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Plenarprotokoll 16/175

Deutscher

Stenografischer Bericht

175. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) (SPD) ...... 18676 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (SPD) ...... 18678 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) zes über die Feststellung des Bundes- (CDU/CSU) ...... 18679 D haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) (Drucksache 16/9900) ...... 18637 A Einzelplan 05 b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Auswärtiges Amt Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister (Drucksache 16/9901) ...... 18637 B AA ...... 18680 C Dr. (FDP) ...... 18683 D Einzelplan 04 Dr. (CDU/CSU) . . . . 18685 D Bundeskanzleramt Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 18687 D Rainer Brüderle (FDP) ...... 18637 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Dr. , DIE GRÜNEN) ...... 18689 D Bundeskanzlerin ...... 18638 D (CDU/CSU) ...... 18690 B Dr. (DIE LINKE) ...... 18645 A (SPD) ...... 18691 D Dr. Peter Struck (SPD) ...... 18649 B Jürgen Koppelin (FDP) ...... 18693 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18654 C Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) ...... 18694 B (CDU/CSU) ...... 18659 B (DIE LINKE) ...... 18696 A Dr. (FDP) ...... 18662 C Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 18667 A DIE GRÜNEN) ...... 18697 A (DIE LINKE) ...... 18668 D (Wiesloch) (SPD) ...... 18698 C Erwin Huber, Staatsminister (Bayern) ...... 18670 C (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18699 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 18673 C (CDU/CSU) ...... 18700 C Erwin Huber, Staatsminister (Bayern) ...... 18673 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 18674 A DIE GRÜNEN) ...... 18701 D (SPD) ...... 18674 B Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU) ...... 18702 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. , Mittwoch, den 17. September 2008

Einzelplan 14 Ergebnis ...... 18729 C Bundesministerium der Verteidigung Berichtigtes Ergebnis ...... 18732 D Dr. , Bundesminister BMVg ...... 18703 C (FDP) ...... 18705 B Tagesordnungspunkt 5: Johannes Kahrs (SPD) ...... 18706 B a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 18708 A Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- (BÜNDNIS 90/ zung der Beteiligung bewaffneter DIE GRÜNEN) ...... 18710 A deutscher Streitkräfte an der AU/ UN-Hybrid-Operation in Darfur Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 18711 C (UNAMID) auf Grundlage der Re- Birgit Homburger (FDP) ...... 18712 D solution 1769 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom (SPD) ...... 18714 A 31. Juli 2007 und weiterer Mandats- verlängerungen durch den Sicher- (CDU/CSU) ...... 18716 A heitsrat der Vereinten Nationen Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) ...... 18717 C (Drucksachen 16/10106, 16/10242) 18727 B Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 18718 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 18718 D (Drucksache 16/10243) ...... 18727 C Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 18719 B b) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung Tagesordnungspunkt 4: der Beteiligung deutscher Streit- kräfte an der Friedensmission der Ver- – Beschlussempfehlung und Bericht des einten Nationen im Sudan (UNMIS) Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag auf Grundlage der Resolution 1590 der Bundesregierung: Fortsetzung der Be- (2005) des Sicherheitsrates der Ver- teiligung bewaffneter deutscher Streit- einten Nationen vom 24. März 2005 kräfte an der United Nations Interim und weiterer Mandatsverlängerun- Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grund- gen durch den Sicherheitsrat der lage der Resolutionen 1701 (2006) und Vereinten Nationen 1832 (2008) des Sicherheitsrates der (Drucksachen 16/10104, 16/10244) . . 18727 C Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 27. August 2008 – Bericht des Haushaltsausschusses ge- (Drucksachen 16/10207, 16/10240) . . . . . 18719 D mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/10245) ...... 18727 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Brunhilde Irber (SPD) ...... 18728 A (Drucksache 16/10241) ...... 18720 A (FDP) ...... 18731 B Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 18720 B (Lübeck) (CDU/CSU) ...... 18732 C Birgit Homburger (FDP) ...... 18721 D Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 18733 D (CDU/CSU) ...... 18722 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 18724 A DIE GRÜNEN) ...... 18734 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 18735 D DIE GRÜNEN) ...... 18725 A Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ (FDP) ...... 18725 D DIE GRÜNEN) ...... 18736 A Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 18726 C Ursula Mogg (SPD) ...... 18736 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18726 C Namentliche Abstimmungen ...... 18737 AB,, BC

Namentliche Abstimmung ...... 18727 A Ergebnisse ...... 18. . 7. 40. . .C, 18742 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 III

Einzelplan 23 Nächste Sitzung ...... 18758 C Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlage 1 Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ ...... 18737 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18759 A Jürgen Koppelin (FDP) ...... 18745 A (CDU/CSU) ...... 18746 A Anlage 2 Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 18748 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) ...... 18749 C NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fort- Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 18751 D setzung der Beteiligung bewaffneter deut- Hellmut Königshaus (FDP) ...... 18754 C scher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) ...... 18755 C Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) und 1832 (2008) des Sicherheitsrates der Hellmut Königshaus (FDP) ...... 18755 D Vereinten Nationen vom 11. August 2006 Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 18756 B bzw. 27. August 2008 (Tagesordnungspunkt 4) 18759 C

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18637

(A) (C) Redetext

175. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Bella Figura zu machen. Vielmehr muss in der Innen- Die Sitzung ist eröffnet. politik entschieden gehandelt werden. Dies geschieht nicht. Die drei Koalitionsparteien befassen sich mit sich Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle selbst. Sie starren voller Angst auf ein Kanzlerphantom. herzlich. Ich wünsche uns einen guten Morgen und gute Eigentlich regiert schon Oskar Lafontaine dieses Land. Beratungen. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Wir setzen heute die Haushaltsberatungen – Tages- der SPD) ordnungspunkte 1 a und b – fort: Er gibt den politischen Takt vor. Die historische Schuld a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- an dieser Entwicklung trägt diese wankelmütige Regie- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die rung, der eine Orientierung fehlt. Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: (B) Wann kommt denn euer Kanzlerkandidat mit (D) – Drucksache 16/9900 – den 18 Prozent?) Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Deutschland ist immer gut gefahren, wenn nicht die b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Ränder, die Extreme die Politik bestimmt haben, son- gierung dern die Mitte. Wir stehen für eine Politik der Mitte in Deutschland. Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 (Beifall bei der FDP) – Drucksache 16/9901 – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben versprochen, Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Deutschland zu reformieren. Sie wollten es für den Welt- handel öffnen, das Arbeitsrecht weiter reformieren, die Wir haben gestern für die heutige Aussprache eine Tarifautonomie zur Flexibilisierung nutzen, die Lohnne- Redezeit von insgesamt acht Stunden beschlossen. Wir benkosten dauerhaft unter 40 Prozent senken und den beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Ge- Haushalt konsolidieren. Tatsächlich haben Sie bei jedem schäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzel- Haushalt die Ausgaben erhöht. Was ist geblieben? Sie plan 04. können doch mit Reformieren nicht allen Ernstes Steuer- Das Wort erhält als Erster der Kollege Rainer erhöhungen, Mindestlöhne und Zwangsgesundheits- Brüderle für die FDP-Fraktion. fonds gemeint haben. Das ist keine Reform für Deutschland. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Rainer Brüderle (FDP): Ich kann dazu nur sagen: versprochen, gebrochen. Wel- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Som- che auch immer Ihre Lieblingskoalition für 2009 sein merpause ist in jeder Hinsicht vorbei. Die Temperaturen mag, mit der FDP kann es keine Fortsetzung dieser fal- sinken. Der Konjunkturhimmel hat sich mehr als be- schen Politik geben. wölkt. Professor Walter von der Deutschen Bank spricht (Beifall bei der FDP) davon, eine Rezession sei nicht mehr vermeidbar. Ich gehe nicht ganz so weit. Aber der Abschwung hat die Herr Müntefering und Herr Steinmeier, Sie machen Wirtschaft erfasst. Selbst der Finanzminister hat das ges- uns nette Avancen. Aber das ist für mich ein durchsichti- tern eingeräumt. Es genügt daher nicht, im Ausland ges Manöver zur Ablenkung von Ihrem Linkskurs. In 18638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Rainer Brüderle (A) Hessen wollen Sie mit Frau Ypsilanti Rot-Rot-Grün nicht geklärt. Sie sind hin- und hergerissen zwischen (C) durchsetzen. Sie träumen von der „Ampel“. Ich kann Ih- Wettbewerb und Staatseingriff, zwischen Belastung der nen nur sagen: Wenn Deutschland links fährt, wird es Bürger und deren Entlastung. Herr Kauder hat inzwi- zum Geisterfahrer. Das kann nicht gut gehen. schen gemerkt, dass der Aufschwung bei den Bürgern nicht angekommen ist. Die Früchte des Aufschwungs (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat der Staat kassiert; das ist Ihre Politik. Bei den Bür- der CDU/CSU) gern ist nichts geblieben. Der weise ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, (Beifall bei der FDP) von Herrn Steinbrück gestern oft zitiert, hat in diesen Ta- gen wieder bemerkenswerte Vorschläge zur Reform der Der CSU steht vor der Bayernwahl das Wasser inzwi- Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gemacht. Herr schen bis zum Trachtenhut. Steinmeier, mit einer Helmut-Schmidt-SPD können sich die Liberalen wahrscheinlich auf gemeinsame Ziele ver- (Heiterkeit bei der FDP und der SPD) ständigen. Aber die heutige SPD ist nicht regierungsfä- Erst macht sie von den größten Steuererhöhungen bis hin hig. zu dem Quatsch mit der Kilometerpauschale alles mit, (Beifall bei der FDP) und jetzt bekämpft sie es. Politisch nennt man das scheinheilig. Ein Neurologe würde sagen, dass Sie schi- Wir lassen uns auch nicht für taktische Spielchen in zophren sind. Anspruch nehmen. Sie wollen weiterregieren, obwohl Sie längst einen Dauerwahlkampf eingeleitet haben. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Thomas Statt kraftvollen Regierens Dauerwahlkampf – das ist Oppermann [SPD] und Dr. Gregor Gysi [DIE das Letzte, was Deutschland gebrauchen kann. Neuwahl LINKE]) wäre die sauberste Lösung, aber dazu geben Sie den Weg Wenn Sie wollen, können Sie schnell handeln. Das nicht frei. Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gibt Ihnen die Mög- (Beifall bei der FDP) lichkeit, sogar ohne das Parlament Steuern schnell zu senken. Sie können Steuerschecks, die in Amerika sehr Ich habe den Verdacht, Frau Merkel und Herr wohl gewirkt haben, in Betracht ziehen. Aber Sie lassen Steinmeier, dass Sie am liebsten Ihre Kuschelkoalition es treiben. Sie starren auf Lafontaine und wollen weiter fortführen würden. in Ihren Sesseln sitzen. Sie vergeuden die Zeit, und (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das ist wahr!) Deutschland leidet. Das ist eine traurige Situation. (B) Die Auswirkungen der Finanzmärkte, die Rückkehr der (Beifall bei der FDP) (D) Inflation, steigende Energiepreise – alles dies müsste die Regierung zum Handeln veranlassen. Wir marschieren Präsident Dr. Norbert Lammert: auf eine Versorgungslücke im Energiesektor zu. Es gibt Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau kein nationales Energiekonzept; nichts geschieht in die- Dr. Merkel. sem Sektor. Alle Kernkraftwerke zu schließen, neue und effiziente Kohlekraftwerke zu verhindern, beim Gas ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) seitig auf Russland zu setzen und zu meinen, mit ein paar Windrädern über die Runden zu kommen – das ist Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: kein Energiekonzept für Deutschland. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen (Beifall bei der FDP) Tagen, während wir hier im Parlament unsere Haushalts- debatte führen, verfolgen wir natürlich alle die Nach- Das Kerndilemma dieser Regierung ist, dass sie eine richten vom amerikanischen Finanzmarkt. Es hat Reihe relativ guter Jahre, in denen Gewaltiges in der massive Stützungsmaßnahmen und Hilfsmaßnahmen der Wirtschaft geleistet wurde, in denen die Arbeitnehmer amerikanischen Regierung gegeben, gerade wieder in Neustrukturierungen möglich gemacht haben und in de- dieser Nacht in Bezug auf ein Versicherungsunterneh- nen sich der Mittelstand neu aufgestellt hat, ungenutzt men. Es hat Übernahmen im Privatsektor gegeben und hat verstreichen lassen. Die gute Stimmung und die rela- den Konkurs einer bedeutenden amerikanischen Invest- tiv gute wirtschaftliche Situation, die es gab, hätten Sie mentbank. Die Börsen und natürlich auch der DAX ha- nutzen müssen, um Deutschland fit zu machen für das, ben mit erheblichen Kursschwankungen und Kurskor- was bevorsteht. Man weiß schon aus der Bibel, dass rekturen reagiert. Wichtige internationale Banken haben nach sieben fetten Jahren sieben magere Jahre kommen. einen Stützungsfonds aufgelegt. Sie haben die Zeit verstreichen lassen. Das ist die Tragik der schwarz-roten Politik. Die Bundesregierung verfolgt diese Entwicklung mit (Beifall bei der FDP) großer Aufmerksamkeit. Wir stehen in engem Austausch mit den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft ebenso Statt für ein weltoffenes Deutschland einzutreten, wie mit anderen Regierungen. Als ein Ergebnis haben schrecken Sie ausländische Investoren und hochqualifi- Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- zierte Arbeitnehmer ab. Das Trauerspiel dieser Koalition aufsicht und das Bundesministerium der Finanzen schon hat seinen Höhepunkt erreicht. Die SPD irrt orientie- am Montag erklären können, dass sich im Fall des Kre- rungslos umher, und die Union hat inhaltliche Fragen ditinstituts Lehman Brothers das Engagement deutscher Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18639

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Kreditinstitute glücklicherweise in einem überschauba- nur Ideen, sondern es gibt Bewegung bei Bewertungs- (C) ren Rahmen hält. verfahren, bei der Kooperation mit Aufsichtsbehörden und bei einem verbesserten Verhaltenskodex vor allen Aber wir spüren alle, dass die Dynamik der Weltwirt- Dingen der Ratingagenturen. Es gibt zum ersten Mal schaft beeinflusst wird. Wir können froh sein, dass in auch Selbstverpflichtungen, zum Beispiel von Hedge- den letzten Jahren neben dem amerikanischen Kraftzen- fonds. Ich erinnere auch daran, dass sich Staatsfonds von trum andere Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika und 26 Ländern zusammengeschlossen haben. Ich sage aus- im vereinten Europa erwachsen sind, sodass heute die drücklich: Es ist richtig, dass jetzt im Parlament die Ver- internationale Konjunktur auf sehr viel breiteren Beinen änderung des Außenwirtschaftsgesetzes beraten wird. steht, als das noch vor Jahrzehnten der Fall war. Deshalb Wir können nicht tatenlos zusehen. Politik muss gestal- sind die Auswirkungen auf die übrige Wirtschaft in ten. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch Deutschland bislang moderat, und die Unternehmens- darauf, dass wir die Dinge nicht laufen lassen, sondern kredite wurden in Deutschland im Gegensatz zur übrigen dass wir Politik gestalten. EU erneut deutlich ausgeweitet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dennoch wird eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche, die von der Globalisierung im Übrigen mehr Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Haushalt als andere profitiert, nicht völlig unberührt bleiben kön- zur Beratung vor, der seinesgleichen sucht. nen. Wir spüren das auch an den Prognosen, die uns je- (Lachen bei der FDP, der LINKEN und dem den Tag erreichen. In einer solchen Situation werden die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Rufe nach Konsequenzen natürlich wieder lauter. Ich Abgeordneten der CDU/CSU) will deshalb noch einmal auf die zwei grundsätzlichen Möglichkeiten hinweisen, die wir haben, um auf eine – Ich kann Ihre Freude gut verstehen; denn die Bundes- solche Situation zu reagieren. Die eine wäre, sich so weit regierung schafft mit diesem Haushalt die Voraussetzun- wie möglich von internationalen Einflüssen abzuschot- gen zum Erreichen eines Kernziels, das wir fest im Blick ten; die andere ist: Wir begreifen die internationale Ver- haben, nämlich im Jahre 2011 zum ersten Mal nicht flechtung als Wesenszug des 21. Jahrhunderts. Dann al- mehr auf Pump zu leben und keine neuen Schulden mehr lerdings muss Politik einen klugen Ordnungsrahmen zu machen. schaffen, der die Chancen nutzt und der die Risiken be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) grenzt. Das heißt: Politik muss gestalten. Ihr höhnisches Gelächter verdeckt doch bloß Ihr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) schlechtes Gewissen. (B) Die Bundesregierung hat sich entschieden, und zwar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) von Beginn dieser Koalition an: Deutschland wird ein neten der SPD) offenes Land bleiben, ein Land, das sich der Welt zu- wendet, ein Land, das seine Chancen nutzt. Die Bundes- Denken Sie einmal daran, wie Sie 2005 aus der Regie- regierung wird von diesem Kurs auch in der jetzigen Si- rung herausgegangen sind: Über 30 Milliarden Euro tuation nicht ablassen; ich finde, aus überragenden Neuverschuldung, das war die Bilanz der Grünen. Ich Gründen. Deutschland lebt im Wesentlichen von Aus- würde heute hier ganz still sein. landsinvestitionen. Es sind etwa 600 Milliarden Euro, (Beifall bei der CDU/CSU) die von ausländischen Unternehmen in Deutschland jährlich investiert werden. Das ist doppelt so viel, wie Die FDP sollte sich daran erinnern, dass 1998 auch nicht der Bundeshaushalt ausmacht. Deutschland lebt davon, alles vom Allerbesten war. dass 700 Milliarden Euro von deutschen Firmen im Aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und land investiert wurden. Das sichert uns Wohlstand, For- der SPD) schung, Innovation und neue Produkte. Ich finde, wir können ein Stück selbstbewusster in Aber eines zeigt die Entwicklung natürlich: Wir brau- diese Debatte gehen. chen dringend einen besseren Ordnungsrahmen, und wir – wenn ich das sage, meine ich vor allen Dingen (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Unsere abso- auch den Bundesfinanzminister – fühlen uns in dem be- lute Mehrheit war beeindruckend! Wir haben stätigt, was wir sehr früh begonnen haben. Wir haben Deutschland regiert, Grüne und FDP!) nämlich bereits während unserer G-8-Präsidentschaft – Ich habe von 1998 gesprochen und damit auch die eine Transparenzinitiative begonnen, die damals noch Union einbezogen. belächelt und von vielen gleich wieder als Regulierung abgetan wurde. Wir haben im September 2007 mit dem (Jürgen Koppelin [FDP]: Aber nur die FDP er- französischen Präsidenten eine gemeinsame Erklärung wähnt!) abgegeben, der sich dann Großbritannien, Italien und die Schauen Sie: Wir haben aus diesen Dingen gelernt. Wir Kommission angeschlossen haben. Im April hat es end- haben heute Regierungsverantwortung, und wir machen lich ein sehr bemerkenswertes Forum für Finanzmarkt- es anders. Das ist der Punkt. stabilität gegeben, auf dem eine Reihe von Vorschlägen gemacht wurden, die auf den Vorschlägen des G-8-Gip- (Beifall bei der CDU/CSU – fels aufbauten. Man kann glücklicherweise jetzt schon [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr- sagen, dass einiges in Gang gekommen ist. Es sind nicht wertsteuererhöhung! Super!) 18640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Ich möchte all denen, die daran mitwirken, meinen Ich glaube, bei allem, was wir an Problemen haben, (C) Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ganz beson- können wir sagen: Für dieses Ziel ist unser Land in den ders dem Bundesfinanzminister, ein herzliches Danke- letzten drei Jahren stärker geworden. Wir haben schön sagen. 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze seit 2005. Das bedeutet die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP], an die SPD ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wandt: Jetzt klatscht ihr!) neten der SPD) Genauso möchte ich den Koalitionsfraktionen quasi im Wir haben 100 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge Voraus im Hinblick auf die anstehenden Beratungen ein mehr als zu unserem Amtsbeginn. Die Eigenkapital- Dankeschön sagen, weil ich weiß, dass wir uns gemein- quote der Betriebe ist wieder angestiegen, und damit sam diesem Ziel verpflichtet fühlen. werden Betriebe auch wieder ein Stück robuster. Dazu haben viele beigetragen, aber die Politik der Großen Ko- (Dr. Peter Struck [SPD]: Genau!) alition eben auch. Wir legen diesen Haushalt nicht vor, weil er ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Selbstzweck ist. Es ist nicht so, dass wir das Thema neten der SPD) „ausgeglichener Haushalt“ sozusagen wie eine Mon- stranz vor uns hertragen, sondern wir tun dies deshalb, Wir haben die Neuverschuldung schrittweise gesenkt. weil es darum geht, dass wir in den Zeiten der Globali- Erstmals seit Ende der 80er-Jahre ist der gesamtstaatli- sierung, die wir nun so sehr spüren, die Voraussetzungen che Haushalt wieder ungefähr ausgeglichen. Wir haben dafür schaffen, dass das zentrale Versprechen der so- die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten deutlich zialen Marktwirtschaft, nicht auf Kosten der nächsten unter 40 Prozent gesenkt. Wir werden dabei bleiben: Wir Generation zu leben, sondern jedem Einzelnen den Ein- haben Freiräume für Menschen und Betriebe geschaffen. stieg in Arbeit und den Aufstieg durch Arbeit zu ermög- Wenn wir uns einmal die Staatsquote anschauen, erken- lichen, auch heute erfüllt werden kann. nen wir: Sie ist auf dem niedrigsten Stand seit 18 Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die Bundesregierung hat diesen Kurs nicht nur des- neten der SPD) halb eingeschlagen, weil es die Vernunft gebietet, son- dern auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass dies Auf eine Formel gebracht, hieß dieses Versprechen eine zutiefst moralische Aufgabe ist. Das ist die Basis der sozialen Marktwirtschaft zu Beginn der Bundesrepu- dafür, dass Vertrauen zwischen den Generationen wach- blik Deutschland: Wohlstand für alle. Heute gehen wir in sen kann und dass wir nicht auf Kosten der zukünftigen (B) Zeiten internationaler Verflechtungen, die wir mit dem Generationen leben. Trotz schwächer werdenden Wachs- (D) Wort „Globalisierung“ beschreiben, noch einen Schritt tums werden wir auch im kommenden Jahr diesen Kurs weiter. „Wohlstand für alle“ heißt heute: Bildung für fortsetzen; dazu sind wir entschlossen. alle. Dabei geht es wie bei den soliden Finanzen nicht einfach um ein sektorales Politikfeld, das als Selbst- Das heißt, es sind zwei Seiten einer Medaille, auf der zweck daherkommt. Das wäre ein grobes Missverständ- einen Seite den Konsolidierungskurs fortzusetzen und nis. Nein, meine Damen und Herren, es geht um viel auf der anderen Seite die Arbeitslosenversicherungsbei- mehr: Es geht um die Zukunft der Menschen in unserem träge weiter zu senken, Familien stärker zu entlasten, Land; denn Bildung für alle ist die entscheidende Vo- Entwicklungs- und Forschungsausgaben genauso zu er- raussetzung für Einstieg in Arbeit und Aufstieg durch höhen wie die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur oder Arbeit, und zwar für jeden, der in diesem Land lebt, egal die Investitionen in Kultur. Beides trägt dazu bei, dass aus welchem Elternhaus er kommt. wir für die Zukunft stärker gerüstet sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir sind überzeugt – ich glaube, in den letzten Jahren Ich bin zutiefst überzeugt: Es ist gerade dieses zen- ist diese Überzeugung noch gewachsen –: Die Bedeu- trale Aufstiegsversprechen, das die Menschen an die tung von Politik nimmt in Zeiten der Globalisierung Kraft der sozialen Marktwirtschaft glauben lässt oder nicht etwa ab, sondern die Bedeutung von Politik nimmt – wo sie es im Augenblick nicht tun – wieder glauben zu und verlangt uns viel neues Denken ab. lässt. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das wir gemeinsam im Blick haben müssen, Bund, Länder, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kommunen. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, der SPD – Beifall des Abg. Oskar Lafontaine das uns zu der Aufgabe führt, die Bildungsrepublik [DIE LINKE]) Deutschland zu gestalten. Einfach mehr Geld umzuver- teilen, schafft nämlich Abhängigkeit vom Staat und ze- Für mich ist das allerdings kein Bruch und kein Neustart, mentiert die Menschen in ihrer Situation, die heute nicht sondern es ist eine Weiterentwicklung; denn soziale das schaffen können, was sie wollen. Bildung für alle er- Marktwirtschaft ist immer davon ausgegangen, dass Po- möglicht es dagegen allen, sich eigenen Wohlstand zu litik gestalten muss. Ich erinnere nur an die Kämpfe, die erarbeiten. Daraus folgt, in einem Satz gesagt: Die Bil- hatte, als er das Kartellrecht durchsetzte – dungsrepublik ist der beste Sozialstaat. gegen den erbitterten Widerstand des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Aber hinzugekommen ist eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) internationale Dimension des Erfolgsmodells Bundesre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18641

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) publik Deutschland, der sozialen Marktwirtschaft. So- nicht nur in der Bildungspolitik, sondern insgesamt. (C) ziale Marktwirtschaft hat immer gestaltend eingegriffen, Deshalb wünsche ich mir zum Beispiel einen Erfolg bei aber jetzt geht es darum, dass wir die internationale der Haushaltskonsolidierung, nicht nur im Blick auf Dimension ausarbeiten. 2011. Es geht nämlich auch um eine Verpflichtung im Rahmen der Föderalismusreform II, nach der das ein Es geht um eine Grundfrage. Soziale Marktwirtschaft Grundprinzip unseres zukünftigen Handelns wird. Es hat sich immer als ein Bündnis der Stärkeren mit den wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob wir die Schwächeren in der Gesellschaft verstanden. Wer versu- Kraft dazu aufbringen. Ich wünsche es mir, meine Da- chen will, die Schwächeren in der Gesellschaft zusam- men und Herren. menzunehmen und gegen die Stärkeren in der Gesell- schaft aufzuhetzen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Widerspruch bei der LINKEN) Zu Nachhaltigkeit und Langfristigkeit gehören auch Investitionen in Familien. Das Elterngeld ist ebenso ein der wird in der internationalen Dimension der sozialen Erfolg wie die Vätermonate. Wir werden für 70 000 Fa- Marktwirtschaft scheitern. Es geht um das Bündnis der milienhaushalte den Kinderzuschlag einführen, der Kin- Stärkeren mit den Schwächeren. der und Eltern aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der entlässt. Wir werden die Betreuungsaufwendungen stär- FDP) ker steuerlich absetzbar machen; zum einen, um den Haushalt als Arbeitgeber zu entwickeln, zum anderen Es geht also um ein glaubwürdiges Wohlstandsver- aber auch, um Betreuung zu Hause zu ermöglichen. Wir sprechen. Deshalb muss Deutschland den Weg zur Bil- haben zwischen Bund und Ländern einen gemeinsamen dungsrepublik gehen. Was heißt das? Das heißt, dass Weg gefunden, die Betreuung der unter Dreijährigen wir uns die vielen guten Beispiele, die ich jetzt auf mei- auszubauen, und zwar nicht nur quantitativ, sondern ner Bildungsreise gesehen habe, einmal vor Augen füh- auch qualitativ mit Blick auf die Weiterbildung von Er- ren sollten: Kindergärten – – zieherinnen und Erziehern. Ich glaube, das sind wichtige (Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP] – Lachen Schritte. bei der LINKEN) Vor uns liegen bessere Leistungen für Familien auf – Es hat eigentlich sowieso keinen Sinn, aber ich will es der Grundlage des Existenzminimumberichts. Hierüber noch einmal ganz ruhig versuchen: Wir leben in einer werden wir in der Koalition noch Diskussionen führen, Welt, in der viele Menschen darum ringen, ihren Platz zu das hat sich gestern angedeutet. Ich persönlich halte finden, um in Wohlstand zu leben. Wir sind in einem 10 Euro für jedes Kind nicht für eine schlechte Sache, (B) Land, in dem vieles sehr gut gelungen ist und in dem aber darüber werden wir uns auseinandersetzen müssen. (D) Millionen von Menschen jeden Tag ihren Beitrag dazu Ich glaube auch, dass ein Kind denselben Anspruch auf leisten. Dazu gehören die Erzieherinnen in den Kinder- einen Freibetrag hat wie ein Erwachsener. Insofern müs- gärten, sen wir noch ein wenig darum ringen. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Trotz Großer Ko- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie alition! Das stimmt!) bei Abgeordneten der SPD) die eine gute Arbeit leisten, auch wenn vielleicht Niemand wird bestreiten, dass Familien im Zentrum 70 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund ha- der Politik der Großen Koalition stehen. Das ist eine ben. Dazu gehören die Lehrer. Dazu gehören die For- richtige Schwerpunktsetzung. Nachhaltigkeit und Lang- scher. fristigkeit bedeuten auch, in die Bildungspolitik an sich zu investieren. Aus den internationalen Vergleichen wis- (Dirk Niebel [FDP]: Dazu mussten Sie erst rei- sen wir, dass wir nicht überall Spitze sind. Ich bitte aber sen?) darum, diese Studien einmal genau zu lesen und nicht al- Dazu gehören die vielen Ehrenamtlichen. Ich möchte les immer in Grund und Boden zu reden, sondern auch diesen Menschen meine Anerkennung geben. Deshalb das Positive zu sehen. besuche ich sie, und ich glaube, das ist richtig, meine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damen und Herren. Im Bereich der abgeschlossenen Berufsausbildung gibt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie es bei uns zum Beispiel hervorragende Leistungen. Auch des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) in der Frage des Abiturs oder der Postgraduiertenförde- Es geht um ein umfassendes Selbstverständnis unse- rung gibt es sehr gute Dinge, an die wir anknüpfen kön- res Landes. Dafür müssen wir drei Leitlinien einhalten, nen. Wahr ist aber auch, dass andere aufholen. Deshalb sind wir gefragt. Deshalb ist es auch wichtig, dass Bund die sich genau auch in der Politik der Bundesregierung widerspiegeln: Nachhaltigkeit und Langfristigkeit als und Länder in diesem Jahr am 22. Oktober in Dresden Erstes, Eigenverantwortung und Ermutigung als Zwei- einen Bildungsgipfel durchführen. Hierbei geht es aus- drücklich nicht um eine Kompetenzverschiebung. Viel- tes, Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament als Drittes. mehr geht es bei diesem Bildungsgipfel um die Frage, wie wir in unserem Land Politik für die Menschen ge- Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Es geht nicht stalten. Hier müssen wir den Blickwinkel der Menschen um Strohfeuer, sondern es geht um nachhaltigen Erfolg, – der Eltern und der Kinder – einnehmen. Diejenigen, 18642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) die mit Bildungspolitik konfrontiert werden, überlegen sanierung und viele andere Maßnahmen wie die Einfüh- (C) nicht ständig, ob der Bund, das Land oder die Kommune rung von intelligenten Stromzählern über die Novellie- für sie verantwortlich ist. Sie wollen Politik aus einem rung des KWK-Gesetzes bis hin zu unseren Guss. Klimapaketen, die ja hart umstritten sind, sind langfristig insgesamt die richtige nachhaltige Antwort auf die Ener- (Dr. Peter Struck [SPD]: Genauso ist es!) giepreisentwicklung in der Welt. Deshalb müssen die verschiedenen politischen Ebenen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in ihrer Verantwortlichkeit so zusammenarbeiten, dass für das einzelne Kind das Beste erreicht wird und dass Wir werden jetzt auf der Ebene der Europäischen Eltern ihre Kinder optimal fördern können. Union Verhandlungen über Europas Klimaschutzziele führen. Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sen Zielen. neten der SPD) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE In diesem Zusammenhang müssen die Schulabbrecher- GRÜNEN]: Was?) quoten gesenkt werden. Es müssen Schulabschlüsse er- möglicht werden, und Hochschulen müssen sich zum – Ich wiederhole es gerne noch einmal: Die Bundes- Beispiel auch für Meister und ähnliche Qualifizierungen regierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen. öffnen. Wir müssen Ausbildungsbausteine so gestalten, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE dass sie sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Im GRÜNEN]: Macht mal was! Nicht stehen, Grunde geht es nicht um Strukturdebatten, sondern um sondern laufen!) die Frage des Erfolgs eines jeden Einzelnen mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden wir die Kioto-Verpflichtun- In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wie gen einhalten. Andere werden das nicht tun. Vielleicht richtig die Entscheidung der Bundesregierung war, Inte- könnten wir einmal gemeinsam diese kritisieren und grationspolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu ma- nicht immer nur uns selber schlechtmachen. chen. Wenn Sie sich den Bildungsbericht für Deutsch- land anschauen, dann sehen Sie, dass der Anteil der (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE jungen Menschen unter 25 mit Migrationshintergrund in GRÜNEN]: Dann dürfen Sie aber nicht in den Regionen mit industrieller Struktur – im Ruhrgebiet, Europa alles blockieren, was dabei helfen im Bereich der Rhein-Main-Schiene, in , in könnte!) München und in der Region um Nürnberg – zwischen 40 Deutschland ist aber auch das Land in Europa, das ei- (B) (D) und 50 Prozent liegt. Die Zukunft unseres Landes hängt nes der breitesten industriellen Fundamente hat, und die davon ab, ob auch diese jungen Leute, und zwar jeder wirtschaftliche Entwicklung Europas hängt auch von der Einzelne von ihnen, eine Chance auf einen Aufstieg in wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands ab. unserem Land haben. Ansonsten werden nicht nur diese jungen Leute leiden, sondern unser ganzes Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb werden wir strittige Diskussionen darüber füh- Wir haben in Forschung und Entwicklung investiert ren müssen – ich sage das hier ganz offen –, wie wir mit und streben dort einen Anteil von 3 Prozent am Brutto- energieintensiven Branchen umgehen. Es ist für das inlandsprodukt an. Gegenwärtig sind wir bei 2,8 Prozent Weltklima nichts gewonnen, wenn die Aluminium-, angelangt, wir haben noch einen Weg vor uns. Das ist Stahl- oder Chemieindustrie bei uns verschwindet und aber zu schaffen. Die Exzellenzinitiative hat sich be- mit schlechteren Standards außerhalb Europas ausgebaut währt. Wir haben die Freiräume der Unternehmen ge- wird. Das werden wir nicht zulassen. stärkt. Wir haben die Wissenschaftsallianz, und wir ha- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der ben viele neue Wege beschritten, bei denen Leistung FDP – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Zustim- ganz ausdrücklich prämiert wird. Das ist richtig. mung von der FDP!) Natürlich hängt Nachhaltigkeit auch mit der Ressour- – Ich hoffe, auch den Klimaschutzzielen stimmt die FDP cennutzung zusammen. Wir wissen, dass eines der drän- zu. gendsten Probleme für die Menschen der Anstieg der Energiepreise und daraus folgend die Inflation ist. Wir (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Begeistert!) stehen natürlich vor der Frage, was wir da tun sollen. Beides zusammenzubringen, macht nämlich gerade die Hier ist politische Gestaltung gefragt. Es ist sehr einfach, Schwierigkeit des Themas aus, meine Damen und Her- das Falsche zu tun, indem man sich auf den Standpunkt ren. Das können nicht alle, das kann nur die Große stellt, dass Energiepreise nicht nachhaltig steigen kön- Koalition. nen. Genau das machen wir nicht. Der Bundesfinanzmi- nister hat es gestern noch dargestellt. Wir eröffnen viel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr Wege zum effizienteren Umgang mit Energie, um der SPD – Lachen bei der FDP und dem die Menschen in die Lage zu versetzen, weniger Energie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Guido zu verbrauchen und damit mit den steigenden Kosten Westerwelle [FDP]: Wollen Sie die auf ewig klarzukommen. Ich glaube, die Förderung von Gebäude- fortsetzen? – Volker Beck [Köln] [BÜND- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18643

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen sie offen- spiegeln; „Fordern und Fördern“ ist deshalb unsere Ma- (C) sichtlich auf ewig fortsetzen! Aha!) xime. Die Arbeitsvermittlung ist modernisiert worden und wird weiter modernisiert werden. Wer sich einmal – Viel Heiterkeit heute Morgen hier. mit der Arbeit der Bundesagentur befasst hat, der weiß, Zu den Zukunftsinvestitionen zählen natürlich auch dass da unglaublich viel passiert ist. Was die Betreuung Entwicklungshilfe und Einsatz für gutes Regieren. aus einer Hand angeht, müssen wir noch Regelungen treffen, um das Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Zu Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit gehört natür- Argen umzusetzen. lich auch die Stabilisierung unserer sozialen Siche- rungssysteme. Die Rentenfinanzen befinden sich in ei- Das Prinzip der Eigenverantwortung gilt auch in dem ner weit besseren Lage als vor Jahren. Wir haben Sinne, dass Tarifautonomie Vorrang hat. Wir werden die zusätzlich die Eigenheimrente verabschiedet – ein wich- Gesetze, das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbe- tiges Projekt. Bis heute wurden 11 Millionen Riester- dingungengesetz, beraten, aber immer in dem Geist, Ta- Renten abgeschlossen, aber angesichts von 27 Millionen rifautonomie, wo möglich, zu stärken. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bleibt immer (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. noch viel zu tun. Dennoch wurde in diesem Bereich ein [Hildesheim] [SPD] und gewaltiger Schritt nach vorn gemacht. Die Rente mit 67 [SPD]) war eine notwendige Maßnahme. Daran muss auch fest- gehalten werden, weil uns die demografische Entwick- Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht, um die lung keine andere Möglichkeit lässt. Mitarbeiterbeteiligung zu fördern. Das wird in der allge- meinen Diskussion oft unterschätzt. Aber schauen Sie Es zeigen sich nun die Erfolge, meine Damen und sich einmal die Vermögenssituationen an: Angesichts Herren: Die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen ist dessen, wie sich auf der einen Seite Einkommen und deutlich zurückgegangen – seit 2005 um circa ein Vier- Löhne und auf der anderen Seite Kapitalerträge entwi- tel. Das lässt sich sehen. Wir haben die Leistungen der ckeln, kann ich nur sagen, dass es langfristig gesehen Pflegeversicherung ausgeweitet. wichtig ist, dass wir jedem auch eine Beteiligung an den (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) Kapitalerträgen ermöglichen. Ansonsten werden die Un- gerechtigkeiten in unserem Land zunehmen. Hier sind – Wir haben für Demenzkranke die Pflegezeit eingeführt wir einen wichtigen Schritt miteinander gegangen; ich und sind weitere wichtige Schritte gegangen. – Wir ha- glaube, das sollte man an dieser Stelle sagen. ben außerdem in die Gesundheitsversorgung investiert. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Es wird in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zukunft mehr Wettbewerb und mehr Auswahlmöglich- (B) Wenn wir uns die Dinge anschauen, dann sehen wir (D) keiten geben. Wir haben uns aber auch sehr bewusst ent- auch, dass Arbeitsmarkt- und Vermögenspolitik natür- schieden, etwas für die Ärzte in Krankenhäusern, die lich die Chancen in der Globalisierung verbessert haben. niedergelassenen Ärzte und für das Pflegepersonal zu Gestern ist eine Studie des DIW veröffentlicht worden, tun. Hier wird noch an den Feinheiten gearbeitet. die mit aktuellen Zahlen arbeitet und aus der hervorgeht, Wer aber den Eindruck erweckt, hervorragende Ge- dass zwischen 2005 und 2006 – nur über diesen Zeit- sundheitsversorgung sei sozusagen zum Nulltarif zu be- raum geht die Studie – über 1 Million Menschen aus kommen und Gehaltssteigerungen für die im medizini- dem Armutsrisiko herausgekommen ist. Das zeigt doch schen Bereich Beschäftigten seien möglich, ohne dass nichts anderes, als dass Reformen sich vielleicht nicht sich das in irgendeiner Weise in den Beiträgen nieder- sofort, aber über eine bestimmte Zeitspanne gesehen schlägt, der trägt dazu bei, dass wir eines Tages nicht lohnen. Das ist doch das Ziel aller Veränderungen: mehr mehr genug Ärzte bei uns haben – diese sind dann in Menschen eine Chance zu geben und weniger Menschen Norwegen oder sonst wo – und dass die Pflegekräfte ihre in ein Risiko hineinfallen zu lassen. Arbeit nicht mehr schaffen. Deshalb sage ich: Es ist rich- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tig, in ein gutes Gesundheitssystem zu investieren. Es ist vielleicht die komplizierteste Aufgabe eines modernen Wir brauchen als drittes Leitmotiv Durchlässigkeit Industrielandes, das zugleich demografische Verände- und ein festes Wertefundament, eine Offenheit der Ge- rungen zu bewältigen hat, für jeden eine gute Gesund- sellschaft, einen Ansporn für die, die viel leisten können, heitsversorgung bereitzustellen. Wir fühlen uns aus tie- die Eliten unseres Landes, damit wir dann auch mit- fer Überzeugung bezüglich der Menschlichkeit unseres einander Solidarität üben können. Wir brauchen ein Landes diesem Ziel verpflichtet. Deutschland, das sich nicht abschottet, sondern seiner Verantwortung in der Welt gerecht wird. Deshalb wollen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir auf der einen Seite offen sein, was wir zum Beispiel Die Bildungsrepublik gründet auf dem Willen – das dadurch zeigen, dass wir die Zuwanderung für Hochqua- ist die Voraussetzung –, dass der, der immer es kann, das lifizierte in unser Land geöffnet haben. Angesichts von eigene Leben in die Hand nimmt. Er soll natürlich, wenn immer noch 3 Millionen Arbeitslosen sind die Diskus- er scheitert, eine zweite Chance, vielleicht auch eine sion und die Entscheidung darüber, wer zu uns kommen dritte und vierte bekommen; aber es muss die innere Be- darf und wer nicht, gar nicht einfach. Das ist eine quali- reitschaft geben. Deshalb sind Eigenverantwortung tativ ganz andere Debatte, als wir sie in den Asylfragen und Ermutigung das zweite wichtige Leitmotiv unserer miteinander geführt haben. Wir haben immer auf kultu- Arbeit. Das muss sich in der Arbeitsmarktpolitik wider- relle Toleranz gesetzt, um diese Offenheit voranzutrei- 18644 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ben. Ein Zeichen dafür ist, dass unser Kulturhaushalt, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (C) der Haushalt des Staatsministers für Kultur, in den letz- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten Jahren um 7,8 Prozent gewachsen ist, genauso wie die auswärtige Kulturpolitik an Bedeutung gewonnen Wir spüren alle, dass die Situation in Afghanistan hat, zwei wichtige Bereiche, in denen wir unsere Offen- nicht einfach ist, dass die Sicherheitslage auch im Nor- heit zeigen. Wir sind auch stolz auf unsere Kultur, und den komplizierter wird. Aber wir wissen auch um unse- wir wollen sie in der Welt bekannt machen. Das sind un- ren Auftrag. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit sere Ansprüche. dem Konzept der vernetzten Sicherheit die richtige Ant- wort gefunden hat, um das Engagement in Afghanistan (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fortzusetzen. Das heißt nicht, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit bereits in allen Fragen so funktio- Weil die Länder miteinander verflochten sind, ist es niert, wie wir uns das vorstellen können. Es ist ja so, wichtig, in Bündnissen zu arbeiten. Ein solches Bündnis dass Afghanistan nun einmal eine Regierung, ein Parla- ist die Europäische Union. Da haben wir vieles vor uns, ment hat. Wir haben die demokratischen Prozesse dort wenn wir daran denken, dass Irland mit Nein gestimmt vorangebracht. Wir müssen schauen, dass dieses Kon- hat; aber der Lissabon-Vertrag ist und bleibt die richtige zept der vernetzten Sicherheit auch von allen Akteuren Grundlage für die Politik in der Europäischen Union. – von denen, die aus dem Ausland helfen kommen, ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nauso wie von denen, die in Afghanistan Verantwortung der SPD) tragen – umgesetzt wird. Wir haben in diesem Sommer erlebt, wie wichtig (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!) Europa ist und was Europa in dem Konflikt zwischen Diese Aufgabe ist nicht beendet. Es hat aber keinen Georgien und Russland im Falle von Südossetien und Sinn, bei jedem schrecklichen Vorgang sofort das Kon- Abchasien erreicht hat. Hier ist es gelungen – der Au- zept infrage zu stellen. Deshalb sage ich hier: Das Kon- ßenminister und ich waren natürlich sehr beschäftigt mit zept der vernetzten Sicherheit ist nach meiner festen dieser Frage –, Europa zu einer einheitlichen Position zu Auffassung ohne jede Alternative. bringen – das war nicht immer einfach angesichts der unterschiedlichen Interessenslagen – und es gleichzeitig (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) handlungsfähig erscheinen zu lassen. Ohne die Europäi- sche Union hätten wir heute weder einen Sechspunkte- Wir werden im Oktober über die Fortsetzung des Af- plan, mit dem wir arbeiten könnten, noch Fortschritte in ghanistan-Einsatzes in den nächsten Monaten debattie- dieser gesamten Frage. ren müssen, genauso wie wir das heute für UNIFIL tun. (B) Deutschland wird jedenfalls seiner Verantwortung für (D) Deshalb kann ich nur sagen: Bei aller Mühe – wir den Kampf gegen den Terrorismus gerecht werden. wissen ja, wie schwer es schon in diesem Parlament ist, sich zu verständigen; wie soll es da zwischen 27 Staaten Meine Damen und Herren, für mich ist diese Bundes- einfach sein – hat sich die Europäische Union in diesem republik als Bildungsrepublik ein Land, in dem die Poli- Sommer in einer entscheidenden Frage als handlungsfä- tik verlässlich, langfristig und nachhaltig agiert; ein hig erklärt, und zwar auf einer vernünftigen Basis. Mit Land, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt, ihn keinem sind die Gesprächskontakte abgebrochen. Wir ermutigt, seine Eigenverantwortung fordert, seine An- haben gesagt: Reden gerade in schwierigen Zeiten ist die strengungen belohnt in einer Gesellschaft, die durchläs- richtige Antwort. Deshalb werden wir das auch am sig ist und unvoreingenommen jedem seine Chance gibt; 2. Oktober bei den deutsch-russischen Konsultationen ein Land, das offen ist, neugierig, der Welt zugewandt wieder unter Beweis stellen. und dabei zugleich selbstbewusst auf dem Boden seiner eigenen Erfolge und Werte steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich glaube, auf diesem Weg ist unser Land ein Stück Wir haben im Zusammenhang mit dem Kampf gegen vorangekommen. Jetzt kommt es darauf an, nicht stehen den Terrorismus unsere Aufgaben zu leisten. Hier sind zu bleiben, sondern mit Geduld und Ausdauer diesen wir nach innen besser gerüstet; es finden gerade die Be- Weg fortzusetzen. Diese Bundesregierung hat wichtige ratungen zum BKA-Gesetz statt. Ich bin optimistisch, Beiträge dazu geleistet. Sie wird auch in den kommen- dass wir sie erfolgreich abschließen. Wir haben eine bes- den Monaten weiter wichtige Beiträge leisten. ser ausgerichtete Bundespolizei. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Wir müssen auch außen unsere Aufgaben erfüllen. Wir haben bittere Erfahrungen mit dem Tod von Solda- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – ten machen müssen – gerade kürzlich mit dem Tod eines Beifall bei der SPD) jungen Soldaten der . Wir haben zivile Op- fer, Verletzte. Deshalb möchte ich in dieser Stunde einen Präsident Dr. Norbert Lammert: herzlichen Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten ge- Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi für die Fraktion nauso wie an die Polizisten und die zivilen Aufbauhelfer Die Linke. richten. Sie haben die Solidarität dieses Parlaments; denn wir wissen um die Schwere, aber auch um die Not- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert wendigkeit der Aufgabe. Winkelmeier [fraktionslos]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18645

(A) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): sen, dass auch Russland ein Sicherheitsdenken hat. Die (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Provokationen fingen mit den Stationierungen in Polen Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben fast allen in und Tschechien an, und jetzt auch noch die Ausweitung unserer Gesellschaft gedankt, nur die Linken haben Sie der NATO. Lassen Sie das einfach bleiben. Wir sind vergessen. Aber das macht nichts, wir kennen ja unseren doch froh, den Kalten Krieg los zu sein. Wir müssen ihn Einfluss. Auf den ist von der FDP schon hingewiesen doch nicht unsererseits mit neu organisieren. worden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN) Winkelmeier [fraktionslos]) Lassen Sie mich mit einem außenpolitischen Thema Ich erkenne durchaus an, dass Sie in Europa einen Bei- beginnen: mit Georgien. Die Situation war ja so: Der trag zur Deeskalation geleistet haben, der dringend er- Präsident von Georgien hat sich entschieden, kriegerisch forderlich war. in Südossetien einzufallen. Niemand in diesem Haus glaubt, dass er das ohne Genehmigung des amerikani- Jetzt haben wir eine Finanzkrise in den USA. schen Präsidenten gemacht hat. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Sagen Sie doch einmal etwas zu den Russen! CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ Zu Russland fällt Ihnen nichts eine! Unglaub- DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu den lich!) russischen Basen in der Region!) Wir haben eine weltweite Finanzkrise. Ich kann nur sa- Nun hört und liest man, ihm sei es wichtig gewesen, im gen: Ich bin ziemlich entsetzt, was in diesem Zusam- Wahlkampf seinen eigenen Kandidaten voranzubringen. menhang alles passiert. Jetzt ist die nächste Großbank Wenn das stimmt, wenn jetzt schon Kriege wegen eines pleite, und alle tun so, als ob es Deutschland fast nichts Wahlkampfes geführt werden, dann ist die Politik dies- anginge. Heute früh habe ich in den Nachrichten gehört, bezüglich vollständig verrottet. Das ist die Wahrheit. dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau kurz vor der Pleite der Bank noch einmal 300 Millionen überwiesen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert hat. Futsch sind sie! Tolle Experten, die da sitzen, kann Winkelmeier [fraktionslos]) ich dazu nur sagen. Russland handelte zunächst noch völkerrechtsgemäß, als es Südossetien befreite. Es verletzte das Völkerrecht Folgendes ist passiert: Die größte amerikanische Ver- aber grob, als es Tiflis bombardierte und sich in Kernge- sicherung stand kurz vor der Pleite. Die Notenbank ge- währte einen Kredit von 85 Milliarden Dollar – das muss (B) orgien festsetzte. Russland verletzte das Völkerrecht (D) auch, als es die Unabhängigkeit, die territoriale Abspal- man sich einmal überlegen –, übernimmt dafür aber tung von Südossetien und Abchasien anerkannte. 80 Prozent des Eigentums. Was macht unsere Bundesre- gierung bei der Industriekreditbank? Sie übernimmt na- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- türlich auch die Schulden dieser Privatbank in Höhe von NEN]: Was machen Sie da vorne eigentlich für 9,2 Milliarden Euro, aber ihr gehört hinterher kein Pro- Pirouetten! – Volker Beck [Köln] [BÜND- zentpünktchen mehr. Ich weiß gar nicht, ob wir das Geld NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es verletzte das Völ- je wiederbekommen oder ob das einfach so verschenkt kerrecht, dass sie russische Pässe ausgegeben wurde. Der Bundesfinanzminister stellt sich hier hin und haben!) erklärt stolz, es gebe eine Neuverschuldung von nur 10 Milliarden Euro, und sagt ganz nebenbei: Wir haften Es verletzte das Völkerrecht genauso wie die USA, hier mit 9,2 Milliarden Euro mit. Großbritannien, Frankreich und Deutschland, als sie Belgrad bombardierten, und genauso wie diese Länder, Übrigens hat nicht nur die Industriekreditbank diesbe- als diese die territoriale Abspaltung des Kosovo entge- züglich Probleme – auch das muss ich sagen –, sondern gen einem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten auch die Sächsische Landesbank und, ja, Herr Huber, Nationen beschlossen haben. auch die Bayerische Landesbank. Herr Huber, Sie waren (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast der verantwortliche Finanzminister. Der Schaden liegt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, bei 4,5 Milliarden Euro. Andere würden zurücktreten. die Völker sollen sich selbst befreien! Das sa- Sie hingegen streben nach höheren Ämtern. Ich sage das gen Sie sonst immer!) nur mal so. Und nun passiert Folgendes: Vier Völkerrechtsverletzer (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert stehen da und werfen dem fünften Völkerrechtsverletzer Winkelmeier [fraktionslos] – Lachen von vor, dass er das Völkerrecht verletzt. Da kommt nicht Staatsminister Erwin Huber [Bayern]) viel bei heraus. Das ist die Wahrheit. All das müssen die Bürgerinnen und Bürger bezahlen. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzkrise sagen: Lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen: Richard Der tiefe Konflikt zwischen Schröder und Lafontaine be- von Weizsäcker hat völlig recht, wenn er davor warnt, zog sich auf genau diese Frage. Als Rot-Grün, SPD und die NATO bis an die Grenzen Russlands zu treiben. Was Grüne die Wahlen gewannen, da hat Schröder noch er- sollen denn diese Provokationen? Man muss doch wis- klärt, er wolle die Finanzmärkte regulieren. In Abspra- 18646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Gregor Gysi (A) che mit Blair ist er aber völlig davon abgekommen und 177 Milliarden Euro, gestiegen. Deshalb spüren die (C) wollte plötzlich die liberalisierten, freien Finanzmärkte. Leute genau, dass die Armut zunimmt, während der Reichtum in dieser Gesellschaft maßlos wird. Dagegen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unternehmen Sie gar nichts. NEN]: Deswegen ist Oskar zurückgetreten, ja?) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Lafontaine wollte den Finanzmarkt regulieren. Das war der Zwist. Es gibt immer das folgende Argument – das hat mich auch beschäftigt –: Wir hatten zu hohe Löhne und muss- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ten mit den Realeinkünften herunter, weil Deutschland Winkelmeier [fraktionslos]) im internationalen Vergleich nicht mithalten konnte. Jetzt haben wir uns das einmal angesehen. Die Deutsche Jetzt stellen Sie sich als SPD doch einmal hier hin und Bank Research – Sie werden zugeben, dass dies keine sagen: In dieser entscheidenden Frage hatte Lafontaine linke Einrichtung ist – hat das Pro-Kopf-Einkommen in recht und Schröder unrecht. So einfach ist das nämlich. den alten 15 EU-Mitgliedsländern festgestellt. Wissen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Sie, Herr Huber, auf welchem Platz wir liegen? Auf Winkelmeier [fraktionslos]) Platz zwölf. Ich bitte Sie! Spanien hat uns im letzten Jahr überholt; da waren wir noch auf Platz elf. Jetzt sind wir Die Zeche bezahlen wir jetzt alle. auf Platz zwölf. Hinter uns liegen nur noch Italien, Grie- chenland und Portugal; aber die geben sich Mühe. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren auch schon mal besser!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Heiner Geißler, zu früheren Zeiten Generalsekretär Ich kann also nur sagen: Auf das Ergebnis, das Sie vorle- der CDU, hat jetzt geschrieben: Die Politiker, die Profes- gen, können Sie nicht stolz sein. soren, die Journalisten, die immer von der Freiheit der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Finanzmärkte gesprochen haben, können leider nicht zur Winkelmeier [fraktionslos]) Verantwortung gezogen werden, obwohl sie eine Mitver- antwortung für die gesamte Krise haben. Ich möchte auch erwähnen, dass die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner seit Jahren nur Minusrunden (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert erleben. Denn auch das kleine Plus ist immer eine Mi- Winkelmeier [fraktionslos]) nusrunde, wenn Sie es mit der Mehrwertsteuererhöhung, Wenn wir uns die Situation in Deutschland ansehen, mit der Inflationsrate und anderen Dingen verrechnen. (B) (D) erkennen wir, dass es Momente gibt, die Sie hier ausge- Nun sagen Sie: Die Linken kritisieren immer alles lassen haben, Frau Bundeskanzlerin. In den letzten zehn und versprechen das Blaue vom Himmel. Das alles sind Jahren bis 2006 – die Zahlen liegen vor – sind die Real- Populisten, die nichts einhalten können. einkommen in Deutschland um 6 Prozent gesunken. Das trifft nicht nur die Menschen, sondern auch die klei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ludwig nen und mittleren Unternehmen, die auf den Binnen- Stiegler [SPD]: Vollkommen richtig! – markt angewiesen sind. Denn wenn die Kaufkraft zu- Joachim Poß [SPD]: Bei Ihnen beginnt ja die rückgeht, werden bei ihnen weniger Waren gekauft und Selbsterkenntnis!) weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen. Das – Ich wusste es doch. alles hat Folgen. (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind nur ver- In derselben Zeit – das ist spannend, weil Sie immer stockt!) sagen, es sei ein internationaler Trend – sind die Real- löhne in Frankreich, den USA, Großbritannien und Verstehen Sie, diese billige Argumentation ist selbst Schweden zwischen 10 und 29 Prozent gestiegen. In bis zu mir schon vorgedrungen. Aber sie ist falsch. Deutschland sind sie um 6 Prozent gesunken. Auch unter (Heiterkeit bei der LINKEN) Schröder und unter Merkel hat sich nichts daran geän- dert. Jetzt gibt es eine Studie, die das genauer analysiert. Denn wir müssen einmal einen Vergleich der Steuer- Auch das ist immer spannend. Das Ergebnis der Studie und Abgabenquoten wiederum in den 15 alten EU-Mit- lautet: In den letzten zehn Jahren sind bei den Geringver- gliedsländern machen. Im Schnitt liegt die Steuer- und dienern die Realeinkommen um 10 Prozent gesunken, Abgabenquote in diesen 15 Ländern bei 40 Prozent. In bei Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten sind sie um Deutschland liegt sie bei 36 Prozent. Das sind 4 Prozent 14 Prozent gesunken und beim obersten Viertel, bei den weniger. Hätten wir den Durchschnitt der alten EU-Mit- Bestverdienenden, sind sie um 4 Prozent gestiegen. gliedsländer, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme in Wenn man das alles miteinander verrechnet, kommt ins- Höhe von 100 Milliarden Euro. Damit ließe sich alles fi- gesamt ein Minus von 6 Prozent heraus. Aber man muss nanzieren, was die Linke hier im Bundestag vorgeschla- wissen, dass unten viel mehr verloren wurde und oben gen hat. die Realeinkommen sogar gestiegen sind. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Wenn man sich dann noch die Unternehmens- und Winkelmeier [fraktionslos] – Bernhard Vermögenseinkommen ansieht, dann schlackern einem Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Es fehlen im- die Ohren. Denn sie sind um 42 Prozent, um mer noch 50!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18647

Dr. Gregor Gysi (A) Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie sind der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (C) Deutschen Bank entgegengekommen. Sie haben die Winkelmeier [fraktionslos]) Körperschaftsteuer von 45 auf 15 Prozent gesenkt. Sie sind den Spitzenverdienern entgegengekommen. Sie ha- Wir wollen, dass der Spitzensatz der Einkommensteuer ben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53 für Einkommen über 80 000 Euro im Jahr 50 Prozent be- auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet den Staat übrigens trägt. Das ist doch nicht unangemessen! jährlich 11 Milliarden Euro, die einfach weg sind, weil Sie behaupten, Sie hätten die Arbeitslosigkeit abge- Sie dieses Geschenk verteilt haben. Was müssten wir baut. Die SPD behauptet sogar, das liege an der machen, um an den Durchschnitt heranzukommen? Man Agenda 2010. Das hat zwar nichts miteinander zu tun; sollte nicht die Mehrwertsteuer erhöhen. Welchen Weg aber Sie können ja erzählen, was Sie wollen. könnte man gehen? (Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch! Dummes (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Zeug!) Gysi höher besteuern!) Der Aufschwung, der von Ihnen gepriesen worden ist, Wir wollen wieder eine paritätische Beteiligung der Un- kam bei 16 Prozent der Leute an. 84 Prozent der Leute ternehmen an der Rentenversicherung. Die Riester- haben von diesem Aufschwung nichts, aber auch gar Rente ist doch nichts anderes als eine Entlastung der Un- nichts mitbekommen. ternehmen. Das Statistische Bundesamt – auch keine linke Ein- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert richtung – hat eine wunderbare Analyse vorgelegt und Winkelmeier [fraktionslos]) darin Folgendes festgestellt: Die Zahl der Menschen in Teilzeitjobs, Leiharbeitsstellen, 400-Euro-Jobs und be- Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Staat fristeten Arbeitsverhältnissen ist von 1997 bis 2007 um müssen das allein bezahlen. 2,6 Millionen gestiegen. Jetzt liegt diese Zahl bei Die Allianz macht mit der Riester-Rente ein tolles 7,68 Millionen. In denselben zehn Jahren ist die Zahl der Geschäft. Deshalb überweist sie jedes Jahr an die CSU, sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten um an die CDU, an die FDP, an die SPD und auch an die 1,53 Millionen gesunken. Sie haben also keinen Grund, Grünen 60 001 Euro. Die einzige Partei, die nichts be- stolz zu sein. kommt, sind wir. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Joachim Poß [SPD]: Sie haben ja genug Ver- mögen im Hintergrund! Sie haben ja das SED- Abbau der Arbeitslosigkeit durch Verschiebung von (B) Vermögen!) Vollzeitbeschäftigung in prekäre Arbeitsverhältnisse – (D) das ist bei Ihrer Politik herausgekommen. Aber ich sage einmal: Ich bin relativ stolz darauf, dass es noch eine nicht allianzgesponserte Partei im Deutschen Herr Huber, Frau Merkel und Herr Steinmeier, ich Bundestag gibt. sage Ihnen: CSU, CDU und SPD haben keinen Grund, stolz zu sein auf 2,5 Millionen arme Kinder in Deutsch- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert land. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf Winkelmeier [fraktionslos] – Joachim Poß 7,4 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben. Sie ha- [SPD]: Möglicherweise ist Ihr Geld auch in ben keinen Grund, stolz zu sein auf 6,6 Millionen Men- Liechtenstein!) schen, die in Minijobs für ein Einkommen von 400 Euro Wir schlagen Ihnen eine Börsenumsatzsteuer vor. arbeiten. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf wei- Hätten wir eine Börsenumsatzsteuer von 1 Prozent, hät- tere 6,5 Millionen Menschen mit niedrigsten Einkom- ten wir jährlich eine Mehreinnahme in Höhe von men. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf 70 Milliarden Euro. Das lässt sich doch machen; auch 800 000 Menschen, die in Leiharbeit beschäftigt sind, in andere Länder haben Börsenumsatzsteuern. einer modernen Form der Sklaverei. (Zuruf von der FDP) (Dirk Niebel [FDP]: Glauben Sie denn, die wären lieber arbeitslos? Das ist doch unglaub- – Ach, Quatsch. Wir sollten vor allen Dingen auch die lich!) Spekulationen ein bisschen reduzieren, die auf unserem Sie haben keinen Grund, stolz darauf zu sein, dass die Erdball maßlos geworden sind. Energiepreise um 14 Prozent gestiegen sind, dass bereits Wir schlagen eine angemessene Vermögensteuer vor. 800 000 Haushalten in Deutschland – ich wiederhole: Wir haben in Deutschland Milliardäre. Ich bitte Sie! So 800 000 Haushalten! – der Strom abgestellt wurde und fleißig kann gar kein Einzelner sein, um sich eine Mil- dass die Nahrungsmittel um 8 Prozent teurer geworden liarde legal zu erwirtschaften. Wie dem auch sei: Alle sind. Milliardäre sind doch Verfassungspatrioten und wissen, (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Quatsch! – dass das Eigentum auch dem Allgemeinwohl dienen Dr. Peter Struck [SPD]: Wer hat das denn zu soll. Wir kommen ihnen solidarisch entgegen, nehmen verantworten? Was soll dieser Mist?) ihnen einen Teil ihres Geldes weg und verteilen es im In- teresse des Allgemeinwohls. Das ist doch nachvollzieh- Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viel über Bildung bar. geredet. Ich stimme Ihnen zu: Bildung ist ein zentrales 18648 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Gregor Gysi (A) Thema; denn Chancengleichheit kann nur über Bildung Bald findet die Bayernwahl statt. Deshalb ist heute (C) erreicht werden. Sie haben aber nicht erwähnt, dass un- auch Herr Huber zu uns gekommen; das ist völlig okay, ser Bildungsniveau im Vergleich in Europa mittlerweile und das ist Ihr gutes Recht. unterdurchschnittlich ist. Es geht nicht um Besuche, son- (Thomas Oppermann [SPD]: Wie bitte? Ist das dern um Investitionen. Die brauchen wir im Bildungsbe- wirklich der Grund, Herr Huber?) reich. Eines geht aber nicht, Herr Huber: Sie können nicht in (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Bayern immer so tun, als wären Sie in Berlin in der Winkelmeier [fraktionslos]) Opposition. Denn hier in Berlin sind Sie an der Regie- Frau von der Leyen, gelegentlich schätze ich, was Sie rung beteiligt; das müssen wir allen Bürgerinnen und sagen. Aber Ihre Elterngeldregelung ist ein starkes Bürgern sagen. Die Mehrheit des Bundestages hat seit Stück. Für die Hälfte der Bezieherinnen und Bezieher, 2005 keinen Beschluss gefasst, der nicht auch Ihre Zu- und zwar für die ärmere Hälfte der Bevölkerung, haben stimmung gefunden hat, einschließlich der dramatischen Sie die Bezugsdauer des Elterngeldes um die Hälfte ge- und unverantwortlichen Kürzung der Pendlerpauschale. kürzt und den Bestverdienenden eine Erhöhung des El- Das ist die Wahrheit. terngeldes zugebilligt. Eine so direkte Umverteilung von (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert unten nach oben, wie Sie sie an dieser Stelle organisiert Winkelmeier [fraktionslos] – haben, habe ich in dieser Gesellschaft bisher selten er- [SPD]: Das war der erste richtige Satz!) lebt. Das ist nicht hinnehmbar. Der Bundesfinanzhof, der seinen Sitz in München (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert hat, hält die Kürzung der Pendlerpauschale für grundge- Winkelmeier [fraktionslos]) setzwidrig. Wo blieb eigentlich der Protest der SPD? Warum haben Daraufhin haben wir gesagt: Lasst uns doch selbst Sie das zugelassen? Politik machen! Lasst uns diese Schwachsinnsregelung zurücknehmen! Wir müssen doch nicht warten, bis das Frau Bundeskanzlerin, nun komme ich auf Ost- Bundesverfassungsgericht wieder ersatzweise für den deutschland zu sprechen. Nur ein Beispiel: Wir haben Bundestag Politik macht. – Dann haben wir eine na- vor einem Jahr 17 Anträge gestellt, um Überführungs- mentliche Abstimmung durchgeführt. Herr Huber, ich lücken und -ungerechtigkeiten sowie Ungleichbehand- muss es Ihnen sagen: Alle CSU-Abgeordneten haben im lungen bei der Rente zu überwinden. November 2007 dafür gestimmt, dass die Kürzung der (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Pendlerpauschale erhalten bleibt. Das ist die Wahrheit. (B) (D) NEN]: Stasirenten zum Beispiel!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ihr Kanzleramtsminister hat uns seinerzeit mitgeteilt, es Winkelmeier [fraktionslos]) gebe noch Beratungsbedarf. Nun haben wir festgestellt, dass Sie jetzt eine andere (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stasirenten!) Auffassung vertreten. Deshalb haben wir es wieder in den Bundestag eingebracht. Am Donnerstag vor der Also haben wir gewartet. Im Mai hat er uns dann mitge- Landtagswahl in Bayern können wir namentlich darüber teilt, dass es immer noch Beratungsbedarf gibt. Wir ha- abstimmen. Mal sehen, wie Ihre Abgeordneten dann ent- ben wieder gewartet. Später haben wir das zwar in erster scheiden. Darauf dürfen wir gespannt sein. Lesung im Plenum behandelt, aber noch nicht in den Ausschüssen. Das Kanzleramt teilte uns nämlich mit, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass es immer noch Beratungsbedarf gibt. neten der FDP und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stasirenten!) Ich finde es toll, dass Sie plötzlich dafür sind, den – Herr Kauder, quatschen Sie doch nicht über etwas, von Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuer von dem Sie keine Ahnung haben! Lesen Sie lieber erst ein- 6 800 Euro auf 8 000 Euro zu erhöhen, dass Sie dafür mal unsere 17 Anträge, bevor Sie sich leichtfertig dazu sind, den Steuerbauch bei der Einkommensteuer zu äußern. beseitigen. Damit haben Sie völlig recht. Wenn man oben bei den Bestverdienenden in der Steuer nachlässt, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert dann muss das einer bezahlen. Das sind bei uns die Winkelmeier [fraktionslos]) Durchschnittsverdiener. Deshalb haben wir diesen Steu- Wir werden darauf drängen, dass dieses Thema jetzt erbauch, der nicht gerechtfertigt ist. Herr Huber, Sie auch in den Ausschüssen behandelt wird, damit unser müssen aber erwähnen, wer den Steuerbauch erfunden Gesetzentwurf bald im Plenum des Bundestages in zwei- hat. Das war unter Kanzler Kohl. Er war ter Lesung beraten werden kann. Seit 1990 sind diese zudem Vorsitzender der CSU. Ich finde, darauf muss Probleme bekannt. Noch länger kann Ihr Kanzleramt man doch wenigstens hinweisen. nicht beraten. Jetzt müssen Sie dazu endlich einmal Ja (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert oder Nein sagen. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Sie erwähnen auch nicht, dass wir im April 2008 im Winkelmeier [fraktionslos]) Bundestag eine Debatte über die Erhöhung des Steuer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18649

Dr. Gregor Gysi (A) freibetrags und über die Beseitigung des Steuerbauches (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ (C) geführt haben und die CSU dagegen polemisiert und da- CSU: In der Gesellschaft, die Gysi vor- gegen gestimmt hat. Einen Monat später fällt Ihnen ein, schwebt, werden Löhne und Preise vom Staat dass Sie eine andere Auffassung vertreten. Diese Art des gemacht!) Wahlkampfes ist zu billig. Meine Damen und Herren, die Bilder und Berichte Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur SPD sa- von der Wall Street haben die Finanzmärkte in den ver- gen. Ich habe Ihre Personalentscheidung – zurück zu gangenen Tagen sehr beunruhigt. In unseren und in an- Schröder – mitbekommen. Hierzu möchte ich Ihnen drei deren Medien sind wegen der allgemeinen Finanzkrise Dinge sagen. Sie haben beschlossen, für einen gesetzli- in Amerika Katastrophenszenarien entwickelt worden. chen flächendeckenden Mindestlohn einzutreten. Sie In dieser allgemeinen Verunsicherung hat uns gestern Fi- haben ferner beschlossen, dass Sie für eine Bürgerver- nanzminister Peer Steinbrück eine solide Einschätzung sicherung sind. Irgendwann einmal haben Sie auch be- an die Hand gegeben, schlossen, dass Sie die Vermögensteuer erheben wol- len. Nun sagt Herr Müntefering, dass er unbedingt eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall Koalition mit der FDP eingehen möchte. Das heißt, es des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE]) gibt keinen Mindestlohn, es gibt keine Bürgerversiche- keine Verharmlosung, sondern eine sehr seriöse Analyse. rung, und es gibt keine Vermögensteuer. Ich nehme an, Ich bin ihm sehr dankbar dafür. diesbezüglich ist Verlass auf die FDP. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der CDU/CSU) des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Er hat uns in dem Wissen bestätigt, dass wir mit ihm ei- Wenn das so ist, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie wieder nen Chef des Finanzressorts haben, der die Tiefen und im Wahlkampf für einen gesetzlichen Mindestlohn ein- Untiefen der weltweiten Finanzmärkte kennt treten und gleichzeitig sagen, dass Sie mit der FDP zu- sammengehen wollen, dann bereiten Sie den nächsten (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Betrug der Wählerinnen und Wähler vor. Das werden und bei seinen Kollegen in Europa und vor allen Dingen wir versuchen deutlich zu entlarven. auch bei seinen Kollegen in der G-8-Gruppe höchste An- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert erkennung genießt. Das respektieren wir, und dafür dan- Winkelmeier [fraktionslos]) ken wir ihm. (Beifall bei der SPD) (B) Präsident Dr. Norbert Lammert: (D) Das Wort erhält nun Dr. Peter Struck für die SPD- Die Große Koalition braucht ihr Licht nicht unter den Fraktion. Scheffel zu stellen. Wir haben bei der Haushaltskonso- lidierung, der Stabilisierung der Wirtschaft und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schaffung neuer Arbeitsplätze mehr erreicht, als wir der CDU/CSU) 2005 realistisch erwarten durften und als uns die Opposi- tionsfraktionen mit ihren düsteren Prophezeiungen vo- Dr. Peter Struck (SPD): rausgesagt haben. Wir sind stolz auf das, was wir geleis- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten tet haben. Deutschland ist vorangekommen. Diese Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Sie haben sich Koalition hat gute Arbeit geleistet. darüber beklagt, dass Sie keine Spende von der Allianz (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der bekommen haben. Diese brauchen Sie auch nicht; denn CDU/CSU) Sie haben noch irgendwo altes SED-Vermögen ver- steckt. Das wissen wir doch ganz genau. Damit auch nicht der kleinste Zweifel aufkommt: Auch im letzten Jahr ihrer Regierungszeit wird sie weiter gut (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem zusammenarbeiten und in ihren Anstrengungen nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch nachlassen. bei der LINKEN) (Jürgen Koppelin [FDP]: Kein Beifall! – Sie sind offenbar der Meinung, die Koalition mache Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nun kommt! die Energiepreise und die Löhne. Klatschen! Beifall!) (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Nein!) – Ja, ich habe auch erwartet, dass Beifall kommt. Die – So haben Sie es gesagt. – Da liegen Sie falsch, Herr Kolleginnen und Kollegen müssen noch darüber nach- Kollege Gysi. Diese machen andere, aber nicht diese denken. Koalition. Wir alle haben es aber versäumt, für die gemeinsamen (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Schlimm ist, Erfolge auch offensiv zu werben. Wir haben unsere gute dass Sie das nicht machen!) Arbeit unter Wert verkauft. Ich bin jedenfalls dafür, dass wir die Zeitspanne bis zum beginnenden Wahlkampf im Sie müssen bei der Wahrheit bleiben, wenn Sie sich nächsten Frühsommer dafür nutzen, unsere gemeinsa- hierzu äußern. men Erfolge deutlich herauszustellen. 18650 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Peter Struck (A) Wir sollten damit in dieser Haushaltswoche beginnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) und Finanzminister Peer Steinbrück für eine solide und der CDU/CSU) vorausschauende Konsolidierungspolitik danken. Es stimmt, dass die Risiken eines Abwärtstrends der Welt- Diese Koalition hat sich viel vorgenommen, und sie wirtschaft näher gerückt sind und dass es keinen Anlass hat viel erreicht – mehr als uns die professionellen Beob- zu leichtfertigem Optimismus gibt. Genauso gilt aber, achter zugetraut haben –: Unternehmensteuerreform, dass die Wachstumserwartungen in Deutschland dank ei- Pflegereform, Teilprivatisierung der Bahn, Föderalis- ner einsichtigen Politik immer noch doppelt so hoch sind musreform, Haushaltskonsolidierung. Selbst mit der un- wie in Frankreich und England. Deutschland ist und ter den Koalitionspartnern besonders umstrittenen bleibt die Konjunkturlokomotive in der Europäischen Gesundheitsreform haben wir die Grundlage dafür ge- Union; darauf sind wir stolz. Ist das nichts? schaffen, dass auch in Zukunft für alle Menschen eine qualitativ hochwertige Versorgung garantiert ist. Ist das (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – nichts? Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da muss Herr Steinbrück einmal gelobt werden!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Viele von uns sind im Ausland unterwegs und lernen da- Wenn wir über die Beschäftigungssituation in bei eines: Kein Land auf der Welt hat ein solches Ge- Deutschland reden, dann müssen wir wissen, dass allein sundheitssystem wie die Bundesrepublik Deutschland. im letzten Jahr über 600 000 Menschen eine reguläre so- Dass wir darauf stolz sein können und dass wir das auch zialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden ha- bezahlen müssen, steht außer Frage. ben. Es besteht die Chance, dass die Zahl der Arbeitslo- sen im Herbst unter 3 Millionen sinkt. Erstmals seit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Beginn der 90er-Jahre ist die Erreichung der Zielmarke Vollbeschäftigung keine Utopie mehr. Ist das nichts? Bei jedem dieser Projekte hat es massive öffentliche Zweifel darüber gegeben, ob wir das schaffen und ob (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich die Koalition zusammenraufen kann. Sie hat es ge- der CDU/CSU) schafft; sie hat sich zusammengerauft. Ich will an dieser Stelle den vielen Experten und Fachleuten der beiden Sollen wir uns diese Erfolge kaputtreden lassen, nur weil Fraktionen, die maßgeblich zum Gelingen dieser vielen wir uns über den weiteren Weg hin zu guter Arbeit nicht Projekte beigetragen haben, danken. Das ist eine einig sind? Sollten wir nicht endlich dem Unsinn der schwere, aber auch eine gute Arbeit gewesen. Linkspartei lauter widersprechen, die neuen Arbeits- plätze ließen sich auf 1-Euro-Jobs reduzieren? Das ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) wieder eine dieser Propagandalügen, mit denen die (D) Linkspartei Unsicherheit schürt. Diese Koalition – darauf muss ich als Sozialdemokrat hinweisen – hat auf vielem aufbauen können, was die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rot-grüne Vorgängerregierung angestoßen hat. der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Die Wahrheit ist: Die Zahl der Arbeitslosen ist seit 2005 um fast 2 Millionen zurückgegangen, während die Zahl Als Beispiel nenne ich die Familien- und Bildungspoli- der 1-Euro-Jobber konstant bei 300 000 geblieben ist. tik. Wir haben seinerzeit im Rahmen der Agenda 2010 für die Ganztagsbetreuung von Kindern 4 Milliarden Wir haben es geschafft, die Sozialversicherungsbei- Euro zur Verfügung gestellt, und zwar gegen den Wider- träge seit 2006 radikal zu senken. Die Beiträge zur stand mancher christdemokratischer Ministerpräsiden- Arbeitslosenversicherung sind von 6,5 Prozent im ten. Jahre 2005 bis zum Jahresende 2008 mehr als halbiert (Beifall bei Abgeordneten der SPD) worden. Ist das nichts? Jetzt ist dieser Schritt von allen als richtig erkannt wor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den. Alle sind dankbar dafür, dass wir das gemacht ha- der CDU/CSU) ben. Müssen wir diesen Erfolg durch eine Debatte darüber (Beifall bei der SPD) zerreden, ob wir sie jetzt nicht noch weiter senken kön- nen? 6 400 Schulen sind inzwischen als Ganztagsschulen ein- gerichtet. Das hat dazu geführt, dass sich diese Koalition Wir sollten die Warnungen der Bundesagentur für Ar- darauf geeinigt hat, auch den Ausbau der Krippenplätze beit und ihres Präsidenten nicht einfach in den Wind intensiv zu fördern, deren Zahl bis 2013 auf 750 000 er- schlagen. Generell steht außer Frage, dass alle in dieser höht werden soll. Zudem soll ein Rechtsanspruch auf ei- Koalition bemüht sind, die Lohnnebenkosten zu senken. nen Krippenplatz eingeführt werden. Damit sorgen wir Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass gerade die Nor- für gleiche und damit bessere Bildungschancen von Kin- malverdiener weit mehr davon profitieren als von weite- dern vor allen Dingen aus sozial benachteiligten Fami- ren Steuersenkungen, die erst bei Empfängern höherer lien. Gehälter zu Buche schlagen. Deshalb wollen wir die Lohnnebenkosten, auch den Arbeitslosenversicherungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beitrag senken. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18651

Dr. Peter Struck (A) Bei dieser Aufgabe lassen wir die Kommunen nicht al- Das ist fast so viel, wie Peer Steinbrück für den Haushalt (C) lein, sondern wir garantieren eine dauerhafte Beteiligung insgesamt braucht. des Bundes an den Betriebskosten der Kindertagesstät- Schulden, Steuer- und Abgabenerhöhungen, das ist ten. das Gebräu, mit dem sich Herr Lafontaine aus dem Wirr- In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, warr ungedeckter Versprechungen herausreden will. dass die Kommunen wissen, dass sie mit der Sozialde- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mokratie einen starken Partner in der Regierung haben. NEN]: Aber da musst du auch Christa Müllers Wir haben ihnen versprochen, dass mit uns an der Ge- 100 Milliarden mitrechnen!) werbesteuer nicht zu rütteln ist. Das Versprechen haben wir im Zuge der Unternehmensteuerreform eingehal- – Ich rede erst einmal über den Herrn. – Ein kenntnisrei- ten. cher Journalist hat am Montag in einem Nachrichtenma- gazin die finanzpolitischen Ungereimtheiten, Verfäl- (Beifall bei der SPD) schungen und Lügen treffend beschrieben. Nur der Titel Das bedeutet für die Kommunen in Deutschland: Es ist „Die ökonomischen Märchen des Oskar Lafontaine“ ist wieder Geld da für den Ausbau der Straßen, für den Bau irreführend; denn im Märchen siegt am Ende immer das von Schulen und für öffentliche Aufgaben vor Ort. Das Gute. Aber mit Ihren ökonomischen Giftrezepturen wird ist praktische und realistische Politik für die Menschen. es nur ein ganz böses Erwachen geben, Herr Kollege Lafontaine. Wir haben in der Bildungspolitik durch eine Erhö- Lassen Sie mich eine persönliche Anmerkung zu dem hung des BAföG von diesem Wintersemester an ein Zei- Umgang von Lafontaine mit der Wahrheit machen. Er chen gesetzt, dass das Studium kein Privileg für diejeni- hat vor kurzem über die Zwangsvereinigung von KPD gen sein darf, die es sich finanziell leisten können. Wir und SPD gesagt, dass es sie nie gegeben habe und dass wollen, dass jeder nach seinen Fähigkeiten studieren die SPD freiwillig mitgemacht habe. kann, nicht nach dem Geldbeutel der Eltern. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie lügen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist eine geschichtliche Dreistigkeit und eine Beleidi- gung eines jeden Sozialdemokraten, der dafür ins Ge- Ich finde es übrigens gut, Frau Bundeskanzlerin, dass fängnis musste. Sie das Thema Bildung – Sie haben eben lange darüber gesprochen – zur Chefsache gemacht haben. Allerdings (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bin ich gespannt, ob Ihre Ministerpräsidenten all das, der CDU/CSU, der FDP und des was Sie hier vorgetragen haben, so akzeptieren werden. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oskar (B) (D) Ich wünsche Ihnen Erfolg. Wir wollen dabei helfen. Lafontaine [DIE LINKE]: Ich bezichtige Sie der Lüge!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Sie sind ein Lügner, und Sie sollten sich schämen. BAföG-Erhöhung, Wiedereinführung des Meister- Nicht einmal diesen Rest Anstand, diesen Rest Moral BAföG – wir machen keine leeren Versprechungen, son- und diesen Rest Respekt vor den DDR-Opfern hat sich dern wir halten, was wir sagen. Das ist der Unterschied dieser Mann bewahren können. Sie halten Populismus zur Linkspartei. Mit seriöser Politik hat sie nichts zu tun. für eine Primärtugend, Herr Kollege. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Selbst Teilen der Linkspartei geht das Gefasel von Gysi NEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein und Lafontaine allmählich gegen den Strich. „Luft- bisschen mehr Niveau könnte man vom Vorsit- schlösser“, mosert der sachsen-anhaltinische Landesvor- zenden der SPD-Fraktion erwarten!) sitzende Matthias Höhn, Die Linke. „Zutiefst unseriös“, so warnen Finanzpolitiker der Linkspartei vor immer Gestatten Sie mir einige Worte zur Außenpolitik. neuen Milliardenversprechungen. Zu Recht: Von Sep- Raus aus der NATO, raus aus dem Kosovo, raus aus tember 2007 bis Juni 2008 hat die Linkspartei über Afghanistan – mit diesem Weg in die internationale Iso- 120 Anträge und Gesetzentwürfe in den Deutschen Bun- lation kann man für Deutschland keine Politik machen. destag eingebracht, die ungedeckte Mehrkosten von gut Unsere Partner und Freunde beobachten genau, was wir 100 Milliarden Euro mit sich bringen würden. auf internationaler Ebene tun und lassen. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE In den nächsten Wochen werden wir vermutlich eine LINKE]: Aha!) neue Entscheidung über die Verlängerung des ISAF- Mandats in Afghanistan treffen. Ich weiß – auch aus Rechnet man hoch, was die Linkspartei über die gesamte vielen Veranstaltungen –, dass dieser Einsatz in der Be- Legislaturperiode an Forderungen gestellt hat, so müss- völkerung sehr umstritten ist. Ich weiß aber auch, dass es ten jährlich 255 Milliarden Euro zusätzlich her. Dann keine Alternative dazu gibt, wenn der Wiederaufbau des muss man aber auch sagen, woher das Geld kommen Landes vorangehen soll. Würde Deutschland sich zu- soll, Herr Kollege Lafontaine, Sie größter Finanzpoliti- rückziehen, dann hätte das einen Dominoeffekt für die ker der Welt. Präsenz anderer Länder. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei (Widerspruch des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE Abgeordneten der CDU/CSU) LINKE]) 18652 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Peter Struck (A) Sicher reicht das nicht als Begründung für eine Ver- In der Außenpolitik angekommen will ich an dieser (C) längerung aus; denn schließlich müssen wir verantwor- Stelle dem klugen und besonnenen Vorgehen der Bun- ten, ob wir unseren Soldaten den gefährlichen Einsatz desregierung in der Kaukasus-Krise meinen Dank aus- weiter zumuten können. Wir sollten uns deshalb immer sprechen. Ihre Äußerungen dazu, Herr Gysi, waren völ- wieder in Erinnerung rufen, warum wir in Afghanistan lig wirr und für mich nicht erklärlich. Frau sind. Vor wenigen Tagen, am 11. September, hatten wir Bundeskanzlerin, Sie haben die erfolgreichen Bemühun- Anlass dazu. Bei den Anschlägen in New York und Wa- gen Ihres Außenministers optimal unterstützt. shington 2001 sind über 3 000 Menschen ums Leben ge- kommen. Diese Anschläge waren das Werk islamisti- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiter- scher Terroristen. Die Taliban in Afghanistan haben keit bei der CDU/CSU, der FDP und dem diesen Terrorismus geduldet und gefördert. Deshalb war BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es nicht nur im amerikanischen Interesse, dieses Regime Vielleicht können Sie dem einen oder anderen Kollegen zu beseitigen. in Ihrer Fraktion erklären, dass es an dieser Politik nichts Wir müssen heute verhindern, dass die Taliban weiter zu mäkeln gibt. erstarken und in Afghanistan an die Macht zurückkeh- Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls froh, dass wir ren. Wir dürfen nicht sehenden Auges zulassen, dass mit Frank-Walter Steinmeier einen Außenminister ha- sich Afghanistan zu einem Exportland für Terrorismus ben, der die Interessen Deutschlands mit Beharrlichkeit zurückentwickelt. und Augenmaß vertritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE CSU]: Das ist sogar dem Herrn Steinmeier GRÜNEN) peinlich, dem sonst wenig peinlich ist!) Wir dürfen auch nicht ausblenden, wer hierzulande vor Wir sind stolz darauf, dass dieser Außenminister in der Gericht des Terrorismus beschuldigt wird und sein Tradition des letzten sozialdemokratischen Außenminis- Handwerk in Afghanistan gelernt hat. Sind die beiden ters Deutschlands Ansehen als Volk der gu- Täter, die in Bahnhöfen Kofferbomben deponiert haben, ten Nachbarn gestärkt hat. durch die Menschen getötet werden sollten, vergessen? Deshalb arbeiten wir mit 40 anderen Staaten der Welt (Beifall bei der SPD) zusammen an einer besseren Zukunft in und für Afgha- Nach der Ernennung Frank-Walter Steinmeiers zum nistan. Denn nur dann, wenn das Land wieder auf die Kanzlerkandidaten der SPD – nun komme ich zu dem, Beine kommt und die Menschen wieder eine Lebensper- was Sie hören wollen – gab es aus den Reihen unseres (B) spektive haben, werden sie den Drohungen und haltlosen (D) Koalitionspartners – zum Glück nur ein paar einzelne – Versprechungen der Islamisten widerstehen können. Der verwirrte und verirrte Stimmen. zivile Aufbau muss dabei im Mittelpunkt stehen. Da- rüber gibt es keine Diskussion und keinen Zweifel. Aber (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann können ohne die Absicherung durch das Militär ist er nicht mög- die nicht von uns sein!) lich. Das wird jeder von uns bestätigen, der selbst vor Ort war. Ohne das Militär geht es nicht. Es hieß, der Außenminister müsse sich zu 100 Prozent auf das Auswärtige Amt konzentrieren. Seien Sie sicher, Wir führen keinen Krieg gegen das afghanische Volk. dass der Vizekanzler die Regierungsgeschäfte genauso Wer das behauptet, redet blanken Unsinn. Aber es gibt wenig vernachlässigen wird wie die Bundeskanzlerin der erstarkende Kräfte in Afghanistan, die den Wiederauf- Bundesrepublik Deutschland! bau verhindern wollen, weil sie ihn zu Recht als Gefahr für die eigene Daseinsberechtigung sehen. Denn wenn (Beifall bei der SPD) wir zusammen mit Präsident Karzai und der Regierung Für beide gilt, was für alle in der Koalition gelten sollte: in Afghanistan erfolgreich sind, dann werden Terror und Jetzt ist Arbeit angesagt. Wahlkampf ist später, nicht Islamismus bei der afghanischen Bevölkerung keinen jetzt. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Rückhalt mehr finden. Wir haben uns in der letzten Woche intensiv damit be- Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass wir un- fasst, wie wir uns wirkungsvoll gegen die zunehmende ser Engagement in Afghanistan in der ganzen Breite Zahl von Spekulationsgeschäften am Öl- und Gas- – zivil und militärisch – fortsetzen müssen. Auch müs- markt wappnen können; auch die Kanzlerin hat davon sen wir unseren Soldaten alle verfügbaren Mittel an die gesprochen. Die augenblickliche Entwarnung beim Preis Hand geben, um diesen Auftrag optimal erfüllen zu kön- für ein Barrel Öl darf nicht darüber hinwegtäuschen, nen. dass der zunehmende Energiehunger Chinas und Indiens (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf Dauer die Preise bestimmen und nach oben treiben der CDU/CSU und der FDP) wird. Man kann es drehen und wenden, wie man will, letztlich bleibt uns nur eine Option: Wir müssen unseren Das sollten wir übrigens auch bedenken, wenn wir in Energieverbrauch verringern. Das kostengünstige Öl ist den nächsten Tagen und Wochen im Bundestag über den das Öl, das wir erst gar nicht verbrauchen. Energieein- Einsatz von AWACS-Flugzeugen zu entscheiden haben sparungen und höhere Energieeffizienz sind neben den sollten. erneuerbaren Energien Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18653

