Plenarprotokoll 7/16

Sächsischer Landtag

16. Sitzung 7. Wahlperiode

Beginn: 10:01 Uhr Mittwoch, 4. November 2020, Plenarsaal Schluss: 16:58 Uhr

Inhaltsverzeichnis

0 Eröffnung 1015 Entschließungsantrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD, Drucksache 7/4444 1041 Gedenken an Prof. Dr. Cornelius Weiss 1015 Dr. Rolf Weigand, AfD 1041 Gedenken an die Opfer Rico Gebhardt, DIE LINKE 1041 der Terroranschläge 1015 Abstimmung und Zustimmung 1041

Abstimmung und Zustimmung zur neu gefassten Tagesordnungen 1015 2 Bestimmung der Anzahl und Wahl der stellvertretenden Schrift- führerinnen und Schriftführer 1 Regierungserklärung zum Thema: Drucksache 7/4219, Antrag der Füreinander Verantwortung Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/ übernehmen. Miteinander handeln. DIE GRÜNEN und SPD Drucksache 7/4276, Michael Kretschmer, Ministerpräsident 1016 Wahlvorschlag der Fraktion CDU Jörg Urban, AfD 1020 Drucksache 7/4277, Christian Hartmann, CDU 1025 Wahlvorschlag der Fraktion AfD Rico Gebhardt, DIE LINKE 1028 Drucksache 7/4278, Wahlvorschlag Franziska Schubert, der Fraktion DIE LINKE BÜNDNISGRÜNE 1033 Drucksache 7/4279, Jörg Urban, AfD 1035 Wahlvorschlag der Fraktion Dirk Panter, SPD 1035 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sören Voigt, CDU 1036 Drucksache 7/4268, Dr. Claudia Maicher, Wahlvorschlag der Fraktion SPD 1042 BÜNDNISGRÜNE 1037 Lucie Hammecke, BÜNDNISGRÜNE 1038 Abstimmung und Zustimmung Drucksache 7/4219 1042 Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 7/4439 1039 Abstimmung und Zustimmung 1042 Rico Gebhardt, DIE LINKE 1039 Jörg Urban, AfD 1040 Sabine Friedel, SPD 1040 Abstimmung und Ablehnung 1040

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3 Wahl eines stellvertretenden Zweite Aktuelle Debatte stimmberechtigten Mitgliedes für 30 Jahre Sächsischer Landtag – den Landesjugendhilfeausschuss starkes Parlament – starke gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Demokratie – starker Freistaat des Landesjugendhilfegesetzes Antrag der Fraktionen CDU, BÜND- Drucksache 7/4293, NIS 90/DIE GRÜNEN und SPD 1057 Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1042 Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU 1057 Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE 1058 Abstimmung und Zustimmung 1042 Dirk Panter, SPD 1059 André Barth, AfD 1060 Dirk Panter, SPD 1060 Jörg Urban, AfD 1060 4 Aktuelle Stunde 1043 Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE Erste Aktuelle Debatte LINKE 1061 Messermord in Dresden – Gefährder Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU 1062 unter uns – worauf wartet Wöller? Frank Richter, SPD 1063 Antrag der Fraktion AfD 1043 Dr. Joachim Keiler, AfD 1064 Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU 1065 Sebastian Wippel, AfD 1043 Mario Beger, AfD 1065 Rico Anton, CDU 1044 Katja Meier, Staatsministerin der Justiz Sebastian Wippel, AfD 1045 und für Demokratie, Europa und Rico Anton, CDU 1045 Gleichstellung 1066 Sebastian Wippel, AfD 1046 Rico Anton, CDU 1046 Kerstin Köditz, DIE LINKE 1046 5 Befragung der Staatsregierung Valentin Lippmann, Thema der Staatsministerin für 4BÜNDNISGRÜNE 1047 Soziales und Gesellschaftlichen Albrecht Pallas, SPD 1048 Zusammenhalt: Carsten Hütter, AfD 1049 Auswirkungen der Corona- Rico Anton, CDU 1050 Pandemie – Resümee und Ausblick 1068 Jörg Urban, AfD 1051 Rico Anton, CDU 1051 Petra Köpping, Staatsministerin Carsten Hütter, AfD 1051 für Soziales und Gesellschaftlichen Rico Anton, CDU 1052 Zusammenhalt 1068 Albrecht Pallas, SPD 1052 Daniela Kuge, CDU 1069 Rico Anton, CDU 1052 Petra Köpping, Staatsministerin Sebastian Wippel, AfD 1053 für Soziales und Gesellschaftlichen Rico Anton, CDU 1053 Zusammenhalt 1069 Hanka Kliese, SPD 1053 Frank Schaufel, AfD 1069 Rico Anton, CDU 1054 Petra Köpping, Staatsministerin Sebastian Wippel, AfD 1054 für Soziales und Gesellschaftlichen Andreas Nowak, CDU 1054 Zusammenhalt 1070 Sebastian Wippel, AfD 1055 Susanne Schaper, DIE LINKE 1070 Rico Anton, CDU 1055 Petra Köpping, Staatsministerin Sebastian Wippel, AfD 1055 für Soziales und Gesellschaftlichen Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister Zusammenhalt 1070 des Innern 1056 Kathleen Kuhfuß, BÜNDNISGRÜNE 1071 Sebastian Wippel, AfD 1057 Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt 1071 Simone Lang, SPD 1072

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Petra Köpping, Staatsministerin 6 – Parlamentarische Kontrolle gemäß für Soziales und Gesellschaftlichen Artikel 13 Abs. 6 GG i. V. m. § 2 Zusammenhalt 1072 Sächsisches Kontrollgesetz Daniela Kuge, CDU 1072 Bericht über die im Freistaat Petra Köpping, Staatsministerin Sachsen im Kalenderjahr 2019 für Soziales und Gesellschaftlichen durchgeführten Maßnahmen Zusammenhalt 1072 Drucksache 7/2958, Unterrichtung Frank Schaufel, AfD 1072 durch das Sächsische Staatsministe- Petra Köpping, Staatsministerin rium der Justiz und für Demokratie, für Soziales und Gesellschaftlichen Europa und Gleichstellung Zusammenhalt 1073 Drucksache 7/4242, Beschluss- Susanne Schaper, DIE LINKE 1073 empfehlung des Parlamentarischen Petra Köpping, Staatsministerin Kontrollgremiums für Soziales und Gesellschaftlichen – Parlamentarische Kontrolle gemäß Zusammenhalt 1074 § 2 Satz 1 Sächsisches Kontrollgesetz Kathleen Kuhfuß, BÜNDNISGRÜNE 1074 aF von Maßnahmen der Überwa- Petra Köpping, Staatsministerin chung von Wohnungen nach § 41 für Soziales und Gesellschaftlichen Abs. 1 Sächsisches Polizeigesetz und Zusammenhalt 1074 gemäß § 2 Satz 2 Sächsisches Simone Lang, SPD 1075 Kontrollgesetz aF von polizeilichen Petra Köpping, Staatsministerin Maßnahmen unter Einsatz für Soziales und Gesellschaftlichen besonderer Mittel gemäß § 38 Abs. 1 Zusammenhalt 1075 Sächsisches Polizeigesetz Mario Kumpf, AfD 1075 Bericht über im Kalenderjahr 2019 Petra Köpping, Staatsministerin abgeschlossene Maßnahmen für Soziales und Gesellschaftlichen Drucksache 7/3037, Unterrichtung Zusammenhalt 1075 durch das Sächsische Susanne Schaper, DIE LINKE 1076 Staatsministerium des Innern Petra Köpping, Staatsministerin Drucksache 7/4243, für Soziales und Gesellschaftlichen Beschlussempfehlung des Parlamen- Zusammenhalt 1076 tarischen Kontrollgremiums 1077 Simone Lang, SPD 1076 Petra Köpping, Staatsministerin Abstimmung und Zustimmung für Soziales und Gesellschaftlichen Drucksache 7/4242 1077 Zusammenhalt 1076 Frank Schaufel, AfD 1076 Abstimmung und Zustimmung Petra Köpping, Staatsministerin Drucksache 7/4243 1077 für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt 1077 7 Jahresbericht 2019 Drucksache 7/300, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Drucksache 7/4286, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses 1078 Prof. Dr. Karl-Heinz Binus, Präsident des Sächsischen Rechnungshofs 1078 Eric Dietrich, CDU 1079 André Barth, AfD 1080 Franz Sodann, DIE LINKE 1082 Gerhard Liebscher, BÜNDNISGRÜNE 1083 Dirk Panter, SPD 1084 Hartmut Vorjohann, Staatsminister der Finanzen 1084 Abstimmung und Zustimmung 1086

