bereits kurz nach Kriegsende 1945 ließ die Gemeinde Gräfelfing eine neue Gedenkstätte errichten.

Unten: Dubiose Berichterstattung im Würmtalboten, 4.5.1919 Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 16

Josef Amann Im Februar/März 1919 wird der „Revolutionäre Arbeiter- Personen der rat“ (RAR) als Nachfolger des bisherigen „Arbeiterrates“ gebildet, 1. Vorsitzender wird Josef Amann (MSPD). Der Revolutionszeit in Pasing RAR ergeift Maßnahmen zur besseren Lebensmittelver- sorgung der Pasinger Bürger/innen und startet Initiativen zugunsten der Arbeiterschaft. Dadurch erreicht er eine Josef Amann, Georg Kugler, große Akzeptanz in der Bevölkerung und kann zugleich seinen Einfluss auf Magistrat und Gemeindekollegium Hans Nimmerfall, Dr. Alois Wunder verstärken. Infolge des sich ändernden politischen Klimas gerät der RAR unter den Einfluss von Arbeitern und Mitgliedern, Georg Kugler die einen radikaleren Kurs forderten. Dadurch verliert Amann stark an Einfluss. Am 8. April scheidet er aus Pro- Als Vorsitzender der unbedeutenden Unabhängigen Sozialdemokra- test gegen die revolutionären Aktivitäten des 2. Vorsit- tischen Partei (USPD) in Pasing spielte er anfangs kaum eine Rolle im zenden Kugler aus dem RAR aus; vier Tage später folgen politischen Geschehen. Das änderte sich, als die nach dem Tod von sämtliche MSPD-Mitglieder. Amann tritt erst wieder am Ministerpräsident Eisner stattfindende politische Radikalisierung auch 27. April als MSPD-Vorsitzender bei den Bemühungen die Pasinger Arbeiterschaft und den „Revolutionären Arbeiterrat“ (RAR) um einen friedlichen Einmarsch der Regierungstruppen erfasste. Am 6. März übernahm der zum 2. Vorsitzenden und Geschäfts- in Erscheinung. führer gewählte Georg Kugler die Regie. Ende März kam es zur ersten 1927 wirde Amann NSDAP-Mitglied, 1929 Mitglied im Machtprobe des RAR mit dem Pasinger Magistrat. Stadtrat. 1932 tritt der SA bei. Von 1931 bis 1934 ist er Anlässlich der sog. Dritten Revolution am 7. April erfolgte in Pasing die NSDAP-Kreisleiter und von 1933 bis 1938 amtiert er als Absetzung von Magistrat und Gemeinderat durch den RAR. Diese „Macht- 2. Bürgermeister in Pasing. In seiner Amtszeit kümmert ergreifung“ musste jedoch nach kurzer Zeit wieder zurückgenommen er sich intensiv um die Entwicklung Pasings zur Garten- werden [siehe Tafel 6 und 10]. In dieser Zeit kam es im RAR zu internen stadt und bekennt sich als entschiedener Gegner der Konflikten zwischen MSPD- und USPD-Anhängern [siehe Tafel 8]. Eingemeindung nach München. Am Ende der Münchner Räterepublik geriet Kugler als Parlamentär zwi- schen die Fronten und musste um sein Leben fürchten. Einer Verurteilung Dr. Alois Wunder wegen Beihilfe zum Hochverrat entging er nur knapp [siehe Tafel 10]. 