Dr. Peter Struck (A) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und der Herr Oettinger und ich wollen so vorgehen, dass zu- (C) Atomkraft!) erst die einvernehmlichen Punkte behandelt werden und die Streitpunkte zugunsten eines Gesamtpaketes vorläu- heimischen Energiequellen. fig zurückgestellt werden. Nur dann sehe ich überhaupt (Beifall bei der SPD) eine Realisierungschance für ein Paket, das eine enorme Verbesserungschance gegenüber dem jetzigen Zustand Eine höhere Effizienz nutzt außerdem der Umwelt und bedeuten würde. Das gilt zum Beispiel für die Schulden- dem Klimaschutz. regelung, die einerseits ambitioniert sein muss, anderer- seits aber auch Raum für Konjunkturpolitik und Wachs- Wir haben intensiv geprüft – das gilt auch für die tumsinvestitionen einräumen muss. Ich war und bin mir Unionsfraktion –, ob wir den Bürgerinnen und Bürgern bewusst, dass es eine Herkulesaufgabe ist, die wir zu mit verbilligten Grund- und Sozialtarifen helfen können. stemmen haben, und kann nur appellieren: Lassen Sie Diesen Weg haben wir verworfen, weil er entweder uns die Chance nutzen – im Wissen um die Schwierig- durch bürokratischen Aufwand unattraktiv oder durch keiten, aber mit dem Willen zum gemeinsamen Erfolg erhebliche Mitnahmeeffekte unbezahlbar würde. Wir für die Zukunftsfähigkeit unseres Bundesstaates! werden in den nächsten Wochen unsere Arbeitsergeb- nisse vorlegen. Aber schon jetzt sind wir der Meinung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass es mittelfristig am sinnvollsten ist, unsere Energie- der CDU/CSU) effizienz zu erhöhen sowie die Mittel für das erfolgrei- Wir müssen für die uns nachfolgenden Generationen che CO2-Gebäudesanierungsprogramm weiter aufzusto- eine Regelung finden. cken und bis mindestens 2015 zu verstetigen. Wir haben noch genug zu tun. Die Erbschaftsteuer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sei als Beispiel genannt. Ich gehe davon aus, dass wir im der CDU/CSU) Oktober den Knoten durchschlagen werden und ins par- lamentarische Verfahren gehen können. Außerdem schlagen wir vor, in den nächsten Jahren Großraumsiedlungen in Berlin, Hamburg und anderen Wir müssen im Blick haben, dass uns das Bundesver- großen Städten Deutschlands in großem Stil energetisch fassungsgericht eine Neuregelung der Pendlerpau- zu sanieren. Kurzfristig können wir Geringverdienern schale auferlegt. Es war richtig, dass wir uns auf das Entlastung verschaffen, indem wir die beschlossene Verfahren geeinigt haben, nicht vorschnell aktiv zu wer- Wohngelderhöhung auf Beginn der kommenden Heiz- den, auf die Gefahr hin, auf das Urteil reagieren zu müs- periode vorziehen. Ich höre, dass die Koalitionsfraktion sen. CDU/CSU diesem Vorschlag wohl folgen wird. (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da ich gerade beim Bundesverfassungsgericht bin, Ich weiß, dass sich die Union intensiv mit Fragen der will ich noch auf ein Thema eingehen, das mir persön- Energieeinsparung befasst; das ist gut. Aber ich rate lich sehr am Herzen liegt. Ich weiß, dass ich da keine dringend dazu, das nicht mit dem im Koalitionsvertrag Zustimmung bei der CDU/CSU-Fraktion finden werde. festgeschriebenen Ausstieg aus der Kernenergie zu ver- Ich will nicht verstehen, dass wir das gesammelte Mate- mischen und diesen nicht zu verwässern. Wir bleiben bei rial zur NPD nicht nutzen, um noch einmal ernsthaft und dem Ausstieg aus der Kernenergie. Er ist für uns nicht intensiv die Möglichkeit eines erneuten Verbotsverfah- verhandelbar. rens zu prüfen. Das kann ich nicht verstehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Seifert [DIE LINKE]) der LINKEN) Einige Landesinnenminister haben gute Vorarbeit geleis- Die Kanzlerin hat die Föderalismusreform II ange- tet, vor allem auch der CDU-Innenminister aus Meck- sprochen. Auch ich will einige Worte dazu sagen. Mit lenburg-Vorpommern. Aus meiner Sicht dürfen wir dem Eckpunktepapier, das ich zusammen mit dem ba- nichts unversucht lassen, um diesen Neonazis politisch, den-württembergischen Ministerpräsidenten Günther aber auch rechtlich endgültig das Handwerk zu legen. Oettinger im Juni erarbeitet habe, ist die Arbeit der Kommission in die Schlussphase gekommen. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten möchte gemeinsam mit Herrn Oettinger, dass es eine der LINKEN) Zielgerade wird. Es geht um eine komplizierte und sen- Sonst besteht die Gefahr, dass sie in einigen Landstri- sible Neugestaltung der Finanzbeziehungen. Dafür gibt chen die Oberhand gewinnen und die Arbeit aller demo- es keine günstigere Koalition als diese Große Koalition, kratischen Parteien erschweren oder sogar unmöglich mit der die FDP-Kolleginnen und Kollegen und sogar machen. Ich will mich jedenfalls nicht damit abfinden, Fritz Kuhn von den Grünen in der Frage der Schuldenre- dass wir aus Steuermitteln eine Partei finanzieren, die gelung durchaus bereit sind zusammenzuarbeiten. Wir die demokratische Grundordnung überwinden und zer- brauchen für fast jeden Eckpunkt unserer Reform eine stören will. Das kann nicht in unserem Interesse sein. verfassungsändernde Mehrheit im Parlament; das muss jeder wissen. Also brauchen wir die Kollegen von der (Beifall bei der SPD und der LINKEN – FDP, die in manchen Bundesländern mitzuentscheiden Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wenn der haben. Schily nicht so geschlampt hätte!) 18654 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Peter Struck (A) Auf unserem Arbeitsplan stehen noch das Arbeitneh- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) mer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingun- Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion gengesetz. Darüber werden wir in Kürze auf der Frak- Bündnis 90/Die Grünen. tionsarbeitsebene zu beraten und zu entscheiden haben. Wir müssen diesen Weg gehen, weil branchenübergrei- Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fende Mindestlöhne mit unserem Koalitionspartner be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kanntlich nicht zu machen sind. Das ändert allerdings Drei Jahre nach Beginn der Großen Koalition und jetzt nichts daran, dass wir Sozialdemokraten über diese bei der Lesung des Haushalts des Kanzleramts geht es Wahlperiode hinaus am Ziel eines flächendeckenden nach meiner Überzeugung um eine Frage, nämlich ob Mindestlohnes, wie es ihn in den meisten europäischen Sie, Frau Merkel, als Chefin der Großen Koalition das Ländern gibt, festhalten und dafür werben werden. Land in den entscheidenden Feldern, die die Menschen betreffen und berühren, nach vorne gebracht haben oder (Beifall bei der SPD) nicht. Darauf will ich mich konzentrieren; denn das ist es, was man bei der Beratung des Haushalts des Bundes- Wir sind darin bestärkt worden durch einen Gast in kanzleramts eigentlich betrachten muss. unserer letzten Fraktionssitzung, nämlich durch den ehe- maligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Ich will mit der Frage anfangen, ob Sie den Haushalt Vogel. Er hat sich beim Thema Mindestlohn nicht nur im Sinne der Generationengerechtigkeit konsolidiert auf die eigene Autorität verlassen, sondern uns als gläu- haben. Das war ein großer Anspruch. Ich erinnere mich biger Katholik die Argumentationskraft dreier Päpste für an die Rede von Herrn Röttgen, mit der die Große Koali- den Mindestlohn als Gastgeschenk mitgebracht. tion legitimiert werden sollte. Leo XIII., Johannes XXIII. und Benedikt XVI., der aktu- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: elle Papst, haben fast gleichlautend gerechten Lohn ge- Erste Frage: Ja!) fordert. Einen gerechten Lohn beschreibt Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris als einen Meine Antwort ist: Wer sich die Zahlen anschaut, in- Lohn, der dem Arbeiter und seiner Familie eine men- klusive die der mittelfristigen Finanzplanung bis 2011, schenwürdige Lebenshaltung gestattet. Lassen Sie uns der muss – trotz allem, was der Finanzminister gestern doch den Päpsten folgen und überwinden Sie Ihre christ- wortreich dargestellt hat – feststellen: Sie haben dieses lichen Bedenken dagegen. Ziel der Konsolidierung bis zum Jahr 2011 nicht seriös erreicht, (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (B) Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich zwei christli- und zwar aus folgendem Grund: Wer in den Jahren 2005 che Parteien solch gewichtigen Befürwortern sozialer bis 2009 zusätzliche Steuern in Höhe von insgesamt Politik noch anschließen werden. 59 Milliarden Euro einnimmt und die Nettoneuverschul- dung nur um 21 Milliarden Euro zurückfährt, der kann (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tragen Sie nicht sagen, dass er den Haushalt wirklich konsolidiert doch einmal vor, was Helmut Schmidt zum habe. Mindestlohn sagt!) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Doch! Bei- Sie sehen, dass die Unterschiede zwischen den Volks- des haben wir erreicht!) parteien noch nicht aufgebraucht sind. Niemand muss im nächsten Sommer einen langweiligen Wahlkampf fürch- Obwohl Sie, Frau Merkel, in einer guten Konjunktur ge- ten. Jenseits des Trennenden haben wir in den letzten startet sind, obwohl Sie die Mehrwertsteuer massiv erhöht haben und obwohl Sie massive Privatisierungs- drei Jahren viel Gemeinsames auf den Weg gebracht, ge- erlöse in diesen Jahren im Haushalt und in der mittelfris- treu dem Versprechen, das wir den Bürgerinnen und tigen Finanzplanung haben, haben Sie es nicht geschafft, Bürgern in unserem Koalitionsvertrag gegeben haben. In den Haushalt zu konsolidieren. Sie haben nichts für die dessen Präambel heißt es: schwierigen Zeiten angelegt. In gemeinsamer Verantwortung wollen wir das (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Genau das Land voranbringen. ist geschehen!) Das haben wir getan, und das werden wir in der noch Unser Vorwurf heißt: Herr Struck, Ihnen ist es nicht verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode weiterhin gelungen, die Maßnahmen umzusetzen, über die wir in tun. der Föderalismuskommission diskutiert haben, näm- lich die Verschuldung zu bremsen und in guten Jahren Von da an gilt Kapitel 3, Buch der Prediger, als Weg- für die schlechten Jahre vorzusorgen. Sie alle wissen, weiser: Alles hat seine Zeit, Weinen und Lachen, Weh- dass bei einer Neuverschuldung von null für das klagen und Feiern, sich Umarmen hat seine Zeit und sich Jahr 2011, die Sie in der mittelfristigen Finanzplanung aus der Umarmung lösen. etatisiert haben, eine Vielzahl von Haushaltsrisiken steckt, für die Sie nicht im Ansatz Vorsorge getroffen ha- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18655

Fritz Kuhn (A) Ich nenne die globalen Minderausgaben im Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) ministerium, die Sie nur zulasten der kleinen Leute reali- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des sieren können, nämlich beim Arbeitslosengeld II, bei der Abg. [SPD]) Grundsicherung. Ich nenne die Pendlerpauschale mit den Risiken in Karlsruhe. Ich nenne das Kindergeld, von Dennoch sagte Herr Steinbrück gestern: Nennen Sie dessen Erhöhung Sie reden, die Sie aber nicht etatisiert mir Sparvorschläge! Wir können eine ganze Reihe sol- haben. cher Sparvorschläge nennen. Wir müssen natürlich über die Fragen reden: „Stimmt die steuerliche Basis, oder (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, doch!) sind wir da zu großzügig? Subventionieren wir das Fal- sche?“ Frau Merkel, diese Sache müssen Sie sich an- Ich rede von den Konjunkturrisiken, die Sie nicht etati- schauen, wenn Sie den Anspruch erheben, eine Große siert haben; denn Sie gehen von einem Wachstum von Koalition wirklich im Sinne von Haushaltskonsolidie- 1,2 bzw. 1,5 Prozent über die Jahre aus. Ich nenne auch rung geführt zu haben. das Urteil aus Karlsruhe über die steuerliche Absetzbar- keit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversiche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung. Dann kommen die Bayern ins Spiel. Herr Huber, ich Das heißt im Klartext: Trotz massiver Haushaltsrisi- kann nur sagen – Sie wollen nachher in der dritten ken und trotz eines möglichen Abschwungs der Kon- Runde reden –: Was Sie gegenwärtig steuerpolitisch vor- junktur – man braucht gar nicht von Rezession zu reden – schlagen – Ihr Entlastungspaket bei der Einkommen- setzen Sie für das Jahr 2011 eine Neuverschuldung von steuer, 23 Milliarden Euro; die Wiedereinführung der null an, obwohl alle wissen, dass Sie dieses Ziel nicht Enfernungspauschale; das, wogegen Sie jetzt kämpfen, einhalten können. Frau Merkel, es tut mir leid: Wir kön- haben Sie mit beschlossen, wovon Sie jetzt nichts wissen nen gern über Schwierigkeiten auf dem Weg reden, aber wollen –, ist nicht finanzierbar. Sie verweisen immer auf Sie können eines nicht machen: dass Sie sich erst einmal zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 60 Milliarden den Beifall als Konsolidierer abholen, hinterher aber das Euro. Aber Sie sehen doch, dass die von Ihnen mitgestal- Konsolidierungsziel nicht erreichen. Das funktioniert bei tete und mitgetragene Große Koalition trotz dieser einer wachen Öffentlichkeit nicht, egal wie Steinbrück Mehreinnahmen bei den Steuern aus diesem Jahr mit hier an diesem Pult redet. über 10 Milliarden neuen Schulden herausgehen wird. Das Geld, das Sie fordern, ist nicht vorhanden. Was Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in Bayern veranstalten, ist ein Wahlkampftheater. Ich Ich finde, wir müssen anders über Einsparungen re- nenne die Forderungen, die Sie aufstellen, und die Art, den, und wir müssen darüber reden, welche steuerlichen wie Sie arbeiten, Panikpopulismus. Weil Sie Angst ha- (B) (D) Privilegien Sie eigentlich in den letzten Jahren nicht an- ben, dass Sie die absolute Mehrheit verlieren, verkünden getastet haben. Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt Sie jeden Unsinn – und wissen genau, dass es nicht geht. zahlreiche Ausnahmen bei der Ökosteuer in der Wirt- schaft. Die Ökosteuer ist eine reine Verbraucherinnen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Verbrauchersteuer geworden. Sie sind nicht bereit, sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des diese Ausnahmen anzugreifen, obwohl dem Staat da- Abg. Gerd Andres [SPD]) durch jährlich Milliardenbeträge entgehen. Übrigens, an dieser Stelle sind der Politikstil der Ein zweites Beispiel: die Steuerprivilegien bei der Linkspartei und der der CSU in Bayern einander nah. Es Nutzung von Dienstwagen. Bund und Länder geben da- ist Ihnen völlig egal, wie man die Dinge realisieren für zusammen jährlich rund 6 Milliarden Euro aus. Da- kann; dennoch stellen Sie erst einmal Forderungen, weil rüber schweigt die Regierung trotz Klimaschutzanforde- Sie denken, es komme irgendwie gut an. rungen. Ich erläutere das einmal, weil ich weiß, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viele über die Dimensionen nicht Bescheid wissen: Ein sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Porsche Cayenne Turbo – um einmal ein größeres Fahr- zeug zu nehmen –, der pro Kilometer 358 Gramm CO2 Die CSU ist in einem komischen Zustand; Sie fordert ausstößt und dabei 15 Liter Treibstoff verbraucht, hat ei- in Bayern etwas ganz anderes, als sie hier in Berlin tut. nen Ladenpreis von 110 000 Euro. Ein Großbetrieb mit Ich will dafür ein weiteres Beispiel nennen, und zwar einem entsprechenden Grenzsteuersatz, der dieses Auto aus dem Bereich der Gentechnik; ich denke an die einem seiner Mitarbeiter zur Verfügung stellt, kann ihn Grüne Gentechnik in der Landwirtschaft. Auf der sechs Jahre lang abschreiben und hat dadurch einen Ramsauer-Homepage – jetzt in Bayern – habe ich gele- Steuervorteil von jährlich maximal 5 500 Euro, das heißt sen: „Wir lehnen den Einsatz der … Gentechnik in unse- insgesamt von etwas mehr als 33 000 Euro. Ein mittel- rer Heimat ab.“ Tatsächlich hat ihn zunächst der CSU- ständischer Betrieb, der einen höheren Grenzsteuersatz Minister Seehofer als Gesundheitsminister 1998 in Brüs- hat, hat in diesem Sechsjahreszeitraum einen Steuervor- sel genehmigt, als er die genrechtliche Genehmigung im teil von 44 000 Euro. Da frage ich Sie alle zusammen: Rahmen der EU mit unterstützt hat. Die sortenrechtliche Was sind wir eigentlich für ein Staat, der es für zumutbar Genehmigung, die man bei der Aussaat braucht, hat er und akzeptabel hält, dass die Nutzung dieser Dreck- dann im Jahr 2005 als eine seiner ersten Amtshandlun- schleudern, was den CO2-Ausstoß angeht, durch einen gen erteilt, nachdem Renate Künast dieses Verfahren ge- Steuervorteil von maximal 44 000 Euro begünstigt wird? stoppt hatte. Da fragt sich doch die aufgeklärte Bevölke- Wo sind Sie denn da? rung in Deutschland und in Bayern: Was gilt nun? 18656 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Fritz Kuhn (A) Gentechnik in der Heimat lehnt man ab, und in Berlin Ich rechne übrigens die 0,9 Prozent, die die Arbeitneh- (C) pusht man sie mit Unterstützung der Kanzlerin. mer in der Krankenversicherung allein bezahlen, dazu; da lasse ich Sie nicht heraus. Das ist der Satz, den man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zugrunde legen muss, wenn man wissen will, wie hoch sowie bei Abgeordneten der SPD) die Belastung insgesamt ist. Ich glaube, dass man so nicht vorgehen kann. Von daher rührt auch der ganze Streit über die Frage, Im Übrigen, Herr Steinbrück, Stichwort „Sparen in ob Sie in der Arbeitslosenversicherung unter einen Satz Deutschland, Gentechnik“: Im Rahmen der Hightech- von 3 Prozent gehen wollen. Sie müssen unter einen Satz Strategie werden – das ist ein kleinerer Beitrag – von 3 Prozent kommen, wenn Sie das 40-Prozent-Ver- 279 549 Euro dafür ausgegeben, dass gentechnisch ver- sprechen einhalten wollen. Frau Merkel, gegenwärtig ist änderte, kälteresistente Weihnachtssterne erprobt wer- es nicht eingehalten. Ich sage Ihnen voraus: Auch in ei- den. So etwas wird zur Förderung der Gentechnik über nem Jahr werden wir feststellen, dass Sie dieses Verspre- den Bundeshaushalt finanziert. Ich würde einmal sagen: chen nicht halten können. Wenn Sie über Haushaltskonsolidierung reden, dann schauen Sie noch einmal nach, ob Sie solche Beiträge (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht einsammeln können! Es ist doch blanker Unsinn, Ich möchte eine dritte Frage an die Chefin der Großen sich als Sparkommissar hinzustellen und insgesamt ei- Koalition, Frau Merkel, stellen, nämlich: Haben Sie im nen solchen Mist zu machen. Bereich der Energie- und Verkehrspolitik das ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) macht, was aus Klimaschutzgründen notwendig, mög- lich und sinnvoll ist? Ich möchte Frau Merkel als Kanzlerin und Chefin der Großen Koalition zweitens fragen, ob eigentlich die Unsere Antwort heißt: Sie haben es nicht gemacht. sozialen Sicherungssysteme gerechter und zukunftsfä- Frau Merkel hat sich sehr mit diesem Thema beschäftigt, higer geworden sind. Auch das ist eine Frage, die die ist auch Eisberge gucken gegangen, aber das, was das Große Koalition beantworten muss. Kabinett zur CO2-Vermeidung beschlossen hat, ent- spricht nicht dem, was man sich selbst als Ziel gesetzt Meine Antwort ist: In vielem sind die sozialen Siche- hat. 40 Prozent CO2-Reduktion haben Sie vorgehabt. rungssysteme nicht gerechter geworden. Wenn ich auf Wenn ich das zum Maßstab nehme, was Sie im Kabinett das Gesundheitssystem schaue, dann stelle ich fest, insgesamt beschlossen haben, können Sie nach vielen dass wir in Deutschland doch eine Zweiklassenmedizin Untersuchungen, die jetzt vorliegen, maximal 30 Prozent haben. Zu denken ist an die Wartezeiten, an die Leis- Reduktion erreichen. tungskataloge für Kassenpatienten oder an die Überver- (B) (D) sorgung von Privatpatienten. Weil die Praxen über beide Das hat einen systematischen Grund, und den will ich Systeme finanziert werden, laufen Privatpatienten ja nennen. Immer dann, wenn es von der Sonntagspredigt auch immer Gefahr, dass bei ihnen zu viel gemacht wird, ans Eingemachte geht, wenn es um die Umsetzung also auch etwas gemacht wird, was medizinisch gar werktags geht, haben Sie dicke Lobbys im Nacken, de- nicht notwendig ist. Wenn ich mir all dies anschaue, nen Sie am Schluss nachgeben. Das führt dazu, dass Sie dann kann ich aufgrund der Spaltung zwischen gesetzli- das, was Sie ursprünglich wollten, nicht umsetzen kön- cher und privater Versicherung nicht sagen: Unser Ge- nen. sundheitssystem hat nicht den Charakter einer Zweiklas- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) senmedizin. Es besteht ein unterschiedliches Angebot, je nachdem, um wen es sich handelt und wo er sich befin- Sie haben keinen Top-Runner-Ansatz zur Effizienz- det. Daran hat die Große Koalition nichts verändert. steigerung bei Elektrogeräten. Der Neubau von Kohle- kraftwerken, den Sie vorantreiben, führt nicht dazu, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CO2-Ausstoß reduziert wird, weil Sie die alten Kraft- Sie haben sich um die Finanzierung gekümmert, aber in werke nicht abschalten können; dazu haben Sie nämlich der Frage der Gerechtigkeit in der Krankenversicherung kein Rechtsinstrument. Sie haben die Kraft-Wärme- sind Sie als Große Koalition keinen Schritt weiterge- Kopplung nicht so ausgebaut wie nötig, weil Sie einen kommen. Deckel bei 750 Millionen Euro eingezogen haben. Beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und bei der Ener- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gieeinsparverordnung springen Sie deutlich zu kurz, Frau Merkel sagt, es sei kompliziert, aber es hat sie nicht weil Sie sich nicht trauen, die Altbauten konsequent in interessiert, etwas zu verändern und mehr Gerechtigkeit das Erneuerungsprogramm einzubeziehen, sondern eher in die gesetzliche Krankenversicherung zu bringen. bei den Neubauten ansetzen. Zur Frage der stabilisierten Finanzierung der sozia- Deswegen führen Sie eine Atomdebatte, die ich nur len Sicherungssysteme: Unter die Grenze von 40 Prozent als Ablenkungsdebatte sehen kann. Nach der Sitzung des zu kommen, das erreichen Sie nicht. Herr Kauder, Frau Vorstands der CDU/CSU-Fraktion in München ist es Merkel, Sie haben dies nicht wirklich erreicht. Ich nenne heraus: Sie wollen die Kraftwerke zehn Jahre länger lau- Ihnen die Zahlen. Am 1. Juli 2008 betrug der Gesamt- fen lassen. Auch alte Pannenreaktoren wie Biblis A, satz für die sozialen Sicherungssysteme 40,3 Prozent. Neckarwestheim und Brunsbüttel sollen zusätzlich zehn Am 1. Januar 2009 wird er, weil der Gesundheitsfonds Jahre laufen. Frau Merkel, ich kann nur hoffen, dass die natürlich viel kosten wird, über 40,7 Prozent betragen. Dübel in Ihrer Wohnung besser und fachgerechter mon- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18657

Fritz Kuhn (A) tiert sind als die in Biblis, wo man Tausende von Dübeln Flugbenzinprivilegien höre ich von der großartigen Gro- (C) auswechseln musste. ßen Koalition nichts. Hier drücken Sie sich vor dem ent- scheidenden Umstand, dass wir in Deutschland das Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kehrsmittel subventionieren, das in Bezug auf den CO2- Mit diesem Bild möchte ich deutlich machen: Wir reden Ausstoß am schlechtesten dasteht. nicht über Reaktoren ganz neuer Generation, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir reden über alte Pannenreaktoren, die laufend stillge- legt sind, weil sie nicht dem technischen Stand entspre- Schließlich frage ich nach der Bahn und der Ord- chen. nungspolitik. Frau Merkel, wie lange wollen Sie als Che- fin der Großen Koalition eigentlich noch jemanden wie Sie wollen 40 Milliarden Euro aus den Gewinnen der Herrn Mehdorn stützen, der gegenüber den eigenen Energieerzeuger erlösen. Wenn man die Verantwortli- Kundinnen und Kunden der Bahn nachweislich als Wie- chen kennt und ihre Kommentare jetzt, nachdem die derholungstäter aufgetreten ist? Er „verkauft“ diese we- Zahl von 40 Milliarden auf dem Tisch liegt, gehört hat, gen des Börsengangs. So jemanden kann man nicht stüt- dann kann ich Ihnen nur vorhersagen, mit einem solchen zen, das ist absoluter Unsinn. Unsinn werden Sie bei denen scheitern. Der RWE-Spre- cher kann zum Beispiel gar nicht nachvollziehen, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie auf diese Zahl kommen. Die Begründungen waren sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des auch gut. Noch vor einem halben Jahr haben Sie gesagt, Abg. Gerd Andres [SPD]) dieses Geld sei für die regenerativen Energiequellen. Ich frage mich auch, wann Herr Tiefensee endlich mit ei- Jetzt heißt es plötzlich, dieses Geld sei für die Senkung ner Verkehrspolitik beginnt, die wirklich unter dem der Stromtarife. Warum haben wir denn in Bayern oder Rubrum „Klimaschutz“ steht. Ich frage mich, wann er in Baden-Württemberg, wo es so viele Atomkraftwerke nicht mehr diesen Mist macht, den wir aus diesem Hause gibt, keine niedrigeren Stromtarife? Lassen Sie sich gewohnt sind. Frau Merkel, ich sage dies deswegen, weil doch von der CDU nicht diesen Bären aufbinden! Herr ich finde, eine Kanzlerin darf diese Fragen nicht so aus- Kauder, Sie sollten eigentlich vernünftiger sein als das, lassen. Sie muss sich zentral mit diesen Fragen auseinan- was von Ihnen in den Zeitungen steht. dersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die nächste Frage, die ich ansprechen möchte, ist die Uns stört die Art und Weise, wie Sie mit der Entsor- Bildungspolitik. Es ist schön, dass Sie jetzt eine Bil- gungsfrage umgehen. Wir haben in Deutschland kein dungsreise machen. Ich will mich ausdrücklich nicht Endlager. Diejenigen Ihrer Politiker, die dort leben, wo darüber lustig machen, denn es ist richtig, sich um die (B) die Atomkraftwerke stehen, in Bayern und Baden- Bildungsinstitutionen zu kümmern. Die Lage ist ganz (D) Württemberg, sagen jetzt: „Gorleben!“ Herr Kauder, es klar: Deutschland ist als Bildungsland nicht an vorderer scheint, als würden Sie aus Asse keine Konsequenzen Stelle. Im OECD-Vergleich schneiden wir sehr kritisch ziehen. Dort ist visuell und praktisch sichtbar, dass ein ab. Wir geben sehr viel weniger Geld aus, als die Länder Salzstock nicht für die sichere Einschließung von radio- im Durchschnitt ausgeben. Wir geben erst recht sehr viel aktivem Müll geeignet ist, auf den wir Zehntausende von weniger Geld aus als die Topländer. Dabei will ich sa- Jahren aufpassen müssen. Herr Kauder, wir finden es gen, dass es nicht allein ums Geld geht. In der Frage der billig, wie bei uns in Baden-Württemberg – ich komme Bildung geht es immer auch um die Struktur von Bil- selber aus Baden-Württemberg – und in Bayern mit die- dung, also um die Qualität, die aus dem folgt, wie wir ser Frage umgegangen wird: Was wir nicht wollen, sol- Bildung organisieren. len doch die Fischköpfe in Niedersachsen gefälligst neh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men. – Das, was Sie da praktizieren, ist Heuchelei. Wenn ich mir unser Land im internationalen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gleich anschaue, dann stelle ich fest, wir haben zu wenig Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Kuhn, das Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen, wir haben ist unter Ihrem Niveau!) Qualitätsdefizite in der Kinderbetreuung, wir haben zu Ich komme zum Thema Verkehrspolitik. Frau wenig sprachliche und soziale Integration. Sie haben das Merkel, 25 Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen angesprochen. Ich glaube, man muss diese Anstrengun- entstehen durch den Verkehr. Sie aber haben so gut wie gen in der Vorschule und in den ersten Klassen der keine Verkehrspolitik, die darauf auch nur irgendeine Schule verstärken. Wir haben in unserem Schulsystem Antwort gibt. Mit der Kfz-Steuerreform kommen Sie – da wären Sie auch als CDU-Vorsitzende einmal ge- nicht weiter, obwohl viele Leute darauf warten. Sie wür- fragt; Sie sind ja nicht nur Kanzlerin, sondern auch Vor- den ein sparsameres Auto kaufen, wenn sie wüssten, was sitzende dieser Volkspartei – eine zu frühe Selektion der da geschieht. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Auto mit Kinder nach der vierten Klasse mit negativen Auswir- einem Spritverbrauch von 4 Litern muss Kfz-steuerfrei kungen auf das Lernklima ab der ersten Klasse. Der sein. Das müssen Sie endlich machen, dann lösen Sie Leistungsdruck geht ja gleich nach der Einschulung der auch einen Anreiz zum Kauf einer besseren Verkehrs- Kinder los. technik aus. Das scheint Ihnen aber weitgehend egal zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sein. Themen wie Tempolimit oder Dienstwagenbesteue- rung scheinen Sie zu ignorieren. Das ist eine gute Dauer- Wir haben eine lausig schlechte Situation an den subvention, die Sie gern beibehalten wollen. Zu den Hochschulen, sowohl was die Lehre als auch was die 18658 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Fritz Kuhn (A) Forschung angeht. Keine deutsche Hochschule steht im Man muss sich einmal die Gefechtslage beim Soli vor (C) internationalen Ranking an vorderer Stelle. Der Hoch- Augen führen: Die FDP will ihn abschaffen, Herr schulpakt funktioniert einfach nicht, Frau Schavan. Ich Steinbrück braucht ihn im Haushalt; da ist er über die möchte nur einmal etwas zur Anzahl der Studienplätze Jahre ein wesentliches Konsolidierungsinstrument seiner sagen: Für 2007 war vereinbart, 13 000 neue Studien- mittelfristigen Finanzplanung. Er kommt ohne die 10 Mil- plätze zu schaffen. Tatsächlich geschaffen wurden 3 400. liarden Euro jährlich, die bis 15 Milliarden Euro auf- Sie müssen sich doch eingestehen, dass dies nicht so wachsen, bei seinen Konsolidierungsbemühungen gar funktioniert, wie es geplant war, und sich darum küm- nicht mehr aus. mern. Ich stelle hier die Maxime auf: Wer unseren Vor- Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Das schlag ablehnt, der soll einen Gegenvorschlag mit einem Ergebnis der Föderalismusreform I, dass der Bund auf Finanzvolumen in dieser Höhe machen, damit Bildung wesentliche Punkte seiner ohnehin schwachen Kompe- finanziert werden kann. tenzen im Bildungsbereich verzichtet hat, war ein großer Fehler. Dies war ein Fehler, den die Große Koalition ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) macht hat und den Sie zusammen mit Herrn Müntefering Der Wettbewerb zwischen den Parteien geht nicht so, zu verantworten haben. dass Sie immer nur Vorschläge ablehnen. Vielmehr müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen Sie auch eigene Vorschläge machen, wie Sie auf sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bundes- und Länderebene dieses finanzieren wollen. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herrn Röttgen nicht zu vergessen!) Ich möchte einen Punkt in der Außenpolitik anspre- chen, Frau Merkel, der mit Afghanistan zu tun hat. Sie Wir stellen jetzt die Forderung an Sie, dass der Bil- haben hierzu ein bisschen was gesagt; Herr Struck hat et- dungsgipfel, den Sie als Bund-Länder-Bildungsgipfel was mehr gesagt. Wir haben den Eindruck, dass Sie die- für Oktober angesetzt haben, zu einem Ergebnisgipfel ses Thema ganz verschämt und versteckt anfassen. werden muss. Er darf nicht zu einem Problemanalyse- gipfel werden; davon haben Sie ja schon viele durchge- (Zuruf von der CDU/CSU: Zuhören!) führt. Wir wollen jetzt vielmehr konkrete Ergebnisse se- Es gibt eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages hen, wie unser Bildungssystem verbessert werden soll, Anfang Oktober, aber das Mandat liegt noch nicht vor. wer dabei welche Aufgabe erhält und wie die Finanzie- Sie reden wenig darüber, ganz nach dem Muster: Das rung zwischen Bund und Ländern hier geregelt werden sollen besser Herr Struck oder der Außenminister ma- soll. Es wird also zu prüfen sein, ob es sich um einen Er- (B) chen. Sie jedoch erklären der Bevölkerung nicht, was Sie (D) gebnisgipfel gehandelt hat oder ob man nur schön da- in Afghanistan vorhaben und wie der Strategiewechsel rüber gesprochen hat, wie es eigentlich sein sollte. funktionieren soll. Sie halten sich – im Vergleich zu an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deren Themen, die Sie anpacken – merklich zurück. Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt, den Sie Wir haben eine ganze Reihe von Fragen. Wir verste- in Ihrer Rede, Frau Merkel, völlig ausgelassen haben. hen, dass Sie im Sinne eines Strategiewechsels langsam Wir wissen, dass neben den Strukturreformen im Bil- etwas für den zivilen Aufbau tun. Aber ein großer dungssystem die Fragestellung, wie wir all das finan- Schwung kommt da nicht rein; dazu sind zum Beispiel zieren wollen, zentral und wichtig ist. Laut OECD- die Bewegungen beim Polizeiaufbau viel zu langsam. Zahlen haben wir in der gesamten Bildungskette vom Aber unsere Hauptfrage an Sie, die Sie nicht beantwortet Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung und der haben, ist: Was macht eigentlich die Bundesrepublik Universität in Deutschland eine Unterdeckung bezüglich Deutschland unter Ihrer Führung, wenn deutlich wird, der eigentlich notwendigen Ausgaben in Höhe von dass die hohe Zahl der zivilen Opfer, die amerikanische 30 bis 40 Milliarden Euro, je nachdem, was man alles Luftschläge gegen die Taliban sehr oft mit sich bringen, dazunimmt. Sie müssen jetzt endlich einmal sagen, aus nicht kleiner wird, wenn es 70, 80 zivile Opfer gibt, Kin- welchem der noch nicht konsolidierten Haushalte und der, Frauen, die nichts mit diesen Taliban zu tun haben? mit welcher Methode Sie diese Lücke schließen wollen. So etwas kann einmal passieren; aber es passiert immer Wir als Grüne haben vor diesem Hintergrund gesagt, wir wieder. Aus Deutschland gibt es keine Antwort auf die hören damit auf, sonntags von mehr Bildung zu reden Frage, wann wir diese Strategie beenden. So wird das und bei Finanzierungsfragen verträumt zum Himmel Problem nicht gelöst, Herr Struck, und die Bevölkerung über dem Reichstag oder sonst wohin zu schauen. Viel- kann nicht einsehen, warum wir da zustimmen sollten. mehr schlagen wir vor, Mittel aus dem Soli, der ein Fi- nanzvolumen von 50 Milliarden Euro umfasst und des- Sie dürfen also, Frau Merkel, nicht nur sagen, dass sen Zweckbindung zur Verwendung in den neuen mehr für den zivilen Aufbau getan werden muss, son- Ländern von 2010 bis 2019 nach und nach ausläuft, dazu dern Sie müssen uns auch die Frage beantworten, wann zu verwenden, um die große Aufgabe zu stemmen, die die Doppelstrategie in Afghanistan – nämlich einerseits Infrastruktur unseres Bildungssystems endlich zu stär- zivile Institutionen zu stärken, was wir unterstützen, an- ken. Auf diese Weise könnten wir das, was wir machen dererseits aber viele zivile Opfer billigend in Kauf zu wollen, endlich auch finanzieren. nehmen – aufhört. Das hätten Sie beantworten müssen als Kanzlerin, die in diesem Hause über dieses Thema (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) debattieren will. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18659

Fritz Kuhn (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Thema Sanieren ist für uns eine der ganz großen (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herausforderungen. Herr Kuhn, ich hätte mir ge- wünscht, dass das Thema Sanieren uns nicht so in An- Wenn wir dann lesen – ich verweise auf eine Bericht- spruch genommen hätte. Dazu wäre aber Voraussetzung erstattung letzte Woche in der Neuen Zürcher Zeitung, gewesen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit mehr Wert auf die eine hohe Objektivität in diesen Fragen hat –, dass die Konsolidierung des Haushaltes gelegt hätten, als Sie US-Präsident Bush beschlossen und den Befehl erteilt es getan haben. haben soll, dass künftig auch in Pakistan mit Boden- truppen angegriffen wird, ohne die pakistanische Regie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung um Erlaubnis zu fragen, dann kann ich nur sagen: Sie haben sich darin erschöpft, Geld rauszuwerfen und Ich will von einer Kanzlerin, die diesen Laden hier führt, Nachhaltigkeit einzufordern. Dieser Bundeshaushalt ist wissen, wie sie dazu steht, ob sie glaubt, dass das im Gegensatz zu Ihrer Politik eine klare Aussage an die stimmt, und was sie gegenüber der US-Administration junge Generation. Wir sorgen für nachhaltige Chancen getan hat, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie die der jungen Generation, indem wir jetzt nicht alles ver- Dinge laufen, und ob wir eigentlich mit Zustimmung zu pulvern, sondern durch einen konsolidierten Haushalt ISAF und OEF diesen völkerrechtswidrigen Befehl, die Möglichkeit schaffen, dass die junge Generation in wenn er denn erteilt worden ist, unterstützen wollen oder die Zukunft investieren kann. Wir handeln nicht wie Sie. nicht. Sie haben in Ihre Ideologie investiert, Geld hinausge- Solche Fragen haben wir Abgeordneten, und zwar in worfen und der jungen Generation Schulden hinterlas- allen Fraktionen, wenn wir über dieses Thema diskutie- sen, die wir jetzt wegräumen müssen. ren. Ich verstehe Ihren Dank an die Angehörigen der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeswehr. Aber als einziges wesentliches Element in Ihrer Rede war das wirklich zu wenig. An dieser Stelle Auf diesem Weg gehen wir weiter, weil es ganz ent- hätte ich mir mehr Führung, mehr Aufklärung, mehr In- scheidend darauf ankommt, dass junge Menschen in die- formation gewünscht. sem Land eine Perspektive sehen, dass sie spüren, dass man ihnen Angebote macht – Bildungspolitik ist hier das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thema –, dass sie aber auch spüren, dass man sich um sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sie kümmert. Es kann uns nicht einfach kaltlassen, dass Ich komme zum Schluss. ganze Jahrgänge junger Wissenschaftler, Mediziner un- ser Land verlassen, weil sie glauben, in anderen europäi- schen Ländern bessere Bedingungen zu haben. Dieser Präsident Dr. Norbert Lammert: Haushalt schafft die Voraussetzung dafür, dass wir jun- (B) (D) Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit. gen Menschen sagen können: Bleibt in Deutschland, bleibt in eurer Heimat. Wir schaffen die Voraussetzung Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): für eine gute Zukunft für euch in Wissenschaft, in For- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wenn ich schung und im Gesundheitswesen. ein Resümee ziehe, finde ich, dass Sie, Frau Merkel, das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Land in wesentlichen Fragen nicht ausreichend führen, neten der SPD) dass Sie sich zurückhalten, dass Sie warten, wie die Streits ausgehen. Ich will am Rande hinzufügen: Manch- Mit dieser Großen Koalition hat sich schon einiges mal habe ich bei Ihrem Regierungsstil den Eindruck, als verändert. Es ist bereits mehrfach gesagt worden: Neben hätten wir nicht einen Bundespräsidenten, sondern eher dem, was wir als knallharte Fakten sehen – dass wir nach zwei. Für die Führung einer Kanzlerin ist das zu wenig. einer Neuverschuldung von 30, 40, 50 Milliarden Euro jedes Jahr jetzt auf eine Neuverschuldung von etwas Vielen Dank. mehr als 10 Milliarden Euro kommen und dass wir im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Haushalt 2010, der noch vor der Bundestagswahl im Jahr 2009 beraten wird, auf 6 Milliarden Euro kommen –, ist die klare Aussage und Botschaft: Wir werden es nach Präsident Dr. Norbert Lammert: 40 Jahren zum ersten Mal schaffen, keine neuen Schul- Nächster Redner ist der Kollege Volker Kauder, den zu machen, um unsere Aufgaben leisten zu können. CDU/CSU-Fraktion. Wir schaffen einen ausgeglichenen Haushalt. Wir sorgen dafür, dass keine neuen Schulden und keine neuen Zins- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lasten entstehen und es neue Chancen für die junge Ge- neten der SPD) neration gibt.

Volker Kauder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und neten der SPD) Herren! Mit der Vorlage dieses Haushaltes für das Jahr Dieser Weg war nicht einfach; er war anstrengend. 2009 verfolgt die Große Koalition konsequent das wei- Auch in beiden Koalitionsparteien, sehr geehrter Herr ter, was sie sich zum Start vorgenommen hat: sanieren, Kollege Struck, war es nicht einfach, weil natürlich in reformieren, investieren. beiden Parteien ( [FDP]: Abkassieren!) (Hubertus Heil [SPD]: In drei!) 18660 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Volker Kauder (A) – in drei Parteien, auch in der CSU – befürchtet wurde, geln in diesem Punkt seien falsch und würden die Markt- (C) dass wir zu viel von dem, was uns wichtig ist, nicht um- wirtschaft stören, werden jetzt eines Besseren belehrt. setzen können. Die Marktwirtschaft schlechthin, die USA, weiß sich jetzt nicht anders zu helfen als zu verstaatlichen und Mil- Aber was ist in den letzten drei Jahren wirklich wich- liarden zuzuschießen. Dazu sage ich: Lieber vorher ein- tig gewesen? Was neben der Haushaltskonsolidierung greifen, vorher regeln, um den Markt in die richtige wirklich wichtig war, wird uns heute in allen Tageszei- Richtung zu lenken. Das ist unsere Aufgabe. Dabei, Frau tungen auf Seite eins bescheinigt. Bundeskanzlerin und Herr Bundesfinanzminister, unter- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stützen wir Sie nach Kräften. NEN]: Was?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bei- Vom DIW wird bescheinigt: Die erfolgreiche Bekämp- fall bei Abgeordneten der LINKEN) fung der Arbeitslosigkeit ist der einzige Weg, um so- ziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. In diesen Tagen werden wir in allen Interviews zum Thema Koalitionen befragt. Meine sehr verehrten Da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- men und Herren hier im Plenum und draußen an den neten der SPD) Bildschirmen, wir wollen diese Diskussion nicht führen. Ich rate uns allen, sich an dieser Diskussion nicht zu be- Professor Zimmermann sagt heute in allen Zeitungen: Es teiligen. Es geht doch jetzt nicht um uns. Wir machen mag ja sein, dass nicht bei jedem etwas angekommen ist keinen Wahlkampf. Wir müssen jetzt unsere Arbeit ma- von dem, was gemacht worden ist. Aber er sagt auch: chen. Bei denjenigen 2 Millionen Menschen und deren Fami- lien, die aus der Arbeitslosigkeit herausgekommen sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie und neue Chancen in ihrem Leben haben, ist enorm viel des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE]) angekommen. Bei ihnen ist der Aufschwung angekom- men. Deswegen rate ich allen, auch wenn sie vor Kameras gefragt werden, sich nicht auf diese Diskussion einzulas- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sen, sondern deutlich zu machen, was in den nächsten Deswegen gilt es, diesen Weg weiterzugehen. Wochen und Monaten noch vor uns liegt, was wir ma- chen müssen, um dieses Land voranzubringen. Mancher auch in unserem Land meint: Wenn wir über die Erfolge, die zweifelsohne da sind, reden, dann wür- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den wir uns zurücklehnen. Überhaupt nicht! Die Erfolge, neten der SPD) (B) die wir erreicht haben, dienen vielmehr als Beweis dafür, Jetzt konkret: Diese Große Koalition hat ihre Rechtferti- (D) dass es sich lohnt, sich anzustrengen, dass es sich lohnt, gung darin, dass sie Aufgaben anpackt und sie löst. Da- das, was man als richtig erkannt hat, konsequent weiter- bei geht es um Themen, die für unser Land, für viele zuführen. Wir werden uns nicht ausruhen, sondern den Menschen, für uns alle von besonderer Bedeutung sind. Menschen Antworten auf die Fragen geben, die sie stel- len. (Dirk Niebel [FDP]: Pendlerpauschale!) Es sind natürlich bewegte Zeiten, in denen die Men- Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der Arbeits- schen uns schreiben. E-Mail-Eingang heute Morgen: platzschaffer Nummer eins, derjenige, der die Ausbil- Herr Kauder, sagen Sie uns einmal: Sind unsere Sparein- dungsplätze für unsere Kinder zur Verfügung stellt, ist lagen noch sicher? Welcher Bank können wir noch ver- der Mittelstand in Deutschland. trauen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was antworten Sie da?) Das sind vor allem unsere Familienunternehmen, die am Standort bleiben und sich nicht wie jedes DAX-Unter- Die Antworten, die der Finanzminister und die Bundes- nehmen in der ganzen Welt tummeln. kanzlerin gegeben haben, sind völlig richtig. Sie sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass es entsprechende Richt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) linien und Regeln gibt, damit das, was jetzt passiert ist, Diese Familienunternehmen müssen entlastet und nicht, nicht noch einmal passieren kann. Daran müssen wir ar- wie Herr Lafontaine meint, enteignet werden. Das ist ab- beiten. soluter Unsinn, was da erzählt wird! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Es ist richtig, wenn der Bundesfinanzminister erklärt: Es sind Dinge passiert, die natürlich nicht hätten passieren Deswegen haben wir bei der Erbschaftsteuerreform dürfen; aber es besteht überhaupt kein Grund, den Men- – Herr Kollege Struck, Sie haben das angesprochen – schen einzureden, dass wir diese Situation nicht beherr- eine riesengroße Verantwortung. Das Bundesverfas- schen können. sungsgericht hat uns vor ein Problem gestellt. Jetzt kommt es darauf an, dass wir es lösen. Ich sage schon Eines ist aber auch klar: All diejenigen, die uns noch jetzt ganz klar – da sind wir uns Gott sei Dank einig –, vor wenigen Monaten gesagt haben, Kontrollen und Re- dass das, was als Gesetzentwurf vorliegt, in einigen ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18661

Volker Kauder (A) scheidenden Punkten verändert und verbessert werden müssen die Menschen wieder bezahlen. Wir alle wissen (C) muss. Da sind wir uns einig. doch, dass die Schulden von heute die Steuern von mor- gen sind. Solange wir einen Haushalt haben, in dem wir (Beifall bei der CDU/CSU) noch immer 10 Milliarden neue Schulden machen, gibt In den nächsten Tagen werden wir uns zusammenset- es keine Möglichkeit für milliardenschwere Entlastun- zen. Schon jetzt sage ich: gen. Erstens. Familienunternehmen müssen auch nach ei- (Dirk Niebel [FDP]: Aha! Aha!) ner Erbschaftsteuerreform in der Lage sein, ihr Fami- Das wäre auch nicht richtig. Der Verbrauch der knapper lienunternehmen ertragreich im Interesse von uns allen werdenden Energie muss reduziert und nicht subventio- fortzuführen. niert werden. Deswegen werden wir all das tun, was ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie tan werden kann, um den Menschen zu ermöglichen, den bei Abgeordneten der SPD) Verbrauch zu reduzieren. 2 Liter Spritverbrauch weniger bringen mehr als jede staatliche Maßnahme. Zweitens. Arbeitsplatzschaffende Maßnahmen dür- fen nicht mit einer Erbschaftsteuer belegt werden. Des- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wegen bleibt es dabei, dass wir die Erbschaftsteuer ab- Deswegen sind energiesparende Autos die richtige schmelzen. Antwort. Drittens. Wir wollen, dass das Eigentum derjenigen, (Beifall des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ die in ihrem Leben etwas geleistet haben, die ihr Geld DIE GRÜNEN]) zusammengehalten haben, die es nicht hinausgeworfen haben, sondern ein kleines Eigentum für die Familie ge- Ich fordere die Automobilindustrie auf: Macht jetzt end- schaffen haben, in die nächste Generation übertragen lich ernst mit dem Elektromotor als Zusatzaggregat auf werden kann. dem Weg zum Elektroantrieb auf deutschen Straßen. Das ist der richtige Weg. Aber wenn man das macht, Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kuhn, ist auch klar: Elektroautos fahren nicht durch Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bravo! Endlich Schieben, sondern durch Strom. Also brauchen wir dann sagt das einmal einer!) Strom. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist völlig un- Ich bin sicher, dass wir nach intensiven Verhandlun- verantwortlich – nicht das, was Sie gesagt haben –, si- gen und Gesprächen zu guten Ergebnissen kommen kön- cher laufende Kernkraftwerke einfach vom Netz zu neh- nen. In dieser Großen Koalition und auch in den Bundes- men. Das ist Vernichtung von volkswirtschaftlichem ländern, die wir dazu brauchen, weil es letztlich ihre Eigentum! (B) (D) Steuer ist und nicht eine des Bundes, die nur wir regeln (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssen, ist die Bereitschaft dazu vorhanden. neten der FDP) Wir haben in diesen Tagen natürlich auch mit dem ei- Die Zahlen, die wir genannt haben, sind Ihnen natür- nen Thema zu tun, das die Menschen in besonderer lich nicht recht; das ist mir völlig klar. Denn wir haben Weise beschäftigt. jetzt zum ersten Mal gesagt: Wir können den Menschen (Dirk Niebel [FDP]: Wann wählen wir end- 40 Milliarden Euro zurückgeben. Da hat ein Sprecher lich!) von RWE etwas erklärt, was kurze Zeit später zurückge- nommen wurde. Ich sage Ihnen: Die Zahl 40 Milliarden – Genau das nicht. Sie haben von dem, was ich gesagt Euro ist realistisch. habe, überhaupt nichts verstanden. (Ulrich Kelber [SPD]: Alle Experten haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dem widersprochen! – Widerspruch beim der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen arbeiten und nicht immer an die eigenen Damit die 40 Milliarden Euro nicht verloren gehen, sol- Möglichkeiten der Macht denken. Kapieren Sie das end- len sie in einen Fonds gezahlt und dann den Menschen lich einmal! zurückgeben werden. Das passt Ihnen nicht, weil Sie den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Menschen die Unwahrheit sagen. Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit und nicht mit grüner Die Menschen bewegt nicht die Frage, wann Sie in Ideologie. eine Regierung eintreten wollen, sondern die Tatsache, dass das Leben für sie immer teurer geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das Problem bei der Energiefrage ist, dass Sie mehr Zurufe von der FDP: Ja!) Ideologie als Realität in den Vordergrund stellen. Wir wollen den Energiemix, weil wir den Menschen damit Für diese Frage haben wir Verständnis. Aber die Ant- eine breit gefächerte Energieversorgung zur Verfügung worten, die gegeben werden, sind vielfach die falschen. stellen können. (Zuruf von der FDP: Sie sind die Ursache!) Wir haben darüber hinaus gesagt: Wir werden das Ur- Wir können auf die gestiegenen Energiepreise nicht teil des Bundesverfassungsgerichtes, das eine bessere mit hohen staatlichen Subventionen antworten. Denn das Anrechenbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge bei 18662 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Volker Kauder (A) der Steuer vorschreibt, umsetzen. Das wird zu einer Ent- Dr. Guido Westerwelle (FDP): (C) lastung führen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes- Wir haben auch gesagt: Wir wollen eine deutliche regierung und die Koalitionsfraktionen haben am heuti- Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. gen Vormittag vorgetragen, welche positiven Ergebnisse Wir können uns eine Senkung um 0,5 Prozentpunkte sie mit ihrer Arbeit bewirkt haben wollen; das ist ihr gu- vorstellen. Dies ist gerechnet. Der Vorstandsvorsitzende tes Recht. Sie haben eine Leistungsbilanz vorgetragen. der Bundesagentur für Arbeit hat erklärt, dass dies mög- Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ar- lich ist. Im Übrigen will ich an dieser Stelle sagen: Ich beitslosigkeit in Deutschland erfreulicherweise sinkt. bin dem Chef der Bundesagentur dankbar. Denn nicht Außerdem haben sie völlig zu Recht darauf hingewie- nur wir und die Wirtschaft, sondern auch er hat durch die sen, dass die Zahl der Beschäftigten in Deutschland er- Reformierung seiner Agentur einen Beitrag dazu geleis- freulicherweise steigt. tet, dass die Senkung jetzt möglich geworden ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Bravo! Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) doch toll!) Ich sage: Die Bundesagentur ist keine Sparkasse. Das, Das sind die Entwicklungen, die in den letzten drei was nicht unmittelbar für die Aufgaben und eine Jahren stattgefunden haben. In diesen drei guten Jahren Schwankungsreserve gebraucht wird, wird an die Bei- waren Sie allerdings damit beschäftigt, die Frage zu klä- tragszahler zurückgegeben. Daher ist nach unseren ren, ob der Aufschwung ein Merkel-Aufschwung oder Rechnungen eine Beitragssenkung auf 2,8 Prozent mög- ein Schröder-Aufschwung war. lich. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber kein Westerwelle- (Beifall bei der CDU/CSU) Aufschwung! – Heiterkeit) Dieses Entlastungspaket ist ein Angebot, den Menschen Ich sage Ihnen: Der Aufschwung hat weder etwas mit zu helfen. Frau Merkel noch mit Herrn Schröder zu tun. Die Große Koalition hat noch einige Zeit vor sich, um (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Noch mit Arbeit für unser Land zu leisten. Diese Zeit wollen wir Herrn Westerwelle!) nutzen. Im nächsten Jahr wird der Wahlkampf beginnen. Er hat übrigens auch nichts mit Herrn Kauder oder mit Wahlkampf gehört zur Demokratie. Wir sollten den mir zu tun, Wahlkampf aber auf die unbedingt notwendige Dauer re- duzieren. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (B) (D) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern er hat etwas mit der Weltwirtschaft zu tun. NEN]: Das wäre schön! Aber davon merkt Worüber Sie allerdings nicht gesprochen haben, ist man leider noch gar nichts!) die Verantwortung für den Abschwung, in dem wir uns jetzt befinden. Wenn der Aufschwung das Ergebnis Ihrer – Wenn auch Sie Ihren Beitrag dazu leisten, wird uns das Arbeit war, wieso bekennen Sie sich dann nicht auch zu gelingen. – Bis dahin werden wir weiterarbeiten. Ihrer Verantwortung für den Abschwung, den wir gerade Dass die Große Koalition einiges verändert hat, und erleben? zwar nicht nur im Hinblick auf die faktischen Chancen (Beifall bei der FDP) der Menschen, kann man an zwei Einlassungen des Kol- legen Struck erkennen: Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wir, die Opposition, werfen Ihnen Die Große Koalition hat zur Folge, dass der Kollege nicht vor, dass wir einen Abschwung erleben; wir wis- Struck, wenn ich mich richtig erinnere, zum ersten Mal sen, dass Aufschwung und Abschwung viel mit der aus der Heiligen Schrift zitiert hat. Weltkonjunktur zu tun haben. Was wir Ihnen aber vor- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) werfen, ist, dass Sie die guten Jahre nicht genutzt haben, um für schlechte Jahre vorzusorgen. Das ist gut! Weiter so, Herr Kollege Struck! (Beifall bei der FDP) Außerdem, Herr Kollege Struck, haben Sie recht: Un- Sie haben Ihre Zeit in dieser Koalition verplempert. Be- ter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel dauerlicherweise wird von dieser Regierung der Ein- kann man gute Außenpolitik machen. druck übrig bleiben: Es waren versäumte Jahre. Herzlichen Dank. Wenn Sie es nicht einmal schaffen, die Kornkammer (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU) in den berühmten fetten Jahren zu füllen, wie soll Ihnen das dann in den mageren Jahren gelingen? Wie wollen Sie denn bei schlechter Konjunktur einen Haushalt ohne Vizepräsidentin : Schulden zustande bringen, wenn Sie einen Haushalt Das Wort hat nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle ohne Schulden nicht einmal bei guter Konjunktur zu- für die FDP-Fraktion. stande gebracht haben? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18663

Dr. Guido Westerwelle (A) Sie haben die Bürgerinnen und Bürger um die Früchte [CDU/CSU]: Ihre Belehrungen können Sie (C) des Aufschwungs gebracht, und zwar mit der größten sich wirklich sparen!) Steuer- und Abgabenerhöhung, die jemals eine Regie- rung im Deutschen Bundestag durchgesetzt hat. CDU, Der Zustand dieser Regierung ist bemerkenswert. Da CSU und SPD sind verantwortlich dafür, dass das Leben wird alles fröhlich verkleistert. Das ist alles menschlich der Bürgerinnen und Bürger in den letzten drei Jahren nachvollziehbar. Aber, Frau Bundeskanzlerin, wir wol- immer teurer, aber nicht besser geworden ist. Sie haben len Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen, was Sie alles verteuert, aber nichts verbessert. Sie reden über die über Ihren Vizekanzler und die SPD alles gesagt haben. Preistreiber in der Wirtschaft. Aber die wahren Preistrei- Wenn niemand mehr sagt, was vor vier Tagen gespro- ber haben Steuererhöhungen beschlossen und sitzen auf chen wurde, dann ist es die Aufgabe der fröhlichen, opti- der Regierungsbank. mistischen und lebensbejahenden Opposition, dies ein- zubringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor vier (Beifall bei der FDP) Tagen auf dem Parteitag der CDU in Rheinland-Pfalz gesagt: Mit den Sozialdemokraten ist kein Staat zu ma- Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten, chen. – Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir haben es der ich in weiten Teilen zustimmen konnte; ich glaube, mit einem Koalitionspartner zu tun, der zunehmend un- das gilt über die Grenzen der Koalitionsfraktionen hin- zuverlässig wird. weg sogar für einen großen Teil dieses Hauses. Natürlich ist es gut, dass Sie die Bildungspolitik in den Mittel- Wenn mit den Sozialdemokraten kein Staat zu ma- punkt Ihrer Politik rücken. Es muss aber doch einem Be- chen ist, dann verstehe ich nicht, wie ihr euch hier heute obachter auffallen: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am Vormittag küsst, herzt und schmust, meine sehr geehrten meisten über das Thema gesprochen, zu dem Sie poli- Damen und Herren. tisch am wenigsten zu sagen haben, nämlich über die Bildungspolitik. Da sind Sie natürlich mit unverbindli- (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk chen Reden schnell dabei. [CDU/CSU]: Bloß kein Neid!) (Beifall bei der FDP) Herr Kollege Struck, ich bitte, das bildlich zu nehmen, damit das auch gleich klargestellt ist. In Wahrheit ist es doch nicht so, als würde Ihre Bil- dungsreise irgendeinen Kindergarten oder irgendeine Die Töne der Sozialdemokraten über ihren Regie- Schule verbessern. Diese Bildungsreise findet statt für rungspartner Union sind kein bisschen anders. Der desi- die Damen und Herren, die da oben in der ersten Reihe gnierte SPD-Vorsitzende, auf den ich mich persönlich stehen, nämlich für die Fotografen. Sie wollen auch le- durchaus freue, weil ich glaube, dass sehr klar gespro- ben; das kann ich ja verstehen. Nur, mit Verlaub gesagt: chen wird, wenn er in Debatten eingreift, sagte zu der (B) (D) Bildungspolitik hätte bedeutet, dass man bei der Födera- Union: Die Union stellt zwar die Kanzlerin, aber sie hat lismusreform mit den entsprechenden Mehrheiten diese nicht die Meinungsführerschaft. Frau Merkel hat nicht Zersplitterung nicht auch noch durchgesetzt hätte. die Führung. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD]) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. – Der Generalsekretär der SPD klatscht pflichtbewusst. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Wir haben eine Bundesregierung, die heute Morgen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie lange einen auf Rosamunde Pilcher gemacht hat. Heute Nach- klatscht er noch?) mittag geht beim Wahlkampf das Kettensägenmassaker Meine sehr geehrten Damen und Herren, gegen diese weiter. Das ist ein außerordentlich bemerkenswerter Vor- Koalition waren Kain und Abel eine friedliche Gesell- gang. Herr Kollege Kauder sagt: Wir machen keinen schaft. Es ist abenteuerlich, was hier für ein Schauspiel Wahlkampf. – Das ist vermutlich genau der Grund, wes- veranstaltet wird. Die Bürger sind aber viel zu klug, um halb CSU-Chef Huber gleich hier sprechen wird. das durchgehen zu lassen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Das können Das wird er uns an dieser Stelle noch erklären. Mit nicht alle, das kann nur die Große Koalition. – Das ist Verlaub gesagt: Was der CSU-Chef als bayerischer Fi- für mich, wie man so schön sagt, das Wort des Tages ge- nanzminister in der Debatte über den Bundeshaushalt zu wesen. Morgens machen Union und SPD in den Sitzun- suchen hat, das wird er uns zweifelsohne noch erklären. gen einen auf Miteinander, und ab Mittag machen sie Ich weiß, dass ein CSU-Chef gern hier sprechen möchte. einen auf Gegeneinander. Das kann nur die Große Koali- Er hat hier aber gar kein Rederecht. Rederecht hat die tion. Bayerische Staatsregierung. Diese ist beim Bundeshaus- halt aber wirklich nicht gefragt, meine sehr geehrten Da- Deutschland hat aber mehr verdient als eine Halbtags- men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. regierung, die uns ein Jahr lang in dieser Republik mit Dauerwahlkampf lähmt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 18664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Guido Westerwelle (A) Die Opposition wirft Ihnen nicht vor, dass sich die zu sorgen, dass aus einer Krise keine Katastrophe wird. (C) Welt so oder so entwickelt. Es bestreitet niemand, dass Es ist auch Ihres Amtes als Finanzminister, dass Sie die Regierung und die Koalition – auch in den Jahren zu- dementsprechend zur Vernunft mahnen. Das ist über- vor – natürlich auch Positives bewirkt haben; es ist gar haupt gar keine Frage. nicht möglich, dass man drei Jahre lang regiert und alles schlecht war. Das wird ausdrücklich anerkannt. Insbe- Was uns nicht gefällt und was wir nicht anerkennen, sondere bei der Außenpolitik haben wir immer wieder ist, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen so gesagt: Das erkennen wir an. Das große Problem ist leichtfertig über das Versagen der privaten Wirtschaft re- aber, dass diese Koalition die riesengroße Mehrheit, die den – übrigens mit viel berechtigter Kritik –, dass Sie so sie in diesem Hohen Hause und im Bundesrat hatte, nie leichtfertig über das Versagen der Manager privater Ban- genutzt hat, um das Land wirklich zu erneuern und auf ken reden – übrigens auch mit viel berechtigter Kritik – schwächere Phasen vorzubereiten. und dass Sie das Versagen bei Ihrer eigenen Staatsbank verschweigen, was in Ihrer eigenen Verantwortung liegt, In den letzten drei Jahren war die wirtschaftliche wo Milliarden Euro verbrannt wurden, die jetzt fehlen, Weltlage für Sie als Koalition unglaublich gut, aber Sie beispielsweise um Steuern senken zu können. haben all das versäumt, was Sie im Hinblick auf schlech- tere Zeiten zu tun gehabt hätten. (Beifall bei der FDP) (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – Wenn man am heutigen Tage liest, dass die Staats- Joachim Poß [SPD]: Das ist doch schlichtweg bank KfW, die zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Pro- falsch!) zent den Ländern gehört, dem Pleitier in Amerika sogar noch 300 Millionen Euro mit der fabelhaften Begrün- – Herr Kollege Poß sagt: „Das ist doch schlichtweg dung rüberschiebt, das habe man bereits in der letzten falsch!“ Woche angewiesen und man habe gar nicht mehr ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hat er auch wusst, dass diese Anweisung in dieser Woche ausgeführt recht!) wird, dann muss man sagen: Bevor Sie über das Versa- gen in der privaten Wirtschaft reden – auch mit berech- – Dass Sie das jetzt sagen, Herr Kauder, ist mir völlig tigter Kritik –, sollten Sie sich an Ihre eigene Nase fas- klar. Das ist eine ganze tiefe Freundschaft zwischen Ih- sen. Der Staat hat versagt, die Regierung hat versagt, die nen; das weiß ja auch jeder. Bankenaufsicht hat versagt. Dafür trägt der Finanzminis- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja!) ter die politische Verantwortung. Man muss es an dieser Stelle doch einmal auf den (Beifall bei der FDP und der LINKEN – (B) Punkt bringen: In der Zeit der alten Kanzlerschaft, zu der Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür kann der (D) ich in heftiger Opposition stand, haben wir wenigstens Finanzminister doch nichts! Das ist das Ma- den Versuch erlebt, mit der Agenda 2010 ein paar struk- nagement!) turelle Reformen auch für magere Zeiten durchzuset- zen. Sie haben diese Reformen nicht nur nicht fortentwi- In der Öffentlichkeit verbreiten Sie den Eindruck, das ckelt, Sie haben sie sogar noch rückabgewickelt. sei ein solider Haushalt, weil weniger Schulden gemacht werden. Das kann jeder auf den ersten Blick mit den (Beifall bei der FDP) Grundrechenarten widerlegen. Die jetzige Bundesregie- Sie haben die strukturelle Lage in Deutschland mit Ihren rung, die bei der Regierungsübernahme rund 30 Milliar- Steuer- und Abgabenerhöhungsorgien verschlechtert und den Euro an neuen Schulden vorgefunden hat, gleichzei- die Mittelschicht um die Früchte ihrer Leistung ge- tig aber durch ihre Steuererhöhungen 60 Milliarden Euro bracht. jährlich an zusätzlichen Steuern in ihre Staatskasse ein- nimmt und immer noch – in diesem Jahr wieder – hohe (Joachim Poß [SPD]: Das deckt sich nicht mit Schulden macht, handelt nicht solide. Sie würden spa- den Zahlen!) ren, wenn Sie die Ausgaben senken würden. Sie nennen Das vergisst Ihnen die Mittelschicht auch nicht. es sparen, wenn Sie sich etwas weniger heftig neu ver- schulden. Das ist eine babylonische Sprachverwirrung. Erst haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nichts vom Aufschwung abgegeben, jetzt lassen Sie sie mit Noch niemals hat eine Regierung den Bürgerinnen dem Abschwung alleine. und Bürgern so viel abgenommen wie diese Regierung. Schlimmer ist aber: Noch niemals hat eine Regierung so (Joachim Poß [SPD]: Das ist der gefühlte viel ausgegeben wie diese Regierung. Wir haben kein Westerwelle! Nichts Konkretes!) Einnahmeproblem, wir haben ein Ausgabeproblem des Das ist in Wahrheit der Ausdruck des wachsenden Miss- Staates. Hier ist eine Kehrtwende der deutschen Politik trauens bei Ihnen. fällig. Sie können nicht immer die Kuh schlachten wol- len, die Sie für den Staat melken möchten. All die sozia- Sie sagen, dass diese Bundesregierung bei der Erstel- len Wohltaten hängen davon ab, dass es noch Menschen lung des Bundeshaushalts Entscheidungen getroffen hat. gibt, die anpacken und das alles erwirtschaften – die Herr Bundesfinanzminister, ich habe Ihre Rede von ges- Mittelschicht –, um eine Zukunft zu haben. Das genau tern gehört und aufmerksam verfolgt. Damit wir uns verhindern Sie mit Ihrer Abkassiererei. nicht missverstehen: Es ist Ihres Amtes, dafür zu sorgen, dass Panik nicht um sich greift. Es ist Ihres Amtes, dafür (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18665

Dr. Guido Westerwelle (A) 19 Steuererhöhungen haben Sie beschlossen: Das Aber dann haben Sie, lieber Herr Kollege Huber, (C) war die insgesamt größte Steuererhöhung in der Ge- meine Damen und Herren von der CSU, angefangen, schichte der Republik. Die Mehrwertsteuererhöhung ist eine Attacke gegen die FDP zu reiten. davon nur ein Teil. Die Kürzung der Pendlerpauschale (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- ist in aller Munde. Weitere Stichworte sind die Strei- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – chung der Eigenheimzulage und der Sparerfreibetrag. Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Huber, das (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geht zu weit!) Das waren keine Steuererhöhungen!) Das ist zu viel, das können wir nicht durchgehen lassen. Ich erinnere noch einmal an das, was im Bereich der so- (Beifall bei der FDP) zialen Sicherungssysteme beschlossen worden ist: Die Beiträge für die Kranken- und für die Pflegeversiche- Wir haben tolle Nachrichten gehört, die mir persön- rung werden erhöht. Wir erleben, dass die Rentenbei- lich sehr viel Freude bereitet haben: Herr Beckstein und träge steigen. Darüber hinaus sind Sie bei dem Versuch, Herr Huber bezeichnen die FDP als Sicherheitsrisiko. die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, so (Zurufe von der LINKEN: Oh!) mutlos, dass das, was auf der einen Seite erhöht worden ist, auf der anderen Seite wenigstens wieder ausgegli- Das sagt der Ministerpräsident, der soeben erklärt hat, chen werden könnte. man könne sich an einem Nachmittag nach zwei Litern Bier noch ans Steuer setzen. Nehmen wir das einmal als Das ist leider die Realität. Sie haben die Steuern er- Realität; der Mann bewirbt sich schließlich gerade als höht wie noch keine Regierung zuvor. Ministerpräsident. Herr Huber spricht hier gleich noch, und ich möchte gerne die Meinung der bayerischen (Joachim Poß [SPD]: Wir haben Steuerver- Staatsregierung dazu hören. Nehmen wir einmal ein ge- günstigungen abgebaut!) standenes Mannsbild: Herrn Huber. Trotzdem machen Sie Schulden. Das ist keine seriöse (Heiterkeit im ganzen Hause) Politik. Nehmen wir als Alter 62 Jahre und als Gewicht circa (Beifall bei der FDP) 72 Kilogramm an. Nun hat uns Herr Kollege Kauder gesagt: Das Beste (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU kommt noch. Das habe ich mehr als Drohung denn als und der SPD) Versprechen empfunden. Wenn Sie bei der Erbschaft- – Ich weiß, wie man mit geringem Aufwand Freude be- (B) steuer, meine Damen und Herren von den Regierungs- reiten kann. – (D) parteien, wirklich etwas Gutes im Sinne hätten, dann ist doch gar nicht erklärbar, warum Sie mit diesen angeblich (Heiterkeit im ganzen Hause) so guten Nachrichten für unser Volk nicht schon vor der Nun möchte ich das einmal umrechnen. Wenn man also bayerischen Landtagswahl herauskommen. nachmittags um drei Uhr auf dem Oktoberfest anfängt, (Beifall bei der FDP) zwei Liter Bier zu trinken, und um 21 Uhr damit aufhört, dann hat man knapp 0,8 Promille im Blut. Jeder weiß, dass Sie die Bürger nach der bayerischen Landtagswahl wieder hinter die Fichte führen wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er hat alkohol- freies Bier gemeint!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Wenn wir als FDP ein Sicherheitsrisiko sein sollen, dann Das wird so ablaufen, dass Sie genau die Wahlkampffor- kann ich dazu nur eines sagen: Jemand, der die Leute be- derungen, die die CSU im Augenblick durch die Bier- trunken hinters Steuer lassen will, ist ein Sicherheitsri- zelte trägt, nach der bayerischen Landtagswahl wieder siko in diesem Land. beerdigen werden. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem Im bayerischen Wahlkampf gab es eine Diskussion, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- die mich fasziniert hat, Herr Kollege Huber. Es ist wirk- geordneten der LINKEN) lich bemerkenswert: Seitdem Sie merken, dass Ihnen ein Nun haben wir von Ihnen, lieber Herr Kollege Struck, bestimmtes Körperteil auf Grundeis geht, seitdem Sie viel gehört. Ich höre Ihnen immer sehr gerne zu; das merken, wie eng es für die CSU wird, fangen Sie mit ei- macht viel Freude. Was ich auch immer genieße, sind nem Kreuzzug gegen die Linken an. Ihre kleinen Sticheleien. Ich fand es herrlich, als Sie da- von sprachen, dass Angela Merkel den Steigbügelhalter (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was richtig ist!) für Frank-Walter Steinmeier macht. Das hat große Be- – Es ist immer richtig, gegen die Linken zu sein, da ha- geisterung bei den Damen und Herren der Union ausge- ben Sie völlig recht. löst. Sie haben sich hier sehr lange und ausführlich geäu- ßert. Das müssen Sie auch, das gehört dazu. Schließlich (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die SPD kämpft machen wir hier keinen Wahlkampf, Herr Kollege mit der 15, die CSU mit der 50!) Struck und Herr Kollege Kauder, um das an dieser Stelle noch einmal klarzustellen. Wenn das euer kleinster gemeinsamer Nenner ist: Bitte schön! (Lachen bei der LINKEN) 18666 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Guido Westerwelle (A) Nichts von Ihnen, Herr Kollege Kuhn? Das Bodentur- alles erlebt haben, aber keine Holschuld der Jüngeren. (C) nen war wirklich großartig. Dafür müssten Sie eine Offensive starten. An dieser Stelle rechnet der Kollege Struck mit der (Beifall bei der FDP) Linkspartei ab. Ich bin zwar als Liberaler sowieso der 60 Jahre Einführung der Deutschen Mark – welche Ge- größte Gegner der Idee der Unfreiheit durch Sozialismus legenheit war das, in die Schulen und Hochschulen zu und Kommunismus, aber eines habe ich nicht verstan- gehen. Auch das 60-jährige Jubiläum des Parlamentari- den. Wenn Sie die Repräsentanten der Linkspartei sozu- schen Rates ist ein geeignetes Thema. An dem Festakt sagen als gerade frisch der Hölle entsprungen darstellen, dazu, der kürzlich stattgefunden hat, haben nur einige dann verstehe ich nicht, warum Sie in einem Bundesland tapfere Aufrechte teilgenommen. nach dem anderen genau mit diesen Kommunisten zu- sammen regieren wollen. Insofern sollten Sie einen Wer das demokratische System der sozialen Markt- neuen Kurs finden, meine Damen und Herren Sozialde- wirtschaft in unserer Republik auch in den Herzen der mokraten. Menschen verankern will, der muss wenigstens die gro- ßen Geburtstage und Anlässe in unserer Republik nut- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zen, um die Vorzüge dieses Systems gegenüber der Un- der CDU/CSU) freiheit immer und immer wieder zu vermitteln. Ein Land nach dem anderen: Berlin, Hessen, Thürin- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen. Schleswig- der CDU/CSU) Holstein wird angekündigt. Ich habe eine traurige Nach- Sie haben in der Außenpolitik, um die es heute auch richt für Sie: Dazu wird es nicht kommen. noch gehen wird, zweifelsohne vieles richtig gemacht. (Heiterkeit bei der FDP) Ich kritisiere erneut – aus Zeitgründen kann ich es aber nur streifen –, dass eigene Abrüstungsinitiativen Ihrer- Es ist aber ein Widerspruch in der Debatte. seits leider ausgeblieben sind. Ich halte übrigens den Satz, dass Außenpolitik kein Abenteuerspielplatz ist, den Ich rate dazu, dass wir uns weniger mit den politi- Sie, Herr Minister Steinmeier, von Hans-Dietrich schen Persönlichkeiten auseinandersetzen. Ich habe Genscher übernommen haben, für völlig richtig. meine Zweifel, ob Nazivergleiche ein geeigneter Diskus- sionsbeitrag sind. Aber wir sollten über etwas anderes Wir unterstützen die Regierung Merkel/Steinmeier debattieren. Worum es in der Debatte eigentlich gehen nachdrücklich darin, auf der Fortsetzung des Dialogs zu muss – meinetwegen auch gerne im Wahlkampf, aber bestehen und den Gesprächsfaden nicht zu durchschnei- erst recht hier –, ist nicht die Beschimpfung von einzel- den. Wer nicht miteinander redet, kommt viel zu schnell (B) (D) nen Repräsentanten einer Linksaußenpartei; vielmehr in die Gefahr, eines Tages aufeinander zu schießen. Des- wegen ist es völlig richtig, dass Sie die Verpflichtung geht es darum, klarzumachen, dass wir bei aller Kritik, zum Dialog als Ihre große Verantwortung anerkennen. die wir an unserem System der sozialen Marktwirtschaft äußern, und bei allem, was wir besser machen wollen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gemeinsam erkannt haben, dass es immer noch das beste der SPD) System ist, das es jemals auf deutschem Boden gegeben hat. Die soziale Marktwirtschaft hat ihre Fehler, aber Das wird Ihnen niemand nehmen, und das ist von uns auch nie kritisiert worden. Das steht für mich außer sie ist zehnmal besser als eine bürokratische Staatswirt- Frage, und es ist mir offen gestanden auch gleich, ob es schaft und erst recht die Planwirtschaft. mehr die Handschrift von Frau Merkel oder von Herrn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Steinmeier trägt. Es ist einfach deutsche Staatsräson. Da- bei Abgeordneten der SPD) ran wird sich auch nichts ändern. Darüber muss die Debatte eigentlich geführt werden. Wir blicken auf drei Jahre zurück, in denen eine rie- Es ist auch Ihre Aufgabe, die geistige und politische sige Mehrheit und eine sehr starke Konjunktur alle Mög- lichkeiten geboten haben. Von anderen Regierungen Meinungsführerschaft auszuüben. Ich habe es wirklich bleiben das Wirtschaftswunder, die neue und bedauert, meine Damen und Herren von der Bundesre- die deutsche Einheit übrig. Von dieser Regierung bleibt gierung. Sie haben einen riesigen Etat für Öffentlich- die Steueridentifikationsnummer übrig. Das ist Klein- keitsarbeit. Er umfasst Millionen über Millionen Euro Klein. Aber das ist zu wenig für unser Land. Geistig- und wird immer weiter aufgestockt. Sie beschließen, im- politische Führung wäre gefragt. Dieses Land braucht mer mehr Geld für Propaganda auszugeben. Wofür ver- wieder eine Richtung mit klaren Verhältnissen. Das Ge- wenden Sie dieses Geld? Warum nutzen Sie es nicht bei- wurstel muss ein Ende haben. spielsweise für Wertedebatten? Warum gehen Sie nicht mit dem Thema soziale Marktwirtschaft oder mit Infor- Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. mationen über die Zeit vor der deutschen Einheit in die (Anhaltender Beifall bei der FDP) Schulen? (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Wie kann man von einem 18-, 19- oder 20-Jährigen Oppermann das Wort. erwarten, dass er das alles im Kopf hat? Diese geschicht- lichen Lehren sind eine Bringschuld für uns, die wir das (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18667