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8 Entlastung der Staatsregierung 11 Beschlussempfehlungen und gemäß § 114 Abs. 2 SäHO Berichte der Ausschüsse zu Haushalts- und gemäß § 17 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 Vermögensrechnung 2017 der Geschäftsordnung Drucksache 7/4098, – Sammeldrucksache – Unterrichtung durch das Sächsische Drucksache 7/4290 1088 Staatsministerium der Finanzen Drucksache 7/4287, Zustimmung 1088 Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses 1086 12 Beschlussempfehlungen und Abstimmung und Zustimmung 1086 Berichte zu Petitionen – Sammeldrucksache – Drucksache 7/4291 1088 9 Entlastung des Präsidenten des Sächsischen Rechnungshofs Zustimmung 1088 hinsichtlich der Haushaltsrechnung für das Jahr 2018 nach § 101 SäHO zu Haushaltsrechnung des Sächsischen Rechnungshofs für das Haushaltsjahr 2018 Nächste Landtagssitzung 1088 Drucksache 7/528, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Drucksache 7/4288, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses 1087

Aloysius Mikwauschk, CDU 1087 Abstimmung und Zustimmung 1087

10 Nachträgliche Genehmigungen gemäß Artikel 96 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungen Drucksache 7/3628, Unterrichtung durch das Staatsministerium der Finanzen Drucksache 7/4289, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses 1087

Abstimmung und Zustimmung 1087

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Eröffnung

(Beginn der Sitzung: 10:01 Uhr) Sondersitzung am Montag darauf verständigt, einen geän- derten Ablauf der beiden Plenarsitzungen am 4. und 5. No- Präsident Dr. Matthias Rößler: Meine verehrten Damen vember 2020 zu empfehlen. Ein Entwurf für die und Herren! Wir trauern um unseren Kollegen modifizierte Tagesordnung liegt Ihnen vor. Um zwei zeit- Prof. Dr. Cornelius Weiss, der am vergangenen Dienstag lich ausgewogene Sitzungen zu erhalten, wurden die Ta- verstorben ist. Er war in der 3. und 4. Wahlperiode gesordnungspunkte entgegen den üblichen Gepflogen- Abgeordneter des Sächsischen Landtags, wirkte hier unter heiten auf zwei Plenarsitzungen verteilt. Die Aktuelle anderem als Vorsitzender der SPD-Fraktion und als Alters- Debatte der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und präsident. Zu diesem Zeitpunkt blickte der Chemiker und SPD entstand aus drei Einzeldebatten und erhielt am erste frei gewählte Rektor der Universität Leipzig nach Montag in der Sondersitzung ihren Titel. 1990 bereits auf eine erfolgreiche Universitätskarriere zurück. Prof. Weiss war ein beseelter Demokrat, eine Per- Um mit diesen Tagesordnungen für heute und morgen ar- sönlichkeit, deren zuverlässiger innerer Kompass der beiten zu können, bedarf es eines entsprechenden Plenar- christliche Glaube war. Demokraten stehen gegen jede beschlusses. Um die Tagesordnungspunkte nicht jeweils Form von politisch motivierter Gewalt und Extremismus, einzeln absetzen bzw. verschieben zu müssen, schlage ich wie wir sie gerade in den letzten Tag erleben. Ihnen aus Praktikabilitätsgründen vor, gemäß § 79 Abs. 5 und § 114 Abs. 1 der Geschäftsordnung über die neuen Ta- Wir trauern um die Opfer des islamistischen Terrors bei uns gesordnungen, wie sie als Tischvorlage vorliegen, im Paket in Dresden, in Nizza, in Lyon, in Paris und jetzt in Wien. abzustimmen. Wenn sich dagegen kein Widerspruch er- Ich bitte Sie, sich zum ehrenden Gedenken von Ihren hebt, darf ich Sie um Abstimmung bitten, ob Sie den Ta- Plätzen zu erheben. gesordnungspunkten der 16. und 17. Plenarsitzung, wie Sie Ihnen als Tischvorlage ausliegen, zustimmen. Wer dafür (Die Anwesenden erheben sich ist, den bitte ich um das Handzeichen – Vielen Dank. zu einer Schweigeminute.) Gegenstimmen? – Keine. Stimmenenthaltungen? – Auch Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die keine. Damit ist die Tagesordnung für den 4. und 5. No- 16. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags. Folgende Abge- vember 2020 einstimmig bestätigt. ordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Wir behandeln heute nur Tagesordnungspunkte, denen Re- Herr Dornau, Herr Ulbrich, Herr Mackenroth, Herr Brün- dezeiten gesondert zugewiesen sind, sodass vom Präsidium ler, Frau Tändler-Walenta, Herr Böhme, Herr Schultze und keine Gesamtredezeit zugewiesen worden ist. Ich sehe Frau Buddeberg. Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. keine weiteren Änderungsvorschläge oder Widerspruch Meine Damen und Herren! Aufgrund der fortschreitenden gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 16. und Ausbreitung des Coronavirus und der in diesem Zusam- 17. Sitzung ist damit bestätigt. menhang seit dem 2. November 2020 geltenden erweiter- Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den ten Kontaktbeschränkungen hat sich das Präsidium in einer

Tagesordnungspunkt 1 Regierungserklärung zum Thema: Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln.

Meine Damen und Herren! Mit der gerade beschlossenen müssen sie im Parlament debattiert werden. Genau das ma- Änderung der Tagesordnung tragen wir der Entwicklung chen die gewählten Abgeordneten heute. Der Landtag er- der Pandemie in Sachsen verantwortungsvoll Rechnung. füllt damit auch während dieser Coronakrise seine Wir tagen unter Hygieneauflagen. Wir tragen Mund-Na- verfassungsgemäße Aufgabe. Ich möchte betonen, dass wir sen-Bedeckung, wenn wir hier unterwegs sind, auch im Sit- als Landtag jederzeit handlungsfähig sind. Das Parlament zungssaal. Wir tagen mit Abstand, wir setzen klare ist der Gesetzgeber. Daran ändert auch die Pandemie Prioritäten. Gleich ergreift unser Ministerpräsident in einer nichts. Das Parlament kann jederzeit durch Gesetze oder Regierungserklärung das Wort. Danach wird der Landtag Beschlüsse, wie etwa Entschließungsanträge, seinen poli- über das Handeln der Staatsregierung und die Maßnahmen tischen Willen verbindlich ausdrücken. Die Staatsregie- gegen die Ausbreitung des Coronavirus ausführlich disku- rung ist gegenüber dem Landtag verantwortlich. Sie muss tieren. ihr Handeln vor dem Volk und den Volksvertretern erklä- Wenn politische Entscheidungen getroffen werden, die für ren, überzeugend begründen und um Unterstützung wer- unsere Gesellschaft derart weitreichende Folgen haben, ben. Darum geht es auch in der folgenden Debatte.