1929 starb Kugler mit nur 41 Jahren. Im Nachruf des Würmtalboten wur- geb. 1878, gest. 1974, 1. Bürgermeister der Stadt Pasing. de er als der „Diktator von Pasing“ bezeichnet, in dessen Hand das Wohl Wunder wurde 1914 zum ehrenamtlichen Bürgermeister und Wehe der Stadt lag. der Stadt Pasing gewählt, 1919 hauptamtlicher Bürger- meister. Der erste Weltkrieg, Revolution, Räterepublik, In- Hans Nimmerfall flation und Nahrungssorgen bedrückten die Bevö1kerung, aber gerade in dieser Zeit bewies Wunder Geschick und Er trat er schon in jungen Jahren der SPD bei und musste dadurch vie- eisernen Willen. Die Stadt Pasing verlieh Wunder am 9. le Jahre berufliche Diskriminierung ertragen. Auch in Pasing war er ein September 1932 für sein erfolgreiches Wirken als Rechts- Sozialdemokrat der ersten Stunde. Von 1906 bis 1933 war er erst im Ge- rat und als Bürgermeister das Ehrenbürgerrecht. meinderat und dann im Magistrat engagiert aktiv. Besondere Verdienste Wunder hat sich von Beginn der Revolution an loyal zu erwarb er sich bei der Förderung des genossenschaftlichen Wohnungs- den jeweiligen Machthabern erklärt. [Tafel 2 und 9]. Mit baues in Pasing. Von 1912 bis 1928 gehörte er mit vierjähriger Unterbre- einer fast wortgleichen Formulierung stellte er sich auch chung dem bayerischen Landtag an. In der Regierungszeit von Eisner 1934 den neuen Machthabern zur Verfügung. war er Staatsrat im bayer. Staatsministerium für militärische Angelegen- Parteimitgliedschaft, Reden und Dokumente antisemiti- heiten, 1908 bis 1933 Parteisekretär der SPD für den Bezirk Südbayern. schen Inhalts belegen, dass Wunder den Nationalsozia- Obwohl Nimmerfall über umfangreiche Erfahrungen in der Kommunal- listen nahe stand. Die Eingemeindung Pasings, die seine und Landespolitik verfügte, verzichtete er auf eine Mitarbeit im Arbei- Laufbahn als Bürgermeister beendete, verhandelte Wun- ter- und Soldatenrat. Der Entwicklung zur kommunistischen Räterepublik der 1937/38 mit dem Münchner Nazi-Bürgermeister Fiehler. stand er sicherlich ablehnend gegenüber. Trotzdem trat er während der Revolutionszeit in Pasing politisch kaum öffentlich in Erscheinung. Lnks: Dr. Alois Wunder 1938, Quelle: privat. Mitte: RAR-Ausweis für Dr. Alois Wunder, unterschrieben am Am 30.6.1933 wurde Nimmerfall aus einer Stadtratssitzung heraus ver- 26.4.1919 von G. Kugler, Quelle: privat. haftet und in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Zwar wurde er nach wenigen Monaten wieder entlassen, konnte sich jedoch von der qual- vollen Haft nicht mehr erholen und starb im August 1934 im Alter von 42 Jahren.