(A) Thomas Oppermann (SPD): Wir senken die Nettoneuverschuldung und gewinnen (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber gleichzeitig Handlungsspielräume für Zukunftsinvesti- Herr Westerwelle, ich räume ein, dass Ihre darstelleri- tionen. Der Etat für Bildung und Forschung wird um schen Fähigkeiten immer besser werden. Aber vielleicht sagenhafte 730 Millionen Euro aufgestockt. Noch nie hat das auch damit etwas zu tun, dass Sie nun schon län- wurde in Deutschland in einem Staatshaushalt so viel gere Zeit keine Gelegenheit hatten, das, was Sie hier Jahr Geld für Bildung und Forschung bereitgestellt. für Jahr vortragen, in die Tat umzusetzen. (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Es wird Zeit! Da haben Sie recht!) Mit der Hightech-Strategie, dem Pakt für Forschung und Innovation und der Exzellenzinitiative mobilisieren Deshalb müssen wir daran erinnern, wie es war, als Sie wir neues Wissen und neue Kreativität. Damit gestalten die letzte Gelegenheit hatten. Das Jahr 1998 erscheint in wir die Zukunft. Die Forschung von heute ist die Innova- Ihrer Betrachtung der Gegenwart als das absolute Kri- tion von morgen und die Grundlage für die Arbeitsplätze senjahr in Deutschland. Als Sie 1998 die Regierung ab- und den Wohlstand von übermorgen. Exzellente For- gegeben haben, hatten wir eine höhere Nettokreditauf- schung ist die Basis für Technologieführerschaft. nahme, eine deutlich höhere Staatsquote, höhere Lohnzusatzkosten und eine höhere Arbeitslosigkeit. Wie so etwas funktioniert, kann man am Beispiel des Jobwunders bei den erneuerbaren Energien sehr gut (Jürgen Koppelin [FDP]: Und die deutsche betrachten. Die politische Weichenstellung durch das Einheit!) Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kombination mit deut- scher Ingenieurskunst hat einen dynamischen, welt- – Die deutsche Einheit haben wir noch immer. weiten Wachstumsmarkt erschlossen, in dem bis heute Sie sagen, wir hätten heute fette Jahre, und alles sei so 250 000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Bei Umsät- einfach. Können Sie sich vielleicht noch daran erinnern, zen von 25 Milliarden Euro wächst dieser Markt so wie hoch der Ölpreis im Jahr 1998 war? Ich habe eben schnell, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in den nachgeschaut: 9,3 Dollar pro Barrel. Aus der damaligen nächsten zehn Jahren verdoppeln kann. wirtschaftlichen Situation hätten Sie mehr machen kön- (Beifall bei der SPD) nen. (Beifall bei der SPD) Was unter Rot-Grün angeschoben und von vielen Koali- tionsfreunden in der Union anfangs belächelt wurde, hat Es gibt durchaus viele Gemeinsamkeiten mit Ihnen, sich zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte entwi- zum Beispiel in der Außenpolitik. Aber Sie können auf ckelt. Ich finde, die Grünen könnten etwas stolzer auf (B) den übrigen Feldern im Ernst nicht den Eindruck erwe- den Beitrag sein, den sie dazu geleistet haben. (D) cken, als ob Sie den ganz großen Entwurf für Deutsch- land in der Schublade hätten. Das glauben Sie nicht ein- Aber man kann die damit verbundenen Chancen nur mal selber. dann nutzen und realisieren, wenn es Fachkräfte gibt, die das Wissen anwenden und umsetzen können. Von Jahr Ich möchte dem Bundesfinanzminister und der Bun- zu Jahr fehlen in Deutschland mehr Techniker und Inge- deskanzlerin dafür danken, dass sie den in einer Situa- nieure. Allein im nächsten Jahrzehnt werden wir tion der politischen Verzweiflung geborenen Versuch der 1,5 Millionen Hochschulabsolventen, Meister und Tech- CSU abgelehnt haben, uns eine Steuerentlastung in niker zusätzlich brauchen. Während im OECD-Durch- Höhe von 28 Milliarden Euro einzureden. Ich finde, das schnitt 37 Prozent eines Jahrgangs die Hochschule mit wäre falsch gewesen; denn solange wir eine Nettokredit- einem Abschluss verlassen, sind es in Deutschland ge- aufnahme haben, ist eine Steuersenkung eine Steuersen- rade einmal 21 Prozent. Herr Huber, wie sollen wir inter- kung auf Pump. Wir wollen einen handlungsfähigen, national Anschluss gewinnen und in Deutschland eben- nicht unterfinanzierten Staat und eine leistungsfähige falls eine Akademikerquote von 40 Prozent erreichen, Wirtschaft. Deshalb ist es gut, dass sich die CSU nicht wenn Sie in Bayern nur 20 Prozent eines Jahrgangs zum durchgesetzt hat. Abitur führen? Sie haben diesbezüglich die rote Laterne in Deutschland. Das liegt doch nicht daran, dass die (Beifall bei der SPD) Menschen in Bayern weniger begabt sind. Es liegt an Ih- Im Übrigen, Herr Huber – ich meine das durchaus rem Bildungssystem, das zu selektiv ist, die Wege nach freundschaftlich; auch ich war einmal Landespolitiker –, oben zu eng macht, zu wenige Chancen einräumt und hilft es in Landtagswahlkämpfen gar nichts, wenn man nicht ausreichend ermutigt. Damit müssen wir in nur auf bundespolitische Themen wie die Pendlerpau- Deutschland aufhören. schale, die Einkommensteuer oder den Blutalkoholge- (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der halt setzt. Die Menschen merken natürlich, dass Sie ab- CDU/CSU) lenken wollen, und glauben, dass Sie Ihre politischen Hausaufgaben in Bayern nicht gemacht haben. Deshalb ist es wichtig, dass der Bildungsgipfel, den (Beifall bei der SPD) die Bundeskanzlerin für Oktober einberufen hat, ein Er- folg wird. Denn wir brauchen nicht nur mehr Abiturien- So war es auch in Hessen. Sie setzen zwar nicht auf die- ten, wir haben auch zu wenige gut ausgebildete Lehrer, selben Themen wie , machen aber die glei- zu viel Unterrichtsausfall, zu große Schulklassen, zu chen Fehler. viele Schulabbrecher, zu wenige Studienplätze und zu 18668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Thomas Oppermann (A) wenige Studenten, insbesondere in den Natur- und Tech- tiert, wenn jeder die Chance zum sozialen Aufstieg hat. (C) nikwissenschaften. So wie in einer Demokratie die Minderheit die Chance haben muss, zur Mehrheit zu werden, so muss der Ein- Wir wollen, dass auf dem Bildungsgipfel konkrete, zelne, der unten ist, die Chance haben, nach oben zu verbindliche Verabredungen getroffen werden. Dabei kommen. sollte kein unproduktiver Streit über Zuständigkeiten ge- führt werden. Aber es muss schon klargestellt werden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass Bund, Länder und Kommunen ihre jeweiligen Zu- der FDP und des Abg. Oskar Lafontaine [DIE ständigkeiten kraftvoll ausschöpfen müssen. Wenn der LINKE]) Bund mit Milliardensummen Krippen- und Studien- plätze mitfinanziert, dann dürfen wir auch erwarten, dass Unser Kollege hat hier einmal den denk- die in den Ländern aufgrund sinkender Schülerzahlen würdigen Satz gesagt: Wer Musikschulen schließt, frei werdenden Mittel in den Schulen bleiben und nicht gefährdet die innere Sicherheit. Das lässt sich leicht abgezogen werden. übertragen: Wer es unterlässt, sozialen Aufstieg zu er- möglichen, gefährdet die pluralistische Demokratie. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Es darf am Ende nicht heißen, der Bildungsgipfel kreißte und gebar eine Maus. Als wir schon einmal eine Bildungskatastrophe hat- ten, nämlich in den 60er-Jahren, hat die sozialliberale Der kürzeste Weg von der Schule in die Arbeitslosig- Regierung die richtige Antwort gefunden, Herr keit ist eine abgebrochene Schulausbildung. Ich bin dem Westerwelle. Es kam zur größten Bildungsexpansion, Bundesarbeitsminister sehr dankbar, dass er die Deutschland jemals gesehen hatte. Viele von denen, diesen Zusammenhang deutlich in Erinnerung gerufen die heute hier sitzen, haben davon profitiert und verdan- hat. Dass 500 000 Menschen ohne Schulabschluss ar- ken dieser Bildungsexpansion ihren eigenen Aufstieg. beitslos sind, ist ein Zustand, mit dem sich niemand in Wir wollen, dass Deutschland wieder zu einem Land der diesem Lande abfinden kann. Chancen wird. Wir wollen, dass sozialer Aufstieg durch (Beifall bei der SPD) Bildung und Anstrengung wieder so selbstverständlich und so machbar wird, wie es zu Zeiten von Willy Brandt Wir sind für den Rechtsanspruch auf das Nachholen ei- und Walter Scheel der Fall war. nes Schulabschlusses; dieser ist für uns unverzichtbar. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. In keinem anderen industrialisierten Land der Welt ist der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern so (Beifall bei der SPD) (B) stark von ihrer sozialen Herkunft abhängig wie in (D) Deutschland. Bei gleichen Kompetenzwerten haben die Vizepräsidentin Petra Pau: Kinder aus der sozialen Oberschicht eine fünfmal höhere Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als Oskar Lafontaine. Kinder von un- und angelernten Arbeitern. Das setzt sich an der Hochschule fort. Von 100 Aka- (Beifall bei der LINKEN) demikerkindern landen 83 an der Hochschule, von 100 Kindern von Nichtakademikern sind es ganze 23. Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Die Bildung wird in Deutschland gleichsam vererbt. Das Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und hat vor allem damit zu tun, dass wir unser Bildungssys- Herren! Ich will mich in der verbleibenden Zeit auf we- tem dort am schwächsten ausgestattet haben, wo am nige Themen konzentrieren, nämlich auf das Thema Bil- stärksten über die Chancen entschieden wird, nämlich in dung und das Thema Haushalt. den ersten zehn, insbesondere in den ersten fünf Lebens- jahren. Was in dieser Zeit bei der Entwicklung von Spra- Der Vorredner hat gerade ausgeführt, wie sich die Si- che, Intelligenz und Kreativität versäumt wird, lässt sich tuation im Bildungswesen entwickelt hat. Ich kann allen später nur sehr schwer aufarbeiten. Dazu hat der US- Ausführungen zustimmen. Es ist eine bedauerliche Ent- Ökonom und Nobelpreisträger James Heckman gesagt, wicklung, wenn immer weniger junge Menschen die es sei die größte Ungerechtigkeit der praktizierenden Chance haben, einen entsprechenden Bildungsabschluss Marktwirtschaften, dass Kinder aus armen, bildungsfer- zu erreichen, und wenn internationale Organisationen nen Familien sich noch so anstrengen könnten, sie kä- feststellen müssen, dass in Deutschland immer mehr men nicht nach oben. Kinder aus ärmeren Schichten ausgegrenzt werden. Solange das der Fall ist, verehrter Herr Kollege (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oskar Westerwelle, können wir als Linke nicht in das Loblied Lafontaine [DIE LINKE]) der sozialen Marktwirtschaft einstimmen. Wenn Kinder nichtakademischer Eltern von höherer (Beifall bei der LINKEN) Bildung ausgeschlossen werden, dann erschüttert das nicht nur, wie die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hat, Eine Wirtschaft, die Kinder bei der Bildung ausgrenzt, den Glauben an die soziale Marktwirtschaft, sondern das ist nach unserer Definition nicht sozial. Das will ich hier ist am Ende auch eine Gefahr für die Demokratie. Ein einmal anmerken. Es mag sein, dass Sie eine andere De- demokratisches System wird auf Dauer nur dann akzep- finition haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18669

Oskar Lafontaine (A) Nun hat die Bundeskanzlerin eben in ihrer Rede viel wollen. Das heißt, letztendlich erklären Sie hier, dass Sie (C) über Bereiche geredet, bei denen sie wenige Kompeten- Sozialabbau und geringe Bildungsangebote im nächsten zen hat. Aber nehmen wir doch einmal das Thema ernst. Jahr fortführen wollen. Das ist die Essenz Ihrer Haus- Sie hat gesagt, dass sie neben der Verbesserung der Bil- haltspolitik. dungssituation den Haushalt konsolidieren wolle. Jeder Praktiker in den Gemeinden und in den Ländern stellt (Beifall bei der LINKEN) sich die Frage, wie sie das denn machen will: Haus- Ich möchte Sie an Ihr Hamburger Grundsatzpro- haltskonsolidierung auf der einen Seite und ein deutlich gramm – ich lese so etwas – erinnern, meine Damen und besseres Bildungsangebot auf der anderen Seite. Ich Herren – liebe Genossinnen und Genossen, hätte ich bei- kann Ihnen so viel verraten: In den Ländern und in den nahe gesagt. Darin steht der Satz – er steht in allen Pro- Gemeinden wird so ohne Weiteres nicht verstanden, was grammen –: „Nur Reiche können sich einen armen Staat damit eigentlich gemeint ist. leisten.“ Wie bringen Sie das mit der Erklärung des Bun- Damit komme ich zu einer Kernausführung des Bun- desfinanzministers, wir haben die Staatsquote von 48 Pro- desfinanzministers, der in der ihm eigenen Klarheit eben zent auf 43,5 Prozent abgesenkt, und wir wollen in die- deutlich gemacht hat, dass der Zug der Politik seit eini- sem Sinne weitermachen, in Einklang? Was gilt denn gen Jahren in die völlig falsche Richtung fährt und dass jetzt? die Sozialdemokratische Partei Deutschlands heute Auf- Leider ist der geschätzte Herr Kollege Struck ver- fassungen vertritt, die vor zehn Jahren noch von nieman- schwunden; ich wollte ihm ein bisschen die Prozentrech- dem vertreten worden wären. nung erläutern. Ich möchte ihm sagen, dass es früher (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) selbstverständlich war, uns an skandinavischen Län- dern zu orientieren. Man kann die Politik der skandina- Der Bundesfinanzminister hat dargestellt, dass die vischen Länder für richtig oder für falsch halten. Dass Staatsquote gefallen ist. Das ist richtig; jeder kann das die FDP sie als Rechtsaußenpartei für falsch hält, wissen überprüfen. Die Staatsquote ist von 48 Prozent im wir seit vielen Jahren. Aber wir sagen: Was sie etwa an Jahre 1999 auf 43,5 Prozent gesunken. Das kann man für sozialen Leistungen bieten und was sie insbesondere ih- richtig oder für falsch halten. Nur, es hat natürlich erheb- ren Kindern an Bildungschancen bieten, das ist beispiel- liche Konsequenzen, auch für das Bildungssystem in haft, und wir hätten das auch gern für die Bundesrepu- Deutschland. Die Tatsache, dass wir im Vergleich zum blik Deutschland. Durchschnitt der anderen OECD-Staaten, bezogen auf das Sozialprodukt, 1 Prozent, also 25 Milliarden Euro, (Beifall bei der LINKEN) weniger für Bildung ausgeben, hat etwas mit diesem Nur wissen die Skandinavier natürlich, dass man das (B) Credo zu tun, das Herr Steinbrück hier wieder vorgebetet mit ständigen Steuersenkungen nicht erreichen kann. (D) hat. Was Sie hier erzählen, ist natürlich ein Märchen. Ange- (Beifall bei der LINKEN) sichts der sinkenden Staatsquote ist auch all das falsch, was Sie hier vorgerechnet haben. Es ist leider so: Bezo- Das heißt, wir haben hier von der fachlichen Seite her gen auf das Sozialprodukt sinken die Staatsausgaben. die merkwürdige Situation, dass die Kanzlerin sagt, wir Sie können sich doch nicht hierher stellen und so tun, als müssen mehr für die Bildung tun, während ihr Finanz- wäre immer nur abkassiert worden, als wären die Steu- minister sagt: Aber ich werde eine Finanzpolitik durch- ern immer nur erhöht worden. Nein, in Ihrem Sinne sind setzen, die das völlig unmöglich macht. Da müssen Sie die Staatsausgaben gesunken. Zu Ihrer Regierungszeit irgendwann einmal wirklich wieder auf den Boden der – da hat Herr Oppermann recht – war die Staatsquote Tatsachen zurückkommen. Mit dem ständigen Absenken deutlich höher. Das sind Tatsachen, an denen man nicht der Staatsquote werden Sie in Deutschland niemals ein vorbeigehen kann. verbessertes Bildungssystem durchsetzen können. Wenn die Skandinavier die Frage beantworten sollen, (Beifall bei der LINKEN) wie sie diese Projekte finanzieren wollen, dann sagen sie, dass sie für eine höhere Staatsquote oder für eine hö- Ich will Ihnen Zahlen nennen – ich zitiere die Bun- here Steuer- und Abgabenquote sind. desregierung und nicht uns –: Durch die Absenkung der Staatsquote von 48 Prozent auf 43,5 Prozent sind die Nun will ich Sie noch einmal mit der Prozentrech- jährlichen Ausgaben heute um 114 Milliarden Euro ge- nung konfrontieren. Herr Struck – ein sehr liebenswerter ringer. Das kann man für richtig oder auch für falsch hal- Mensch; er ist jetzt leider nicht da – hat vorhin wieder ten. Nur, es hat Auswirkungen auf Rentnerinnen und gesagt: Oh Schreck, wenn man alles addiert, was man in Rentner. Es hat Auswirkungen auf Hartz-IV-Empfänger. irgendwelchen Papieren der Linken findet, dann sind das Es hat Auswirkungen auf die Kinder, die in die Schulen 255 Milliarden Euro – der Untergang des Abendlandes. gehen müssen. Letztendlich hat es auch auf diejenigen Dann müssten Dänemark und Schweden längst in ir- Auswirkungen, die Lohnempfänger usw. sind. gendeinem Ozean versunken sein. Sie haben in den letzten Jahren die Entstaatlichung Wenn man die Steuer- und Abgabenquote Schwedens Deutschlands – so hat es Bofinger genannt – in dieser oder Dänemarks auf Deutschland übertragen würde, Größenordnung – Senkung der Staatsquote um 114 Mil- dann hätte man 375 Milliarden Euro pro Jahr Mehrein- liarden Euro – durchgesetzt, und Sie erklären mit diesem nahmen. Man mag das alles für falsch halten. Nur, wenn Haushalt, dass Sie diese Entstaatlichung weiterführen Sie über internationale Vorgänge und über die Angebote, 18670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Oskar Lafontaine (A) die die Menschen woanders haben, diskutieren wollen, Erwin Huber, Staatsminister (Bayern): (C) müssen Sie sich in den Statistiken auskennen und kön- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nen nicht stolz darauf sein, dass Sie jetzt in völliger Um- stelle fest, dass Redner aus vier Fraktionen schon meine kehr der ehemaligen Politik der deutschen Sozialdemo- bloße Anwesenheit zum Anlass genommen haben, in kratie das Sinken der Staatsquote zum Kernziel Ihrer Wallung zu kommen. Politik machen. Das ist doch absurd, was Sie hier ma- (Beifall bei der CDU/CSU) chen. Ich stelle fest: Solange das so ist, brauche ich mir um die (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter Bedeutung meiner Partei keine Sorgen zu machen. [CDU/CSU]: Eine Mischung aus Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit!) (Beifall bei der CDU/CSU) Dennoch sagen Sie gleichzeitig: Hamburg gilt. Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie werden sich da- ran gewöhnen müssen, dass ich hier das mir nach der Demnächst werden Sie sich herausreden, indem Sie Verfassung zustehende Rederecht ausübe. sagen, dass Sie mit der sinkenden Konjunktur eigentlich nichts zu tun hätten, denn dafür seien die internationalen (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Finanzmärkte verantwortlich. Das ist natürlich ein gro- GRÜNEN]: Wie viel Maß haben Sie eigentlich ßer Irrtum. Wir haben seit Jahren eine gespaltene Kon- vor der Rede getrunken, zwei oder mehr?) junktur. Wenn der Export läuft, läuft letztendlich, also Im Übrigen: Wenn Ihre Partei am nächsten Samstag in im Saldo, auch unsere Wirtschaft. Aber wir haben im München zusammen mit Linken und mit der DKP gegen Binnenmarkt überhaupt nichts dafür getan, dass die die Sicherheitspolitik in Bayern demonstriert, dann Wirtschaft läuft. Wenn der Export jetzt abschmiert und sollten Sie sich um Ihre eigene Partei Sorgen machen. Sie im Binnenmarkt nicht gegensteuern, dann werden Eigentlich gehören Sie nicht in die Nachbarschaft von Sie die Ergebnisse haben, die Sie immer hatten. Linken und DKP. Nun will ich Ihnen sagen, was das im Binnenmarkt (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der heißt. Das heißt im Binnenmarkt: Wir haben sinkende FDP) Löhne, immer noch. Auch in den neuerlichen Expertisen Wenn die Gewalttäter von Weihnachten in der Münch- der wirtschaftswissenschaftlichen Institute wird pro- ner U-Bahn, die wegen Mordversuchs zu acht und zwölf gnostiziert, dass das real so weitergeht. Wir haben sin- Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, von der FDP- kende Renten, immer noch, und das wird nach den Pla- Landesvorsitzenden verharmlosend als „Münchner nungen, die bisher vorliegen, auch so weitergehen. Wir Kindl“ dargestellt werden, dann haben Sie ein eklatantes haben sinkende soziale Leistungen. Wir haben nur – das Defizit in all den Fragen der inneren Sicherheit. (B) steht in jedem Jahreswirtschaftsbericht – einen Anstieg (D) der Vermögenseinkommen und einen Anstieg der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle winneinkommen. Solange das so ist, können wir niemals [FDP]: Prost, Herr Huber!) von sozialer Marktwirtschaft reden, Deutschland steht im Sommer 2008 deutlich besser (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert da als im Sommer 2005. Wir haben wieder Wirtschafts- Winkelmeier [fraktionslos]) wachstum. Wir haben fast 2 Millionen Arbeitsplätze mehr. Wir haben viele Arbeitsplätze für Jugendliche. sondern müssen von einer Umverteilung von unten nach Wir haben viele Lehrstellen. Wir haben gesicherte Siche- oben reden; das hat in den letzten Jahren permanent rungssysteme in den Bereichen Rente, Gesundheit stattgefunden. Deshalb misstrauen so viele Menschen in Deutschland – ihre Zahl nimmt zu – nicht nur der sozia- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len Marktwirtschaft, sondern auch unserer staatlichen NEN]: Was?) Ordnung. Sie glauben, es geht nicht mehr gerecht zu. und Arbeitslosigkeit. Das heißt, Deutschland ist in die- sen drei Jahren deutlich nach vorn gekommen. Es ist ja fast zum Lachen: Wenn in der Wall Street jetzt mehr und mehr Banken verstaatlicht werden, was (Beifall bei der CDU/CSU) sagen Sie denn da? Wenn der letzte Ausweg des Finanz- Das ist nicht einheitlich in allen Ländern Deutsch- kapitalismus die Verstaatlichung ist, was sagen Sie denn lands. Ich kann für das Land reden, das die geringste Ar- da? Ich kann an eine bestimmte Adresse nur sagen: beitslosigkeit hat, das die geringste Jugendarbeitslosig- Wenn die Wall Street rot wird, dann wird Deutschland in keit und damit die besten Chancen für die junge den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht schwärzer oder Generation hat. Der Redner vor mir vertritt eine Partei, gelber werden. die hier in Berlin in der Verantwortung ist. Berlin ist die (Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie Hauptstadt der Arbeitslosigkeit. Berlin ist die Hauptstadt des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) von Hartz IV. Berlin ist die Hauptstadt von Kinderarmut. Große Sprüche machen, aber in der Praxis versagen, das ist linke Politik. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bayerische Staatsminister der Fi- (Beifall bei der CDU/CSU – Oskar Lafontaine [DIE nanzen, Erwin Huber. LINKE]: Milliarden versenkt in Berlin!) (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler Sie verwenden, was Armut angeht, immer die Zahlen [SPD]: Warum?) aus dem Armutsbericht, die Zahlen von 2004 und 2005. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18671

Staatsminister Erwin Huber (Bayern) (A) In den Jahren vorher waren wir nicht in der Regierungs- Wir haben 1998 in Bayern als erstes Land angekündigt, (C) verantwortung. Für die rot-grüne Armut in Deutschland dass wir ausgeglichene Haushalte wollen. Wir haben lassen wir uns nicht verantwortlich machen. das im Jahr 2006 erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil (Hubertus Heil [SPD]: In Berlin übrigens [SPD]: Ihre geistige auch nicht!) auch!) Heute sind eine Million Menschen weniger von Ar- Ich darf daran erinnern, mein Vorgänger, Herr Faltlhauser, mut bedroht als vor drei Jahren. Das ist auch ein gutes und Herr Eichel haben zur gleichen Zeit angekündigt, Ergebnis dieser Koalition und der Regierung Merkel. dass 2006 die Marke für einen ausgeglichenen Haushalt sein soll. Herr Eichel ist nicht mehr im Amt, und er hat (Beifall bei der CDU/CSU) einen Haushalt mit dem größten Defizit in der Ge- schichte der Bundesrepublik übergeben. Bayern hat Da Herr Struck schon die Bibel zitiert hat, muss auch ich 2006 den ausgeglichenen Haushalt erreicht. sagen: An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ LINKEN) DIE GRÜNEN) Wir haben in den Jahren 2007 und 2008 500 Millionen Berlin hat mit das größte Schuldenloch aller 16 Länder. Euro an Schulden zurückgezahlt. Ich werde dem Bayeri- Die Situation hat sich in Berlin mit der Regierungsbetei- schen Landtag in diesem Jahr einen Haushaltsentwurf ligung von Links dramatisch verschlechtert. 2009/2010 mit einer Neuverschuldung von ebenfalls Null und 200 Millionen Euro Schuldentilgung pro Jahr (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß vorlegen. Wir werden dann fünf Jahre lang einen ausge- [SPD]: Diepgen! Landowsky!) glichenen, schuldenfreien Haushalt haben. Das ist in ganz Deutschland vorbildlich. Das ist das, was wir den Menschen auch vor der Land- tagswahl in Bayern sagen: Links wählen heißt im (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin Grunde mehr Steuern, mehr Schulden und weniger Zu- [FDP]: Sagen Sie etwas zur Landesbank!) kunft. Frau Bundeskanzlerin, deshalb stimmt, was Sie auf dem (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Parteitag der CSU in Nürnberg gesagt haben: Der Bund Hubertus Heil [SPD]) soll dorthin kommen, wo Bayern heute schon ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Es ist richtig, dass dieser Bundeshaushalt unter dem (B) Hubertus Heil [SPD]) (D) Motto der Konsolidierung steht. Natürlich wäre es volkswirtschaftlich völlig falsch, die Konsolidierung in- Das Kunststück besteht nicht darin, einfach nur zu spa- nerhalb eines Jahres herbeizuführen, denn das würde ren und zu kürzen. Das Kunststück besteht darin, zu- dem wirtschaftlichen Kreislauf viel zu viel Geld entzie- gleich zu investieren und für die Zukunft vorzusorgen. hen. Man muss hier einen längeren, verlässlichen und Wir haben gesagt: Wir konsolidieren, wir reformieren stetigen Weg gehen. Diese Regierung hat 2005 eine hohe und wir investieren. Erblast mit einem strukturellen Defizit im Bundeshaus- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr gut!) halt von 60 Milliarden Euro übernommen. Das ist jetzt auf 10 Milliarden Euro zurückgeführt worden. Das ist Wir werden allein in diesem Jahr – in einem Land – die der richtige Weg. Investitionen gegenüber dem Vorjahr um fast eine Mil- liarde Euro erhöhen. Wir werden diesen Weg fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel Deshalb ist es auch Aufgabe des Bundes, für das Wohl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei 60 Mil- der Menschen in ganz Deutschland, aber auch für das liarden Euro Steuereinnahmen!) Wohl und die Entwicklung der Menschen in allen Län- Der Kollege Kauder hat gesagt, dass damit die Chance dern, neben der Konsolidierung auch Innovationen zu besteht, nach 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt betreiben. und möglicherweise auch Überschüsse zu erreichen. Das Ich begrüße es sehr, dass die Forschungsausgaben in führt mich dazu, daran zu erinnern, dass vor 40 Jahren diesem Bundeshaushalt ausgebaut werden und man zu- Franz Josef Strauß Bundesfinanzminister war. Er hat im gleich die Entlastung der Bürger betreibt. Dieser Drei- Jahr 1969 einen Haushalt mit Überschuss übergeben. klang „Konsolidierung – Innovation – Entlastung“ ist Dann ging der Marsch in den Schuldenstaat unter Regie- richtig für die Zukunft des Landes; denn nur so sind wir rungsbeteiligung der FDP los. den Risiken der Globalisierung gewachsen. Es reicht nicht aus, zu sagen, Globalisierung ist unsere Chance (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil und unser Schicksal. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, [SPD]: Was war denn mit Kohl?) dass Leute, die die Gefahren und Risiken der Globalisie- Deutschland hatte 20 Jahre lang eine solide Finanzpoli- rung besonders zu tragen haben, von uns unterstützt und tik. Der Dammbruch bei den Schulden begann seinerzeit gefördert werden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundes- in der sozialliberalen Koalition. wirtschaftsminister eine Politik betreibt, die vor diesem Hintergrund darauf abzielt, den Mittel- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja Kabarett!) stand zu entlasten und Bürokratie abzubauen. Damit 18672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Staatsminister Erwin Huber (Bayern) (A) wird die Position von kleinen und mittleren Unterneh- (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- (C) men im Wettbewerb gefestigt. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil – Dazu komme ich gleich. – Wir müssen vielmehr dafür [SPD]: Den Seehofer noch loben! Nicht ver- sorgen, dass das Energieangebot nicht reduziert wird. gessen!) Wer in einer Zeit von zurückgehenden Ressourcen und steigenden Preisen am Ausstieg aus der Kernenergie Es war richtig, dass die Koalition zum 1. Januar 2008 festhält, der verknappt das Angebot, treibt die Energie- die Unternehmensteuerreform in Kraft gesetzt hat. preise in die Höhe und macht uns abhängig. Herr Westerwelle, es entspricht nicht der ganzen Wahr- heit, wenn Sie die dazu notwendige Gegenfinanzierung (Hubertus Heil [SPD]: Nehmen Sie auch den hier einfach nur als Steuererhöhung abtun. Es wäre ohne Atommüll?) Gegenfinanzierung nämlich nie möglich gewesen, den Das ist falsch. Dieser Beschluss muss korrigiert werden, durchschnittlichen Körperschaftsteuersatz auf unter meine Damen und Herren. 30 Prozent zu senken. Sie lassen sich gerne für Steuer- senkungen loben, verschweigen dabei aber, dass diese (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil Maßnahmen auch bestimmte Gegenfinanzierungen er- [SPD]: Nehmen Sie auch den Atommüll?) forderten. Der Weg, den wir gegangen sind, war richtig, Wenn wir die Bezieher niedriger Einkommen entlas- um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen. ten wollen, sollten wir, so meine ich, die Pendler entlas- (Beifall bei der CDU/CSU) ten. Es sind nicht ein Siebtel der Arbeitnehmer, sondern rund ein Drittel, nämlich 11 Millionen, die von der Wie- Ich begrüße es sehr – dafür bedanke ich mich auch bei dereinführung der alten Pendlerpauschale profitieren der CDU/CSU-Bundestagsfraktion –, dass mit dem in würden. Ich mache mich in Bezug auf das, was wir 2006 München, also am richtigen Ort, geschnürten Entlas- beschlossen haben, gar nicht aus dem Staub. tungspaket ein Weg eingeschlagen wurde, der diese Poli- tik auch in Zukunft fortsetzt. Zum 1. Januar 2009 werden (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Pro- NEN]: Warum machen Sie das erst jetzt?) zent reduziert. Dies entlastet Arbeitnehmer und Arbeit- Das war notwendig, weil sonst eine Konsolidierung der geber. Damit werden die Beitragszahler, die Arbeitgeber Bundesfinanzen nicht möglich gewesen wäre. Da es aber und die Arbeitnehmer, im Vergleich zum früheren Satz heute eine verbesserte Situation gibt und da die Spritkos- von 6,5 Prozent um 25 Milliarden Euro im Jahr entlastet. ten stark gestiegen sind, sind wir der Meinung, dass die Das ist die richtige Politik, meine Damen und Herren. existenzsichernde Fahrt zum Arbeitsplatz steuermin- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) dernd geltend gemacht werden muss. (D) Ich begrüße es auch, dass wir zum 1. Januar 2009 das (Beifall bei der CDU/CSU) Kindergeld erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Ich habe für die CSU ein Steuerentlastungskonzept den Betrag von 10 Euro genannt. Das ist wichtig und über 28 Milliarden Euro vorgelegt. war notwendig, da es lange Zeit nicht erhöht wurde. Der Forderung von Teilen der SPD, stattdessen doch lieber (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 25 000 Kindergärtnerinnen einzustellen, entgegne ich: NEN]: „Konzept“ ist das falsche Wort!) Es kann nicht sein, Familieninteressen in dieser Form – Das nervt Sie; das freut mich. Da unterscheiden wir gegeneinander auszuspielen, meine Damen und Herren. uns. Die Grünen wollen die Energiesteuern erhöhen und (Beifall bei der CDU/CSU) damit die Menschen belasten. Für uns ist es gleichermaßen notwendig, Möglichkeiten (Beifall bei der CDU/CSU) zur Kinderbetreuung zu schaffen und Familien zu entlas- Die SPD-Linke will die Erbschaftsteuer verdreifachen ten. Man kann nicht einer alleinerziehenden Mutter mit und die Vermögensteuer neu einführen, und die Linke ist zwei Kindern, die jetzt unter den hohen Energiepreisen mit Steuerbelastungen von 100 Milliarden Euro und zu leiden hat, die ja nicht um 3, sondern um 10 bis mehr sowieso jenseits aller wirtschaftlichen Vernunft; 30 Prozent gestiegen sind, damit kommen, dass in ihrer das würde den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Nachbarschaft ein Kindergarten gebaut wird. Diese Frau Landes herbeiführen. muss unmittelbar entlastet werden. Das ist wichtiger Be- standteil einer familienfreundlichen Politik. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Wir haben gesagt, das Konzept ist notwendig für ei- nen mittelfristigen Pfad. Das Konzept ist nicht eine Ent- Hubertus Heil [SPD]) lastung für ein Jahr, Wir werden mit den Verbesserungen im Bereich des (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Wohngeldes die Bezieher von niedrigen Einkommen GRÜNEN]: Das ist überhaupt keine Entlas- von den höheren Ausgaben aufgrund der steigenden tung, weil Sie es nicht umsetzen werden!) Energiepreise zumindest teilweise entlasten. Das ist rich- tig. Wir können selbstverständlich nicht den Preisbil- sondern für 2009, 2010 und 2012. Denn wir wollen, dass dungsprozess beeinflussen. Hier ist der Staat im Grunde die heimlichen Steuererhöhungen über die kalte Progres- ohnmächtig. sion eingegrenzt werden. Es kann nicht sein, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18673

Staatsminister Erwin Huber (Bayern) (A) Mittelschicht immer mehr belastet wird, weil sich infla- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) tionsbedingt beispielsweise ihr Bruttoeinkommen erhöht Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gregor und damit der Grenzsteuersatz immer mehr steigt. Gysi das Wort. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der GRÜNEN]: Sie sind in Berlin an der Regie- CDU/CSU: Oh! – Jürgen Koppelin [FDP]: Ich rung!) dachte, Herr Seehofer hätte eine Kurzinterven- tion angemeldet!) Wir müssen gerade in einer Situation, in der die kon- junkturelle Lage schwieriger wird, die arbeitenden Men- schen, die Leistungsträger, den Mittelstand, die Hand- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): werker, die Arbeitnehmer, mittelfristig entlasten, damit Herr Huber, Sie hören, die Begeisterung ist nicht ganz von ihnen ein positiver Beitrag für die Konjunktur aus- so groß wie bei Ihnen; aber den Beifall nach Ihrer Rede geht. fand ich unverdient. (Beifall bei der CDU/CSU) Lieber Kreuzritter Huber, bei Ihrem Kreuzzug gegen die Linke sind Sie, als Sie auf Berlin und bestimmte Das ist – das möchte ich ausdrücklich unterstreichen – Zahlen verwiesen, in Ihre eigene Grube gefallen. Sie ha- ein wichtiger Beitrag auch im Zusammenhang mit der ben es verabsäumt, darauf hinzuweisen, dass wir nur Erbschaftsteuer. Wer jetzt eine so gewaltige Erhöhung deshalb in die Regierung gekommen sind, weil es vor- der Erbschaftsteuer politisch in den Raum stellt wie die her, verursacht von der CDU, die größte Bankenkrise in SPD, der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gege- ben hat. (Joachim Poß [SPD]: Was denn? Was hat denn die SPD gemacht? Das ist doch Unsinn! Das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- waren einige aus der SPD!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier der verschreckt den Mittelstand. [fraktionslos] – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist leider wahr!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Stadt war so etwas von pleite, dass es gar keinen an- Herr Staatsminister, darf ich Sie darauf aufmerksam deren Weg mehr gab, als uns zu wählen und mit in die machen, dass das Licht vor Ihnen das Ende der Redezeit Regierung zu nehmen. Schritt für Schritt befreien wir die (B) signalisiert? Stadt daraus. (D) (Hubertus Heil [SPD]: Ende der Regierungs- So wie die CDU in Berlin bewiesen hat, von Geld zeit! Letzte Rede im Bundestag!) nichts zu verstehen, haben auch Sie in Bayern mit Ihrer Landesbank bewiesen, nichts von Geld zu verstehen. Das ist das ganze Problem. Erwin Huber, Staatsminister (Bayern): Ich trage noch zwei Gedanken vor: Erstens. Wir müs- Danke schön. sen dafür sorgen, dass im Mittelstand, der sein Leben (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lang arbeitet, spart und investiert, kein einziger Betrieb neten der SPD und der FDP und des Abg. Gert und kein einziger Arbeitsplatz durch die Erbschaftsteuer Winkelmeier [fraktionslos] – Jürgen Koppelin gefährdet wird. [FDP]: Herr Seehofer hat sich auch zu einer (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Kurzintervention gemeldet!) Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war hoffentlich Ihr letzter Auftritt hier! Der Erwin Huber, Staatsminister (Bayern): 28. September wird hoffentlich bedeuten, dass Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich das Ihr letzter Auftritt war!) brauche nur auf ein Faktum hinzuweisen: Bei der letzten Zweitens begrüße ich, Frau Bundeskanzlerin, die Bil- Wahl in Berlin hat die Linke gewaltig verloren. Das ist dungsrepublik Deutschland. Wir werden aus Bayern un- der richtige Weg. seren Beitrag dazu leisten, dass jedes Kind eine gute (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Chance hat. Die Qualifikation der Menschen ist das LINKEN) Beste für die wirtschaftliche Zukunft. Deshalb gehen wir mit Mut und Kraft entschlossen in die Zukunft. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich danke Ihnen. Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Kauder das Wort. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Geh mit Gott, aber geh! – Jerzy NEN]: Der ist doch gar nicht angegriffen wor- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab- den! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schied! Wiederschauen!) GRÜNEN]: Das geht nicht!) 18674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

(A) Volker Kauder (CDU/CSU): wie Herr Seehofer schweigend hier sitzt, dann weiß ich: (C) Herr Kollege Gysi, Fakten des heutigen Tages haben Erwin Huber hat kein gutes Schicksal vor sich. mich nach dem, was Sie hier gesagt haben, herausgefor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dert, Sie im Deutschen Bundestag mit etwas zu konfron- der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- tieren, was eine Ungeheuerlichkeit ist. Wir haben dafür SES 90/DIE GRÜNEN) gesorgt, dass für Hunderttausende von Menschen das Wohngeld erhöht wird. Wir wollen, dass dieses Geld Da hilft alles nichts, da kann man ein noch so großes auch ankommt. Der Berliner Senat, in dem Ihre Partei Maulheldentum hier betreiben. mitregiert, sorgt dafür, dass noch 23 000 Menschen auf Als Bayer sollte man, gerade weil es uns momentan die Erhöhung des Wohngeldes in diesem Jahr warten. durchaus nicht schlecht geht, eher ein Stück Bescheiden- Kümmern Sie sich einmal darum! Es ist unsozial, Herr heit haben. Wir hatten in der Geschichte unseres Landes Gysi, was Sie da machen. Zeiten, da haben uns andere Länder geholfen, vor allem (Beifall bei der CDU/CSU) Nordrhein-Westfalen. Wehe dem, der dann, wenn ihm selber geholfen ist, auf die anderen mit Arroganz und Dort, wo Ihre Partei wie hier in Berlin an einer Regie- Besserwisserei antwortet! rung beteiligt ist, bekommen die Menschen das Geld nicht, das ihnen zusteht, das wir beschlossen haben. Das (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie ist unsozial. Dafür sind Sie verantwortlich. bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich möchte keine Kurz- Das ist kein Stil. Dies wird sich rächen. intervention halten! – Jürgen Koppelin [FDP]: Auch wir in Bayern befinden uns darüber hinaus nicht Aber Huber soll noch einmal reden! Herr auf der Insel der Seligen. Ich möchte nicht wissen, was Seehofer hat sich zu einer Kurzintervention auf Finanzminister Huber angesichts der von ihm so vor- gemeldet!) züglich verwalteten und so vorzüglich mit Kreditgaran- tien versehenen Landesbank zukommt. Ich möchte nicht Vizepräsidentin Petra Pau: wissen, was bei den Lehman Brothers alles gelaufen ist. Wer so tut, als würde bei uns Manna vom Himmel fallen Das Wort hat jetzt erst einmal wieder die Präsidentin, oder als würde es wie bei Frau Holle Gold regnen – Ki- welche einen Fehler gemacht hat. Da Herr Kauder nicht keriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie! –, der tut direkt angegriffen und angesprochen wurde, dem Land keinen Gefallen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich!) (B) (Beifall bei der SPD und der FDP) (D) hätte ich an dieser Stelle keine Kurzintervention zulas- Ich höre immer wieder: Wir sind schuldenfrei. – sen dürfen. Das ist richtig. Angeberei! In der Buchhaltung vielleicht schon, wenn (Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE] meldet ich aber durch die Städte und Gemeinden und über die sich zu einer Kurzintervention) Dörfer ziehe, höre ich, wie viele Städte und Gemeinden auf Zuschüsse warten, und zwar so lange, bis die Kosten – Jetzt wird die Präsidentin diesen Fehler nicht fortset- für die Zwischenfinanzierung den Zuschusswert fast auf- zen. Deshalb werden jetzt keine weiteren Kurzinterven- gefressen haben. Daher sage ich: Herr Huber, machen tionen und Antworten mehr zugelassen. Sie sich erst schuldenfrei gegenüber Städten, Gemein- den, Vereinen und allen anderen Zuwendungsempfän- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Schade!) gern. Dann können Sie hierherkommen, den Auf- Wir setzen jetzt mit der Rednerliste fort, auch wenn das schwung markieren und angeben. der eine oder die andere bedauert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die der LINKEN) SPD-Fraktion. Daheim heimlich Schulden zu haben, aber mit Arroganz andere zu belehren, das haut nicht hin. (Beifall bei der SPD) Wir hören vom Marsch in den Schuldenstaat. Die Ludwig Stiegler (SPD): CSU hat schon immer gesagt: Nur wenn wir Schulden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der machen, sind es gute Schulden; wenn andere das ma- CSU-Vorsitzende hat hinter der Maske des bayerischen chen, ist das der blanke Sozialismus. Der frühere bayeri- sche Wirtschaftsminister August Lang hat mir einmal Finanzministers eine etwas angeberische Rede gehalten. gesagt: Alles, was wir machen, ist soziale Marktwirt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker schaft. Was ihr macht, ist kruder Kommunismus. Kauder [CDU/CSU]: Oh!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich erinnere: Der letzte CSU-Vorsitzende hat zu uns in Das ist das Weltbild der CSU. Sie können die Dinge der Maske des Ministerpräsidenten geredet und immer eben doppelt sehen. Sie sehen sich in ihrer vollen gesagt: Die Bayern sind die Besten, die Größten und die Scheinheiligkeit. Schönsten. – Es hat ihm nichts geholfen. Huber und Beckstein haben ihn von hinten erdolcht. Wenn ich sehe, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18675

Ludwig Stiegler (A) Sie sehen den Splitter im Auge des anderen, aber nicht sen. – Wer sich in einer Mannschaft so benimmt, steigert (C) den Balken im eigenen Auge. Wer behauptet, nach zwei seine Beliebtheit nicht. Maß Bier noch nüchtern zu sein, dem kann so etwas schon einmal passieren. (Beifall bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ihr schießt Eigentore! Lieber Tor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als Eigentor!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es werden immer Dinge versprochen, die nicht in Ord- Wir werden den Kernenergiefetischismus in Bayern nung sind. Dabei weiß man: Die CSU rennt immer Papp- nicht mitmachen. kameraden ein. (Beifall bei der SPD) Nehmen wir den Gesundheitsfonds. Da erzählen Sie lange, die Welt gehe unter, wenn der Gesundheitsfonds Wenn die Kernenergie wirklich so günstig wäre, müss- kommt, obwohl alles verabredet ist. Am Ende müssen ten die Stromkosten in Bayern halb so hoch sein. Wenn Sie dann klein beigeben; dann ist es vorbei. Sie wollen die Kernenergie so vorteilhaft wäre, müsste das so sein. halt die Landtagswahlen überstehen. Sie wollen den Ein- Ich sage Ihnen auch: Was ist das für eine Nachbarschaft, druck erwecken: Wir sind die Größten. Schon bei der wenn der eine den Mist aus seinem eigenen Garten im Kommunalwahl war es so. Da wollten Sie die Krise bei Garten des anderen entsorgt? Wer seinen Mist nicht der Landesbank nicht offenbar werden lassen. Es war selbst entsorgen kann, kann nicht sagen: Die Nieder- saudumm, dass es dieses Versehen bei der Kommunika- sachsen sollen ihn nehmen; wir wollen ihn bei uns nicht tion gab. Jetzt werden Pappkameraden aufgebaut. Das ist haben. Das geht nicht. Das ist unanständig. Betrug an den bayerischen Wählerinnen und Wählern. Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Jetzt, wo die Ener- gieunternehmen die erneuerbaren Energien für sich ent- Wir sagen ihnen die Wahrheit, zum Beispiel dass wir decken und bereit sind, zu investieren, sollten wir die mit der Erbschaftsteuer niemanden überfordern. Es Chance nutzen, uns von fossilen Energien und der Kern- stand sogar in den Wahlprogrammen beider Parteien, energie unabhängig zu machen und das Land zu entwi- dass wir stunden wollen und dass wir denen, die Arbeits- ckeln. Die erneuerbaren Energien sollen durch die Nut- plätze schaffen, im Gegensatz zu allen anderen den zung intelligenter Netze grundlastfähig werden. Michael Übergang erleichtern wollen. Dazu, dass manche von Glos hat einen Förderbescheid vergeben. Wir sollten denen glauben, sie müssten überhaupt keine Steuern diese Chance nutzen, und zwar jetzt. Je früher, desto bes- zahlen und das sollten nur die Arbeiter, die Angestellten (B) ser. Man sollte nicht warten und die veraltete Kernener- und die Beamten, hat uns das Bundesverfassungsgericht (D) gie finanzieren. deutlich gemacht: Das geht nicht. Das soll auch nicht ge- hen, weil es nicht gerecht wäre. Kein Arbeitsplatz wird (Beifall bei der SPD) aufgrund der Erbschaftsteuerreform scheitern. Es ist erstaunlich, wie „konsequent“ die CSU ist. Als (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Tschechen in Temelin mit westlicher Technik ein Darauf können sich die Menschen verlassen. Sie brau- Kernkraftwerk gebaut haben, da hat sie sich verhalten chen dazu keine schwarzen Zusagen. wie die Laus am Strick. Sie hat so getan, als ob ganz Niederbayern gefährdet wäre. Die Kraftwerke in Ohu (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ sind aber ein Wunderwerk der Technik! So etwas kann CSU]: Doch! Eben darum!) man als schizophren bezeichnen, aber nicht als moderne Entwicklungspolitik. Ähnlich verhält es sich mit den Pendlern. Da hat die CSU ja Pirouetten gedreht; eine Achterbahn am Okto- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten berfest ist ein Dreck dagegen. der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Herr Huber kommt mit Steuervorschlägen und ande- Denn schon Theo Waigel hatte damit begonnen, die ren Ideen. Er ist ein Abstauber. Pendlerpauschale abschaffen zu wollen. Das waren (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE – Stichwort Professor Bareis – die berühmten Petersber- LINKE]: Abschreiber!) ger Beschlüsse. Dazu gab es schon einmal einen Gesetz- entwurf. Dann hat man sie wieder eingeführt, dann wie- – Ein Abstauber. Zu einer Sache, die von der Großen der abgeschafft. Es war also ständig ein Zick und Zack Koalition ohnehin aus gesetzlichen Gründen beschlossen und Zack und Zick. Immer vor den Wahlen hat man ge- werden muss, möchte er sagen: Ich habe das Tor ge- sagt: Da hat man einen wunderbaren Lockvogel, den hält schossen! Ich habe das gefordert! man hin, dann kriegt man einen Gelust, und nach den Wahlen hat man es wieder vergessen. Wer da auf die Zu- Wir alle wissen: Der Existenzminimumsbericht sagen baut, hat auf Sand gebaut. Ich baue da auf das kommt. Wir alle wissen, dass daraus Folgerungen zu zie- Bundesverfassungsgericht, das eine steuergerechte Ent- hen sind. Wir als Koalition – im Übrigen auch die Kolle- scheidung treffen wird. Wer sich auf die CSU verlässt, gen von der CDU – sind diszipliniert genug, zu sagen: ist verlassen, wie er bisher verlassen war. Wir warten auf den gemeinsamen Erfolg. Aber dieser Kerl kommt daher und sagt: Ich habe das Tor geschos- (Beifall bei der SPD) 18676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Ludwig Stiegler (A) Wir in der Großen Koalition sollten zum gemeinsa- Herr Huber, vor diesem Hintergrund möchte ich die (C) men Erfolg stehen. Programmatik, die Frau Merkel in der Bildungspolitik propagiert, mit dem Versagen Ihrer Staatsregierung in (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt der der Praxis konfrontieren; das kann man durchaus tun. Staatsmann!) (Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ Wer immer nur selber glänzen will, ist kein Mann- CSU]: Ach! Was soll denn das? Muss das schaftsspieler. Ich denke, gerade mit den Koalitionsfrak- wirklich sein?) tionen machen wir es richtig. Deshalb kann es nicht im Interesse unserer CSU-Kollegen sein, dass da so ein An- Frau Merkel hat zu Recht davon gesprochen, dass wir geber aus München kommt, Brotzeit daherredet die frühe und individuelle Förderung von Kindern in den Mittelpunkt rücken müssen. Als wir das in Bayern (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) früher gefordert haben, haben Sie uns diffamiert und be- und so tut, als ob er die Welt einreißen könnte. hauptet, wir wollten die Kinder verstaatlichen. (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- (Zurufe von der SPD: Ja! – Genau! – So war NIS 90/DIE GRÜNEN]) das!) Wir haben schon erlebt, dass so geredet Eine frühe und individuelle Förderung von Kindern ist hat. Alle Angeberei hat ihm nicht geholfen. Erwin Huber aber nur dann möglich, wenn es ein gutes Angebot an wird es auch nicht retten. Das nächste Mal werden wir Krippenplätzen und Kindergärten gibt und wenn man, einen anderen Angeber erleben. Aber wir sind Kummer wie es in den sozialdemokratisch geführten Ländern gewohnt. nach und nach getan wurde, auch dafür sorgt, dass die Kindergärten beitragsfrei gestellt werden. Hier haben Sie (Beifall bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer vollständig versagt. [CDU/CSU]: So einen wie euren Maget? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Maget wird es (Beifall bei der SPD) nicht sein!) Ich gehe in der Bildungskette einen Schritt weiter. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass alle Menschen Vizepräsidentin Petra Pau: im Leben eine Chance brauchen. In Bayern gibt es Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil aus der SPD- Landkreise, in denen 23 Prozent eines Jahrgangs keinen Fraktion. Schulabschluss haben.

(B) (Beifall bei der SPD) (Dr. h. c. [CDU/CSU]: Das (D) ist doch totaler Quatsch!) Hubertus Heil (SPD): Es gibt in Bayern Landkreise, in denen es nicht einmal Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich das Angebot einer gymnasialen Oberstufe gibt. möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass wir ei- gentlich über den Kanzleretat und die Rede der Kanzle- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ein Quatsch! rin sprechen. Wovon reden Sie denn da?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wenn wir wirklich wollen, dass nicht die soziale Her- Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ein guter Hin- kunft bzw. der Geldbeutel der Eltern über die Bildungs- weis!) und Lebenschancen der Kinder entscheidet, dann gilt es, in Bayern eine andere Politik zu machen; denn in der – Das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle. Bildungspolitik haben Sie komplett versagt. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja, klar!) (Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ Frau Merkel hat sehr viel über Bildung gesprochen. CSU]: Sie haben von Bayern doch gar keine Ahnung, Herr Heil!) Als Sozialdemokrat freue ich mich natürlich, wenn sich Christdemokraten der sozialdemokratischen Program- Erreichen dann aber einige Schulabgänger in Bayern, matik verbal anpassen. Das ist eine gute Sache, sowohl wenn auch im Vergleich zu anderen Bundesländern viel in der Familien- als auch in der Bildungspolitik. zu wenige – die Abiturientenquote ist in Bayern am niedrigsten –, hohe oder sogar höchste Abschlüsse, (Beifall bei der SPD) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wissen Sie Ich sage aber sehr deutlich: Die Tatsache, dass der überhaupt, wo Bayern liegt?) Bildungsgipfel in Dresden stattfindet, sollte uns an einen Schriftsteller erinnern, der in Dresden geboren wurde, haben Sie für diesen Personenkreis zusätzliche Hürden später in Berlin gelebt und auch in München gewirkt hat; errichtet. Denn Sie verlangen in Ihrem Bundesland Stu- dort ist er auch gestorben. Die Rede ist von Erich diengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester, und Kästner. Er hat den schönen Satz geprägt: „Es gibt nichts das, ohne zumindest ein Stipendienwesen aufgebaut zu Gutes, außer man tut es.“ haben; das wäre eigentlich das Mindeste, was Sie hätten tun müssen, wenn Sie schon diesen falschen Weg ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schlagen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18677

Hubertus Heil (A) Ich nenne diese Fakten, weil sie ein frappierendes (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- (C) Licht darauf werfen, wie bei Ihnen Reden und Handeln NIS 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: auseinander klaffen. Na ja! Halbwegs schon! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum (Beifall bei der SPD) nicht? Das ist doch offensichtlich!) Man kann nicht in Berlin mit schönen Worten über das Allerdings muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich vom Thema Bildung reden, aber dort, wo man Verantwortung Geist der Bayerischen Verfassung, die nach dem Krieg trägt – die CSU also im Freistaat Bayern –, in dieser von Christdemokraten, Christlich-Sozialen und Sozial- Form versagen. demokraten zur Grundlage unserer wirtschaftlichen, de- Herr Staatsminister, man kann auch das, was die Bun- mokratischen und sozialen Ordnung gemacht wurde, deskanzlerin in ihrer Rede zum Thema Mindestlöhne von der Geschichte und vom „S“ im Namen Ihrer Partei gesagt hat, nicht befürworten, dass wir Mindestlöhne – sie heißt ja nach wie vor CSU – sehr stark distanziert. nämlich wie verabredet durchsetzen werden – uns hat Das ist keine gute Idee. Das können wir momentan daran das natürlich gefreut –, und Mindestlöhne in Bayern als erkennen, dass Ihnen – hier hat Herr Westerwelle recht; sozialistischen Unsinn bezeichnen. das hat er schön formuliert – bestimmte Körperteile auf Grundeis gehen. Daher glauben Sie, Ihre Muskeln hier in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Berlin spielen lassen zu müssen. Ich habe einmal in der Bayerischen Landesverfassung (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE geblättert. GRÜNEN]: Und eine Maß nach der anderen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist sinnvoll! zu trinken!) Sehr gut!) Die Wahrheit aber ist: Sie setzen sich mit dem, was In Art. 123 geht es um ein Thema, das uns sehr wohl be- Sie sagen, gar nicht durch. Das wäre auch nicht gut. Dass Sie Frau Merkel auf Ihrem CSU-Parteitag auf den kannt ist – ich zitiere wörtlich –: Leim gegangen sind und das sogar noch gut finden, ist Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zweck, die An- ein erstaunlicher Vorgang. Herr Staatsminister, ich muss sammlung von Riesenvermögen in den Händen Ihnen sagen: Mit Edmund Stoiber war es wenigstens lus- Einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Ver- tig. wandtschaftsverhältnis zu staffeln. (Heiterkeit bei der SPD) Das steht in der Landesverfassung, Herr Staatsminister, Wir erleben jetzt, dass Sie als die bajuwarische Ausgabe auf die Sie einen Eid geleistet haben (B) der Kaczynski-Brothers, nämlich Beckstein und Huber, (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit bei der SPD) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Genau! Da offensichtlich nicht mehr die Autorität haben, die früher steht nichts von Millionären, die am Starnber- Staatsparteien hatten. Das kennen andere Parteien auch. ger See leben! – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- Im Herbst 1989 begannen die Leute, sich darüber lustig NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht kennt Herr zu machen, was da so ist. Huber die Bayerische Landesverfassung Ich sage Ihnen: Dieser Freistaat Bayern gehört keiner nicht!) Partei, auch nicht Ihrer Partei, er gehört auch nicht mei- Ich bin wie Frau Merkel der Meinung: Wenn in Bay- ner Partei, er gehört den Menschen. ern etwas gut ist, dann kann man auch in Berlin daraus (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf die Idee ist lernen. Daher möchte ich einen weiteren Artikel der noch gar keiner gekommen!) Bayerischen Landesverfassung zitieren. Diese werden darüber entscheiden, wie es in Bayern (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Lesen Sie uns weitergeht. Die Zeit Ihrer absoluten Mehrheit wird in ei- jetzt etwa noch etwas über die Todesstrafe nigen Tagen vorbei sein. Das ist gut für Bayern. vor?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In Art. 169 Abs. 1 steht: der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne fest- GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ernst Hinsken gesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den je- [CDU/CSU]) weiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende – Herr Hinsken, Sie sind doch eigentlich ein Lieber. Be- Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie er- ruhigen Sie sich wieder. möglichen. Wir wollen und wir werden in dieser Verantwortung, Das ist großartig! in der wir stehen, in dieser Bundesregierung weiter ar- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem beiten. Das ist nicht immer leicht bei einer Drei-Par- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teien-Konstellation, Herr Westerwelle. CDU, SPD und CSU sind nun einmal drei Parteien. Trotzdem sage ich, Herr Huber, ich will Ihnen nicht unterstellen, dass die dass wir zu dem stehen, was wir im Koalitionsvertrag CSU verfassungsfeindlich ist. vereinbart haben. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die 18678 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Hubertus Heil (A) nach der bayerischen Landtagswahl anzugehen sind, weiterzumachen, an der mein Kollege Heil aufgehört (C) nämlich die Umsetzung von Mindestlöhnen, die Frage hat. Ich möchte aber auch etwas hochhalten. Für die SPD der Krankenhausfinanzierung, die Diskussion um die ist Kultur Lebensmittel. Sie ist weder aus dem täglichen Umsetzung der Erbschaftsteuer usw. Was vereinbart Leben noch aus dem Bundeshaushalt wegzudenken. worden ist, muss genauso gelten wie das, was das Ver- Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Kultur in die- fassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat. ser Debatte zur Sprache kommt, weil sie nämlich im Kanzleramt verankert ist und dort eine prominente Rolle Es gibt eine Fülle von Dingen zu tun. Auch in diesem spielen muss. Davon ist bei den anderen Parteien heute Zusammenhang gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut leider nichts zu sehen. Das finde ich schade. Ich werde es. Wir dürfen uns nur nicht von der schwierigen Situa- aber hier für alle die Fahne hochhalten. tion, in der die CSU am Tag nach der bayerischen Land- tagswahl sein wird, aus dem Tritt bringen lassen, wenn Zur Sache. Viel Verwirrung hat es in den vergangenen jemand anders Verantwortung trägt. Das ist klar. Deshalb Tagen um die Künstlersozialversicherung gegeben. erkläre ich, dass wir zu dieser Koalition stehen. Baden-Württemberg hat im Bundesrat eine Initiative zur Ich sage das sehr deutlich, weil die Menschen von uns Abschaffung der Künstlersozialkasse eingebracht. Ei- erwarten, dass dieses Land gut durch die möglicherweise nige Länder haben sich irrtümlicherweise angeschlos- anstehenden Krisen aufgrund des rauen Wetters geführt sen. Es kann sich nur um einen Irrtum handeln. wird. Dass wir die Chance haben, die Schwierigkeiten zu Die von der sozialliberalen Koalition der 70er-Jahre bewältigen, hat Peer Steinbrück gestern deutlich ge- eingeführte Künstlersozialversicherung ist eine der macht. wichtigsten sozial- und vor allen Dingen kulturpoliti- Wir haben uns nicht von der Industrie verabschiedet, schen Errungenschaften, um Kultur- und Medienschaf- wie es uns einige vor einigen Jahren geraten haben. Wir fende abzusichern. Baden-Württemberg hat dabei leider sind nicht dem Rat auf den Leim gegangen, eine reine vollstes Kulturunverständnis bewiesen. Die anderen Mi- Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungsgesellschaft nisterpräsidenten müssen diesen Fehler jetzt schnellstens zu werden. korrigieren. In den USA ist das anders gelaufen. In den 80er-Jah- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren waren 18 Prozent der Wirtschaft von Finanzdienst- der LINKEN) leistungen abhängig. Heute sind es 40 Prozent. Deutsch- land hat sich damals – viel verspottet – daran gemacht, Klar ist: Bürokratische Hemmnisse müssen abgebaut seine industrielle Basis zu erhalten und zu modernisie- werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ren. Deshalb sind wir an diesem Punkt besser aufgestellt. und die im Beirat der Künstlersozialkasse vertretenen (B) Verbände sind gerade dabei, gemeinsame Lösungen zu (D) Wenn wir weiter so an dieser ökonomischen Basis ar- erarbeiten. Das nehmen wir ernst. Das und nicht die beiten, wenn wir begreifen, dass soziale Gerechtigkeit Holzhammermethode ist die richtige Art und Weise, hier und wirtschaftliche Dynamik keine Gegensätze sind, positiv etwas zu bewegen und nicht alle zu verunsichern. wie es einige erzählen wollen, sondern wechselseitige Bedingungen, wenn wir begreifen, dass jedes Kind, je- Die Förderung von Kultur und Medien durch den der Jugendliche und jeder Mensch in diesem Land ge- Bund, der sich hier mit mehr als 1 Milliarde Euro im In- braucht wird und deshalb die Ausgrenzung durch feh- land beteiligt, ist sinnvoll. Hinzu kommen noch einmal lende Bildungschancen nicht nur ungerecht ist, sondern 700 Millionen Euro im Rahmen der auswärtigen Kultur- auch ökonomisch ein Problem wird, wenn wir diesen und Bildungspolitik. Das ist auch wichtig. Man muss Weg gehen, wenn wir sozialen Aufstieg und Gerechtig- sich anschauen, wie das weitergeht. Hier wird ja immer keit in dieser Gesellschaft ermöglichen, dann ist mir wieder von der Kulturhoheit der Länder gesprochen. nicht bange um unsere Republik. Man muss einfach sehen: Diese senken ihre Kulturaus- gaben ständig. Der Bund ist der Einzige, der sie erhöht: Das gilt für Bayern, das gilt für Deutschland, und das Gegenüber 2008 beträgt der Aufwuchs im Haushalt des gilt speziell für die Arbeit dieser Großen Koalition. Wir Kulturstaatsministers 1,51 Prozent. Im Haushalt des werden weiterarbeiten. Im nächsten Jahr steht ein Wahl- Außenministers beträgt der Anstieg sogar 7,5 Prozent. kampf auf Bundesebene an. Dann geht es um die Frage, Damit machen wir deutlich, welche Bedeutung wir der wie es in Deutschland nach der Bundestagswahl weiter- Kultur und den Medien im In- und Ausland beimessen. geht. Dann sehen wir uns wieder. Ich wünsche mir sehr, dass sich die Ministerpräsiden- Herzlichen Dank. ten – insbesondere Peter Müller im Saarland, Peter (Beifall bei der SPD) Harry Carstensen in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen – einmal fragen, ob die finan- Vizepräsidentin Petra Pau: ziellen Mittel für die Kultur in ihren Ländern noch aus- Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die reichen, wenn sie schon immer auf ihrer Kulturhoheit SPD-Fraktion. beharren und sagen, dass der Bund irgendetwas nicht machen soll. Dann aber bitte auch Butter bei die Fische und Geld in den Etat! Monika Griefahn (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen (Hans-Joachim Otto [] [FDP]: Das und Kollegen! Mir juckt es in den Fingern, an der Stelle gilt übrigens auch für Herrn Beck!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18679

Monika Griefahn (A) – Er ist da relativ gut aufgestellt. Das kann ich Ihnen sich leider auch noch nicht im Haushalt wieder. Es geht (C) gleich raussuchen. zum Beispiel um die Erhöhung der Mittel für das freiwil- lige soziale Jahr in der Kultur und für den Fonds Sozio- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was heißt „rela- kultur. Diese Dinge müssen wir jetzt auch noch umset- tiv“?) zen. Damit haben wir noch einiges zu tun. Ich hoffe, Was tun wir im nächsten Jahr? Wir entwickeln das dass wir das gemeinsam hinbekommen. Konzept zur Gedenkstättenförderung weiter. Als SPD Wir haben aber auch ganz viel erreicht. Mit dem war uns dabei die Aufnahme der institutionellen Förde- Filmförderfonds haben wir zum Beispiel den Anteil des rung in den alten Bundesländern besonders wichtig, da- deutschen Films im Kino deutlich steigern können. Das mit zum Beispiel die Zahl der Führungen mit Schulklas- wollen wir weiterführen. In einem Zwischenschritt muss sen in den Gedenkstätten erhöht werden kann. So man jetzt aber prüfen, welche genauen Effekte mit die- erhalten diese dann auch Planungssicherheit für ihre Ar- sem Instrument der Filmwirtschaftsförderung erzielt beit. wurden, damit man dort auch noch einmal nachjustieren Wir wissen, wie wichtig gerade bei der historisch- kann. politischen Bildung die Besichtigung authentischer Orte ist, da wir ansonsten weiter Studien lesen werden, Vizepräsidentin Petra Pau: in denen das mangelhafte Wissen vieler junger Men- Kollegin Griefahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage schen – übrigens auch und gerade hinsichtlich der SED- des Kollegen Börnsen? Diktatur – offenbart wird. Das haben wir im fortge- schriebenen Konzept zur Gedenkstättenförderung nie- dergelegt. Die Sanierung von Haus 1 in der Normannen- Monika Griefahn (SPD): straße hier in Berlin, das in das Konzept eingebunden Im Moment möchte ich gerne weitersprechen. Herr werden soll, haben wir noch nicht erreicht. Wir wissen Kollege, das machen wir später. noch nicht, wie viele Kosten dadurch entstehen werden. Ich würde mich freuen, wenn wir hierfür zumindest ei- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dem nen Leertitel einfügen könnten, wie er auch für das Wolfgang die Frage verwehren? Das gibt es Deutsche Museum vorgesehen ist. doch gar nicht!) Ein weiteres Projekt, mit dem wir uns jetzt auch auf – Bitte schön. der Zielgeraden befinden, ist die Vereinbarung, auch in (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist sonst eine Berlin ein sichtbares Zeichen zu setzen, um im Geiste schlechte Debattenkultur!) (B) der Versöhnung die Erinnerung bzw. das Gedenken an (D) Flucht und Vertreibung wachzuhalten. Wir wollten das Das Problem ist, dass alle schon ganz ungeduldig auf in öffentlicher Trägerschaft gestalten; das war wirklich den Außenminister warten. Nur deshalb wollte ich die der sozialdemokratische Wunsch. Das wird jetzt gerade Frage nicht zulassen. vorangebracht. Wir wollen eine internationale Konferenz, damit wir Vizepräsidentin Petra Pau: die Grundlage der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, In- Jetzt hat der Kollege Börnsen das Wort zur Zwischen- tegration“ vom Haus der Geschichte weiterentwickeln frage. können und somit eine Dauerausstellung im Deutsch- landhaus erhalten; denn wir brauchen die Versöhnung mit den europäischen Nachbarn. Gerade deswegen wol- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): len wir, dass auch internationale Experten dabei sind, da- Verehrte Kollegin, ich möchte mich zuerst bei mei- mit diese Ausstellung wirklich der Versöhnung und nicht nem Kollegen Hans-Joachim Otto für die kollegiale Un- der Spaltung dient. terstützung bedanken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Du Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Warum brauchst sie!) blockieren Sie das dann?) Ich möchte mich aber auch bei Dir, Monika, für Dein An dieser Stelle möchte ich den neuen Intendantinnen Verständnis bedanken, doch eine Zwischenfrage zuzu- der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner und Eva lassen. Wagner-Pasquier, meinen Glückwunsch übermitteln. Sie wollen zusätzliche Projekte anpacken und die Festspiele Es klang ein wenig an – deswegen möchte ich nach- für weitere Menschen – vor allem auch für junge Men- fragen –, dass einige mit dem Aufschwung in diesem schen – erlebbar machen. Ich denke aber, es muss hier Bereich in den letzten drei Jahren nicht zufrieden sind. ganz deutlich sein, dass zusätzliche Mittel von außen Ist es nicht zutreffend, dass gerade der Kulturbereich mit und nicht aus dem Bundeshaushalt akquiriert werden einem Zuwachs von 7,6 Prozent in den letzten drei Jah- müssen. ren, also in jedem Jahr eine Zulage, die Unterstützung der Großen Koalition und ganz besonders der Kanzlerin Zum kulturellen Nachwuchs. Die kulturelle Bildung erfahren hat und dass gerade die Kanzlerin in ihrer Re- wurde in der Enquete-Kommission diskutiert, die ein- gierungserklärung deutlich gemacht hat, welchen Stel- stimmige Forderungen dazu vorgelegt hat. Dies findet lenwert die Kulturpolitik bei der Großen Koalition hat? 18680 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

(A) Monika Griefahn (SPD): viel einvernehmlich. Daher werden wir auch die letzten (C) Ich bin sehr dankbar – das habe ich am Anfang gesagt –, Hürden für die Lösung der anderen Probleme noch über- dass wir hier einen Zuwachs zu verzeichnen haben. Die winden. Kanzlerin war heute Morgen die Einzige, die zu diesem Herzlichen Dank. Themenkomplex etwas gesagt hat. Das finde ich richtig und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU)

Ich glaube, hier haben wir in der Großen Koalition gute Vizepräsidentin Petra Pau: Arbeit geleistet. Ich habe hervorgehoben, dass wir als Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Bund diesen Bereich hochhalten. Aber ihr müsst euren nicht vor. Ministerpräsidenten sagen, dass sie hier noch einmal nachbessern müssen; genau das ist der Punkt. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär- tigen Amtes, Einzelplan 05. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans- Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Alle Minis- Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, terpräsidenten, liebe Frau Kollegin! Nord- Dr. Frank-Walter Steinmeier. rhein-Westfalen hat sogar aufgestockt!) (Beifall bei der SPD) – In den drei Ländern, die ich aufgeführt habe, sind die Ausgaben für Kultur sehr niedrig. Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Ich komme zur Initiative Musik. Hier stellen wir seit Auswärtigen: zwei Jahren Mittel zur Verfügung. Inzwischen ist einiges Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und in Gang gekommen. Für das nächste Jahr erwarte ich die Herren Abgeordneten! In Deutschland und in Europa in unserem Antrag geforderte Evaluation der Initiative, werden Frieden und Stabilität als etwas empfunden, damit wir prüfen können, ob den Zielen des Bundestages was so selbstverständlich wie der Sonnenaufgang und mit den Förderrichtlinien entsprochen wird. Was noch das tägliche Brot ist. In vielen Teilen der Welt – das wis- fehlt, ist der Spielstättenprogrammpreis, der insbeson- sen Sie – ist das leider nicht der Fall. Die Neuvermes- dere an Jazzspielstätten vergeben werden soll. In dem sung der Welt, wie ich das nenne und wie Sie es alle er- Antrag haben wir hierzu noch weitere Wünsche formu- leben, geht leider mit neuen Unsicherheiten, Unruhe und liert. Ich erwarte da entsprechende Signale. Ich hoffe, vielen neuen, auch gewaltsam ausgetragenen Konflikten dass wir auch bei diesem Punkt weiterkommen. Ich einher. (B) (D) freue mich, dass wir im nächsten Etat auch die Medien- Ja, es ist richtig: Allgemeingültige Rezepte, nach de- forschung verankert haben. Hier muss man sicherlich se- nen wir fragen und suchen, um Frieden und Stabilität zu hen, was aus diesen Mitteln konkret finanziert wird. gewährleisten oder schnellstmöglich wieder herzustel- Ganz besonders freue ich mich – das habe ich am An- len, gibt es leider nicht. Deshalb muss sich kluge Außen- fang schon gesagt –, dass nach einer langen Durststrecke politik aus meiner Sicht noch mehr als in der Vergangen- mit unserem Bundesaußenminister Frank-Walter heit darauf konzentrieren, vorausschauend Risiken zu Steinmeier seit 2005 endlich das Interesse und die Wert- minimieren und Chancen zu erkennen und zu ergreifen, schätzung von Kunst und Kultur wieder in die Außen- wo immer die Verhinderung eines Konflikts möglich ist. politik der Bundesregierung eingekehrt sind. Wie ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagt, wir haben in diesem Haushaltstitel eine Steigerung der CDU/CSU) von 7,5 Prozent zu verzeichnen. Ich möchte mich an die- ser Stelle beim Außenminister ganz herzlich für sein per- Was braucht man dazu? Vor allen Dingen braucht sönliches Engagement bedanken; denn er hat das Ganze man richtige Analysen und – wo immer möglich – ein wirklich vorangebracht. unabhängiges Urteil. Dabei bedarf es der Fähigkeit, bei der ganzen Flut von Informationen und – das haben wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. gerade in der letzten Zeit wieder erlebt – Desinforma- Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) tionen die Übersicht zu behalten. In dieser immer un- Er hat im Ausland die Wertschätzung für diesen Bereich übersichtlicher werdenden Welt ist das in der Tat eine vorangetrieben, zum Beispiel die gemeinsame Neuauf- von Jahr zu Jahr immer anspruchsvollere Aufgabe. Das stellung des Goethe-Instituts und die Stärkung der deut- liegt daran, dass sozusagen die zynischen Gewissheiten schen Schulen im Ausland. Das wollen wir im nächsten des Kalten Krieges nicht mehr bestehen und die USA als Jahr mit einem Jahr der Außenwissenschaft fortführen. einzig verbliebene Supermacht an Ansehen eingebüßt Der Dialog mit anderen Kulturen funktioniert ganz ent- haben und aus den heute bereits genannten Gründen mit- scheidend über die Brücken von Studium und Wissen- ten in einer Finanzkrise stecken. Wie auch immer der schaft. Dieser Schwerpunkt rundet das Engagement in nächste Präsident der USA heißen wird, er wird jeden- diesem Bereich ab. falls die Führungsrolle der USA neu definieren und – darin bin ich mir sicher – verloren gegangene Autorität Ich denke, auf diesen großen Schritt können wir stolz zurückgewinnen müssen. sein. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen, weil wir gerade im Kul- Daneben gibt es neue Mächte. Wir reden von China turausschuss ein gutes Team sind. Wir beschließen sehr und Indien. Wer ein bisschen in der Welt herumkommt, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18681

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) weiß, dass das verkürzt ist. Hinzu kommen Mexiko und ren prägen werden. Einige wenige Sätze zu Europa: Die (C) Brasilien, langfristig vielleicht auch Südafrika und Viet- Vertragsmisere, die Tatsache, dass uns die Ratifizierung nam. Alle diese neuen Mächte suchen nach einer neuen des Lissabon-Vertrags – sie ist weiterhin notwendig – Rolle jenseits der alten Gewissheit in ständig neuen Inte- nicht gelungen ist, darf uns nicht den Blick dafür verstel- ressenkonstellationen. Das macht gegenwärtig vieles so len, dass die Europäische Union von den Außengrenzen schwer voraussehbar. her betrachtet nach wie vor das leuchtende Beispiel für Versöhnung, Stabilität, Zivilität, sozialen Ausgleich und Hinzu kommt, dass wir uns in einer sehr dynamischen inneren Frieden ist. Richard Sennett hat das gestern in Wachstumsphase befinden – deren Vorteile haben wir einem längeren Interview mit der Süddeutschen Zeitung heute Morgen beschrieben; deren Nachteile sehen wir aus der amerikanischen Perspektive geschildert. derzeit kraft mangelnder Regelungen für die internatio- nalen Finanz- und Kapitalmärkte –, die aber unzweifel- Wenn ich mir die jüngere Geschichte der Europäi- haft neben den Chancen auch Risiken vom Klimawandel schen Union anschaue, dann stelle ich fest, dass uns in bis hin zur Knappheit und Verteuerung von Energie und der Tat einiges nicht gelungen ist, an dem wir gearbeitet Rohstoffen mit sich bringt. haben. Aber nachdem ich vor ein paar Tagen Boris Tadic getroffen und mir vor Augen geführt habe, wie wir über Das führt uns in der Situation, in der wir jetzt – im das Verhältnis der Europäischen Union zum westli- September 2008 – miteinander diskutieren, zu der Fest- chen Balkan und insbesondere zu Serbien diskutiert stellung: Eine neue und tragfähige Balance für Frieden haben, und heute sehe, dass es mit einer ganz klugen und und Stabilität in diesem Jahrhundert ist uns noch nicht ausgewogenen Politik sowie sehr mutigen Demokraten gelungen. Daran müssen wir noch arbeiten. Ich sage das auf der serbischen Seite gelungen ist, nicht nur Europa bewusst in einer Generaldebatte jenseits der Einzelthe- zum Kernpunkt der innenpolitischen Auseinanderset- men, über die wir noch diskutieren werden, etwa im Zu- zungen in Serbien zu machen, sondern auch den gegen- sammenhang mit der Verlängerung des Afghanistan- über Europa aufgeschlossenen Demokraten zum Wahl- Mandats. Ich sage also vorweg, dass es mein Anspruch sieg zu verhelfen, und dass nun Stabilität in dem größten an die deutsche Außenpolitik ist, dass wir uns nicht in Land auf dem westlichen Balkan hergestellt wurde, dann der Unübersichtlichkeit des täglichen Klein-Kleins er- finde ich, dass das eigentlich ein guter Weg ist. Dieser schöpfen, sondern die langfristigen Linien und Heraus- wäre ohne Europa nicht zustande gekommen. forderungen in Erinnerung behalten. Ich wäre froh, wenn wir Gelegenheiten wie diese dazu nutzen würden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Trotzdem bleibt die vielfach geäußerte Mahnung rich- der CDU/CSU) tig: Am Ende wird die Stimme der Europäischen Union (B) nur gehört werden, wenn es uns gelingt, mit einer (D) Bei den Auseinandersetzungen im südlichen Kauka- Stimme zu sprechen. Daher ist in der Tat die Frage be- sus in diesen Tagen ist mir jedenfalls gewiss geworden, rechtigt: Sind wir schon so weit? Ist die Definition der dass das, was an Herausforderungen in der Außenpolitik gemeinsamen Interessen so weit fortgeschritten, dass sie auf uns zukommt, auch die menschliche Vernunft lang- uns wirklich zum gemeinsamen Handeln befähigt? Das fristig auf die Probe stellen wird. Sie ist nicht immer in ist nach wie vor eine berechtigte Frage, wie ich finde. so reichem Maße vorhanden, wie ich mir das wünsche. Wir haben gerade im Kaukasus-Konflikt erlebt – alle, Wenn wir mit Vernunft an die Außenpolitik herange- die an den Lösungen und Befriedungen beteiligt waren, hen, dann kann uns, glaube ich, etwas gelingen, was die haben das erfahren –, wie schwierig und anspruchsvoll neue Herausforderung mit sich bringt, nämlich neue das in einem Konflikt ist, in dem sozusagen über Nacht Mächte zu integrieren. Wir brauchen eine Außenpolitik, in wenigen Stunden Menschen zu Opfern wurden und die neue Formen der Zusammenarbeit erprobt, neue For- ihr Hab und Gut verloren haben. Wenn wir ehrlich sind, mate entwickelt und neue Instrumente bereitstellt. Wir haben viele von uns befürchtet, dass sich dieser Regio- dürfen nicht verdrängen – das ist sozusagen meine Bot- nalkonflikt zu einem Flächenbrand zumindest im gesam- schaft –, dass es neue Mächte auf der internationalen ten Kaukasus ausweitet. Ich will in aller Bescheidenheit Bühne gibt. Selbst wenn wir manchmal verzweifelt um und angesichts der Kritik an der europäischen Außen- Lösungen ringen, dürfen wir nicht auf Lösungsmuster politik, die ich gut kenne, darauf hinweisen, dass dieser zurückgreifen, die seit Ende des Kalten Krieges nicht Konflikt und das Sterben von Menschen im südlichen mehr zur Verfügung stehen. Das wäre eine trügerische Kaukasus beendet wurden, weil sich Europa der Sache Scheinsicherheit. angenommen hat, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der CDU/CSU) natürlich nicht ohne Unterstützung anderer; das weiß ich Es hilft nichts – ich kenne den beschwerlichen Weg –, sehr wohl. Aber man muss sich in Erinnerung rufen, dass wir müssen das erreichen, was ich eine globale Verant- es für den französischen Präsidenten als EU-Ratspräsi- wortungspartnerschaft nenne. Auf dieses Ziel müssen dent weiß Gott keine Selbstverständlichkeit war – aus wir Schritt für Schritt hinarbeiten. meiner Sicht war es eher ein Risiko –, ohne jegliche Er- folgsgarantien nach Tiflis und Moskau zu fahren und zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) versuchen, über Eckpunkte für einen Waffenstillstand zu Ich komme zu den wichtigsten Linien, die ich im Au- verhandeln. Ich finde es angesichts dessen schäbig – das genblick erkenne und die die Politik in den nächsten Jah- habe ich schon im Ausschuss gesagt –, in welcher Form 18682 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) an dem zwischen Herrn Sarkozy und Herrn Medwedew sicht, um die Ausbalancierung dieser neuen Gewichte (C) ausgehandelten Sechspunkteplan herumgemäkelt wird. gut hinzubekommen. Ich sage das nicht deshalb, weil ich Natürlich war er unvollständig; das sehen wir. Aber ist die Aufgabe unterschätze, sondern weil ich voraussehe, es nicht zynisch, zu argumentieren, die Europäer hätten dass wir Deutsche – die deutsche Außenpolitik – bei die- noch ein bisschen weiterverhandeln können und viel- ser Ausbalancierung gefragt sein werden, manchmal so- leicht wären in drei bis vier Wochen die letzten Details gar jenseits unserer Leistungsmöglichkeiten. bereinigt und geklärt gewesen, während die Menschen in Wir kommen als Partner für diese neue Ausbalancie- dieser Zeit weiter gestorben wären? Ich jedenfalls bin rung offenbar auch deshalb in Betracht, weil wir erstens froh darüber, dass jemand hingefahren ist, dass es ein wirtschaftlich viel zu bieten haben, zweitens über Erfah- Europäer war und dass der Sechspunkteplan zum Aus- rung in einer Friedensordnung, als die die Europäische gangspunkt dafür wurde, dass wir heute die Lücken in Union begriffen wird, verfügen und drittens – das ist für dem Dokument – allerdings bei Schweigen der Waffen – viele Länder Afrikas wichtig – keinen Schatten einer ei- füllen können. genen deutlichen kolonialen Vergangenheit mit uns he- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie rumschleppen. Das lässt erwarten, dass wir bei der Aus- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE balancierung dieser neuen Gewichte mehr denn je GRÜNEN) gefragt sein werden. Ich will da nichts beschönigen. Die Stationen und Si- Ich habe den Satz von in Erinnerung, der tuationen, die wir in den letzten drei, vier Wochen durch- gesagt hat: Außenpolitik bedeutet, die Welt mit den Au- lebt haben, haben wie in einem Brennglas gezeigt, dass gen des anderen zu sehen. – die 27 europäischen Mitgliedstaaten immer noch 27 na- (Beifall des Abg. Dr. tionale, emotionale und sehr unterschiedliche Erzählun- [SPD]) gen von der Geschichte ihrer Völker haben. Da wirkt die Geschichte vergangener Jahrhunderte, insbesondere des Ich sage ähnlich: Um kluge Außenpolitik zu machen, letzten Jahrhunderts, die Erinnerung an Kriege, an Be- muss man nicht die Perzeption des Gegenübers überneh- satzung, an systemischen und ideologischen Zwang so- men, aber man muss sie jedenfalls kennen und in die ei- wie an die Verhinderung von Eigenständigkeit und gene Positionierung mit einbauen. Selbstständigkeit. All das spielt eine Rolle beim Zusam- menwirken in Europa, und das wird uns noch eine ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten raume Zeit lang, über Jahre und Jahrzehnte, begleiten. der CDU/CSU) Es wird Teil der europäischen Außenpolitik sein, dies al- Wer das beherzigt – davon bin ich ganz fest überzeugt –, les zu wissen und gleichwohl immer wieder eine (B) der gibt nicht etwa irgendetwas auf, sondern der kann zu (D) gemeinsame europäische Außenpolitik neu zu kon- seinen Prinzipien und Positionen stehen, ohne anderen struieren. Völkern vom hohen Ross aus zu begegnen. Die zweite lange Linie betrifft das Verhältnis zu Das führt mich zur letzten Schlüsselfrage, die ich hier Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden kurz ansprechen will: Terrorismus. Der Terrorismus unser wichtigster Verbündeter bleiben. Was wir schon in birgt hier, in einer offenen Gesellschaft, Risiken, die wir Bezug auf andere gesagt haben, gilt erst recht für die alle uns gegenseitig viele Male beschrieben haben. Ich USA. Wir werden die USA für die Lösung aller im Au- will nicht auf Afghanistan im Einzelnen zu sprechen genblick erkennbaren wichtigen Probleme brauchen, kommen, aber daran erinnern, dass der Terrorismus der auch für unsere gemeinsame Sicherheit. Weil das so ist, Grund ist – der Jahrestag des 11. September liegt erst wünsche ich gerade mir eine besonders tragfähige, zu- wenige Tage hinter uns –, warum deutsche Soldatinnen kunftsfähige Beziehung zu den Vereinigten Staaten mit und Soldaten nach wie vor in Afghanistan sind. Meine einer Agenda einer – wie ich das einmal genannt habe – Bitte ist einfach – ich sage das mit Blick auf die Bemer- erneuerten transatlantischen Partnerschaft, in der Sicher- kungen von Fritz Kuhn von heute Morgen –, dass wir heit nach wie vor ihre wichtige und zentrale Rolle haben diese Debatte hier im Hohen Hause ehrlich miteinander wird, in der wir aber auch alle wichtigen und zentralen führen. Ich gehe davon aus, dass in keiner der Fraktionen Zukunftsfragen vereinbaren werden, von einer Techno- Mandate ein Selbstläufer sind. Jede Fraktion muss diese logiepartnerschaft im Klimaschutz über Regeln auf den Frage sorgfältig diskutieren, aber mit den richtigen Ar- internationalen Finanz- und Kapitalmärkten bis hin zu gumenten. Wir entscheiden über den deutschen Beitrag, einer gemeinsamen Abrüstungspolitik. Ich trete dafür und deshalb bitte ich Sie erstens, nicht das entgegenzu- ein, dass wir diese neue transatlantische Agenda mög- halten, was nach Ihrer Ansicht andere bei ihren Einsät- lichst bald mit viel Leben erfüllen. zen möglicherweise anders oder falsch machen. Zwei- tens bitte ich, in der Debatte, die wir im Detail noch zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führen haben, nicht entgegenzuhalten, dass man deshalb der CDU/CSU und des Abg. Dr. Werner Hoyer den Mandaten keine Zustimmung geben kann, weil wir [FDP]) eine neue Strategie brauchen. Wir haben oft – auch hier Die neuen Partner in der Weltordnung – China, In- an diesem Platz – über eine neue Strategie gesprochen. dien und viele andere – beanspruchen ihren Platz in der Ich will vorab nur sagen: Für diese neue Strategie mit ei- Weltgemeinschaft, und zwar einen Platz, der mindestens ner deutlichen Betonung unseres Engagements für den ihrem gewachsenen ökonomischen Gewicht entspricht. zivilen Aufbau ist diese Bundesregierung gemeinsam Wir brauchen viel außenpolitische Klugheit und Weit- eingetreten, auch in den NATO-Räten. Das kann ich für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18683