1015 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Ich bitte jetzt unseren Ministerpräsidenten Micheal Kret- (Beifall bei der CDU, den LINKEN, schmer an das Rednerpult und erteile Ihnen das Wort. den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD und der Staatsregierung) Michael Kretschmer, Ministerpräsident: Vielen Dank. Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Allerdings kann nach solchen Taten die Rede nicht einfach Herren! Ich finde es richtig, dass wir zu Beginn dieser mit einem Bedauern und damit enden, dass man die Tren- Tagesordnung an einen großen Demokraten und Sachsen nung zwischen Extremisten und anderen vornimmt, son- erinnert haben, an den früheren Landtagsabgeordneten dern dieses Land, Deutschland, muss die Kraft haben, sich Cornelius Weiss. Auf der anderen Seite haben wir daran der Sache so zu stellen, wie sie ist. Wir müssen alle in die- erinnert, dass in den vergangenen Tagen Menschen ihr sem Land schützen und in ganz besonderer Art und Weise Leben lassen mussten, weil sie von islamistischen Straftä- diejenigen, die als friedliebende Muslime in unserem Land tern umgebracht worden sind. Das gilt hier für Dresden. Ich leben, aber auch alle anderen. Dazu gehört die Tatsache, habe den Angehörigen, dem Lebenspartner des hier in dass derjenige, der als Flüchtling zu uns gekommen und Dresden Erstochenen kondoliert und – ich denke, auch in straffällig geworden ist, Straftäter geworden ist, vom Ge- Ihrem Namen – mein Mitgefühl ausgedrückt; Gleiches richt bestätigt wird, dass er keinen Asylanspruch hat, son- gestern gegenüber Sebastian Kurz und unseren Partnern in dern als Gefährder eingestuft ist und nicht in diesem Land Österreich, in Wien. bleiben kann. Wir müssen Möglichkeiten finden, diese Menschen zurück in die Länder zu bringen, aus denen sie Das, was dort passiert ist, ist ein Angriff auf uns alle, auf kommen. Sollte das nicht möglich sein, darf die Antwort die Art, wie wir zusammenleben, auf unsere Werte, auf un- nicht darin bestehen, dass sich diese Personen frei bewegen sere Kultur, und wir stellen uns dem in aller Entschieden- können und man Polizisten hinterherschickt, die aufpassen. heit entgegen. Es ist nicht die Frage von Muslimen auf der Beides geht nicht. Wir brauchen hier eine andere Antwort. einen und westlichem Wert auf der anderen Seite, es ist die Das sind wir allen schuldig, vor allem denjenigen, die ge- Unterscheidung, meine Damen und Herren, zwischen Bar- rade ums Leben gekommen sind, und denen, die um ihre barei und Zivilisation, zwischen Extremisten und Gewalt- Verwandten trauern. tätern und friedliebenden Menschen. Das wollen wir auch am heutigen Tag und hier noch einmal deutlich sagen; denn (Beifall bei der CDU, der SPD wir wissen, dass es in Sachsen unglaublich viele Menschen und der Staatsregierung) muslimischen Glaubens gibt, die hier geboren und aufge- Ich bin dem Sächsischen Landtag sehr dankbar, dass er sich wachsen oder die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind dieser Debatte stellt. Wir haben im Zuge dieser Pandemie und hier eine Heimat gefunden haben. an vielen Stellen miteinander diskutiert. Es gab Anhörun- Ich erinnere mich an einen türkischen Taxifahrer, der sein gen, es gab Debatten hier im Plenum. In jedem Ausschuss Geld damit verdient, hier in Dresden zu arbeiten, und mit wurde über das Thema Pandemie gesprochen. Wir haben mir auf der Fahrt diskutiert hat, wo denn sein Sohn, der so gemeinsam die Möglichkeiten genutzt, die die Sächsische alt wie meine Kinder ist und jetzt aufs Gymnasium gehen Verfassung gibt, mit solchen Situationen umzugehen, und soll, am besten hingeht, welches für die Entwicklung des kurz vor Ostern gemeinsam einen Beschluss gefasst, dass Kindes wohl das beste Gymnasium in der Landeshaupt- der Freistaat Sachsen mit einem Kreditvolumen von maxi- stadt für den Kleinen ist, der in Zukunft auch ein Dresdner mal 6 Milliarden Euro die Möglichkeit bekommt, die sein wird. Ich erinnere mich an die Freunde aus der musli- finanziellen Folgen aufzufangen. Wir haben damals ge- mischen Gemeinde, die mich im Frühjahr besucht haben. meinsam Verantwortung übernommen und diesem Land Wir haben darüber gesprochen, dass Gottesdienste nicht eine Richtung gegeben. Es ist uns zu Beginn der Pandemie mehr möglich sind, und vollkommen klar und selbstver- gelungen, durch ein schnelles, entschiedenes Handeln die ständlich haben diese muslimischen Mitbürger Verantwor- Infektionsketten zu unterbrechen, das Infektionsgeschehen tung dafür übernommen, dass die Pandemie in Dresden, in in Deutschland, besonders hier im Freistaat Sachsen, auf ihrer neuen Heimat, im Griff bleibt. Ich denke an diejeni- ein sehr niedriges Maß zurückzudrängen. Das hat uns die gen, die vor wenigen Tagen an der Stelle des Verbrechens Chance gegeben, in den Monaten danach hier in Sachsen auch für die muslimischen Bürger ein Blumengebinde nie- viel mehr an Freiheit, viel mehr an gesellschaftlichem dergelegt und gesagt haben: Das ist nicht mit unserem Leben, an kulturellem Leben, an wirtschaftlichem Leben Glauben zu vereinbaren. zu ermöglichen, als es an anderen Stellen in Deutschland und in Europa möglich war. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass wir diese Trennung ganz klar ziehen und uns vor diejenigen Jetzt kommt eine neue Zeit. Das Infektionsgeschehen hat stellen, die in der überwiegenden Anzahl friedliebend als sich dramatisch verändert, und wir entscheiden in diesen Muslime in diesem Land leben und durch solche Extremis- Tagen und Wochen hier in Sachsen und in Deutschland, ten in Misskredit gebracht werden. Wir lassen das nicht zu. wie die kommenden Monate vermutlich bis zur Mitte des Muslime leben in diesem Land, sie sind Teil unserer Ge- nächsten Jahres verlaufen werden. Gelingt es uns noch ein- sellschaft und wir schützen sie, wenn sie in Misskredit ge- mal, das Infektionsgeschehen so deutlich zu reduzieren, bracht werden. oder werden wir einen Weg gehen, wie er in anderen euro- päischen Ländern gerade beschritten wird; beispielswiese

1016 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 in der Tschechischen Republik mit einer gewaltigen Inzi- gegeben. Warum der Sport? Es ist so wichtig, dass sich die denz mit 13 000 Ärzten und Pflegern, die derzeit am Kinder und Jugendlichen bewegen. Warum in Sachsen die Coronavirus erkrankt sind und nicht zur Arbeit gehen kön- Kosmetikstudios und nicht wie in Sachsen-Anhalt, wo sie nen, oder in Polen, in einem Land, in dem derzeit 70 % offenbleiben können? Warum die Musikschulen? aller Betten in den Krankenhäusern belegt und drei Viertel Meine Damen und Herren, mit dem, was wir tun, ist an kei- der Beatmungsgeräte ausgelastet sind, die Zahl der Beat- nem Punkt ein Vorwurf oder ein Misstrauen verbunden. mungspatienten deutlich schneller steigt als die der verfüg- Diese Leute haben Großartiges geleistet. Wir haben ge- baren Betten und Geräte. meinsam in den vergangenen Monaten die Möglichkeit ge- Wir haben auch im Freistaat Sachsen eine erschreckend geben, dass das alles stattfinden kann, aber es reicht für hohe Zahl von Neuinfektionen, 1 000 Fälle innerhalb von dieses neue Infektionsgeschehen nicht mehr aus. 24 Stunden – eine Zahl, die wir uns vor fünf, sechs Mona- Wir können nur 20 % der aktuellen Corona-Fälle erklären ten nie hätten vorstellen können. Wir haben 1 000 Patien- und sagen, wo sie herkommen. Das Gespräch mit einem ten, die in Krankenhäusern behandelt werden, 200 davon Gesundheitsamt – und Sie können jedes hier in Sachsen, auf der Intensivstation, und wir haben gestern gerade im aber auch in anderen Regionen aussuchen – bringt immer Landkreis Görlitz eine Verdopplung der Anzahl der den gleichen Befund. Bei einem kleinen Teil können die Corona-Patienten innerhalb von 24 Stunden gesehen. Des- Kolleginnen und Kollegen sagen, wo die Erkrankungen halb ist es Zeit, zu handeln. Wir dürfen die Möglichkeit herkommen. Meistens sind es Familienfeiern, oft ist es nicht verwehren, jetzt noch einzugreifen und etwas dage- dort, wo Menschen ganz eng zusammen sind. Aber bei dem gen zu tun. übergroßen Teil, bei 80 %, kann man das nicht mehr sagen. Ich bin zu jedem Diskurs, zu jedem Gespräch bereit. Auch Hinzu kommt, dass 40 % aller positiv getesteten Personen dafür sind wir gewählt. Aber, meine Damen und Herren, keine Symptome haben, diese Krankheit gar nicht spüren. wir können nicht abwarten, bis in jeder Familie und in Das sind oft Fälle, bei denen es eine positive Infektion gab, jedem Freundeskreis eines Kritikers selbst ein Corona-Fall die Kontaktpersonen abgefragt werden und die Leute aus ist. Wir müssen in dieser Pandemie aus Erkenntnis und allen Wolken fallen, wenn ihnen gesagt wird: Sie haben an nicht aus Erfahrung lernen. Wir haben bei der Spanischen dem und dem Tag mit Herrn X und Frau Y Kontakt gehabt; Grippe gesehen, dass die erste Welle viel Elend gebracht die sind positiv getestet. Bitte gehen Sie jetzt ebenfalls zu hat. Danach waren die Menschen der Meinung, sie sei einem Corona-Test. – Dann kommt die Nachricht: „Doch überwunden. Dann kam – und das ist genau das, was positiver Test“, obwohl die Leute ganz sicher sind, weil es gerade in Deutschland passiert – die zweite Welle, viel ihnen gut geht: Ich bin negativ, mir kann nichts passieren. größer, mit viel mehr Opfern, und deshalb ist es jetzt an der – Diese Menschen, die es nicht wissen und sich frei bewe- Zeit zu handeln. Es ist wichtig, dass wir zu jedem Zeitpunkt gen und interagieren, sind trotzdem ansteckend und ste- in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen genü- cken andere Personen an. Das ist der Grund dafür, warum gend Kapazitäten haben, dass es keine Selektionen man 80 % der Fälle derzeit nicht mehr erklären kann. zwischen den Personen, die behandelt werden können, und denen, die nicht behandelt werden können, geben muss. Das Ganze wäre noch einfach, wenn wir bei Zahlen wären wie im Frühjahr, wo es pro Landkreis ein, zwei, drei, vier Meine Damen und Herren, es wäre furchtbar, wenn man Corona-Patienten am Tag waren. Das Gesundheitsamt ruft einem Patienten, der an einem Tumor leidet, sagen muss, an: „Mit wem hatten Sie Kontakt?“, dann kommen zwei, Sie können leider heute nicht behandelt werden, weil das drei, vier, fünf Namen, die man abtelefoniert, und dann ist ITS-Bett, das wir für Sie vorgesehen haben, über Nacht mit die Sache erledigt. Wir hatten in der vergangenen Woche einem Corona-Patienten belegt worden ist. Diese Unter- 1 000 Personen pro 24 Stunden. Wir hatten nicht zwei, drei scheidung, dieses Ausspielen verschiedener Krankheiten oder vier Kontaktpersonen, sondern oft, sehr, sehr oft, 20, darf so nicht passieren. Aber es geschieht bereits heute. 30 Personen, manchmal viel, viel mehr. Das heißt, inner- Es gibt bereits heute für die Krankenhäuser im Freistaat halb von 24 Stunden müssen 20 000 bis 30 000 Menschen Sachsen keine andere Möglichkeit mehr, diesen großen verlässlich angerufen werden, muss mit ihnen gesprochen Aufwuchs an Corona-Erkrankungen zu handeln, als dass werden, muss ihnen die Situation erklärt werden, müssen Eingriffe, die geplant und vorbereitet sind, wo die Patien- sie zum Test geschickt werden, muss eine Quarantäne aus- ten schon im Krankenhaus sind, verschoben werden. Des- gesprochen werden. Das, meine Damen und Herren, ist halb ist es allerhöchste Zeit, dass wir heute gemeinsam ein eine Zahl, die nicht gemanagt werden kann. Wir werden, deutliches Zeichen an die Bevölkerung senden. Was wir wenn wir bei diesen Zahlen bleiben, die Kontaktnachver- brauchen, ist in allen Bereichen eine deutliche Verhaltens- folgung nicht klären können. Damit wird diese Lawine im- änderung. Es geht darum, dass wir 80 % der Kontakte der mer, immer größer werden. Dann werden wir die Kontrolle Menschen untereinander für die nächsten vier Wochen un- darüber verlieren. terbrechen. Nur dann haben wir eine Chance, das Infekti- Deswegen müssen wir jetzt so entschieden handeln und onsgeschehen deutlich zu reduzieren. versuchen, 80 % der Kontakte zu unterbrechen und Orte Das ist auch die Antwort auf die vielen Fragen, die wir alle versuchen zu schließen und zu meiden, an denen diese miteinander bekommen: Warum gerade die Gaststätten? Kontakte stattfinden, auf dem Weg dahin, auf dem Weg zu- Wir haben Hygienekonzepte, wir haben uns so viel Mühe