Rechts: Hans Nimmerfall. Quelle: Haus der Bayerischen Geschichte. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 17

Heinrich Franz Seraphikus Bachmair ist der Sohn von Joseph Bachmair, dem angesehe- Heinrich F. S. Bachmair nen Inhaber der Jakobs-Apotheke am Pasinger Marienplatz. Er zieht dem gemachten Nest ein 1889 - 1960 literarisches Leben als Bohèmien vor. Verleger, Literat, Revolutionär aus Pasing Bachmair studiert vor dem Ersten Weltkrieg Lite- raturwissenschaft und Philosophie in München. Er gründet 1911 den Heinrich F. S. Bachmair- Im März 1919 eröffnet Bachmair Verlag und verlegt als erstes Schriften seines die Verlagsbuchhandlung "Die Bü- Jugendfreundes Johannes R. Becher. Im glei- cherkiste" in München. Gedicht- chen Jahr zieht er nach Berlin. Zusammen mit bände, Grafik und Bibliophiles bil- Becher gibt er zwei der ersten expressionisti- den nun den Schwerpunkt. schen Zeitschriften heraus,„Die Neue Kunst“ und „Revolution“. 1922.heiratet Bachmair die Lyrike- Bachmair verfasst auch selbst Gedichte und Er- rin und Übersetzerin Marie Luise zählungen, die oft unter Pseudonym erscheinen. Weissmann (1899 - 1929) und zieht Noch vor dem Ersten Weltkrieg kehrt er nach mit ihr wieder nach Pasing ins El- München zurück. ternhaus. Während der Weimarer Republik arbeitet er als Buchhänd- Oskar Maria Graf schreibt später über seinen ler und Verleger. Freund in "Gelächter von außen": "Heinrich F. S. Bachmair besaß als Verleger in Mitte: Portrait Bachmair, Quelle: Münchner der hohen Literatur bereits einen geachteten Na- Stadtbibliothek / Monacensia, P/a 1556 men, denn er hatte schon vor dem Ersten Welt- krieg Else Lanker-Schüler, Johannes R. Becher, Anzeige für die Buchhandlung "Die Bücher- kiste" in der Kurfürstenstr. 8 in München. Emmy Hennings, Carl Einstein und eine ganze Anzahl inzwischen berühmt gewordener Auto- Anzeige für die Monatschrift für Literatur ren als erster herausgebracht und in einer dicken, "Die Bücherkiste", Herausgeber Leo Scher- penbach, Verleger H. F. S. Bachmair in Pa- sehr vornehm aufgemachten Zeitschrift 'Die Neue sing, wo Bachmair in der elterlichen Woh- Kunst' die radikalsten Neuerer veröffentlicht. Da- nung lebte. bei war fast das ganze Vermögen seines Vaters, Links: Titelschriftzug der Kulturzeitschrift eines wohlhäbigen Pasinger Apothekers, drauf- "Revolution", Herausgeber H. F. S. Bachmair gegangen. Der Ausbruch des Weltkrieges mach- und J. R. Becher. te allem ein Ende." Unten links: H. F. S. Bachmair mit seiner Frau Marie Luise Weissmann. Urlaubsfoto, Quelle Pasinger Archiv e. V. Rechts: Marienplatz mit Jakobsapotheke, ganz rechts im Bild. Foto um 1932. Quelle Pasinger Archiv e. V. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 18 H. F. S. Bachmair als Revolutionär Heinrich F. S. Bachmair 1914 wird Bachmair SPD-Mitglied, nach Kriegs- ende tritt er zur USPD über und übernimmt 1889 - 1960 deren Leitung in Pasing. Seine große Stunde schlägt April 1919. Verleger, Literat, Revolutionär aus Pasing

Aus dem Pasinger Polizeiprotokoll: „B. äußerte bei mehreren Sitzungen, so auch Nach dem Zu- am 4. April im Revolutionären Arbeiterrat im sammenbruch Saal des Gasthauses 'Zur Feuerwache', daß der Rätere- die dritte und wenn nötig auch noch eine vierte gierung flieht Revolution kommen muß, um die Räteregie- Bachmair, steck- rung einzuführen. brieflich ge- (...) In der Sitzung am 4. April 1919, mittags sucht, am 1. Mai zwölf Uhr, im Rathaussaal wurde die Ausrufung aus München der Räterepublik verlangt und die Kommu- und schlägt sich nistin Frau Vilseck von Gauting in die Sitzung einen Monat zu zugelassen. Fuß durch. Am 4. Juni wird er in Am gleichen Tage nachmittags wurde nun Rothenburg ob durch B. die Räterepublik am hiesigen der Tauber de- Marienplatz öffentlich ausgerufen. (...) nunziert, fest- B. hatte während der zweiten Revolution die genommen und Zensur an den hiesigen Zeitungen (Würmtal- zu eineinhalb bote u. Pasinger Zeitung) auszuüben, stellte Jahren Festungs- diese Tätigkeit aber schon vor der dritten Re- haft verurteilt. volution ein. (...) Terroristischer Mittel gegen den andersge- Noch einmal Os- sinnten Teil der Bevölkerung hat sich derselbe kar Maria Graf nicht bedient." (in "Gelächter von außen"):