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Franz Josef Jung wie für mich sagen. Wir haben diese (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Strategieänderung hinbekommen. NEN]: In keiner Weise!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das gilt zwar nicht für 100 Prozent, aber für etwa zwei der CDU/CSU) Drittel seiner Anlagen. Ich jedenfalls bin froh darüber, dass der Konsens auch unter denjenigen, die, Jürgen Sie ist ablesbar, Fritz Kuhn, nicht nur in unseren eigenen Trittin, noch kritischer als wir waren, in der Nuclear Haushalten. Wenn man sich bei all den Mitgliedsländern Suppliers Group am Ende gefunden worden ist. umschaut, die in Afghanistan engagiert sind, wird man feststellen, dass der Anteil der Mittel für den zivilen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wiederaufbau deutlich angestiegen ist. Deshalb sage ich: der CDU/CSU) Lasst uns doch nicht einfach immer nur die alten Argu- Jetzt wird Monika Griefahn zum Abschluss wieder mente und Vorwürfe wiederholen, sondern lasst uns da- sagen: Nun haben wir über viele Themen gesprochen, von ausgehen, dass gelernt ist, dass militärische Präsenz aber nicht über die Kultur. Deshalb möchte ich einige allein die Probleme in Afghanistan nicht beseitigen wird, abschließende Sätze dazu sagen. Ich habe in den vergan- sondern dass wir Engagement beim zivilen Wiederauf- genen Haushaltsberatungen immer gesagt: Zu den Ver- bau brauchen, und dieser findet statt. Wir brauchen aller- änderungen in dieser Welt, die ich beschrieben habe, ge- dings, soweit ich das sehe, für die nächste Zeit weiterhin hört auch, dass wir an uns selbst den Anspruch stellen militärische Präsenz, um die Sicherheit und die Rahmen- müssen, uns mit unseren Argumenten, mit unserer Hal- bedingungen zu garantieren. tung besser verständlich zu machen. Dazu gehört die (Dr. Peter Struck [SPD]: Natürlich!) auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich freue mich, dass wenigstens festgestellt wird, dass uns beim Goethe- Ich komme zur Abrüstung. Ich spreche sie deshalb Institut eine Wende gelungen ist, dass wir nicht mehr an, über die Schließung von Goethe-Instituten reden, son- dern – dank Ihrer Hilfe – heute dabei sind, von einer (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- konsolidierten Basis aus über eine Erweiterung unseres NEN]: Indien!) Engagements zu reden. weil ich ahne, dass jemand gleich das Thema Indien auf- Wir haben in den letzten Jahren viel bei deutschen rufen wird. Auslandsschulen getan. Wenn ich sage „viel getan“, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: heißt das nicht nur „staatliches Geld bereitstellen“, son- Das ist das Gegenteil von Abrüstung!) dern auch, Kooperationen mit der Wirtschaft zu suchen, dort Überzeugungsarbeit zu leisten, sodass diejenigen, (B) (D) – Eben nicht, lieber Kollege Trittin. Ganz im Gegenteil. – die ihre Abschlüsse auf deutschen Schulen machen, Sie wissen von mir, dass ich engagiert dafür eintrete, dann auch eine Perspektive haben für ein Praktikum, für dass wir das Thema Abrüstung auf die internationale Ta- ein Studium, für eine Lehre in Deutschland. Ich freue gesordnung zurückholen. Das ist uns gelungen, mich, dass das auf gutem Wege ist. (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank Ihnen allen. nicht nur bei Kleinwaffen und bei Streumunition; auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie im Bereich der atomaren Abrüstung haben Sie Vor- des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) schläge von mir für die Internationalisierung des Brenn- stoffkreislaufes gesehen, die jedenfalls bei der Interna- Vizepräsidentin : tionalen Atomenergiebehörde und den beteiligten Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für Staaten auf großes Interesse gestoßen sind. Ich habe da- die FDP-Fraktion. mals bei der ersten Auseinandersetzung zu dem Nuklear- handel mit Indien, die wir hier in diesem Hause hatten, (Beifall bei der FDP) schon gesagt: Das, was wir üblicherweise zu der Frage der Bedeutung multilateraler Einbindung austauschen, Dr. Werner Hoyer (FDP): gilt auch in diesem Fall. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich nicht in der Unübersichtlichkeit des Klein-Klein Mit anderen Worten – das habe ich damals gesagt, verlieren, stattdessen die langen Linien sehen, dazu hat und daran halte ich mich –: Wenn die IAEO und wenn uns der Außenminister aufgefordert. Versuchen wir ein- al-Baradei, mit dem wir auch bei verschiedenen anderen mal, dem gerecht zu werden. Es ist in der Tat so – das Konflikten eng zusammenarbeiten, es durch den Ab- beunruhigt mich gegenwärtig mit am meisten –: Ein alt- schluss eines Safeguard-Abkommens zustande bringen, bekannter gefährlicher Virus wird in Europa und in der Indien näher an die Zusammenarbeit mit der internatio- Welt wieder erkennbar, ein Virus, gegen den wir uns in nalen Atomaufsicht heranzuführen, dann ist das auch für Europa einigermaßen immunisiert zu haben glaubten: Es mich ein Argument, das ich in die Bewertung über- ist der Nationalismus, der seine hässliche Fratze überall nehme. Deshalb ist Indien nicht weiter entfernt oder in der Welt zeigt, leider auch wieder verstärkt in Europa. wird nicht etwa belohnt für eine Missachtung des Atom- sperrvertrags; vielmehr wird es mit geeigneten Mitteln Ein einzigartiger politischer Prozess hatte uns in näher an die Kontrolle durch die Internationale Atom- Europa zu der Anerkennung einer Reihe von elementa- energiebehörde herangeholt. ren Prinzipien friedlichen und kooperativen Zusammen- 18684 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Werner Hoyer (A) lebens gebracht. Es war ein Prozess, der mit der Doppel- wieder den Eindruck vermittelt, als würden die Russen (C) strategie der NATO, wie sie im Harmel-Bericht zum am Ende schon beidrehen und einer Gesamtlösung zu- Ausdruck gekommen war, auf das Engste verbunden stimmen. war. Dieser Prozess hat immer auch Abrüstung, Rüs- Jedenfalls sind wir gut beraten, über die Bewältigung tungskontrolle und Vertrauensbildung beinhaltet und dieser konkreten Probleme, unter die man hoffentlich nicht nur militärische Vorsorge. Er war eingebettet in das einmal einen Strich wird ziehen können, zu den Grund- große Friedensprojekt der europäischen Integration. Er prinzipien von Paris zurückzukehren, und zwar nicht erzielte seinen katalytischen Durchbruch mit der nur nach den Buchstaben, sondern auch nach dem Geist; Schlussakte von Helsinki. Für uns fand er seinen Höhe- denn der war es, der uns damals die große Entwicklung punkt im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der uns die deutsche hin zur deutschen Einheit ermöglicht hat. Zu diesen Einheit brachte. Einen weiteren Höhepunkt fand er in Prinzipien, übrigens auch zu den Voraussetzungen für der Charta von Paris, die in Vergessenheit geraten zu die Mitgliedschaft in EU und NATO, gehören Rechts- sein scheint. staatlichkeit und Demokratie sowie die Fähigkeit und Voraussetzung für den Erfolg dieses Prozesses war Bereitschaft zu friedlicher Konfliktlösung. die Überwindung des blanken Nationalismus in Europa, Ich finde es in diesem Zusammenhang erstaunlich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – um nicht zu sagen: befremdlich –, dass bei aller not- der SPD) wendigen Verurteilung rechtswidrigen Verhaltens Russ- lands in den Schlussfolgerungen des letzten Europäi- dieser Geißel der Europäer nicht nur im vergangenen schen Rats erneut einseitig Russland kritisiert und Jahrhundert. Wir schienen dem großen Ziel doch ein gu- ermahnt wird. tes Stück näher gekommen zu sein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie Heute flammt dieser Nationalismus an vielen Stellen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE wieder auf. Er schürt regionale Konflikte, Gefahren für GRÜNEN]) den Weltfrieden, und er entfaltet seine zerstörerische Wirkung innerhalb vieler Gesellschaften. Man denke nur Auch ein klares Wort an die Adresse der georgischen daran, wie schwer es Minderheiten, Menschenrechtlern, Führung wäre angezeigt gewesen. Die Solidarität der Verfechtern von Presse- und Meinungsfreiheit, Advoka- NATO kann man nicht durch Zündeln erzwingen. ten von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Teilhabe (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ gemacht wird, wenn mit den verführerischen Argumen- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten nationalistischer Überhöhung jeder in die vermeint- CDU/CSU und der SPD) (B) lich patriotische Solidarität hineingepresst wird. (D) Eigentlich müsste sich die Bundeskanzlerin bestätigt Was wir in diesem Zusammenhang unlängst beim Be- fühlen, was ihre Haltung auf dem Bukarester NATO- such von Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Gipfel angeht. Ich glaube, es gibt überhaupt keine Veran- Ausschusses in Moskau von vielen aufrechten Demokra- lassung, an dieser Linie der Bundesregierung vom Früh- ten und Menschenrechtlern gehört haben, beunruhigt. jahr etwas zu verändern. Ebenso beunruhigend ist das bedrückende Schweigen derer, die noch bis vor kurzem als aufrechte Oppositio- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen nelle gegen gravierende demokratische und rechtsstaatli- Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) che Fehlentwicklungen in Georgien auf die Straße ge- Jetzt höre ich das Schulterklopfen bezüglich der Rolle gangen sind. der Europäischen Union. Auch ich freue mich, dass die Grenzen in Europa nicht mehr anzutasten, sie zu über- Europäische Union plötzlich zu gemeinsamem Handeln winden, ihnen ihre Bedeutung zu nehmen, das war we- zusammengefunden hat. Ganz toll! Aber wo war denn sentliches Element der Charta von Paris. Heute werden die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in den neue Grenzen gezogen und wird ihre Überwindung un- Tagen Anfang August? Da war schlicht niemand erreich- möglich gemacht. Da ist etwas gewaltig schiefgelaufen. bar. Nach und nach lässt sich das Mosaik all dessen, was da schiefgelaufen war, zusammensetzen. Schön, dass wir (Beifall bei der FDP) dem französischen Staatspräsidenten gratulieren können. Zum Schluss hat er eine Vereinbarung mit Präsident Wir alle müssen uns die Frage stellen, ob wir denn al- Medwedew und anderen hinbekommen. Allerdings war les richtig gemacht haben. Die Historiker werden eines das eine unbedingt erforderliche Aktion, um die Fehler Tages zu bewerten haben, ob die Entscheidungen im Zu- der ersten Bemühungen schnellstens zu korrigieren; sammenhang mit der Unabhängigkeit des Kosovo und denn das war schlicht und ergreifend ein Flop. Man die Entwicklung im Zusammenhang mit Südossetien sollte es nicht schöner malen, als es ist. und Abchasien – sagen wir einmal so – die ersten oder die letzten Sündenfälle gewesen sind. Ich weiß, man Im Übrigen gilt das auch für die Rolle der Vereinig- kann diese Fälle nicht eins zu eins miteinander verglei- ten Staaten. Ich habe es irgendwie als bedrückend emp- chen. Die Unterschiede sind riesig. Es war im Kosovo funden, wie hochanerkannte amerikanische Diplomaten auch aus unserer Sicht wohl allenfalls die am wenigsten wie Dan Fried bis zum letzten Moment versucht haben, schlechte Lösung. Selbst ihr wohnte wahrscheinlich eine das Schlimmste zu verhindern, während gleichzeitig An- gravierende Fehleinschätzung inne. Wichtigste Berater, gehörige amerikanischer Dienststellen und mit Weisun- die uns auf unserem Weg begleitet haben, haben immer gen aus anderen Ämtern als dem State Department den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18685

Dr. Werner Hoyer (A) georgischen Staatspräsidenten nach allem, was wir wis- sagt, wir brauchen die Übernahme von verbindlichen (C) sen, nicht gerade daran gehindert haben, diesen unver- Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag durch antwortlichen Unsinn anzurichten. Indien. Sie haben dann Ihre Kriterien genannt: erstens umfassender Teststoppvertrag und Beitritt Indiens zu Zu den Wahlen in Amerika hat der Minister einiges diesem; zweitens Produktionsmoratorium für Spaltmate- gesagt. Ich begrüße das sehr, weil ich in der Tat glaube, rial für Waffenzwecke; drittens Verpflichtungen zur Be- dass wir uns immer wieder klarmachen müssen, wie schränkung und letztendlich zur Abrüstung seines Kern- wichtig die deutsch-amerikanische und die europäisch- waffenprogramms. Das sind die Kriterien, die Sie für amerikanische Beziehung ist. Egal wer diese Wahlen ge- Indien genannt haben. Das entspricht übrigens weitge- winnt, wir werden es mit einem völlig neuen Partner zu hend dem, was im amerikanischen Senat dazu gesagt tun haben. Leider dürfen wir ja nun einmal nicht mit- worden ist. Keines dieser Kriterien ist erfüllt. Trotzdem wählen. Neben den großen Unterschieden, die ich weiß sind Sie stolz darauf, dieses Abkommen ermöglicht zu Gott sehe, gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkei- haben. Ich finde das sehr bedauerlich. ten zwischen diesen beiden Kandidaten, die uns gefallen können. Ich erinnere an die durchaus mutige Absage von (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Fritz John McCain an die Politik von Präsident Bush und Vi- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zepräsident Cheney in Sachen Folterverbot. Ich erinnere Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, nicht an manches andere, was uns im Hinblick auf das Thema einfach abzuwarten, mit welchen Erwartungen die neue Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall unseren amerikani- amerikanische Administration auf die Europäer und schen Freunden wieder näher bringen wird. auch auf Deutschland zukommt. Wir müssen unsere Er- Es gibt aber auch einige Themen, bei denen man sich wartungen an die neue amerikanische Administration wirklich fragt, wann wir die große Debatte über das, was formulieren und citissime dort auch kommunizieren, da- in den nächsten Jahren strategisch zu entscheiden ist, mit mit wir Einfluss nehmen können. Dabei geht es um mehr den Vereinigten Staaten beginnen. Auch da kommt es als die Frage des Verhältnisses zu Russland und zu China auf die langen Linien an, zum Beispiel in der Frage der und um mehr als die Frage der Strategie unseres Bünd- Raketenabwehr. Die gehört in die große Strategiede- nisses. Letztlich geht es um eine ganz große Wertefrage batte hinein, die wir mit den Vereinigten Staaten und mit und damit wieder um große, lange Linien. Sind wir in unseren anderen Partnern im Bündnis führen müssen. der Lage, uns der Gemeinsamkeit der aufgeklärten Von der Bundesregierung höre ich zu dem bemerkens- rechtsstaatlichen Demokratien zu vergewissern? Können werten Beitrag von Sam Nunn, George Shultz, Henry wir den Westen noch einmal neu begründen? Ich halte Kissinger und anderen zur Frage der Zukunft der dies für dringend erforderlich und wünschenswert. Sind wir uns einig, dass die Grundlage unseres Handelns die (B) Nuklearwaffen keinen einzigen Beitrag. Darauf müssen (D) wir eingehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Bekenntnisse nicht nur allgemein zur Aufklärung, son- Frage, welche strategische Rolle ein System spielt, das dern ganz konkret zur Toleranz, zur Rechtsstaatlichkeit, den Eindruck von Unverwundbarkeit erweckt. Wie pas- zur Priorisierung der Rolle und der Würde des einzelnen sen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten, Menschen und auch der Respekt vor den Erkenntnissen der Tschechischen Republik und Polen da hinein? Dies der Naturwissenschaften ist? Hier sind in den letzten nicht in den Gesamtkontext einzuordnen, finde ich fatal. Jahren die großen Zweifel aufgekommen. Diese Ge- Ich finde, hier muss man in der Tat sehen, dass die Ge- meinsamkeit der aufgeklärten westlichen Demokratien fahr, dass das Wettrüsten wieder beginnt, gegeben ist müssen wir dringend wieder beleben. Wir werden den und dass wir alles dafür tun müssen, um das zu verhin- Westen noch brauchen. dern. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: GRÜNEN) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. Ich habe den Bundesaußenminister immer unterstützt, wenn er gesagt hat, es gebe jetzt neue Abrüstungsinitia- (Beifall bei der CDU/CSU) tiven aus Deutschland. Das war überfällig, und ich be- grüße diese Ankündigung sehr. Was ist das eigentlich Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): noch wert, nachdem Indien bei der Nuclear Suppliers Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Group unter dem Vorsitz Deutschlands den Blanko- Außenminister hat, auch mit Blick auf den Konflikt im scheck bekommen hat? Ich finde, das ist der Total- südlichen Kaukasus, darauf hingewiesen, wie unüber- absturz der Glaubwürdigkeit der deutschen Abrüstungs- sichtlich die Welt geworden ist. Ohne den laufenden Prü- politik. fungen vorzugreifen, können wir heute feststellen: Es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gibt eine georgische Mitverantwortung für die Eskala- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE tion dieses Konflikts; aber russische Behauptungen, das GRÜNEN) georgische Vorgehen sei vergleichbar mit den Anschlä- gen in New York und Washington am 11. September Herr Minister, ich erinnere daran, was Sie 2006 auf 2001, sind völlig absurd. Sie ändern vor allem nichts an dem Abrüstungskongress der SPD dazu gesagt haben. der Tatsache, dass Russlands Vorgehen in Georgien und Sie haben die Aussagen al-Baradeis aufgegriffen und ge- die Anerkennung von Südossetien und Abchasien eine 18686 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Andreas Schockenhoff (A) grobe Verletzung des Völkerrechtes darstellen. Beson- und zur Stärkung des Völkerrechts. Wir begrüßen diese (C) ders beunruhigend ist, dass der Einsatz militärischer Prinzipien als Grundlage für unsere Zusammenarbeit. Mittel wieder zu einem Instrument russischer Nachbar- Dazu muss sich die russische Außenpolitik jedoch von schaftspolitik geworden ist und dass der Schutz russi- altem Nullsummendenken verabschieden. scher Bürger im Ausland als Legitimation für den Ein- Es ist in den vergangenen Wochen wiederholt gefor- satz von Gewalt dient. Die Kaukasus-Krise stellt damit dert worden, als Reaktion auf das Vorgehen in Georgien eine seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht mehr Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen. Ich glaube, dagewesene Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in die internationalen Reaktionen haben bereits wichtige Europa durch Russland dar. Deshalb waren die Reaktio- Antworten gegeben: erheblicher Kapitalabfluss aus nen von NATO, EU und G 7 notwendig und angemes- Russland, aktuelle Schwierigkeiten, an westliche Investi- sen. Wir konnten nicht einfach zur Tagesordnung über- tionen und Kapital heranzukommen, und eine internatio- gehen. nale Isolierung Russlands. Außer Nicaragua ist niemand Russland hat durch sein Verhalten international er- dem russischen Beispiel der Anerkennung Abchasiens heblich an Glaubwürdigkeit, Ansehen und Vertrauen und Südossetiens gefolgt. Diese Isolierung hat Russland verloren. Zudem haben die Chancen auf mehr Pluralität kürzlich bei der Schanghai-Organisation besonders und auf innere Modernisierung in Russland einen schwe- schmerzhaft erfahren. Das sind, glaube ich, Beispiele, ren Rückschlag erlitten. Das ist kontraproduktiv für die Moskau deutlich machen, wie sehr es die Zusam- menarbeit und Partnerschaft mit dem Westen braucht. Russlands eigene Interessen, es liegt aber vor allem auch Deshalb stellt sich für uns die Frage: Was tun bzw. was nicht im europäischen Interesse. Russlands Modernisie- nicht tun? rung ist ein gemeinsames Anliegen. Europa braucht ein modernes, verlässliches, kooperativ handelndes Russ- Erstens ist es vor allem wichtig, dass NATO und EU land. Wir wollen mit einem Russland zusammenarbei- geschlossen sind, zumal es zu weiteren Herausforderun- ten, das seine Stärke im Sinne weltpolitischer Verant- gen an unsere Geschlossenheit kommen wird. Deswegen wortung einbringt. Stärke im 21. Jahrhundert stellen müssen wir vor allem innerhalb der EU unsere Positio- eben nicht Kanonen und Panzer dar, sondern sie liegt in nen zur Russlandpolitik noch besser abstimmen. Dies dem Potenzial, zu internationaler Konfliktlösung beizu- gilt insbesondere für den Fall, dass Russland Abspra- tragen, in globaler Wettbewerbsfähigkeit, in gesell- chen nicht oder nicht vollständig einhält, etwa wenn es schaftlicher Attraktivität. Dazu gehören auch gleichbe- um den Rückzug auf die Positionen vor dem 7. August rechtigte Beziehungen zu den Nachbarn, nicht aber eine geht. Das gilt auch für die transatlantischen Beziehun- hegemoniale Politik eingeschränkter Souveränität. Russ- gen. Wir brauchen mit der neuen amerikanischen Regie- lands Nachbarn wollen nicht wie Vasallen behandelt rung einen kontinuierlichen Dialog zu Russland. Wir (B) werden. müssen sie dazu ermutigen, die Russland-Politik als eine (D) eigenständige außenpolitische Herausforderung anzu- (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark nehmen. [SPD]: Georgien hat aber auch dagegen ver- stoßen!) Zweitens sollten wir uns vor falschen Maßnahmen gegen Russland hüten, wie einem G-8-Ausschluss, der Ebenso braucht Russland den Westen, auch wenn man- Blockade eines russischen WTO-Beitritts oder der Ver- che in Moskau derzeit das Gegenteil behaupten. schärfung des Visaregimes. Wir würden damit nur unse- rem eigenen Ziel schaden, durch Zusammenarbeit den Russland hat sich selbst immer wieder gegen neue Wandel in Russland zu erreichen. Gerade die Menschen Trennlinien in Europa ausgesprochen. Es wird entschei- in Russland, die sich heute unter erschwerten Bedingun- dend von Russland abhängen, ob solche entstehen. Russ- gen für mehr Demokratie, Pressefreiheit und Rechts- land muss sich entscheiden, ob es Partner oder Widerpart staatlichkeit einsetzen, müssen wir jetzt umso stärker un- Europas sein möchte. Aus unserer Sicht ist klar: Es gibt terstützen. keine wünschenswerte Alternative zu starken Beziehun- gen, die auf Zusammenarbeit, Vertrauen, Dialog und (Dr. [FDP]: Und was ist mit den Achtung des Völkerrechtes sowie den Grundsätzen der Drohungen gegen die Ukraine?) Charta der Vereinten Nationen und der OSZE beruhen. Drittens. Ziel muss bleiben, Russland in ein Netz (Michael Leutert [DIE LINKE]: Wo kommen gemeinsamer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusam- Sie denn her?) menarbeit einzubinden. Das gilt für die EU-Russland- Zusammenarbeit und ebenso für die NATO-Russland- Um wieder dorthin zurückzukommen, müssen alle vor- Beziehungen. Die NATO ist kein Instrument zur Ein- handenen Foren der Zusammenarbeit so intensiv wie kreisung Russlands, möglich genutzt werden. (Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Nein?) (Zuruf von der LINKEN: Das kann man sich sondern eine demokratische Organisation, um beste- ja nicht anhören!) hende Sicherheitsherausforderungen in Europa zu be- In ihrem neuen außenpolitischen Konzept bekennt wältigen. sich Russlands Führung zu einer offenen, verlässlichen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja und pragmatischen Außenpolitik, zu einer positiven was ganz Neues!) Agenda für die internationalen Beziehungen, zu konse- quenter Einhaltung der Regeln und Ziele der VN-Charta Das gilt auch für die NATO-Politik der offenen Tür. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18687

Dr. Andreas Schockenhoff (A) Auch die Ukraine und Georgien haben, wie jeder sou- aller Entschiedenheit vorangetrieben werden. Ich sage (C) veräne Staat in Europa, das Recht, unter Achtung des aber auch: Wer als Vergeltungsmaßnahme gegen Mos- Völkerrechts und gutnachbarschaftlicher Beziehungen, kau die Ostseepipeline infrage stellt, muss erst einmal der NATO beizutreten, wenn die Voraussetzungen dafür schlüssig nachweisen, woher die EU stattdessen die erfüllt sind. Wenn sie erfüllt sind, werden sie Mitglieder Energieversorgung nehmen will, die durch diese Pipe- der NATO werden. line ermöglicht wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sechstens. Der Schlüssel zu Russlands Zukunft liegt in seiner inneren Entwicklung. Es geht nicht nur um eine Es ist wichtig, dass Russland konsequenter als bisher wirtschaftlich-technische, sondern auch um die gesell- auf den Iran einwirkt, um in unserem gemeinsamen Si- schaftliche Modernisierung dieses riesigen Landes. Für cherheitsinteresse auf diplomatischem Wege eine Bedro- jedes seiner immensen inneren Probleme – Demografie, hung durch iranische Nuklearwaffen und eine wach- wachsendes Wohlstandsgefälle, Gesundheit, aber auch sende Proliferation im Nahen und Mittleren Osten zu wachsende Gewalt und Xenophobie – braucht Russland verhindern. innere Kohärenz und eine starke, aktive, moderne Zivil- Zudem sollten wir uns um neue gemeinsame Mecha- gesellschaft, die nicht vom Staat gelenkt wird, sondern nismen für multilaterales Peacekeeping im Südkauka- sich von unten entfalten kann. Deswegen sollte die zwi- susraum bemühen. Das wird übrigens ein wichtiger schengesellschaftliche Zusammenarbeit zunehmend zum Testfall sein, wieweit eine abgestimmte Nachbarschafts- Kernbereich unserer Beziehungen zu Russland werden. politik zwischen der EU und Russland möglich ist. Denn wachsende Berührungen im postsowjetischen Raum sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine Realität. Die Gefahr von Bipolarität und Antagonis- Siebtens. Nicht zuletzt sollten wir den Dialog über mus in dieser Region gemeinsamer Nachbarschaft muss das Werteverständnis offensiv angehen, vor allem mit vermieden werden. denjenigen Kräften in Russland, mit denen er besonders Viertens. Über die Wiederaufbauhilfe für Georgien schwierig ist. Russland und die EU haben sich auf die hinaus muss die Zusammenarbeit mit der Schwarzmeer- universellen Werte des Europarates verpflichtet. Deswe- Region und den Kaukasus-Staaten erheblich intensiviert gen müssen wir in klarer, aber angemessener Form die werden. Das gilt insbesondere für die Ukraine, auch Einhaltung dieser Werte immer wieder einfordern. In wenn diese es durch überflüssige Machtspiele in der Wertefragen kann es keine Kompromisse geben. Koalition schwer macht. Ziel muss eine demokratische, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. rechtsstaatlich gefestigte und wirtschaftlich prosperie- [SPD]) (B) rende Region sein, die als attraktives Zukunftsmodell (D) Ausstrahlung auf ihre Nachbarschaft haben wird. Russland sei „aus der Kälte zurückkehrt“, hat Präsi- dent Medwedew kürzlich in seiner Berliner Rede gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU) begann erst vor rund 20 Jahren mit Glasnost In den letzten Wochen haben die Reaktionen der Länder und Perestroika. Der Zusammenbruch der Sowjetunion des Kaukasus und Zentralasiens gezeigt, dass der Wett- – das sollten wir unseren russischen Partnern immer bewerb dort mit Russland um die besseren politischen wieder sagen – war für Russland keine Tragödie, son- und wirtschaftlichen Lösungen für uns lohnenswert ist. dern die historische Chance für einen Neubeginn auf dem Weg zu einem demokratischen und modernen Staat. Fünftens. Die Europäische Union muss jetzt endlich Russland sollte diese Chance nicht verspielen, und wir die vor mehr als einem Jahr beschlossene gemeinsame sollten Russland in unserem eigenen Interesse dabei un- Energieaußenpolitik in die Praxis umsetzen. Wir brau- terstützen. chen eine Strategie dazu, wie wir unsere Energieversor- gung sicherstellen wollen. Russland hat eine gesamt- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. europäische Energiestrategie; die EU hat sie nicht. Das können wir uns nicht länger leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir brauchen eine europäische Energiesicherheitsunion, Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin die bei Versorgungsproblemen eines Mitglieds solida- Monika Knoche. risch füreinander einsteht. Dazu ist es erforderlich, dass die Mitgliedstaaten vernetzt sind und gleiche Bevorra- (Beifall bei der LINKEN) tungsstandards einhalten. In der Energiezusammenarbeit mit Russland sollte Monika Knoche (DIE LINKE): noch viel stärker der Grundsatz der Reziprozität gelten. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Das westliche Know-how kann dafür von uns als ein Damen! Ich komme zuerst auf Georgien zu sprechen. politisches Instrument genutzt werden. Zugleich muss Staatspräsident Saakaschwili hat den Krieg in Südosse- die EU alles unternehmen, um die Abhängigkeit von rus- tien begonnen. Er hat unter dem Schutz der USA eine in- sischer Energie zu begrenzen. Nabucco ist eine echte ternationale Krise heraufbeschworen, in deren Zentrum Alternative. Deshalb muss dieses Projekt jetzt auch mit heute bedenkliche neue antirussische Reflexe stehen. 18688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Monika Knoche (A) Es ist offenkundig, dass die NATO-Expansionsstrate- und Zusammenarbeit in Europa mit Russland, das ist die (C) gie für die georgische Primäraggression ursächlich ist. Alternative zur Einkreisung Russlands durch die NATO- Militärische Aufrüstung und jetzt Wiederaufrüstung Expansion. durch den Westen sowie das Versprechen der Aufnahme in die NATO waren das zentrale Motiv für Saakaschwilis (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Es waren Angriff auf russische Friedenstruppen und gegen die ei- doch russische Panzer, oder?) gene Bevölkerung. Diese Wahrheit sei hier noch einmal Es gilt, dem NATO-Weltordnungsanspruch eine Absage ausgesprochen, gerade weil verantwortungsblinde Politi- zu erteilen. ker eine neue Ära des Kalten Krieges herbeireden wollen. Deutschland muss an gutnachbarschaftlicher Russland muss aber auch deutlich kritisiert werden. Kooperation mit Russland arbeiten und darf den neokon- Nicht der militärische Gegenschlag in Südossetien war servativen Kreisen, die auf Konflikt und Konfrontation völkerrechtswidrig, mit Russland setzen, nicht nachgeben. (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Der war in (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Was hat denn Ordnung?) Russland gemacht?) wohl aber die Bombardierung georgischer Städte und die Das gilt für die Raketenabwehrbasis und für das Radar- Truppenpräsenz in Georgien. Völkerrechtswidrig ist und abwehrsystem in Osteuropa. bleibt die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens. (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Waren das (Dr. Karl Addicks [FDP]: Gut, dass Sie das russische Panzer in Georgien, oder was war einmal feststellen!) das?) Dass Moskau hierfür die ebenfalls völkerrechtswidrige Dem Kriegsauslöser Georgien die NATO-Mitgliedschaft Anerkennung des Kosovo durch über 40 Staaten der zu versprechen, den NATO-Rat damit zu befassen, Russ- Welt, maßgeblich des Westens, als Referenz heranzieht, land durch die Ausweitung der NATO auf die Ukraine ist in der Tat unlauter. weiter einzukreisen und der Umstand, dass die Ukraine kriegstauglicher gemacht wird, das kann nur als nach- (Dr. Karl Addicks [FDP]: Da gab es vorher trägliche Belohnung für den kriegsauslösenden Überfall eine Befragung! Das können Sie gar nicht ver- verstanden werden, um das einmal klar zu sagen. gleichen!) (Beifall bei der LINKEN) Wahr ist aber auch: Hätten Deutschland, andere EU-Mit- gliedsstaaten und die USA den Völkerrechtsbruch im Von Russland wird das als Brüskierung aufgefasst. (B) Falle des Kosovo nicht begangen, gäbe es den Präze- (D) Diese Auffassung kann man teilen oder auch nicht. Je- denzfall nicht. Dann wäre ihre harte Position gegenüber denfalls muss jeder verantwortlich handelnde Politiker Russland zumindest glaubwürdig. und jede verantwortlich handelnde Politikerin das in die eigene Politik einbeziehen. Wer das nicht tut, will be- (Beifall bei der LINKEN) wusst provozieren und mit dem Feuer spielen. Ich plä- Niemand, der für die Anerkennung des Kosovo das diere für hochverantwortungsvolle Politik gegenüber Schleifen des Völkerrechts in Kauf genommen hat, kann Russland. Deshalb sage ich: Weder die Ukraine noch heute mit dem moralischen Zeigefinger auf Russland Georgien dürfen in die NATO aufgenommen werden. zeigen. Das Unverzeihliche daran ist, dass das Völker- Das würde den Frieden nicht sicherer machen. recht und die UN die wahren Verlierer sind. Dazu hat (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Addicks auch der Westen beigetragen. Die Linke hat als einzige [FDP]: Am besten erkennen Sie Südossetien Partei vor dem Präzedenzfall Kosovo gewarnt und auf erst einmal an!) die eingefrorenen Territorialkonflikte, zum Beispiel im postsowjetischen Raum, hingewiesen. Es schmerzt sehr, Es liegt nicht im deutschen Interesse und dient nicht hier recht behalten zu haben, sind es doch Tausende der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik, wenn Menschen, die aus Südossetien fliehen mussten, die dem Konfrontation und nicht Entspannungspolitik und Ab- Grauen des Krieges ausgesetzt waren, die ihr Zuhause, rüstung die Ostpolitik kennzeichnen. Gerade wenn es ihre Familien oder gar ihr Leben verloren haben. um die Energiesicherheit geht – das macht den Kaukasus und die Transitwege des kaspischen Öls so bedeutsam –, Alle politischen Anstrengungen müssen jetzt in einem können militärische Macht und militärisch gestützte Zu- münden: Zurück zum Völkerrecht um des friedlichen griffsbefugnisse der NATO nicht die friedenssichernden Zusammenlebens der Völker willen. Antworten auf die Ressourcenfrage sein. Als Völkerrechtspartei sieht die Linke mit Sorge, Deutschland hat gut daran getan, im aktuellen Kauka- (Lachen bei der CDU/CSU, der FDP und dem sus-Konflikt gemeinsam mit Sarkozy einen Weg der Ob- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus jektivierung zur Lösung der Krise zu beschreiten. Alle Kalb [CDU/CSU]: Das schlägt dem Fass den Fakten dieses Krieges müssen auf den Tisch. Dazu ist Boden aus!) die OSZE befähigt. Sie muss aber auch gestärkt werden. Gerade weil sich die NATO immer mehr in europäische wie das Gewaltmonopol der UN immer häufiger umgan- Fragen hineindrängt, muss Deutschlands Aufgabe darin gen wird. Die EU soll entsprechend dem Lissabon-Ver- bestehen, die UN und die OSZE zu stärken. Sicherheit trag aufgerüstet werden, um ohne UN-Mandat weltweit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18689

Monika Knoche (A) Ressourcensicherung betreiben und exterritorial präven- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) tiv tätig werden zu können. Muss nicht sein!) (Gerd Andres [SPD]: So ein Quatsch! Das Das ist die verheerende Bilanz von sieben Jahren Krieg wird auch durch Wiederholen nicht besser! – in Afghanistan. Das ist nicht unser Krieg. Das ist der fal- Unruhe bei der CDU/CSU) sche Krieg. Krieg ist das falsche Mittel. Mit Krieg kann man Terror nicht bekämpfen. Deshalb sagen wir heute – Was regt Sie eigentlich auf? Ich habe hier in diesem umso deutlicher: Deutsche Soldaten müssen heraus aus Parlament ganz klar unsere Position zum Kosovo vorge- Afghanistan! tragen. Wir klagen vor dem Verfassungsgericht gegen die Präsenz deutscher Soldaten im Kosovo. Was haben (Beifall bei der LINKEN) Sie an der Position, die ich hier vertrete, auszusetzen? Wenn Sie jetzt weitere 1 000 Soldaten dort hinschi- Ich kritisiere Russland für völkerrechtswidriges Han- cken wollen, deln. Sie haben gar keine Grundlage für eine Argumen- tation gegen Russland, weil primär Sie und auch die (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: FDP mit der Anerkennung Kroatiens unter Genscher be- Nein, nur ein Mandat verlängern!) gonnen haben, den Nationalismus in Europa wieder sa- dann heißt das nicht anderes, als dass wir immer tiefer in lonfähig zu machen. Bleiben wir doch bei den Fakten! einen Krieg der NATO verstrickt werden, wobei es auch (Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas um die NATO-Präsenz in Zentralasien geht. Schockenhoff [CDU/CSU]: Wir haben sogar (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wollen Sie, DDR-Bürger als Staatsbürger anerkannt! – Zu- dass die Taliban zurückkehren?) ruf von der FDP) Das soll hier niemand schönreden. Bei der Präsenz der – Um ihn davon abzuhalten und ihn zu bitten, die UN- NATO, die ja angeblich nicht scheitern darf, geht es gar Truppen ins Land zu lassen. Bitte, bleiben Sie bei der nicht um Afghanistan, sondern um den Einfluss der historischen Wahrheit! NATO im erdölreichen Raum Zentralasien. Wir müssen Es wird Ihnen nicht gelingen, die Linke hier zu dis- uns damit befassen, dass sich Deutschland in eine kreditieren. Wir haben eine stringente Position, und die NATO-Strategie begeben hat, sich von US-amerikani- vertreten wir in jeder Sache. Wir sind nicht des einen schen Interessen nicht emanzipiert und nicht den frie- Freund und des anderen Feind. Wir haben eine sehr neu- denssichernden Weg geht, sondern der Militarisierung trale und objektive Haltung gegenüber Russland. das Wort redet. Diese Ausrichtung deutscher Außenpoli- tik im Rahmen der NATO und der transatlantischen Be- (B) (D) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) ziehungen lehnen wir ab. Wenn der nächste US-Präsi- Ich komme zu einem anderen wichtigen Thema, das dent gewählt sein wird, werden wir sehen, dass er mehr uns und die deutsche Bevölkerung sehr beschäftigt. Es Engagement in Afghanistan fordern wird. Dann will ich ist das verhängnisvolle Wort – es wurde unter rot-grüner sehen, ob Sie noch das Rückgrat haben, das zu verwei- Regierung gesprochen – von der bedingungslosen Soli- gern. darität mit den USA, als es darum ging, Deutschland in (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stephan Eisel einen Krieg nach Afghanistan zu schicken. Der Einsatz [CDU/CSU]: Es gibt schlechte Reden, und es der OEF wird vom deutschen KSK unterstützt. Er war gibt schlimme Reden! Das war eine schlimme von Anfang an von keinem UN-Sicherheitsratsbeschluss Rede!) gedeckt. Immer lauter wird gefordert, dass der ISAF- Einsatz der NATO mit dem OEF-Einsatz zusammenge- legt wird. Das bedeutet in der Tat nichts anderes als eine Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ausweitung des Krieges. Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dieser Krieg gegen den Terror bringt eines hervor: Terror und Tod. Nach sieben Jahren sehen wir an der täg- lich wachsenden Zahl der Anschläge, wie verheerend die Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sicherheitslage ist und wie stark der Fundamentalismus Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe wächst. Die NATO schließt Allianzen mit lokalen Kollegin Knoche, wenn man etwas für sich in Anspruch Kriegsherren. Drogenbarone haben ungebremste Macht nimmt, muss man immer aufpassen, dass man es anderen und Einfluss und halten die Bauern unter ihrer Knute. nicht abspricht. Wenn Sie sagen, die Linke sei die Völ- Die Regierung ist korrupt, die Hilfsgelder versickern in kerrechtspartei, ist das die gleiche arrogante Anmaßung, dunklen Kanälen oder gehen gleich an die Geberländer wie sie die CSU gerade pflegt, wenn sie in Bayern plaka- zurück. tiert: „Bayern wählen“. Es gibt Bayern, die wählen nicht CSU, (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wollen Sie die Taliban wiederhaben?) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber we- nige!) Es herrschen Hunger und eine Müttersterblichkeit un- vorstellbaren Ausmaßes, Schulen stehen leer, Mädchen und es gibt in diesem Hohen Hause viele Mitglieder an- werden verkauft, Bin Laden ist nicht gefasst. Ich könnte derer Parteien, die sich nachdrücklich und ausdrücklich die Aufzählung weiterführen. zum Völkerrecht bekennen. 18690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Jürgen Trittin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Lieber Kollege Polenz, das ist mir bekannt. Ich habe SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Hartmut mit Herrn al-Baradei schon bei verschiedenen Gelegen- Koschyk [CDU/CSU]) heiten darüber diskutiert. Dass man einen Teil des indi- schen Nuklearprogramms kontrollieren kann, ist natür- Gelegentlich hat man sogar aus den Reihen der Re- lich ein Fortschritt. gierungsparteien die Warnung gehört: Wenn der Kanz- lerkandidat der SPD, der Außenminister, und die Kanz- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, al- lerin in einen Wettkampf treten, dann kann dabei keine lerdings!) gemeinsame Außenpolitik herauskommen. – So habe je- Dass Indien aber weiterhin die Gelegenheit hat, be- denfalls ich Herrn von Klaeden verstanden. In einem stimmte Teile dieses Programms der Kontrolle zu entzie- Punkt muss man ihm widersprechen: Gelegentlich sind hen, indem zivile zu militärischen Bestandteilen erklärt sich beide einig. Sie waren sich zum Beispiel einig, als werden, wodurch die Kontrolle ins Leere läuft, bestreitet es um den US-Indien-Atomdeal ging. Sie haben ein auch al-Baradei nicht. Pferd, das totgeritten war und schon über dem Zaun hing, vom Zaun heruntergenommen und durch das Ziel Die Alternative zu dem von Ihrer Regierung abgeseg- getragen. Alle Welt wartete auf das Ende der Bush-Ad- neten Deal liegt auf der Hand. Indien hatte bei der nukle- ministration. Aber was machte Deutschland in der aren Stromproduktion einen akuten Versorgungsengpass Nuclear Suppliers Group? Deutschland, das derzeit den und war darauf angewiesen, mit Uran beliefert zu wer- Vorsitz hat, hat nicht etwa ein Veto eingelegt, sondern den. Sie haben es versäumt, das auszunutzen. Deswegen die Länder, die dagegen waren, zum Beispiel Irland und ist und bleibt das, was Sie getan haben, im Hinblick auf Norwegen, massiv unter Druck gesetzt das Abrüstungsregime ein Rückschritt. Hier hat die Große Koalition einen großen Fehler gemacht. (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Ach, Jürgen! Was soll denn das?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) und diesen Deal durchgewunken. Gelegentlich kann man den Eindruck haben – hier (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ja! So war es!) gebe ich Herrn von Klaeden recht –, als gäbe es nicht eine deutsche Außenpolitik, sondern mehrere deutsche Die Behauptung, dies sei ein Mehr an Kontrolle bei Außenpolitiken. Die eine ist für den Dalai-Lama, der an- der Rüstungsverbreitung, ist falsch. Lieber Frank-Walter dere für die chinesische Regierung zuständig. Was Sy- Steinmeier, überlegen Sie einmal, was es bedeuten rien angeht, so streitet der Außenminister für eine Öff- (B) würde, wenn der Iran erklärte: Zwei Drittel unseres nung, und die CDU/CSU kritisiert ihn dafür. Ich würde (D) Nuklearbestandes lassen wir euch kontrollieren, aber das Sie gerne fragen: Wie ist eigentlich die Position der letzte Drittel dürft ihr euch nicht ansehen. Regierung zur Stationierung weiterer US-Raketen in Eu- (Heiterkeit des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) ropa? Auch in dieser Frage hat die Regierung keine kon- sistente und einheitliche Position. Das entspräche der Vereinbarung, die Sie mit Indien ge- troffen haben. Sie beliefern Indien nun mit Atommate- Als wäre diese Dissonanz zwischen der Kanzlerin rial und Uran. Das ist kein Gewinn, sondern ein Verlust und dem Vizekanzler noch nicht genug, gibt es auch an Rüstungskontrolle. Das ist ein Anschlag auf alle Be- noch Streitigkeiten zwischen den Koalitionsparteien, mühungen für mehr Rüstungskontrolle. Aus diesem teilweise sogar innerhalb der Koalitionsparteien. Ich er- Grunde kritisieren wir das. innere mich noch gut daran, was los war, als es um das unselige, im Geiste Carl Schmitts geschriebene Strate- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN giepapier der CDU/CSU zur Sicherheitspolitik ging. Der und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Staatsminister hat vernichtende Kritik an diesem Papier LINKEN) geübt. Fairerweise muss ich an dieser Stelle aber sagen, dass ihm der Kollege Polenz dafür wohl im Hintergrund und still Beifall zollte. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ein anderes Beispiel sind die unterschiedlichen Posi- Kollegen Polenz? tionen von Herrn von Klaeden und Herrn Schockenhoff. Herr von Klaeden ist einer derjenigen, die McCains Vor- schläge hinsichtlich einer Allianz der Demokraten und Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eines Ausschlusses Russlands im Zweifelsfall zumindest Bitte. verständlich finden, während der Russlandversteher Schockenhoff hier und heute eine Rede gehalten hat, zu Ruprecht Polenz (CDU/CSU): der ich sagen muss: Im Vergleich dazu waren die Bemer- kungen des Kollegen Gysi geradezu russlandkritisch. Herr Trittin, ist Ihnen bekannt, dass der Generaldirek- tor der Internationalen Atomenergie-Organisation, al- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Baradei, den USA-Indien-Deal im Hinblick auf die Stär- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kung des NVV als Fortschritt bewertet, und wie erklären FDP und des Abg. Volker Schneider [Saarbrü- Sie diesen Widerspruch zu Ihren Aussagen? cken] [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18691

Jürgen Trittin (A) Ich glaube, diese konzeptionellen Widersprüche ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) chen Sie als Große Koalition auch an einem anderen sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Punkt außerordentlich schlecht handlungsfähig, und zwar Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) wenn es um elementare Interessen der Bundesrepublik Es gibt weitere Beispiele der Konfliktunfähigkeit. Deutschland geht und diese Interessen gegebenenfalls Eine Agenda des vorsätzlichen Regimesturzes im Iran im Konflikt mit anderen und insbesondere im Konflikt und der Versuch, mit diesem Regime zu einer Vereinba- mit den Vereinigten Staaten diskutiert, durchgestanden rung zu kommen, gehen nicht zusammen. Man muss und vertreten werden müssen. Dann nützt es nichts, nach sich entscheiden und gegenüber solchen Hardlinern, die Obelix’schem Vorbild das eine oder andere Wildschwein nicht eine Verhinderung des Atomprogramms, aber ei- gemeinsam zu verspeisen. Es war doch keine Bagatelle, nen Regimewechsel betreiben wollen, Klartext reden. die zu dem Widerspruch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auf der einen und den USA Ich glaube, über Afghanistan werden wir noch viele auf der anderen Seite geführt hat. Vielmehr war es eine Debatten führen. Lieber Frank-Walter Steinmeier, wenn strategisch unterschiedliche Vorstellung darüber, wie Sie für einen Strategiewechsel in Afghanistan eintreten, man in einer multipolar gewordenen Welt künftig für Si- dann frage ich Sie, was denn gerade in Pakistan pas- cherheit sorgen soll, ob über ideologisch motivierte siert. In Pakistan wird nicht die Strategie gewechselt; in Kriege gegen den Terrorismus oder über den Aufbau Pakistan bauen die USA jene Strategie aus, die in Afgha- multilateraler Strukturen und Systeme gegenseitiger Si- nistan spektakulär gescheitert ist. Das ist das Problem. Sie können doch nicht sagen: Kritisiert uns doch nicht cherheit. Das war der Konflikt, den wir um und mit dem dafür, was andere tun! – Die USA operieren dort nicht Irakkrieg ausgetragen haben. alleine. Es handelt sich, liebe Völkerrechtspartei, um ei- Schauen wir uns einmal die Konflikte an, die in die- nen durch die Vereinten Nationen mandatierten Einsatz sen Tagen bis vor unsere Haustür ausgetragen werden. der NATO. Ein NATO-Mitglied wiederholt in Pakistan Ich gebe dem Außenminister recht, dass es eine große alle Fehler, die es im Vietnamkrieg schon einmal ge- Leistung der Europäischen Union gewesen ist, diesen macht hat, und Sie sagen: Das geht uns nichts an. Da- Konflikt beendet zu haben. Wir sind vollkommen damit rüber müssen wir uns nicht auseinandersetzen. – Ich einverstanden, wie sie dabei agiert hat. Das eigentliche sage: Das geht uns sehr viel an, Problem begann aber nicht mit dem Ausbruch der Feind- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seligkeiten; das eigentliche Problem dieses Konflikts be- gann vorher. weil davon abhängt, ob die Ziele, die der Sicherheitsrat dieser Koalition vorgeschrieben hat, zum Beispiel der Aufbau stabiler Verhältnisse in Afghanistan, tatsächlich (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) umgesetzt werden. Deswegen kann und darf eine deut- Wie konnte es eigentlich passieren, dass wir als Euro- sche Regierung zu dem in Pakistan durch die USA prak- päer zugelassen haben, dass direkt vor unserer Haustür tizierten Völkerrechtsbruch nicht schweigen. Hier – sozusagen im eigenen Patio – ein Kampf um Einfluss- tauchen Sie regelmäßig ab. Das ist der große und grund- sphären stattfindet, anstatt des Aufbaus einer Nachbar- legende Fehler Ihrer Außenpolitik. schaft und verlässlicher Strukturen gemeinsamer Sicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heit? (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ikea-Katalog ist da!) Nächster Redner ist nun der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. – Wenn Sie das Wort „Patio“ nicht verstehen, dann kann ich das auch auf Deutsch übersetzen, liebe Kollegen. (Beifall bei der SPD) Patio heißt Innenhof. Walter Kolbow (SPD): (Gerd Andres [SPD]: Es geht doch nichts über Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Lateiner!) Lieber Herr Kollege Trittin, neben nicht wenigen ande- ren hier im Raum habe auch ich den Eindruck, dass auch Das Problem bleibt aber doch: Wollen wir als Euro- Sie schon im Wahlkampf sind und deswegen natürlich päer tatsächlich zulassen, dass ein Streit über Einfluss- besonders auf das Gaspedal drücken. Das ist erlaubt, und sphären zu unseren Lasten in der Form ausgetragen es ist eine Freude, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. wird, wie es im Konflikt zwischen Russland und Sie kennen Koalitionsverträge und die Abläufe in Koali- Georgien passiert ist? Welche Signale setzen wir darauf- tionen, und Sie wissen genau, dass sich diese Koalition, hin? Setzen wir das Signal, wie es de Hoop Scheffer die- dieser Außenminister und diese Frau Bundeskanzlerin ser Tage getan hat, dass derjenige, der einen Krieg ange- bei der Außenvertretung unserer nationalen und der in- fangen oder zumindest provoziert hat, anschließend ternationalen Interessen nicht übertreffen lassen. dafür auch noch belohnt wird, oder verabschieden wir uns endlich von einer Politik der Einflusssphären und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) kommen zurück zu den gemeinsamen Grundüberlegun- gen des Hauses Europa und einer gegenseitigen Sicher- Wir haben das Abkommen zwischen Indien und den heit? Das ist doch die Herausforderung. USA über die nuklearen Entwicklungen intensiv stu- 18692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Walter Kolbow (A) diert. Auch wir haben natürlich Bedenken, aber ich sage verbunden ist. Die Aufgaben der Europäischen Union, (C) Ihnen, dass ein Kompromiss, wonach 75 Prozent der die Konfliktlinie nach einem Rückzug Russlands aus Nukleartätigkeit der Kontrolle unterzogen werden, bes- dem kerngeorgischen Gebiet und der Pufferzone zu ser ist als das blanke Chaos ohne Kontrolle. überwachen sowie den wirtschaftlichen Aufbau Geor- giens und eine umfassende, von mir gerade angespro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chene Regionalpolitik mitzugestalten, gehören ganz der CDU/CSU) oben auf die Agenda. Wir haben erreicht, was möglich war. Dieses Thema Mich hat sehr beeindruckt, was in der heutigen Aus- muss aber weiterhin auf der Agenda stehen. Internatio- gabe der Süddeutschen Zeitung vom Dekan der Fakultät nal muss darum gerungen werden, dass der Atomtest- für Internationale Beziehungen, David Aprasidze, ge- stoppvertrag wieder zu dem Maßstab gemacht wird, der schrieben worden ist. Für mich ist es wichtig, das hier zu er sein soll und muss, um international zu vertretbaren zitieren. Er schreibt: und gerechten Verhältnissen für diejenigen zu kommen, die ihn unterzeichnet haben. Wir müssen zudem auf die- Georgien muss als moderner, westlicher Staat über- jenigen einwirken, die ihn noch nicht unterzeichnet ha- leben. Es geht jetzt nicht mehr um Saakaschwili ben, für die es aber höchste Zeit wird. und seine Regierung. Es geht auch nicht mehr um Konflikte mit Südossetien und Abchasien. Es geht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um eine Frage, die für viele Nationen in der Welt der CDU/CSU) von höchster Relevanz ist, vor allem für diejenigen Im Übrigen ist es auch wichtig – das sage ich in Rich- auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion: Welchen tung des verehrten Koalitionspartners –, unsere Positio- way of life wollen sie, und dürfen sie souverän da- nen im Inland, also bei uns, gemeinsam zu vertreten und rüber entscheiden? keinen halben Außenminister, wie gestern das Handels- Dabei müssen wir Georgien helfen. blatt titelte, zuzulassen. Herr Kollege zu Guttenberg, Sie sind ja gleich an der Reihe und können dazu auch einmal Wir müssen auch der Ukraine dabei helfen. etwas sagen; denn ich bin immer dafür, am Ort der Aus- ( [CDU/CSU]: Sehr gut!) einandersetzung Ross und Reiter zu nennen und sich nicht über diese in der Tat auch wichtigen Blätter einzu- – Kollege Grund, Sie wissen darüber wie Frau Kofler lassen. Kehren Sie also zurück zu einer vernünftigen Ge- sehr gut Bescheid. – Aber die Ukraine muss sich auch meinsamkeit; die Sache verdient es, und der Außen- selber helfen. Sie muss ihre inneren Spaltungen über- minister allemal. winden und aus Gründen der nationalen Bedeutung end- lich zur konstruktiven Gemeinsamkeit in ihrem eigenen (B) (D) (Beifall bei der SPD) Land kommen. Herr Außenminister, ich gratuliere Ihnen im Übrigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu den strategischen Linien. In der SPD-Fraktion, in Ih- der CDU/CSU und der FDP) rer Fraktion, finden Sie personell und inhaltlich einen Resonanzboden. Ich gehe davon aus, dass die verantwor- Die SPD-Bundestagsfraktion – ich gehe davon aus, tungsbewussten Fraktionen hier im Deutschen Bundestag dass dies auch für andere gilt – wird Delegationen in – alle außer einer, versteht sich – bereit sind, sich mit Ih- diese, aber auch in andere Länder schicken, die in diese nen einzulassen und mit uns darüber zu diskutieren, wie Konflikte eingewoben und davon betroffen sind. Wir das von den Kollegen Hoyer, Trittin und Schockenhoff wollen auch nach Schweden fahren. Ich hoffe nicht, gerade verantwortungsbewusst getan wurde. Ein Streit dass Carl Bildt seine eigene Agenda über die politische lohnt sich allemal, aber es muss ein Ergebnis heraus- stellt. Es ist schon interessant, zu sehen, dass sich dort kommen, das Deutschland nützt und durch das die in- gegen die Ostseepipeline Gegner formiert haben, die mit haltlichen Werte und Interessen der Außenpolitik reprä- solchen Konflikten in Zusammenhang gebracht werden. sentiert werden. Manchmal denke ich, das beste NATO-Mitglied für die- jenigen, die dort ihre Interessen verfolgen, nämlich die (Beifall bei der SPD) Vereinigten Staaten von Amerika, ist das Nicht-NATO- Mitglied Schweden. Auch dies müssen wir aufzuarbei- Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu, die ge- ten versuchen. sagt haben, dass wir sehr betrübt sein müssen, dass es überhaupt zu der Georgienkrise gekommen ist. Obwohl Der Beitrag Deutschlands auf dieser internationalen die Hängepartie seit 1992 bestand, waren wir nicht in der Konferenz mit dem Außenminister und der Kanzlerin Lage, Stabilität zu entwickeln, sodass die Ereignisse an wird zeigen, dass wir stabil genug sind, die Sache in den diesem 8. August 2008 hätten vermieden werden kön- Mittelpunkt zu stellen und den Wahlkampf hintanzustel- nen. Das muss uns ernsthaft beschäftigen. Bei allem Lob len. Die Zeit bis zur Wahl wird eh immer kürzer. Juli, an die Europäische Union: Wir müssen zu einer interna- August und September geht es richtig los. Franz tionalen Behandlung des Konflikts kommen. Die Kon- Müntefering ist gerade mitten unter uns. ferenz, die für den 15. Oktober 2008 in Genf vorgesehen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ist, muss so vorbereitet werden – möglicherweise müs- sen auch Nachfolgekonferenzen stattfinden –, dass über Ich will in der verbleibenden Zeit darauf hinweisen die Internationalisierung eine regionale Stabilität er- – gleich wird mich Kollege Weisskirchen für die SPD- reicht wird, die mit der Friedensfähigkeit der Beteiligten Fraktion bewährt ergänzen –, dass wir über das Afgha- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18693

Walter Kolbow (A) nistan-Mandat – darin stimme ich Kollegen Trittin zu – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) noch sehr viel diskutieren müssen. Diese Arbeit müssen der CDU/CSU) wir auf der Grundlage leisten, dass das, was wir bisher getan haben, richtig ist. Dieses Mandat muss natürlich Unsere Botschaften und Generalkonsulate – wir ha- aufgrund unserer Erfahrungen modifiziert werden. ben weltweit 148 Botschaften, 53 Generalkonsulate und Wichtig ist, dass wir die Afghaninnen und Afghanen 15 Konsulate – arbeiten hervorragend. Trotzdem ist nicht alleinlassen können. All das, was auf afghanischer – das liegt zum Teil daran, was in der Vergangenheit in Seite von Autoritäten und Zuständigkeiten bei der Koor- Ihrem Amt gelaufen ist, Herr Bundesaußenminister; ich dinierung, aber auch auf internationaler Ebene an Feh- will an dieser Stelle nur andeuten, dass dafür ein Staats- lern gemacht worden ist, muss aufgearbeitet werden. sekretär zuständig war, der jetzt woanders Dienst tut – Wir müssen schauen, was andere bisher falsch gemacht bei den Botschaften Personal abgebaut worden, aus haben, und ihnen in geeigneter Weise sagen, wie wir ver- welchen Gründen auch immer. Ich könnte sie Ihnen nen- hindern können, dass Menschen bei diesen schlimmen, nen. Es kann nicht angehen, dass in unseren Botschaften aber manchmal notwendigen Auseinandersetzungen zu und Konsulaten fast mehr Ortskräfte beschäftigt sind als Schaden kommen. Wir werden die Debatten um Afgha- deutsche Mitarbeiter. nistan inhaltlich zu führen haben, und zwar konstruktiv Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Wir alle loben und mit dem Willen, in der internationalen Gemeinschaft Sie dafür, dass Sie sich sehr für die auswärtige Kultur- unsere Rolle zu spielen und das Problem einer Lösung und Bildungspolitik engagieren. Auch das wurde schon zuzuführen. mehrfach angesprochen, zum Beispiel von der Kollegin Griefahn im Zusammenhang mit dem Etat des Bundes- Ich danke. kanzleramts. Ihr Engagement ist zu begrüßen. Aber ha- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie ben Sie auch die kleinen Botschaften vor Augen? Wer bei Abgeordneten der FDP) soll sich denn in diesen kleinen Botschaften, von denen es viele gibt, bei einer so knappen personellen Besetzung mit der auswärtigen Kulturpolitik befassen? Sie würden Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: diese Aufgabe unglaublich gerne wahrnehmen, aber es Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Jürgen fehlt an notwendigem Personal. Insofern wäre ich sehr Koppelin. dankbar, wenn Sie bei dem, was Sie erreichen wollen, auch das im Blick hätten. Sie sollten sich fragen, ob das, (Beifall bei der FDP) was Sie wollen, auch umgesetzt werden kann oder ob die Mitarbeiter das in ihrem Tagesablauf gar nicht schaffen (B) Jürgen Koppelin (FDP): können. (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP) Zunächst einmal finde ich es sehr erfreulich, dass es in der heutigen Diskussion zum Einzelplan 05 eine sehr Ich nenne ein anderes Beispiel. Ich bitte Sie, Herr große Übereinstimmung der Fraktionen der Sozialdemo- Bundesaußenminister, bei den kommenden Beratungen kraten, von Bündnis 90/Die Grünen, Union und auch der der Frage nachzugehen, ob das noch akzeptabel ist. Im FDP in der Außenpolitik gibt. Auswärtigen Amt gibt es 150 Stellen im einfachen Dienst, deren Besoldung beschämend ist. Ich wäre Ih- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen sehr dankbar, wenn in Ihrem Haus überlegt würde, was in diesem Bereich geändert werden kann. Die Be- Das halte ich nicht nur für die Arbeit des Bundesaußen- schäftigten sind genauso engagiert wie alle anderen. In ministers, sondern auch für das Auswärtige Amt und diesem Bereich muss dringend etwas geschehen. Das seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für wichtig. kann nicht so bleiben. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönli- Ich nenne noch einen anderen Bereich. Wir haben che Bemerkung. Ich habe bewusst die Linken nicht mit viele Botschaften aus den 50er- und 60er-Jahren, und wir eingeschlossen, obwohl ich weiß, dass der eine oder an- haben viele Liegenschaften aus der ehemaligen DDR dere sich gerne an dem Konsens beteiligen würde. Ich übernommen. Hierfür müssen unglaublich schnell bin froh darüber, dass ich in meiner Fraktion immer die enorme Mittel eingesetzt werden. Außerdem muss ge- Möglichkeit gehabt habe, zu begründen, warum ich nicht klärt werden, wie wir uns in diesem Bereich engagieren für den Afghanistan-Einsatz bin. Wir tauschen die Ar- sollen, ob weiter gemietet werden soll, ob die Häuser re- gumente aus. Aber so, wie Sie argumentieren, Kollegin novierungsbedürftig sind, ob sie gekauft werden sollen. Knoche – das muss ich leider feststellen –, schämt man sich fast, so abgestimmt zu haben. Ich sage Ihnen ganz Ich bitte Sie sehr herzlich, Herr Bundesaußenminister offen: So geht es nicht. Ich habe immer Respekt vor den- – vielleicht haben Sie trotz Ihres vollen Programms die jenigen gehabt, die zu einer anderen Entscheidung ge- Möglichkeit dazu –, ein ernsthaftes Gespräch mit Ihrer kommen sind, weil ich davon überzeugt bin, dass es in Bauabteilung zu führen. Vieles geht nicht an. Ich will der Frage des Afghanistan-Einsatzes kein Schwarz-Weiß das an einem Beispiel verdeutlichen. In einem asiati- gibt. Insofern fand ich Ihren Beitrag ausgesprochen schen Land gibt es eine kleine Botschaft mit einem Feu- peinlich. Ich weiß, dass andere dies besser könnten. Ihre erlöschteich, der aus Sicherheitsgründen dringend erwei- Fraktion sollte sich überlegen, ob Sie bei solchen The- tert werden müsste. Was meinen Sie, wie viele Leute aus men noch einmal ans Rednerpult geschickt werden. der Bauabteilung schon erschienen sind, um sich diesen 18694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Jürgen Koppelin (A) kleinen Löschteich anzusehen? Es darf doch nicht wahr einandersetzen –, im Status quo zu verharren, trotz der (C) sein, dass so viele Leute damit beschäftigt sind. Man Wünsche, die Sie geäußert haben und die nicht ganz muss doch nur ein paar tausend Euro einsetzen, damit falsch sind. Daran müssen wir weiter arbeiten. die Erweiterung finanziert werden kann. Herr Bundesaußenminister, diese Haushaltsdebatte Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Es gibt Bürokra- gibt mir die seltene Gelegenheit, im Namen des ganzen tie noch und noch, leider auch in Ihrem Hause. Das Hauses den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Aus- werfe ich Ihnen nicht vor, aber ich will Sie darauf hin- wärtigen Amt sowie ihren Familien für eine entbeh- weisen. Vielleicht können Sie einen Staatssekretär be- rungsreiche und harte Arbeit von Herzen zu danken. auftragen, sich um diese Fragen zu kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Für wichtig halte ich vor allem, dass wir uns mit der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Besoldung unserer Mitarbeiter in den Botschaften befas- bei Abgeordneten der LINKEN) sen. Gerade dann, wenn sich die Konjunktur gut entwi- Ich beziehe in meinen Dank auch die Helfer im zivilen ckelt, stehen wir in Konkurrenz zur Wirtschaft. Wir wol- und im militärischen Bereich ein, die im Ausland einge- len schließlich nach wie vor gute Leute bekommen. setzt sind und dort die Interessen unseres Landes vertre- Hier können Sie mit unserem Engagement rechnen. ten und das Geltendmachen des Völkerrechts unterstüt- Wenn wir gute Leute haben wollen, dann müssen wir sie zen. Auch sie verdienen unseren Dank. auch angemessen bezahlen. Die Berichterstatter zum Im Hinblick auf das Auswärtige Amt – dort wird erst- Einzelplan 05 sind gerne bereit, in den Auswärtigen klassige Arbeit geleistet – sollten wir alle den Anspruch Ausschuss – Herr Kollege Polenz ist heute anwesend – erheben, die Traditionslinie aufrechtzuerhalten, wonach zu kommen. Ich bitte aber um eine gute Zusammenarbeit die Geeignetsten und die Besten für diesen Bereich zu und darum, uns nicht zu lange warten zu lassen. finden sind. Diese Tradition sollte fortgeführt werden. Wir sind bereit, zusammen mit Ihnen und dem Aus- Wir sollten – das ist sowohl eine Aufgabe der Parlamen- wärtigen Ausschuss alles für die Angehörigen des Aus- tarier als auch der Bundesregierung – den Dienst wei- wärtigen Dienstes herauszuholen, was geht. Nach wie terhin so attraktiv gestalten, dass man auch die vor bin ich der Auffassung, dass der Etat des Auswärti- Geeignetsten bekommt. Hierfür müssen natürlich Mittel gen Amtes im Vergleich zum Gesamtetat viel zu klein ist. bereitgestellt werden – ich greife hier auf das zurück, Seine großen Aufgaben spiegeln sich nicht im Etat wider. was Herr Koppelin gesagt hat –, und zwar nicht nur für den Dienst hier in Berlin, sondern auch für die Auslands- Herzlichen Dank. posten. Dieser Aufgabe haben wir uns alle zu stellen. Ich glaube, wir könnten hier noch etwas mehr Kraft investie- (B) (Beifall bei der FDP) (D) ren. Es darf nicht passieren, dass der Auswärtige Dienst keine Attraktivität mehr entfaltet. Ich glaube, er ist wei- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: terhin attraktiv. Aber er bedarf der entsprechenden Aus- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Freiherr zu stattung. Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer auch in meinen Augen sehr wichtiger Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ Aspekt, den Sie, Herr Bundesaußenminister, angespro- CSU): chen haben und den auch die Bundeskanzlerin heute Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Morgen glücklicherweise dargestellt hat, ist die Stärkung Herren! Herr Trittin, es ist eine Freude, von Ihnen so lie- der auswärtigen Kulturpolitik. Das ist kein Orchi- bevoll bemuttert zu werden. Sie befassen sich offenbar deenthema, sondern ein Thema, das als gesellschaftli- mehr mit einzelnen Halbsätzen und Äußerungen aus cher Brückenkopf weltweit unseren Interessen und der meiner Partei als mit dem außenpolitischen Wirrwarr in Durchsetzung gewisser kultureller Werte, die für uns im- Ihrer eigenen Partei. Davon haben wir in Ihrer leider nur mer eine Rolle spielen, dient. Hier ist der Abwärtstrend wenige Minuten dauernden Rede wenig gehört. Aber das gestoppt worden. In den letzten beiden Jahren ist eine wäre durchaus darstellbar gewesen. Vor dem Hinter- leichte Aufwärtsbewegung erkennbar. Aber auch hier grund des Hinterhofs kann man sagen: viel Patio, aber darf noch mehr geschehen. Das sollten wir noch weiter wenig Ratio in Ihren Äußerungen. unterfüttern. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Punkte und die Herausforderungen unserer Zeit, vor denen wir stehen, sowie die großen Linien, die Ich komme zu einem weiteren Thema, mit dem wir heute angesprochen wurden, bedürfen weiterhin einer uns dieser Tage befassen. Vielleicht sollte man Ihre hüb- Außenpolitik – Herr Kolbow, nun komme ich zu dem sche Pferdemetapher, die Sie für den amerikanisch-indi- von Ihnen angesprochenen Punkt; ich winde mich nicht schen Nukleardeal benutzt haben, weiterdenken. Eine heraus –, die eine engstmögliche Abstimmung zwischen Partei, der eigentlich etwas am Tierschutzgedanken gele- den unterschiedlichen Planeten im Sonnensystem Bun- gen ist, sollte auch ein Interesse an der Wiederbelebung desregierung gewährleistet; das ist richtig. Den einen eines halb toten Gauls haben. Dieser Anspruch sollte oder anderen parlamentarischen Meteoriteneinschlag und kann erhoben werden. Die Alternative wäre im werden sie schon aushalten, aber eine enge Abstimmung Zweifelsfall – damit müsste man sich dann ernsthaft aus- ist weiterhin entscheidend. Ich habe relativ wenig Sorge, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18695

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (A) dass es allen Protagonisten in der ihnen eigenen sportli- von der Bundeskanzlerin umgesetzten Anspruch, eine (C) chen Eleganz auch in der derzeitigen Phase gelingt, den werteorientierte Außenpolitik zu gestalten. Das steht uns Spagat zwischen gelegentlich notwendigem innenpoliti- als Land gut zu Gesicht und hat insgesamt zu einer kohä- schen Gemurmel und außenpolitischer Verantwortung renten Außenpolitik geführt. darzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Er Ohne in historisches Pathos zu verfallen, glaube ich spricht über sich!) sagen zu können, dass sich die Außen- und Sicherheits- Für das Gemurmel sorgen dann auch wir immer wieder politik der letzten drei Jahre durchaus sehen lassen kann. zuverlässig. Aber das sollte einer gewissen Gelassenheit Es bleibt allerdings weiterhin erforderlich, die stets not- in dieser Frage nicht entgegenstehen. wendige strategische Fortschreibung vorzunehmen. Dazu müssen auch die nächsten Monate bis zu den Bun- Die nächsten zwölf Monate erfordern unabgelenkte destagswahlen genutzt werden. Das gilt angesichts der Aufmerksamkeit. Deswegen ist es aus unserer Sicht, si- Asymmetrien, vor denen wir stehen, aber auch ange- cherlich aber auch aus Ihrer, Herr Außenminister, so sichts der einen oder anderen wiedergekehrten Symme- wichtig, dass die Konzentration im Wesentlichen auf trie. Wir haben in den letzten Jahren immer nur über dem außenpolitischen Geschehen bleibt. Keiner von uns Asymmetrien gesprochen. Das eine oder andere taucht hat ein Interesse an einer Ausweitung der Konfliktsze- jetzt aber wieder symmetrisch am Horizont auf. Wir ste- narien, die heute schon angesprochen wurden, sei es der hen weiterhin vor Bedrohungsszenarien, die mittlerweile Kaukasus, sei es der Nahe Osten, sei es Afghanistan, sei fatalerweise schon eine klassische Trias darstellen: inter- es – hoffentlich nicht wiederkehrend – auf dem Balkan, nationaler Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und sei es in Teilen Afrikas oder sei es – das ist nicht nur eine scheiternde oder gescheiterte Staaten. Fußnote wert – in leider wieder vergessenen Teilen Asiens. Im Hinblick auf Asien haben wir uns in diesem Beim Stichwort Massenvernichtungswaffen sei noch Jahr mit einem Bereich beschäftigt, der im Grunde schon ein Wort zur Abrüstung und Rüstungskontrolle gestat- wieder gänzlich aus dem Blickwinkel verschwunden ist. tet. Wir sehen mit Freuden, dass dieses Thema eine Prio- rität in der Politik der Bundesregierung darstellt; über In- Dafür brauchen wir weiterhin eine starke, vernehm- dien wurde heute schon diskutiert. bare Stimme im manchmal doch – das wird sich leider nie ganz verhindern lassen – polyphonen europäischen Gelegentlich ist es aber doch so, dass wir uns aus par- Konzert, gerade auch gegenüber dem einen oder anderen lamentarischer Sicht etwas mehr Schubkräfte wünschen zu Hyperaktivität neigenden Nachbarn in Europa. Da würden, gerade wenn es um die internationalen Prozesse wird unsere Stimme von hohem Gewicht sein. Das gilt und Verhandlungen geht. Mit Verlaub, Herr Bundes- (B) (D) gerade vor dem Hintergrund weiterhin schwelender klei- außenminister, so stolz wir alle auf den Erfolg im Zu- nerer, aber manchmal auch größerer Friktionspotenziale, sammenhang mit den Streubomben sind, wenn wir ganz die von näheren und ferneren Partnern gerne für ihre In- ehrlich sind, dann müssen wir feststellen, dass das eine teressen in Anspruch genommen werden. Die Bundes- parlamentarische Initiative war und wir Parlamentarier republik Deutschland, aber auch Europa sollte diesen In- die Bundesregierung letztlich zum Jagen getragen ha- teressen keinen Vorschub leisten. ben. Über das Ergebnis freuen wir uns, aber die Initiative kam aus dem Bundestag. Den Stolz in dieser Frage soll- Wenn wir als starke und vernehmbare Stimme gehört ten wir uns nicht nehmen lassen. werden wollen, müssen wir in der Lage sein, zusammen- zuführen. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie hervorgehoben werden, dass es dieser Bundesregierung bei Abgeordneten der SPD) gelungen ist, die Kontinuitätslinie wieder herzustellen, Es erwächst eine Vielzahl neuer Herausforderun- keine Exklusivpartnerschaften oder Ähnliches zu bilden gen. Viele sind genannt worden. Dazu gehören der Kli- und das Zusammenführen in Europa und darüber hinaus mawandel und die Demografie, dazu zählt die Ressour- in den Mittelpunkt zu stellen. Das hat uns durchaus zur cenversorgung. Wir sollten die Frage des Wassers nicht Stärke gereicht und ist Ausdruck der gelungenen Außen- gänzlich ausklammern. Diese Frage befindet sich kaum politik der letzten drei Jahre. Das unterscheidet diese auf unserem Schirm, wenn wir über Konfliktszenarien auch von der Außenpolitik der Vorgängerregierung. reden. Dazu gehören auch die Sicherheit unserer Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) munikationsnetze und andere Dinge. Insgesamt müssen wir die eine oder andere konzeptionelle Lücke schließen, Wir werden weiterhin eine Außenpolitik brauchen, die wir noch sehen. Wir haben bislang tatsächlich – da die das oft zitierte Wechselspiel zwischen Interessen gebe ich den Vorrednern recht – keine grundsätzliche und Werten in eine verantwortungsvolle und darstell- strategische Neubewertung Pakistans. Lateinamerika bare Balance bringt. Herr Bundesaußenminister, Sie würde noch etwas mehr Aufmerksamkeit nach richtigen sprachen von der Ausbalancierung der neuen Kräfte im und wichtigen Reisen vertragen. Ähnliches gilt für den globalen Geschehen. Darin muss sich aber auch die Ba- Iran. Hier sind wir in einer kreativen Stagnation, aber lance der beiden genannten Faktoren passgenau einfü- noch nicht furchtbar viel weiter. gen. Von daher ist es sicher richtig, dass in den vergan- genen Jahren oftmals klar formulierte Interessen auch Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Auf- von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dargestellt wur- gaben über Aufgaben, die nicht in den Bereich der den. Aber wir können durchaus auch stolz sein auf den Innenpolitik fallen, aber die uns, die wir in der Außen- 18696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (A) politik tätig sein dürfen, in den nächsten Monaten be- Jahren in die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ge- (C) schäftigen werden. Diese Felder erfordern unsere ganze steckt. Das ist nicht einmal ein halbes Prozent dieser Konzentration. Ich bin sicher, dass es uns allen gelingen Mehrausgaben. Nicht einmal ein halbes Prozent dieser wird, diese Konzentration aufzubringen, Ihnen, Herr Mehrausgaben wurde in vier Jahren zur Verfügung ge- Bundesaußenminister, mit der Ihnen eigenen Kraft ganz stellt, um die wichtige zivile dritte Säule – die auswär- bestimmt. In diesem Sinne stehen wir nicht vor einem tige Kultur- und Bildungspolitik – zu stärken. schlechten Jahr, sondern vor einem, das uns fordern wird. Für eine andere Säule Ihrer Außenpolitik, nämlich den Verteidigungsetat, mobilisierte man dagegen – völ- Herzlichen Dank. lig mühelos – innerhalb dieser vier Jahre über 7 Milliar- den Euro. Auch das betrifft verantwortungsvolle Außen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- politik. Sie haben einen mit 24 Milliarden Euro ohnehin neten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ schon hohen Verteidigungsetat übernommen und diesen DIE GRÜNEN]: Das war jetzt weder Ratio letztendlich um ein Drittel auf die Summe von 31 Mil- noch Patio!) liarden Euro aufgepumpt. So regiert die Friedensmacht SPD, wie einmal plakatiert wurde, unter einer schwarzen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Kanzlerin. Wenn aber China seinen Verteidigungsetat in- Nächster Redner ist nun der Kollege Michael Leutert nerhalb von wenigen Jahren um einen solchen Anteil er- für die Fraktion Die Linke. höhen würde, dann wäre das Geschrei hier in diesem Hohen Hause groß. Wir können uns an das Jahr 2006 er- (Beifall bei der LINKEN) innern. Damals ist das geschehen.