1017 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 rück. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sind nicht da- Welt potenziell ansteckungsgefährdet ist und diese Krank- für gemacht, dass wir den Abstand von 1,50 Meter halten, heit bekommen kann. sondern wir treffen unsere Freunde, wir treffen unsere Be- Es gibt Menschen, die sagen: Dann sterben die Alten eben, kannten. Es gibt diese Begegnungen. Durch die beschrie- waren doch eh nur alte Leute. – Das sind die Gleichen, die bene Situation sorgt das dafür, dass das Infektions- auch „absaufen, absaufen“ oder „ausschwitzen, ausschwit- geschehen derzeit so außer Kontrolle geraten ist, wie es ist. zen“ skandieren. Daher noch einmal: Keiner hat bei seinem Hygienekonzept (Beifall bei der CDU, den LINKEN, den einen Fehler gemacht, aber wir müssen die Zahl jetzt so BÜNDNISGRÜNEN und der SPD – drastisch reduzieren, damit wir überhaupt eine Chance ha- Demonstratives Stöhnen bei der AfD) ben, durch diese Zeit zu kommen, mit der jetzigen Kapazi- tät an Krankenhäusern, an ITS-Betten, an Mitarbeitern in – Ich weiß gar nicht, wie man sich darüber aufregen kann, den Gesundheitsämtern und auch an Testkapazitäten. es sei denn, man fühlt sich selbst angesprochen. Die Situation ist dramatisch, aber sie ist immer noch hän- Es gibt Menschen, meine Damen und Herren, die sagen, delbar. Die Frauen und Männer in den Gesundheitsämtern man kann es nicht ändern. Die finde ich kleinmütig. Es gibt leisten Übermenschliches. Die Gespräche sind jedes Mal Menschen, die sagen, es ist bedauerlich, wenn es so beeindruckend, wie klar diesen Leuten ist, dass sie nicht kommt. Denen würde ich sagen, ihr habt eine Chance, et- aufgeben, dass sie nicht verlieren können. Deshalb ist es was dagegen zu tun, und wir haben es im Frühjahr schon für uns, Frau Köpping und die vielen Kolleginnen und einmal gezeigt. Und es gibt Menschen, die sagen, wir wer- Kollegen der Staatsregierung eine Selbstverständlichkeit den es verhindern, dass Tausende sterben. Und das, meine gewesen, dass Mitarbeiter des Freistaates in den Gesund- Damen und Herren, sind wir. Wir werden dafür sorgen, heitsämtern helfen werden. Wir sind der Bundeswehr dass es nicht so kommt, dass es keine riesige Lawine gibt. dankbar, dass sie ebenfalls ihren Beitrag leistet. Und auch Wir handeln verantwortlich. Dieser Sächsische Landtag ist das ist eine beeindruckende Erfahrung, dass das Landesamt dafür gewählt, genau diese Entscheidungen zu treffen. der Evangelischen Kirche in Sachsen sich gemeldet und Deswegen sprechen wir darüber. Ich bin den Koalitions- gefragt hat: An welchen Stellen in den Gesundheitsämtern fraktionen sehr dankbar für ihren Entschließungsantrag, können unsere Kolleginnen und Kollegen mitarbeiten? der eine klare Meinung hat. Auch wir wollen mithelfen. – Ich bin der Personalvertre- Herzlichen Dank. tung in der Staatsregierung dankbar, dass sie das Ganze un- terstützt und mitmacht. Dadurch wollen wir versuchen, (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, auch bei diesen großen Zahlen das Ganze noch im Griff zu der SPD und der Staatsregierung) behalten. Es geht noch einmal darum, dass wir keine ungesteuerte Wir haben nur eine Möglichkeit zu helfen. Die Erste ist, die Entwicklung haben, dass wir gemeinsam handeln und der Zahl der Kontaktpersonen drastisch zu reduzieren und, Bevölkerung deutlich sagen: Sie müssen sich diese vier zweitens, die absolute Zahl der Fälle zu senken. Wochen jetzt einmal wirklich darauf konzentrieren. Wir Jetzt gibt es Menschen, die sagen: Lasst es laufen. Wir müssen mit Bürgermeistern und Unternehmern darüber müssen so oder so mit Corona leben. – Das stimmt, wir sprechen, denn, meine Damen und Herren, die Erfahrun- werden mit diesem Virus leben, so oder so. Aber wir haben gen hier bei uns, aber auch in anderen Ländern, sind ganz die Möglichkeit, die Dinge zu gestalten, und wir wissen, eindeutig: Wenn die Zahl der infizierten Personen zu groß dass wir durch den medizinischen Fortschritt – anders als geworden ist, dann kommt diese Krankheit, weil sie so ext- bei der Spanischen Grippe vor 100 Jahren – mehr Möglich- rem ansteckend ist, überall an. keiten haben, mit dieser gefährlichen Erkrankung umzuge- Wir sehen es gerade in den Bereichen, die besonders gut hen. Wir müssen dahin kommen, dass Medikamente und vorbereitet sind und die sich darin auskennen: Auch sie Impfungen verfügbar sind. sind nicht gewappnet. In den Pflegeheimen, in den Kran- kenhäusern, in denen derzeit die meiste Erfahrung herrscht, Es gibt Menschen, die sagen, es sei nichts anderes als eine haben wir eine ganze Reihe von Ausbrüchen. Das werden Grippe. Das ist natürlich Unfug, weil wir mit der Grippe, Sie erleben, wenn es in Industrieunternehmen, in Hand- meine Damen und Herren, jahrzehntelange Erfahrungen werksunternehmen, in den Familien, in den Vereinen wei- haben und wissen, wie gefährlich sie ist. Es gibt Impfstoffe tergeht. Deshalb geht es jetzt darum, die Dinge zu und Kampagnen der Behörden und Unternehmen zum reduzieren und deutlich zurückzufahren, damit genau das Impfen. Nur deswegen ist die Zahl der Schwerstkranken nicht passiert. und Toten in jeder Grippesaison so niedrig, wie sie jetzt ist. Die Zahlen sind trotzdem noch extrem erheblich. Ohne Unser Wille ist es, dass Schulen und Kindergärten offen Pandemiepläne und ohne Impfungen wäre die Zahl noch bleiben, weil sie für die Bildung so extrem wichtig sind, um ein Vielfaches höher. Die Grippe ist das beste Beispiel dass das wirtschaftliche Leben weitergehen kann. Deshalb dafür, dass man es nicht laufen lassen kann. Aber diese haben wir eine Entscheidung getroffen, die sich von der Krankheit ist nicht mit einer Grippe zu vergleichen, weil es früheren unterscheidet. keinen Impfstoff, keine Medikamente und keine Erfahrun- gen gibt und weil jeder der 7 Milliarden Menschen auf der