Text zitiert nach Franz Adam: Revolution in Pasing. Ein Portrait des "Das Erstaunlichste war, daß er beim Einmarsch der Weißen Literaten, Buchhändlers und Verlegers Heinrich F. S. Bachmair. ohne Verhaftung davonkam. Er hatte sich in die Pasinger Hinweis: Die Ausrufung der Räterepublik in Pasing war am 7.4.1919, Apotheke seines Vaters durchgeschmuggelt, den weißen auch wenn die zitierten Polizeiakten ein anderes Datum nennen. Kittel angezogen und harmlos die Kunden bedient." In der Ausstellung wird Bachmair auf Tafel 5 als Redakteur genannt und auf Tafel 7 als Aktivist bei der Ausrufung der Räterepublik auf dem Pasinger Marienplatz. "Von 1933 an wurde meine Lust, Bücher zu verlegen, geringer, ..." schreibt Bachmair in "Mein Verlag". Die Zitate von O. M. Graf stammen aus "Gelächter von außen" Aus meinem Leben 1918–1933. München 1983, S. 106 ff. 1946 gründet er seinen Verlag in Starnberg neu. Nach vier Jahren muss er – nach der Währungsreform – Konkurs anmel- Bild rechts: Bachmair in der Festungshaft in Lichtenau, 1919. den. Er besucht J. R. Becher, seinen Freund aus Studenten- Quelle: Der Verleger Heinrich F. S. Bachmair. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste Berlin 1989, Ausstellung und Katalog: Hans- tagen, im April und Mai 1951 in Berlin, zieht Juli 1951 nach jörg Viesel. Laut Katalog ist das Foto auf der Rückseite mit einer Ostberlin und übernimmt im Aufbau-Verlag die Marketing- Widmung an Maria Luise Weissmann beschriftet: "Erinnerung an abteilung. 1956 wechselt er zur Akademie der Wissenschaf- jene 'Ehrenhaft' Deines H. [Heinrich]Lichtenau im Dezember 1919." Fotograf ist Dietrich Liebscher, Berlin/DDR. Der Name des Mitge- ten und archiviert dort nach Bechers Tod am 11. Oktober fangenen ist nicht angegeben. 1958 dessen Nachlass.

Am 11. Oktober 1960 stirbt Heinrich F. S. Bachmair in Berlin. Revolution in Pasing 1918 -1919 Tafel 19 Mach ma hoit a Revoluzion

Die Freunde Georg Schrimpf und Oskar Maria Graf

Der Maler und Grafiker Georg Schrimpf und seine Frau Maria Uhden, ebenfalls Malerin und Grafikern, ziehen 1917 in die Marsopstraße am Würmkanal. Hier wohnen sie beim Künstler-Paar Josef und Marianne Erber, um die sich ein Kreis kritischer Künstler bildete. Der in München-Lochhausen geborene Georg Schrimpf (1889 - 1938) zählt zu den bedeutendsten Vertretern der Kunstrichtung Neue Sachlichkeit. Mit Oskar Maria Graf (1894 - 1967) verbindet ihn seit 1913 eine lebenslange tiefe Freundschaft.

Von Graf stammen die ersten Würdigungen der künstleri- schen Tätigkeit Schrimpfs [Bild links]. Schrimpf gestaltet das Titelbild zu Grafs ersten Ge- dichtbänden „Die Revolutio- näre“ (1918) und „Amen und Anfang“ (1919), letzterer im Verlag von H. F. S. Bachmair erschienen. Die Freunde besuchen fast zwei Jahre lang die vorrevo- lutionären Montagstreffen der USPD im Gasthaus „Zum gol- denen Anker“ in der Ludwigs- vorstadt, wo Eisner regelmä- ßig gesprochen hat. Graf und Schrimpf werden 1918 wegen Verbreitung einer kriegskritischen Schrift ver- haftet. Während der Revolution 1918/19 nimmt er am Marsch auf die Kasernen teil und betätigt sich als Hilfszensor. Nach dem Ende der Räterepublik wird Graf für einige Wochen in- haftiert, kommt aber aufgrund guter Beziehungen bald wie- der frei. Der Titel-Spruch oben stammt aus Grafs Erinnerungen „Gelächter von Außen“.

Oben Links: Schrimpf porträtiert 1927 seinen Freund Oskar, heute im Münchner Lenbachhaus zu sehen.. Quelle: Wiki, gemeinfrei. Mitte: Bucheinbände. Graf über Georg Schrimpf, Graf Die Revolutionäre (1918), Dresdner Verlag, Dresden 1918. Graf, Amen und Anfang, Verlag Die Bücherkiste, München 1919 Unten:: Graf und Schrimpf, Erna Dinlake hat die Freunde gemalt, das Original ist verschollen