Michael Leutert (DIE LINKE): Je mehr man ins Detail geht, desto bitterer wird es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einfach. Der heute hier zur Beratung anstehende Haus- Beim Lesen des Haushaltsplanes dieses Jahres ging mir halt des Auswärtigen Amtes umfasst magere 3 Milliar- ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, und zwar das den Euro. Das ist gerade einmal 1 Prozent des Gesamt- neue Motto der Koalitionsfraktionen: Ja, wir brechen, etats. Was die Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, ist, was wir versprechen. – Das können Sie gerne als Slogan was sich dahinter noch alles versteckt. So zahlt der Au- nächstes Jahr im Wahlkampf verwenden. Es ist traurig, ßenminister allein aus diesem Etat zum Beispiel 500 Mil- aber wahr. Am Ende der Wahlperiode muss festgestellt lionen Euro für UN-Militäreinsätze. Weitere 10 Millio- werden, dass die schwarz-rote Regierung nicht nur die nen Euro werden für die sogenannte Ausstattungshilfe Hoffnung der Bürger bitter enttäuscht hat, sondern noch für andere Streitkräfte zur Verfügung gestellt. Unter dem (B) nicht einmal ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden neuen Titel „Afrika-Initiative im Rahmen der deutschen (D) konnte. Sie können gerne einen Blick in den Koalitions- G8-Präsidentschaft“ – man könnte denken, dass sich da- vertrag werfen. Dort steht schon in der Präambel: hinter etwas Gutes verbirgt – ist unter anderem die Fi- nanzierung der African Standby Forces zu finden. Diese CDU, CSU und SPD treten dafür ein, dass Deutsch- Zahlen sprechen eine klare Sprache. Man kann durchaus land darauf dringt, Konflikte friedlich zu lösen. von einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik Weiter im Hauptteil heißt es: sprechen. Gemeinsam ... setzen wir uns auch künftig für Frie- (Jürgen Koppelin [FDP]: Ach, komm! Aber den, Demokratie und Freiheit in der Welt ein. doch nicht mit 1 Prozent!) Weiterhin werden die Stärkung der Abrüstung und Rüs- Von wirklich nachhaltiger und verantwortungsvoller tungskontrolle genannt. Auch heißt es – das wurde heute Friedens- und Präventionspolitik ist keine Spur zu fin- schon mehrmals angesprochen –: den. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die (Jürgen Koppelin [FDP]: Wer hat dir denn das dritte Säule der deutschen Außenpolitik. aufgeschrieben? – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das war der Referent aus dem Das liest sich fast wie ein Flyer auf einer Linken-Demo. Rosa-Luxemburg-Haus!) Im Gegensatz zu uns Linken hatten Sie in den letzten Jahren sowohl die Macht als auch das Geld, dies in Taten – Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, oder nicht? umzusetzen. 0,5 Prozent gegenüber 20 Prozent im Verteidigungsetat. – Mit diesen 33 Milliarden Euro hätte man wesentlich Wenn man dagegen die Fakten betrachtet, ist die Bi- mehr erreichen können, wenn man nachhaltig investiert lanz ernüchternd. In den vier Jahren, seitdem Schwarz- hätte, zum Beispiel in den Kampf gegen Aids, in die Rot regiert, haben wir über 30 Milliarden Euro mehr an Überwindung des Hungers, in die Überwindung der Ar- Ausgaben zu verzeichnen, die natürlich der Bürger über mut, in den Klimaschutz, in Demokratisierungsprojekte seine Steuern aufbringt. usw. usf. Hätte man diese Projekte ambitioniert in An- (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ griff genommen, dann hätte man außenpolitisch höchst- DIE GRÜNEN]: Und die Bürgerinnen!) wahrscheinlich mehr Effekte erzielen können als das, was in Afghanistan derzeit zu verzeichnen ist. – Entschuldigung, natürlich auch die Bürgerinnen! – Da- von wurden rund 150 Millionen Euro innerhalb von vier (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18697

Michael Leutert (A) Nichtsdestotrotz haben Sie ein Versprechen sicherlich Knoche, ich finde es dennoch – auch gegenüber unseren (C) gehalten. Im Koalitionsvertrag steht nämlich auch: „Wir Soldaten – absolut unangemessen, dass Sie diese Vor- werden mutig sparen ...“ Gespart haben Sie natürlich, fälle sofort für Ihre immer gleiche Forderung nach einem aber, wie wir eben gesehen haben, an den falschen Stel- Abzug aus Afghanistan instrumentalisieren len, an Stellen, an denen eh nichts mehr zu holen ist, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht an Stellen investiert, durch deren Unterstützung die sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) Welt friedlicher und sicherer gemacht wird. Dort waren Sie sehr zögerlich. Beim Verteidigungsminister haben und damit diesen Tod junger Soldaten dazu benutzen, Sie dagegen kräftig draufgelegt. Damit haben Sie letzt- um in der Bevölkerung weiter Stimmung gegen diesen endlich nicht nur Ihre Wahlversprechen gebrochen, son- Einsatz zu machen. Ich finde es unerträglich, das ausge- dern auch Ihren eigenen Koalitionsvertrag. Ich bin sehr rechnet immer an dieser Stelle zu tun. gespannt, wie Sie das nächstes Jahr Ihren Wählerinnen und Wählern erklären möchten. Der neue Slogan der Auch wenn es eine Verschärfung der Sicherheitslage Koalition „Wir brechen, was wir versprechen“ hat sehr gibt, ist es falsch und unverantwortlich, zu behaupten wohl seine Berechtigung. Viele Menschen werden Ihnen – auch das will ich hier sehr klar sagen –, deutsche Sol- allerdings nicht mehr Glauben schenken. Ich freue mich daten würden im Norden Krieg führen. Jeder, der sich schon jetzt sehr auf die Haushaltsverhandlungen in der aus vermeintlich noch so guten Gründen in der Art an nächsten Legislaturperiode. Ich bin mir relativ sicher: dieser Debatte beteiligt – das sind nicht nur die Linken; Die Linke wird hier dann in doppelter Mannschafts- es gibt auch andere in der Gesellschaft, die das tun –, stärke vertreten sein. trägt meiner Meinung nach nicht zur Aufklärung bei, sondern erweist der ganzen Sache einen Bärendienst. Vielen Dank. Das war jedenfalls ganz klar das Ergebnis einer Reise, die der Herr Kollege Nachtwei und ich im August unter- (Beifall bei der LINKEN) nommen haben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Bundeswehr führt im Norden nach wie vor kei- Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für nen Krieg gegen Aufständische – aggressive Gegnerbe- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. kämpfung, Terroristenjagd, das findet im deutschen Ver- antwortungsbereich unter ISAF nicht statt –, sondern sie bemüht sich um Gewalteindämmung und leistet, übri- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gens immer häufiger, schlicht Sicherheitsunterstützung NEN): für die afghanische Armee, die ANA. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge- (B) ehrter Herr Kollege Leutert, ich möchte noch etwas zu Allerdings – das will ich an die Adresse der Bundes- (D) Ihrem Beitrag sagen. Wenn ich mich richtig erinnere, ge- regierung sagen – geht die verschärfte Sicherheitslage hören die Beiträge an die Vereinten Nationen übrigens mit einer extrem schlechten Stimmungslage in der Be- auch zum Einzelplan, den wir hier beraten. Diese Bei- völkerung einher – das will ich von unserer Reise hier träge als „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ einmal zur Kenntnis geben; das muss man sehr ernst zu bezeichnen, ist, finde ich, für eine Völkerrechtspartei nehmen –, einer schlechten Stimmungslage gegenüber schon ziemlich danebengegriffen. der Regierung Karzai und damit verbunden zunehmend auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anfänglicher Aufbaueuphorie ist also nichts mehr zu sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und spüren. Der Vorwurf „massive Korruption“ ist in jedem der SPD – Gerd Andres [SPD]: Die ganze Gespräch ein Thema, ebenso der Vorwurf „Kollabora- Rede war doch Quatsch!) tion mit den Warlords“. Auch wird beklagt, dass kaum Ich hätte noch ein paar andere Stellen – zivile Konflikt- etwas von den Aufbaumitteln vor Ort ankommt. prävention und Ähnliches – nehmen können. Deshalb sage ich an uns alle und aus der Sicht einer, Ich möchte mich in meinem Beitrag auf Afghanistan die den Einsatz deutscher Soldaten im Grundsatz unter- konzentrieren. Wenn es hier um die Grundlinien der stützt und will, dass er erfolgreich wird, sehr klar: Wenn deutschen Außenpolitik geht, dann ist das ein Thema, wir angesichts der Dynamik von sich verschärfender Si- das wir nicht nur im Zusammenhang mit der Mandats- cherheitslage und sich verschlechternder Stimmungslage verlängerung diskutieren sollten. Die eher schlechten nicht endlich einen Kurswechsel einleiten, dann – das ist Nachrichten häufen sich in letzter Zeit. Im Zeitraum meine ganz große Befürchtung – wird dieser Afghanis- vom 6. bis zum 31. August kam es auch im deutschen tan-Einsatz scheitern. Verantwortungsbereich, im Norden, zu Anschlägen. Es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gab zwei IED-Anschläge und ein Selbstmordattentat auf SES 90/DIE GRÜNEN) Patrouillen der deutschen Soldaten, bei dem ein Soldat starb, sowie den schrecklichen Vorfall an einem Check- Deshalb ist es meiner Meinung nach – um es vorsich- point, bei dem eine Frau und zwei Kinder ums Leben ka- tig zu formulieren – nicht klug, dass die Antwort der men. Bundesregierung, etwa mit dem letzte Woche beschlos- senen Afghanistan-Konzept, ein schlichtes „Weiter so“ Das zeigt: Die Sicherheitslage in Afghanistan, auch ist. im Norden des Landes, verschärft sich. Ich glaube, da gibt es nichts zu beschönigen. Liebe Frau Kollegin (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Ja!) 18698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Kerstin Müller (Köln) (A) Meiner Meinung nach fährt man damit den Einsatz vor Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): (C) die Wand. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben auf der Geberkonfe- Liebe Kerstin Müller, ein Blick in den Haushaltsentwurf renz im Juni in Paris noch einmal klar gesagt, ein „Wei- zeigt, dass ein Plus von 170 Millionen Euro bereitge- ter so“ dürfe es in Afghanistan nicht geben. stellt wird, um genau das zu untermauern und zu bestär- ken, was der Herr Außenminister hier sagt, nämlich da- (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: für zu sorgen, dass der zivile Aufbau in Afghanistan Gibt es auch nicht!) gestärkt und unterstützt wird und weitere Projekte in Gang gesetzt werden. Das ist die Absicht, wenn wir sa- – Doch. An den meisten Stellen gibt es das. Deshalb will gen, wir müssen im Land selbst einen Strategiewechsel ich erneut sagen, was unserer Meinung nach „Kurswech- voranbringen. Das betrifft die Bereiche Polizei, Schulen, sel“ bedeutet. Wasserprojekte, Elektrizität und Verkehr. Es geht darum, Gestern haben die UN noch einmal erklärt: Es gab die Infrastruktur zu stärken und zu unterstützen und da- noch nie so viele zivile Opfer wie im August, und ich er- für mehr Finanzmittel in die Hand zu nehmen. Genau innere an den Vorfall in Schindand, wo 90 Zivilisten, da- das ist der Strategiewechsel, der sich jetzt zusätzlich im von 60 Kinder durch Luftangriffe starben. Sie sagen, der Haushaltsentwurf, den wir später verabschieden werden, Strategiewechsel habe stattgefunden. Ich kann Ihnen abzeichnet. von unserer Reise nur berichten: Dieser Strategiewech- sel hat am Boden nicht stattgefunden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte noch einen Gedanken des Kollegen NEN]: So ist es!) zu Guttenberg aus seiner Rede von vorhin zu werte- orientierter Außenpolitik aufgreifen. Man kann dies Ich finde es falsch, zu sagen: Wir dürfen anderen rhetorisch immer wunderbar beschreiben. Es kommt nicht vorhalten, was sie in ihrem Einsatzbereich viel- aber immer darauf an, was das konkret bedeutet. Ich leicht falsch oder anders machen. – Glauben Sie nicht, sage mit aller Klarheit: Wer zum Beispiel durch die Mit- dass die Afghanen im Norden oder im Westen oder in tel des Bundeshaushalts, durch die Unterstützung des Kabul nicht ganz genau beobachten, was im Süden und Außenministers und beispielsweise auch durch die Un- im Osten passiert? In jedem Gespräch bekommen Sie terstützung der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion genannt, was wieder passiert ist, dass es zivile Opfer ge- dafür gesorgt hat, dass Boris Tadic eine Chance hat, als geben hat. Deshalb glaube ich, dass es ganz entschei- Präsident gewählt zu werden, der ist dann auch derje- dend ist, den Kurswechsel, der innerhalb der NATO viel- nige, der versucht hat, die Demokratie und den europäi- (B) leicht diskutiert wurde, aber im Süden und im Osten von schen Gedanken in Serbien zu unterstützen, zu verstär- (D) einigen Partnern offensichtlich nicht umgesetzt wird, ken und nachher auch zu einem politischen Sieg zu vorzunehmen. Diesen Kurswechsel müssen Sie von den verhelfen. Ich darf zurückfragen: Wer hat Kostunica als anderen Partnern in der internationalen Gemeinschaft Partner in der eigenen Parteifamilie? dringend einfordern. Liebe Kollegin Beck, Sie wissen es genauso gut, es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht immer darum, das konkret und präzise zu machen Der zweite Punkt beim Kurswechsel ist, dass der zi- und sich dann richtig für die Kräfte der Demokratie und vile Aufbau endlich Priorität bekommen und ins Zen- für die Kräfte zu entscheiden, die in die Europäische trum des Unterstützungsmandats von ISAF gestellt wer- Union führen. Das kann man immer nur an konkreten den muss. Nur erwähnen möchte ich – wir werden es im Beispielen machen. In Serbien haben wir das sehr deut- Rahmen der Diskussion des Mandats noch ausführlicher lich gemacht. Das ist werteorientierte Außenpolitik. darlegen –: Wenn wir zu einer sich selbst tragenden Si- (Beifall bei der SPD) cherheit kommen wollen, dann muss der Aufbau von Ar- mee und Polizei ins Zentrum. Armee, das ist eine rela- Lassen Sie mich noch einmal auf den Konflikt im tive Erfolgsgeschichte – das bekommt man überall zu südlichen Kaukasus zurückkommen. Wir alle haben ei- hören –; die Polizei, das ist immer noch ein Desaster. nen Moment lang in den Abgrund geblickt, als wir sa- Wir haben Interesse daran, dass die Polizei in Afghanis- hen, was Anfang August dort stattgefunden hat. Ja, es ist tan aufgebaut wird. Die EUPOL-Mission ist immer noch so, Südossetien und Abchasien sind Teile eines ineinan- nicht auf der richtigen Schiene. Wir sind massiv dafür, der verhakten Bündels von ungelösten, nationalistisch dass das bilaterale Polizeiprojekt, das gut, aber immer gegeneinander gerichteten und aufgeladenen Konflikten. noch zu klein ist, ganz intensiv ausgebaut wird. Das ist In den 90er-Jahren wurde der Begriff „eingefrorene entscheidend, wenn es in naher Zukuft um eine Exit- Konflikte“ erfunden. Welche Verharmlosung! Diese wa- Strategie gehen und wenn dieser Einsatz erfolgreich sein ren nicht eingefroren, sondern sie waren immer fast an soll. der Oberfläche. Im Inneren gab es immer die Angst, dass sie explodieren könnten. Es ist der internationalen Staa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tengemeinschaft leider nicht gelungen – weder der Minsk-Gruppe der OSZE noch anderen –, das Bewusst- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sein dafür, dass dort etwas explodieren kann, so ernst zu Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen nehmen, dass wir darauf eine andere Antwort gegeben für die SPD-Fraktion. hätten, als wir sie gegeben haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18699

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) Das ist ein Versäumnis gewesen. Vielleicht sollten wir sen das ja bis heute nicht definitiv – eine Dummheit be- (C) in der Außenpolitik zu den 90er-Jahren zurückkommen. gangen hat, indem sie russische Truppen und die Stadt Damals wurde immer versucht, Balance zu halten. Da, Zchinwali angegriffen hat. Ich habe bewusst „möglicher- wo Länder das Recht haben, Mitglied der NATO zu wer- weise“ gesagt und möchte das auch noch einmal beto- den, konnte immer ausgeglichen werden, denn es wur- nen. den Balancesysteme entwickelt, sodass Russland eine Chance hatte, sich politisch daran zu beteiligen. Ein Bei- Teilen Sie auch meine Einsicht, dass wir bisher noch spiel dafür ist der NATO-Russland-Rat. Ab einem be- keine belastbaren Erkenntnisse darüber haben, was sich stimmten Zeitpunkt der Entwicklung ist dies versäumt im Zeitraum zwischen dem 1. und 8. August abgespielt worden. Deswegen gibt es jetzt einen Widerspruch. Wir hat? Meines Wissens hat die OSZE bisher noch keine In- unterstützen und unterstreichen unsere Politik vollstän- formationen darüber nach außen gegeben. dig berechtigt mit Absichten. Das sind natürlich die Ab- Teilen Sie vielleicht auch meine Überlegung, dass die sichten, die ausdrücken, dass wir der festen Überzeu- von Medwedew aufgestellten fünf außenpolitischen gung sind, dass die NATO-Mitgliedschaft auch im Prinzipien, die beunruhigenderweise wieder das Recht Interesse Russlands ist. Aber es gibt umgekehrt auch auf Einflusssphären reklamieren, durchaus strategisch eine Art Perzeption in Russland, dass sich diese Ent- darauf angelegt gewesen sein könnten, aus dem Südkau- wicklung gegen die Interessen Russlands richtet. Es ist kasus wieder einen Teil herauszubrechen und in die Ein- leider so. Wir müssen nun einerseits diesen Widerspruch flusssphäre Russlands zurückzuholen? erkennen und außenpolitisch andererseits versuchen – Kollege Hoyer hat vorhin indirekt darauf hingewiesen, Teilen Sie auch meine Auffassung, dass das Austeilen ohne dass er den Namen der entsprechenden Person ge- von russischen Pässen in Abchasien und Südossetien nannt hat –, dass die andere Seite, also Saakaschwili, zu völkerrechtswidrig war und von daher ein bedenklicher einer Politik zurückkehrt, die Hans-Dietrich Genscher Schritt der russischen Außenpolitik gewesen ist? folgendermaßen charakterisiert hat: Außenpolitik ist kein Abenteuerspielplatz. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): (Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!) Liebe Kollegin Beck, zunächst einmal glaube ich, dass es richtig wäre – wenn ich es richtig sehe, hat sich Außenpolitik ist also kein Abenteuerspielplatz, bei die Bundesregierung insbesondere im Europäischen Rat der jeder einmal seine Muskeln zeigt. Wir alle müssen mit anderen darauf verständigt –, eine unabhängige mithelfen, dass alle Beteiligten und alle Akteure auch internationale Untersuchung durchzuführen, um he- die Interessen der anderen berücksichtigen und daraus rauszufinden, was wirklich geschehen ist. Ich teile diese richtige und vernünftige Schlüsse ziehen. Ich bin dank- (B) Auffassung. Auch wir haben uns, als wir zusammen in (D) bar dafür, dass von der Bundeskanzlerin und vom Au- Moskau und Kiew waren – Sie waren später auch noch ßenminister sich leidenschaftlich darum bemüht wurde, in Tbilissi –, diese Auffassung zu eigen gemacht. Es ist dafür zu sorgen, dass in dieser Krise alle zur Vernunft also verfrüht, eine Entscheidung darüber zu treffen, wer zurückkehren. Hier gibt es eine Gemeinsamkeit des an dem Konflikt schuld ist. Denkens und Handelns, die den Willen deutlich macht, dass die Europäer in solchen Krisensituationen vernünf- (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das ist sehr tig handeln, um zu versuchen, die gefährliche Gewalt- gut!) spirale zu durchbrechen und in solchen Situationen dem – Ja, ja. Frieden eine Chance zu geben. Ich bin dankbar dafür, dass die Frau Bundeskanzlerin und der Außenminister in Hinzuzufügen wäre allerdings, dass aufgrund des Be- der entscheidenden Situation das Richtige getan haben. richts der OSZE – ich denke, Sie können ihn sicherlich bekommen –, in dem chronologisch festgehalten ist, was (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geschehen ist, durchaus die Frage berechtigt ist, inwie- weit Saakaschwili eine bestimmte Situation – Sie haben Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dieses Verhalten als „möglicherweise eine Dummheit“ Herr Kollege, darf ich Ihren Redefluss unterbrechen? beschrieben – ausgenutzt hat. Das mag so sein. Ich Mir liegt die Bitte nach einer Zwischenfrage der Kolle- würde sagen, lasst uns das sorgfältig prüfen und dann zu gin Beck vor. einem Ergebnis kommen. Das Dritte, was ich sagen will: Sie fragten nach Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Medwedews fünf Prinzipien. Wenn Sie sich diese fünf Gerne. Prinzipien genau anschauen, werden Sie feststellen, dass es einen inneren Widerspruch zwischen den ersten drei Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE und den letzten beiden Prinzipien gibt. GRÜNEN): (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das stimmt!) Lieber Kollege Weisskirchen, wir sind ja als Obleute zusammen unterwegs gewesen und haben versucht, Ich finde, dass es jetzt unserer Seite obliegt, im Gespräch diese Krisenregion zu bereisen. Sie haben eben davon mit Moskau präzise darüber zu debattieren. Nummer gesprochen, dass Politik kein Abenteuerspielplatz sei. eins besagt: Internationales Recht hat immer Vorrang. Ich frage Sie, ob Sie damit darauf abgestellt haben, dass Wie ist das mit dem fünften Prinzip in Übereinstimmung die Saakaschwili-Regierung möglicherweise – wir wis- zu bringen, nach dem es, wenn Sie so wollen, so etwas 18700 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) wie eine nachbarschaftsorientierte Einflusspolitik geben der Europäischen Union innerlich akzeptiert und diese (C) darf? Darüber müssen wir mit Moskau debattieren, da- Partnerschaft im eigenen Land durchsetzt, dann wird mit uns klar wird: Was will Moskau eigentlich künftig? Russland für uns der Partner der Zukunft bleiben. Ich In Punkt drei der Prinzipien von Medwedew heißt es, denke, das müsste die Hoffnung von uns allen sein. Russland will eine konstruktive, nicht konfrontative (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rolle im multipolaren System der Welt spielen. Das der CDU/CSU) passt alles nicht zusammen und ist, denke ich, eine gute Gelegenheit, uns mit Moskau darüber zu unterhalten: Was wollt ihr? Welche Rolle wollt ihr künftig spielen, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und welche Möglichkeiten haben wir als EU und Nun hat das Wort die Kollegin Erika Steinbach für die Deutschland, zu beeinflussen, dass Moskau zurückkehrt CDU/CSU-Fraktion. zur politischen Rationalität, die wir alle in Europa brau- (Beifall bei der CDU/CSU) chen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Erika Steinbach (CDU/CSU): Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Die Debatte über den Einzelplan 05 des Auswärtigen das gestattet ist, noch auf einen bestimmten Punkt hin- Amtes hat deutlich gemacht – ich fand, sie war auf ei- weisen, der mir am Herzen liegt; denn der Konflikt im nem sehr hohen Niveau; wir sind ja fast am Ende –, dass südlichen Kaukasus ist möglicherweise – jemand hat das die Bundesregierung eine abgewogene Außenpolitik vorhin angesprochen – nicht das Ende einer Konflikt- macht, dass Kanzlerin und Bundesaußenminister mit situation und bestimmter Prozesse, sondern der Anfang. Maß und Mitte handeln und die Bundesregierung im europäischen Konzert diejenige Kraft ist, die versucht, Liebe Kollegin Beck, Sie wissen so gut wie ich: Man- überschießende Emotionen wieder einzufangen und un- che von uns haben analytisch noch gar nicht verstanden, sere europäische Gesamtpolitik auf dem richtigen Wege wo der innere Konflikt wirklich liegt. Er liegt darin be- zu halten. gründet, dass das Stalin’sche System der Herrschaft mit Territorium, Nationalität, Grenzen und hierarchischer Zu den Aufgaben unserer Außenpolitik gehört auch, Rolle der Russen zusammenhängt. Das war ein teufli- dass wir über Deutschlands Beitrag zur Förderung von sches hierarchisches System, das er erfunden hat. Demokratie und Menschenrechten weltweit sprechen und uns darin engagieren, eine wertegebundene Außen- (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ politik zu betreiben. Wir sollten über Deutschlands DIE GRÜNEN]: Die Intervention war jetzt (B) humanitären Beitrag für die Opfer von Notsituationen (D) keine Beseitigung von Stalin’scher Politik!) sprechen – seien es nun Naturkatastrophen wie Über- – Vorsicht, Frau Beck! Das sind alles „longues durées“, schwemmungen, Erdbeben, Epidemien, seien es die Fol- lange Linien der Geschichte, die jetzt wieder zum Vor- gen von kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir wis- schein kommen. sen: Menschenrechte und humanitäre Nothilfe sind ein integraler Bestandteil unserer deutschen Außenpolitik. (Gerd Andres [SPD]: Wie heißt der Genosse?) In Gesprächen mit unseren Bürgern vor Ort können – Entschuldigung, das ist ein Begriff aus der französi- wir feststellen, dass die humanitäre Nothilfe auf ein schen Geschichtswissenschaft; es sind die langen Linien, recht hohes Maß an Akzeptanz stößt. Etwas anders – das die der Außenminister hier vorhin beschrieben hat. erlebe jedenfalls ich immer wieder – sieht es leider im Bereich der Förderung der Menschenrechte aus. Wir (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Schlangen- sollten uns erst einmal um unsere eigenen Probleme linien?) kümmern, so ein häufiger Kommentar dazu. Diese Sicht- – Die langen Linien, Herr Kollege Kauder! Für Schlan- weise verkennt jedoch – das muss man deutlich machen –, genlinien sind andere zuständig, nicht der Außenminis- dass die Missstände in anderen Ländern auch uns in ter. Deutschland früher oder später einholen werden, wenn wir uns nicht frühzeitig darum kümmern und versuchen, (Beifall des Abg. Axel Schäfer [Bochum] das Übel an der Wurzel zu packen und die Not zu be- [SPD] – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE kämpfen, um zu verhindern, dass wir am Ende davon GRÜNEN]: Zwei Maß!) überrollt werden – unabhängig davon, dass wir dies na- Ein zentraler Punkt ist, dass das geschichtliche Erbe, türlich auch aufgrund unseres eigenen Werteverständnis- wenn Sie so wollen, des Stalin’schen Missverständnisses ses weltweit tun. von Ethnien, Territorien und Nationalität in Russland Wenn wir uns den Globus anschauen, dann sehen wir noch nicht aufgearbeitet ist. Es kommt darauf an, alles unendlich viele Brennpunkte. Allein die letzten Wochen zu tun, dass nicht unter ganz bestimmten Bedingungen und Monate sowie die Debatte heute haben gezeigt, wo genau diese Gefahrenmomente wieder hervorkommen, überall es knirscht und es Verwerfungen gibt. hervorgezogen werden, und so in Russland ein neues fal- sches außenpolitisches Verständnis erzeugt wird. Wenn China war lange ein Thema für uns. Mit Ende der es uns gelingt, in den Debatten mit Russland deutlich zu Olympischen Spiele ist es etwas aus dem Fokus geraten. machen, dass Russland eine Chance hat, sich selbst in- Aber ungeachtet aller sportlichen Erfolge muss man nerlich zu modernisieren, wenn es die Partnerschaft mit konstatieren, dass die Menschenrechtssituation in China Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18701

Erika Steinbach (A) bei Gott kein Ruhmesblatt ist. Die in- und ausländischen kern, die sagen, dass sie unterdrückt wurden. Jeder will (C) Medien konnten nicht frei berichten. Eine spürbare Ver- sich entfalten. Angesichts dessen ist es gut, dass die besserung der Freiheitsrechte, was der chinesischen Be- Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister versu- völkerung und den Initiatoren der Olympischen Spiele chen, mäßigend einzuwirken und es nicht zu weiteren versprochen wurde, hat es am Ende nicht gegeben. Ein Eskalationen kommen zu lassen. Land, das sich so wenig um den Schutz der Menschen- rechte kümmert – das sollten wir als ein großes Wirt- Bei all dem Leid, das wir auf der Welt vorfinden, dür- schaftsland wissen –, kümmert sich noch viel weniger fen wir eines aber nicht verkennen: Es gibt Fortschritte, um den Schutz der Patentrechte, was für unsere deutsche wenn sie auch nicht immer so groß sind, wie wir uns das Wirtschaft wichtig ist. wünschen. Die Verhaftung von Radovan Karadzic lässt hoffen, dass eines der dunkelsten Kapitel der jüngs- Schauen wir nach Afrika. Das Elend der verfolgten ten kerneuropäischen Geschichte demnächst aufgearbei- Menschen im Sudan und insbesondere in Darfur ist un- tet wird. Die Familien der Opfer können endlich einen aussprechlich. Ich erinnere an die Flüchtlingsbewegun- gewissen Trost finden und darauf hoffen, dass ihr Fami- gen aus Afrika. In vielen Teilen Afrikas machen sich die lienschicksal nicht untergeht. Menschen tagtäglich auf den Weg und kommen an den (Beifall des Abg. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu europäischen Küsten an. Die Ausläufer erreichen auch Guttenberg [CDU/CSU]) uns hier im Lande. In Usbekistan hat die Regierung Anfang des Jahres Ein anderes Spielfeld: Nicht nur im Irak, sondern die Todesstrafe abgeschafft. Es gibt zwar noch immer auch im Südosten der Türkei, in einem Land, das Mit- viele Defizite in diesem Land, das ist aber ein erster glied der Europäischen Union werden will, gibt es neue Schritt. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass jahrelanger Fälle von Verfolgungen und Rechtlosigkeit von Chris- internationaler Druck Wirkung erzeugt hat. ten. So wird das Kloster Mor Gabriel, geistlicher Mittel- punkt der syrisch-orthodoxen Kirche, mit Strafprozessen Indem man etwas lobt und hervorhebt, kann man überzogen und ist aktuell von Enteignung bedroht. Dazu manchmal mehr erreichen, als wenn man tadelt. Deswe- muss man wissen: Es ist eines der ältesten Klöster. Es gen sollten wir uns, so glaube ich, hin und wieder dazu wurde 397 nach Christus gebaut. Diese Art des Um- entschließen, solch positive Dinge beim Namen zu nen- gangs mit Religionsfreiheit ist, wie ich meine, eine nen. Schande für einen EU-Aspiranten, für ein Land, das Mit- glied der Europäischen Union werden will. Ständig wird an uns die Frage gerichtet: Warum mischt sich Deutschland überhaupt ein? Diese Frage Schauen wir nach Indien. Jüngst gab es dort Verfol- kennt jeder Politiker in diesem Saal aus der eigenen Fa- (B) gungen von Christen durch Hindus. Christen werden bei milie oder der Nachbarschaft. Die Antwort ist aus- (D) Gewaltaktionen zunehmend zur Zielscheibe. Kirchen, nahmsweise, was in der Politik sehr selten ist, wirklich Schulen, Häuser werden angezündet; Priester und Non- einfach: Die Menschenrechtsverletzungen auf dieser nen auf offener Straße ausgezogen und nackt dem Pöbel Welt machen nicht vor Deutschlands Haustür halt. In ei- vorgeworfen. All das ist etwas, was uns nicht kaltlassen ner globalisierten Welt spüren wir alle früher oder später kann und nicht kaltlassen darf. Der Erzbischof von Neu- die Auswirkungen von Konflikten, sei es in Form von Delhi, Vincent Concessao, hat etwas sehr Richtiges ge- Armutsflüchtlingen, sei es durch Asylbewerber oder sagt: Fundamentalisten haben keinen Respekt vor den durch terroristische Anschläge. Deshalb ist es für uns Menschenrechten. Ich sage: Nicht nur vor Christen ha- alle zwingend erforderlich, Menschenrechte einzufor- ben sie keinen Respekt; sie haben auch vor der Würde dern und Demokratien zu stabilisieren. Das liegt im Inte- des Menschen keinen Respekt. resse der Menschlichkeit und nicht zuletzt in unserem ureigenen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich danke Ihnen. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das, was wir in Georgien und im Kaukasus gesehen neten der SPD) haben, das Elend des Krieges und die Not der Bevölke- rung bei Flucht und Vertreibung, all das geschieht vor Vizepräsident Dr. : unserer Haustür, auf unserem Kontinent. Wir alle wis- Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der sen, dass dieser Konflikt das Potenzial hat, weitere ethni- Kollegin Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen. sche Konflikte nach sich zu ziehen. Herr Kollege Weisskirchen, ich glaube, dass die For- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE mulierung „eingefrorene Konflikte“ den Sachverhalt GRÜNEN): richtig beschreibt. Die neuen Freiheiten lassen all das Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser auftauen, was sich über Jahrzehnte angestaut hat. Dahin- Debatte möchte ich noch einmal deutlich festhalten, dass ter stecken viele Befindlichkeiten, und zwar sowohl auf wir uns bezüglich des Kaukasus-Konflikts darüber im der russischen Seite – die Russen fühlen sich in ihrer Klaren sind, dass eines vollkommen unumstößlich ist, Seele verletzt, sie fühlen sich entwertet und entmachtet; nämlich das Recht der Menschen auf Rückkehr in ihre sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas von ihrer Würde Häuser. Es gibt keine Toleranz gegenüber nationalen Se- genommen wurde – als auch bei den kaukasischen Völ- zessionsbewegungen, die auf künstlich geschaffene, eth- 18702 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Marieluise Beck (Bremen) (A) nisch homogene Staaten abzielen, die nur existieren kön- Grenzen der Erweiterung? Wo muss Europa sein Ge- (C) nen, weil vorher in massivem Maße Vertreibung wicht in der Weltpolitik stärker einbringen? Nie wieder stattgefunden hat. Wir müssen uns noch einmal klarma- Krieg, nie wieder Diktatur – das war ursprünglich das chen, dass das auch für Abchasien und Südossetien gilt. Ziel der Gründung der Europäischen Union, und es war erfolgreich. Krieg und Diktatur in ganz Europa auszulö- In Abchasien haben 1989 noch über 500 000 Men- schen, Demokratie und Frieden zu etablieren, das war schen gelebt. 95 000 davon waren Abchasen. 400 000 wa- das zweite große Ziel. Auch dies wurde verwirklicht. ren Armenier, Russen, Griechen, Georgier, also andere Reichen diese Erfolge nicht aus? Wozu brauchen wir Ethnien. In einem Gebiet wie dem Kaukasus mit hundert überhaupt die weitere europäische Integration? unterschiedlichen Ethnien besteht keine Chance, Staaten entstehen zu lassen, quasi zu basteln, die nicht multi- Wir alle sind mit einem eurozentristischen Weltbild ethnisch sind. Das sollten wir hier noch einmal deutlich aufgewachsen, aber uns Europäern muss klarer werden, unterstreichen. dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Nur etwa 7,5 Prozent der Weltbevölkerung leben in den Mitglied- Wir werden nicht vergessen, dass alle georgischen staaten der Europäischen Union. Wir können als Minder- Dörfer in Südossetien zerstört und niedergebrannt wur- heit in der Weltgesellschaft unsere Werte, unsere politi- den. Die Menschen können nicht dorthin zurückkehren. sche Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand Bisher ist das Recht auf Rückkehr von der internationa- nur bewahren, wenn wir noch enger zusammenarbeiten. len Gemeinschaft nicht verhandelt worden. Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Veranke- Ich wünsche mir, dass wir hier sehr deutlich betonen: rung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Konti- Die Rückkehr der Flüchtlinge nach Südossetien und nent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammen- Abchasien als auch in die sogenannte Pufferzone ist das wachsenden Welt neue Legitimation für den Fortgang Erste, was passieren muss. der europäischen Integration. Für diese Aufgabe braucht Europa mehr Handlungsfähigkeit und bessere demokra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tische Kontrolle. Dabei ist der Lissabonner Vertrag nicht und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- das Problem, sondern unverzichtbarer Teil der Problem- ten der SPD) lösung. Deshalb brauchen wir diesen Vertrag.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frau Kollegin Steinbach, wollen Sie erwidern? neten der SPD und der FDP) (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Nein!) Auch die EU-Erweiterungspolitik muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die sogenannten Kopenha- – Das ist nicht der Fall. gener Kriterien legen fest – ich zitiere mit Erlaubnis des (B) (D) Dann hat das Wort der Kollege Dr. Stephan Eisel von Präsidenten –: der CDU/CSU-Fraktion. Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte so- Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum wie die Achtung und den Schutz von Minderheiten Schluss dieser Debatte noch zum Stichwort „Europapoli- verwirklicht haben; … tik“ kommen. Auf dem Stimmzettel des irischen Refe- Es ist nach meiner Meinung nicht richtig, Beitrittsver- rendums vom 12. Juni 2008 – ich habe ihn einmal mit- handlungen mit Ländern aufzunehmen, die diese Voraus- gebracht – setzungen nicht erfüllen. Beitrittsverhandlungen sind (Der Redner hält ein Schriftstück hoch) kein pädagogischer Prozess, um die Voraussetzungen für den Beitritt zu erreichen, sondern verhandelt wird da- findet sich weder das Wort „Europa“ noch das Wort rüber, wie der Beitritt mit den Ländern organisiert wird, „Lissabonner Vertrag“. Die gestellte Frage lautete: Sind die diese Voraussetzungen erreicht haben. Sie einverstanden mit dem Vorschlag, die Verfassung um den im unten genannten Gesetz genannten Zusatz zu er- (Beifall bei der CDU/CSU) weitern? – Wer wollte, konnte im Wahllokal dieses Deswegen sehen wir heute, dass die aus meiner Sicht 28. Verfassungsänderungsgesetz einsehen, ein 18-seiti- übereilte Aufnahme von Rumänien und Bulgarien uns ges rechtstechnisches und unverständliches Dokument. hinterher Probleme macht. Herr Außenminister, ich So kann man Europa den Bürgern nicht nahebringen. stehe auch verfrühten Beitrittsofferten, zum Beispiel an Europas Zukunftsfragen darf man nicht verstecken, son- Serbien, skeptisch gegenüber. dern man muss sie offen ansprechen, wenn man die Un- terstützung der Bürger für die europäische Integration Es gibt eine andere Unehrlichkeit in der Erweite- haben will. rungspolitik, die angesprochen werden muss. Ich plä- diere dafür, dass wir diese Frage enttabuisieren. Im EU- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vertrag heißt es: neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeder europäische Staat … kann beantragen, Mit- glied der Union zu werden. Diese Fragen liegen auf der Hand: Warum soll es mit der europäischen Integration überhaupt weitergehen? Die geografische Komponente ist also ein Beitrittskri- Wie kann Europa demokratischer werden? Wo liegen die terium und muss endlich enttabuisiert werden. Geogra- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18703

Dr. Stephan Eisel (A) fisch nicht zu Europa zu gehören, ist keine Diskriminie- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- (C) rung. Das gilt auch für die Türkei. Wer nicht auf dem gung: europäischen Kontinent liegt, hat keinen Anspruch auf Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Mitgliedschaft in der Europäischen Union, sehr wohl Herren! Eine angemessene Finanzausstattung der Bun- aber auf freundschaftliche Nachbarschaft und bei glei- deswehr ist Grundvoraussetzung für die Einsatzfähigkeit chem Wertefundament auch auf privilegierte Partner- und die Leistungsfähigkeit unserer Armee und damit schaft. Grundvoraussetzung für die Gewährleistung von Sicher- heit sowie von Frieden und Freiheit der Bürgerinnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass wir der Bundeswehr mit In diametralem Gegensatz zu dieser freundlichen diesem Haushalt die finanzielle Unterstützung geben, Nachbarschaft steht die völkerrechtswidrige russische die sie braucht, um ihren Auftrag auch in Zukunft opti- Militärintervention in Georgien. Man kann durchaus mal erfüllen zu können. Kritik an der georgischen Regierung üben. Aber nichts an ihrem Verhalten rechtfertigt, dass russische Truppen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in Georgien einmarschiert sind. Meine Damen und Herren, ich hatte während der (Beifall bei der CDU/CSU) Sommerpause die Gelegenheit, an 35 Standorten in Deutschland und auch in Afghanistan Truppenbesuche Es war wichtig, dass die EU darauf einheitlich re- durchzuführen und mich davon zu überzeugen, wie gut agiert hat. Wir sollten wirklich besorgt sein, welche Mo- ausgebildet, wie gut ausgerüstet und wie gut motiviert tivation hinter diesem Schritt der russischen Regierung unsere Soldatinnen und Soldaten sind. Ich denke, es ist stand. An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, notwendig, dass wir die finanziellen Grundlagen schaf- was Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation fen, um diesen Zustand aufrechterhalten zu können. am 25. April 2005 gesagt hat – ich zitiere –: Da häufig darauf hingewiesen wird, dass die Mittel Der Zusammenbruch der Sowjetunion war geopoli- des Verteidigungshaushaltes wieder erhöht werden, tisch die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. möchte ich unterstreichen, dass auch die Aufgaben der Bundeswehr gestiegen sind. Ich möchte an Folgendes er- Was ist das eigentlich für ein Geschichtsbild? In diesem innern: Im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes hat Jahrhundert sind andere Katastrophen geschehen. Der Deutschland die Luftaufklärung für Gesamtafghanistan Zusammenbruch der Sowjetunion war gar keine Kata- übernommen und ist für Tornadoeinsätze zuständig so- wie für die schnelle Einsatztruppe im Norden des Lan- (B) strophe, sondern eröffnete die Chance auf Freiheit und (D) Demokratie, die Michail Gorbatschow und Boris Jelzin des, die Quick Reaction Force. Außerdem wollen wir ergriffen haben. Ich bedaure sehr, dass die innere Ent- unsere Ausbildungsanstrengungen erheblich verstärken. wicklung Russlands nun wieder hin zu mehr Autokratie Wie Sie wissen, ist Deutschland auch auf dem Balkan geht. mit dem größten Kontingent vertreten. Neu hinzuge- Wir Deutsche sollten die Sorgen der Nachbarn Russ- kommen sind das UNIFIL-Mandat vor der Küste des Li- lands ernst nehmen und dürfen ihre Erfahrungen nicht banon – darüber haben wir bereits gestern gesprochen, geringachten. Wenn es darum geht, wie man innerhalb und darüber werden wir auch heute noch diskutieren –, UNMIS und UNAMID, die Einsätze im Sudan und in der Europäischen Union mit diesem Thema umgeht, ist Darfur. Darüber hinaus leisten wir im Rahmen der Ope- wichtig, dass sich die Europäische Union einig ist. Aller- ration Enduring Freedom am Horn von Afrika einen Bei- dings muss man immer das Ziel im Blick haben, wofür trag. Vor uns liegt noch ein Mandat zur Pirateriebekämp- diese Einigkeit besteht. Wir müssen das Gewicht der fung, über das auf europäischer Ebene noch diskutiert Europäischen Union für Demokratie und Achtung des wird. Völkerrechts in der Welt einsetzen. Wenn wir uns nicht auch nach außen für die Werte, die bei uns im Innern Man muss ehrlich miteinander umgehen und feststel- gelten, einsetzen, dann relativieren wir ihre Bindungs- len: Weitere Aufgaben im Interesse der Sicherheit unse- kraft auch in unseren Gesellschaften. res Landes erfordern auch weitere finanzielle Unterstüt- zung. Nur dann können unsere Soldatinnen und Soldaten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihre Aufgaben optimal erfüllen. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Meine Damen und Herren, hierbei geht es auch da- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen rum, dass wir immer wieder aktualisieren, was die Frage nicht vor. des Schutzes im Bereich der Ausrüstung für unsere Sol- datinnen und Soldaten ausmacht. Wir haben derzeit Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan. Zudem haben ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. wir die Aufklärung verstärkt. Außerdem haben wir die technischen Mittel verstärkt. Wir haben Planungen, die Als erster Redner hat der Bundesminister Dr. Franz beispielsweise einen zusätzlichen Schutz für die Feldla- Josef Jung das Wort. ger einbeziehen. 18704 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Ich halte es für notwendig und wichtig, dass, wenn sentlich klüger, die Gefahr an der Quelle zu beseitigen, (C) wir Soldatinnen und Soldaten in unserem Auftrag, im wo die Risiken entstehen, als wenn sie in viel größerer Auftrag des Deutschen Bundestages, in riskante Aus- Dimension unser eigenes Land betreffen. Deshalb ist es landseinsätze entsenden, wir ihnen auch den optimalen im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Schutz mitgeben, um diesen Auftrag erfüllen zu können. Bürger, wenn wir uns in Afghanistan engagieren, um Deshalb werden wir uns weiterhin finanziell engagieren, derartige terroristische Entwicklungen auch für unser um diesen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten Land in Zukunft zurückzudrängen. immer wieder zu optimieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen wei- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine teren Aspekt vortragen. Ich denke, dass es wichtig und Bemerkung zu der aktuellen Situation in Afghanistan notwendig ist, dass wir trotz der Haushaltskonsolidie- machen. Es ist unbestritten, dass sich die Sicherheitslage rung im Rahmen dieses Etats 1,6 Milliarden Euro mehr verschärft hat. Auf der anderen Seite darf man aber nicht bekommen. Damit haben wir die Chance, die Tarifver- verkennen, welche zusätzlichen Aktivitäten die Bundes- einbarungen des Jahres 2008/2009 für unsere Soldatin- regierung im Hinblick auf den zivilen Wiederaufbau nen und Soldaten umzusetzen. Ich denke, auch das ist vorgenommen hat. Ursprünglich hatten wir 80 Millionen ein wichtiger Punkt; denn die Mehrheit unserer Soldatin- Euro vorgesehen. Mit der Pariser Konferenz sind es nen und Soldaten ist in den unteren Gehaltsgruppen ein- 140 Millionen Euro geworden. Im Zusammenhang mit gestuft. Ich kann nicht immer Einsatzfähigkeit und Leis- dem Afghanistan-Konzept haben wir zusätzliche 30 Mil- tungsfähigkeit verlangen, ihnen aber nicht die finanzielle lionen Euro unter dem Aspekt der Nahrungsmittelver- Unterstützung zuteilwerden lassen, die notwendig ist, sorgung vorgesehen. Insgesamt sind also 170 Millionen um entsprechende – auch materielle – Voraussetzungen Euro eingeplant. zu erfüllen. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir die- Ich halte es für notwendig und wichtig, dass wir ins- sen Tarifvertrag auch und gerade mit Unterstützung die- besondere im Rahmen unserer regionalen Verantwortung ses Parlaments für unsere Soldatinnen und Soldaten um- diese zivilen Wiederaufbauprojekte weiter vorantreiben setzen können. können. Im Norden Afghanistans haben wir über Ich füge ein Zweites hinzu: Ich finde, wir haben – das 800 Projekte umgesetzt. Energieversorgung, Wasserver- wird oft zu wenig registriert – die Integration zweier ge- sorgung, Infrastruktur, Straßenbau, Schulen, Kindergär- geneinander ausgebildeter Armeen in die eine Bundes- ten und medizinische Versorgung, all das sind entschei- wehr für die Bundesrepublik Deutschland in hervorra- dende Punkte, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gender Art und Weise erreicht. Deshalb ist es gut, dass (B) gewinnen. jetzt die Angleichung der Ost- an die Westbesoldung (D) Deshalb sage ich noch einmal: Wir brauchen keinen im Interesse der Soldatinnen und Soldaten möglich ist. Strategiewechsel, sondern wir müssen unsere Strategie Wir haben eine Armee der Einheit, und ab jetzt gibt es der vernetzten Sicherheit im gesamten Land Afghanistan auch nur noch eine Besoldung. Ich denke, dies ist der umsetzen. Was wir beim NATO-Gipfel gemeinsam er- richtige Weg – auch im Hinblick auf die Integration in- reicht und vereinbart haben – in der NATO-Sprache nerhalb der Bundeswehr. heißt dies Comprehensive Approach, also umfassender Ansatz –, muss in Afghanistan umgesetzt werden. Au- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ßerdem muss die Ausbildung weiter vorangetrieben wer- der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr spät, den, damit Afghanistan selbst in der Lage ist, für seine aber immerhin!) Sicherheit zu sorgen. Dann werden wir aus meiner Sicht Ich will ein Weiteres hinzufügen: Wir haben mit dem auf dem Weg, der kein einfacher ist, in Afghanistan Kasernensanierungsprogramm West, wie ich finde, letztlich erfolgreich sein. Auch dafür bitte ich Sie um einen entscheidenden Schritt hin zur Verbesserung der Ihre Unterstützung. Unterkunftssituation für unsere Soldatinnen und Solda- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ten getan. In den beiden Jahren 2008 und 2009 werden wir immerhin rund 300 Millionen Euro investieren. Wir Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen, haben 900 Bauprojekte in Angriff genommen. Ich weil in der Öffentlichkeit oft die Frage nach dem Sinn denke, dass auch dies ein wichtiger Punkt ist. Wir müs- des Einsatzes gestellt wird. Wir dürfen nicht vergessen, sen auch die sozialen Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich die Bedrohungslagen für unser Land erheblich dass wir, wenn wir von den Soldatinnen und Soldaten verändert haben. Wir haben den Kalten Krieg zum Glück Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit verlangen, ih- überwunden. Wir haben aber die neuen Bedrohungsla- nen auch eine adäquate Unterkunftsmöglichkeit zur Ver- gen durch den internationalen Terrorismus, durch Mas- fügung stellen können. Deshalb ist es notwendig, dieses senvernichtungswaffen, durch Krisensituationen und Kasernensanierungsprogramm West weiterhin zu forcie- durch Staatsverfall. ren und umzusetzen. Meine Damen und Herren, die Anschläge des 11. Sep- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tember 2001 in New York und Washington – wir haben ihrer vor wenigen Tagen gedacht – sind von afghani- Ich kann das fortführen: Ein ganz wichtiger Punkt schem Boden ausgegangen. Afghanistan war das Ausbil- war die Umsetzung des Einsatz-Weiterverwendungsge- dungszentrum für den Terrorismus. Deshalb ist es we- setzes. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18705

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Noch in dieser Legislaturperiode wird das Ehrenmal Weißbuch gerät in den Schubladen Ihres Hauses zuneh- (C) realisiert. Ich denke, dass es richtig und notwendig ist, mend in Vergessenheit. Beim Ehrenmal für unsere toten dass denjenigen, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Soldatinnen und Soldaten wird die Tatsache ignoriert, Leben lassen mussten, ein würdiges und ehrendes An- dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die denken gewahrt wird. Deshalb werden wir in dieser Le- Geisterdebatte über den potenziellen Abschuss entführ- gislaturperiode das Ehrenmal errichten. Ich denke, auch ter Passagierflugzeuge hat die Bundeswehrpiloten nach- damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um denjeni- haltig verunsichert. Das uneingeschränkte Fortschreiben gen, die im Einsatz für unsere Sicherheit ihr Leben ge- der Beschaffung unnötiger Großprojekte beraubt die lassen haben, auch in Zukunft ein ehrendes und würdi- Bundeswehr all derjenigen finanziellen Spielräume, die gendes Andenken bewahren zu können. sie zur Beschaffung der im Einsatz dringend benötigten Ausrüstung braucht. All das sind Ecksteine Ihrer Hand- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lung als Minister. neten der SPD) (Beifall bei der FDP) Mit Blick auf die Uhr möchte ich nur noch schlag- wortartig sagen: Wir setzen das Programm Familie und Wenn sich heute über 40 Prozent der aktiven Berufs- Dienst um und beschäftigen uns weiterhin mit dem soldaten nicht mehr für den Soldatenberuf entscheiden Thema Kinderbetreuung. Mittlerweile tun 15 000 Solda- würden, müssten in Ihrem Haus eigentlich sämtliche tinnen innerhalb der Bundeswehr ihren Dienst. Auch Alarmglocken schrillen. Doch diese Alarmsignale wer- dieses Thema ist weiter voranzutreiben. Dies bedarf na- den entweder schöngeredet oder ignoriert. Die tragi- türlich auch einer finanziellen Unterstützung. schen Ereignisse der letzten Wochen haben leider, aber auch mit Recht die öffentliche Diskussion wieder da- Die Ausstattung mit dem entsprechenden Ausrüs- rüber angeheizt, wie die tödlichen Gefahren für unsere tungsmaterial ist ein wichtiger Punkt – auch unter den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auf ein Mindest- Aspekten Erhaltung der wehrtechnischen Industrie und maß reduziert werden können. der Arbeitsplätze in Deutschland. Wir erhöhen die Inves- titionen weiter und versuchen, den Personalanteil weiter Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir aus zu reduzieren. Wir liegen jetzt bei 39 Prozent, womit Ihrem Hause immer wieder gehört, dass beispielsweise wir, so glaube ich, in die richtige Richtung gehen. das Geländefahrzeug Wolf auch in der geschützten Va- Zusammengefasst denke ich, dass die Bundeswehr riante nicht den Erfordernissen des Afghanistan-Einsat- mit diesem Haushalt die finanzielle Grundlage erhält, zes genügt und daher schnellstmöglich durch ein besse- die sie braucht, um ihren Beitrag für Sicherheit, Frieden res und geeigneteres Fahrzeug ersetzt werden müsste. Es und Freiheit im Interesse unserer Bürgerinnen und Bür- wurde damals in Aussicht gestellt, dass dies schon 2007 (B) (D) ger in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin geschehen sollte. Doch was ist bis heute tatsächlich ge- leisten zu können. schehen? Sie haben in Ihrem Hause einen Wettbewerb zur Auswahl eines geeigneten Fahrzeuges beenden müs- Haben Sie recht herzlichen Dank. sen, weil die aufgestellten technischen Kriterien nicht er- füllt werden konnten. Der verzögerte Zulauf dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wichtigen oder sogar wichtigsten Fahrzeugklasse im Einsatz wird jetzt mindestens bis in das Jahr 2010 auf Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sich warten lassen. Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion. Sie haben heute bereits versucht, die zusätzlichen 1,6 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt als Erfolg (Beifall bei der FDP) zu verkaufen. Leider werden Sie durch diesen Zugewinn nicht einen einzigen Euro zusätzlichen Spielraum für Elke Hoff (FDP): dringend notwendige neue Projekte erhalten. Allein die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten gestiegenen Personalausgaben in Höhe von rund Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 800 Millionen Euro, die zusätzlichen Ausgaben für die Mit dem Haushalt, über dessen Entwurf wir heute debat- Fregatte 125, für SATCOM Bw, für die Flugbereitschaft tieren, wird eine Legislaturperiode beendet, die von sehr der Bundesregierung, für den A400M und die Preisfort- großen und sehr schwierigen Herausforderungen an schreibungen bei anderen Vorhaben zehren diesen Spiel- die Bundeswehr geprägt ist: Auf der einen Seite sind die raum auf, ohne dass dringend benötigte Projekte, wie Auslandseinsätze der Bundeswehr zur größten Heraus- beispielsweise Geräte zur Freund-Feind-Erkennung oder forderung geworden, und auf der anderen Seite stellt der dringend benötigte zusätzliche Transporthubschrauber, marode Zustand der Infrastruktur hier zu Hause eine darstellbar wären. Dauerbelastung für den Haushalt dar, der der Minister Sie könnten dies ändern, wenn Sie endlich die Fehler aufgrund der vorgelegten Zahlen auch mit seiner Ankün- der Vergangenheit korrigieren würden, statt sie weiter digung, sich diesem Thema jetzt besonders zu widmen, fortzuschreiben. Beispielsweise sollten Sie schleunigst leider nicht wirksam begegnen kann. Auch die Nach- aus dem Projekt MEADS aussteigen, bevor daraus ein wuchsgewinnung der Bundeswehr wird zu einem politi- neues Milliardengrab von zweifelhaftem Nutzen wird. schen Dauerbrenner. Bis heute sind bereits 600 Millionen Euro Steuergelder Sehr geehrter Herr Minister, leider ist Ihre Bilanz der ausgegeben worden, ohne dass dieses Projekt einen er- bisherigen Amtszeit eher nüchtern. Das vielgepriesene kennbaren Fortschritt angenommen hätte. Viel schlim- 18706 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Elke Hoff (A) mer: Es wird immer offensichtlicher, dass das Manage- Der vorliegende Verteidigungshaushalt weist einen (C) ment dieses Projektes miserabel ist und die Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro auf. Damit setzen einkalkulierten finanziellen Spielräume bis heute bereits wir im Großen und Ganzen die von Peter Struck begon- aufgezehrt worden sind. nene Linie fort. Ich glaube, das ist gut für die Bundes- wehr, für die nötigen Investitionen, für die Infrastruktur Sehr geehrter Herr Minister, Sie werden sich auch an und insbesondere für die Soldatinnen und Soldaten. Ihren bereits im Februar dieses Jahres geäußerten An- kündigungen messen lassen müssen, die dem Bund zu- Frau Hoff, wenn Sie sagen, dass der Minister den stehenden Schadensersatzansprüche bei der verzögerten Wähler für dumm verkauft, bitte ich Sie, sich daran zu Auslieferung des A400M vollständig einzufordern. Das erinnern, dass der Eurofighter damals unter Schwarz- würde bei den vereinbarten Stückzahlen von 60 Stück Gelb und damit unter Beteiligung der Liberalen bestellt rund 280 Millionen Euro ausmachen. Bisher haben Sie worden ist. Gerade bei solchen langfristigen Verträgen jedoch nur wie jedes Jahr für diesen Bereich Preissteige- wird man immer auch daran erinnert, was man einst sel- rungen in Höhe von 200 Millionen Euro in den Haushalt ber mitbeschlossen hat. Man kann über vieles verhan- eingestellt. deln, aber ich finde es etwas seltsam, das dann als „dumm verkaufen“ zu bezeichnen. Über 50 Prozent Ihres Investitionshaushaltes werden durch Fluggeräte belegt, deren Stückzahlen zu hoch (Elke Hoff [FDP]: Aber die Verträge müssen sind, die nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung ste- eingehalten werden!) hen, die zu spät geliefert werden, die ständige Preisan- – Aber wenn man sie selber mitbeschlossen hat, dann passungen erfordern und deren Kosten für die Ausbil- kann man sie jetzt nicht bemängeln. Werden Sie nicht dung nicht annähernd gedeckt sind. hektisch! Seien Sie einfach ruhig, und hören Sie zu! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dann können Sie etwas lernen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Des Weiteren haben Sie angesprochen, dass es an ge- Es ist jetzt endlich an der Zeit, damit aufzuhören, die schützten Fahrzeugen fehlt. Wir haben in den letzten Parlamentarier und die Steuerzahler für dumm zu ver- Jahren sehr viele geschützte Fahrzeuge gekauft. Ich erin- kaufen. Verträge sind keine Einbahnstraße. Vor allem nere nur an die Dingos, die wir in regelmäßigen Abstän- sind sie dazu da, von beiden Seiten eingehalten zu wer- den beschaffen. Beim Fuchs haben wir einige Nachbes- den. Dies gilt auch für die Industrie. Herr Minister, ich serungen vorgenommen, damit auch dieses vorzügliche bin gespannt, wie Sie auf das Schreiben von Herrn Fahrzeug entsprechend zum Einsatz kommen kann. Wir Gallois reagieren werden. Sie haben sich dazu in der haben 25 Eagle bestellt. Weitere werden folgen. (B) Presse sehr dezidiert geäußert. Ich denke, wir alle wer- Ich glaube, im Großen und Ganzen ist das, was der (D) den Sie dabei unterstützen, diesen Weg einzuhalten, Minister gesagt hat, richtig: Die Opposition kann immer Kurs zu halten und die berechtigten Interessen des deut- kritisieren, aber sie muss auch ein bisschen bei der schen Steuerzahlers bei der Abwicklung und Erfüllung Wahrheit bleiben; sonst wird es langweilig. von Verträgen durchzusetzen. Wir haben im Zuge der Haushaltskonsolidierung mit (Beifall bei der FDP) diesem Haushalt einen anständigen Stand erreicht. Mit dem Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro können wir für Nutzen Sie wenigstens das letzte Jahr Ihrer Amtszeit die Soldaten vieles vorantreiben, was wichtig und not- für eine nachhaltige Korrektur Ihrer Haushaltspolitik wendig ist. Man darf nicht vergessen, dass wir keine zum Nutzen der Bundeswehr und vor allen Dingen auch Bundeswehr haben, mit der wir sozusagen den Großen zum Nutzen unserer Steuerzahlerinnen und Steuerzah- Vaterländischen Krieg erwarten; die Bundeswehr ist ler! vielmehr zu einer Einsatzarmee geworden. Das macht Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. viele Veränderungen nötig. Dies ist nicht immer ganz einfach. Im Bereich Material wurde schon viel getan. (Beifall bei der FDP) , Peter Struck und Herr Jung setzen diese Kette fort. Das läuft nicht immer optimal. Da Ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: träge einzuhalten sind, sind auch Kompromisse nötig. Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Kahrs von Trotzdem glaube ich, dass wir für die Bundeswehr das der SPD-Fraktion. bestmögliche Material zum Einsatz gebracht haben. Ein ausreichender Schutz ist nämlich das Wichtigste. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Bei all der Begeisterung für das Gerät darf man aber nicht vergessen, dass dieses Gerät von Menschen be- dient wird, um die man sich kümmern muss, damit der Johannes Kahrs (SPD): Dienst attraktiv bleibt. Der Wehrbeauftragte, der heute Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und anwesend ist, hat das immer wieder angemahnt. Ich Kollegen! Kameraden! glaube, dass man das nicht zu gering schätzen darf. Un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sere Soldaten im Einsatz sind oft genug auch Diploma- Lachen bei der LINKEN) ten, Polizisten, Aufbauhelfer und vieles mehr. Dafür muss man sie ausrüsten und motivieren. Man muss sie – Wer gedient hat, darf auch so reden. aber auch entsprechend bezahlen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18707

Johannes Kahrs (A) Wir brauchen intelligente, körperlich belastbare bearbeitenden Dienststellen nicht nur sagen, dass der (C) Frauen und Männer, die es nicht an jeder Ecke gibt. Die Soldat im Mittelpunkt – und damit jedem im Weg – Situation auf dem Arbeitsmarkt ist bekannt. steht, Der Bundeswehr-Verband hat ebenso wie der Reser- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vistenverband, dessen Präsident anwesend ist, in ver- dienstvoller Weise darauf hingewiesen, dass wir Gefahr sondern das auch umsetzen und jedem helfen, dann laufen, in Zukunft nicht mehr ausreichend attraktiv zu kommen wir voran. Herr Minister, ich bitte Sie, dafür zu sein, um den notwendigen Nachwuchs zu gewinnen. Wir sorgen. müssen zurzeit zusehen, wie teuer ausgebildete Spezia- Junge Wehrpflichtige müssen Zeitsoldaten werden listen, Piloten und Ärzte die Bundeswehr verlassen, um wollen. Zeitsoldaten müssen sich weiterverpflichten in die Privatwirtschaft zu gehen. Das kann und darf uns wollen, müssen Berufssoldaten werden wollen. Aber da- nicht kaltlassen. für muss man ihnen etwas bieten und ihnen entgegen- Einige fordern Insellösungen für diese betroffenen kommen. Man kann als Dienstherr nicht nur fordern und Berufsgruppen. Das halte ich für falsch. Man darf nicht beanspruchen, sondern muss auch zeigen, dass einem immer nur in bestimmten Bereichen nachbessern. Da- das etwas wert ist. Wir, das Parlament, sollten dies unter- durch erhöhen sich die Ungerechtigkeiten im System. stützen, weil es sich um eine Parlamentsarmee handelt. Man muss vielmehr zu einer Lösung kommen, von der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) alle profitieren. Wenn nur 500 oder 1 000 Personen von einer Insellösung profitieren, dann fühlt sich der Rest der Herr Minister, Sie haben dankenswerterweise darauf Truppe nicht zu Unrecht ungerecht behandelt. Das wol- hingewiesen, dass wir etwas im Bereich der Unterbrin- len wir nicht. Das kann keine Lösung sein. Stattdessen gung tun müssen. Das finde ich richtig. Es wird auch müssen wir Strukturveränderungen erreichen. Das ist un- mehr Geld eingesetzt. Aber das Problem, das wir seit ter Rudolf Scharping geschehen, indem etwa die Besol- Jahren im Parlament ansprechen, ist: Im Ministerium be- dungsstufen A 1 und A 2 als Eingangsbesoldung abge- wegt sich das Ganze zu lahmarschig, um es noch freund- schafft wurden. Ich glaube, dass auch mit A 3, A 4 und lich zu sagen. Wenn Sie sich die Strukturen anschauen, A 5 niemand mehr ernsthaft begeistert werden kann, der dann stellen Sie fest: Das geht einfach nicht. Wir haben sich in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes um- eine Superabteilung für Modernisierung. Sie produziert sieht. viel Papier, aber in der Sache ändert sich nichts. Selbst wenn neu gebaut wird, geschieht das nach uralten Bau- Hier muss sich das Bundesinnenministerium bewegen vorschriften. Man hat dann eine Steckdose pro Stube. und uns entgegenkommen. Dann muss man schauen, Aber heutzutage brauchen vier Soldaten, die dort woh- (B) was man machen kann. Es kann nicht angehen, dass wir (D) nen, durchaus mehr. Unsere IT-Einrichtung ist nicht in so weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine vernünf- der Lage, den Soldaten auf den Stuben, auf denen sie in tige Gehaltsstruktur. Otto Schily hat bei der Bundespoli- der Woche wohnen müssen, einen Internetanschluss zu zei gezeigt, wie man das macht. Dort hat man nun eine gewähren. Zum Teufel, welcher junge Mensch kommt vernünftige Gehaltsstruktur. Wenn wir sie für die Bun- denn ohne einen Internetanschluss aus? Das ist doch deswehr übernähmen, stünden die Soldaten sehr viel peinlich. Das muss man doch hinbekommen, wenn man besser da. Das würde sicherlich mehr Geld kosten. Wenn Soldaten halten will. Wenn man junge Soldaten in Ein- man aber leistungsfähige und motivierte Soldaten haben ödstandorte in Hessisch-Sibirien schickt, lieber Kollege will, muss man auch investieren, gerade in die Bezah- Siebert, dann muss man den Soldaten auch etwas bieten. lung. Herr Minister, wir haben uns den Standort in Schwar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zenborn angeschaut. Uns wurde versprochen, dass etwas der CDU/CSU) passiert. Nach vielen Telefonaten im Hause kann ich Ih- Personalentwicklung und Personalführung sind eine nen sagen: Es passiert nichts. Der zuständige Oberst bei weitere Stellschraube, mit der wir die Attraktivität erhö- Ihnen in Schwarzenborn hat behauptet, alles sei eigent- hen können. Jeder Soldat muss wissen, welche Chancen lich in Ordnung, und die Soldaten seien ganz glücklich, und Perspektiven er hat. Wenn die Kameraden mit ihren wenn sie in Holzbaracken wohnen dürften. Aber wir Personalbearbeitern sprechen, wollen sie meistens wis- müssen uns deutlich vor Augen führen, unter welchen sen, wie die nächsten drei Stationen ihrer Laufbahn aus- Umständen wir Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und Offi- sehen, wo sie eingesetzt werden, ob sie am Standort ein ziere unterbringen. Eigentlich müsste man alle Holzba- Haus bauen und dort ihre Kinder einschulen können und racken abreißen und gleichzeitig mindestens fünf, sechs ob sie Planungssicherheit haben. Das heißt, der Perso- neue Unterkunftsgebäude errichten, und zwar so schnell, nalbereich der Bundeswehr muss ein Dienstleistungsap- dass nicht erst Ihr Nachfolger oder dessen Nachfolger parat werden. Manchmal hat man das Gefühl, dass Per- die Gebäude einweihen kann, sondern dass wir alle das sonalbearbeiter immer nur auf ihre Stellenlisten schauen. noch erleben. Für die betroffenen Menschen ist das Wichtig ist aber, dass die Menschen zufrieden und wichtig. Wir brauchen auf jeden Fall ein vernünftiges glücklich sind. Planungssicherheit ist ein hohes Gut. Heizkraftwerk und eine gute Infrastruktur. Das muss ge- Auslandseinsätze verlangen den Soldaten und ihren Fa- macht werden. Die Soldaten pendeln in der Regel. Aber milien unendlich viel ab. Daher muss man wenigstens es gibt keine Feldwebel- und Offizierwohnheime mehr. dort für Planungssicherheit kämpfen, wo sie möglich ist. Dennoch gilt die Kasernenpflicht. Wir müssen uns an- Das kann man hier im Land machen. Wenn die personal- strengen, mehr zu tun, damit die Soldaten zufrieden sind. 18708 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Johannes Kahrs (A) Wir müssen die Bauvorschriften vereinfachen, damit 3,2 Milliarden Euro erhöht, und in den nächsten Jahren (C) schneller gebaut werden kann. soll es weiter nach oben gehen. Allein dieser Haushalts- plan weist eine Steigerung von 1,6 Milliarden Euro auf. (Beifall bei der SPD) Der größte Teil davon fließt in die investiven Ausgaben. Ich habe viel zu schnell geredet. Man möge das ent- Das sind vor allem die militärischen Beschaffungen. schuldigen. Ich danke allen, die zugehört haben. Herr 33,5 Milliarden Euro für die Rüstung sind keine gute Minister, ich hoffe, dass wir das alles gemeinsam in die Investition in die Zukunft, nicht zuletzt deshalb, weil mit Hand nehmen und machen. Geben Sie Ihrem Apparat der langfristigen Verpfändung der Steuergelder die Mög- ein bisschen Schwung! Für die Truppe im Einsatz ist das lichkeiten künftiger Haushaltsgestaltung stark eingeengt wichtig. werden. Die Verpflichtungsermächtigungen steigen in Vielen Dank. Glück auf! diesem Haushalt wieder um knapp 10 Milliarden Euro. Für die Zeit ab 2010 sind damit bereits 56 Milliarden (Beifall bei der SPD) Euro festgelegt, über die der künftige Bundestag gar nicht mehr entscheiden kann. Das ist einfach nicht hin- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nehmbar. Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN) Ich hänge nicht der naiven Vorstellung an, man könne von einem Tag auf den anderen von einem Topf in den Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): anderen verschieben. Aber es ist trotzdem hilfreich, sich Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem einfach einmal klarzumachen, wo wir Prioritäten setzen Punkt hat die Bundesregierung recht: Der Verteidigungs- oder wie Prioritäten anders gesetzt werden müssten. Wir haushalt wird immer mehr zu einem Einsatzhaushalt. fordern zum Beispiel, die Kinderbetreuung flächende- Aber lassen Sie uns von dem Schönsprech weggehen ckend auszubauen; das fordern andere Fraktionen auch. und Klartext reden. Denn Einsatz klingt ein wenig nach Die geschätzten Kosten dafür betragen 9 Milliarden bürgerschaftlichem Engagement, aber hier geht es nicht Euro. Allen Kindern in der Schule eine warme Mahlzeit zuletzt um die Herstellung von Kriegsführungsfähigkei- zu ermöglichen, wird mit Kosten in Höhe von 4 Milliar- ten, und diese sollen gegebenenfalls – Stichwort: Armee den Euro veranschlagt. Die Kosten für die Anhebung des im Einsatz – auch eingesetzt werden. Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro werden auf 9 Mil- Wofür sonst wollen Sie in der Wittstocker Heide liarden Euro geschätzt. Diese drei Maßnahmen wären (B) Bomben abwerfen lassen, wofür sonst stellen sie in mit der Summe des Wehretats locker zu finanzieren. Und (D) Kalkar ein Hauptquartier für Luftkriegsoperationen auf, Sie hätten noch mehr als genug übrig, um die Summe für das weltweit verlegt werden kann, und wofür sonst las- den zivilen Teil der Afghanistan-Hilfe zu verdreifachen. sen Sie in Manching den Eurofighter bauen? Man sollte (Widerspruch bei der SPD) weniger vom Einsatzhaushalt und noch weniger vom Verteidigungshaushalt reden, sondern vielmehr von ei- – Ja, das wäre drin. nem Kriegsertüchtigungsetat. Ich sage noch einmal, dass ich nicht der Vorstellung (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert anhänge, man könne von einem Tag auf den anderen Winkelmeier [fraktionslos]) umschichten. Aber wir müssen doch endlich einmal an- fangen, die Prioritäten neu zu setzen und von den hohen Genau aus dem Grund lehnt Die Linke diesen Etat ab. Rüstungsausgaben herunterzukommen. Kriegsführungsfähigkeit ist teuer. Nach NATO-Krite- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert rien geben wir jetzt 33,5 Milliarden Euro dafür aus. Es Winkelmeier [fraktionslos]) kann nicht oft genug gesagt werden: Wer hochrüstet, ent- zieht der Wirtschaft und der Gesellschaft Ressourcen, Ich weiß, dass der Einwand kommen wird, dass Si- Finanzen und Arbeitskraft. Das sind 33,5 Milliarden cherheit ein teures Gut ist. Die Frage ist aber, ob der Euro, die woanders sinnvoller eingesetzt werden kön- Preis stimmt. Worum geht es denn, wenn heute von Si- nen. cherheit die Rede ist? Drei Dinge werden genannt: Schutz vor militärischer Gewalt, Sicherung unserer (Johannes Kahrs [SPD]: Das kennen Sie alles Energieversorgung, Schutz der Bürgerinnen und Bürger noch aus der DDR!) vor terroristischen Anschlägen. Wir müssen diese Ausgaben senken, statt sie immer wei- Der erste Punkt führt zu der Frage, ob wir in absehba- ter nach oben zu treiben. rer Zeit militärisch bedroht sind. Nein, das sind wir Frieden schaffen mit immer weniger Waffen – das hat nicht, und niemand hier wird das ernsthaft behaupten. einmal ein CDU-Bundeskanzler gesagt. Trotzdem wurden während des Krieges in der Kaukasus- Region Versuche unternommen, eine solche Wahrneh- (Johannes Kahrs [SPD]: Das hat die DDR ja mung zu erzeugen. Aber sehen wir die Sache nüchtern. vorgemacht!) Weder die Balten noch die Polen sind durch Russland Aber Sie machen genau das Gegenteil. Die Große Koali- militärisch bedroht. Russland hat heute weder die Fähig- tion hat den Rüstungshaushalt seit 2006 um insgesamt keiten noch im Geringsten die Absicht, diese Länder an- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18709

Paul Schäfer (Köln) (A) zugreifen und zu besetzen. Das gilt für Deutschland erst 3 000 Stammesvertretern – inzwischen sind es sehr viel (C) recht. mehr – vor allem aus den Paschtunengebieten hören, die sich im Mai als afghanische Friedensdschirga konstitu- Richtig ist allerdings, dass die Russen sich dank Erdöl iert haben. Diese Friedensversammlung sagt klar: Der und Erdgas wieder als starke Macht sehen, und sie wol- afghanische Dialog wird nur zu einem Erfolg geführt len den Zustand permanenter Demütigung nicht länger werden können, wenn klar ist, dass die auswärtigen akzeptieren. Es geht jetzt mitnichten darum, sich die In- Truppen möglichst rasch abziehen. Das ist der Punkt. teressen Moskaus zu eigen zu machen oder sich ihnen gar zu unterwerfen. Von uns steht niemand auf der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Gazprom-Gehaltsliste. Winkelmeier [fraktionslos] – Monika Knoche [DIE LINKE]: Wie peinlich!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Die NATO hat nicht nur in Afghanistan gezeigt, dass sie das ungeeignete Instrument für eine gedeihliche Frie- Aber man muss schlicht zur Kenntnis nehmen, dass eu- densentwicklung in der Welt ist. Diese Debatte werden ropäische Sicherheit nur mit Russland zu haben ist. In wir im nächsten Jahr führen. Ich freue mich darauf, und besseren Zeiten ist gerne von einer strategischen Partner- dann wird man sehen, ob es sinnvoll ist, an einer Militär- schaft mit Russland gesprochen worden. Mir würde eine allianz festzuhalten, die zwei Drittel der Weltmilitäraus- ehrliche Partnerschaft schon genügen. Denn dann würde gaben bestreitet und die doch, wie sich jetzt gezeigt hat, man darauf verzichten, neue Raketen in Polen zu statio- dem alten Freund-Feind-Denken verhaftet bleibt. Wir nieren, dann würde man darauf verzichten, rund um werden darüber streiten, ob man die NATO nicht durch Russland Militärbasen der NATO aufzubauen, und dann kooperative Sicherheitsstrukturen überwinden muss. würde man darauf verzichten, die NATO bis nach Zen- Das ist die Position der Linken. tralasien auszudehnen. Dann würde sich auch das Thema neue Angst vor Russland zumindest tendenziell erledi- Zum Schluss: Wir fordern erstens, dass sich die Bun- gen. Grund zur Hochrüstung ist das jedenfalls nicht. deswehr auf den Grundgesetzauftrag konzentrieren soll. Der Militärinterventionismus Out of Area muss beendet (Beifall bei der LINKEN) werden. Zum Zweiten: Dass wir es mit wachsenden Ressour- Das bedeutet zweitens, dass dann die neuen U-Boote, cenkonflikten zu tun haben, spricht sich herum. Der Fregatten und Einsatzgruppenversorger oder auch Kaukasus und Zentralasien sind dafür Beispiele. Es Kampfhubschrauber nicht mehr gebraucht werden. Wir stimmt, wir haben eine wachsende Konkurrenz um die werden in diesem Sinne Einsparvorschläge im Umfang zur Neige gehenden fossilen Brennstoffe, und es gibt ei- von circa 10 Prozent des Wehretats machen. Diese Ein- (B) (D) nen Wettlauf um den Zugang zu den sogenannten strate- sparungen können für soziale, entwicklungspolitische gischen Rohstoffen. Dieser reicht von der Arktis über Zwecke, für den sozialverträglichen Umbau der Streit- den Nahen Osten bis ins südliche Afrika. Aber allein die kräfte und für die soziale Besserstellung gerade der Vorstellung, man könne Erdölquellen, Pipelines und Mannschaften und der Unteroffiziere verwendet werden. Schifffahrtsrouten mit militärischer Gewalt dauerhaft absichern, ist schlicht abwegig. Es geht um ökologisches Drittens braucht die Bundesrepublik keine Hand an Umsteuern in der Energiepolitik, um eine gerechtere in- nuklearen Vernichtungswaffen. Deshalb kann die Torna- ternationale Wirtschaftspolitik. Es geht also um zivile dostaffel in Büchel außer Dienst gestellt werden. Antworten auf das Ressourcenproblem, nicht um militä- (Beifall des Abg. Gert Winkelmeier rische. [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN) Viertens ist die Aufhebung der Wehrpflicht überfällig. Was drittens die Terrorgefahr und den notwendigen (Johannes Kahrs [SPD]: Na, na!) Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger anbetrifft, so ist Sie greift ohne äußere Not in das Leben junger Männer bei anderen Gelegenheiten hier schon alles gesagt wor- ein – in diesem Fall nur Männer. den. Man kann dem Terror nicht mit militärischer Ge- walt und Gegenterror begegnen. Das nährt ihn, statt ihn (Johannes Kahrs [SPD]: Wir brauchen die auszutrocknen. Der siebenjährige Krieg, der Global War Wehrpflicht!) on Terrorism, hat genau dies gezeigt. Dass Gewalteska- Sie ist sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar. lation die falsche Antwort ist, zeigt auch und gerade der Schauplatz Afghanistan. Nach sieben Jahren Krieg wird (Johannes Kahrs [SPD]: Ständig!) die Sicherheitslage immer prekärer. Selbst dem US-Ge- neralstabschef sind jetzt Zweifel am Erfolg der Mission Fünftens sind die deutschen Truppen aus Afghanistan gekommen. Es ist, wie es ist: Die NATO kann diesen abzuziehen, und zwar so schnell wie möglich. Es ist in asymmetrischen Krieg ebenso wenig gewinnen wie die diesem Zusammenhang gut, wenn an diesem Samstag Taliban. viele Menschen in Berlin und Stuttgart für diese Forde- rung auf die Straße gehen und demonstrieren. Es wird eine wirklich neue Strategie gebraucht. Wir Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. brauchen einen Waffenstillstand, der von den afghani- schen Konfliktparteien selbst ausgehandelt werden (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert muss. Da sollten Sie genauer auf die Meinung von circa Winkelmeier [fraktionslos]) 18710 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bundeswehr fort? Was sind eigentlich die Konsequenzen (C) Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde von der daraus, dass die Bundeswehr mit heute 250 000 Soldatin- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nen und Soldaten an ihr Limit stößt, wenn 7 000 davon bei Einsätzen im Rahmen eines UN-Mandats international Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur Stabilisierung beitragen? An dieser Baustelle arbeitet keiner. Da ist nicht Mittagspause, sondern Sendepause, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und das schon Ihre gesamte Amtszeit über. Eigentlich müssten wir heute bei dieser Debatte sehr in- tensiv über die verschiedenen Fragen, die sich im Zu- In Wirklichkeit haben Sie in Sachen Wehrpflicht das sammenhang mit dem Afghanistan-Mandat und dessen Rad zurückgedreht. Sie haben mit einer ideologischen Verlängerung stellen, diskutieren. Dass wir es heute Begründung dafür gesorgt, dass 5 000 Wehrpflichtige nicht tun, ist ein Stück symptomatisch für die Politik, die mehr zur Bundeswehr eingezogen werden. Das klingt im wir vom Minister und der Bundesregierung in dieser ersten Moment nicht nach einer zentralen Fragestellung. Frage erleben. Wir diskutieren heute nicht über Afgha- Wenn man sich aber einmal anschaut, welche Ausgaben nistan, weil Sie entschieden haben, dass das wichtigste das mit sich bringt, wie viel Personal zur Ausbildung Mandat und der wichtigste internationale Einsatz der und Betreuung dieser 5 000 Zusätzlichen, die in der Ka- Bundeswehr und die wichtigen Fragen, die sich stellen, serne hinterher von niemandem gebraucht werden und nämlich ob der zivile Wiederaufbau im Zentrum steht auch in der Stabilisierungsmission nicht einsetzbar sind, und die militärische Strategie richtig gepolt ist oder erforderlich ist, dann wird es interessant. Ich will darauf nicht, weniger wichtig sind als die Bitte von zwei Land- hinweisen, dass die OECD in einer Studie vor kurzem tagswahlkämpfern in Bayern, nämlich dem CSU-Vorsit- veröffentlicht hat, was die Wehrpflicht volkswirtschaft- zenden und dem Ministerpräsidenten. lich kostet. Nach Angaben der OECD mindert sie das Wachstum um 0,5 Prozent. Ich finde, das ist schon et- Aus diesem Grund haben Sie diese Debatte heute was, angesichts dessen man in der finanz- und wirt- nicht geführt. Aus diesem Grund wollen Sie diese De- schaftspolitischen Diskussion, die wir gerade führen, batte nächste Woche nicht führen. Sie wird vielmehr in einmal aufhorchen müsste. einer Sondersitzung nach der Wahl in Bayern geführt. Ich glaube, allein dieser Vorgang macht deutlich, mit Reden wir noch einmal über die 5 000 Wehrpflichti- welcher komischen Haltung und mit welchen Trickse- gen, die zusätzlich zur Bundeswehr eingezogen werden. reien diese Bundesregierung und dieser Bundesverteidi- Sie haben vorhin die Situation von gering bezahlten gungsminister in zentralen sicherheitspolitischen Fragen Leistungsträgern in der Bundeswehr beklagt; auch der unterwegs sind. Kollege Kahrs hat dieses Argument zu Recht angeführt. Man sollte sich heute einmal die Standorte der Bundes- (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wehr anschauen, an denen Ausbildungskompanien aus sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- dem Boden gestampft wurden. Wenn man mit den Leuten KEN) dort spricht, erfährt man Interessantes. Die Kapazitäten Im Rahmen dieser Debatte reden wir über den letzten verlagern sich zum Teil von Einheiten, die in Einsätze ge- Haushalt dieses Verteidigungsministers. Insofern muss hen, hin zur Ausbildung von neuen Wehrpflichtigen, die man die Bilanz dieser gesamten Amtszeit durchgehen. niemals ein Einsatzland sehen werden. Der Haushalt der Bundeswehr ist seit 2005 um über Genau die Gruppe von schlechtbezahlten Leistungs- 3 Milliarden Euro gestiegen. Allein dieses Jahr gibt es trägern in der Bundeswehr, die keinen Rechtsanspruch einen ordentlichen Schluck aus der Pulle mit 1,6 Milliar- auf Übernachtung in der Kaserne haben, muss die Ka- den Euro mehr. Die Ursprungsbegründung für diese Er- serne verlassen, bevor die Wehrpflichtigen kommen. Sie höhung war übrigens, man brauche 1 Milliarde Euro, um zahlen dann ein paar Hundert Euro für eine Stube außer- die Tarifsteigerungen einzuarbeiten. Interessanterweise halb der Kaserne. Sie wissen genau: Das sind die Leis- fließen von diesem Aufwuchs jetzt nur knapp mehr als tungsträger, die gemeint sind, wenn Sie hier immer über 500 Millionen Euro ins Personal. Aber auch das ist ein Attraktivität reden. Aber ideologisch wichtiger ist Ihnen Stück weit symptomatisch für diesen Haushalt. am Ende dann doch, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Herr Minister, ich will nicht verhehlen, dass Sie in Ih- Ich glaube, das Kernproblem ist: An den richtigen Stell- rer Amtszeit auch Erfolge hatten. Zwei davon werden in schrauben dreht diese Regierung einfach nie. die Geschichte sicherlich als die große Legacy Ihrer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amtszeit eingehen: Es ist Ihnen zweimal gelungen sowie bei Abgeordneten der FDP) – beim Ehrenmal und bei der Frage des öffentlichen Ge- löbnisses –, das Grünflächenamt Berlin-Mitte im Das sehen wir auch in anderen Bereichen, etwa bei Rechtsstreit zu besiegen. Herzlichen Glückwunsch! der zivilen Krisenprävention. Man stelle sich einmal die Frage: Wie kommt man eigentlich bei der Ressortab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans- stimmung voran? Bei den Einsätzen der Bundeswehr ist Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Primitiv!) das nicht das Problem. Wenn man sich anschaut, wie Ich muss offen sagen: In anderen Bereichen suchen wir Soldatinnen und Soldaten, Vertreterinnen und Vertreter diesen Einsatz, diese Reformkraft und auch den Erfolg. des Auswärtigen Amtes sowie des Entwicklungsministe- riums – bei diesen beiden muss man sagen: wenn sie Nach wie vor unbeantwortet sind die Fragen: Wie denn einmal im Einsatzland sind – und NGOs zusam- setzt sich eigentlich der Transformationsprozess der menarbeiten, dann stellt man fest: Das funktioniert. Aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18711

Alexander Bonde (A) in dem Moment, wo es wieder auf die ministerielle reduzieren. Wir brauchen eine spezialisierte Bundeswehr (C) Ebene geht, sind wir mitten im Kampf der Ministerien. mit 200 000 Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern, die für Stabilisierungsmissionen ausgerüstet und darauf Sie haben auch noch etwas dazu beigetragen, dass das konzentriert ist. Und bei der für die schwere Arbeit, die nicht besser wird. Den Ansatz für strukturelle Krisen- da geleistet wird, entsprechend bezahlt wird. Da haben vorsorge, den Sie bisher im Einzelplan hatten und von wir keinen Platz für Wehrpflichtige. Die können in solch dem Sie uns immer berichtet haben, die Resonanz sei komplizierten Missionen keinen Beitrag leisten. Das ist gut, die Erfahrung damit sei in hohem Maße zu loben, der Weg, der dringend eingeschlagen werden muss. setzen Sie auf null. Dieses wichtige Instrument für die Auch diese große Chance hat die angeblich Große Koali- Zusammenarbeit wird in Ihrem Haushalt einfach gestri- tion in den letzten Jahren nicht wahrgenommen. Ich chen. Auch da ist die Bilanz: Es geht rückwärts in der fürchte, wir haben da wichtige Zeit verloren. Ich kann strukturellen Krisenvorsorge. Es geht rückwärts in der nur hoffen, dass die Koalition am Ende ihren sicherheits- koordinierten Krisenprävention. – Auch das ist eine politischen Stillstand und die Verweigerung eines sicher- schlechte Bilanz Ihres Hauses, Herr Jung. heitspolitischen Diskurses beendet und wir in die Lage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommen, hier eine ehrliche Diskussion zu führen: Wofür brauchen wir die Bundeswehr? Wofür brauchen wir sie Die Rüstungspriorisierung hat die Kollegin Hoff zu nicht? Was heißt das dann für die Frage, welche Bundes- Recht angesprochen. Was ist uns in den letzten Jahren wehr wir eigentlich brauchen? von Ihnen alles an dicken Rüstungsprojekten auf den Tisch gelegt worden! Was den Eurofighter angeht, wol- Vielen Dank. len Sie demnächst die dritte Tranche bestellen. Einen Gegner für diesen alten Flieger gibt es bis heute nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Argumentation in den letzten Jahren war auch klar: Wir reden hier über Industriepolitik und nicht über si- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: cherheitspolitische Anforderungen. Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster von der (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sollen die CDU/CSU-Fraktion. einen Luftballon fliegen?) (Beifall bei der CDU/CSU) Ähnlich ist es bei der Fregatte F 125, die wir zum Dreifachen des üblichen Preises gekauft haben, damit Bernhard Kaster (CDU/CSU): deutsche Werften bauen. Ich nenne weiter die Abwehrra- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! kete PARS 3, und das zweite Los U-Boote. Am Ende ist (B) Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der (D) Ihre Amtszeit davon geprägt, dass die Bundeswehr am Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, ist auch als Bedarf vorbei Industriepolitik betreibt – und das milliar- ein Beispiel dafür zu nennen, dass es sehr wohl möglich denschwer auf dem Rücken der Steuerzahlerinnen und und kein Widerspruch ist, wenn der Gesamthaushalt un- Steuerzahler. ter der Überschrift „Haushaltskonsolidierung“ steht. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Brauchen Haushaltskonsolidierung und gleichzeitige Investitionen wir den Dingo nicht?) in Bereichen, in denen sie unabdingbar notwendig sind, gehen zusammen. Dafür ist der Verteidigungsetat durch- Wenn wir uns anschauen, in welchen Bereichen ge- aus ein gutes Beispiel, denn die Verteidigungs- und nau diese Bugwelle an Investitionen Schaden hinterlässt, Sicherheitspolitik unseres Landes in einer globalisierten welche Projekte auf die lange Bank geschoben werden, Welt steht schon seit Jahren vor großen Herausforde- dann erkennen wir: Das ist wieder genau dort, wo es rungen. Ich nenne hier den internationalen Terrorismus vielleicht nicht spannend ist, weil es kleine Dinge sind, und damit die Verschmelzung von innerer und äußerer die man nicht in einer großen Eröffnung auf dem Roll- Sicherheit, nach wie vor vorhandene Gefahren der Ver- feld im Blitzlichtgewitter vorstellen kann. Das sind breitung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen, Dinge, die die Soldatinnen und Soldaten dort brauchen, das Nuklearprogramm des Iran, aber auch die neuen He- wo wir sie brauchen, nämlich in den von den UN gebil- rausforderungen, vor denen die Gemeinsame Außen- ligten Einsätzen für Stabilisierung. Es sind die Kleinig- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union steht. keiten, die bei dieser Rüstungsbeschaffung am Ende im- Die jüngste Kaukasuskrise hat uns dies noch einmal ge- mer hinten runterfallen, weil die Milliardenprojekte den zeigt. Haushalt 2009 blockieren und weil Sie die Bugwelle weiterschieben auf 2010 und 2011. Das ist auch genau Diesen Herausforderungen können wir uns nicht al- der Grund dafür, dass das zusätzliche Geld, das Sie in lein stellen. Die Bundeswehr ist in die transatlantische den letzten Jahren bekommen haben, keinerlei Entspre- Sicherheitsarchitektur der NATO eingebettet. Sie nimmt chung in dem hat, was die Bundeswehr für das leisten ihre Verantwortung innerhalb der europäischen Sicher- kann, für das wir sie wollen. heits- und Verteidigungspolitik wahr und leistet ihren Dienst im Auftrag der Vereinten Nationen. Als Union, Herr Minister, die Transformationspause hat uns ein als CDU und CSU, stehen wir für diese transatlantische, paar Milliarden gekostet. Die darf man sich aber nicht europäische und globale Einbindung unserer Streitkräfte länger leisten. Es ist wirklich an der Zeit, die nächste ein. Stufe der Transformation der Bundeswehr in Angriff zu nehmen. Es ist wirklich an der Zeit, die Personenzahl zu (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!) 18712 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bernhard Kaster (A) Wird der vorliegende Wehretat diesen Herausforde- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) rungen gerecht? Ich antworte mit einem klaren Ja. Deswegen wird die Wehrpflicht jetzt und auch in Zu- (Zuruf von der FDP: Das überrascht!) kunft einen ganz entscheidenden Beitrag zur festen Ein- bindung der Bundeswehr in unsere Gesellschaft leisten. Als Union sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, Wir, die Union, stehen fest zu dieser Wehrpflicht. innere und äußere Sicherheit als Grundvoraussetzung für eine freiheitliche Gesellschaft zu gewährleisten. Hier be- (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs ziehe ich den Verteidigungsetat, aber auch den Innenetat [SPD]: Da klatschen aber relativ wenige!) mit ein. Der Verteidigungsetat steigt um 1,6 Milliarden Die Bundeswehr ist heute fester Bestandteil transat- Euro auf nun insgesamt 31,1 Milliarden Euro. Allein die lantischer und europäischer Kooperationen. Der Weg hin Ausgaben für militärische Beschaffungen, Wehrfor- zu einer europäischen Armee ist noch weit. In diesem schung, militärische Anlagen etc. steigen um rund Zusammenhang will ich aber gern den Straßburger Ver- 700 Millionen Euro auf jetzt 10,2 Milliarden Euro. Die trag, die Eurocorps und das Deutsch-Niederländische eingestellten Verpflichtungsermächtigungen, auch das Korps nennen. Ich halte es für unverzichtbar, diesen Weg ist wichtig, ermöglichen auch für die Folgejahre, dass der sehr konkreten europäischen Zusammenarbeit weiter die entsprechenden Beschaffungsmaßnahmen stetig fort- zu festigen und durch neue Initiativen zu vertiefen. entwickelt und in Auftrag gegeben werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die konkreten Eine moderne Ausstattung und Ausrüstung sind ein Haushaltsberatungen im Ausschuss beginnen jetzt. Die absolutes Muss. Das Wichtigste aber sind unsere hoch CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sich dabei ihrer Ver- motivierten Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen antwortung für das hohe Gut der inneren und äußeren Si- Mitarbeiter. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten cherheit unseres Landes sehr bewusst. wirklich Großartiges. Ihr Ruf und ihr Ansehen sind welt- weit beispielhaft. Deshalb sind wir verpflichtet, unseren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Soldatinnen und Soldaten Dank zu sagen. Wir wissen, welch große und oft auch gefährliche Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) träge unsere Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheit und den Frieden in der Welt leisten. Hierfür bedanken Wir sind verpflichtet, mit großer Verantwortung über das wir uns. Ob und das Wie von Auslandseinsätzen zu entscheiden. Wir sind verpflichtet, sie bestmöglich auszustatten. Als Vielen Dank. Arbeitgeber sind wir auch verpflichtet, Perspektiven zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) geben. Die Tarif- und Gehaltserhöhungen waren daher (B) ebenso wichtig wie die Wehrsolderhöhung. Das war uns (D) als Union wichtig. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: haben uns für die Wehrsolderhöhung und für die entspre- Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von chende Tariflohnerhöhung eingesetzt. der FDP-Fraktion. (Birgit Homburger [FDP]: Wer?) (Beifall bei der FDP)