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Die Wissenschaft wollte viel mehr. Wir tun aus deren Sicht eine Vorbereitung, damit Krankenhäuser Kapazitäten vor- nicht zu viel, sondern eher noch zu wenig. Es ist im Hin- halten können. Das muss nicht die alte Leerbettpauschale blick auf die Infektionslage im Freistaat Sachsen mit einer sein, die wir gehabt haben. Wir spüren in allen Gesprächen Inzidenz von 114 Erkrankten in den letzten sieben Tagen mit den Krankenhäusern im Land, dass sie darauf setzen. auf 100 000 Menschen der Bevölkerung im Vergleich zu Die Bundesregierung muss hier schnell handeln – genauso Sachsen-Anhalt oder zu Thüringen mit der Hälfte hoffent- wie bei der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. lich auch erklärlich, warum bei uns mehr Dinge für die Diese Instrumente, die wir uns im Frühjahr gegeben haben, kommende Zeit derzeit untersagt sind als vielleicht in die- brauchen wir jetzt noch dringender. Wir brauchen eine sen Ländern. Wir müssen jetzt sehr konsequent sein, damit schnelle Lösung für die Unternehmen, für die Vereine, für wir hier eine Chance haben, das Ganze im Griff zu haben. die Einrichtungen, die jetzt aufgrund der beschriebenen Wir können uns auf beeindruckende Persönlichkeiten in Maßnahmen, aufgrund dieser besonderen Situation ihre den Gesundheitsämtern stützen. Wir können uns auf Bür- Arbeit einstellen und schließen müssen. 75 % des Umsat- germeister und Landräte stützen, die in dieser Krise zeigen, zes im Vergleich zum November 2019 ist ein Angebot, mit wie sie Verantwortung übernehmen. Wir können uns auf dem wir Vieles abfedern können. Wichtig ist aber, dass das die Medizinerinnen und Mediziner, die Pfleger und Kran- Ganze schnell, verlässlich und so weit wie möglich unbü- kenschwestern in unserem Gesundheitssystem stützen, die rokratisch geht, damit wir zusammenkommen. eine hervorragende Arbeit leisten. Bei dem letzten Besuch Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal sagen: Wir in Chemnitz wurde gefragt: „Können Sie sich vorstellen, haben es alle miteinander in der Hand, wie die kommenden auch Patienten aus anderen Regionen aufzunehmen?“ sechs Monate verlaufen. Entweder wir schaffen es, diese Selbstverständlich können wir das! Wir werden das in be- Infektionszahlen deutlich zu reduzieren, dann wird wieder sonderer Weise tun, wenn es um tschechische und polni- Vieles möglich sein. Oder wir schaffen es nicht und gehen sche Bürger geht. Der Arzt hat gesagt: „Was soll ich einen Weg wie Belgien, Frankreich, Polen oder Tsche- meinen Mitarbeitern sagen, die aus Polen oder Tschechien chien. Sie alle haben verfolgt, wie dort die Infektionszah- jeden Tag zur Arbeit kommen? Ich sage, bitte kommt zu len dramatisch zugenommen haben, wie dort zu Ausgangs- uns, wir brauchen euch!“ Und dann ist es ein tschechischer sperren, zu Schulschließungen, manchmal sogar zur oder ein polnischer Patient. Dann müssen wir, dann wollen Schließung von Betrieben gegriffen worden ist, um die wir handeln. Situation halbwegs in den Griff zu bekommen. Es ist am Meine Damen und Herren, ich möchte gern, dass wir die Ende für alle immer das Gleiche, und die Diskussion endet Region auf der anderen Seite der Grenze so behandeln und auch an dieser Stelle: Wenn die medizinische Versorgung so stellen, als wäre es ein Landkreis oder eine Stadt im nicht mehr gewährleistet ist, ist auch der letzte Populist der Freistaat Sachsen. Wir haben Jahrzehnte darauf gehofft, Meinung, es muss sich etwas bewegen. dass diese furchtbare Grenze wegkommt. Wir haben dafür Wir haben aber jetzt die Möglichkeit, die Sachen zu klären, jahrelang gearbeitet, dass es ein Vertrauen gibt, ein enges bevor die Krankenhäuser überlaufen. Allerdings haben wir Miteinander. Jetzt ist es so. Jetzt ist die Frage in einer be- einen Vorlauf von 14 Tagen bis drei Wochen. Die Dinge, sonderen Krise, ob und wie man sich hilft oder ob man sich die heute in Krankenhäusern zu sehen sind, sind vor 14 Ta- nur mit dem Rücken anschaut. Nein, meine Damen und gen entstanden. Wer vor einer Woche mit den Leitern der Herren, wir sollten solidarisch sein. Die Leute in Tsche- Kliniken gesprochen hat, wird festgestellt haben, dass sie chien und Polen – in unserer Grenzregion – sind unsere relativ entspannt waren. Das hat sich innerhalb von sieben Leute. Wir sind für sie da, genauso wie sie uns helfen wür- Tagen dramatisch verändert. Das gestrige Gespräch mit den, wenn es andersherum einmal Probleme gibt. den Krankenhausleitern hier in der Region und in Ostsach- (Beifall bei der CDU, den LINKEN, sen war ein ganz anderes als vor einer Woche. Sie werden den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD erleben, wie die Zahl in den nächsten ein bis zwei Wochen und der Staatsregierung) noch einmal dramatisch zunimmt. Wir haben die Chance, dass es Ende November anders wird. Das ist unser Ziel. Wir haben in der Staatsregierung, in der Koalition in den Dafür arbeiten wir. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstüt- vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Entscheidun- zung. gen getroffen in einer, wie ich finde, sehr kollegialen, offe- nen Art und Weise. Ich möchte mich für das Vertrauen und (Starker, langanhaltender Beifall bei der CDU, die Arbeit herzlich bedanken. den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD und der Staatsregierung) Wir haben gemeinsam mit den anderen Bundesländern und dem Bund darüber gesprochen, wie die Dinge in Deutsch- Präsident Dr. Matthias Rößler: Ich danke dem Herrn Mi- land organisiert werden können. Wir brauchen ein beherz- nisterpräsidenten für die Regierungserklärung. Wir kom- tes Agieren aller Beteiligten. Der eine oder andere ist etwas men jetzt zur Aussprache. Folgende Redezeiten wurden für getroffen, weil die erste Welle glimpflicher verlaufen ist als die Fraktionen festgelegt: CDU 42 Minuten, AfD 37 Minu- man es befürchtet hat. Das haben wir aber auch an anderen ten, DIE LINKE 26 Minuten, BÜNDNISGRÜNE 24 Mi- Stellen schon gesehen. Es darf nicht dazu führen, dass man nuten, SPD 22 Minuten. Die Reihenfolge in der ersten ängstlich oder kleinmütig wird oder zögert. Wir brauchen Runde: AfD, CDU, DIE LINKE, BÜNDNISGRÜNE, SPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. 1019 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Meine Damen und Herren! Ich erteile der Fraktion der AfD Akteure haben auf allen Ebenen, auch im Bund und in an- das Wort. Das Wort ergreift Kollege Urban. deren Ländern, versagt. Sie und Ihre Gesundheitsministe- rin haben versagt, Herr Kretschmer! Jörg Urban, AfD: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Sehr geehrte Damen und (Beifall bei der AfD – Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Unternehmer, Gewerbe- Sören Voigt, CDU: Wie schlimm treibende, Arbeitnehmer, Rentner, Schüler! Liebe sächsi- ist denn die Situation in anderen sche Bürger! Ländern? In Amerika? In Russland?) (Susanne Schaper, DIE LINKE: Genau wie Sie es im Sommer versäumt haben, sich auf ei- … und Bürgerinnen!) nen erneuten Anstieg der Neuinfektionen vorzubereiten, haben Sie es im Februar und März versäumt, Vorbereitun- Ich möchte in meiner Rede zum erneuten Corona-Lock- gen gegen die Verbreitung des Virus auch in Deutschland down in Sachsen mit der Benennung eines Einzelschick- und Sachsen zu treffen. Ihre Gesundheitsministerin, Frau sals beginnen, eines typischen Beispiels für Betroffene des Köpping, hat es in einem von ihr verfassten Artikel auf ei- politischen Versagens Ihrer Regierung, Herr Kretschmar. ner Fachseite für Gesundheitspolitik sehr zutreffend be- (Zuruf von den LINKEN: Kretschmer!) schrieben und das Versagen dokumentiert – für jedermann nachlesbar. Sie schrieb dort, dass es ihr bereits, seit sich das Nicht das Coronavirus, sondern erst die Kopflosigkeit der Virus in Wuhan bzw. in China ausbreitete, klar war, dass es Staatsregierung hat ganze Branchen in eine tiefe Krise ge- auch Sachsen treffen würde. Das war im Januar dieses Jah- stürzt. Es geht in meinem Beispiel um ein Berghotel in der res! Sächsischen Schweiz, ein Traditionsunternehmen. Nur um den Corona-Auflagen gerecht zu werden, haben die Betrei- Auch die WHO mahnte am 25. Januar die Länder noch ein- ber erst kürzlich 20 000 Euro allein für Plexiglasscheiben mal zur Vorbereitung auf die weltweite Verbreitung des Vi- investiert. Auch alle anderen Hygieneauflagen wurden rus. Sie aber taten bis März erst einmal gar nichts. ohne Murren eingehalten – vergeblich, wie sich jetzt zeigt. Schutzausrüstung wurde sogar außer Landes verschenkt; Das Hotel ist geschlossen, die Betten bleiben leer. Ob es Testkapazitäten wurden nicht aufgebaut. Ein Steuerungs- am 1. Dezember wirklich weitergeht, steht in den Sternen. gremium und ein Krisenstab wurden erst Anfang März ein- Herr Kretschmer, Sie sprachen gerade von den nächsten gerichtet. Den sächsischen Pandemieplan haben Sie erst sechs Monaten. Das Berghotel wird den Lockdown viel- am letzten Februartag angepasst. Die Grenzen blieben leicht mit erheblichen Einbußen überstehen. Bei vielen sperrangelweit offen und Infizierte stiegen unter dem Des- kleineren Betrieben sieht es anders aus. Viele Familienun- interesse der Behörden reihenweise aus den Flugzeugen. ternehmen, Hotels, Pensionen, Kneipen, Restaurants wer- Das war Laissez-faire, ein Laufenlassen auf allen Ebenen. den den kommenden Winter wirtschaftlich nicht Eine ordentliche Vorbereitung hätte mit Sicherheit – selbst überstehen. nach Ihrer Logik – damals den Lockdown verhindern kön- nen. Fast acht Monate sind mittlerweile vergangen, seit das neu- artige Coronavirus zum ersten Mal auch in Sachsen auftrat Bemerkenswert ist zumindest, dass Sie sich Ihre eigenen und hier an dieser Stelle der Ministerpräsident die Sachsen Fehler eingestehen. In dem von Frau Köpping verfassten auf den Notstand einschwor. Damals dachten wohl nur Artikel wird auch von Fehlentscheidungen in der sächsi- wenige, dass wir heute wieder vor der gleichen Situation schen Politik gesprochen. Es ist nicht verwerflich, wenn stehen würden. Für Ihre Regierung ist es eine Bankrotter- Fehler gemacht werden – schlimm ist es, wenn eine Regie- klärung, dass Sie es in diesen acht Monaten nicht geschafft rung aus ihren Fehlern nichts lernt. Denn wir sind heute haben, aus den Erfahrungen vom Frühjahr eine dauerhafte wieder an dem Punkt, dass Sie den Kopf in den Sand ge- Strategie für den Umgang mit dem Coronavirus zu entwi- steckt haben, bis Ihnen, nach Ihrer Ansicht, nur der erneute ckeln. Lockdown übrigblieb. (Beifall bei der AfD) Was ein relevanter Teil der Wissenschaftler von Ihrer Entscheidung hält, haben Sie ja vielleicht letzte Woche ver- Ihre Aktivitäten, Herr Kretschmer, waren schon damals – nommen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie zu Beginn der Krise – schlecht und sie sind es heute wieder. die Virologen Streeck und Schmidt-Chanasit haben Ihnen Die Sommermonate sind verstrichen, ohne dass Sie die und Ihrem Positionspapier die Leviten gelesen. Sie Ihnen zur Verfügung stehende Zeit genutzt haben, sprechen von Versäumnissen in den Sommermonaten und (Zurufe von den LINKEN) forderten den Bund, die Bundeskanzlerin sowie die Bun- desländer zum Strategiewechsel auf. Herr Gassen, der Vor- um genau das zu verhindern, was Sie jetzt am Wochenende sitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, mahnte mit der neuen Corona-Schutzverordnung erneut angeord- in Bezug auf Ihren erneuten Lockdown, dass das kein trag- net haben. Viele Betriebe stehen jetzt vor dem Ruin – so fähiges Konzept sei. wie zum Beispiel die eingangs angesprochenen Hotels. Sie haben nach Ansicht dieser Wissenschaftler und Ärzte Hätten Sie ein tragfähiges Handlungskonzept, müssten Sie zwei Dinge versäumt: jetzt keinen zweiten Lockdown verhängen. Die staatlichen

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Erstens fehlt es Ihnen an einer ausreichend genauen und (Beifall bei der AfD – aussagekräftigen Bewertungsgrundlage für den Pandemie- Widerspruch bei den LINKEN) verlauf, die auf weit mehr beruht als auf der reinen Anzahl Das wäre zum Beispiel der Zutritt in Pflegeheime und der Positivtests. Gemeint sind die Versorgungssituation in Krankenhäuser nur mit einem negativen Corona-Schnell- den Krankenhäusern, die Entwicklung nachgewiesener In- test, die Sicherstellung der Versorgung mit filtrierenden fektionen und die Entwicklung schwerer und tödlicher Ver- Masken, die regelmäßige Testung für Personal, Bewohner laufsformen. Mit diesem fachlich fokussierten Blick muss und Patienten, und das wäre der Aufbau von Unterstüt- man konstatieren, dass wir eben nicht an dem Punkt sind, zungsmöglichkeiten für Personen aus Risikogruppen. All an dem die Situation außer Kontrolle ist. Wir sind auch das würde helfen. Es funktioniert aber bis heute nicht! Die weit von einer medizinischen Katastrophe entfernt. Noch regelmäßigen Testungen für Seniorenheime durch Anti- bleibt genug Zeit, mit klugen Maßnahmen die Eigenverant- gen-Schnelltests sind jetzt zwar endlich geplant, aber noch wortung und das Risikobewusstsein der Bürger zu schär- lange nicht umgesetzt. Es fehlt an Personal, das die Tests fen. auch anwenden kann. Auch die Marktpreise für diese Tests (Beifall bei der AfD) sind mittlerweile so hoch, dass die in Aussicht gestellte Re- finanzierung nicht mehr ausreicht. Zweitens. Sie haben bei der Entwicklung und Umsetzung einer Schutzstrategie für Risikogruppen versagt. Ihr Lock- Was ich damit sagen will, ist, dass Ihnen doch klar sein down ist daher nichts als ein schlechter Ersatz für zielge- muss, dass die Lockdown-Politik all diese Defizite nicht richtete und effektive Maßnahmen. beseitigt. Sie müssen eine dauerhafte Strategie entwickeln, die die Risikogruppen schützt und den Bürgern ihre Frei- (Vereinzelt Beifall bei der AfD – heiten lässt, Zuruf von den LINKEN: So eine Unterstellung ist eine Unverschämtheit!) (Beifall bei der AfD) Sie haben es versäumt, mildere Mittel einzusetzen. Neh- indem sie auf Freiwilligkeit und auf Einsicht setzt und eben men Sie diese Kritik wenigstens von den zuvor genannten nicht auf drakonische Pauschalverbote – eine Strategie, die Virologen und der KBV einmal zur Kenntnis, wenn Sie uns die Wirtschaft stärkt und nicht ruiniert. Dabei geht es nicht aus ideologischen Gründen schon keinen Glauben schen- darum, Risikogruppen die Teilnahme am normalen Leben ken wollen! zu verwehren, nur damit der Normalbürger weiterhin sein Vergnügen haben kann. (Beifall bei der AfD) Es geht bei einer dauerhaften Strategie um die Sicherung Weil Sie es versäumt haben, dieses Schutzkonzept für Ri- der wirtschaftlichen Existenz vieler Bürger. Es geht auch sikogruppen zu entwickeln, entwickeln jetzt mehrere Be- um die Sicherung der Leistungsfähigkeit unseres Sozial- rufsverbände, Ärzte und Wissenschaftler – ausgehend von staates. Die Rechnung ist nämlich ganz einfach: Ihr Verbot dem Positionspapier der KBV – differenzierte Konzepte von Erwerbstätigkeit führt zu einer Schieflage der Sozial- und eine Langfriststrategie im Umgang mit dem Coronavi- kassen. Zerstörte Existenzen führen zu Armut und steigen- rus. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe gewesen! Nun den Fallzahlen in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Diese kommt es wieder einmal auf das Engagement einiger we- Sozialleistungen können aber nur von einer starken und niger an, die nicht bereit sind, die Verantwortungslosigkeit funktionierenden Wirtschaft ermöglicht werden. Ihre Krise und das Herumlavieren der Politiker hinzunehmen. kann doch nicht ernsthaft und dauerhaft noch über Jahre (Beifall bei der AfD) durch die Notenpresse finanziert werden! Sie schaffen mit der Staatsverschuldung ganz neue Probleme, die am Ende Diese Menschen und Verbände versuchen nun, die Situa- viel dramatischer sein können als die Coronakrise selbst. tion zu retten und den Plan zu entwickeln, den Sie immer noch nicht haben. (Beifall bei der AfD) Werfen wir einmal einen Blick in die Statistik: Derzeit sind Obwohl auf all diese Probleme von Fachleuten hingewie- vor allem junge Menschen unter den Neuinfizierten. Es ist sen wird, ordnen Sie trotzdem einen erneuten Lockdown also kein Wunder, dass der Anteil der Patienten, der im an. Wie viel Gesundheitsschutz dieser tatsächlich bringt, ist Krankenhaus behandelt werden muss, deutschlandweit nur auch wissenschaftlich höchst umstritten. Schauen wir ein- etwa ein Viertel so hoch ist wie im Frühjahr. Auch der An- mal nach Berchtesgaden: Dort wurde der Lockdown am teil der Patienten, die infolge der Erkrankung verstarben, 20. Oktober angeordnet. Vor dem Lockdown war dort die war im Frühjahr 14-mal so hoch wie aktuell. Und genau 7-Tage-Inzidenz genau so hoch wie sie jetzt, zwei Wochen das ist der Punkt, an dem es auch nach Ansicht der Fach- später, ist; sie ist damit immer noch doppelt so hoch wie in experten nun endlich ein Umsteuern braucht. Der bestmög- Bayern insgesamt. Das zeigt: Ein Lockdown ist ineffizient liche Schutz von Menschen mit hohem Risiko für schwere und teuer zugleich. und tödliche Verläufe eröffnet Möglichkeiten für ein Leben Sollten Sie dann im Dezember den Lockdown wieder be- ohne allzu große Einschränkungen für den Großteil der Be- enden – was ich anhand der Ergebnisse aus Berchtesgaden völkerung. bezweifle –, dann haben Sie immer noch kein tragfähiges Konzept und keine dauerhafte Strategie.