Die Personalkosten steigen um rund 800 Millionen Birgit Homburger (FDP): Euro. Tausende zusätzliche Beförderungen sind im Rah- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In men der Stellenstruktur jetzt möglich. Es ist mehrfach der Tat sollten wir heute oder in dieser Woche über schon angesprochen worden, dass die Unterbringung der Afghanistan debattieren. Der Kollege Bonde hat das völ- Truppe durch die Fortführung des Sondersanierungspro- lig zu Recht angesprochen. Wieder einmal ist das verhin- gramms für lange vernachlässigte Kasernen erheblich dert worden. Jetzt könnte man natürlich einmal mehr die verbessert wird. Die Kasernen müssen natürlich zeitge- Haushaltsdebatte genau dazu nutzen. Aber genau das mäß verbessert werden, das ist richtig. werde ich heute nicht tun. Wir haben nämlich in den ver- Lassen Sie mich jetzt noch auf einen Punkt zu spre- gangenen Jahren immer wieder die Haushaltsdebatten chen kommen, den ich für wichtig halte. Die notwendi- für Debatten über Einsätze der Bundeswehr genutzt, und gen Antworten auf die Herausforderungen heutiger Si- dabei sind viel zu oft die Interessen der Soldatinnen und cherheitspolitik, konkret auf die gefährlichen Aufgaben, Soldaten, die hier in Deutschland ihren Dienst tun, zu die unsere Bundeswehr in einer globalisierten Welt kurz gekommen. Ich glaube, man sollte schon einmal wahrnehmen muss, sind heute sehr viel schwieriger ver- eine Gesamtschau vornehmen. Diese wird bei mir des- mittelbar. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen aber halb heute auch im Mittelpunkt stehen. wissen, dass Politik und Gesellschaft, dass die Bürger (Beifall bei der FDP) unseres Landes hinter ihnen stehen und ihren Einsatz schätzen. Das müssen wir deutlich machen. Deshalb be- Herr Minister, Sie haben einen Etat, der deutlich an- grüße ich es auch ausdrücklich, dass der Herr Minister wächst. Wir haben das jetzt schon mehrfach gehört. die Truppe so ausgiebig besucht und vor Ort ist. Auch Wenn man sich aber einmal die Steigerung anschaut, die Sommerreise mit dem Besuch von über dann war es zumindest in den letzten Jahren nominal so, 30 Standorten war ein wichtiger Beitrag, um zu zeigen, während der Etat real eigentlich rückläufig war. Das hat dass die Politik und die Gesellschaft hinter unseren Sol- mit vielen Dingen zu tun. Das hat damit zu tun, dass die datinnen und Soldaten stehen. Preise gestiegen sind, dass die Energiekosten drastisch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18713

Birgit Homburger (A) gestiegen sind, dass die Mehrwertsteuer erhöht wurde, len, sie können es auch machen. Und das erwarten wir (C) was natürlich auch bei der Bundeswehr massiv zu Buche von Ihnen. schlägt. Es hat aber auch damit zu tun, dass immer mehr Militäreinsätze beschlossen worden sind, die jeweils aus (Beifall bei der FDP – [FDP]: Net dem Etat des Bundesministers der Verteidigung erst ein- schwätze, schaffe!) mal erwirtschaftet werden müssen. Ich möchte einige Bemerkungen zum Thema Attrak- Heute, Herr Minister, haben Sie en passant von einer tivität der Bundeswehr machen. Diese Frage hat heute EU-Mission zur Bekämpfung der Piraterie gespro- in der Debatte zu Recht eine wesentliche Rolle gespielt. chen. Wir als Deutscher Bundestag kennen das bisher Die Realität ist, dass viele hochqualifizierte Soldatinnen nur aus den Zeitungen. Wir haben von Ihnen noch nicht und Soldaten kündigen, zumindest innerlich, weil der eine einzige Unterrichtung darüber bekommen, was Sie Soldatenberuf nicht mehr in dem Maße attraktiv ist, wie da vorhaben und wie das im Etat untergebracht werden er es früher war: Sie müssen oft zu Einsätzen. Sie verdie- soll, um festzustellen, ob das Sinn macht, ob wir das nen weniger als ihre zivilen Kolleginnen und Kollegen. brauchen und ob das nötig ist. Stattdessen gab es nur en Sie fühlen sich oft vom Dienstherrn und teilweise auch passant einen Satz dazu. Das, Herr Minister, ist zu we- von der Politik im Stich gelassen, setzen aber Leben und nig. Gesundheit ein. Ich bin der Auffassung, dass das – nicht nur für den Unterausschuss „Innere Führung“ im Vertei- (Beifall bei der FDP) digungsausschuss des Deutschen Bundestages, sondern Wenn man sich anschaut, wohin das Geld im Etat insgesamt für den Bundestag und insbesondere für Sie, fließt, dann stellt man fest, dass falsche Schwerpunktset- Herr Minister – Grund genug sein muss, über Attraktivi- zungen vorgenommen werden. Die Kollegin Hoff hat tätssteigerung in den Streitkräften nachzudenken und das schon angesprochen. den Soldatinnen und Soldaten, die hier ihren Dienst ver- richten, nicht nur die Dinge schönzureden, sondern ih- Sehr geehrter Herr Kollege Kahrs, an dieser Stelle nen die nötige Unterstützung und die Möglichkeit zu ge- möchte ich nur eine Bemerkung dazu machen: Beim ben, sich in diesen Streitkräften wieder wohlzufühlen. Großprojekt A400M – das hat die Kollegin Hoff völlig zu Recht gesagt – muss man sich an Verträge halten. Ja, Dazu gehört das Programm „Sanierung Kasernen Herr Kahrs, aber nicht nur der Bund muss sich an Ver- West“. Es reicht nicht aus; das wissen Sie ganz genau. träge halten, sondern bitte schön auch die Industrie! Auch das Trennungsübernachtungsgeld gehört dazu, Herr Minister. Wir haben immer noch die Situation, dass (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: die Soldatinnen und Soldaten für vier Monate in den Da sind wir uns doch einig!) Einsatz geschickt werden, aber nur für drei Monate (B) (D) Dem jetzt geäußerten Wunsch, auf Schadenersatzforde- Trennungsübernachtungsgeld bekommen. Das bedeutet, rungen zu verzichten, können wir nicht zustimmen. Wir dass oft genug die Wohnung am Dienstsitz wegen eines erwarten von Ihnen als Haushälter, dass Sie das ebenfalls Monats gekündigt werden muss. Vor einem Jahr haben unterstützen. Sie Besserung versprochen. Wir erwarten, dass jetzt end- lich etwas passiert und dass die Probleme, die die Solda- (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: tinnen und Soldaten ganz konkret haben, behoben wer- Da sind wir uns doch einig!) den. – Es ist wunderbar, wenn wir uns da einig sind. Dann ha- Dazu gehört auch die Vereinbarkeit von Familie und ben wir das ja an dieser Stelle klargestellt, Herr Kahrs. Beruf. Sie haben das hier angekündigt, Herr Minister. (Johannes Kahrs [SPD]: Unnötigerweise!) Auch dazu kann man nur sagen: Im Haushalt sind die entsprechenden Mittel nicht vorgesehen. Bitte auch in Tatsache ist, dass auch der Bedarf zur Materialer- Sachen Kinderbetreuung nicht nur ankündigen, Herr haltung ständig steigt, und zwar insbesondere für War- Minister, sondern handeln! tung und Reparatur alten Geräts. Das liegt daran, dass sich der Zulauf neuen Geräts verzögert, und zwar mit Darüber hinaus sollten Sie endlich akzeptieren, dass dramatisch steigender Tendenz. Oder um es anders zu die Wehrpflicht nicht die Struktur für die Zukunft der sagen: Weil wir auf einen Ersatz für den Tornado warten, Bundeswehr ist. müssen derzeit für eine Flugstunde ungefähr 80 War- (Beifall bei der FDP) tungsstunden aufgewandt werden. Das kostet natürlich, und diese Kosten schlagen sich im Etat nieder. Die Folge Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden. all dieser Probleme ist, Herr Minister, dass Sie im Etat Wir haben weder Wehr- noch Dienstgerechtigkeit. Ge- nicht genügend Geld für Beschaffung dessen haben, was rade einmal 17 Prozent der jungen Männer leisten über- dringend nötig ist: beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, haupt Wehrdienst. Circa 60 Prozent aller tauglichen jun- Lufttransportkapazitäten – dieser Mangel wird insbeson- gen Männer leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Vor dere bei Einsätzen offenbar –, aber eben auch Material diesem Hintergrund ist dieses System nicht mehr auf- für die Ausbildung im Inland. All das fehlt. rechtzuerhalten. Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, man Das, Herr Minister, ist also Ihre Bilanz: immer mehr müsse den Soldatinnen und Soldaten einen optimalen Einsätze, steigende Unzufriedenheit in der Truppe, im- Schutz geben. Ja, wir stimmen Ihnen zu. Ich sage Ihnen mer stärkerer Verfall der Infrastruktur in Deutschland an dieser Stelle aber auch: Sie sollten es nicht nur wol- und ein stures Festhalten an veralteten Strukturen. Wir 18714 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Birgit Homburger (A) schließen den Haushalt heute nicht ab. Sie können bis weise nicht mehr in dem Umfang brauchen. Es gilt für (C) zur Endabstimmung im Deutschen Bundestag noch neue die innere Organisation der Bundeswehr. Das gilt für in- Schwerpunkte setzen. Sie haben noch eine Chance – ternationale Organisationen, wenn ich an die NATO- Response-Force denke. Das gilt im Übrigen auch für die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wehrpflicht, die im Grundsatz die richtige Ansage ist, Frau Kollegin Homburger, bitte! die aber in einer veränderten Sicherheitswelt und einer veränderten Arbeits- und Ausbildungswelt für junge Menschen selbstverständlich so weiterentwickelt werden Birgit Homburger (FDP): muss, dass sie in Zukunft überhaupt tragen kann und ak- – letzter Satz, Herr Präsident –, Herr Minister, die Sie zeptiert wird. Dazu haben die Sozialdemokraten Vor- nutzen können, nämlich das nächste Jahr. schläge gemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Bei all diesen technischen Debatten ist eines entschei- dend: Die Bundeswehr wird in erster Linie von den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Menschen, die bei ihr Dienst tun, geprägt. Es gibt Solda- Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der ten, die zehnmal in einem Auslandseinsatz waren. Das SPD-Fraktion. verändert Menschen, das verändert deren familiäre (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Der Situation, deren Einbettung in das lokale soziale Gefüge. muss jetzt wieder einiges richtigstellen!) Darüber sollten wir uns an erster Stelle Gedanken ma- chen. Rainer Arnold (SPD): Das Materielle ist zweifellos wichtig. Aber klar ist: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Den Beruf eines Soldaten wird niemand nur mit Blick Seit knapp zehn Jahren ist die Bundeswehr in einem auf die Gehaltsstruktur des öffentlichen Dienstes wäh- schwierigen Umgestaltungsprozess. In dieser Zeit haben len. Die Menschen, die wir kennenlernen, haben viel- 200 000 Soldaten ihren Dienst im Einsatz für Stabilität mehr immer noch andere Beweggründe, sich dieser Ver- und Frieden geleistet. Dieser Auftrag bestimmt bei der antwortung zu stellen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Bundeswehr das Denken, die Konzepte, die Ausbildung, die Attraktivität der Bundeswehr im Auge haben. die Organisation und die Ausrüstung. Der diesjährige Haushalt mit einer Erhöhung von 1,6 Milliarden Euro Noch gehören der Bundeswehr Jahr für Jahr trägt dem Rechnung, auch wenn es richtig ist, dass ein 460 000 Personen an. In zehn Jahren werden es nur noch (B) (D) großer Teil des Geldes für zusätzliche personelle Maß- 350 000 sein. Wir haben eine veränderte Arbeitsmarkt- nahmen und Gehaltserhöhungen notwendig ist. Den- situation – auch wegen der Reformen, die Sozialdemo- noch: Die Mittel reichen aus, damit die Bundeswehr so- kraten vorangebracht haben. Die Bundeswehr steht in ei- wohl die Transformation weiterführen als auch ihren nem härteren Wettbewerb um kluge und qualifizierte internationalen Verpflichtungen gerecht werden kann. Köpfe. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Weichen neu gestellt werden. Ich bedauere es sehr, dass die Verbände, Gelegentlich ist es schon so, dass die Wirtschaft zum die die Soldaten vertreten, sich unserer Idee einer S-Be- Helfer wird, damit das Geld reicht. Das freut uns nicht, soldung nicht nähern konnten. Ich bin ziemlich sicher, sondern das ist ein Ärgernis. Jahr für Jahr fließen für dass das allgemeine Beamtenrecht nicht mehr zu einer wichtige große Vorhaben Mittel, die die Soldaten drin- Armee im Einsatz passt. Die Große Koalition könnte gend bräuchten, nicht ab, weil die Wirtschaft ihre Ver- eine Chance bieten, in dieser Sache weiterzukommen. einbarungen nicht einhält. Dies macht uns sehr ernst- Wir werden darüber nachdenken müssen. Der Minister hafte Sorgen, und das muss man auch ganz deutlich hat den Vorschlag gemacht – wir begrüßen ihn –, dass es ansprechen. Ich glaube, wir sollten uns alle in diesem für Soldaten auf Zeit ähnliche Mechanismen gibt, eine Haus einig sein, dass Vertragstreue keine Einbahnstraße zusätzliche Altersversorgung zu bekommen, wie für ist. Aber falsch ist, Frau Kollegin Homburger, dass das Menschen im zivilen Berufsleben. Geld für den Schutz der Soldaten fehlt. Jeder Soldat und jeder Bürger in Deutschland muss wissen: All das, Kollege Kahrs hat deutlich gemacht, wie wichtig es was die Bundeswehr an Anforderungen zur Sicherheit ist, die Infrastruktur voranzubringen. Ich glaube, es ist und zum Schutz der Soldaten gestellt hat und was auch gut, dass es das Sonderprogramm „Sanierung Kasernen beschaffbar war, weil es auf den Märkten verfügbar war, West“ gibt. Wir müssen allerdings schauen, dass es auch ist nie am Deutschen Bundestag gescheitert. Diese Zu- gut umgesetzt wird. Sechs-Mann-Stuben entsprechen sage gilt auch für die Zukunft. nicht mehr dem Standard, den junge Menschen heute (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von ihrem Arbeitsplatz erwarten. Natürlich gehört auch der CDU/CSU) die Bereithaltung von Pendlerwohnungen dazu. Dennoch: Einfach die Augen zumachen und die Nach diesem engagierten Vortrag des Kollegen Kahrs Transformation immer nur weiterführen, wird in der Tat als Haushälter sage ich sehr gelassen: Wenn alle Haus- nicht ausreichen. Es ist Zeit, zu reflektieren, wo nachjus- hälter dies so sähen wie du, Johannes, dann müssten wir tiert werden muss. Das gilt für Material, das vor das miteinander hinbekommen und bewerkstelligen kön- 15 Jahren bestellt wurde und das wir heute möglicher- nen. Ich glaube, das ist ein Angebot. Wir sollten in den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18715

Rainer Arnold (A) nächsten Wochen versuchen, das eine oder andere in Streitkräfte durch seine Rhetorik verändern. Das wäre (C) Form von Anträgen in die Diskussion zu bringen. falsch. Das wollen wir nicht. Zu dieser Überprüfung der Transformation gehört (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie natürlich auch, dass die Frage der Einsätze stets zu über- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE prüfen ist. Nun haben die Linken heute in dieser und in GRÜNEN) der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes ein Bild abgegeben, das deutlich macht: Sie wollen Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns Deutschland in die außen- und sicherheitspolitische Iso- natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten kämp- lation führen. fen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns von Aufstän- dischen aufgezwungen. Damit das ganz klar ist: Das ist (Katrin Kunert [DIE LINKE]: So ein ein Kampf gegen Aufständische. Das ist die richtige Be- Quatsch!) grifflichkeit. Das ist kein Krieg. Die Bundeswehr ist aber auch kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Die Herr Kollege Schäfer, Sie reden davon, dass die NATO Dinge sind nicht wirklich kompliziert. zu einem kooperativen Sicherheitsinstrument weiterent- wickelt werden muss. Was anderes ist denn die NATO Wir debattieren hier immer wieder über Afghanistan sowohl von ihren Verträgen als auch vom Urteil des Ver- und die sogenannte Exit-Strategie. Natürlich gibt es für fassungsgerichtes her? Das Bundesverfassungsgericht Afghanistan immer wieder neue Konzepte und Strate- hat genau diesen Punkt herausgegriffen und bestätigt, gien: von den Petersberger Beschlüssen über den in Lon- dass die NATO ein kooperatives Sicherheitsinstrument don beschlossenen Afghanistan-Compact über die Paris- ist. Konferenz bis zur NATO-Tagung in Bukarest. Ich glaube nicht, dass wir eine völlig neue Strategie suchen (Zuruf des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE müssen. Wir müssen es vielmehr schaffen, das als richtig LINKE]) Erkanntes zu unterfüttern und in Afghanistan mit aller – Nein, Sie wollen die NATO abschaffen. Sie wollen am Konsequenz umzusetzen. Ende auch die Bundeswehr abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind mit dieser Das gilt für den zivilen wie den militärischen Bereich Position in der Berliner Politik nicht einmal ein Partner und für den Aufbau der Polizei gleichermaßen. Das ist in für ernsthafte Gespräche in der Sicherheits- und Außen- Afghanistan angesagt. Das ist das Entscheidende. politik. Ich glaube, dass wir die Position, die Deutschland be- (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) züglich des Kampfes gegen den Drogenanbau bisher (D) Zur Debatte darüber, ob wir uns in Afghanistan in ei- vertreten hat, überdenken müssen. Wenn im Norden, wo nem Krieg befinden, die hier auch eine Rolle gespielt die Deutschen Verantwortung tragen, die Afghanen in hat: Die Kollegin Knoche hat es innerhalb weniger erster Linie selbst gegen den Drogenanbau vorgehen, Sekunden geschafft, den Begriff „Krieg“ circa 10- bis und die Deutschen nur logistisch unterstützen, dann ist 15-mal zu verwenden. Auch der Chef des Bundeswehr- das ein guter Weg. Wenn wir aber erkennen, dass die Verbandes hat darüber reflektiert. Ich glaube, dass es bei Drogenwirtschaft im Süden und Osten des Landes nicht den Menschen in der Bundeswehr wichtigere Sorgen nur die Terroristen von morgen nährt, sondern diese sich gibt, dass die Menschen, die durch die Einsätze Leid er- auch zunehmend im afghanischen Staatsapparat breitma- fahren und Angehörige verlieren, keine Debatte über chen, und die Polizei im Süden und Osten gleichzeitig Krieg und Frieden benötigen. noch nicht in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen, dann muss in der NATO in der Tat eine ernsthafte Debatte da- (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE rüber geführt werden dürfen, ob die ISAF nicht doch LINKE]) – zusammen mit den Afghanen – mehr Verantwortung für diesen Bereich erhalten sollte. – Passen Sie einmal auf. – Wir müssen in der Wortwahl präzise bleiben. Da ist doch ganz klar: Weder nach unse- Eine letzte Bemerkung dazu: Aufgrund der vielen zi- rer Verfassung noch nach dem internationalen Völker- vilen Opfer, die es in Afghanistan gegeben hat – übri- recht befinden wir uns im Krieg. gens wurden 800 Soldaten von Terroristen umgebracht –, werden wir nie einfach zur Tagesordnung übergehen Man kann darüber reden, wie wir mit dem Wort können. Afghanistan muss ständig auf der Tagesordnung „Krieg“ im Alltagssprachgebrauch umgehen. Da ist es der NATO stehen. Ich weiß, dass unser Außen- und un- schon gut, dass wir Deutsche nicht den Weg der Anglo- ser Verteidigungsminister dafür sorgen. Die NATO muss amerikaner gehen, die ganz schnell Krieg gegen alles alles Menschenmögliche tun, um zivile Opfer zu vermei- Mögliche führen, sondern dass der Begriff „Krieg“ in den. unserem Sprachalltag immer mit den Bildern und den Erinnerungen, was Krieg in Deutschland und in der Welt Heute wurde den Soldaten häufig gedankt. Das ist wirklich bedeutet hat, verwoben bleiben wird. Das unter- sehr wichtig. Ich glaube aber, dass es in einer Parla- scheidet uns von anderen Ländern, und so soll das auch mentsarmee auch um etwas anderes geht, nämlich um bleiben. Ich fürchte, wer ständig von Krieg redet und ei- wirkliches Vertrauen, um Vertrauen in zwei Richtun- ner Gesellschaft einredet, sie befinde sich im Krieg, der gen. Bei meinen vielen Gesprächen mit Soldaten in wird am Ende die Gesellschaft, die Politik und auch die internationalen Einsätzen habe ich den Eindruck gewon- 18716 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Rainer Arnold (A) nen, dass wir Parlamentarier täglich neu um das Ver- und Ausstattung unserer Soldaten haben. Dazu, dass uns (C) trauen der Soldaten werben müssen. Sie müssen sehen, hier Grüne und FDP vorwerfen, wir wollten aus wahl- dass wir bei den Entscheidungen über Einsätze mit uns taktischen Gründen nicht über Afghanistan diskutieren, ringen, dass sich jeder von uns diese Entscheidung nicht kann ich nur sagen: Wenn Sie in der Sache einen Beitrag einfach macht. Wir müssen die Soldaten besuchen und dazu leisten wollten, dann hatten Sie die Gelegenheit uns ihre Sorgen anhören. All dies geschieht. dazu. Andererseits haben wir aber auch allen Grund, den (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menschen, die bei der Bundeswehr Dienst tun, zu ver- NEN]: Dann legt doch das Mandat vor, wenn trauen. Mit 255 000 Soldaten ist das eine große Organi- es kein Wahlkampfthema ist!) sation. Da wird es immer einzelne Fehler geben. Für diese Fehler gibt es eine große demokratische Errungen- Ich will die Gelegenheit nutzen und ausführlich Stellung schaft: Soldaten können sich im Zweifelsfall unter das dazu nehmen. Die Lage in Afghanistan ist sicherlich Regime des deutschen Rechtsstaates stellen. schwieriger geworden. Sie ist in weiten Teilen des Lan- des instabil. Ich meine, dass es jetzt notwendig ist, dass Es ist etwas Neues, es ist Teil der jüngeren deutschen wir unsere Erfolge, die wir etwa im Bildungswesen oder Geschichte, dass Soldaten, die für Deutschland in der im Gesundheitssektor durchaus erreicht haben, nicht ge- Welt unterwegs sind, das Ansehen der Bundesrepublik in fährden. Deshalb müssen alle Bemühungen darauf ge- der Welt mehren. richtet sein, für unser Engagement in Afghanistan das Herzlichen Dank. Vertrauen der dortigen Bevölkerung zu erhalten und zu vertiefen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben eine sehr klare Zielvorstellung für unser Afghanistanengagement, die im ISAF-Mandat des letz- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ten Jahres deutlich formuliert ist – ich zitiere –: Es geht Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der darum, „die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähi- CDU/CSU-Fraktion. gen, Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten.“ Es (Beifall bei der CDU/CSU) geht darum, die Verantwortung in afghanische Hände übergeben zu können und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Dazu gehört, dass wir auch die afghanische Regie- Herren! Im Einzelplan 14 des Haushaltsentwurfs 2009 rung stärker in die Pflicht nehmen. Wir dürfen sie als (B) legen wir ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr ab. Empfänger umfangreicher Hilfen nicht aus der Verant- (D) Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden können, wortung entlassen, aus eigener Kraft Drogenanbau, Kri- wird doch die notwendige finanzielle Ausstattung der minalität und Korruption zu bekämpfen und demokrati- Bundeswehr gesichert. Das ist bei den Personalausgaben sche und rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Wir der Fall. Das betrifft die Übernahme des Tarifabschlus- erinnern uns: Die Bundeswehr ist auf Einladung der af- ses im öffentlichen Dienst – das ist schon erwähnt wor- ghanischen Regierung dort im Land. Deswegen muss den –, die Wehrsolderhöhung und die Angleichung der diese Regierung das Ihre zur Stabilisierung und zum Besoldung zwischen Ost und West. Es ist aber auch bei Wiederaufbau des eigenen Landes beitragen. Betrieb und Investitionen der Fall. Ich darf Ihnen, Frau Homburger, mitgeben, dass Ihr Vorwurf, es würde nicht Deutschland leistet als drittgrößter Truppensteller ei- ausreichend lange Trennungsgeld gezahlt, aufgenommen nen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung Afghanis- wurde und sich das Problem auf dem Weg zu einer guten tans, der im Übrigen von der dortigen Bevölkerung hoch Lösung befindet. geschätzt wird. Aber wir wissen: Afghanistan ist mit militärischen Mitteln allein nicht zu stabilisieren. Eine (Birgit Homburger [FDP]: Das ist schon ein einseitige Betonung der militärischen Komponente Jahr!) würde Widerstände in der Bevölkerung provozieren und den Taliban möglicherweise in die Hände spielen. Des- Der Bundesverteidigungsminister hat auf den Weg ge- wegen vertreten wir übereinstimmend einen vernetzten bracht, dass über die gesamte Einsatzdauer Trennungs- Ansatz. Ich glaube, dass es wichtig ist, mit der anstehen- geld gezahlt wird. den Mandatsverlängerung dafür Sorge zu tragen, dass Der Haushaltsentwurf ist insgesamt ein Beitrag dazu, der Umfang der zivilen Hilfe nun annähernd in Einklang die begonnene Modernisierung und Transformation mit dem militärischen Beitrag gebracht wird. der Streitkräfte fortzusetzen. Das ist von besonderer Bedeutung für unsere Auslandseinsätze. Unterschätzen Ich halte es auch für notwendig, dass wir nicht nur in wir jenseits mancher Vorwürfe in diesem Hause nicht, Afghanistan, sondern bei allen Auslandseinsätzen der dass es eine breite öffentliche Unterstützung dafür gibt, Bundeswehr eine schlüssige Gesamtkonzeption vorle- dass unsere Soldaten im Einsatz bestmöglich ausgerüstet gen. Ich denke, dass das Afghanistan-Konzept der Bun- und ausgestattet werden. Dem trägt dieser Haushaltsent- desregierung, das vor wenigen Tagen vorgestellt worden wurf Rechnung. ist, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Mir fällt auf, dass, wenn ich es richtig sehe, erstmals alle beteiligten Am Beispiel Afghanistans lässt sich besonders he- Ressorts als Autoren des Afghanistan-Konzepts benannt rausstellen, welche Bedeutung bestmögliche Ausrüstung werden und dass für jede Aufgabe, die wir dort überneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18717

Thomas Silberhorn (A) men wollen, Ziele formuliert worden sind. Das ist kei- sind die Aufgaben, für die wir die Europäische Union (C) neswegs eine Marginalie, sondern konzeptionell und brauchen, nicht für eine Nabelschau, die immer neue qualitativ ein Fortschritt, bei dem wir aber nicht stehen- Vorschriften zur Folge hat. bleiben dürfen. Nach diesem Exkurs möchte ich auf den Haushalt zu- Ich halte es für notwendig, dass wir bei der Formulie- rückkommen. Im Entwurf des Haushalts 2009 werden rung des Afghanistanmandats und aller weiteren Man- die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir leisten einen Bei- date genauso vorgehen, nämlich bei der Erarbeitung die- trag zur Stärkung der Bundeswehr und zum Schutz unse- ser Mandate alle Ressorts einbeziehen. Es ist keineswegs rer Sicherheitsinteressen. Damit bleiben wir handlungs- nur eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums fähig. und des Auswärtigen Amtes. Das Innenministerium und Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. das BMZ müssen genauso in die Erarbeitung der Man- date einbezogen werden. Die zivile Komponente muss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ebenso wie die militärische in dem Mandat, das uns im neten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt wird, Be- Dann ist ja alles in Ordnung!) rücksichtigung finden. Ein Weiteres: Ich meine, dass sich jedes einzelne Res- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sort auf messbare Zielvorgaben verständigen sollte, die Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kol- wir dann auch mit Haushaltsmitteln unterlegen können lege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion das und die wir uns im nächsten Jahr, wenn die Mandatsver- Wort. längerung nochmals ansteht, wieder vorlegen können, (Beifall bei der SPD) um überprüfen zu können, ob die Ziele, die sich die Bun- desregierung selbst gesetzt hat, tatsächlich erreicht wor- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): den sind. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema. Ich finde, Eine Haushaltsdebatte im Parlament ist dazu da, die Un- dass wir unseren zivil-militärisch vernetzten Ansatz terschiede zwischen Regierung und Opposition und auch in der öffentlichen Debatte über die Auslandsein- manchmal auch die Unterschiede zwischen Parlaments- sätze der Bundeswehr zum Tragen bringen müssen. mehrheit und Regierung deutlich zu machen. Dazu gehört, dass wir nicht allein über die Anzahl der Soldaten streiten, sondern den ganzheitlichen Ansatz un- (Elke Hoff [FDP]: Und zwischen sich selbst seres Einsatzes in Afghanistan und an anderen Orten der und dem Koalitionspartner!) (B) Welt auch in der Kommunikation über unser militäri- Unverändert gilt nämlich das Struck’sche Gesetz, dass (D) sches und ziviles Engagement deutlich machen sollten. keine Vorlage den Bundestag so verlässt, wie sie von der Regierung eingebracht wurde. Manchmal war allerdings Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch auch die Regierung klüger, wenn sie aus dem Bundestag den zivilen Wiederaufbauhelfern ausdrücklich für ihren herauskam. Einsatz danken. Sie genießen für ihren Dienst internatio- nal höchste Reputation. Ich denke, für ihre gefährliche Vorweg: Dieser Verteidigungsetat weist einen tüchti- Aufgabe verdienen sie auch den geschlossenen Rückhalt gen Zuwachs aus. Das ist notwendig, aber nicht selbst- unserer Bevölkerung und des Deutschen Bundestages. verständlich. Mein Dank gilt den verantwortlichen Ministern Jung und Steinbrück. Sie haben gemeinsam (Beifall bei der CDU/CSU) eine vernünftige Linie gefunden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der legenheit nutzen, in wenigen Sätzen einige Ausführun- CDU/CSU) gen zum komplexen Thema Georgien zu machen. Ich halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich In der Bundeswehr hört man die Klage, dass das Geld hierbei nicht um einen neuen Ost-West-Konflikt handelt. dennoch nicht ausreicht, insbesondere nicht für alle nur Gerade die Reaktion der Shanghai-Gruppe zeigt, dass denkbaren Beschaffungsprogramme. Das ist wahr, aber wir es mit einem internationalen Konflikt zu tun haben. unvermeidlich und war nie anders. Das zwingt uns dazu, Die internationale Gemeinschaft muss ungeachtet der je- Prioritäten zu setzen. Dafür bilden die heutige sicher- weiligen Verantwortlichkeiten der Beteiligten ihren An- heitspolitische Bedrohungsanalyse und die tatsächlich spruch deutlich machen, dass ihre Rechtsgrundlagen ge- stattfindenden Einsätze den Maßstab, nicht irgendeine achtet und durchgesetzt werden. Stückzahlkalkulation von 1997. Es ist begrüßenswert, dass die Europäische Union Wenn das Geld nicht für alles reicht, gibt es drei Mög- nach der Eskalation in Georgien die Initiative ergriffen lichkeiten, damit umzugehen: erstens, mehr Geld zu be- hat: mit dem Sechspunkteplan der französischen Ratsprä- sorgen; zweitens, die Strukturen der Realität anzupassen sidentschaft, der Einsetzung einer zivilen Beobachtermis- und dabei auch europäisch zu denken; drittens, zu fra- sion und der Ernennung eines Georgienbeauftragten, aber gen, wo immer noch Mittel verschwendet werden, von auch mit der Forderung nach einer unabhängigen interna- der Materialerhaltung über die Infrastruktur bis hin zu tionalen Untersuchungskommission. Das geschlossene Sinnlosbeschaffungen. Das sind die Möglichkeiten, die Auftreten der Europäischen Union stärkt ihre Rolle im man hat. Ich empfehle, die zweite und die dritte Mög- Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Das lichkeit nicht zu vernachlässigen. 18718 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Jetzt möchte ich etwas zum Thema Verschwendung Steffen Kampeter (CDU/CSU): (C) sagen. Die Beschaffung von Zusatzausrüstung für vier Danke schön, Herr Kollege. – Ich entnehme einer vorhandene Airbusse der Luftwaffe, die zur militäri- Agenturmeldung, dass Sie die Halbierung der Beschaf- schen Luftbetankung eingesetzt werden sollen, kostet fung und den möglichen Weiterverkauf der Hälfte der uns 210 Millionen Euro. Diese Zusatzausrüstung sollte dritten Tranche bereits dem Handelsblatt mitgeteilt ha- ab 2003 zur Verfügung stehen. Bis heute ist sie aber ben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob Sie dem nicht über das Versuchsstadium hinaus. In vier oder fünf Hohen Hause erläutern können, welche Regelungen für Jahren müsste allerdings der A400M, der ebenfalls über die Nichtabnahme in diesem Vertrag enthalten sind, ob die Fähigkeit der Luftbetankung verfügt, bereitstehen. es gegebenenfalls Sanktionen gibt und ob Sie allen Erns- Da fragt man sich: Brauchen wir diese Übergangslösung tes der Auffassung sind, dass Sie für den Fall des Nicht- jetzt noch? Müssen wir dieses Geld wirklich zahlen? weiterverkaufs, statt Flugzeuge zu bezahlen, Konventio- nalstrafe zahlen wollen. Anderes Beispiel: P-3C ORION, der Seefernaufklärer der Marine. International fliegen 500 Maschinen dieses Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Typs. Sie werden weltweit in drei Servicezentren gewar- Lieber Herr Kollege Kampeter, vielen Dank für die tet. Deutschland baut nun ein eigenes viertes Wartungs- Frage, die es uns ermöglicht, das Thema noch etwas zu zentrum auf, exklusiv für unsere acht Flugzeuge. Die vertiefen. erste Instandsetzung dauert 14 Monate. Zudem wird es richtig teuer. Für solche Sonderwege haben wir eigent- (Zuruf von der CDU: Und Ihre Redezeit zu lich kein Geld übrig. verlängern!) Ein dritter Fall: Die Marine wollte ursprünglich auf – Genau. ein einziges Hubschraubermuster umrüsten, den sagen- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So ist man umwobenen MH-90. Alle diese Hubschrauber sollten unter Koalitionären!) auf einem Fliegerhorst stationiert werden, weil das ef- fektiv ist. Ich habe Vertrauen in Regierungen, auch in die briti- sche Regierung, die auf dem Rechtsstandpunkt steht, sie Gegenwärtig gibt es zwei Hubschraubertypen und könne 72 Eurofighter aus der von ihr bestellten Gesamt- zwei Stützpunkte. Weil nun aber immer noch kein Proto- masse an ein drittes Land weiterverkaufen. Auf diesem typ des MH-90 existiert, werden trotzdem schon einmal Standpunkt steht die britische Regierung. alle 43 Hubschrauber – SEA LYNX und SEA KING Ich bin gespannt, ob es Sonderlösungen geben wird, plus acht ORION – auf einem Platz zusammengefasst. um den anderen Partnernationen – auch die Italiener ha- (B) Man baut dann eben fürs Erste Provisorien – man kann ben ähnliche Vorstellungen – Reduzierungen zu ermögli- (D) auch sagen: Investitionsruinen – und schaut, was die Zu- chen, die wir aus unserer Sicht als Deutsche auch wahr- kunft bringt. Hauptsache teuer umziehen, war ja lange nehmen sollten. Wir wollen gleiches Recht für alle. geplant. Herr Minister, ich meine, das sollten Sie sich Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geän- noch einmal anschauen. dert. Wir denken, wir kommen heute in unserer Bundes- Das gilt auch für das Eurofighter-Programm als sol- wehr mit weniger Eurofightern aus, aber natürlich mit Eurofightern, den besten momentan verfügbaren Flug- ches. Wir Sozialdemokraten meinen, dass die Hälfte der zeugen. dritten Tranche für Deutschland ausreichend wäre. Wir hätten dann 146 hochmoderne, zweirollenfähige Kampf- Es wird also verhandelt werden müssen. Gleiches flugzeuge in vier statt in fünf Geschwadern. Über den Recht für alle heißt, unsere Regierung mit der britischen Rest der dritten Tranche müsste eine Einigung mit den und der italienischen Regierung gemeinsam. Partnernationen sowie den Herstellern möglich sein. Das Zauberwort heißt Anrechnung des Exports. Wenn das für Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Großbritannien und Italien gehen sollte, warum dann Nun haben sich noch einmal Herr Kampeter und zu- nicht für alle, also auch für uns? sätzlich der Herr Kollege Stinner zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich darf Herrn Bartels fragen, ob er auch diese Weil die alten Preise nicht mehr auskömmlich sind, zulässt. werden wir neue Verträge beschließen müssen.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wenn Sie die Reihenfolge geregelt bekommen, dann Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischen- ja. frage des Kollegen Kampeter? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Jetzt ist Herr Stinner an der Reihe. Gern. Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Kollege Bartels, in der von Herrn Kollegen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kampeter angesprochenen Agenturmeldung wird für Bitte schön, Herr Kampeter. den Fall, dass die Halbierung nicht eintritt, gesagt, an- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18719

Dr. Rainer Stinner (A) sonsten – Zitat von Ihnen im morgigen Handelsblatt – Es gibt vertragliche Klauseln, durch die es uns schwer (C) gebe es von der SPD-Bundestagsfraktion keine Zustim- gemacht wird. „Schwer“ bedeutet aber nicht „unmög- mung, Flugzeuge der dritten Tranche abzunehmen. lich“. Wir müssen jetzt über keine Zahl abstimmen. Ich glaube, wir können eine Lösung finden, die für alle Be- Dem entnehme ich, dass es sich nicht um Ihre persön- teiligten – die Industrie und die vier Nationen – besser liche Meinung, sondern um eine in der Bundestagsfrak- ist, als wenn wir das Programm einfach nur durchlaufen tion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ab- lassen würden. gestimmte Meinung handelt. Ich frage Sie, ob das der Fall ist. Es gibt auch Bedürfnisse der flugzeugbauenden In- dustrie in Europa, neue Programme auch wieder aus un- Herzlichen Dank. serem Haushalt und den Haushalten der Partnernationen finanziert zu bekommen. Genauso gibt es das Interesse Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): anderer Länder an Lösungen, die ich auch für uns vor- Herr Kollege Stinner, die Verträge hat die durch schlage und mir vorstellen kann. Das wird also eine Ver- CDU/CSU und FDP gebildete Regierung im Jahr 1997 handlungssache sein. abgeschlossen. Wir wollen, dass noch einmal über die Gesamtzahl der Flugzeuge und darüber verhandelt wird, Sie haben aber recht: Darüber ist noch keine Einigkeit was mit der dritten Tranche geschieht. Eine Export- hergestellt. Wir werden aber darüber reden können. Des- anrechnung auf die Abnahmeverpflichtung der Länder halb sage ich, dass die Beratung über den Haushalt eine ist eine Möglichkeit. Andere Länder wollen das. Ich gute Gelegenheit dazu bietet. denke, wir können es auch wollen. (Hellmut Königshaus [FDP]: Habt Ihr eigent- Die Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion hat lich noch einen Koalitionsausschuss? Warum bereits im Frühjahr auf einer Klausurtagung ein Papier müsst Ihr das hier verhandeln?) beschlossen, das damals auch veröffentlicht wurde, in Abschließend noch ein paar Sätze zur Wehrpflicht, dem wir genau diese Position vertreten. Da ich das heute über die wir an der einen oder anderen Stelle auch schon hier in der Debatte so sage, können Sie davon ausgehen, etwas gehört haben. Wir Sozialdemokraten erkennen an, dass wir das in den Ausschüssen entsprechend verhan- dass der Verteidigungsminister absolut problembewusst deln. ist. Die Wehrgerechtigkeit ist ein Problem, wenn fast die Hälfte eines Jahrgangs aus gesundheitlichen Gründen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ausgemustert wird. Wir glauben aber, dass es keine Dau- Lassen Sie auch noch die zweite Zwischenfrage des erlösung sein kann, dann einfach ein paar Tausend Wehr- (B) Kollegen Kampeter zu? pflichtige außerhalb der Struktur zusätzlich einzuziehen. (D) Die notwendigen Mittel dafür sollten wir lieber in die Verbesserung der Attraktivität des Dienstes in der Bun- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): deswehr investieren. Hier müssen wir in Zukunft mehr Gerne. tun. Darüber besteht in diesem Hause große Einigkeit.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Birgit Homburger [FDP]: Aber nicht in der SPD!) Herr Kollege Kampeter, bitte schön. Um die Wehrpflicht, die wir gemeinsam wollen, Herr Steffen Kampeter (CDU/CSU): Minister, auf Dauer verfassungsfest zu sichern, brauchen Herr Kollege Bartels, Sie haben meine Frage durch wir ein neues Wehrpflichtmodell. Die SPD hat Vor- Ihre Sachverhaltsdarlegung charmanterweise nicht be- schläge dafür gemacht. Lassen Sie uns auf dieser Grund- antwortet. Sie lautete: Können Sie dem Hohen Hause lage einen neuen Konsens finden. einmal darlegen, welche Konventionalstrafe bei Nicht- Vielen Dank. abnahme von Flugzeugen, die Sie laut Pressemeldungen nach Indien oder in die Schweiz weiterverkaufen wollen (Beifall bei der SPD) – also für den Fall, dass Ihnen dies nicht gelingt, zumal es ja noch keine gemeinsame Koalitionsauffassung dazu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gibt –, vorgesehen ist? Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Vor diesem Hintergrund würde ich gerne hören, wel- nicht vor. che Zahl sich bei Halbierung der Tranche ergibt. Wie Ich unterbreche an dieser Stelle die Haushaltsberatun- soll die Dislozierung aussehen? gen und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Wir kennen ja die daran beteiligte Industrie. Ich emp- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung fehle, dass wir einmal darüber reden, ob wir beim A400M von der Industrie Konventionalstrafen fordern Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter wollen. Mit der gleichen Industrie reden wir auch da- deutscher Streitkräfte an der United Nations rüber, wie das Eurofighter-Programm in Zukunft gestal- Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf tet sein soll. Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) 18720 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) und 1832 (2008) des Sicherheitsrates der durch Minen und Streubomben. Das ist das schreckliche (C) Vereinten Nationen vom 11. August 2006 Erbe eines Krieges, den unverantwortliche Männer pro- bzw. 27. August 2008 voziert und geführt haben. – Drucksachen 16/10207, 16/10240 – Die politische Bilanz von UNIFIL ist gemischt: Der Waffenschmuggel wurde nicht unterbunden, und die Berichterstattung: Lage an der Blauen Linie bleibt angespannt. Israel hält Abgeordnete Eckart von Klaeden Gebiete im Libanon weiterhin besetzt und überfliegt li- banesisches Hoheitsgebiet. Das Grenzmanagement steckt Dr. Werner Hoyer noch in den Anfängen. Wolfgang Gehrcke Jürgen Trittin Dennoch gibt es Erfolge: Es konnte vor allem ein – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Wiederaufflammen der Kämpfe verhindert werden, schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Flüchtlinge kehrten zurück, Kriegsschäden wurden be- seitigt und Minen geräumt. Die Menschen müssen nicht – Drucksache 16/10241 – stündlich um ihr Leben fürchten. Die Kinder gehen wie- der zur Schule. Der mühsame Alltag gewinnt neue Kon- Berichterstattung: turen. Die Libanesen hoffen auf eine bessere Zukunft. Abgeordnete Lothar Mark Das hat UNIFIL nicht allein geschafft. Doch ohne die Jürgen Koppelin Friedensmission wären diese Fortschritte kaum möglich Dr. Gesine Lötzsch gewesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh- GRÜNEN) lung werden wir später namentlich abstimmen. Erst vor wenigen Wochen konnte der Libanon eine Ich mache darauf aufmerksam, dass bei dem darauf- gefährliche innenpolitische Krise bewältigen. Zahlreiche folgenden Tagesordnungspunkt über zwei weitere Be- blutige Anschläge, die Unfähigkeit gewaltbereiter liba- schlussempfehlungen ebenfalls namentlich abzustimmen nesischer Politiker zum Kompromiss und der Einfluss ist, sodass wir heute insgesamt drei namentliche Abstim- externer Akteure brachten das Land an den Abgrund ei- mungen durchführen werden. nes neuen Bürgerkrieges. (B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Heute hat der Libanon eine begrenzte Stabilität er- (D) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi- reicht. Obwohl die Lage angespannt bleibt, sind die derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be- Wahl eines Staatspräsidenten und die Bildung einer All- schlossen. parteienregierung wichtige positive Signale. Die größten Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Herausforderungen aber bleiben eine handlungsfähige ner dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich von der SPD- und verantwortungsvolle Regierung in Beirut, der Wille Fraktion das Wort. zur Verständigung und die Demilitarisierung des Alltags sowie gewaltbereiter Gruppen. Ich setze große Hoffnun- (Beifall bei der SPD) gen in den nationalen Dialog und die bevorstehenden Parlamentswahlen. Dr. Rolf Mützenich (SPD): In diesem Zusammenhang möchte ich mit Erlaubnis Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die des Präsidenten einige Kolleginnen und Kollegen aus Anwesenheit deutscher Soldaten vor der libanesischen dem Libanon ganz herzlich begrüßen, die auf Einladung Küste ist nicht selbstverständlich. Angesichts der deut- der Bundesregierung im Rahmen des Gästeprogramms schen Vergangenheit bleibt die Stationierung deutscher unsere heutige Debatte auf der Zuschauertribüne verfol- Soldaten an Israels Grenzen ein Wagnis. Deshalb lehnten gen. einige Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion vor zwei Jahren den Einsatz deutscher Soldaten ab. Wenige (Beifall) Abgeordnete werden dies heute wieder tun. Ich respek- Ich freue mich, dass sie gerade zum Thema Wahlrechts- tiere deren Entscheidung. Gleichwohl komme ich bei der reform bei uns sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Hoff- Gewichtung der Argumente zu einem anderen Ergebnis. nungen äußern und den Libanon unterstützen. Wir wissen, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte Eine wichtige Voraussetzung für das Aufweichen der nur politisch befriedet können werden. Vorher müssen Blockaden im Nahen Osten war ein Umdenken in den aber die Waffen schweigen. Nach meinem Verständnis USA. Nach Jahren der Gleichgültigkeit engagiert sich ist die Absicherung der Waffenruhe der Kernauftrag von die Regierung in Washington wieder mit diplomatischen UNIFIL. Mitteln und Initiativen. Auch die Verantwortlichen in Die Mission im Libanon bleibt gefährlich. Rund Washington mussten akzeptieren, dass es ohne Syrien 50 Soldaten der internationalen Schutztruppe kamen in keine Fortschritte geben kann. Die Einladung einer syri- den vergangenen zwei Jahren ums Leben oder wurden schen Delegation nach Annapolis war daher folgerichtig verletzt. Im Südlibanon sterben weiterhin Menschen und notwendig. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18721

Dr. Rolf Mützenich (A) Es war der deutsche Außenminister, der seine ameri- Auch die Linke hätte UNIFIL zum Beginn eines au- (C) kanische Kollegin von dieser Geste überzeugen konnte, ßenpolitischen Lernprozesses machen können. Andere und es war Frank-Walter Steinmeier, der in Syrien für Linksparteien hatten dem Mandat von Beginn an zuge- eine konstruktive Mitarbeit geworben hat. stimmt. Im Gegensatz zu Ihnen wissen diese Parteien, dass UN-Friedenstruppen dann sinnvoll sind, wenn sie (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ das Töten stoppen und den Rahmen für Stabilität bilden. CSU]: Supertyp!) Die Linke wird an dieser grundsätzlichen Frage nicht Das waren kluge, starke und ausgewogene Botschaf- vorbeikommen. Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich ten. Sie waren nicht ohne Risiko. Doch eine Außenpoli- nicht im Antimilitarismus. Begrenzte militärische Bei- tik, die nur auf schöne Bilder setzt, schafft keine Verän- träge können den Aufbau ziviler Strukturen und Mentali- derungen. täten erleichtern. Das kann aber nur erkennen, wer verantwortlich handeln will. Doch die Linke ist die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fangene eines Mannes, der Verantwortung scheut. Wenn man sich in der Politik an Kriterien wie Zunei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ gung/Abneigung oder gut/böse ausrichtet, verleitet dies CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- zu Fehlurteilen, gerade im Nahen Osten. NEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundeswehrangehörigen, die im Rahmen von In Zeiten neuer Spannungen brauchen wir eine Politik, UNIFIL ihre Arbeit tun, tragen Verantwortung. Wir kön- die zur Entspannung beiträgt. Deshalb hätte ich mir ge- nen ihnen die Last nicht abnehmen. Wir können aber wünscht, dass Frank-Walter Steinmeier von Anfang an dazu beitragen, dass die Mission breite Akzeptanz fin- die Unterstützung der gesamten Bundesregierung gehabt det. Wenn es dann noch gelingt, zu helfen, den Libanon hätte. zu stabilisieren und Frieden im Nahen Osten zu fördern, dann haben wir die Chancen der UNIFIL-Mission ge- (Beifall bei der SPD) nutzt. Deshalb ist die Verlängerung des Mandats um Vor wenigen Wochen haben Syrien und der Libanon weitere 15 Monate gerechtfertigt. Ich bitte um Ihre Zu- die Absicht geäußert, diplomatische Beziehungen zu- stimmung. einander aufzunehmen; das ist eine gute Nachricht. Vielen Dank. Mehr noch: Syrien und Israel verhandeln unter Vermitt- lung der Türkei über Frieden. Hätte die Waffenruhe im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Länderdreieck nicht gehalten, wären solche Fortschritte der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) unwahrscheinlich gewesen. UNIFIL hat hier politische GRÜNEN) (D) Lösungen mit ermöglicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bei uns haben einige die Mission allein mit Sicher- heitsinteressen Israels begründet. Diese Aussage ist aus Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von meiner Sicht missverständlich und engt den Handlungs- der FDP-Fraktion. spielraum der Politik ein. Zweifellos fördert die Waffen- (Beifall bei der FDP) ruhe auch die Sicherheit Israels. Aber das Mandat ist ebenso ein Instrument, um die Integrität und die Souve- Birgit Homburger (FDP): ränität des Libanon zu stärken. Ohne UNIFIL hätte Is- rael die Seeblockade nicht beendet. Erst die internatio- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nale Mission hat der libanesischen Innenpolitik neue Wenn wir heute über die UNIFIL-Mission sprechen, Spielräume eröffnet. dann möchte ich zu Beginn für die FDP-Bundestagsfrak- tion klarstellen, dass wir UNIFIL damals sehr wohl als Im Übrigen wird Israel erst dann Sicherheit finden, einen Beitrag zum Waffenstillstand gesehen haben. Wir wenn es mit seinen Nachbarn in Frieden lebt. Dafür als FDP haben nicht UNIFIL an sich infrage gestellt; wir braucht es politischen Willen und Mut sowie die Fähig- haben vielmehr infrage gestellt, ob die maritime Kompo- keit zum Kompromiss auf allen Seiten. nente tatsächlich der richtige deutsche Beitrag ist. UNIFIL ist im Kern eine klassische Blauhelmmis- Das sind die Fragen, die wir stellen. Wir haben gefor- sion. Das Mandat unterstreicht die Verantwortung der dert, den Schwerpunkt auf die zivile Unterstützung zu Vereinten Nationen als Hüter der internationalen Sicher- legen. In der Debatte gestern ist deutlich gemacht wor- heit. Deshalb war ich vor zwei Jahren enttäuscht, als die den, dass man erreichen will, den Libanon in die Lage zu FDP nahezu geschlossen das Mandat ablehnte. Es waren versetzen, selbst die Seeseite zu sichern. Dafür hat man damals ganz offensichtlich innenpolitische Gründe, die Unterstützung gewährt. Auch das unterstützen wir als ihr Nein motivierten. Ihr Spielraum, ihr Verhalten heute FDP-Bundestagsfraktion, aber wir halten diese Bemü- zu ändern, ist deshalb begrenzt. Das ist bedauerlich; hungen bei weitem nicht für ausreichend. denn UNIFIL hätte eine breite Mehrheit im deutschen Parlament verdient. Der Bundesverteidigungsminister hat gestern gesagt, dass die Mission erfolgreich war. Ich denke, man muss (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zwischen dem, was die Soldatinnen und Soldaten tun, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und der politischen Bewertung unterscheiden. Die Sol- CDU/CSU) datinnen und Soldaten leisten eine exzellente Arbeit. Sie 18722 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Birgit Homburger (A) verdienen Respekt und Anerkennung für die Art ihres letzten Wochen. Es gibt einen Hoffnungsschimmer im (C) Auftretens und für die Erfüllung der Aufgaben. Wir sa- Verhältnis zu Syrien. Aber nach wie vor ist die Rolle des gen von unserer Seite ein herzliches Dankeschön für Iran – auch mit Blick auf Waffenlieferungen an die His- diese Arbeit. bollah – völlig ungeklärt. (Beifall bei der FDP) In der Region gibt es in Israel eine Regierung mit Pro- blemen, eine schwache Palästinenserführung und seit Aber die Wirksamkeit der Mission ist begrenzt, so- Beginn der UNIFIL-Mission eine Trennung in Gaza und lange es keinen Fortschritt bei der Sicherung der land- Westjordanland, also eine größere Zerrissenheit. Interna- seitigen Grenzen gibt. Die Hisbollah weist immer wieder tional gesehen befinden sich die USA im Wahlkampf. darauf hin, dass sie jetzt mehr Waffen hat als vor dem Vom Nahostquartett haben wir schon lange nichts mehr Krieg. Man kann einwenden, dass man auf das, was die gehört. Hisbollah sagt, nichts geben muss. Aber in einem UN- Bericht aus dem letzten Jahr, der nach wie vor Gültigkeit (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Deswegen stim- hat, wird eindeutig festgestellt, dass es an der landseiti- men Sie nicht zu?) gen Sicherung der Grenzen mangelt und damit dem Deswegen gibt es ein Vakuum. Aber dieses Vakuum Waffenschmuggel Tür und Tor geöffnet sind. Hier be- kann nicht mit Soldatinnen und Soldaten ausgefüllt wer- dürfte es einer zentralen Unterstützung, um landseitig den. Es bedarf eines massiven politischen Engagements. eine Sicherung aufzubauen. Aber das ist bislang nicht Eine nachhaltige Lösung des Nahostkonflikts kann nur der Fall. Fazit ist, dass die Landseite für den Waffen- ein tragfähiger, umfassender politischer Prozess gewähr- schmuggel offen wie ein Scheunentor ist und dass der leisten. Wir fordern daher eine umfassende regionale Einsatz auf der Seeseite aus diesem Grund eher wie ein Friedensinitiative nach dem Vorbild der KSZE, näm- Placebo wirkt. lich eine KSZNO. Wir haben dazu immer wieder An- (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/ träge eingebracht. Wir sind nach wie vor der Meinung, CSU]: Unglaublich!) dass das richtig wäre. Die entscheidende Frage ist, ob die Resolution 1701 Ich fasse zusammen: Solange die Wirksamkeit des erfüllt ist. Das ist bislang bei weitem nicht der Fall. Mandats nicht gewährleistet ist und solange der politi- Noch immer führen die Israelis Überflüge über dem Li- sche Begleitprozess völlig unbefriedigend ist, so lange banon durch. Diese hätten längst eingestellt werden sieht sich die FDP-Bundestagsfraktion nicht in der Lage, müssen. Ich erwarte, dass die internationale Gemein- der Verlängerung des Mandats zuzustimmen. schaft dafür deutliche Worte findet. Zudem gibt es kei- Vielen Dank. nen Fortschritt bei der Entwaffnung der Hisbollah; das (B) (D) habe ich bereits angesprochen. Auch das ist Bestandteil (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/ der Resolution 1701. Es gibt den nationalen Dialog, der CSU]: Schade, Frau Homburger!) gestern eine Rolle gespielt hat. Seit langer Zeit geht es wieder um die Entwaffnung der Hisbollah. Aber ich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: möchte Sie auf die Regierungserklärung der neuen Re- Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden, gierung im Libanon vom August dieses Jahres aufmerk- CDU/CSU-Fraktion. sam machen. In dieser wurde „das Recht des Libanon, seiner Regierung, des Volkes und des Widerstandes zum (Beifall bei der CDU/CSU) Gebrauch aller möglichen Mittel, um vom Libanon be- anspruchtes Gebiet wiederzuerlangen“, festgelegt. Das Eckart von Klaeden (CDU/CSU): bedeutet nichts anderes, als dass die Hisbollah aus dieser Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- Regierungserklärung das Recht ableitet, ihre Waffen be- gen! Was die Lage im Libanon sowie die Wirksamkeit halten zu dürfen. Das liegt nicht im Interesse der interna- und den – wenn auch beschränkten – Erfolg der tionalen Gemeinschaft und entspricht nicht der UN-Re- UNIFIL-Mission angeht, beziehe ich mich auf das, was solution. der Kollege Mützenich beschrieben hat. Ich glaube, er hat die Situation einfühlsam und zutreffend dargestellt. (Beifall bei der FDP) Versetzen wir uns in die Zeit von vor zwei Jahren zu- Das alles zeigt, wie zerbrechlich die Situation ist. rück, als wir das erste Mal über das Mandat abgestimmt haben. Wir haben damals angesichts der Schwierigkeiten Ich komme zum – aus Sicht meiner Fraktion – zentra- nicht angenommen – das gilt jedenfalls für die Kollegin- len Punkt. Die Entsendung von Soldatinnen und Sol- nen und Kollegen meiner Fraktion sowie des Koalitions- daten darf immer nur das letzte Mittel sein. Wer aller- partners im Auswärtigen Ausschuss –, dass das Mandat dings Soldatinnen und Soldaten entsendet, hat die so erfolgreich sein wird, wie es heute ist. Das kann man Pflicht, in besonderem Maß politisch initiativ zu werden. bei allen Schwierigkeiten, die hier geschildert worden Aber wir erkennen nicht, dass die Bundesregierung die sind, feststellen. Initiative ergreift. Fehlanzeige! Wie sieht die politische Situation im Libanon aus? Im Libanon wurde nach einer Welches sind die wesentlichen Einwände gewesen, langen Hängepartie ein Präsident gewählt. Es gibt eine Frau Kollegin Homburger? Es sind nicht diejenigen ge- neue Regierung, in der die Hisbollah gestärkt ist und die wesen, die Sie eben neu vorgetragen haben. Der wesent- Opposition eine Sperrminorität hat. Die politische Lage liche Einwand der FDP vor zwei Jahren ging auf einen ist weiter fragil. Das zeigen auch die Anschläge in den verquasten Neutralitätsbegriff und die Sorge zurück, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18723

Eckart von Klaeden (A) dass Deutschland durch die Entsendung der Marine Par- Vorschlag einer Konferenz für den Nahen Osten nach (C) tei im Nahostkonflikt werden könnte. Das hat sich ein- dem Vorbild der KSZE relativ nahe kommt. Wir haben deutig als falsch erwiesen. Sowohl die israelische Regie- es mit einem schwierigen Prozess zu tun. Deswegen rung als auch die libanesische Regierung begrüßen das kann ich verstehen, dass der eine oder andere sagt, es Mandat und unser Engagement und halten es für richtig, ginge ihm nicht schnell genug. Aber gerade in dieser dass wir uns nicht nur mit der Bundesmarine auf der schwierigen Situation brauchen wir Geduld. Seeseite engagieren, sondern dass wir auch die langsa- Das Abkommen von Doha vom 21. Mai dieses Jah- men Fortschritte bei der Grenzsicherung mit Bundespo- res ist ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Prozess. lizei und anderen unterstützen. Ich fände es gut, wenn Es ist gelungen, im Libanon eine Regierung der nationa- die FDP angesichts dieser Entwicklung in der Lage len Einheit zu bilden. Der bisherige Kommandant der wäre, zu sagen: Die Entwicklung hat sich anders darge- libanesischen Armee, Michel Suleiman, ist zum Präsi- stellt, als wir befürchtet haben, und denten gewählt worden. Für die im nächsten Jahr anste- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) henden Parlamentswahlen soll ein Wahlgesetz verab- schiedet werden. In den innenpolitischen deswegen sind wir bereit, zuzustimmen. Auseinandersetzungen soll auf Gewalt verzichtet wer- Ihr Generalsekretär, Frau Homburger, hat Ihrer Frak- den, und die Milizen sollen entwaffnet werden. Diese tion schon vor einem Jahr empfohlen, dem Mandat zuzu- Punkte sind noch nicht alle durchgesetzt, aber sie sind stimmen, weil diese Entwicklung vor einem Jahr schon beschlossen, und die wesentlichen innenpolitischen abzusehen war. Wenn man einmal die Zustimmung bzw. Kräfte im Libanon haben sich auf dieses Abkommen ge- Ablehnung vonseiten der FDP in Bezug auf die Auslands- einigt und auf diese Prinzipien verständigt. Das ist ange- einsätze der Bundeswehr betrachtet, muss man bedauer- sichts der Lage in diesem Land ein deutlicher Fortschritt. licherweise feststellen, dass Sie gerade die erfolgreichs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ten Einsätze – nämlich die in Mazedonien, im Kongo Dr. Rolf Mützenich [SPD]) und im Rahmen von UNIFIL – ablehnen. Wenn man sich Ihre Zustimmung bzw. Nichtzustimmung zu den Man kann nun sagen, die Hisbollah habe sich durch Afghanistan-Einsätzen vor Augen führt, erkennt man, die Verzögerung dieses Prozesses mit ihrer Blockade- dass diese nicht einer klaren Linie folgt, sondern eher politik durchgesetzt. Ich glaube, dass das nicht ganz der eines Riesenslaloms gleicht. Das ist keine verant- richtig ist, sondern dass die Minderheit durch diesen wortungsvolle außenpolitische Position. Kompromiss, durch dieses Abkommen, durch diesen Prozess in die Pflicht genommen worden ist und dass (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- das im Libanon geltende Konsensprinzip nicht länger NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (B) von der Hisbollah gegen das nationale Interesse des (D) ten der SPD) Libanon instrumentalisiert werden kann. Das zweite Argument, das immer zu hören gewesen Wir müssen die Politik der syrischen Regierung wei- ist, war das der angeblichen Militarisierung unserer ter kritisch begleiten und Syrien ermutigen, eine kon- Außenpolitik. Dieses wird mit besonderer Vorliebe von struktive Rolle in diesem Prozess zu spielen. Es ist rich- der Linken vorgetragen. Wie man allerdings von einer tig, dass es ohne eine konstruktive Rolle Syriens nicht Militarisierung der Außenpolitik sprechen kann, wenn wird gehen können. Deswegen ist es ein gutes Signal, wir helfen, Waffenschmuggel in den Libanon auf der dass Syrien jetzt nach langer Zeit seine Bereitschaft er- Seeseite zu unterbinden klärt hat, mit dem Libanon diplomatische Beziehungen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es gab gar aufzunehmen. Unsere Syrien-Politik ist von zwei we- keinen Waffenschmuggel!) sentlichen Prinzipien geprägt: Zum einen muss das Maß der Kooperation mit Syrien davon abhängen, wie sehr und die Landesgrenze zu sichern, wird auf lange Zeit das Syrien selber zu einem konstruktiven Beitrag in der Re- Geheimnis der Linkspartei bleiben. gion, insbesondere in Bezug auf seine Beziehungen zum Der dritte Einwand ist vor zwei Jahren immer wieder Libanon, bereit ist, und zum anderen: Wenn wir als Eu- gewesen, dass es keinen politischen Prozess gibt, in den ropäer Erfolg haben wollen, dann müssen wir bereit sein, der Einsatz eingebettet ist. Auch wir haben vor zwei Jah- Syrien gegenüber mit einer Stimme zu sprechen. ren gesagt, dass ein Waffenstillstand – wie der Kollege (Beifall bei der CDU/CSU) Mützenich zutreffend ausgeführt hat – Voraussetzung dafür ist, dass dieser politische Prozess beginnen kann. Es gibt einige Aspekte, die bei allem Positiven genannt Dieser ist in der UN-Resolution 1701 entsprechend be- werden müssen. Wir erwarten von Syrien die Freilas- schrieben. Wir können heute feststellen, dass dieser poli- sung der unzähligen libanesischen Gefangenen aus syri- tische Prozess trotz aller Schwierigkeiten begonnen hat schen Gefängnissen, die Aufklärung über das Schicksal und dass der UNIFIL-Einsatz eine nicht hinwegzuden- der Verschwundenen, die Bereitschaft Syriens, sich aus kende Voraussetzung für diesen politischen Prozess ist. den inneren Angelegenheiten des Libanon herauszuhal- ten und die Souveränität des Libanon anzuerkennen. Es gibt im Libanon wieder einen Präsidenten. Es gibt Kontakte zwischen Israel und Syrien sowie zwischen Wie groß das internationale Interesse am Frieden im dem Libanon und Syrien. Wir haben die Annapolis- Libanon ist und wie groß die Bereitschaft der internatio- Konferenz, die, wenn Sie die Dinge etwas mehr im Zu- nalen Gemeinschaft ist, sich an UNIFIL zu beteiligen, sammenhang beurteilen würden, Frau Homburger, Ihrem zeigt die beeindruckende Liste von 26 teilnehmenden 18724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Eckart von Klaeden (A) Nationen. Wenn die Linke glaubt, der Bundesregierung, Wir haben uns überlegt, dass es gerade für diesen Ein- (C) den sie tragenden Fraktionen und in diesem Fall auch satz im Nahen Osten notwendig wäre, Staaten zu gewin- den Grünen die Militarisierung der Außenpolitik unter- nen, die für beide Konfliktparteien erkennbar neutral stellen zu müssen, dann kann sie die Frage bei ihren Be- sind. Dieses Neutralitätsargument hat gestern heftigen suchen in China, in Kroatien, in Mazedonien, in Guate- Widerspruch gefunden. Ich will es noch einmal erklären mala, in Malaysia, in Irland, in Indien, in Polen oder in – ich habe gedacht, es erklärt sich von selber –: Deutsch- Korea stellen, ob auch diese Nationen tatsächlich an ei- land hat immer formuliert, dass es ein besonderes Ver- ner Militarisierung ihrer Außenpolitik interessiert sind hältnis zu Israel hat. Das Verständnis für dieses beson- und sich deswegen an UNIFIL beteiligen. UNIFIL ist dere Verhältnis wird nicht von allen Akteuren in der eine wichtige Mission, gerade weil der beschriebene Region geteilt. Kollege Annen hat mir gestern selbst die Prozess fragil ist, gerade weil dieser Prozess unsere Un- Hisbollah vorgehalten, die glaubt, dass Deutschland neu- terstützung verdient, nicht nur für die Menschen dort tral ist. Hisbollah als Kronzeuge für Deutschland, glau- – für sie zu allererst –, aber auch deshalb, weil er in un- ben Sie wirklich, dass das ein überzeugendes Argument serem Interesse ist; denn die Region liegt – deswegen ist? heißt sie Naher Osten – direkt vor unseren Grenzen. Er- neute Kriegshandlungen bedrohen die Sicherheit auch Einen überzeugenden Beleg dafür hat die Frau Bun- Europas. Deswegen gibt es viele gute Gründe, dieser deskanzlerin geliefert. Sie hat in ihrer Begründungsrede Mission zuzustimmen. Ich darf noch einmal an die FDP gesagt – ich zitiere sie –: appellieren, es sich zu überlegen und mit Ja zu votieren. Ich sage ganz deutlich: Ja, wir sind nicht neutral (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und wir wollen auch gar nicht neutral sein. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Das stimmt, was sie hier festgestellt hat. Ich glaube, dass GRÜNEN) man als nicht neutrale Kraft im Nahen Osten nicht mit Militär agieren sollte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der LINKEN) Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. Unser zweites Argument – ich bitte Sie, auch darüber ein bisschen mehr nachzudenken –: Ich glaube, dass der (Beifall bei der LINKEN) Einsatz der Bundeswehr im Libanon auch ein Türöffner für künftige Forderungen an Deutschland sein kann, Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): auch bei weiteren Militäreinsätzen im Nahen Osten Schönen Dank, Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen präsent zu sein. Es kann doch jeder wissen, was sich dort (B) und Kollegen! Ich will noch einmal die Argumente der zusammenbraut. Ich sage sehr salopp, aber sehr klar: (D) Linken zusammenfassen. Ich halte erstens fest: Aus un- Aus meiner Sicht hat Deutschland, hat die Bundeswehr serer Sicht ging und geht der UNIFIL-Einsatz in Ord- im Nahen Osten, an den Grenzen Israels nichts zu su- nung. Er war notwendig, und ohne diesen Einsatz hätte chen. es den Waffenstillstand wahrscheinlich nicht gegeben. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ Er war Voraussetzung, um überhaupt miteinander ver- CSU]: Das sehen die Israelis anders!) handeln zu können. Diese Meinung teile ich völlig. Die Waffen müssen schweigen, damit über Frieden gespro- Das ist eine sehr wichtige Position. chen werden kann. Das ist die Grundlage dazu. Waffen- stillstand heißt aber noch nicht Frieden. Bis dahin ist Drittes und letztes Argument. Wir wissen, dass der ei- noch ein gewaltiger Weg zurückzulegen. Selbstverständ- gentliche Hintergrund des Libanon-Konflikts ein anderer lich ist die völkerrechtliche Basis für den UNIFIL-Ein- ist, nämlich der Konflikt Israel/Palästina, der gelöst satz gegeben. werden muss. Schon dieser Ausgangspunkt gebietet ein sehr vorsichtiges Agieren. Viele sagen: Der Annapolis- Jetzt gibt es aber bei Ihnen, so meine ich, einen Denk- Prozess wird scheitern. Es gibt aber auch Stimmen, die fehler. Nicht jeder Einsatz der Vereinten Nationen, der sagen, dass er eine Chance hat – was ich glaube und was völkerrechtlich in Ordnung geht, ist auch politisch gebo- ich befördern möchte. Dann muss aber auch die Richtig- ten und politisch sinnvoll. Ein Beschluss der Vereinten keit folgender Behauptung geklärt werden – ich habe Nationen ersetzt nicht das Nachdenken darüber, was eine entsprechende Frage an den Herrn Außenminister man politisch will. Dann muss man die Frage stellen, ob gerichtet; er beantwortet sie in diesem Parlament nie –: es unter diesen Bedingungen gut ist, dass sich Deutsch- Solange der Iran mit Militäraktionen, mit Krieg bedroht land militärisch an einem solchen Einsatz beteiligt. Letz- wird, werden wir keine Stabilität in der Region haben. teres haben wir verneint. Ich möchte, dass die deutsche Bundesregierung verbind- lich sagt: Deutschland will, dass die militärische Option (Beifall bei der LINKEN) vom Tisch kommt, damit Frieden einkehrt. Dafür hatten wir sehr gute Gründe, und ich will Ihnen (Beifall bei der LINKEN) zumindest drei noch einmal vortragen. Kollege von Klaeden und ich kennen uns jetzt so lange, dass er Ein letzter Gedanke – Kollege Mützenich, das, was glaubt, immer zu wissen, was ich sagen werde. Das Sie gesagt haben, hat mich natürlich gereizt und provo- werde ich aber nicht. Du hast dich getäuscht. Ich habe ziert –: Ich teile Ihre Auffassung, dass sich ein konstruk- ganz andere Gründe, die ich anführen möchte. tiver Pazifismus nicht im Antimilitarismus erschöpft. Ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18725

Wolfgang Gehrcke (A) sage Ihnen aber: Ohne Antimilitarismus bekommen Sie Er hat dann die Frage gestellt: Kann man eine Konfron- (C) überhaupt keinen Pazifismus, schon gar keinen kon- tation ausschließen? struktiven. Dazu sage ich Ihnen: Wir haben jetzt zwei Jahre (Beifall bei der LINKEN) UNIFIL. Es gibt eine Entwicklung vor Ort, die all die Befürchtungen, die Sie hier geäußert haben, nicht bestä- Vielleicht sollten Sie über diesen Aspekt auch einmal tigt, sondern weitgehend widerlegt hat. Da frage ich selber nachdenken. mich schon, wie es um die außenpolitische Lernfähigkeit Danke sehr. der FDP und ihres Fraktionsvorsitzenden bestellt ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der SPD) Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wann nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass Ihre Be- Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. fürchtungen nicht eingetreten sind? Wann folgen Sie (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- Ihrem geschätzten Generalsekretär – an dieser Stelle klü- NIS 90/DIE GRÜNEN]) ger – und erklären: „Wir sagen nunmehr Ja. Wir korrigie- ren unsere Einschätzung. Gott sei Dank – so können Sie ja sagen – sind unsere Befürchtungen nicht eingetreten“? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! UNIFIL Letzte Bemerkung. Selbstverständlich ist die Situa- war notwendig, um den Krieg zwischen Libanon und tion im Libanon und dort vor Ort nach wie vor nicht zu- Israel zu beenden. Der Einsatz der deutschen Bundes- friedenstellend. wehr auf der Seeseite war die Voraussetzung dafür, dass die Seeblockade gegen Libanon aufgehoben wird. Die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Erfolge von UNIFIL sind hier unübersehbar. Die Sicher- Herr Kollege Trittin, ich muss Sie fragen, ob Sie eine heit Israels ist größer geworden. Selbst der politische Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen? Prozess, der zäh ist, ist ein Stück vorangekommen; viele Vorredner haben darauf hingewiesen. Deswegen glaube ich: UNIFIL und die deutsche Beteiligung daran sind Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): richtig. Sie sind notwendig. Sie sollten fortgesetzt wer- Gern. den. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dirk Niebel (FDP): sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, ich der SPD) stimme Ihnen natürlich ausdrücklich darin zu, dass ich ein kluger Generalsekretär bin, und bitte darum, das im Aus dem Argument, dass etwas notwendig ist, aber Protokoll hinreichend zu unterstreichen. nicht hinreichend, kann man nicht die Schlussfolgerung ziehen, liebe Frau Homburger, Nein zu sagen. Ich möchte Sie allerdings fragen, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen: In einer Diskussion im (Birgit Homburger [FDP]: Doch!) Vorfeld der letzten Mandatsverlängerung habe ich auf Auch ich kritisiere, was die Vereinten Nationen zu Recht Folgendes hingewiesen: Wenn wir die Entscheidung feststellen, dass das Grenzmodell zur Sicherung der treffen, müssen wir bei einer Verlängerung immer be- Landgrenze nicht so vorangekommen ist, wie es übri- rücksichtigen, dass die Situation dann eine andere ist als gens die deutsche Bundesregierung zugesagt und ver- bei einer Erstmandatierung. Bei einer Erstmandatierung sprochen hat. Nur, was ist das für eine Logik, zu sagen: geht es darum, hinzugehen. Wenn man da sagt „Wir soll- „Weil man die Landgrenze noch nicht geschlossen hat, ten es lassen“ und dieser Meinung weiter folgen möchte, öffnen wir die halt die Seegrenze wieder“? Das leuchtet nämlich dass man gegen das Mandat ist, ist das bei einer mir in keiner Weise ein. Mandatsverlängerung konsequenterweise mit dem Weg- gehen verbunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dieser Punkt – darauf wollte ich im Vorfeld der da- der SPD) maligen Entscheidung hinweisen – führte bei dem über- wiegenden Teil der Mitglieder meiner Fraktion zu einer Ich habe mir die Mühe gemacht, mir noch einmal die Ablehnung dieses Mandats – genau wie heute völlig zu Argumente anzuschauen, die Sie zu Anfang genannt ha- Recht. ben. Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender hat zu Recht gesagt – wie alle hier im Hause, glaube ich –: Wir sind (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE gegenüber Israel nicht neutral. – Dann hat er erklärt: Wir GRÜNEN]: Hat das jemand verstanden?) müssen aufpassen, ob es zu einer Konfrontation kom- men kann, weil wir nicht neutral sind. – Das war Ihr tra- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gendes Argument dafür, Nein zu sagen. Lieber Herr Kollege Niebel, Sie sind klug, aber in ers- (Birgit Homburger [FDP]: Eines von vielen!) ter Linie Generalsekretär. 18726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Jürgen Trittin (A) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Monika Knoche (DIE LINKE): (C) NEN) Angesichts des vollen Hauses mache ich die Kurzin- tervention auch ganz kurz. Herr Abgeordneter Trittin, Das ist nicht immer ein einfaches Amt, wie wir bei Sie hatten gestern und heute die Möglichkeit, dem Red- Herrn Pofalla oder Herrn Hintze – auch Herr Heil erfährt ner unserer Fraktion Wolfgang Gehrcke zuzuhören. Er das gerade – immer wieder erlebt haben. Die wesentli- hat ausdrücklich gesagt, dass die Fraktion Die Linke die- che Funktion eines Generalsekretärs ist, bei Kurskorrek- sen UNIFIL-Einsatz für richtig und notwendig hält. Er turen im Zweifelsfall dafür zu sorgen, dass es nicht so hat heute noch einmal ausführlich begründet, warum wir auffällt, dass man eine Kurskorrektur macht. die deutsche Beteiligung an dieser seeseitigen Mission (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- aus historischen und aus aktuellen Gründen ablehnen. SES 90/DIE GRÜNEN – Walter Kolbow Uns daraus einen Strick drehen zu wollen, ist so ober- [SPD]: Sehr gut!) flächlich und so platt populistisch, dass das wirklich nicht greift. Wir sollten uns über Völkerrechtsfragen un- Das ist auch undankbar. terhalten, und zwar dort, wo es am Platz ist. Das werden wir in der Frage des OEF-Einsatzes in Afghanistan tun. Ich gebe Ihnen jetzt einen Tipp. Mit der Begründung „Das ist jetzt die Realität; das hat sich so entwickelt“ (Beifall bei der LINKEN) hätten Sie als FDP Ihre Position ändern können und müssen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Trittin. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gebe Ihnen einen weiteren Tipp. Sollten Sie je- Liebe Kollegin Knoche, was den Populismus angeht, mals – sagen wir mal: in 10 oder 15 Jahren – wieder in lasse ich mich von Ihnen gern übertreffen. die Situation kommen, nicht auf den Oppositionsbänken (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu sitzen, spätestens dann – das garantiere ich Ihnen – NEN) nehmen Sie diese Kurskorrektur vor. Ich habe sehr genau gehört, was Wolfgang Gehrcke (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gesagt hat. Sie werden sich aber dieser Frage stellen bei der CDU/CSU und der SPD) müssen – wir werden gleich noch einen Tagesordnungs- punkt haben, bei dem Sie sich dieser Frage erneut wer- Letzte Bemerkung, und zwar zur Kontinuität der heu- den stellen müssen –: Was ist das eigentlich für eine Hal- (B) tigen Debatte. Lieber Wolfgang Gehrcke, wenn man sich (D) tung für eines der reichsten Länder der Erde? Wenn ich dazu bekennt, wie ihr gesagt habt, Partei des Völker- mir die Bemerkung erlauben darf: Ihr Kollege hat vorhin rechts sein zu wollen, dann muss man sich klarmachen, kritisiert, dass die Bundesrepublik Deutschland solche was da im Libanon passiert. Eine der herausstechendsten Friedenseinsätze wie UNIFIL durch einen Beitrag in Leistungen, die UNIFIL an Land erbracht hat, war neben Höhe von 500 Millionen Euro an die Vereinten Nationen der Sicherung der Grenze die Beseitigung der Kriegs- finanziert. Das hat er hier deutlich und scharf kritisiert schäden, also das Abräumen der Streubombenreste und und als Militarisierung der Außenpolitik bezeichnet. der Minen. Wer hat das gemacht? Das waren unter ande- rem Blauhelme aus Spanien und aus China. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Monika Knoche [DIE LINKE]: Das hat er Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Wer nicht gesagt! Das ist Quatsch!) sich zum Völkerrecht bekennt, wer sich zum Primat der Vereinten Nationen bekennt, der darf solche praktische Davon einmal abgesehen, frage ich Sie: Was ist das für Friedensarbeit – um nichts anderes geht es – nicht in eine Haltung, wenn ein wohlsituiertes Land sagt: „Wir eine Reihe stellen mit Interventionen im Rahmen von finden das okay, dass solche Einsätze stattfinden, wir be- Kriegseinsätzen. Das ist nicht zulässig. teiligen uns aber nicht daran?“ Die Argumente dafür sind schlicht Vorwände. Es ist eine Tatsache, dass keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Konfliktparteien dort die Anwesenheit von Deutsch- bei der CDU/CSU und der SPD) land kritisiert; die Israelis nicht und die Hisbollah nicht. Die Frage der Neutralität ist eine andere als die, die wir Wer sich zu den Vereinten Nationen bekennt, der muss uns stellen. Die Frage der Neutralität wird nicht von ei- sich auch zu solcher praktischer Friedensarbeit bekennen nem selbst, sie wird immer von den Konfliktparteien be- und kann in diesem Fall zu UNIFIL und zur deutschen antwortet. Beteiligung nur Ja sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der bei der CDU/CSU und der SPD) CDU/CSU) Wenn man in einer solchen Situation sagt: „Wir sind Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nicht dabei, wir überlassen diese Einsätze den Chinesen, Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kol- den Bangladeschis und anderen“, dann stellt man sich legin Monika Knoche. nicht der internationalen Verantwortung. Man stiehlt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18727

Jürgen Trittin (A) sich aus dieser internationalen Verantwortung und den verlängerungen durch den Sicherheitsrat (C) damit verbundenen Anforderungen, deren Erfüllung eine der Vereinten Nationen große Welt von einem Land wie Deutschland erwartet. – Drucksachen 16/10106, 16/10242 – Das ist der Kern. Berichterstattung: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete Eckart von Klaeden und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Brunhilde Irber CDU/CSU – Zuruf der Abg. Monika Knoche Marina Schuster [DIE LINKE]) Dr. Kerstin Müller (Köln) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Ich schließe die Aussprache. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- – Drucksache 16/10243 – empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/10240 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Berichterstattung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- Abgeordnete Norbert Barthle kräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon. Lothar Mark Zu dieser Abstimmung liegt uns eine persönliche Erklä- Jürgen Koppelin rung des Kollegen Winfried Hermann vor.1) Der Aus- Dr. Gesine Lötzsch schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10207 Omid Nouripour anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kol- Berichts des Auswärtigen Ausschusses legen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- die sie verwenden, ihren Namen tragen. gierung Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, Fortsetzung der Beteiligung deutscher die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze Streitkräfte an der Friedensmission der an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Abstimmung. Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. vom 24. März 2005 und weiterer Mandats- (B) verlängerungen durch den Sicherheitsrat (D) Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- der Vereinten Nationen rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird – Drucksachen 16/10104, 16/10244 – Ihnen später bekannt gegeben. Berichterstattung: Vielleicht ist es möglich, dass die Kolleginnen und Abgeordnete Eckart von Klaeden Kollegen ihre Plätze einnehmen. Brunhilde Irber Marina Schuster Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Dr. Norman Paech ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Kerstin Müller (Köln) Drucksache 16/10246. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung alition bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 16/10245 – und bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und FDP abgelehnt. Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: Lothar Mark Jürgen Koppelin a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Dr. Gesine Lötzsch Berichts des Auswärtigen Ausschusses Omid Nouripour (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- gierung Zu den Anträgen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy- Ich weise darauf hin, dass wir später über beide Be- brid-Operation in Darfur (UNAMID) auf schlussempfehlungen namentlich abstimmen werden, Grundlage der Resolution 1769 (2007) des also zwei namentliche Abstimmungen unmittelbar hin- Sicherheitsrates der Vereinten Nationen tereinander durchführen. vom 31. Juli 2007 und weiterer Mandats- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre 1) Anlage 2 keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 18728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Ich eröffne die Aussprache. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) CDU/CSU) Bevor ich der Kollegin Bruni Irber das Wort gebe, möchte ich jetzt alle Kollegen und Kolleginnen bitten, Ich freue mich, wenn wir diese Vorreiterrolle auch wei- ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen. terhin ausüben können, und bitte dafür um Unterstüt- Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange Sie Ihre zung. Plätze nicht einnehmen, können wir die Aussprache (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht fortsetzen, und umso mehr verschiebt sich auch die CDU/CSU) namentliche Abstimmung nach hinten. Im Gegensatz zum Südsudan gibt es über die Krisen- (Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]) provinz Darfur nach wie vor nichts Erfreuliches zu be- Ich gebe das Wort der Kollegin Bruni Irber, SPD- richten. Auch wenn ich die Hoffnung hege, dass sich die Fraktion. positive Entwicklung im Südsudan mittelfristig stabili- sierend auf die Bürgerkriegsregion Darfur auswirkt, so (Beifall bei der SPD) bleibt die aktuelle Situation leider weiterhin katastro- phal. Ich möchte daher hier und heute die Gelegenheit Brunhilde Irber (SPD): nutzen, um für eine weitere Beteiligung deutscher Solda- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ten in der Friedensmission UNAMID zu werben. Das ist Kollegen! Nun zu einem ernsteren Thema. Nach jahr- mir besonders wichtig, weil im Zusammenhang mit dem zehntelangem Bürgerkrieg herrscht im Süden des Sudan verzögerten Aufwuchs der Mission auch immer wieder heute ein fragiler Waffenstillstand. Menschen, deren ge- Kritik an der geringen Präsenz deutscher Soldaten geübt samtes Leben durch Krieg und Anarchie geprägt war, wird. Die Kritik ist verständlich; doch sie beruht auf ei- lernen wieder, in Frieden miteinander zu leben. Auch nem Missverständnis, das ich ausräumen möchte. Laut wenn dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist, Bundestagsmandat können bis zu 250 Soldaten in Darfur zeigen sich doch einige hoffnungsvolle Entwicklungen. stationiert werden. Zu ihren Aufgaben gehört der Luft- Dank der logistischen Unterstützung durch UNMIS transport von UNAMID-Einsatzkräften; das heißt, sie konnte im Mai 2008 die lang geplante Volkszählung er- sind für das Einfliegen von Truppen und Material ande- folgreich durchgeführt werden. Das sudanesische Parla- rer Staaten zuständig. Für diese Aufgabe hat die Bundes- ment hat im Juli 2008 ein grundlegendes Wahlgesetz wehr erhebliche logistische und technische Kapazitäten verabschiedet. Damit sind die beiden wichtigsten Vorbe- bereitgestellt. Da das Einfliegen von Truppen anderer dingungen für die landesweiten Wahlen im kommenden Staaten aber bislang unterblieb, sind die von Deutsch- land bereitgestellten Kapazitäten nicht in Anspruch ge- (B) Jahr erfüllt. (D) nommen worden. Wir sind heute an einem Punkt, von dem wir im letz- ten Jahr noch nicht wussten, ob wir ihn jemals erreichen Ein weiteres Problem besteht in der andauernden Be- würden. Trotz der jüngsten Kämpfe um die Ölstadt hinderung unserer Einsatzkräfte durch die Regierung Abyei besteht heute die Chance, dass die Menschen im Baschir. Infolge der ständigen Verschleppung der Visa- Sudan im nächsten Jahr erstmals demokratisch über ihre bearbeitung, der Nichterteilung notwendiger Start- und Zukunft abstimmen können. Auch der Aufbau der Landeberechtigungen sowie der Blockade der Nach- südsudanesischen Verwaltung und die Reform des Si- schubwege bleibt unser Beitrag weit hinter unseren Ka- cherheitssektors gehen voran. Tausende von Flüchtlin- pazitäten zurück. gen sind in den Südsudan zurückgekehrt. Entsprechend groß ist der Bedarf an Unterstützung für den Aufbau der In Anbetracht dieser Tatsachen halte ich den Vorwurf Wasser- und Energieversorgung, von Schulen und Kran- mangelhaften Engagements für ungerechtfertigt. kenhäusern sowie für den Aufbau staatlicher Strukturen. (Beifall bei der SPD) Es gilt, in diesen Bereichen möglichst rasch für die Be- völkerung greifbare Fortschritte zu erzielen, um eine Dass die Bundesregierung gewillt ist, aktiv zur Stabili- Friedensdividende sichtbar zu machen. sierung der Provinz Darfur beizutragen, zeigt sich an der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entsendung von Polizeikräften in die Region. Seit An- fang des Jahres bereiten deutsche Polizeitrainer, alle mit Das ist wichtig, um einen Rückfall in den Bürgerkrieg zu Afrika-Erfahrung, ihre Kollegen aus Ghana, Senegal, verhindern. Bangladesch und Sambia auf ihren Einsatz vor. Darüber hinaus unterstützt das Auswärtige Amt die Ausbildung UNMIS hat sich dabei in den vergangenen Jahren als afrikanischer Polizisten im Kofi-Annan-Peacekeeping- verlässliche Kraft und als Stabilitätsanker erwiesen. Training-Center in Ghana. Eine weitere finanzielle Un- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) terstützung für UNAMID-Polizeikontingente ist geplant. Mit ihrer Beteiligung an UNMIS zeigt die Bundesregie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist bewusst, rung, dass sie bereit ist, aktiv am Friedensprozess mitzu- dass diese beiden Missionen im Sudan keine idealen In- arbeiten. In Verbindung mit den großzügigen finanziel- strumente zur Überwindung der dortigen Krise sind. len Beiträgen für den Nord-Süd-Friedensprozess ist Trotzdem möchte ich eines zu bedenken geben: Zur Deutschland zu einem der wichtigsten Unterstützer für Flankierung aller politischen Lösungsversuche sind die eine politische Lösung im Sudan geworden. beiden Missionen ohne Alternative. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18729

Brunhilde Irber (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) CDU/CSU) Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 4 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern Ohne eine politische Lösung, ohne die Unterstützung ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung des Comprehensive Peace Agreement wird es keinen über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- dauerhaften Frieden in der Region geben. schusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fort- Im Namen der Menschen in Darfur und im Südsudan setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- bitte ich Sie daher um Zustimmung zu den beiden Man- kräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon daten für die weitere Beteiligung deutscher Soldaten. bekannt, Drucksachen 16/10207 und 16/10240: abgege- bene Stimmen 507. Mit Ja haben gestimmt 451, mit Nein Herzlichen Dank. haben gestimmt 101, Enthaltungen 9. Die Beschluss- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten empfehlung ist damit angenommen. der CDU/CSU)

Endgültiges Ergebnis Dr. Hans Georg Faust (Konstanz) Stefan Müller (Erlangen) Abgegebene Stimmen: 567; Dr. Franz Josef Jung Dr. Gerd Müller davon Ingrid Fischbach Bartholomäus Kalb Hildegard Müller Hartwig Fischer (Göttingen) Hans-Werner Kammer (Bremen) ja: 451 Dirk Fischer (Hamburg) Steffen Kampeter nein: 107 Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Georg Nüßlein enthalten: 9 Land) Bernhard Kaster Franz Obermeier Dr. Siegfried Kauder (Villingen- Ja Klaus-Peter Flosbach Schwenningen) Dr. Hans-Peter Friedrich Volker Kauder Rita Pawelski CDU/CSU (Hof) Eckart von Klaeden Ulrich Petzold Erich G. Fritz Jürgen Klimke Dr. Jochen-Konrad Fromme Julia Klöckner Sibylle Pfeiffer Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Jürgen Gehb Manfred Kolbe Ruprecht Polenz (B) Dorothee Bär Norbert Königshofen Daniela Raab (D) Thomas Bareiß Dr. Norbert Barthle Ralf Göbel Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Günter Baumann Josef Göppel Thomas Kossendey Peter Rauen Ernst-Reinhard Beck Peter Götz (Reutlingen) Dr. Wolfgang Götzer (Potsdam) Dr. Günter Krings Dr. Hermann Gröhe Dr. Martina Krogmann Dr. Michael Grosse-Brömer Dr. Hermann Kues Franz Romer Markus Grübel Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Johannes Röring Manfred Grund Andreas G. Lämmel Kurt J. Rossmanith Monika Grütters Dr. Norbert Lammert Dr. Norbert Röttgen Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Christian Ruck Dr. Maria Böhmer zu Guttenberg (Weiden) Dr. Max Lehmer Peter Rzepka Wolfgang Börnsen Holger Haibach Anita Schäfer (Saalstadt) (Bönstrup) Gerda Hasselfeldt Hermann-Josef Scharf Ursula Heinen Dr. Wolfgang Schäuble Klaus Brähmig Uda Carmen Freia Heller Dr. Klaus W. Lippold Hartmut Schauerte Michael Brand Dr. Jürgen Herrmann Dr. Michael Luther Dr. Dr. (Altötting) Karl Schiewerling Monika Brüning Ernst Hinsken Wolfgang Meckelburg Norbert Schindler Dr. Georg Schirmbeck Cajus Caesar Dr. Angela Merkel Robert Hochbaum Christian Schmidt (Fürth) Klaus Hofbauer (Hamm) Andreas Schmidt (Mülheim) Franz-Josef Holzenkamp (Berlin) Thomas Dörflinger Joachim Hörster Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Marie-Luise Dött Anette Hübinger Philipp Mißfelder Dr. Ole Schröder Maria Eichhorn Hubert Hüppe Dr. Eva Möllring Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Stephan Eisel Susanne Jaffke-Witt Anke Eymer (Lübeck) Dr. Carsten Müller Wilhelm Josef Sebastian Dr. Hans-Heinrich Jordan (Braunschweig) Kurt Segner 18730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Marion Seib Dr. Herta Däubler-Gmelin Helga Kühn-Mengel Dr. Ditmar Staffelt (C) Bernd Siebert Ute Kumpf Dieter Steinecke Thomas Silberhorn Martin Dörmann Dr. Uwe Küster Andreas Steppuhn Dr. Carl-Christian Dressel Ludwig Stiegler Christian Lange (Backnang) Rolf Stöckel Erika Steinbach Detlef Dzembritzki Dr. Christoph Strässer Christian Freiherr von Stetten Waltraud Lehn Dr. Peter Struck Siegmund Ehrmann Helga Lopez Joachim Stünker Andreas Storm Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Rainer Tabillion Dr. h. c. Lothar Mark Jörg Tauss (Heilbronn) Petra Ernstberger Jella Teuchner Lena Strothmann Annette Faße Dr. h. c. Michael Stübgen Elke Ferner Jörn Thießen Hans Peter Thul Markus Meckel Franz Thönnes Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Jörg Vogelsänger Dr. Hans-Peter Uhl Gabriele Frechen Ulrike Merten Dr. Marlies Volkmer Arnold Vaatz Dr. Hedi Wegener Volkm ar U we Voge l Peter Friedrich Ursula Mogg Andreas Weigel Andrea Astrid Voßhoff Marko Mühlstein Petra Weis Gerhard Wächter Iris Gleicke Gesine Multhaupt Gunter Weißgerber Günter Gloser Franz Müntefering Gert Weisskirchen Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich (Wiesloch) Dieter Grasedieck Thomas Oppermann Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Monika Griefahn Holger Ortel Lydia Westrich Gerald Weiß (Groß-Gerau) Heinz Paula Dr. Gabriele Groneberg Johannes Pflug Andrea Wicklein Anette Widmann-Mauz Achim Großmann Joachim Poß Heidemarie Wieczorek-Zeul Klaus-Peter Willsch Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Dr. Dieter Wiefelspütz Willy Wimmer (Neuss) Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Engelbert Wistuba Elisabeth Winkelmeier- Hans-Joachim Hacker Dr. Becker Dr. Heidi Wright Dagmar Wöhrl Klaus Hagemann Wolfgang Zöller Alfred Hartenbach (Cottbus) Manfred Zöllmer Willi Zylajew Michael Hartmann Maik Reichel (B) (Wackernheim) Gerold Reichenbach FDP (D) SPD Nina Hauer Dr. Carola Reimann Gudrun Kopp Hubertus Heil Christel Riemann- Dr. Lale Akgün Markus Löning Rolf Hempelmann Hanewinckel Gerd Andres Dr. Rainer Stinner Niels Annen Dr. Barbara Hendricks René Röspel Ingrid Arndt-Brauer BÜNDNIS 90/ Stephan Hilsberg Dr. Ernst Dieter Rossmann Rainer Arnold DIE GRÜNEN (Neuruppin) Gerd Höfer Karin Roth (Esslingen) (Wismar) Michael Roth (Heringen) Dr. Hans-Peter Bartels Frank Hofmann (Volkach) Marlene Rupprecht Marieluise Beck (Bremen) Sören Bartol Eike Hovermann (Tuchenbach) Volker Beck (Köln) Sabine Bätzing Klaas Hübner Anton Schaaf Christel Humme Axel Schäfer (Bochum) Lothar Ibrügger Alexander Bonde Klaus Uwe Benneter Brunhilde Irber Otto Schily Ekin Deligöz Dr. Johannes Jung (Karlsruhe) (Aachen) Dr. Thea Dückert Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Uschi Eid (Heidelberg) Johannes Kahrs (Nürnberg) Hans Josef Fell Ulrich Kasparick Dr. Frank Schmidt Dr. h. c. Susanne Kastner Heinz Schmitt (Landau) Katrin Göring-Eckardt Ulrich Kelber (Erfurt) Britta Haßelmann Olaf Scholz Priska Hinz (Herborn) Dr. Hans-Ulrich Klose Ulrike Höfken Klaus Brandner Astrid Klug Reinhard Schultz Bärbel Höhn Dr. Bärbel Kofler (Everswinkel) Thilo Hoppe Bernhard Brinkmann Walter Kolbow (Spandau) Ute Koczy (Hildesheim) Fritz Rudolf Körper Sylvia Kotting-Uhl Karin Kortmann Dr. Angelica Schwall-Düren Fritz Kuhn Marco Bülow Rolf Kramer Dr. Martin Schwanholz Markus Kurth Nicolette Kressl Anna Lührmann Volker Kröning Rita Schwarzelühr-Sutter Jerzy Montag Dr. Michael Bürsch Angelika Krüger-Leißner Wolfgang Spanier Kerstin Müller (Köln) Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Margrit Spielmann Marion Caspers-Merk Jürgen Kucharczyk Jörg-Otto Spiller Omid Nouripour Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18731

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Brigitte Pothmer Jörg van Essen Dr. Dr. (C) (Augsburg) Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Jörn Wunderlich Paul K. Friedhoff Sabine Zimmermann Elisabeth Scharfenberg Dr. Edmund Peter Geisen Eva Bulling-Schröter Christine Scheel Dr. BÜNDNIS 90/ Irmingard Schewe-Gerigk Miriam Gruß Sevim Dağdelen DIE GRÜNEN Dr. Joachim Günther (Plauen) Dr. Rainder Steenblock Heinz-Peter Haustein Werner Dreibus Peter Hettlich Dr. Wolfgang Strengmann- Elke Hoff Dr. Dr. Anton Hofreiter Kuhn Birgit Homburger Jürgen Trittin Dr. Werner Hoyer Wolfgang Gehrcke Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Lutz Heilmann Josef Philip Winkler Dr. Heinrich L. Kolb Hans-Kurt Hill fraktionslose Hellmut Königshaus Cornelia Hirsch Abgeordnete Nein Jürgen Koppelin Dr. Barbara Höll Heinz Lanfermann Henry Nitzsche Gert Winkelmeier SPD Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Leibrecht Horst Meierhofer Monika Knoche Enthalten Patrick Meinhardt Renate Gradistanac Burkhardt Müller-Sönksen Katrin Kunert CDU/CSU Dr. Reinhold Hemker Dirk Niebel Michael Leutert (Essen) Hans-Joachim Otto Ulla Lötzer Dr. Ernst Kranz (Frankfurt) Dr. Gesine Lötzsch Dirk Manzewski Detlef Parr Ulrich Maurer SPD Detlef Müller (Chemnitz) Gisela Piltz Dorothée Menzner Dr. Rüdiger Veit Jörg Rohde Kersten Naumann Gabriele Hiller-Ohm Waltraud Wolff Frank Schäffler Wolfgang Nešković Sönke Rix (Wolmirstedt) Dr. Dr. Norman Paech Dr. Hermann Otto Solms Petra Pau FDP Dr. Carl-Ludwig Thiele Elke Reinke Dr. Karl Addicks Paul Schäfer (Köln) FDP Christoph Waitz (B) (Münster) Vol ker Sc hne i de r (D) Dr. Claudia Winterstein Marina Schuster (Saarbrücken) Dr. Rainer Brüderle Dr. Herbert Schui Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ Dr. Ilja Seifert DIE GRÜNEN Ernst Burgbacher Dr. DIE LINKE Patrick Döring Frank Spieth Winfried Hermann Mechthild Dyckmans Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Hans-Christian Ströbele

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sind vom Charakter her vorwiegend humanitär. Es ist der SPD) sehr wichtig, den kriegsgebeutelten Flüchtlingen einen Minimalschutz zu bieten. Leider ist dieser Schutz nicht Ich gebe das Wort der Kollegin Marina Schuster, so, wie er sein sollte, und leider ist er auch sehr löchrig. FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Eines dürfen wir nicht verkennen: Der Einsatz wird in schwierigen Zeiten stattfinden. Ich warne davor, zu glau- ben, man hätte das Gröbste schon hinter sich. Wenn wir Marina Schuster (FDP): uns zum Beispiel den Nord-Süd-Friedensvertrag an- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schauen, dann kann man zwar sehen, dass einige Ent- Es gibt nach wie vor einige kritische Punkte bei den wicklungen stattgefunden haben. Es gibt aber große Be- Mandaten für den Sudan. Ich habe gestern ohne Um- fürchtungen; diese hat auch der Herr Außenminister schweife und auch in großer Deutlichkeit auf diese gestern im Ausschuss geäußert. Denn je näher das Refe- Punkte hingewiesen. Denn es ist mir besonders wichtig, rendum heranrückt, desto gefährlicher wird die Situation dass wir nicht blauäugig sind, was die politische Ent- werden. Viele Fragen sind noch nicht geklärt, zum Bei- wicklung dort betrifft, und dass wir uns klar sind, was spiel Fragen der Grenzziehungen und die Frage, wie der auf uns zukommen wird. Ölreichtum aufgeteilt werden soll. Es ist nach wie vor Bei aller Kritik, die ich vorgetragen habe, sehe ich ein Pulverfass. Wenn die Lage vor Ort gefährlicher wird, aber auch, dass es keine Alternative zu den Einsätzen dann wird auch für die Soldaten, die bei UNMIS und gibt. Beide Mandate – gerade das UNAMID-Mandat – UNAMID ihren Dienst tun, die Situation gefährlicher. 18732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Marina Schuster (A) Deswegen ist es unsere oberste Pflicht, dem entge- dings klipp und klar erfahren, welche weiteren Pläne die (C) genzuwirken, bei der Umsetzung der Wahlgesetze und Bundesregierung hat, wie der Zeitplan aussieht und wel- der Schaffung organisatorischer Voraussetzungen mitzu- che eigenen Initiativen sie einbringen will. Diesbezüg- helfen, aber auch internationale Wahlbeobachter vorzu- lich sind einige Fragen offen. bereiten. Der Herr Außenminister hat richtigerweise gesagt: (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deutschland ist im Sudan kein „Major Player“. Das darf aber keine Ausrede dafür sein, dass wir nicht alle Hebel Hier ist die Bundesregierung gefragt. Hier ist sie gefor- in Bewegung setzen. Sonst wird die Situation noch dert, diesen Prozess in Gang zu bringen und zu unterstüt- schlimmer. Der gesamte Sudan würde uns auf die Füße zen. Denn eines ist klar: Sicherheit für die Bevölkerung fallen, und wir würden einen Flächenbrand noch größe- muss Hand in Hand mit politischen Initiativen gehen. ren Ausmaßes erleben. Das müssen wir verhindern. Wir Was den Aufbau von UNAMID betrifft – meine Vor- müssen die Bundesregierung in die Verantwortung und rednerin hat es angesprochen –: Er ist wahrlich kein in die Pflicht nehmen. Ruhmesblatt für die internationale Gemeinschaft; er ist ein Armutszeugnis. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Viele fragen sich auch, warum es denn so lange dauert, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Ihnen das die erforderliche Zahl von 26 000 Soldaten und Polizis- berichtigte Ergebnis der namentlichen Abstimmung ten zusammenzubekommen. Ein Grund dafür sind mitteilen – das war vorhin für mich nicht gut lesbar –: – Kollegin Irber hat dies schon angesprochen – die Be- abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 451, hinderungen der sudanesischen Regierung. Der andere mit Nein haben gestimmt 107, Enthaltungen 9. Die Be- Grund ist, dass die einzelnen Länder nicht bereit sind, schlussempfehlung ist damit angenommen.1) Kontingente zu stellen. Das kratzt an der Glaubwürdig- keit der Vereinten Nationen. Beides können wir nicht Jetzt gebe ich das Wort der Kollegin Anke Eymer, länger hinnehmen. Auch hier sind Initiativen der Bun- CDU/CSU-Fraktion. desregierung gefragt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch viel wichtiger ist, dass wir aktiv werden, um den politischen Prozess, den es noch nicht gibt, in Gang Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): (B) zu setzen. Wo ist denn der Darfur-Darfur-Dialog? Das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten (D) Darfur Peace Agreement ist nicht tragfähig. Es stand von Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Anfang an auf schwachen Füßen angesichts der Tatsa- Wir führen eine Debatte über die Verlängerung der deut- che, dass nur eine Rebellengruppe unterzeichnet hat. schen Beteiligung an zwei internationalen Missionen im Nach einer weiteren Zersplitterung haben wir es jetzt mit Sudan, UNMIS und UNAMID. 20 bis 30 Rebellengruppen zu tun. Es ist zu fragen: Mit welchen Gruppen muss verhandelt werden? Sind die Der Sudan, Afrikas größter Flächenstaat, ist Schau- Gruppen überhaupt bereit, Vereinbarungen einzuhalten, platz einer der größten humanitären Katastrophen. Wa- und in der Lage, diese Vereinbarungen durchzusetzen? rum ist der Sudan für uns ein so wichtiges Land? Zu der Für eine politische Lösung, die von der Bevölkerung, der großen humanitären Herausforderung kommt hinzu, Regierung und den vielen Rebellengruppen akzeptiert dass der Sudan ein Land mit großen Energieressourcen wird, läuft uns die Zeit davon. Umso wichtiger ist es, ist. Der Sudan ist darüber hinaus eine Schnittstelle zwi- dass die Bundesregierung tätig wird. schen dem arabisch-muslimischen Einflussgebiet und dem schwarzafrikanischen Teil des Kontinents. Der Su- Wir haben heute im Ausschuss erfahren, dass die dan ist aber auch ein Land, das seit Jahrzehnten unter Bundesregierung Gespräche führt, auch auf China ein- Bürgerkriegen und deren Folgen leidet. Der Sudan wird wirkt. Das sind aber bei weitem nicht die einzigen Ge- von einer offensichtlich skrupellosen Regierung immer sprächspartner. In der jetzigen Situation ist es besonders tiefer in eine Zerreißprobe geführt. Nachbarstaaten wie wichtig, die Nachbarländer und die anderen Staaten in der Tschad oder die Zentralafrikanische Republik dro- der Region einzubeziehen. Die unterschiedlichen Inte- hen, in diesen Sog der Gewalt hineingerissen zu werden. ressen müssen berücksichtigt werden. Die Bundesregie- Die Frage, wie der Konflikt gelöst und Frieden erreicht rung hat die Pflicht, in der internationalen Gemeinschaft werden kann, betrifft die gesamte Region. auf eine Lösung zu drängen und neue Initiativen anzu- mahnen. Vor allem geht es aber darum, dass viele Menschen unter der katastrophalen humanitären Situation, unter Als Parlamentarier haben wir das Recht, genau zu er- der schlechten Versorgung und unter ständig stattfinden- fahren, wie und wo deutsches Personal eingesetzt wird. den Gewaltverbrechen leiden. Zu einem wesentlichen Aus einem Brief war zu erfahren, dass acht Offiziere für Teil hat dies die Regierung unter Präsident al-Baschir zu UNAMID eingesetzt werden sollen. Nach meinem verantworten. Er meint, sich aus der Verantwortung ge- Kenntnisstand ist derzeit kein einziger vor Ort. Wenn wir dem vorgelegten Antrag trotz der Kritikpunkte zustim- men, dann müssen wir im Sinne unserer Soldaten aller- 1) Abstimmungsliste siehe Seite 18729 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18733

Anke Eymer (Lübeck) (A) genüber den Vereinten Nationen und der Gemeinschaft und Hauptquartiere, um die Wahrnehmung von Verbin- (C) der afrikanischen Länder herauslavieren zu können. dungs- und Beratungsfunktionen und um wichtige tech- nische Hilfe bei der Ausrüstung und bei der Ausbildung. Das Handeln der internationalen Gemeinschaft ist Damit unterstützen wir andere truppenstellende Natio- alternativlos. Unsere Beteiligung an UNMIS und nen, die diese Kapazitäten nicht haben, und leisten UNAMID ist wichtiger Teil der deutschen Gesamt- gleichzeitig einen unverzichtbaren Beitrag. anstrengungen für Frieden im Sudan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen neten der SPD) [Wiesloch] [SPD]) Die Vereinten Nationen berichten, dass mehr als Am 22. April 2005 hat der Deutsche Bundestag der deut- 4,5 Millionen Menschen auf Hilfe von außen angewie- schen Beteiligung an UNMIS zugestimmt und das Man- sen sind. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich auf über dat seitdem regelmäßig verlängert. Unsere heutige Zu- 2,5 Millionen Menschen. Fortdauernde schwere Kämpfe stimmung zum Regierungsantrag ermöglicht den Einsatz zwischen Regierungstruppen und Rebellen und räuberi- bis zum 15. August nächsten Jahres. An dem internatio- sche Überfälle behindern zunehmend die Arbeit der nalen Einsatz sind knapp 20 000 Soldaten und mehr als Hilfsorganisationen. Die Lage in der Krisenregion Dar- 3 500 Polizisten beteiligt. fur ist so kritisch geworden, dass Hilfsorganisationen Diese Mission unterstützt die Umsetzung des Frie- ihre Arbeit teilweise einstellen müssen und dass UN- densvertrages von Nairobi. Die Bedrohung im Südsudan Personal abgezogen werden muss. Neben Lebensmitteln ist immer noch erheblich, wie die Übergriffe im März und Wasser werden vor allem Schutzmaßnahmen sowie dieses Jahres gezeigt haben. Eine Bewährungsprobe für weitere umfassende Betreuung dringend benötigt. die Bereitschaft der Konfliktparteien zu einer friedlichen Das Darfur-Friedensabkommen von 2006 ist nicht Lösung sind die Festlegung des Grenzverlaufs und die mehr das Papier wert, auf dem es steht. Eine politische Parlamentswahlen im kommenden Jahr. Am Ende des Lösung im Darfur-Konflikt – anders als im Nord-Süd- Friedensprozesses wird in einem Referendum über die Konflikt – ist nicht in Sicht. Dennoch müssen die politi- mögliche Unabhängigkeit des Südsudan entschieden. schen Gespräche dringend fortgesetzt werden, um zu ei- Auf diesem Weg ist UNMIS ein unverzichtbarer Faktor ner neuen tragfähigen Friedensvereinbarung zu kom- für Stabilität. Unsere deutschen Kräfte haben unter men. schwierigen Bedingungen bisher sehr gute Arbeit geleis- tet. An dieser Stelle sage ich ihnen unseren herzlichen Den beiden vorliegenden Regierungsanträgen nicht Dank. zu folgen und die deutschen Einsätze nicht zu verlän- gern, wäre unverantwortlich. Es gibt zu diesen beiden (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Missionen keine sinnvolle Alternative. Dass militärische bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Missionen allein nicht genügen, um einen verlässlichen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Frieden zu erzielen, ist klar. Bei unserer Bereitschaft, Verantwortung in der Welt zu übernehmen, werden wir Zu den Kernaufgaben gehört der Beitrag zur Entwaff- aber auch in Zukunft nicht ausschließen können, dass nung und Demobilisierung. Dazu kommen ein Pro- militärische Komponenten dazugehören. Daher bitte ich gramm zur Wiedereingliederung der ehemaligen Kom- Sie um Unterstützung der beiden Regierungsanträge. Sie battanten sowie das Räumen von Minen und der Aufbau tragen dazu bei, dass einer der großen Krisenregionen einer zivilen Polizei. Obwohl es sich hier um zwei unter- Afrikas eine Zukunftsperspektive gegeben wird. schiedliche Missionen handelt, stehen UNMIS und UNAMID inhaltlich in einem engen Zusammenhang. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ein erfolgreicher Friedensprozess im Nord-Süd-Konflikt wird auch Einfluss auf die Krise in Darfur haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Am 15. November des vergangenen Jahres haben wir hier im Hause mit großer Mehrheit beschlossen, dass Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sich Deutschland mit bis zu 250 bewaffneten Einsatz- Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin-Kenan kräften an der Hybridmission der Vereinten Nationen Aydin, Fraktion Die Linke. und der Afrikanischen Union, UNAMID, beteiligt. Die- sen Rahmen haben wir bisher noch nicht ausgeschöpft. (Beifall bei der LINKEN) Die Entwicklung von UNAMID gestaltet sich schwieri- ger, als wir es gewünscht und erwartet haben. Wichtig Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): ist: UNAMID hat ein afrikanisches Gesicht. Die Masse Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- der truppenstellenden Nationen sind afrikanische Län- legen! Der Krieg in Darfur ist mit der Sommeroffensive der. Dieses große Engagement Afrikas ist ein wichtiges der Regierung in eine neue, verschärfte Runde gegan- Element für die Akzeptanz der Mission vor Ort. gen. Luftangriffe, Kämpfe und gezielte Gewalt aller be- waffneten Gruppen gegen die Zivilbevölkerung haben Der von uns heute zu fassende Beschluss verlängert eine neue humanitäre Katastrophe heraufbeschworen. das Mandat, wie schon gesagt, bis zum 15. August 2009. Der deutsche Einsatz hat Anteil an strategisch wichtigen Die Gründe für die neue Eskalation sind vielfältig. Bereichen der Mission. Es geht um strategischen Luft- Die Regionalisierung des Konflikts, die fortschreitende transport, um unsere Beteiligung an der Arbeit der Stäbe Zersplitterung der Konfliktparteien und die mangelnde 18734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Hüseyin-Kenan Aydin (A) Gesprächsbereitschaft der Akteure sind die wichtigsten Wir fordern die Bundesregierung auf, die Initiative zu (C) internen Gründe. Externen Friedensbemühungen fehlten ergreifen und den politischen Prozess wiederzubeleben. tragfähige Konzepte, politischer Wille und Geschlossen- Zu unseren Forderungen gehören Waffenstillstands- und heit. Friedensgespräche auf der nationalen, der regionalen und der lokalen Konfliktebene, in denen auch zivilge- Vor diesem Hindergrund ist die schlecht ausgestattete sellschaftliche Kräfte Gehör finden; hier gibt es bereits Hybridmission von AU und UNO, UNAMID, fast Bewegung. zwangläufig zwischen die Fronten geraten. Auch im Sü- den eskalierten im Mai Gefechte zwischen der Regie- Unerlässlich sind eine verbesserte Verzahnung und rungsarmee und der SPLM, die sich an der umstrittenen Koordination der Initiativen durch permanent tätige Ver- Grenzziehung in der ölreichen Abyei-Region entzünde- mittler der AU und der UNO sowie die stärkere Einbe- ten. Die vorerst entschärfte Krise hat uns die Instabilität ziehung der Arabischen Liga. des im Jahre 2005 initiierten Friedensprozesses zwi- schen Nord und Süd klar vor Augen geführt. Vermittlung erfordert glaubwürdigen politischen Druck auf Rebellenführer, Regierungsmitglieder und Die Lage im Sudan ist der Bundesregierung bekannt. Militärs. In diesem Zusammenhang plädiere ich in Über- Doch die heute zur Abstimmung vorliegenden Anträge einstimmung mit Kräften der sudanesischen Opposition zu UNAMID und UNMIS zeigen, dass sie falsche für ein vorläufiges Aussetzen weiterer Ermittlungen des Schlussfolgerungen gezogen hat. Die Linke wird keinem Internationalen Strafgerichtshofes gegen al-Baschir. der Anträge zustimmen; denn beide stehen für ein militä- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) risches „Weiter so“. Die veränderten politischen Bedin- gungen wurden nicht ausreichend reflektiert. Dies ist nach Art. 16 der Römischen Statuten zulässig und politisch geboten, wenn sich al-Baschir in Richtung In Bezug auf UNMIS vermissen wir ein angepasstes Friedensprozess bewegt. Konzept zur Unterstützung des Friedensprozesses, der in seine entscheidende und kritische Phase tritt. Unsere Ab- Parallel zu den Friedensgesprächen muss unter Betei- lehnung des UNAMID-Antrags ist grundlegender. Hier ligung lokaler Kräfte ein Entwicklungsplan für den ge- fehlt jeder Hinweis darauf, wie sich die Mission in eine samten Sudan erarbeitet werden, um die sozioökonomi- politische Konfliktbearbeitungsstrategie einfügen soll. schen Konfliktursachen zu überwinden. Damit ist die entscheidende Voraussetzung nicht erfüllt. Denn durch Militäreinsätze, auch durch solche mit Meine Damen und Herren, Betätigungsfelder für ein UNO-Mandat, werden Konflikte nicht gelöst. aktives und wirksames friedenspolitisches Engagement im Sudan gibt es genug. Die Beteiligung an UNAMID (B) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert gehört nicht dazu. (D) Winkelmeier [fraktionslos]) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. UNAMID trägt nicht zur Lösung des Darfur-Kon- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert flikts bei. Daran wird auch eine Aufstockung der Mis- Winkelmeier [fraktionslos]) sion nichts ändern. Denn ihre entscheidenden Probleme sind die fehlende politische Grundlage und die man- gelnde Akzeptanz durch die Konfliktparteien. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort der Kollegin Kerstin Müller, Bünd- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nis 90/Die Grünen. Das Darfur-Friedensabkommen von 2006, das von wich- tigen Rebellengruppen nie unterzeichnet wurde, ist poli- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tisch tot, und die seither eingeleiteten Vermittlungspro- NEN): zesse sind gescheitert. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Aydin, da Sie, obwohl Sie zu den Enthaltern Ihrer Frak- Die Blockadeversuche des Baschir-Regimes und die tion gehören, doch wieder die gesamte Antikriegsrheto- zunehmenden Angriffe von Rebellengruppen und Mili- rik bemüßigt haben, kann ich es Ihnen nicht ersparen, zu zen belegen, dass UNAMID vor Ort als Kriegspartei Beginn kurz aus einem Brief zu zitieren, den Ihr Kol- wahrgenommen wird. Daher ist eine Fortsetzung des lege, Herr Schäfer, nach einer Reise in den Sudan an Sie Einsatzes aus unserer Sicht kontraproduktiv. alle geschrieben hat, und zwar zu den UNMIS- und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert UNAMID-Mandaten. Dort heißt es: Winkelmeier [fraktionslos]) Die UNMIS-Mission hat dort erheblich zur Stabili- Der Linken und der Friedensbewegung wird wegen sierung des Friedensprozesses … beigetragen. Ihre der Ablehnung von Kriegseinsätzen oft Verantwortungs- Präsenz wird wohl auch in den nächsten Jahren not- losigkeit vorgeworfen. Ich sage Ihnen aber: Verantwor- wendig sein, da die Sicherheitslage nach wie vor tung zu übernehmen heißt, die nötigen Konsequenzen sehr labil ist. aus dem gescheiterten militärischen Engagement zu zie- Es heißt: hen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon unterstrich in seinem letzten Missionsbericht, dass UNAMID kein Er- Eine Verlängerung des UNMIS-Mandats erscheint … satz für einen politischen Prozess sein darf. unproblematisch. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18735

Kerstin Müller (Köln) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nierung von UNAMID vorangehen kann. Wir brauchen (C) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und aber auch endlich – da gebe ich Frau Kollegin Schuster der SPD) recht – den Dreiklang aus Friedensmission, Waffenstill- stand und Friedensgesprächen. Uns ist völlig klar, dass Er begründet in diesem Brief übrigens – auch das will eine Friedensmission allein keinen Frieden schaffen ich nicht verheimlichen – seine Enthaltung damit, „eine wird. Das behauptet übrigens niemand und hat auch nie- kategorische Ablehnung von UNMIS ist gerade unter mand behauptet. Wir fordern aber – und das ist wichtig –, friedens- und abrüstungspolitischen Vorzeichen nicht zu dass dieser Friedensprozess endlich wieder aufgenom- begründen und nicht zu verantworten.“ Meine Damen men wird; denn das DPA, das Friedensabkommen für und Herren, dem können wir nur aus vollem Herzen zu- Darfur, wird allgemein als gescheitert betrachtet. Des- stimmen. halb brauchen wir ganz dringend einen neuen Anlauf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich glaube – Fachleute sagen das auch –, dass es im sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Moment aus verschiedenen Gründen ein Window of Op- der SPD) portunity gibt, unter anderem übrigens auch aufgrund Ich denke, diese Rhetorik ist hier völlig fehl am des Haftbefehls gegen al-Baschir. Dies ist meines Erach- Platze. Wir müssen uns mit der Lage im Sudan auseinan- tens ein richtiger und konsequenter Schritt. dersetzen. Meine Fraktion wird den Anträgen der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung zustimmen. Wir halten die Mandate für sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und einen notwendigen, aber in keinem Fall für einen hinrei- der SPD) chenden Beitrag – das sage ich auch sehr deutlich –, um das Leiden der Menschen in Darfur endlich zu beenden. Ich sehe auch die Schwierigkeit; ich weiß, dass dies zu mehr Spannungen im Land und im Verhältnis zum Su- UNAMID kann die Menschen vor allen Dingen in dan geführt hat. Von den Befürchtungen ist aber nicht Darfur immer noch nicht schützen, weil die internatio- viel wahr geworden. Es ist sogar eine neue Dynamik ent- nale Gemeinschaft und die Bundesregierung ihre Zusa- standen, durch die der Verhandlungsdruck auf die Kon- gen nicht einhalten und der Aufbau zu schleppend vo- fliktparteien erhöht werden kann. Ich meine, dass die rangeht. internationale Gemeinschaft dieses Window of Opportu- An dieser Stelle muss ich leider auch etwas zu dem nity endlich nutzen muss. deutschen Beitrag sagen, der sich in der Theorie – wir Wir fordern, dass sich die Bundesregierung innerhalb stellen für UNAMID 250 Soldaten und Lufttransporte – der UNO und auch im Rahmen des in Lissabon be- gut anhört, in der Praxis aber leider nicht viel mehr als schlossenen EU-Afrika-Dialogs für eine neue Sudan- (B) ein symbolischer Beitrag ist. In dem Brief vom August, (D) Friedensinitiative einsetzt und sich vielleicht einmal den der Außenminister und der Verteidigungsminister an überlegt, einen Sudan-Beauftragten einzusetzen, wie es die Fraktionsvorsitzenden geschrieben haben, wird uns andere Länder schon lange getan haben. Es geht hier um berichtet, dass ein deutscher Soldat als Transportplaner Völkermord, um die schwerste humanitäre Krise welt- seinen Dienst im UNAMID-Headquarter in al-Faschir weit. Die Menschen werden seit 2005 alleingelassen. tut. Es wird ausgeführt: Wir brauchen mehr Engagement. Wir dürfen das nicht Damit wird Deutschland unter den europäischen zulassen; wir müssen diesen Völkermord beenden. Nationen zu den größten Truppenstellern gehören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist leider nicht zum Lachen. Ich finde, das ist – um sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und mit den Worten von Kofi Annan aus einem Interview der der SPD) vergangenen Woche zu sprechen – angesichts von Völ- kermord und der verheerenden Situation in Darfur be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schämend. Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Paul Schäfer das Wort. Es kann doch nicht sein, dass in einer solchen Situa- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): tion weder die Europäer noch die Mitglieder des Sicher- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Müller, vielen heitsrates noch andere Mitglieder der UNO, die alle Dank, dass Sie meine Position hier zitiert haben. Man ist diese Mission beschlossen haben, in der Lage sind, den ja immer froh, wenn die eigene Position bekannt ge- Aufwuchs dieser Mission zu gewährleisten. Sie sind macht wird. noch nicht einmal in der Lage, zwölf dringend benötigte Hubschrauber zur Verfügung zu stellen. Das darf nicht Lassen Sie uns einmal zwischen UNAMID und sein. Wir fordern, dass das endlich passiert. UNMIS unterscheiden. Zu UNAMID. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht sinnvoll ist, in einer Situa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion, in der es keinen vereinbarten Friedensschluss gibt, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Truppen in das Land zu schicken, die nicht klar wissen, der SPD) was ihr Auftrag ist. Bei unserem Besuch im Sudan vor Kofi Annan hat der internationalen Gemeinschaft drei, vier Wochen wurde uns in Khartoum von einer mangelnden politischen Willen vorgeworfen. Wir brau- Reihe von Gesprächspartnern bestätigt, dass man sich chen endlich Gespräche mit den Partnern, wie die Statio- nicht in solche Situation begeben sollte. 18736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Paul Schäfer (Köln) (A) Zu UNMIS. Sie haben recht, dass es diesbezüglich ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) nen Diskussionsprozess innerhalb der Linken gibt. Mir bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- wäre es sehr lieb, wenn auch in anderen Fraktionen über geordneten der FDP) diese Frage, bei der es um den Einsatz militärischer Mit- – das ist nämlich der kritische Punkt –, und das sollten tel geht, so intensiv diskutiert würde und man sich mit Sie dann auch hier und in der Öffentlichkeit vertreten der Entscheidung sehr schwer tun würde. Es wäre ja und nicht wieder aus innenpolitischen populistischen auch einmal interessant, wenn die Positionen von Herrn Gründen Nein sagen, weil man das am Fernseher besser Gauweiler und Herrn Wimmer in der Union ausführlich verkaufen kann und Lafontaine diese Parole ausgerufen erörtert und hier zur Sprache gebracht würden. hat. Das ist dann eben nicht mehr die individuelle Ge- (Beifall bei der LINKEN) wissensentscheidung, von der Sie gesprochen haben. Sie haben meine Position, die sich auch in meinem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Abstimmungsverhalten niederschlagen wird, korrekt bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- wiedergegeben. Ich sage Ihnen aber: Mir ist es lieber, geordneten der FDP) wenn sich eine Fraktion in dieser Frage verdammt schwer tut und sagt, dass sie selbst bei so kleinen Punk- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ten aufpassen muss, nicht auf die schiefe Bahn zu gera- Ich gebe der Kollegin Ursula Mogg von der SPD- ten und dann zu denjenigen zu gehören, die zu Militär- Fraktion das Wort. interventionen immer wieder Ja sagen. Dass wir an dieser Stelle erst einmal ein striktes und sehr fundamen- Ursula Mogg (SPD): tales Nein sagen, ist mir verdammt sympathisch. Das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollte ich an dieser Stelle einmal gesagt haben. Am Ende dieser zuletzt doch noch recht spannenden De- Danke. batte möchte ich einige Punkte zusammenfassen. Ich fange mit den letztgenannten Aspekten an. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich nehme in vielen Debatten zur Kenntnis, dass es möglich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ist, mit Ihnen über schwierige Fragen im Bereich der Frau Müller. Außen- und Sicherheitspolitik und über den Einsatz mi- litärischer Kräfte zu diskutieren. Ich hatte gerade, als es Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um UNMIS und UNAMID ging, den Eindruck, dass dies möglich ist. Es geht nicht nur darum, die gigantische hu- (B) NEN): (D) Herr Kollege Schäfer, damit Sie mich nicht missver- manitäre Katastrophe im Sudan zu erkennen und zu ana- stehen: Ich finde diese Debatte absolut notwendig. Ich lysieren, sondern auch darum, die geeigneten Mittel zu denke, dass ich für alle hier sagen kann, dass wir es uns finden, um dieses Problem zu lösen; das wurde heute be- bei den Mandatserteilungen und -verlängerungen nicht reits angesprochen. leicht machen. (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei [Wiesloch] [SPD]) der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Ich möchte aus einem Papier zitieren, das den Deut- schen Bundestag vor circa zehn Jahren beschäftigt hat. Es ist und bleibt eine Gewissensentscheidung. Jeder und Darin heißt es: jede überlegt und wägt ab, was die richtige Entscheidung ist, die man persönlich verantworten kann. Unruhe und Not werden weiterhin große Teile der Erde erschüttern. … Massenmigration als Folge Noch einmal zu UNMIS und UNAMID. Da es hier von Unterentwicklung, Überbevölkerung und Hun- um eine Entscheidung im Einzelfall geht, verstehe ich ger oder als Folge von Krieg im Kampf um Gren- eines ganz am Ende Ihres wirklich sehr gut durchargu- zen, Ackerland oder Wasser; die pandemische Aus- mentierten Briefes nicht. Hinsichtlich UNMIS schreiben breitung von Krankheiten; Umweltzerstörung und Sie dort, dass Ihnen aus fachpolitischer Sicht völlig klar Klimawandel. ist, dass man eigentlich zu einer Zustimmung kommen müsste. Gleichzeitig schreiben Sie – ich zitiere Sie noch Einige Vertreter der Wissenschaft sprechen davon, dass einmal –: wir im Sudan den ersten Klimakrieg erleben. Das hat auch die Weizsäcker-Kommission „Gemeinsame Sicher- Wir heit und Zukunft der Bundeswehr“ in ihrem Papier for- – die Linke – muliert. Man kann annehmen, dass der Blick bereits da- mals auf den Sudan gerichtet wurde. Vor diesem müssen … eine Form finden, wie wir unserer Hintergrund fordere ich sowohl Sie, liebe Kolleginnen grundsätzlichen Funktion als Antikriegspartei ge- und Kollegen von der Linken, als auch alle anderen auf, recht werden können … mehr als bisher zu tun, um den richtigen Weg zu finden. Herr Schäfer, wenn es eine Einzelfallentscheidung ist, Worüber entscheiden wir heute? Wir entscheiden über dann erwarte ich, dass Sie im Einzelfall, wenn es wirk- den Einsatz von 75 Soldaten im Rahmen von UNMIS lich sachgerecht erscheint, auch zu einem Ja kommen und von bis zu 250 Soldaten im Rahmen von UNAMID. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18737

Ursula Mogg (A) Es besteht eine Diskrepanz zwischen den festgelegten Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (C) Obergrenzen und den tatsächlich eingesetzten Soldaten; Stimme nicht abgegeben hat? – Ich schließe die Abstim- das haben wir in der heutigen Debatte bereits gehört. mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Das hat nichts mit dem Willen der Bundesrepublik mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- Deutschland zu tun, sondern damit, dass wir nicht in stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. dem Maße gefordert werden, wie es im Mandat vorgese- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- hen ist. Dies hat auch etwas mit den Behinderungen ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf durch die sudanesische Regierung zu tun. An dieser Drucksache 16/10247. Wer stimmt für diesen Entschlie- Stelle müssen wir noch entschiedener arbeiten. ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Frak- Ich denke, dass es sehr wichtig ist, den deutschen Sol- tionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstim- datinnen und Soldaten, die im Sudan im Einsatz sind, an men von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der dieser Stelle für ihre Arbeit und ihren Einsatz ein ganz Fraktion der FDP abgelehnt. herzliches Dankeschön zu sagen. Im August letzten Jah- res hatte ich die Gelegenheit, mich vor Ort über die Ar- Wir fahren mit einer weiteren namentlichen Abstim- beit und die Einsatzbedingungen zu informieren. Dort mung fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Be- wird in der Tat eine schwierige und herausfordernde Ar- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf beit geleistet, um die Grenzziehung zwischen dem Nord- Drucksache 16/10244 zu dem Antrag der Bundesregie- und dem Südsudan sowie den Status dieser ölreichen Re- rung auf Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit- gion zu klären. kräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Es geht unter anderem um Bodenschätze. Die Situa- Drucksache 16/10104 anzunehmen. Es ist wiederum na- tion muss geklärt werden, damit wir unsere politischen mentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schrift- Analysen verbessern und in unserem Handwerk besser führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze werden können. Es geht auch um die Bekämpfung von einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Kriegsverbrechen. Das hat der Internationale Gerichts- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine hof festgestellt, als er den Haftbefehl gegen die sudane- Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich sischen Staatspräsidenten erlassen hat. Auch daran wird schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- deutlich, worüber wir sprechen. nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen Wenn man Mandate beschließt, die im Kern in der später bekannt gegeben. (B) Breite unseres Parlamentes nicht umstritten sind – sie (D) sind nur ein kleiner symbolischer Beitrag, aber im Kern Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- alternativlos –, dann sollte man meinen, dass das für eine ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf große Mehrheit eine gute Nachricht ist. Für die Men- Drucksache 16/10248. Wer stimmt für diesen Entschlie- schen im Sudan, die von einer gigantischen humanitären ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Katastrophe bedroht sind, ist es aber nach wie vor keine Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Frak- gute Nachricht. An diese Menschen sollten wir in dieser tionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstim- Stunde, in der wir im Deutschen Bundestag über die men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthal- Mandate entscheiden, in besonderer Weise denken. tung der FDP abgelehnt. Wir setzen die Haushaltsberatungen Tagesordnungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten punkte 1 a und 1 b, fort und kommen nun zum der CDU/CSU) Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ein- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: zelplan 23. Ich schließe die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- (Beifall bei der SPD) sache 16/10242 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- Der Haushalt unseres Ministeriums für das Jahr 2009 sache 16/10106 anzunehmen. Es ist namentliche Ab- verzeichnet einen Zuwachs von über 12 Prozent. Mit stimmung verlangt. Ich weise die Kolleginnen und 5,7 Milliarden Euro haben wir einen Höchststand der Fi- Kollegen darauf hin, dass unmittelbar nach dieser Ab- nanzierung in unserem Ministerium erreicht. In den zehn stimmung noch eine namentliche Abstimmung stattfin- Jahren, die ich für das BMZ zu verantworten habe, ha- det. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ben wir die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit fast die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall. verdoppelt. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung zu die- sem Tagesordnungspunkt. (Beifall bei der SPD) 18738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) Das ist ein großer Fortschritt für die Menschen. Damit batte angesprochen worden –, und zwar gerade bezogen (C) erreichen wir, dass Menschen von Armut und Hunger auf Afghanistan, zum Beispiel durch Fortbildung für befreit werden. 130 000 Lehrerinnen und Lehrer und 10 000 Führungs- kräfte. Damit wird auch in diesem Bereich ein Schwer- Wir haben aber nicht nur die Quantität gesteigert. Wir punkt im Interesse der Menschen gesetzt. haben auch die Qualität verbessert und sind auf dem Weg zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels vorangekom- (Beifall bei der SPD) men. Wir sind – um das alpinistisch auszudrücken – Trotz solcher Erfolge gibt es – wie man sie nennt – noch nicht auf dem Gipfel, aber auf dem Hochlager da- vergessene oder auch vernachlässigte Millenniumsent- vor. wicklungsziele, was wir nicht verschweigen und nicht Wir haben in der Debatte heute und auch gestern schönreden dürfen. Nirgends ist der schreiende Gegen- mehrfach besprochen, dass ein krasses Missverhältnis satz zwischen Arm und Reich so empörend wie bei der zwischen dem Verbrennen von Milliardenbeträgen in der Situation von werdenden Müttern. Tag für Tag sterben US-Finanzkrise und der Situation von Armen in der Welt 1 600 Frauen durch Komplikationen in der Schwanger- klafft. schaft oder bei der Geburt, rund 600 000 Frauen im Jahr – 99 von 100 in Entwicklungsländern, davon der größte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Teil im südlichen Afrika. Was mich besonders bedrückt: Niemals mehr werden die Verantwortlichen für Spekula- Die Zahl nimmt zu, nicht ab. Die Gefahr für ein Mäd- tionsmärkte, Kurzfristökonomie und, wie es der indische chen, bei Schwangerschaft und Geburt zu sterben, liegt Finanzminister ausgedrückt hat, Infectious Greed den in den Industrieländern bei 1 : 7 300, im südlichen Entwicklungsländern einreden können, sie sollten auf Afrika bei 1 : 26. Diese Frauen erleiden einen leicht ver- die Segnungen der Liberalisierung der Finanzmärkte meidbaren Tod. Die Ansatzpunkte, ihr Leben zu retten, und deren Produkte setzen. Wir müssen und werden alles sind bekannt, und wir engagieren uns: Frauen stärken, dafür tun, die Entwicklungsländer bei der Stärkung ihrer Verhütungsmittel verfügbar machen und den Frauen me- Finanzinstitutionen zu unterstützen, sie vor den schädli- dizinische Betreuung gerade bei Schwangerschaft und chen Auswirkungen dieser Finanzkrise zu schützen und Geburt zur Verfügung stellen. verpflichtende Transparenzregeln und Offenlegungs- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem pflichten international zu verankern. Das sind wir diesen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ländern schuldig. Das sind wir im Übrigen auch uns und den Menschen in unserem Land schuldig. Wir helfen auch dabei, Krankenversicherungssysteme und soziale Netze aufzubauen, damit Frauen die Chance (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thilo haben, bei der Geburt betreut zu werden. (B) Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) Unser Haushalt bildet einen Beitrag zu einer gerech- Wir stehen eine Woche vor der Konferenz zur Bewer- teren, friedlicheren und nur so nachhaltigen Welt- tung der Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten entwicklung. Wir erfüllen die Zusagen von Gleneagles Nationen in New York. Wir haben in unserem Weißbuch, und haben den Beitrag für Afrika um über 44 Prozent in das wir Ihnen vorgelegt haben, eine Darstellung der Per- diesem Haushalt gesteigert. 85 Prozent der Steigerung spektiven der deutschen Entwicklungspolitik geleistet. der Verpflichtungsermächtigungen kommen Subsahara- Ich will deshalb nur drei dieser Millenniumsentwick- Afrika zugute. Wir haben die Zusagen von Heiligen- lungsziele besonders ansprechen. damm gerade im Bereich Gesundheit eingehalten. Erst- mals hat der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Zunächst will ich auf die Bekämpfung von HIV/ Malaria und Tuberkulose einen eigenen Titel mit Aids eingehen. Ich bin froh, dass die diesbezüglichen 200 Millionen Euro in unserem Haushalt. Wir fördern Anstrengungen Wirkung zeigen. Von 2001 bis 2007 ist – das habe ich eben angesprochen – den zivilen Wieder- die Zahl der HIV-Infizierten, die lebensverlängernde aufbau Afghanistans mit weiteren 30 Millionen Euro, Medikamente erhalten, von 200 000 auf 3 Millionen ge- die wir insbesondere für die Bekämpfung von Hunger stiegen. Durch den globalen Fonds zur Bekämpfung von und von Mangelernährung in diesem Land zur Verfü- Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids erhielten 40 Millio- gung stellen. Das heißt, allein unser Ministerium stockt nen Menschen Hilfe, und täglich werden 3 000 Menschen die Mittel damit auf insgesamt 100 Millionen Euro auf. vor dem Tod gerettet. Darum sind die Bekämpfung von Die Bundesregierung erbringt einen Betrag von insge- HIV/Aids und die Stärkung der Gesundheitssysteme, zu samt 170 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau. der uns auch der Deutsche Bundestag in einer gemeinsa- Das ist eine große Anstrengung. Ich bedanke mich für men Initiative aufgefordert hatte, Schwerpunkt unserer die Unterstützung gerade auch der Haushälter in diesem Politik. Bereich. Ein zweiter Kernbereich wichtiger globaler Entwick- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lungserfolge ist Bildung. Darum ist es gut, dass die Schulbesuchsquote im Primarbereich in Subsahara- Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem wir Steigerun- Afrika von 1999 bis 2005 um 36 Prozent gestiegen ist. gen haben, betrifft die Auswirkungen des Klimawan- Darum ist es gut, dass durch die Entschuldung der ärms- dels. Hier spielen wir eine Führungsrolle und verzeich- ten Entwicklungsländer 29 Millionen Kinder zusätzlich nen einen Zuwachs von fast 25 Prozent. Wir haben für in die Schule gehen können. Darum fördern wir auch die einen besonderen Fonds, der schon jetzt den Entwick- Grundbildung – das ist heute in der außenpolitischen De- lungsländern Zugang zu Finanzierungsmaßnahmen für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18739

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) erneuerbare Energien und Anpassungsmaßnahmen bei Ich habe daher einen Vorschlag gemacht, den wir in (C) der Weltbank geben soll, Verpflichtungsermächtigungen allen anstehenden Konferenzen verfolgen werden. Wir in Höhe von 300 Millionen Euro im Haushalt vorgese- rufen die ölexportierenden Länder auf, einen Teil der hen. Ganz wichtig – ich weiß, da spreche ich auch in durch die Preisexplosion erzielten Überschüsse wieder Ihrem Sinne – sind die ländliche Entwicklung und die in die ländliche Entwicklung zu investieren, etwa in Ernährungssicherung. Für Nothilfe haben wir eine Stei- Form von Krediten. Wir haben dazu ein Konzept entwi- gerung um 40 Prozent. Wir haben übrigens den Verhand- ckelt. In dieses Konzept wollen wir die Staatsfonds ein- lungsrahmen für die Wiederauffüllung des Internationa- beziehen, die ein entsprechendes Interesse daran haben len Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung, der eine und mit unseren Partnern zusammenarbeiten. Das ist hervorragende Arbeit leistet, um 75 Prozent gesteigert, vernünftig, macht Sinn und führt dazu, dass die ärmsten auch um einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Entwicklungsländer auch in die ländliche Entwicklung Hunger und Unterernährung in Afrika zu schaffen. investieren können. Ich hatte angekündigt, dass wir unsere Zusammen- (Beifall bei der SPD) arbeit mit China im Herbst dieses Jahres überprüfen würden und die Zusammenarbeit und das Portfolio neu Dieser Haushalt soll auch in dieser Phase der finan- positionieren wollten. Wir halten unsere Kooperation ziellen Bewegungen und Entwicklungen in den USA mit den sogenannten Ankerländern – China ist eines da- – wir alle beobachten sie – ein Signal geben. Ende No- von – für wichtig. Sie sind für die regionale und globale vember/Anfang Dezember dieses Jahres wird die Konfe- Entwicklung von besonderer Bedeutung. In unserer Ko- renz „Financing for Development“ stattfinden, auf der die gesamte Breite der Finanzierung von Entwicklungs- operation wollen wir künftig chinesische Reformpro- zesse, insbesondere in den Bereichen Recht, Gesell- zusammenarbeit gemeinsam bewertet wird. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen in den Entwicklungslän- schaft und Klimaschutz, im Rahmen einer strategischen Partnerschaft der Bundesregierung gemeinsam mit allen dern ungeduldig werden. Ressorts, die in diesem Bereich tätig sein können, voran- Ich möchte Ihnen dieses Gefühl von Ungeduld, das bringen helfen. Im Rahmen einer solchen Dialogpartner- ich auf der Konferenz von Accra bei vielen von ihnen schaft werden wir sehr stark auf Beratung und den habe feststellen können, noch einmal deutlich machen. Ausbau von Wirtschaftspartnerschaften setzen. Wir wol- Wir müssen unsere Zusagen einhalten. Wir als Bundes- len zugunsten dieses Dialogprozesses die klassische fi- regierung werden sie einhalten: die Steigerung der Mittel nanzielle Zusammenarbeit beenden. Die Bundesregie- für Entwicklungszusammenarbeit entsprechend unserem rung wird in China verstärkt PPP-Maßnahmen fördern Stufenplan, die Nutzung von innovativen Finanzinstru- und unterstützen. menten, die Auktionierung von CO2-Verschmutzungs- (B) zertifikaten für Klimaschutz und internationale Klima- (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) maßnahmen. Bekanntlich ist die Explosion der Nahrungsmittel- Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der öffentli- preise – ich habe es eben angesprochen – für die Armen chen Diskussion bisher viel zu wenig beachtet worden besonders dramatisch. Es darf nicht sein, dass angeblich ist: Allein durch Steuervermeidung und Steuerflucht saubere Abgase auf der einen Seite der Welt weniger entgehen den Entwicklungsländern Jahr für Jahr Essen auf der anderen Seite bedeuten. Je nach Szenario 500 Milliarden US-Dollar. Übrigens entgehen auch den wird bis 2020 zum Beispiel bei Mais mit Preissteigerun- Industrieländern Jahr für Jahr 500 Milliarden US-Dollar gen von bis zu 72 Prozent gerechnet. Wir sagen: Agrar- durch Steuerflucht und Steuervermeidung. Mit dafür zu treibstoffe sind nur dann verantwortbar, wenn sie die sorgen, dass wir auf der großen Konferenz Ende dieses kleinbäuerliche Produktion nicht behindern und den Jahres einen Global Compact zur Bekämpfung von Steu- ländlichen Raum nicht abhängen. erflucht verankern, dass sich alle diesem Thema stellen, ist eine sinnvolle Investition in die Bekämpfung von Ar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mut, in die Schaffung von Arbeitsplätzen, in den Kampf der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE gegen den Klimawandel und in die Erhaltung unserer GRÜNEN) Umwelt, in Bildung und in Gesundheit. Lassen Sie uns Das ist unsere ganz klare Position, die wir gemeinsam all diese Mittel mobilisieren! vertreten. Mein Eindruck ist – das kann man in Lateinamerika Auch wenn die Ölpreise mittlerweile ein Stück zu- teilweise feststellen –: Wenn wir nicht schnell handeln rückgegangen sind, trifft die Ölpreisentwicklung die ar- und wenn die Menschen nicht sehen, dass wir unsere Zu- men Länder besonders hart. Allein die ärmsten Entwick- sagen auch einhalten, dann wird die Gefahr bestehen, lungsländer haben im Jahr 2008 einen zusätzlichen dass Populisten der verschiedensten Kategorien oder Betrag von 50 Milliarden US-Dollar für Importe von Öl auch extremistische Gruppen um sich greifen. Wir wol- leisten müssen. Das ist mehr, als sie offiziell im Rahmen len mit dafür sorgen, dass wir in einer Welt leben, die der Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Deshalb von weniger Gewalt und mehr Frieden geprägt ist. Wir sage ich: Niemand kann wollen, dass wirtschaftliche haben die Chance, dazu einen Beitrag zu leisten. Entwicklungen an unbezahlbaren Energierechnungen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. scheitern und Menschen zu Hungerrevolten getrieben werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 18740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- (C) Ich komme zu den Tagesordnungspunkten 5 a und 5 b scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in zurück und gebe zunächst das von den Schriftführerin- Darfur bekannt, Drucksachen 16/10106 und 16/10242: nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament- abgegebene Stimmen 546. Mit Ja haben gestimmt 511, lichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des mit Nein haben gestimmt 23, Enthaltungen 12. Die Be- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- schlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Klaus-Peter Flosbach Norbert Königshofen Franz Romer Abgegebene Stimmen: 565; Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Rolf Koschorrek Johannes Röring davon (Hof) Hartmut Koschyk Kurt J. Rossmanith Erich G. Fritz Thomas Kossendey Dr. Norbert Röttgen ja: 510 Jochen-Konrad Fromme Michael Kretschmer Dr. Christian Ruck nein: 43 Dr. Michael Fuchs Gunther Krichbaum Albert Rupprecht (Weiden) enthalten: 12 Hans-Joachim Fuchtel Dr. Günter Krings Peter Rzepka Dr. Jürgen Gehb Dr. Martina Krogmann Anita Schäfer (Saalstadt) Ja Norbert Geis Dr. Hermann Kues Hermann-Josef Scharf Eberhard Gienger Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU Ralf Göbel Andreas G. Lämmel Hartmut Schauerte Josef Göppel Dr. Norbert Lammert Dr. Annette Schavan Ulrich Adam Peter Götz Helmut Lamp Dr. Andreas Scheuer Ilse Aigner Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Karl Schiewerling Peter Albach Ute Granold Dr. Max Lehmer Georg Schirmbeck Peter Altmaier Hermann Gröhe Paul Lehrieder Bernd Schmidbauer Dorothee Bär Michael Grosse-Brömer Ingbert Liebing Christian Schmidt (Fürth) Thomas Bareiß Markus Grübel Eduard Lintner Andreas Schmidt (Mülheim) Norbert Barthle Manfred Grund Dr. Klaus W. Lippold Ingo Schmitt (Berlin) Günter Baumann Monika Grütters Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff Ernst-Reinhard Beck Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Michael Luther Dr. Ole Schröder (Reutlingen) zu Guttenberg Stephan Mayer (Altötting) Bernhard Schulte-Drüggelte Veronika Bellmann Olav Gutting Wolfgang Meckelburg Uwe Schummer Dr. Christoph Bergner Holger Haibach Dr. Michael Meister Wilhelm Josef Sebastian (B) Otto Bernhardt Gerda Hasselfeldt Dr. Angela Merkel Kurt Segner (D) Clemens Binninger Ursula Heinen Friedrich Merz Marion Seib Renate Blank Uda Carmen Freia Heller Laurenz Meyer (Hamm) Bernd Siebert Peter Bleser Michael Hennrich Maria Michalk Thomas Silberhorn Antje Blumenthal Jürgen Herrmann Dr. h. c. Hans Michelbach Johannes Singhammer Dr. Maria Böhmer Bernd Heynemann Philipp Mißfelder Jens Spahn Jochen Borchert Ernst Hinsken Dr. Eva Möllring Erika Steinbach Wolfgang Börnsen Peter Hintze Marlene Mortler Christian Freiherr von Stetten (Bönstrup) Christian Hirte Carsten Müller Gero Storjohann Wolfgang Bosbach Robert Hochbaum (Braunschweig) Andreas Storm Klaus Brähmig Klaus Hofbauer Stefan Müller (Erlangen) Max Straubinger Michael Brand Franz-Josef Holzenkamp Dr. Gerd Müller Thomas Strobl (Heilbronn) Helmut Brandt Joachim Hörster Hildegard Müller Lena Strothmann Dr. Ralf Brauksiepe Anette Hübinger Bernd Neumann (Bremen) Michael Stübgen Monika Brüning Hubert Hüppe Michaela Noll Hans Peter Thul Georg Brunnhuber Susanne Jaffke-Witt Dr. Georg Nüßlein Antje Tillmann Cajus Caesar Dr. Peter Jahr Franz Obermeier Dr. Hans-Peter Uhl Gitta Connemann Dr. Hans-Heinrich Jordan Eduard Oswald Arnold Vaatz Leo Dautzenberg Andreas Jung (Konstanz) Henning Otte Volkmar Uwe Vogel Hubert Deittert Dr. Franz Josef Jung Rita Pawelski Andrea Astrid Voßhoff Thomas Dörflinger Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Gerhard Wächter Marie-Luise Dött Hans-Werner Kammer Dr. Joachim Pfeiffer Marco Wanderwitz Maria Eichhorn Steffen Kampeter Sibylle Pfeiffer Kai Wegner Dr. Stephan Eisel Alois Karl Beatrix Philipp Marcus Weinberg Anke Eymer (Lübeck) Bernhard Kaster Ronald Pofalla Peter Weiß (Emmendingen) Ilse Falk Siegfried Kauder (Villingen- Ruprecht Polenz Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Hans Georg Faust Schwenningen) Daniela Raab Ingo Wellenreuther Enak Ferlemann Volker Kauder Thomas Rachel Anette Widmann-Mauz Ingrid Fischbach Eckart von Klaeden Dr. Peter Ramsauer Klaus-Peter Willsch Hartwig Fischer (Göttingen) Jürgen Klimke Peter Rauen Elisabeth Winkelmeier- Dirk Fischer (Hamburg) Julia Klöckner Eckhardt Rehberg Becker Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jens Koeppen Katherina Reiche (Potsdam) Dagmar Wöhrl Land) Kristina Köhler (Wiesbaden) Klaus Riegert Wolfgang Zöller Dr. Maria Flachsbarth Manfred Kolbe Dr. Heinz Riesenhuber Willi Zylajew Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18741

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) SPD Alfred Hartenbach Christoph Pries Andrea Wicklein (C) Michael Hartmann Dr. Wilhelm Priesmeier Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Lale Akgün (Wackernheim) Florian Pronold Dr. Dieter Wiefelspütz Gerd Andres Nina Hauer Dr. Sascha Raabe Engelbert Wistuba Niels Annen Hubertus Heil Mechthild Rawert Dr. Wolfgang Wodarg Ingrid Arndt-Brauer Dr. Reinhold Hemker Steffen Reiche (Cottbus) Waltraud Wolff Rainer Arnold Rolf Hempelmann (Wolmirstedt) Ernst Bahr (Neuruppin) Maik Reichel Dr. Barbara Hendricks Heidi Wright Doris Barnett Gerold Reichenbach Gustav Herzog Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Carola Reimann Uta Zapf Klaus Barthel Gabriele Hiller-Ohm Christel Riemann- Manfred Zöllmer Sören Bartol Stephan Hilsberg Hanewinckel Sabine Bätzing Gerd Höfer Walter Riester FDP Iris Hoffmann (Wismar) Sönke Rix Dirk Becker Jens Ackermann Frank Hofmann (Volkach) René Röspel Uwe Beckmeyer Dr. Karl Addicks Eike Hovermann Dr. Ernst Dieter Rossmann Klaus Uwe Benneter Daniel Bahr (Münster) Klaas Hübner Karin Roth (Esslingen) Dr. Axel Berg Uwe Barth Christel Humme Michael Roth (Heringen) Ute Berg Rainer Brüderle Lothar Ibrügger Ortwin Runde Lothar Binding (Heidelberg) Angelika Brunkhorst Brunhilde Irber Anton Schaaf Volker Blumentritt Ernst Burgbacher Johannes Jung (Karlsruhe) Axel Schäfer (Bochum) Kurt Bodewig Patrick Döring Josip Juratovic Marianne Schieder Clemens Bollen Jörg van Essen Johannes Kahrs Otto Schily Gerd Bollmann Ulrike Flach Ulrich Kasparick Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Gerhard Botz Otto Fricke Dr. h. c. Susanne Kastner Silvia Schmidt (Eisleben) Klaus Brandner Paul K. Friedhoff Ulrich Kelber Renate Schmidt (Nürnberg) Willi Brase Dr. Wolfgang Gerhardt Christian Kleiminger Dr. Frank Schmidt Bernhard Brinkmann Miriam Gruß Hans-Ulrich Klose Heinz Schmitt (Landau) (Hildesheim) Heinz-Peter Haustein Astrid Klug Carsten Schneider (Erfurt) Edelgard Bulmahn Elke Hoff Dr. Bärbel Kofler Olaf Scholz Marco Bülow Birgit Homburger Walter Kolbow Ottmar Schreiner Ulla Burchardt Dr. Werner Hoyer Fritz Rudolf Körper Reinhard Schultz Martin Burkert Michael Kauch Karin Kortmann (Everswinkel) Dr. Michael Bürsch Hellmut Königshaus Rolf Kramer Swen Schulz (Spandau) Christian Carstensen Gudrun Kopp Ernst Kranz Ewald Schurer Marion Caspers-Merk Heinz Lanfermann Nicolette Kressl Frank Schwabe (B) Dr. Peter Danckert Sibylle Laurischk (D) Volker Kröning Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Herta Däubler-Gmelin Harald Leibrecht Angelika Krüger-Leißner Dr. Martin Schwanholz Karl Diller Markus Löning Dr. Hans-Ulrich Krüger Rolf Schwanitz Martin Dörmann Horst Meierhofer Jürgen Kucharczyk Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carl-Christian Dressel Patrick Meinhardt Helga Kühn-Mengel Wolfgang Spanier Garrelt Duin Burkhardt Müller-Sönksen Ute Kumpf Dr. Margrit Spielmann Detlef Dzembritzki Dirk Niebel Dr. Uwe Küster Jörg-Otto Spiller Sebastian Edathy Hans-Joachim Otto Christine Lambrecht Dr. Ditmar Staffelt Siegmund Ehrmann (Frankfurt) Christian Lange (Backnang) Dieter Steinecke Hans Eichel Detlef Parr Dr. Karl Lauterbach Andreas Steppuhn Dr. h. c. Gernot Erler Waltraud Lehn Ludwig Stiegler Petra Ernstberger Gisela Piltz Helga Lopez Rolf Stöckel Annette Faße Jörg Rohde Gabriele Lösekrug-Möller Christoph Strässer Elke Ferner Frank Schäffler Dirk Manzewski Dr. Peter Struck Gabriele Fograscher Dr. Konrad Schily Lothar Mark Joachim Stünker Rainer Fornahl Marina Schuster Caren Marks Dr. Rainer Tabillion Gabriele Frechen Dr. Hermann Otto Solms Katja Mast Jörg Tauss Dagmar Freitag Dr. Max Stadler Hilde Mattheis Jella Teuchner Peter Friedrich Dr. Rainer Stinner Markus Meckel Dr. h. c. Wolfgang Thierse Sigmar Gabriel Carl-Ludwig Thiele Petra Merkel (Berlin) Jörn Thießen Iris Gleicke Florian Toncar Ulrike Merten Franz Thönnes Günter Gloser Christoph Waitz Renate Gradistanac Dr. Matthias Miersch Rüdiger Veit Dr. Claudia Winterstein Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Jörg Vogelsänger Dr. Volker Wissing Dieter Grasedieck Marko Mühlstein Dr. Marlies Volkmer Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Monika Griefahn Detlef Müller (Chemnitz) Hedi Wegener Kerstin Griese Gesine Multhaupt Andreas Weigel BÜNDNIS 90/ Gabriele Groneberg Franz Müntefering Petra Weis DIE GRÜNEN Achim Großmann Dr. Rolf Mützenich Gunter Weißgerber Wolfgang Grotthaus Thomas Oppermann Gert Weisskirchen Kerstin Andreae Wolfgang Gunkel Holger Ortel (Wiesloch) Marieluise Beck (Bremen) Hans-Joachim Hacker Heinz Paula Dr. Rainer Wend Volker Beck (Köln) Bettina Hagedorn Johannes Pflug Lydia Westrich Cornelia Behm Klaus Hagemann Joachim Poß Dr. Margrit Wetzel Birgitt Bender 18742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Alexander Bonde Christine Scheel Dr. Diether Dehm Alexander Ulrich (C) Ekin Deligöz Irmingard Schewe-Gerigk Werner Dreibus Jörn Wunderlich Dr. Thea Dückert Dr. Gerhard Schick Dr. Dagmar Enkelmann Sabine Zimmermann Dr. Uschi Eid Rainder Steenblock Klaus Ernst Hans Josef Fell Dr. Wolfgang Strengmann- Wolfgang Gehrcke fraktionslose Kai Gehring Kuhn Lutz Heilmann Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt Hans-Christian Ströbele Hans-Kurt Hill Henry Nitzsche Britta Haßelmann Dr. Harald Terpe Cornelia Hirsch Gert Winkelmeier Winfried Hermann Jürgen Trittin Ulla Jelpke Peter Hettlich Wolfgang Wieland Dr. Lukrezia Jochimsen Priska Hinz (Herborn) Josef Philip Winkler Katja Kipping Enthalten Ulrike Höfken Monika Knoche Dr. Anton Hofreiter Jan Korte CDU/CSU Nein Bärbel Höhn Katrin Kunert Dr. Wolf Bauer Thilo Hoppe CDU/CSU Ulla Lötzer Norbert Schindler Ute Koczy Ulrich Maurer Sylvia Kotting-Uhl Willy Wimmer (Neuss) Dorothée Menzner FDP Fritz Kuhn Kersten Naumann Markus Kurth SPD Wolfgang Nešković Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther (Plauen) Monika Lazar Gregor Amann Dr. Norman Paech Anna Lührmann Dr. Heinrich L. Kolb Petra Hinz (Essen) Petra Pau Jerzy Montag Elke Reinke Jürgen Koppelin Kerstin Müller (Köln) Paul Schäfer (Köln) DIE LINKE DIE LINKE Winfried Nachtwei Vol ker Sc hne i de r Omid Nouripour Hüseyin-Kenan Aydin (Saarbrücken) Dr. Dietmar Bartsch Brigitte Pothmer Karin Binder Dr. Herbert Schui Roland Claus Claudia Roth (Augsburg) Dr. Lothar Bisky Dr. Ilja Seifert Dr. Barbara Höll Krista Sager Heidrun Bluhm Frank Spieth Michael Leutert Manuel Sarrazin Eva Bulling-Schröter Dr. Kirsten Tackmann Bodo Ramelow Elisabeth Scharfenberg Sevim Dağdelen Dr. Axel Troost Dr. Petra Sitte

(B) Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- der Vereinten Nationen im Sudan, Drucksachen 16/10104 (D) mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über und 16/10244, lautet: abgegebene Stimmen 545. Mit Ja die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses haben gestimmt 504, mit Nein haben gestimmt 33, Ent- zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der haltungen 18. Die Beschlussempfehlung ist damit eben- Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission falls angenommen.