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(Beifall bei der AfD) arbeiten und öffnen zu dürfen. Sie haben es am wenigsten verdient, jetzt schließen zu müssen. Und weil Sie diese nicht haben, stehen Sie dann doch spä- testens im Februar oder März wieder vor dem nächsten (Beifall bei der AfD) Lockdown, wenn Sie nicht endlich Ihren Pflichten nach- Ihre Entscheidung zum Lockdown dieser Dienstleister ver- kommen und Ihre Strategie anpassen, so wie Fachleute das stehe wer will; ich verstehe sie nicht. schon lange fordern. Sie ruinieren mit Ihrer Lockdown- Politik unser Land, unsere Bürger und unsere Wirtschaft. Ein anderes Thema: Noch im Frühjahr empfahl Ihr Partei- Irgendwann gibt es in diesem Land nichts mehr zu retten, kollege Herr Spahn den Bürgern, einen Urlaub in Deutsch- weil Sie mit Ihren Lockdowns alles bereits kaputtgemacht land zu buchen. Wer den Rat befolgte und zum Beispiel im haben. Freistaat Sachsen buchte, steht nun trotzdem ohne Urlaub da. Sachsen lebte bis dato auch vom Tourismus, gerade der Herr Kretschmer, Sie haben keine Lösung für den Umgang ländliche Raum – dank Ihres zweiten Lockdowns nun nicht mit Corona. Sie und Ihre Kollegen in den anderen Bundes- mehr. ländern und die Bundeskanzlerin sind Teil des Problems. Sie und alle anderen Verantwortlichen schließen jetzt Bereits Ende September musste der sächsische Tourismus genau die Bereiche des öffentlichen Lebens, die in der wöchentlich Umsatzeinbußen von 76 Millionen Euro hin- Vergangenheit am härtesten daran gearbeitet haben, nehmen. Die neuen Corona-Maßnahmen werden diese un- ordentliche und tragfähige Hygienekonzepte zu entwickeln geheure Zahl noch einmal in die Höhe treiben. Das und umzusetzen. Ich rede hier von den Gastronomen, den Ergebnis Ihrer Verbotspolitik wird sein, dass sich die Leute Hoteliers und der gesamten Veranstaltungsbranche, den jetzt wieder vermehrt im privaten Umfeld treffen oder auch Kultureinrichtungen, Museen, Kinos und Sportstätten. Es im öffentlichen Raum. Dort gibt es keine Gästelisten, keine sind diese Restaurants, Hoteliers und Dienstleister, die Hygienekonzepte, und niemand kontrolliert Abstandsge- Tausende Euros an Investitionen in Plexiglaswände, in bote und Hygieneregeln. Sie riskieren, genau das Gegenteil Luftreiniger und in andere Hygienemaßnahmen getätigt von dem zu erreichen, was Sie eigentlich bezwecken. Da- haben. Gästezahlen wurden reduziert, und dadurch wurde her kann ich es nur begrüßen, dass die DEHOGA bereits auf Einnahmen verzichtet – Hauptsache, man durfte über- angekündigt hat, gegen die Schließung des Hotel- und haupt noch öffnen. Gaststättengewerbes zu klagen. Ihre Gesundheitsministerin, Frau Köpping, hat selbst Auch in der Vergangenheit haben Gerichte schon oft genug mehrfach in der Vergangenheit betont, dass sich das Virus unsinnige Corona-Regelungen einkassiert, sei es die Mas- vor allem im privaten Bereich ausbreite, also bei Familien- kenpflicht im Unterricht, seien es die Beherbergungsver- feiern, dem Besuch von Freunden, aber vor allem auch im- bote für Gäste aus innerdeutschen Risikogebieten, die mer wieder bei Großhochzeiten arabischer Clans. Hier Sperrstunden und die 800-Quadratmeter-Regelung für die waren zum Beispiel zuletzt in NRW nach einer arabischen Öffnung von Geschäften. Großhochzeit 150 Neuinfizierte zu verzeichnen. Einer die- Sogar die unbequemen Corona-Proteste in sollten ser infizierten Gäste ist mittlerweile sogar gestorben. durch den SPD-Innensenator verboten werden. Dumm nur, Auch die sogenannte Partyszene war in der Vergangenheit dass dieser den Mund nicht halten konnte und die wahren deutschlandweit immer wieder aktiv. So feierte man nicht Gründe für das Verbot ausplauderte. Folglich wurde auch nur in Berliner U-Bahnen und Parks Corona-Partys, son- dieses Versammlungsverbot gerichtlich gekippt. dern erst am Wochenende auch wieder in Frankfurt. Auch an diesen Beispielen sieht man sehr deutlich, dass auf (Zurufe aus mehreren Fraktionen) allen Ebenen kein klarer, langfristiger Plan vorhanden ist. Schlimmer noch, die Coronakrise wird für politische Zwe- Ich rede hier von Jugendlichen mit überwiegend Migrati- cke instrumentalisiert, um politisch Unbequemen das Le- onshintergrund. In Frankfurt griff diese bis zu 800 Mann ben schwer zu machen, auch in Sachsen – und das ist dann starke Partyszene in zwei Nächten auch die Polizei an und Ihre Auffassung von Rechtsstaatlichkeit! legte auf die Corona-Regeln natürlich keinen Wert. Das ge- hört eben auch zur Wahrheit: Es gibt in Deutschland Be- (Beifall bei der AfD) völkerungsgruppen, denen Regeln völlig egal sind. Die Rechtsstaatlichkeit leidet im Übrigen seit dem Beginn (Beifall bei der AfD – Zurufe) der Coronakrise. Seit März regieren Sie und Ihre Gesund- heitsministerin das Land per Verordnungen am Parlament Das sind aber die Probleme, die Sie nicht mit der Schlie- vorbei. Ein Rechtsmediziner bezeichnete Ihr Handeln als ßung von Restaurants, Hotels, Dienstleistungsbetrieben „die weitreichendsten und intensivsten kollektiven Grund- und Veranstaltungen in den Griff bekommen können. rechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik“. Schauen Sie sich einfach die Auswertung des Robert- Koch-Instituts zu den Infektionsherden positiv getesteter Ihre Corona-Schutzverordnungen stützen sich auf die Ge- Personen an. Hier ist klar ersichtlich, dass weder Hotels neralklauseln des Infektionsschutzgesetzes. Diese ermög- noch die Gastronomie noch Veranstaltungen ein besonde- lichen aber nur zeitlich, regional und personell limitierte res Problem darstellen. Diese Bereiche haben in der Ver- Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Sie aber regieren seit gangenheit alles gegeben, um möglichst korrekt zu acht Monaten auf dieser Grundlage und schränken die