Endgültiges Ergebnis Clemens Binninger Ilse Falk Hermann Gröhe Abgegebene Stimmen: 556; Renate Blank Dr. Hans Georg Faust Michael Grosse-Brömer davon Peter Bleser Enak Ferlemann Markus Grübel Antje Blumenthal Manfred Grund ja: 504 Ingrid Fischbach Dr. Maria Böhmer Hartwig Fischer (Göttingen) Monika Grütters nein: 34 Jochen Borchert Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Karl-Theodor Freiherr enthalten: 18 Wolfgang Börnsen Axel E. Fischer (Karlsruhe- zu Guttenberg (Bönstrup) Land) Olav Gutting Ja Wolfgang Bosbach Dr. Maria Flachsbarth Holger Haibach Klaus Brähmig Klaus-Peter Flosbach Gerda Hasselfeldt CDU/CSU Michael Brand Dr. Hans-Peter Friedrich Uschi Heinen (Hof) Ulrich Adam Helmut Brandt Uda Carmen Freia Heller Ilse Aigner Dr. Ralf Brauksiepe Erich G. Fritz Michael Hennrich Peter Albach Monika Brüning Jochen-Konrad Fromme Jürgen Herrmann Peter Altmaier Georg Brunnhuber Dr. Michael Fuchs Bernd Heynemann Dorothee Bär Cajus Caesar Hans-Joachim Fuchtel Ernst Hinsken Thomas Bareiß Gitta Connemann Dr. Jürgen Gehb Peter Hintze Norbert Barthle Leo Dautzenberg Norbert Geis Christian Hirte Günter Baumann Hubert Deittert Eberhard Gienger Robert Hochbaum Ernst-Reinhard Beck Thomas Dörflinger Ralf Göbel Klaus Hofbauer (Reutlingen) Marie-Luise Dött Josef Göppel Franz-Josef Holzenkamp Veronika Bellmann Maria Eichhorn Peter Götz Joachim Hörster Dr. Christoph Bergner Dr. Stephan Eisel Dr. Wolfgang Götzer Anette Hübinger Otto Bernhardt Anke Eymer (Lübeck) Ute Granold Hubert Hüppe Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18743

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Susanne Jaffke-Witt Ruprecht Polenz SPD Michael Hartmann (C) Dr. Peter Jahr Daniela Raab (Wackernheim) Dr. Lale Akgün Dr. Hans-Heinrich Jordan Thomas Rachel Nina Hauer Gerd Andres Andreas Jung (Konstanz) Dr. Peter Ramsauer Hubertus Heil Niels Annen Dr. Franz Josef Jung Peter Rauen Dr. Reinhold Hemker Ingrid Arndt-Brauer Bartholomäus Kalb Eckhardt Rehberg Rolf Hempelmann Rainer Arnold Hans-Werner Kammer Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Barbara Hendricks Ernst Bahr (Neuruppin) Steffen Kampeter Klaus Riegert Gustav Herzog Doris Barnett Alois Karl Dr. Heinz Riesenhuber Gabriele Hiller-Ohm Bernhard Kaster Franz Romer Dr. Hans-Peter Bartels Stephan Hilsberg Siegfried Kauder (Villingen- Johannes Röring Klaus Barthel Gerd Höfer Schwenningen) Kurt J. Rossmanith Sören Bartol Iris Hoffmann (Wismar) Volker Kauder Dr. Norbert Röttgen Sabine Bätzing Frank Hofmann (Volkach) Eckart von Klaeden Dr. Christian Ruck Klaus Uwe Benneter Eike Hovermann Jürgen Klimke Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Axel Berg Klaas Hübner Julia Klöckner Peter Rzepka Ute Berg Christel Humme Jens Koeppen Anita Schäfer (Saalstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Lothar Ibrügger Kristina Köhler (Wiesbaden) Hermann-Josef Scharf Volker Blumentritt Brunhilde Irber Manfred Kolbe Dr. Wolfgang Schäuble Kurt Bodewig Johannes Jung (Karlsruhe) Norbert Königshofen Hartmut Schauerte Clemens Bollen Josip Juratovic Dr. Rolf Koschorrek Dr. Annette Schavan Gerd Bollmann Johannes Kahrs Hartmut Koschyk Dr. Andreas Scheuer Dr. Gerhard Botz Ulrich Kasparick Thomas Kossendey Karl Schiewerling Klaus Brandner Dr. h. c. Susanne Kastner Michael Kretschmer Norbert Schindler Willi Brase Ulrich Kelber Gunther Krichbaum Georg Schirmbeck Bernhard Brinkmann Christian Kleiminger Dr. Günter Krings Bernd Schmidbauer (Hildesheim) Hans-Ulrich Klose Dr. Martina Krogmann Christian Schmidt (Fürth) Edelgard Bulmahn Astrid Klug Dr. Hermann Kues Andreas Schmidt (Mülheim) Marco Bülow Dr. Bärbel Kofler Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Ingo Schmitt (Berlin) Ulla Burchardt Walter Kolbow Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Schockenhoff Martin Burkert Fritz Rudolf Körper Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Dr. Michael Bürsch Karin Kortmann Helmut Lamp Bernhard Schulte-Drüggelte Christian Carstensen Rolf Kramer Katharina Landgraf Wilhelm Josef Sebastian Marion Caspers-Merk Ernst Kranz Dr. Max Lehmer Kurt Segner Dr. Peter Danckert Nicolette Kressl Dr. Herta Däubler-Gmelin (B) Paul Lehrieder Marion Seib Volker Kröning (D) Ingbert Liebing Bernd Siebert Karl Diller Angelika Krüger-Leißner Eduard Lintner Thomas Silberhorn Martin Dörmann Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Klaus W. Lippold Johannes Singhammer Dr. Carl-Christian Dressel Jürgen Kucharczyk Patricia Lips Jens Spahn Garrelt Duin Helga Kühn-Mengel Dr. Michael Luther Erika Steinbach Detlef Dzembritzki Ute Kumpf Stephan Mayer (Altötting) Christian Freiherr von Stetten Sebastian Edathy Dr. Uwe Küster Wolfgang Meckelburg Gero Storjohann Siegmund Ehrmann Christine Lambrecht Dr. Michael Meister Andreas Storm Hans Eichel Christian Lange (Backnang) Dr. Angela Merkel Max Straubinger Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Karl Lauterbach Friedrich Merz Thomas Strobl (Heilbronn) Petra Ernstberger Waltraud Lehn Laurenz Meyer (Hamm) Lena Strothmann Annette Faße Helga Lopez Maria Michalk Michael Stübgen Elke Ferner Gabriele Lösekrug-Möller Dr. h. c. Hans Michelbach Hans Peter Thul Gabriele Fograscher Dirk Manzewski Philipp Mißfelder Antje Tillmann Rainer Fornahl Lothar Mark Dr. Eva Möllring Dr. Hans-Peter Uhl Gabriele Frechen Caren Marks Marlene Mortler Arnold Vaatz Dagmar Freitag Katja Mast Carsten Müller Volkmar Uwe Vogel Peter Friedrich Hilde Mattheis (Braunschweig) Andrea Astrid Voßhoff Sigmar Gabriel Markus Meckel Stefan Müller (Erlangen) Gerhard Wächter Iris Gleicke Petra Merkel (Berlin) Dr. Gerd Müller Marco Wanderwitz Günter Gloser Ulrike Merten Hildegard Müller Kai Wegner Renate Gradistanac Dr. Matthias Miersch Bernd Neumann (Bremen) Marcus Weinberg Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Michaela Noll Peter Weiß (Emmendingen) Dieter Grasedieck Marko Mühlstein Dr. Georg Nüßlein Gerald Weiß (Groß-Gerau) Monika Griefahn Detlef Müller (Chemnitz) Franz Obermeier Ingo Wellenreuther Kerstin Griese Gesine Multhaupt Eduard Oswald Anette Widmann-Mauz Gabriele Groneberg Franz Müntefering Henning Otte Klaus-Peter Willsch Achim Großmann Dr. Rolf Mützenich Rita Pawelski Willy Wimmer (Neuss) Wolfgang Grotthaus Thomas Oppermann Ulrich Petzold Elisabeth Winkelmeier- Wolfgang Gunkel Heinz Paula Dr. Joachim Pfeiffer Becker Hans-Joachim Hacker Joachim Poß Sibylle Pfeiffer Dagmar Wöhrl Bettina Hagedorn Christoph Pries Beatrix Philipp Wolfgang Zöller Klaus Hagemann Dr. Wilhelm Priesmeier Ronald Pofalla Willi Zylajew Alfred Hartenbach Florian Pronold 18744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dr. Sascha Raabe Heidemarie Wieczorek-Zeul BÜNDNIS 90/ Werner Dreibus (C) Mechthild Rawert Dr. Dieter Wiefelspütz DIE GRÜNEN Dr. Dagmar Enkelmann Steffen Reiche (Cottbus) Engelbert Wistuba Kerstin Andreae Klaus Ernst Maik Reichel Dr. Wolfgang Wodarg Marieluise Beck (Bremen) Wolfgang Gehrcke Gerold Reichenbach Waltraud Wolff Volker Beck (Köln) Lutz Heilmann Dr. Carola Reimann (Wolmirstedt) Cornelia Behm Hans-Kurt Hill Christel Riemann- Heidi Wright Birgitt Bender Cornelia Hirsch Hanewinckel Uta Zapf Alexander Bonde Ulla Jelpke Walter Riester Manfred Zöllmer Ekin Deligöz Dr. Lukrezia Jochimsen Sönke Rix Dr. Thea Dückert Katja Kipping René Röspel FDP Hans Josef Fell Monika Knoche Dr. Ernst Dieter Rossmann Kai Gehring Jan Korte Karin Roth (Esslingen) Jens Ackermann Katrin Göring-Eckardt Ulla Lötzer Michael Roth (Heringen) Dr. Karl Addicks Britta Haßelmann Dorothée Menzner Ortwin Runde Daniel Bahr (Münster) Winfried Hermann Kersten Naumann Marlene Rupprecht Uwe Barth Peter Hettlich Wolfgang Nešković (Tuchenbach) Rainer Brüderle Priska Hinz (Herborn) Dr. Norman Paech Anton Schaaf Angelika Brunkhorst Elke Reinke Marianne Schieder Ulrike Höfken Ernst Burgbacher Volker Schneider Otto Schily Dr. Anton Hofreiter Patrick Döring (Saarbrücken) Ulla Schmidt (Aachen) Bärbel Höhn Dr. Herbert Schui Silvia Schmidt (Eisleben) Mechthild Dyckmans Thilo Hoppe Dr. Ilja Seifert Renate Schmidt (Nürnberg) Jörg van Essen Ute Koczy Dr. Kirsten Tackmann Dr. Frank Schmidt Ulrike Flach Sylvia Kotting-Uhl Heinz Schmitt (Landau) Otto Fricke Fritz Kuhn Dr. Axel Troost Carsten Schneider (Erfurt) Paul K. Friedhoff Markus Kurth Jörn Wunderlich Olaf Scholz Dr. Wolfgang Gerhardt Monika Lazar Sabine Zimmermann Ottmar Schreiner Miriam Gruß Anna Lührmann Swen Schulz (Spandau) Heinz-Peter Haustein Jerzy Montag fraktionsloser Kerstin Müller (Köln) Abgeordneter Ewald Schurer Elke Hoff Winfried Nachtwei Frank Schwabe Henry Nitzsche Birgit Homburger Omid Nouripour Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Werner Hoyer Dr. Martin Schwanholz Brigitte Pothmer Michael Kauch Claudia Roth (Augsburg) Enthalten Rolf Schwanitz Hellmut Königshaus Rita Schwarzelühr-Sutter Krista Sager (B) Gudrun Kopp CDU/CSU (D) Wolfgang Spanier Manuel Sarrazin Heinz Lanfermann Elisabeth Scharfenberg Dr. Margrit Spielmann Dr. Wolf Bauer Sibylle Laurischk Jörg-Otto Spiller Christine Scheel Harald Leibrecht Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Ditmar Staffelt FDP Dieter Steinecke Markus Löning Dr. Gerhard Schick Andreas Steppuhn Horst Meierhofer Rainder Steenblock Dr. Edmund Peter Geisen Ludwig Stiegler Patrick Meinhardt Dr. Wolfgang Strengmann- Joachim Günther (Plauen) Rolf Stöckel Burkhardt Müller-Sönksen Kuhn Dr. Heinrich L. Kolb Christoph Strässer Dirk Niebel Hans-Christian Ströbele Jürgen Koppelin Dr. Peter Struck Hans-Joachim Otto Dr. Harald Terpe Dr. Rainer Tabillion (Frankfurt) Jürgen Trittin DIE LINKE Jörg Tauss Detlef Parr Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Hüseyin-Kenan Aydin Jella Teuchner Cornelia Pieper Dr. Dietmar Bartsch Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gisela Piltz Roland Claus Jörn Thießen Jörg Rohde Nein Dr. Barbara Höll Franz Thönnes Frank Schäffler Katrin Kunert Rüdiger Veit Dr. Konrad Schily SPD Michael Leutert Jörg Vogelsänger Marina Schuster Gregor Amann Petra Pau Dr. Marlies Volkmer Dr. Hermann Otto Solms Petra Hinz (Essen) Bodo Ramelow Hedi Wegener Dr. Max Stadler Paul Schäfer (Köln) Andreas Weigel Dr. Rainer Stinner DIE LINKE Dr. Petra Sitte Petra Weis Frank Spieth Gunter Weißgerber Carl-Ludwig Thiele Karin Binder Alexander Ulrich Gert Weisskirchen Florian Toncar Dr. Lothar Bisky (Wiesloch) Christoph Waitz Heidrun Bluhm fraktionsloser Dr. Rainer Wend Dr. Claudia Winterstein Eva Bulling-Schröter Abgeordneter Dr. Margrit Wetzel Dr. Volker Wissing Sevim Dağdelen Andrea Wicklein Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Diether Dehm Gert Winkelmeier Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18745

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin, bin auch ich dafür. Das erste Land, das wir entschuldet (C) FDP-Fraktion. haben, war, wenn ich mich richtig erinnere, Bolivien. Die Kommunen dort – nicht alle, wie ich zugebe, aber (Beifall bei der FDP) viele – haben so viel Geld, dass sie es gar nicht ausgeben können. Das liegt allerdings auch an der Zentralregie- Jürgen Koppelin (FDP): rung. Dort gibt es Erdöl und große Energiereserven. Die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! werden an andere Länder Südamerikas und darüber hi- Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, ich muss eingestehen: naus verkauft. Wir haben also ein Land entschuldet, das Ich habe schon oft Ihre Reden zum Haushalt gehört. Ich selber sehr viel Geld hat. Das ist nun geschehen. Man habe Sie heute kaum wiedererkannt, aber im Positiven. sollte eben nicht einfach sagen: „Ich halte die Fahne der Ich komme gleich darauf zurück. Ich muss jetzt aufpas- Entschuldung hoch“, nur weil von allen möglichen Leu- sen, dass ich Sie in meiner kurzen Redezeit nicht zu viel ten, etwa von Kirchenvertretern, Druck vorhanden ist: lobe. Ihr müsst entschulden. – Land für Land, Fall für Fall muss entschieden werden. Ganz souverän müssen wir Ich möchte mit einem wirklich ernsthaften Lob begin- sagen: Das geht, und das geht nicht. Demokratiebewe- nen. Ich fand es sehr engagiert und sehr mutig, dass gungen und auch manches andere müssen vorhanden Sie sich – das sollte hier nicht vergessen werden – als sein, bevor wir sagen: Wir entschulden euch. einziges Kabinettsmitglied mit dem Dalai-Lama getrof- fen haben, während andere sich in die Büsche geschla- (Beifall bei der FDP) gen haben. Alle Achtung, dafür haben Sie unseren Re- Das trifft auch auf die Budgethilfe zu, Frau Ministe- spekt. Herzlichen Dank, dass Sie das gemacht haben! rin. Sie wollen die Budgethilfe steigern. Meine Zustim- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie mung bekommen Sie dafür nicht. bei Abgeordneten der SPD und dem BÜND- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Fehler! Ein großer Fehler!) Ich finde es positiv, dass Sie unsere Kritik aufgegrif- In den Ländern, die wir so unterstützen, kann ich wenig fen haben, was die Entwicklungshilfe an China angeht, an Demokratie entdecken. Ich kann wenig von dem ent- auch wenn das – das darf man dann ruhig sagen – sehr decken, was unsere Werte sind. Wir pumpen Geld direkt lange gedauert hat. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. in einen Haushalt hinein und haben noch nicht einmal Darüber können wir vernünftig reden. Sie haben sich be- die Kontrolle. wegt. Bei den letzten Debatten hat sich das noch ganz anders angehört. Da wurde das aus der Koalition noch (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) verteidigt. Sie haben sich bewegt, und das ist in Ord- Das stimmt ja gar nicht!) (D) nung. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Es ist Respekt auch dafür: Sie haben für Ihren Etat enga- nicht von mir. Es gab ein sehr interessantes Interview im giert gekämpft. Sie haben mehr Mittel bekommen. Nur NDR Info. Es bezog sich auf Kamerun. Auf die Frage: – da beginnt dann vielleicht doch meine Kritik, Frau „Was halten Sie von der Budgethilfe in Richtung Kame- Ministerin –: Mit Geld allein ist es bei der Entwick- run?“, sagte ein Kirchenvertreter: lungshilfe nicht getan. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, weil ich da selber engagiert bin. Dem Schwerpunktland der bilateralen Kooperation wurden für das zurückliegende Jahr 34 Millionen Es geht um das Thema Demokratisierung. Ich denke Euro zugesagt. Dieser jährliche Zuschuss soll bis da an Kambodscha oder an Birma, das ja schon wieder 2010 verdoppelt werden. Beobachter im Lande be- aus dem Blickfeld verschwunden ist. Da waren wir urteilen das sehr kritisch, weil das Geld nicht an be- plötzlich engagiert. Was geschieht dort weiter? Ich bin stimmte Projekte gebunden ist, sondern direkt in fest davon überzeugt, dass wir – das gilt gerade für den kameruanischen Staatshaushalt fließt. Zyniker Birma – mit Menschen sprechen müssen, die vielleicht fragen, warum die deutschen Steuermillionen nicht nach diesem Regime kommen. Gibt es solche Menschen gleich in die Schweiz überwiesen werden. Schließ- dort? Haben wir die Kontakte? Ich bin fest davon über- lich verbringt Präsident Biya einen Großteil des zeugt, dass unsere Stiftungen dabei eine wichtige Arbeit Jahres in einem Genfer Hotel statt in einem seiner leisten müssen. Wir müssen an solche Menschen heran- pompösen Paläste in Kamerun. kommen, die eines Tages das Regime ablösen können. Es hat keinen Zweck, zu sagen: „Ich löse das Regime Nach Kamerun überweisen wir direkt Budgethilfe. ab“, wenn ich dann nicht die entsprechenden Menschen Ich bitte, solche Zahlungen wirklich zu überlegen. dafür habe. Sie haben jetzt mehr Geld bekommen. Nennen Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bitte auch konkrete Programme! Ich stelle nicht fest, dass Sie für all das Geld, das Sie mehr bekommen ha- Sie haben zu Recht hohe Preissteigerungen bei Le- ben, konkrete Programme haben. Darüber werden wir bensmitteln thematisiert. Ich kann das, was Sie dazu ge- bei den Haushaltsberatungen weiter sprechen müssen. sagt haben, nur unterstützen. Vielleicht finde ich doch die Zustimmung der Sozial- Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der mir demokraten, wenn ich einen Wunsch äußern darf, denn wichtig ist: Entschuldungsprogramme. Grundsätzlich dies ist ein Thema, das wir freien Demokraten bei allen 18746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Jürgen Koppelin (A) Haushaltsberatungen der letzten Jahre angesprochen ha- sundheitssystemen, Implementierung von Antikorrup- (C) ben. Ich meine den entwicklungspolitischen Freiwilli- tionsmechanismen und vieles andere mehr sind Aufga- gendienst. Ich bin sehr für diese Dienste, denn wir ha- ben der Zeit. Wir können unsere Motivation eigentlich ben schon zu unserer Koalitionszeit so etwas Positives nicht mehr allein aus vielen allgemeinen Solidaritäts- eingerichtet. Wie können Sie es zulassen, dass all diese pflichten ableiten. Es ist zunehmend eine Überlebens- Menschen, die für vielleicht ein Jahr hinausgehen, keine frage unserer gesamten Gesellschaft, ob uns das gelingt Altersversorgung und Ähnliches haben? Sie haben dafür oder nicht. Daraus zieht der Entwicklungshilfeetat mei- gesorgt, dass für jede Putzfrau eine Altersversorgung ge- nes Erachtens den richtigen Schluss. Er räumt der Ent- macht werden muss. Für diese jungen Menschen, die wicklungskooperation künftig einen noch höheren Stel- sich draußen engagieren, tun Sie es nicht. Überprüfen lenwert als im Vorjahr ein. Die Mittelausstattung ist Sie das noch einmal! Wir haben auch andere soziale nämlich gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Dienste für junge Menschen. In anderen Ministerien ma- chen wir so etwas. Das ist mein Wunsch. Sie können da- Meine Damen und Herren, damit die Harmonie hier von ausgehen, dass wir bei den Haushaltsberatungen mit nicht allzu sehr überhandnimmt, lassen Sie mich sagen: großem Engagement und hoffentlich in gemeinsamer Das war nicht immer so. In der Zeit von Rot-Grün, also Sache etwas für Ihr Haus tun. Wir werden uns jedenfalls von 1998 bis 2005, ist der Haushaltsansatz für das Ent- bemühen. wicklungshilfeministerium, für das BMZ, um 130 Mil- lionen Euro gesunken. Auch daran sollten wir uns ein- Herzlichen Dank. mal erinnern. Das kann man allerdings nicht Ihnen, Frau Ministerin, anlasten. Sie haben damals mit demselben (Beifall bei der FDP) Engagement wie heute für Ihren Haushalt gefochten. Was sich geändert hat, ist die Besetzung des Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kanzleramtes. Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir können nun feststellen, dass Ihnen mit unserer Bun- deskanzlerin Angela Merkel eine Mitstreiterin erwach- Arnold Vaatz (CDU/CSU): sen ist, die sich ganz enorm für die Entwicklungszusam- Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehr- menarbeit als wesentliches Element der Politik einsetzt. ten Damen und Herren! Frau Ministerin, zunächst (Beifall bei der CDU/CSU) möchte ich mich uneingeschränkt dem Lob anschließen, Ich denke, das gibt uns auch perspektivisch eine ganz (B) das der Herr Kollege Koppelin für Sie zu formulieren (D) wusste, denn ich halte es in der Tat für ein sehr wichtiges besondere Sicherheit. Es zeigt sich nämlich, dass Frau Zeichen, dass beide Parteien der Großen Koalition in Merkel die Verpflichtung zur Entwicklungszusammenar- Bezug auf die Menschenrechtssituation in China ein kla- beit nicht als Lippenbekenntnis betrachtet. Ich kann mir res Zeichen gesetzt haben. Ich finde es auch gut, wie Sie vorstellen, dass aus ihrer eigenen Biografie heraus, aus auf die öffentliche Diskussion zu dem Thema Schwel- der Kenntnis der Lage, wie wir sie 1990 gehabt haben, lenländer in unserer Entwicklungspolitik reagiert haben. dass man Hilfe von außen braucht, ihre ganz besondere Hierzu sage ich noch einmal: Mein Kompliment! Verantwortung für diesen Politikbereich erwächst, und das ist gut so. Ich glaube, wir haben etwas Wichtiges zu konstatie- ren, wenn wir über den Entwicklungshilfehaushalt re- (Beifall bei der CDU/CSU) den. Bei der Veränderung der internationalen Land- Die Bundesregierung hat also in nur vier Jahren die schaft, bei der Veränderung des Charakters der Ansätze für den BMZ-Haushalt um 1,85 Milliarden Euro internationalen Herausforderungen, der Konflikte und gesteigert. Dazu kommen natürlich auch noch erhebliche der Art, wie sie ausgetragen werden, zeigt sich immer Steigerungen bei auf die ODA-Quote anrechenbaren deutlicher, dass die Entwicklungszusammenarbeit nach Positionen in den anderen Ressorts. Das muss auch ein- und nach zu einem unserer wichtigsten vertrauensbil- mal gesagt werden. So kann die Bundesregierung im denden Instrumente in der Außenpolitik wird. Demzu- Jahre 2009 fast 2,5 Milliarden Euro mehr für Entwick- folge müssen wir ganz besonders sorgsam damit umge- lungshilfe ausgeben als noch 2005. Wir sind damit in- hen. Es ist meines Erachtens ein außerordentlich zwischen das Land mit den zweithöchsten Entwick- wichtiges Signal, dass der Haushalt des BMZ zusammen lungsausgaben weltweit. Das halte ich für eine Tatsache, mit dem der Bildungspolitik von allen unseren Berei- auf die wir in diesem Hause stolz sein können. chen die höchste Steigerungsrate ausweist. Ich denke, das ist ein richtiges Zeichen. Ich denke allerdings auch, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass damit eine große Verantwortung verbunden ist. Allein im letzten Jahr haben wir gut 12,2 Milliarden US- (Dr. Karl Addicks [FDP]: Damit haben Sie Dollar in die Entwicklungszusammenarbeit gegeben. recht!) Nur die USA haben sich mit 21,7 Milliarden US-Dollar noch mehr engagiert. Ernährungssicherung, globale Sozialstandards, welt- weiter Klimaschutz, Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere Meine Damen und Herren, wichtig ist allerdings nicht auch im landwirtschaftlichen Bereich, Unterstützung auf allein, dass wir mehr Geld bereitstellen. Viel wichtiger dem Weg zu Good Governance, Stabilisierung von Ge- ist, wofür wir die bereitgestellten Mittel einsetzen, ob Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18747

Arnold Vaatz (A) wir sie effizient einsetzen und ob sie wirklich bei den scheint mir daher zu sein, die heutige Entwicklungsar- (C) Menschen, für die sie gedacht sind, ankommen. Da sind chitektur zu reformieren. Die multilateralen Institutionen natürlich solche Nachrichten, wie sie der Kollege müssen endlich schlagkräftiger werden. Ein erster Koppelin vorhin vorgetragen hat, keineswegs vertrau- Schritt dazu ist, die Zuständigkeiten eindeutig zuzuord- ensfördernd. Die Politik muss deshalb danach trachten, nen und sie auf wenige Stellen zu konzentrieren. Vor die- dass solche Fehler unterbleiben. Wo wir solche feststel- sem Hintergrund werden wir, glaube ich, in Zukunft len, müssen wir dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht sorgfältig prüfen müssen, ob und in welchem Umfang mehr geschehen. Wenn wir das nicht tun, wird die Ent- wir uns an immer neuen multilateralen Fonds beteiligen wicklungspolitik in eine Legitimationskrise kommen, sollen und an welcher Stelle wir künftig mehr auf bilate- die sich in erster Linie nachteilig auf unsere Empfänger, rale Kooperation setzen wollen. also die armen Länder in der Welt, auswirkt. Deshalb muss es möglich sein, kritisch über die Dinge zu reden, Eine wichtige Eigenschaft des EZ-Haushaltes ist die uns einer Kritik wert erscheinen. auch, dass er flexibel sein muss. Er muss auf neue Ent- wicklungen reagieren können. Er muss vor allen Dingen Das BMZ gibt für das sogenannte Instrument der pro- in der Lage sein, auch andere Kräfte in eine Koordina- grammorientierten Gemeinschaftsfinanzierung mit- tion zu bringen, wenn ein koordiniertes Vorgehen in Be- tlerweile mehr als 560 Millionen Euro pro Jahr aus. So zug auf ein Weltproblem notwendig ist. wird zum Beispiel direkt in die Staatshaushalte von Uganda, Tansania, Ruanda, Benin, Mosambik, Liberia Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich ma- und Äthiopien eingezahlt. Auch Peru, Guatemala und chen, der Lage in Simbabwe. Wir beobachten das Pro- Vietnam werden bedacht. Ich will überhaupt nicht ab- blem seit vielen Jahren. In jüngster Zeit haben wir dort streiten, dass es durchaus vorzeigbare Fälle gibt, bei de- einen Fortschritt beobachten können: Es gibt jetzt eine nen diese Finanzierung Positives für die Empfängerlän- Machtteilung zwischen Regierung und Opposition. Ich der bewirkt hat. Aber mit Afghanistan erhält zum halte es für notwendig und wichtig, dass wir an dieser Beispiel ein Land Budgethilfe, das im Bertelsmann Stelle prüfen können, inwieweit wir diese Situation nut- Transformation Index zur wirtschaftlichen und politi- zen können, um den Demokratisierungsprozess dort zu schen Entwicklung auf Platz 119 von insgesamt 125 un- stabilisieren und diesem Land zu einer wirklichen Per- tersuchten Staaten liegt. Liberia und Äthiopien sind spektive zu verhelfen. Das muss unsere haushaltspoliti- kaum besser eingestuft. Es ist deshalb aus meiner Sicht sche Grundkonstruktion hergeben. Ich halte es für not- sehr bedenklich, dass wir in Haushalte von Ländern ein- wendig, dass wir die Lage dort so einschätzen, wie sie zahlen, in denen es offensichtlich keine ausreichende ist, ganz bestimmt ohne allzu viel Optimismus. Es ist si- Kontrolle über die Staatsfinanzen gibt. Wir werden hier cher so, dass Herr Mugabe sich offenbar gedacht hat, (B) sehr intensiv darüber diskutieren müssen, welche Konse- dass er am besten handelt, indem er seinem Rivalen ei- (D) quenzen, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschüt- nige unlösbare Aufgaben aufgibt, um ihn dann öffentlich ten, aus den ersten Erfahrungen mit diesem umstrittenen bloßstellen zu können. Aber gerade diesen Misserfolg Instrument zu ziehen sind. Richtig ist zunächst einmal, sollte der demokratische MDC nicht haben. Wenn wir dass sich das Parlament jetzt jede einzelne geplante Bud- dazu beitragen können, ihn abzuwenden, dann sollten gethilfe vom BMZ zur Prüfung vorlegen lässt. Das halte wir das tun. ich auch für gut. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Frage, wie wir das Geld am besten einsetzen, müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die bilate- Wenn unsere entwicklungspolitischen Instrumente so rale Zusammenarbeit weiter stärken können; denn das sind, dass sie es eher schwierig machen, in solchen Si- ist ein sehr erfolgreiches Instrument der Entwicklungs- tuationen zu reagieren, dann sollten wir sie überprüfen. zusammenarbeit. Wenn vom Erfolg der Entwicklungszu- Budgethilfe beispielsweise nützt in einem solchen Fall sammenarbeit auch andere Interessen, die wir in der überhaupt nichts. deutschen Politik haben, etwa im Umweltschutz, abhän- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen, müssen wir unsere Mittel für Vorhaben einsetzen, der CDU/CSU) auf deren Ausgestaltung wir später Einfluss nehmen können. Bei multilateralen Institutionen ist das eher sel- Stattdessen müssen wir die Lage im Land analysieren. ten der Fall. Wir müssen insbesondere den Rat der politischen Kräfte, die wir unterstützen wollen, aus dem Land selbst einho- Das gilt umso mehr, als kaum noch eine Weltkonfe- len, zur Kenntnis nehmen und ihn zur Grundlage unserer renz ins Land gehen kann, ohne dass am Ende ein neuer Überlegungen machen. Das ist nicht allein eine Frage Fonds gegründet wird. des Geldes; vielmehr ist es eine Frage der Einstellung, (Hellmut Königshaus [FDP]: Ja!) der Flexibilität und der Fantasie. Zum Teil ist die Abgrenzung zwischen Aktion und Ak- Ich denke, Frau Ministerin, es wird uns in den nächs- tionismus da nicht immer ganz einfach. Die Folge ist: ten Wochen und Monaten glükken, dieses Problem lösen Die multilaterale Institutionenlandschaft wird immer un- zu helfen. Ansonsten hoffe ich, dass unser Haushalt auch übersichtlicher und handlungsunfähiger. Allein für den in anderen Fragen eine gute Grundlage für die Arbeit im globalen Klima- und Umweltschutz gibt es schon heute Rest der Legislaturperiode eröffnet. Ich will Sie bei allen gut zwei Handvoll multilaterale Fonds, und ein Ende des unseren Vorhaben, insbesondere bei der institutionellen Aufwuchses ist nicht absehbar. Unsere Hauptaufgabe Reform, so weit, wie uns das möglich ist, unterstützen. 18748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Arnold Vaatz (A) (Hellmut Königshaus [FDP]: Wenn Sie kön- mehr als genug Nahrung für alle auf der Welt gibt. Laut (C) nen! – Jürgen Koppelin [FDP]: Wie weit ist es der UN-Ernährungsorganisation FAO reicht die vorhan- denn möglich?) dene Nahrungsmittelproduktion für die Ernährung von 12 Milliarden Menschen aus, wenn man 2 700 Kilokalo- Ich hoffe, wir kommen zu einem vernünftigen Ende. rien pro Tag zugrunde legt. Das sind fast doppelt so viele Vielen Dank. Menschen, wie derzeit auf dieser Welt überhaupt leben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Warum waren alle von dieser Krise so überrascht? Es neten der FDP) gab Ernteausfälle und leere Getreidespeicher; davor ha- ben viele Wissenschaftler schon längst gewarnt. Auch Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die steigenden Energiepreise haben einiges dazu beige- Das Wort hat der Kollege Hüseyin-Kenan Aydin, tragen. Die strukturellen Ursachen der Ernährungskrise Fraktion Die Linke. waren jedoch schon lange bekannt. Sie sind auf politi- sche Fehleinschätzungen und eine verfehlte Agrar- und (Beifall bei der LINKEN) Handelspolitik zurückzuführen. Die Liberalisierungs- politik und die Marktöffnung für Agrarprodukte haben Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): dafür gesorgt, dass lokale Märkte im Süden zerstört wur- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- den. Die Exportsubventionen haben zu Dumpingpreisen gen! Wir beraten heute über den Etat des Entwicklungs- von EU-Produkten geführt. hilfeministeriums für das Jahr 2009. Er soll um 12 Prozent steigen. Das haben wir mit Freude zur Kennt- Staaten wie Haiti, Burkina Faso, Ägypten oder auch nis genommen. Mexiko sind nun von Nahrungsmittelimporten abhängig. Ein Beispiel: Der Milchkonzern Campina hat in den letz- Herr Vaatz, die viel gelobte Frau Merkel hat in Heili- ten fünf Jahren allein in Deutschland Agrarbeihilfen in gendamm die Verpflichtung, die ODA-Quote bis zum Höhe von 12,7 Millionen Euro geschenkt bekommen. Jahr 2010 auf 0,51 Prozent und bis zum Jahr 2015 auf Zugleich wurden seit den 80er-Jahren in Westafrika un- 0,7 Prozent zu erhöhen, feierlich bekräftigt. Aufgrund ter dem Druck von WTO, IWF und Weltbank, aber auch der in den letzten beiden Jahren und derzeit geltenden der Regierungen der reichen Länder die Zölle auf Milch- 0,37 Prozent – dies gilt im Jahre 2009 ebenfalls – wird produkte fast völlig auf null gesetzt. Folge: 2005 allerdings im Jahr 2010 festgestellt werden, dass diese kostete in Burkina Faso 1 Liter Milch auf Basis subven- Bundesregierung einen Wortbruch begangen hat, weil tionierten europäischen Milchpulvers 30 Cent, die die vorgesehenen 0,51 Prozent mit der jetzt geplanten Frischmilch der heimischen Viehhirten 45 Cent. Jetzt ra- (B) Steigerung des Etats nicht zu erreichen sein werden. ten Sie einmal, was passiert: Pulvermilch erobert die (D) Dementsprechend empfehle ich Ihnen, mehr Anstren- Märkte; die Produktion von Frischmilch und damit die gungen zu unternehmen, damit die zugesagten Quoten heimische Marktentwicklung werden mit diesen Politi- erreicht werden, um glaubwürdig gegenüber den Ent- ken ganz klar zerstört. Das führt nicht zu einer besseren wicklungsländern zu sein. Entwicklung und trägt auch nicht zur Ernährungssouve- (Beifall bei der LINKEN) ränität dieser Länder bei. Zudem ist es so – das habe ich von diesem Pult aus Ein anderes Beispiel: Haiti hat den Import von Reis schon mehrfach kritisiert –, dass auf die ODA-Quote die zwischen 1992 und 2003 um mehr als 150 Prozent ge- Schuldenerlasse, Studienplatzkosten für Studierende und steigert. 95 Prozent der Importe kommen aus den USA. sogar die Kosten für die Abschiebung unerwünschter Auch das ist subventionierter Reis. Seit Mitte der 80er- Asylbewerber angerechnet werden. Ich halte das für ei- Jahre ist dadurch die Nahrungsmittelproduktion in Haiti nen Skandal. Dies sollte die Bundesregierung dringend pro Kopf um ein Drittel geschrumpft. Das sind die Ursa- korrigieren. Zumindest die Kosten für abgeschobene chen des Hungers. Asylbewerber sollten nicht in die ODA-Quote einge- Ein weiterer Faktor, der sträflich vernachlässigt rechnet werden. wurde, ist der Agrarsektor. Frau Ministerin, es hat mich (Beifall bei der LINKEN) sehr gefreut, dass Sie darauf eingegangen sind. Im Aus- schuss haben wir des Öfteren darüber debattiert. Die Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich daran Förderung der Landwirtschaft im globalen Süden wurde messen lassen, ob sie tatsächlich eine Armutsverminde- während der letzten 20 Jahre komplett vernachlässigt. rung erreicht. Die bisherigen Mittel und Instrumente be- Das ist umso erstaunlicher, als der Kampf gegen Hunger wirken leider das Gegenteil. Das hat uns die Hunger- und Armut das erste und wichtigste der sogenannten katastrophe in diesem Jahr ganz deutlich gezeigt. Zu Millenniumsziele ist. Doch zwischen dem seither wie- Beginn dieses Jahres haben sich die Preise für lebensnot- derholt bekräftigten Anspruch und der Wirklichkeit wendige Grundnahrungsmittel wie Reis und Getreide in klafft eine große Lücke. Der Anteil der Landwirtschafts- nur drei Monaten verdoppelt, verdreifacht und vervier- förderung an der Entwicklungshilfe der Industrieländer facht. ist von 17 Prozent im Jahre 1980 auf 3,7 Prozent im Was waren die Folgen? Ein direkter Anstieg der Zahl Jahr 2007 gesunken. Das sind die Tatsachen. Die Agrar- der Hungernden auf mehr als 900 Millionen Menschen, treibstoffe haben die Preise für Nahrungsmittel in die Hungerrevolten, Fluchtwellen und Angst vor einer unge- Höhe getrieben. Das ist unbestritten. Deutschland hat wissen Zukunft. Es ist mittlerweile unbestritten, dass es mit seiner Quotenpolitik massiv dazu beigetragen, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18749

Hüseyin-Kenan Aydin (A) Anbauflächen für Palmöl, Mais und Soja auszudehnen. [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist ja wohl der (C) Das ist keine kohärente Entwicklungspolitik. Hammer!) Ich möchte auf ein weiteres Gebiet der Zusammen- arbeit verweisen, das die Regierung in den letzten Jahren Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): sträflich vernachlässigt hat: die Sicherstellung einer Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen im obligatorischen, gebührenfreien und qualitativ guten Ausschuss noch detaillierter über die Entwicklungszu- Grundschulbildung. Frau Ministerin, es freut mich, sammenarbeit miteinander sprechen. Ich hoffe, dass die dass Sie gerade auch auf diesen Punkt eingegangen sind. Bundesregierung mit neuen nachhaltigen und kohären- Die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen, ist in den ten Konzepten endlich viel mehr tut, um die Entwick- letzten Jahren zwar gestiegen, sie sagt aber nichts über lung in den armen Ländern so zu stabilisieren, dass Ar- die Qualität der Schulbildung aus. Die Tatsache, dass nur mut vermieden wird und Fluchtursachen ganz bekämpft 20 bis 30 Prozent dieser Kinder einen Schulabschluss er- werden. werben, hat mit der Ausstattung mit Lehrmaterialien und Danke schön. Lehrkräften zu tun. Es bedarf größerer Anstrengungen. Hierzu haben wir einen Antrag in den Bundestag einge- (Beifall bei der LINKEN) bracht, über den wir in den nächsten Wochen beraten. Er wird, wie ich hoffe, dank Ihrer Zustimmung beschlos- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sen, damit wir vorankommen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Thilo Hoppe, Bünd- nis 90/Die Grünen. Es gäbe viel zum entwicklungspolitischen Haushalt zu sagen, den wir in den nächsten Wochen im Ausschuss beraten werden, ich will aber nur noch einen weiteren Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Punkt kurz ansprechen: Entwicklungspolitik soll Präven- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tion sein. Wenn Entwicklungspolitik Prävention sein und Müsste ich meinen Kommentar zum vorgelegten Haus- einen längerfristigen, nachhaltigen Frieden sicherstellen haltsentwurf in einem Slogan zusammenfassen, dann soll, dann muss manchen Projekten von Entwicklungs- würde ich sagen: Gut, aber nicht gut genug. Wir erken- politikern eine Absage erteilt werden. Vor allem der nen an und begrüßen ausdrücklich, dass die entwick- CDU/CSU-Fraktion rufe ich zu: Mit dem Bau des Ilisu- lungsrelevanten Mittel um 800 Millionen Euro steigen Staudamms in der Türkei, werden. Doch es gilt: Versprochen ist versprochen, und Versprechen muss man halten. (Beifall bei der LINKEN) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: (B) der mit Hermesbürgschaften der Bundesregierung si- Ach!) (D) chergestellt wird, verstößt man nicht nur gegen soziale Standards und gegen die Menschenrechte der Menschen – Ja, natürlich. Das ist klar. am Tigris; der Staudamm in der Türkei wird auch dazu Das, was die Bundesregierung auf vielen Konferen- führen, dass das Wasser für die Iraki und die Syrer im zen versprochen hat, zum Schluss die Kanzlerin sehr Jahr 2020 oder 2030 möglicherweise so knapp sein wird, medienwirksam in Heiligendamm, würde bedeuten, die dass aufgrund dessen ein Flächenkrieg in der Region Mittel Jahr um Jahr um 1 Milliarde Euro zu steigern. entsteht. Dafür werden Sie mit zur Verantwortung gezo- gen. Das tue ich hiermit. Ich hoffe, das macht Sie nach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denklich. Ich hoffe, dass die CDU/CSU bei ihrem Wirt- Wir nehmen Sie da beim Wort und werden im Haus- schaftsminister interveniert, damit die Hermesbürgschaft haltsverfahren Anträge einbringen, die die Kluft zwi- endlich entzogen wird. schen dem Versprochenen und dem tatsächlich Eingehal- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute tenen zumindest etwas kleiner machen. Denn wenn wir Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) so weitermachen wie bisher, dann wird die Lücke immer größer. Die Europäische Kommission hat genau ausge- Dieses Projekt in der Türkei, das Menschenrechte ver- rechnet, dass bereits in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro letzt, Sozialstandards ad absurdum führt und die Ursache fehlen. Wenn keine Kurskorrektur erfolgt, dann wird die eines möglichen Krieges darstellt, muss endlich beendet Lücke im nächsten Jahr bereits 3 Milliarden Euro betra- werden. gen. Der Regierung geht die Puste aus, und sie wird ihre (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Versprechen nicht erfüllen können, da sie nicht dafür Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sorgt, eine solide Finanzierung für die zugesagten Stei- gerungen auf die Beine zu stellen. (Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU] meldet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich zu einer Zwischenfrage) Wir haben uns immer für einen Dreiklang ausgespro- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: chen, um die ODA-Mittel steigern zu können: höhere Ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, da der Haushaltsmittel, weitere Entschuldung und – das ist jetzt Kollege seine Redezeit bereits weit überschritten hat. ganz besonders wichtig – neue innovative Finanzie- rungsinstrumente. Sich dabei ausschließlich auf den (Hellmut Königshaus [FDP]: Ich habe ge- Emissionshandel zu stützen, wie das die Bundesregie- dacht, das sei nur gefühlt! – Hartwig Fischer rung tut, wird nicht ausreichen. Es rächt sich, dass die 18750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Thilo Hoppe (A) Koalition es nicht geschafft hat, sich auf die Einführung Sonst fehlt das Geld für die Verfolgung der anderen (C) einer Flugticketabgabe zu einigen. Auch das Projekt De- wichtigen Millenniumsziele: für die Aids-Bekämpfung, visenumsatzsteuer hat sie wahrscheinlich ad acta gelegt. die Hungerbekämpfung, die Bildung und die Gesund- Eine Flugticketabgabe, wie sie die Franzosen bereits heit. Das Klima zu retten und die Erderwärmung zu be- praktizieren, würde allein 300 Millionen Euro pro Jahr grenzen, ist eine große globale Gemeinschaftsaufgabe. einbringen. Wenn man eine Devisenumsatzsteuer ein- Dafür brauchen wir dringend neue Finanzierungsmecha- führen würde – ich weiß, das geht nur im Einklang mit nismen. Das geht nicht allein aus den Kassen der Ent- vielen anderen Playern –, brächte ein Satz von nur wicklungspolitik. 0,005 Prozent Mehreinnahmen in zweistelliger Milliar- Was die klassischen Millenniumsziele betrifft – das denhöhe. wurde bereits erwähnt –, sind wir gerade bei der Hun- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gerbekämpfung von der Erfolgsspur noch sehr weit ent- Ja, warum darauf verzichten?) fernt. Die Hunger Task Force, die sich auf Initiative von Ban Ki-moon neu gebildet hat, geht davon aus, dass wir Wir haben diese Vorschläge auf den Tisch gelegt. vielleicht schon im nächsten Jahr die 1-Milliarde-Grenze Wenn die Regierung unsere Vorschläge ablehnt – das erreichen, was die Zahl der Menschen angeht, die chro- kann sie tun –, muss sie aber Alternativen vorlegen nisch bedrohlich unterernährt sind. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle uns darüber im SES 90/DIE GRÜNEN) Klaren sind, was das bedeutet; das gilt auch für die breite Öffentlichkeit. Um nur einige Konsequenzen zu nennen: und deutlich machen, mit welchen Instrumenten und Neben den vielen schrecklichen Einzelschicksalen hun- welchen Finanzierungsmöglichkeiten sie diese Erhöhun- gernder und verhungernder Menschen wird es zu Wan- gen erreichen will. Oder seien Sie bitte ehrlich und sagen derbewegungen und zu einem verstärkten Druck auf die Sie: Wir können uns nicht auf andere Finanzierungs- Wälder kommen, die im Hinblick auf die biologische instrumente einigen, wir können uns die zusätzlichen Vielfalt und das Klima eigentlich geschützt werden Milliarden nicht aus den Rippen schneiden. Dann lässt müssten. Es werden Aufstände stattfinden, und die Hun- sich aber das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 nicht erreichen. gerfrage wird sich zu einer Sicherheitsfrage entwickeln. Wir stehen vor zwei riesengroßen globalen Heraus- Auf dem Welternährungsgipfel im Rom wurde end- forderungen, die wir nur stemmen können, wenn wir lich die entscheidende Rolle der Kleinbauern herausge- erstens deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, wenn stellt und betont, dass gerade sie auf nachhaltige Art und wir zweitens die Qualität der Entwicklungszusammen- Weise gefördert werden müssen, um für lokale und re- (B) arbeit entscheidend verbessern und wenn wir drittens gionale Märkte Nahrungsmittel zur Verfügung stellen zu (D) endlich damit aufhören, Erfolge der Entwicklungszu- können. Wir haben das seit langer Zeit gefordert, schon sammenarbeit durch krasse Fehlentscheidungen auf an- zu Zeiten von Rot-Grün, deren Politikfeldern, wie im Handels- und Agrarbereich, (Hellmut Königshaus [FDP]: Da wurde aber wieder zunichtezumachen. Wir haben da von den Kolle- nichts gemacht!) gen einige Beispiele gehört. Ich nenne nur die Wieder- einführung von Agrarexportsubventionen für Schweine- haben uns gegenüber unserem Koalitionspartner aber fleisch. Das ist völlig kontraproduktiv zu dem, was wir leider nicht immer durchsetzen können. Schon damals in der Entwicklungspolitik machen. ist die ländliche Entwicklung leider vernachlässigt wor- den. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Zugunsten anderer Diese Inkohärenz muss beseitigt werden. Schwerpunkte!) Die beiden Megaherausforderungen sind der Klima- Zur Bekämpfung des Hungers sind viele Maßnahmen wandel und die Erreichung der Millenniumsziele. Durch notwendig. Dazu gehört die schnellstmögliche Abschaf- die sich dramatisch zuspitzende Welternährungskrise fung der Agrarexportsubventionen. Was diese Maß- aufgrund der stark ansteigenden Preise sind wir gerade nahme betrifft, werden wir Entwicklungspolitiker einer beim wichtigsten Millenniumsziel – der Halbierung der Meinung sein. Davon müssen wir eher die Agrarlobby Zahl der Hungernden – weit weg von der Erfolgsspur. überzeugen. Entwicklungspolitik kann nur dann erfolgreich sein, Weitere wichtige Punkte sind die Eindämmung der wenn sie Armutsbekämpfung und globalen Umwelt- und Spekulation mit Lebensmitteln, die Einführung von ver- Klimaschutz konsequent zusammenbringt und nicht ge- bindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskrite- geneinander ausspielt. rien für die gesamte Agrarpalette – nicht nur für die Agrotreibstoffe, sondern auch für die Futtermittelpro- Lassen Sie mich zum Klimawandel nur so viel sagen: duktion, für Kaffee, Baumwolle usw. –, damit es nicht zu Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen, einer Flächenkonkurrenz kommt und das Recht auf Nah- wie etwa große Programme zum Schutz der tropischen rung nicht ausgehöhlt wird. Regenwälder, können nicht allein aus den Etats der Ent- wicklungshilfeministerien finanziert werden. Es kann Für uns Entwicklungspolitiker spielt insbesondere in höchstens ein Anfang sein, dass man Pilotprojekte auf den Haushaltsberatungen auch Folgendes eine Rolle: den Weg bringt. Wir brauchen mehr Geld und bessere Konzepte für die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18751

Thilo Hoppe (A) ländliche Entwicklung. In diesem Bereich sind zwar In diese Richtung geht die internationale Diskussion. (C) große Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings ausge- Hier aber streiten besonders viele – nicht alle, aber viele hend von einem sehr geringen Niveau. Bisher sind ge- von Union und FDP – eher für eine Nationalisierung der rade einmal etwas mehr als 3 Prozent der bilateralen EZ Entwicklungspolitik, ganz stark für das bilaterale Ele- in den ländlichen Bereich geflossen. Jetzt sollen es ment, an das wieder die deutsche Flagge geheftet werden 5 Prozent werden. kann. Die Hunger Task Force der Vereinten Nationen for- Zudem gibt es eine große Diskussion über die Lie- dert ein Zehn-zu-zehn-Abkommen, das wir mit Nach- ferentbindung, also darüber, Entwicklungspolitik und druck unterstützen. Sie möchte, dass 10 Prozent der na- Außenwirtschaftsförderung nicht miteinander zu verzah- tionalen Entwicklungsetats in den Agrarsektor fließen. nen. Bei Union und FDP zeigt sich immer wieder das Allerdings sollten auch die afrikanischen Staaten ihre Bestreben, diese beiden Bereiche, die beide ihre Berech- Zusage, die sie auf einer Konferenz in Maputo gegeben tigung haben, aber sauber getrennt werden sollten, mit- haben, einhalten und 10 Prozent ihrer nationalen Haus- einander zu verzahnen. Die Entwicklungsaufgaben, die haltsmittel in die Förderung des Agrarsektors stecken. MDGs, sind so wichtig, so lebensnotwendig, dass jeder Euro so effizient wie möglich genutzt werden muss. An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dere Ziele wie die Sicherung von Arbeitsplätzen in Zusammenfassend ist zu sagen: Wir fordern mehr Deutschland sind auch wichtig und erstrebenswert. Das Mittel und tragfähige Konzepte für Ernährungssiche- sollte aber bitte nicht aus den Kassen des Entwicklungs- rung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Außer- ministeriums bezahlt werden. dem fordern wir mehr Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan; in den nächsten Wochen werden wir über Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dieses Thema noch viele Debatten führen. Wir fordern Herr Kollege Hoppe, ich muss Sie jetzt wirklich an pro Jahr mindestens 200 Millionen Euro, um die große Ihre Zeit erinnern. Diskrepanz zwischen zivilen und militärischen Anstren- gungen ein wenig auszugleichen. Außerdem fordern wir Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mehr Geld für den Erhalt der tropischen Regenwälder Quantität und Qualität der Entwicklungszusammen- und für Maßnahmen, die den Klimawandel aufhalten arbeit müssen verbessert werden. Vor allen Dingen muss und die biologische Vielfalt schützen. endlich eine kohärente Politik angestrebt werden, bei der Um die Millenniumsziele zu erreichen und die Quali- alle Politikbereiche an einem Strang ziehen. tät sowie die Quantität der Entwicklungszusammen- Ich danke Ihnen. (B) arbeit zu verbessern, sind große Anstrengungen notwen- (D) dig. Was die Qualität angeht, warten wir noch immer auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die versprochene institutionelle Reform. Leider mussten und müssen wir mit ansehen, dass sie im Koalitionsstreit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: steckengeblieben ist. Wir halten es für dringend notwen- Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin dig, GTZ und KfW zu einer schlagkräftigen bundeseige- Dr. Bärbel Kofler. nen Entwicklungsagentur zusammenzuführen. Wir hof- fen, dass sich die Koalition auf den letzten Metern doch (Beifall bei der SPD) noch einigt und sich zu einem entsprechenden Projekt durchringt. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Wie ich sehe, läuft mir die Zeit davon. Allerdings Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass zur Quali- gen! Auch ich möchte zu Beginn den sehr erfreulichen tät der Entwicklungszusammenarbeit auch gehört, dass vorliegenden Haushalt loben. Ich denke, es ist sehr wich- dieses Haus zur Kenntnis nimmt, über was auf den gro- tig, noch einmal deutlich festzustellen, dass der Haushalt ßen Konferenzen, zum Beispiel auf der Konferenz in im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozent aufwächst. Accra, diskutiert wird. Denn die Diskussion über die Das ist eine positive Entwicklung, und das ist von allen Qualität klafft international und national weit auseinan- Rednern in diesem Haus begrüßt worden. Mittlerweile der. sind wir bei einer Summe von knapp 5,8 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit – für Entwick- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lungszusammenarbeit, Herr Kollege Vaatz, nicht für Ent- So ist es!) wicklungshilfe. In Accra – wir sind mit einer Delegation dort gewesen – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben alle Player – Nichtregierungsorganisationen, Ver- sowie bei Abgeordneten der SPD – Hellmut treter der Entwicklungsländer und Vertreter anderer Ge- Königshaus [FDP]: Oh, mein Gott!) bernationen – darauf hingewiesen, dass gerade die Mittel für die Instrumente, die Sie sehr kritisch beurteilt haben, Es ist auch erfreulich, dass die Entwicklungszusam- zum Beispiel die programmorientierte Gemeinschafts- menarbeit nicht nur in unserem eigenen Ressort, im finanzierung und die Budgethilfe, gesteigert werden Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit müssten, natürlich nicht unkonditioniert. und Entwicklung, sondern auch in anderen Ressorts Fuß fasst und greifen kann. Ich halte es für wichtig, dass an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dere Ressorts in die Entwicklungszusammenarbeit ein- 18752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Bärbel Kofler (A) bezogen werden. Das hat etwas mit Politikkohärenz und (Jürgen Koppelin [FDP]: Wie war das mit Ka- (C) mit einem vernünftigen Mitteleinsatz in den verschiede- merun? – Dr. Karl Addicks [FDP]: Noch ein- nen Ressorts zu tun. Es bedarf allerdings einer ordentli- mal zurück zu Kamerun, Frau Kollegin!) chen Abstimmung der Ressorts untereinander und der Erkenntnis, dass Entwicklungspolitik eine Querschnitts- – Stellen Sie eine Frage, oder lassen Sie mich weiterre- aufgabe ist, die in allen Politikbereichen von enormer den. Bedeutung ist. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Lassen Sie mich zu einem Punkt Stellung nehmen, Bloß keine Frage mehr!) der sehr kritisch angemerkt worden ist. Das Thema der Unsere bilaterale Durchführungsorganisation sagt, Budgethilfe geistert seit Wochen, Monaten und Jahren dass dort ein ganz anderer und wesentlich entspannterer durch unsere Debatten. Es ist erstaunlich, mit welcher Umgang mit dem Thema Budgethilfe herrscht, als Sie Hartnäckigkeit man manchmal an lieb gewordenen Vor- ihn hier geschildert haben. Warum ist das so? Das ist so, urteilen festhält, auch wenn man es besser wissen weil die meisten Maßnahmen, die wir durchführen, or- könnte. dentlich begleitet werden. In Kamerun gibt es zum Bei- (Zuruf von der SPD: Manche sind eben spiel einen Mitarbeiter der GTZ, der die Regierung im unbelehrbar!) Bereich der Forstpolitik berät Ich beziehe mich auf eine Anfrage, die Herr Kollege (Jürgen Koppelin [FDP]: Ich habe jetzt nicht Koppelin gestellt hat. In dieser fragt er die Bundesregie- von Kamerun gesprochen!) rung zur Budgethilfe mit Kamerun, ob es richtig sei, die – die Kollegin Koczy und ich haben ihn kennengelernt von Ihnen zitierten 34 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 und mit ihm und dem Forstminister gesprochen – und als Budgethilfe auszugeben. Die Bundesregierung ant- für eine ordentliche begleitende Technical Assistance wortet mit Nein; dies treffe nicht zu. Die Bundesregie- sorgt, wie das bei solchen Projekten, bei Projekten der rung erläutert detailliert, dass die gesamte Zusammen- allgemeinen und sektoralen Budgethilfe und bei soge- arbeit mit Kamerun 34 Millionen Euro ausmache, nannten PGF-Programmen, im Allgemeinen auch üblich 22 Millionen Euro finanzielle Zusammenarbeit, 12 Mil- ist. lionen Euro TZ. Im Rahmen der finanziellen Zusam- menarbeit sei dies eine Frage der sektoralen Budgethilfe; Was ist das Wesentliche an der Budgethilfe? Ich man muss hier sehr sauber trennen. Für die Forstpolitik finde, man sollte den Dialog auf Augenhöhe suchen. wird geprüft, ob man das in diesem Bereich so umsetzen Was machen wir denn in der Entwicklungspolitik? Be- kann. stimmen wir, wie die Entwicklung in anderen Ländern (B) (D) Ich finde es unlauter, wenn mit Beispielen gegen das auszusehen hat, weil wir alleine das Wissen haben und Instrument der finanziellen Zusammenarbeit argumen- dort Projekte auflegen? Haben wir so unsere Entwick- tiert wird, obwohl man ganz andere Zahlen, ganz andere lungspolitik zu gestalten? Nein, das Gegenteil ist der Informationen und ganz andere Antworten vorliegen hat. Fall. Wir haben ein Instrumentarium, mit dem man auch gemeinsam mit den Partnern notwendige Strukturverän- (Beifall bei der SPD – Dr. Sascha Raabe derungen angehen und besprechen sowie Strukturpolitik [SPD]: Und das wollen Haushälter sein! Gut, betreiben kann. Ich glaube, auch das ist ein wichtiges dass die nicht an der Regierung sind!) Kennzeichen moderner Entwicklungspolitik, die im Übrigen vor zehn Jahren durch Rot-Grün eingeleitet Das Gleiche gilt für die Frage, ob wir eine Budget- worden ist. hilfe für Afghanistan leisten. Auch das tun wir nicht. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit nur einmal feststellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vielleicht ist es notwendig, noch einmal einige Takte DIE GRÜNEN) zum Thema der Budgethilfe generell zu sagen. Natürlich wird die Budgethilfe kontrolliert. Selbstver- (Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gut!) ständlich ist es auch möglich, die Budgethilfe für Länder zu beenden, wenn entsprechende Voraussetzungen nicht Niemand behauptet, dass Budgethilfe das allein selig gegeben sind: machende Mittel der Entwicklungszusammenarbeit ist. Das Ganze ist aber in einem internationalen Kontext mit (Jürgen Koppelin [FDP]: Das hat der Rech- Partnern abgestimmt worden. Herr Kollege Hoppe hat nungshof aber anders festgestellt!) die Diskussion auf internationaler Ebene geschildert. siehe Nicaragua. Das ist eines der Beispiele. Die Budgethilfe ist ein vernünftiges Instrumentarium zur Zusammenarbeit mit Ländern, die man auswählt und bei Ich denke, wenn wir über den Entwicklungshaushalt denen man genau prüft, ob mit ihnen eine solche Form diskutieren, dann ist es ganz entscheidend, auch darüber der Zusammenarbeit möglich ist. zu diskutieren, wie wir die Mittel verwenden wollen, wie die Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren generell (Dr. Karl Addicks [FDP]: Das haben Sie bei gestaltet und strukturiert werden soll und welche Defi- Kamerun aber nicht getan!) zite man noch sieht. In Accra wurde aufgezeigt, dass die – Herr Kollege Addicks, ich habe gerade erläutert, was Koordination aller Beteiligten sicher verbessert werden wir hinsichtlich Kamerun tun. Es wäre schön, wenn Sie kann: im Sinne von mehr Wirksamkeit und mehr Effi- irgendwann auch einmal zuhören würden. zienz in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18753

Dr. Bärbel Kofler (A) Ich glaube aber auch, dass es an der Zeit ist, von rück- verändern, um die Armut aus eigener Kraft und nachhal- (C) wärtsgewandten Ideen und Diskussionen, die in den Me- tig bekämpfen zu können. Das Land braucht auf dem dien manchmal herumgeistern, in denen zum Beispiel Weg dorthin Unterstützung und Hilfe. Dazu gehören die von einer Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der bilate- Vermittlung von Know-how, Beratung und finanzielle ralen EZ und einer Übertragung dieser Befugnis auf die sowie humanitäre Unterstützung. deutschen Botschaften gesprochen wird, Abstand zu nehmen, weil das einer Entwicklungspolitik, die sich als (Beifall bei der SPD) Strukturpolitik im Zusammenwirken mit den Partnerlän- Was passiert dort? Durch den Besuch des Landes dern versteht, einfach nicht gerecht wird und weil man konnten wir es beobachten: Durch das Know-how und mit solchen Ideen nicht auf der Höhe der Zeit ist. die Mittel, die wir Ruanda bereitstellen, werden Steuer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ behörden, Rechnungshöfe und eine dezentrale Verwal- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Christian tung aufgebaut. Außerdem werden Parlamente gestärkt Ruck [CDU/CSU]) und eingerichtet. Dies ist ein ganz elementares Zeichen dafür, dass es eine Regierung mit der Armutsbekämp- Wir brauchen ein Mehr an Dialog auf Regierungs- fung ernst meint. ebene, auf Parlamentsebene und zwischen den zivilge- sellschaftlichen Institutionen der Länder und ein Mehr Außerdem wird das notwendige Personal in den ent- an Transparenz. Auch dafür kann mit der viel gescholte- sprechenden Bereichen bereitgestellt. Dies ist gar nicht nen Budgethilfe durchaus der eine oder andere Anreiz so einfach, da qualifiziertes Personal benötigt wird. Das gegeben werden. Wir brauchen beim Aufbau der Struk- wurde uns vom Rechnungshof berichtet: Man braucht turen eine Unterstützung unserer Partnerländer. qualifizierte Mitarbeiter, die so gut bezahlt sind, dass sie beim Rechnungshof bleiben und nicht von anderen Fir- In den Zeitungen war ein sehr schönes Zitat des men abgeworben werden. Diese Mitarbeiter werden ge- Staatspräsidenten von Ghana darüber zu lesen, wie er die braucht, damit die eben genannten Institutionen aufge- Entwicklungszusammenarbeit sieht. Dort stand: Ent- baut werden können. Das muss allerdings finanziert wicklungszusammenarbeit muss die Kapazitäten von werden. Regierungen und Verwaltungen stärken und in den Emp- fängerländern ökonomische Muskeln aufbauen lassen. – Diese Institutionen sind die Basis dafür, dass Länder Ich finde, das ist eine sehr richtige Aussage. Damit wird ihre eigenen Einnahmen steigern können. In Ruanda ausgesagt, dass nicht nur Veränderungen bei Projekten, – das möchte ich nebenbei einmal erwähnen – hat man die im Einzelnen sehr sinnvoll sein können – das möchte in den letzten zehn Jahren eine Versechsfachung der ich nicht bestreiten –, sondern auch der Strukturen ange- Steuereinnahmen verzeichnet, weil die Basis für Steuer- (B) gangen werden müssen, der Strukturen, die dazu führen, einnahmen mittlerweile eine andere ist. (D) dass Menschen in Armut leben, die in den Ländern Außerdem stellt sich folgende Frage – da geht es um selbst nicht nachhaltig bekämpft werden kann. Hierfür nachhaltige Armutsbekämpfung –: Wie geben diese müssen wir geeignete Instrumentarien und geeignete Länder die Mittel aus? Es muss überprüft werden, ob in Mittel finden. einem Land vernünftige Ansätze gewählt werden, zum (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] – Beispiel die sogenannte Community-based Insurance. Es Dr. Karl Addicks [FDP]: Die Wirtschafter- muss untersucht werden, ob soziale Versicherungssys- länder stärken!) teme auf das ganze Land ausgedehnt werden, sodass die 95 Prozent der im informellen Sektor beschäftigten – Um auf den Zwischenruf einzugehen: Die Wirtschaf- Menschen in Ruanda etwas davon haben. Für die Men- terländer kann man nur stärken, indem die Gesamtstruk- schen wäre das eine Absicherung. Außerdem würde da- tur der einzelnen Länder in einem vernünftigen Maße durch der soziale Frieden im Land aufgebaut und stabili- gestärkt wird. Dazu müssen zuvor Verwaltungen ge- siert. stärkt und ein Rechtssystem aufgebaut werden, die ver- nünftig funktionieren. Ich bin sehr stolz, dass es der SPD-Fraktion, aber auch insgesamt den Koalitionsfraktionen im letzten Jahr Das kann man am Beispiel Ghana erkennen, wenn gelungen ist, die sozialen Sicherungssysteme durch ei- man sich das dortige Justizwesen anschaut und sich die nen gemeinsamen Antrag voranzubringen. Ich bin stolz Diskussionen über die Boden- und Landrechtsreform so- darauf, dass er vom Ministerium im Haushalt aufgegrif- wie darüber anhört, welche begleitenden Beiträge man fen worden ist. Man kann an vielen Ländern in Ansätzen hier wirklich leisten kann, damit die Streitfragen in die- sehen, wie man an dieser Stelle zu einer positiven Wei- sem Land zum Wohle der Bürger beantwortet werden terentwicklung kommt. können und – das ist nichts Ehrenrühriges; dagegen hat ja niemand etwas – damit in diesen Ländern später auch Man kann es an vielen Beispielen sehen: Entwick- investiert werden kann. lungspolitik ist wesentlich mehr als nur Nothilfe; dies sollte man an dieser Stelle deutlich machen. Im Rahmen der Debatte um den Strukturaufbau sollte man den Blick auch auf Ruanda richten. Die Kol- Der Haushaltsplan ist aus meiner Sicht sehr positiv zu legen, die an der Reise teilgenommen haben und viel- bewerten. Zu vielen Punkten wird es spannende und län- leicht mit einigen neuen Erkenntnissen nach Hause ge- gere Diskussionen geben. Ich finde es sehr schön, dass kommen sind, können bestätigen, dass Ruanda ein Land der Zivile Friedensdienst deutlich mehr Mittel zur Ver- ist, das sehr viel dafür tut, seine eigenen Strukturen zu fügung gestellt bekommt. Ich weiß, dass durch diesen 18754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Bärbel Kofler (A) Beitrag nicht alle Konflikte in den Konfliktregionen ge- Hellmut Königshaus (FDP): (C) löst werden können. Ich war vor kurzem im Ostkongo. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mir ist sehr wohl bewusst, dass dadurch die Probleme Ministerin, vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, Ihnen bezüglich der Verteilung von Ressourcen, der Verteilung zu einem einschneidenden Ergebnis im Laufe eines Le- von Armut und Reichtum, der Rechtlosigkeit und bens zu gratulieren. Auch heute will ich Ihnen eine Gra- Rechtsstaatlichkeit sowie der Rebellenbewegungen nicht tulation zukommen lassen. Sie sind seit nunmehr fast gelöst werden können. zehn Jahren im Amt und damit die dienstälteste Ministe- rin. Das nehme ich zum Anlass, Ihnen zu gratulieren. Aber es gilt auch Folgendes zu beachten, was uns von einem Wissenschaftler eines Instituts in Goma gesagt Ich glaube, an dieser Stelle ist es auch an der Zeit, wurde: Der Krieg hat die Psyche der Menschen nachhal- festzustellen, dass Sie auch eine der durchsetzungskräf- tig verändert und geschädigt. Bevor wir mit irgendwel- tigsten Persönlichkeiten in der vorangegangenen wie chen Arbeiten beginnen können, müssen wir den Men- auch in dieser Regierung sind. Das wollen wir Ihnen schen, die nicht mehr dieselben sind wie vor dem Krieg, gerne konzedieren, verbunden mit einem speziellen helfen, damit sie wieder unter menschlichen Bedingun- Kompliment und einem besonderen Hinweis an Herrn gen, einschließlich einer gesunden Psyche, einer gesun- Diller. Das Problem dabei ist allerdings, dass Ihr Modell den Seele, leben können. so erfolgreich war, dass nicht nur Sie ein Neben-Aus- wärtiges-Amt aufgebaut haben, sondern inzwischen Gerade in diesem Bereich leistet der Zivile Friedens- auch Herr Gabriel und einige andere damit beginnen. dienst, auch in so schwierigen Regionen wie dem Ost- Damit wird die Lage immer unübersichtlicher, und es kongo, eine sehr gute Arbeit. Ich bin sehr froh, dass der kommt zu Reibungsverlusten. Etat in diesem Bereich deutlich aufgestockt wurde. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn wir uns dem vorliegenden Haushalt und dem der CDU/CSU) Einzelplan Ihres Ministeriums zuwenden, dann müssen wir mit Respekt feststellen, dass es einen stattlichen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Aufwuchs gibt, im Übrigen auch mit Zustimmung der Frau Kollegin Kofler, auch Sie muss ich an Ihre Re- FDP. Vielleicht können Sie, Herr Diller, Herrn Minister dezeit erinnern. Steinbrück mitteilen, dass er sich irrt, wenn er glaubt, dass wir als FDP etwas dagegen hätten. Auch wir for- dern, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Der Aufwuchs ist tatsächlich begründet. Er ist aber in Ich komme zum Schluss und kann leider nicht mehr (B) der Sache, was die Instrumente angeht, in vielen Berei- (D) über Afghanistan, über „weltwärts“ und über die Bil- chen unausgewogen. Vom Instrument der Budgethilfe dung diskutieren. Das können wir nächste Woche ma- war bereits die Rede. Wir lehnen die Budgethilfe als In- chen. strument nicht ab, aber wir verlangen, dass bestimmte Herr Kollege Aydin, wir haben einen besseren Antrag Voraussetzungen erfüllt sind, wie auch der Kollege vorgelegt als Sie. Damit befassen wir uns nächste Wo- Vaatz eben festgestellt hat. Zuerst müssen ordentliche che. Strukturen entstehen. Erst muss das Fass einen Boden haben, bevor man Geld hineintun kann. Das gilt auch für Ich glaube, dass es sinnvoll ist, in der Entwicklungs- öffentliche Mittel aus Deutschland. Das ist die richtige politik endlich etwas anderes zu sehen als ein punktuel- Reihenfolge. les Helfen in einzelnen Situationen. Wir müssen uns vielmehr darauf konzentrieren, Entwicklungspolitik mit (Beifall bei der FDP – Dr. Karl Addicks Strukturpolitik zu verbinden, die notwendigen finanziel- [FDP]: So wird ein Schuh daraus!) len Mittel zur Verfügung zu stellen, über einen intelli- Deshalb lehnen wir auch entsprechende Quoten ab. genten Instrumentenmix nachzudenken – Man kann beispielsweise nicht davon ausgehen, dass grundsätzlich 66 Prozent der finanziellen Hilfe als Bud- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gethilfe zu gewähren sind – das ist eine der Zahlen, die im Raum stehen –, weil das auf irgendeiner Konferenz Frau Kollegin Kofler! beschlossen worden ist. Ich weiß aber, dass in 66 Prozent der Fälle die Voraussetzungen nicht erfüllt Dr. Bärbel Kofler (SPD): sind. Es ist doch Unfug, eine solche Quote festzusetzen. – und bei allen unseren Kollegen um Verständnis für Man muss jeweils im Einzelfall prüfen, ob die Voraus- diese Änderungen in der Entwicklungspolitik zu werben. setzungen gegeben sind und ob die Budgethilfe nötig ist. Darum geht es uns. Herzlichen Dank. Deshalb müssen wir an dieser Stelle sagen, dass wir (Beifall bei der SPD) falsch liegen, wenn wir davon ausgehen, dass wir eine Quote – egal welche – erreichen müssen. Das gilt im Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Übrigen auch für die Quotenversessenheit der EU, die wir für genauso verfehlt halten. Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDP- Fraktion. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18755

Hellmut Königshaus (A) Wenn wir Sie also dafür loben, dass Sie einen Haus- vernachlässigen, zum Beispiel die Frage nach den inno- (C) halt aufgestellt und durchgesetzt haben, der einen stattli- vativen Finanzierungsinstrumenten. chen Umfang hat, dann müssen wir aber auch hinzufü- gen, dass es in diesem Haus leider immer noch eine Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: falsche Schwerpunktsetzung gibt. Wir wissen das, und Herr Kollege Königshaus! wir haben mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie derzeit dabei sind, das Ankerländerkonzept und Hellmut Königshaus (FDP): auch die finanzielle Hilfe für China unter diesem Ge- Ich bin schon am Ende. sichtspunkt zu prüfen. (Heiterkeit im ganzen Hause) China ist ein griffiges Beispiel, über das wir immer wieder reden müssen, insbesondere wenn es um die Re- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: lation zu anderen Bereichen geht. Wenn wir bei der Es wäre ein gutes Ende, Herr Königshaus. ODA-Quote die Hilfeleistungen an China zusammen- rechnen – die neuesten Zahlen liegen noch nicht vor; aber die letzte gemeldete Zahl betrug etwa 200 Millio- Hellmut Königshaus (FDP): nen Euro –, dann müssen wir feststellen: Gemessen da- Was, bitte schön, ist eine Institutionenreform? Diese ran ist das, was wir für ein strategisch so wichtiges Land und viele andere Fragen wollen wir Ihnen gerne stellen. wie Afghanistan ausgeben – das haben wir heute mehr- Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie uns mit zusätzlichen fach gehört –, einfach zu wenig. Wir erkennen zwar an, Auskünften! Sie haben die Chance zu einem Politik- dass ein Aufwuchs bei den Mitteln für Afghanistan statt- wechsel, weil Sie einen entsprechenden Aufwuchs zu findet. Das reicht aber überhaupt nicht aus, insbesondere verzeichnen haben. Nutzen Sie sie! nicht im Vergleich zu anderen Ländern. Wir bitten Sie Ich danke Ihnen. daher, eine Überprüfung vorzunehmen. (Beifall bei der FDP) Wir sind sicherlich sehr froh, dass einiges in dieser Richtung passiert ist. Aber die 30 Millionen Euro Nah- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rungsmittelhilfe beispielsweise sind auf dieses Jahr Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kol- begrenzt. Sollen die Menschen also nicht dieses Jahr, legin Wieczorek-Zeul. sondern erst nächstes Jahr verhungern? Das kann nicht richtig sein. Das spricht doch für einen dauerhaften Auf- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): wuchs. Wie ist es beispielsweise um das Verhältnis von (B) militärischen und anderen Sicherungsmaßnahmen zur Herr Kollege Königshaus, ich möchte Sie darauf hin- (D) konkreten Aufbauhilfe bestellt? Wir sichern in Afgha- weisen, dass die Zahlen, die Sie im Zusammenhang mit nistan militärisch, um aufbauen zu können. Also kann es China genannt haben, überhaupt nichts mit meinem Etat nicht sein, dass wir nur minimal aufbauen, während wir zu tun haben. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind gleichzeitig mit enormem Aufwand sichern. Um unter anderem Zahlen, die die Bundesländer als Studien- schnellstmöglich wieder abziehen zu können, müssen platzkosten für in Deutschland studierende Chinesen, als wir den Aufbau voranbringen; das ist doch das Ziel. Official Development Assistance, gemeldet haben. Das war schon immer so. Das habe nicht erst ich eingeführt; Sie halten uns immer entgegen, das Land sei gar nicht vielmehr haben das Regierungen verankert, an denen aufnahmefähig. Ich war vor einigen Wochen mit dem auch Sie als FDP beteiligt waren. Die von Ihnen genann- Außenminister dort. Wir haben ganz gezielt – ich bin ten Zahlen kann man nicht auf andere Ressorts übertra- dem Außenminister dankbar, dass er sich dieser Sache gen. Die Mittel sind jedenfalls nicht in meinem Haushalt mit solchem Nachdruck gewidmet hat – nach Projekten ressortiert. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und ver- geschaut, die man zusätzlich und unmittelbar in Angriff suchen Sie nicht dauernd, solche Zahlen in die Welt zu nehmen könnte. Wir mussten nicht lange suchen, um setzen, die nur dazu dienen, die Entwicklungspolitik zu welche zu finden: Stromtransportstrecken, Staudämme, diffamieren. Das hat mit uns überhaupt nichts zu tun. Straßen, landwirtschaftliche Unterstützung, Kleinhandel (Beifall bei der SPD) und Kleingewerbe, Mikrofinanzierung und vieles andere mehr. All das sind Bereiche, in denen wir zusätzliche Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Hilfe leisten können. Herr Kollege Königshaus, Sie dürfen erwidern. Aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sascha eine Kurzintervention ist auf drei Minuten beschränkt. Raabe [SPD]: Machen wir doch!) Hellmut Königshaus (FDP): Frau Präsidentin, ich sehe mit tiefem Bedauern, dass Ich bin mir dessen bewusst. meine Redezeit zu Ende geht. Wenn Sie gestatten und dulden, erlaube ich mir noch eine Schlussbemerkung. Ich bin überrascht, Frau Ministerin, weil die ODA- Quote von verschiedenen Seiten bereits angesprochen Ich freue mich, dass das Ministerium zu einer Verän- wurde. Wenn es ein entscheidendes Momentum ist, ob derung der Betrachtungsweise gekommen ist. Ich muss wir die ODA-Quote erreichen – wie lauten die Prozent- allerdings der Kollegin, die nicht fertig wurde, obwohl zahlen? –, dann können Sie jetzt nicht sagen, die ODA- sie mehr Zeit hatte, sagen: Auch hier müssen wir einiges Quote, die die Bundesregierung selbst bei der OECD an- 18756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Hellmut Königshaus (A) gemeldet hat, sei eigentlich zu vernachlässigen. Nein, Wir unterstützen auch die deutliche Aufstockung der (C) Sie ist es nicht. Es handelt sich um die Zusammenfas- Hilfe für Afrika, die in den neuen Haushaltsansätzen sung staatlicher Mittel. strukturell vorhanden ist. Afrika hat besondere Schwie- rigkeiten, und Afrika hat eine besondere Nähe zu uns. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Es sind auch Bun- Wir unterstützen außerdem nachdrücklich den Auf- desländer, in denen die FDP an der Regierung wuchs bei der ländlichen Entwicklung und bei der Bil- ist!) dung und Ausbildung. Das sind zwei Bereiche, die wir Niemand, auch ich nicht, hat behauptet, dass die Mittel als Union schon in den Koalitionsverhandlungen ganz aus dem Haushalt des BMZ kommen. Ich habe nur die massiv gegenüber der SPD angemahnt haben. Jetzt ist es staatlichen Leistungen Deutschlands für China denen für den Koalitionären auch durch eine gemeinsame Anstren- Afghanistan gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung gung im AwZ gelungen, diese beiden wichtigen Themen ist korrekt, und deshalb verstehe ich überhaupt nicht, anzuschieben. Natürlich unterstütze ich außerdem mit warum Sie sich darüber aufregen. Niemand hindert ins- großem Nachdruck den Aufwuchs beim internationalen besondere die Bundesländer daran, ihrerseits für afgha- Klimaschutz und Tropenwaldschutz. nische Studenten unterstützend entsprechende Kapazitä- Jetzt möchte ich auf das eingehen, was Herr Hoppe ten zur Verfügung zu stellen. gesagt hat. Herr Hoppe, Sie haben nicht nur heute davon Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir zu gesprochen, dass man Versprechen halten muss. Sie ha- wenig für Afghanistan tun, aus welchen Gründen auch ben auch in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung ge- immer. sagt, die Kanzlerin müsse aufpassen, dass sie sich nicht lächerlich mache. Das finde ich nicht sehr lustig. Wenn (Widerspruch bei der SPD) man sich anschaut, was zwischen 1998 und 2005 ge- Sie sind diesbezüglich nicht nur durchsetzungsfähig, schehen ist, als die Grünen die Regierungsarbeit wesent- sondern manchmal fast an der Grenze zum Starrsinn. lich mitbestimmen wollten, dann sieht man genau das, Wir könnten mehr für Afghanistan tun. Ich verstehe nach was der Kollege Arnold Vaatz schon angesprochen hat: wie vor nicht, warum Sie sich dieser Forderung, die wir Unter Ihrer Mitverantwortung ist der Haushalt in diesem heute und bei jeder Diskussion über Afghanistan von Bereich um 146 Millionen Euro gesunken. Unter Ihrer verschiedenster Seite hören, verschließen. Es gibt Pro- Mitverantwortung sind vor allem die Bereiche Klima- jekte. Wir könnten mehr tun, und wir könnten eine an- schutz und Umwelt und Ressourcenschutz massiv einge- dere Schwerpunktsetzung wählen. brochen. Ich habe mir die Zahlen heraussuchen lassen. 1998 lagen wir bei 425 Millionen Euro und im Jahr 2005 Danke schön. bei 193 Millionen Euro. Jetzt sind wir wieder bei fast (B) (Beifall bei der FDP) 500 Millionen Euro. Das bedeutet zweierlei: Die Ent- (D) wicklungspolitik kann in der Tat glücklich sein – ich bin sicher, die Ministerin Wieczorek-Zeul auch –, dass wir Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Angela Merkel statt Gerhard Schröder als Bundeskanz- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege ler haben. Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Oh!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Umwelt- und Klimaschutz kann glücklich sein, dass jetzt die Union in Mitverantwortung ist und nicht mehr Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): die Grünen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch als letzter Redner möchte ich noch einmal beto- (Beifall bei der CDU/CSU) nen, dass die Bundesregierung mit dem Haushaltsansatz Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Natürlich weiß 2009 erneut die Bedeutung der Entwicklungspolitik als auch ich, dass es ein gewisses Risiko ist, wenn wir sa- Instrument für eine friedliche und nachhaltige Entwick- gen, wir wollten das Versprechen, die ODA-Quote zu lung in unserer Welt unterstreicht, und zwar sowohl als erfüllen, einhalten. Ich sage Ihnen auch: Ich stehe dazu, Beitrag unseres Landes zur Linderung von Not und und ich trage sicher die Mitverantwortung, wenn wir Elend in anderen Ländern und Kontinenten als auch als scheitern sollten. Aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir Beitrag für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bür- es wenigstens versucht, im Gegensatz zu Ihnen haben ger in unserem eigenen Land, in Deutschland. wir wenigstens gekämpft, und zwar mit großem Erfolg. Der Haushalt geht mit seinen Hauptaugenmerken auf Sie sind damals nicht einmal aus den Startlöchern he- die besonderen internationalen Herausforderungen ein: rausgekommen. die Stabilisierung und Transformation fragiler Staaten, (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ernährungssicherheit, bessere Gesundheit, Klimawandel Auch wir haben gekämpft, und jetzt fehlen die und das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Zum Instrumente, um die Versprechen einzuhalten!) vierten Mal in Folge steigt der Haushalt unter Bundes- kanzlerin Angela Merkel weit überproportional an. Mitt- – Herr Hoppe, ich verstehe nicht die Diskussion über die lerweile haben wir ein Wachstum des Haushalts um die innovativen Instrumente. Ich denke, es kann auch Ihnen Hälfte des Betrags von 2005 erreicht. Dazu kommen nicht entgangen sein, dass wir – auch die Umweltpoliti- noch Mittel im Rahmen der ODA-Quote, zum Beispiel ker der Union waren daran maßgeblich beteiligt – ein in- aus dem Auswärtigen Amt und dem BMU. novatives Finanzierungsinstrument haben, nämlich den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18757

Dr. Christian Ruck (A) Emissionshandel. Es gibt kein besseres Instrument, Um- Worauf es ankommt, ist, dass wir eine bessere Ar- (C) weltpolitik mit Entwicklungspolitik zu verbinden, als beitsteilung finden. Es ist dringend notwendig, dass wir den Emissionshandel. Es kann auch Ihnen nicht verbor- unsere Kräfte auf das Wesentliche konzentrieren. Wir gen geblieben sein, dass die Einnahmen aus diesem haben einen Einstieg in die Diskussion über eine Kon- Emissionshandel Jahr für Jahr steigen. zentration auf Länder gefunden. In Zeiten des Terroris- mus und auch angesichts der Vorgänge in Georgien sage (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ich ganz ehrlich, dass für uns ein wichtiges Kriterium Das reicht aber nicht aus!) neben Fragen der Bedürftigkeit, neben Fragen der Signi- Da haben Sie ein innovatives Instrument. Deswegen sind fikanz die Bedeutung der Partnerländer für die eigene Ihre Anmahnungen überflüssig. Sicherheit ist, zum Beispiel gegenüber den Mittelmeer- ländern, zum Beispiel gegenüber den Nachbarstaaten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Russlands. Ich möchte auch bestätigen, dass wir weiter für das Dabei ist Afghanistan natürlich eine wichtige Bau- Wachstum der EZ kämpfen werden. Genauso wichtig ist stelle; das wurde schon gesagt. Auch ich stehe dazu, dass aber, das wir uns ständig fragen, ob die Qualität und die man in den Haushalt dafür mehr Geld einstellt. Jetzt Effizienz stimmen. wird gefordert, sofort Summen von 200 Millionen Euro (Beifall bei der CDU/CSU) und mehr zur Verfügung zu stellen. Angesichts dessen möchte ich schon sagen, dass gerade Afghanistan ein In diesem Zusammenhang ist die Doha-Runde ein Beispiel dafür ist, dass man genau abwägen muss, ob wichtiger Punkt. So viel wie mit einer erfolgreichen man einem Land mit mehr Geld wirklich etwas Gutes tut Doha-Runde – erfolgreich auch für die Entwicklungslän- oder ob es nicht besser wäre, darauf zu achten, dass das der – kann man mit Entwicklungshilfe gar nicht direkt vorhandene Geld besser eingesetzt wird. Es gibt Geber, erreichen. Hier kommt es auch darauf an, dass wir un- zum Beispiel die Vereinigten Staaten, die ein Vielfaches sere Hilfe für eine bessere Handelspolitik, für einen bes- mehr als wir nach Afghanistan pumpen. Ich kann nicht seren Süd-Süd-Handel und vieles andere mehr in diesem sehen, dass damit mehr Effizienz erzielt wird, als wenn Haushalt umsetzen. man den Geldzufluss an der Ausprägung der Absorp- Ich denke an die Ergebnisse der Konferenz von Accra tionsfähigkeit eines Landes ausrichtet. – oder auch an die Nichtergebnisse –, und ich denke da- (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] – ran, dass wir eine weitere, vielleicht noch wichtigere Hellmut Königshaus [FDP]: Deshalb muss Konferenz in wenigen Wochen, auch in Doha, vor uns man hinfahren und gucken!) (B) haben. Diese betrifft die Harmonisierung und Koordinie- (D) rung und die Effizienz im internationalen Bereich. Es ist Das Gleiche gilt für Pakistan. Pakistan wird von ein Gebot der Stunde, dass in der internationalen Politik manchen als ein noch größeres Risiko als Afghanistan endlich mehr Ordnung in das wachsende Chaos von eingeschätzt. Auch hier müssen wir uns gut überlegen, staatlichen, internationalen, halbstaatlichen und privaten was wir zusätzlich machen. Für mich gibt es einen ganz Geberstrukturen kommt. Es ist kontraproduktiv, dass klaren Zusammenhang zwischen der Stärke der Taliban manche Länder inzwischen von einer Unzahl von ver- in den Nordwestprovinzen und der hohen Arbeitslosig- schiedenen Helfermissionen völlig überfahren werden. keit, die dort seit vielen Jahren herrscht und die immer Diese Ordnung hineinzubringen, ist noch viel wichtiger größer wird. Auch das ist für uns Entwicklungspolitiker als die Frage, wie viel Geld es mehr im Haushalt gibt. ein Hinweis auf das, was man in Pakistan zusätzlich tun Auch bei der Budgethilfe muss sich jeder fragen, ob könnte. diese für die Politik, die wir betreiben, ein Gewinn ist Ich möchte im Rahmen dieser Haushaltsdebatte noch oder nicht. An dieser Frage kann man sich locker ent- auf etwas zu sprechen kommen, was uns gerade im Hin- langhangeln, wenn man sauber diskutiert. Man muss blick auf Afghanistan, Pakistan, aber auch Afrika sehr darüber diskutieren, was der Rechnungshof gesagt hat, am Herzen liegt: Es kommt entscheidend darauf an, ent- welche positiven und welche negativen Beispiele es gibt, wicklungsfeindliche politische und gesellschaftliche und dann können wir Kriterien aufstellen. Ich glaube, Strukturen zu überwinden das ist eine ganz saubere Methode. Was ich aber nicht will, ist erstens, dass Budgethilfe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- dann zum Katalysator wird, wenn man Abflussprobleme wie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) hat – das ist geradezu irrsinnig –, und unsererseits Impulse zu setzen, dass dies aus der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mitte der jeweiligen Gesellschaften selbst geschieht. Dazu brauchen wir Instrumente, auch im vorpolitischen und zweitens, dass man sagt: Das ist inzwischen gängige Raum, die besser sein müssen als die bisherigen. Solche Praxis im Ausland. Das ist für mich auch kein Argu- Instrumente sind zum Beispiel unsere Stiftungen, die an ment; solchen Nahtstellen ganz entscheidend arbeiten. Da kön- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen wir noch viel mehr tun. Wir können in mehr Ländern arbeiten und auch konzentrierter zu Werke gehen. Ich denn gerade die Praxis in Europa ist für mich eher ab- denke an die Kirchen, die völlig recht haben, wenn sie schreckend als ein gutes Beispiel. sagen: Uns geht es nicht um die jeweiligen Länder, son- 18758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008

Dr. Christian Ruck (A) dern um die Individuen in den jeweiligen Ländern selbst Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) und auch um Partnerschaften in der Wirtschaft. Herr Kollege Ruck, ich wollte heute eigentlich nicht mehr abendfüllend diskutieren. Für meine Fraktion sage ich: Ich habe keine Berüh- rungsängste, auch mit der deutschen Wirtschaft viel mehr zu arbeiten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Wir können in der Öffentlichkeit sagen, dass unsere Ent- Jetzt wünsche ich allen einen schönen Abend. wicklungszusammenarbeit auch Arbeitsplätze im Inland sichert. Das ist so. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Zweitens. Ich glaube, wir könnten Synergien herstel- len, indem wir zusammen mit der Wirtschaft viel mehr Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: – zum Beispiel PPP-Projekte, aber auch anderes – auf die Beine stellen. Wir können es uns nicht leisten, diese Danke. Synergien einfach außen vor zu lassen. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich wünsche Ihnen, Frau Präsidentin, ausdrücklich ei- nen schönen Abend. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Ruck! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Jawohl, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich schaue, Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen dass ich zum Schluss komme. nicht vor. Wir werden in den Beratungsverfahren, die wir jetzt Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- vor uns haben, auf die Punkte, die ich genannt habe, ordnung. noch eingehen. Ich bin sicher, wir werden uns auch mit Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- unseren Kollegen von der SPD wieder gütlich einigen. destages auf morgen, Donnerstag, den 18. September (Hellmut Königshaus [FDP]: Was?) 2008, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, unseren (B) Wir werden natürlich an einer besseren Verknüpfung (D) der einzelnen Instrumente festhalten. Wir werden natür- Gästen auf der Tribüne und den Mitarbeiterinnen und lich auch einen Dauerbrenner diskutieren: bilateral, wo Mitarbeitern noch einen schönen Abend. möglich, und multilateral, wo sinnvoll und notwendig. Die Sitzung ist geschlossen. Darüber können wir abendfüllend diskutieren. Wir wer- den das tun. Darauf freue ich mich schon jetzt. (Schluss: 20.00 Uhr) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. September 2008 18759

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Ahrendt, Christian FDP 17.09.2008 Stokar von Neuforn, BÜNDNIS 90/ 17.09.2008 Silke DIE GRÜNEN Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 17.09.2008 Wegener, Hedi SPD 17.09.2008*** Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 17.09.2008 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 17.09.2008*** Dobrindt, Alexander CDU/CSU 17.09.2008 Dr. Westerwelle, Guido FDP 17.09.2008 Evers-Meyer, Karin SPD 17.09.2008 Zeil, Martin FDP 17.09.2008 Gerster, Martin SPD 17.09.2008

Hänsel, Heike DIE LINKE 17.09.2008 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Dr. Happach-Kasan, FDP 17.09.2008 ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union Christel *** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Höger, Inge DIE LINKE 17.09.2008

Hörster, Joachim CDU/CSU 17.09.2008** Anlage 2

Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 17.09.2008* Erklärung nach § 31 GO

(B) Kramme, Anette SPD 17.09.2008 des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜND- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- Kurth (Quedlinburg), BÜNDNIS 90/ 17.09.2008 stimmung über die Beschlussempfehlung zu Undine DIE GRÜNEN dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der United Lenke, Ina FDP 17.09.2008 Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) Link (Heilbronn), FDP 17.09.2008*** und 1832 (2008) des Sicherheitsrates der Ver- Michael einten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 27. August 2008 (Tagesordnungspunkt 4) Lintner, Eduard CDU/CSU 17.09.2008** Meine Bedenken an einer deutschen Beteiligung, wie Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 17.09.2008 ich sie beim erstmaligen Beschluss des Mandats im Sep- DIE GRÜNEN tember 2006 im Deutschen Bundestag geäußert habe, bleiben bestehen. Deutsche Soldaten können gegenüber Mücke, Jan FDP 17.09.2008 Israel nicht neutral handeln. Unabhängig von diesem Einwand leistet dieser UN-Einsatz einen Beitrag zum Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/ 17.09.2008 Frieden in der Region. Deshalb stimme ich für Enthal- DIE GRÜNEN tung. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980