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Grundrechte aller Bürger mit diesen Generalklauseln ein – Erst waren es die Kitakinder und Schüler, dann waren es und das ohne jede Beteiligung des Sächsischen Landtags. die Gaststättenbesucher, jetzt sind es die „Maskenmuffel“, die angeblich den Tod älterer und kranker Menschen be- (Beifall bei der AfD) wusst in Kauf nehmen. Lange werden sich die Menschen Der Gesetzgeber, also das Parlament, der Sächsische Land- das nicht mehr gefallen lassen. Schauen Sie nach Italien, tag, muss bei dauerhaften und flächendeckenden Grund- schauen Sie nach Spanien und Frankreich, wo inzwischen rechtseinschränkungen der Entscheidungsträger sein, nicht immer heftiger gegen die Zwangsmaßnahmen demonstriert Sie, Herr Kretschmer, auch wenn Sie das gern so hätten, wird. Sie können den Menschen nicht verbieten, sich zu und auch nicht Frau Merkel, die regelmäßig die Länder- treffen. Sie können den Menschen nicht verbieten, ihren chefs im Kanzleramt auf Kurs bringt. Lebensunterhalt zu verdienen, schon gar nicht, wenn Sie nicht einmal das Parlament einbeziehen. (Beifall bei der AfD) Wir, die AfD, lassen uns das nicht länger gefallen. Die Die Art und Weise, wie Sie agieren, ist undemokratisch, AfD-Fraktion hat am Montag eine Normenkontrollklage und sie widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip. Bis heute gegen Ihre Corona-Schutzverordnung auf den Weg ge- haben Sie keinen Weg gefunden, Ihr Handeln auf eine bracht. Wenn Sie nicht willens sind, die Rechtsstaatlichkeit rechtsstaatliche Grundlage zu stellen. herzustellen, dann bringen wir Sie dazu, indem das Verfas- Frau Staatsministerin Köpping, Sie sagten erst im Septem- sungsgericht Ihre Corona-Schutzverordnung für nichtig er- ber: „Der Tag der Demokratie soll uns daran erinnern, dass klären wird und Sie so gezwungen sein werden, endlich Demokratie nicht selbstverständlich ist. Damit Demokratie rechtsstaatliche und demokratische Wege zur Bekämpfung lebendig bleibt, muss man sich kontinuierlich für sie ein- des Coronavirus zu finden. setzen, sie muss aktiv gepflegt und verteidigt werden.“ Wir (Beifall bei der AfD) als AfD-Fraktion nehmen Sie beim Wort, Frau Köpping, denn die Macht geht immer noch vom Volke aus. Derzeit Neben der Umgehung des Parlaments wollen wir auch die betreiben Sie hinter verschlossenen Türen eine Hinterzim- in der Verordnung enthaltenen Einzelregelungen gericht- merdemokratie, mit der Sie neue und schmerzhafte Verbote lich prüfen lassen. Es ergeben sich nämlich zahlreiche Wie- für unsere Bürger festlegen. Auch im Kanzleramt werden dersprüche, die nach unserer Ansicht rational nicht diese Entscheidungen allein durch die Ministerpräsidenten erklärbar und nachvollziehbar sind. und die Bundeskanzlerin getroffen. Unser Grundgesetz Einige Beispiele: Breitensport wurde verboten – Profisport sieht diese Zusammenkunft aber eben nicht als gesetzgebe- bleibt erlaubt. Ist das Infektionsrisiko im Profisport etwa risches Staatsorgan vor. geringer? Ich glaube nicht. Par ordre du mufti der Kanzlerin wird Deutschland derzeit (Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) wieder „heruntergefahren“. Wo bleibt hier eigentlich die Beteiligung der Parlamente? Überfüllte Straßenbahnen dürfen benutzt werden – Aus- flüge mit dem Reisebus, in denen die Hälfte der Sitzplätze (Beifall bei der AfD) nicht belegt ist, sind aber verboten. Das Infektionsrisiko ist Die Bürger erwarten, dass wir als Sächsischer Landtag in doch in der Straßenbahn weitaus höher. den wichtigen Fragen unseres Landes entscheiden und die (Ach! von der CDU) Verantwortung eben nicht an der Garderobe der Exekutive abgeben. Es ist an der Zeit, das Verantwortungsgefüge zwi- Zudem weiß man in der Straßenbahn nicht, wer neben ei- schen Parlament und Regierung wieder ins Lot zu bringen. nem gesessen hat – im Reisebus schon. Die Zeit, in welcher das Parlament nur an der Seitenlinie Friseure dürfen weiter Haare schneiden, andere körpernahe steht und die Handlungen der Exekutive kommentiert, Dienstleistungen wie Massagen oder Fußpflege sind ver- muss der Vergangenheit angehören. Als Lehre aus der ge- boten. genwärtigen Krisensituation muss auf Landes- und Bun- desebene ein gesetzlicher Parlamentsvorbehalt geschaffen Warum privilegieren Sie einige Bereiche, und andere Be- werden. Wer aber Ihre Selbstermächtigung hinterfragt, reiche erhalten quasi ein Berufsverbot? Das ist rational wird von den etablierten Parteien und von den Medien als nicht erklärbar und dem Bürger schon lange nicht mehr Corona-Leugner und Querulant diffamiert; wir haben es vermittelbar. gerade wieder erlebt. Auch sind in Sachsen-Anhalt die Zoos und Botanischen (Zurufe von den LINKEN) Gärten weiterhin geöffnet. In Thüringen sind die Museen weiterhin geöffnet; in Sachsen schließen Sie alles. In Wissenschaftler, die auf die fehlenden wissenschaftlichen Mecklenburg-Vorpommern dürfen Kinder grundsätzlich Grundlagen für Ihre Maßnahmen hinweisen, werden dis- weiter am Breitensport teilnehmen; in Sachsen ist der Brei- kreditiert und ausgegrenzt. So spalten Sie die Gesellschaft tensport komplett verboten. In Thüringen und Sachsen-An- und bringen durch Panikmache und Schüren von Angst halt sind Kosmetik- und Nagelstudios weiterhin offen; in einzelne Gruppen gegeneinander auf. Sachsen sind diese geschlossen. (Beifall bei der AfD) Ist das Virus in anderen Bundesländern weniger gefährlich als in Sachsen? Eine wissenschaftliche Begründung für all 1023 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 die genannten Unterschiede bleiben Sie den Menschen bis Die Infektionszahlen sanken im Sommer witterungsbe- heute schuldig, Herr Kretschmer. dingt und bevor der angeordnete Lockdown in Kraft getre- ten ist. (Beifall bei der AfD) (Zuruf des Abg. Sören Voigt, CDU) Sie nutzen also noch nicht einmal die kleinen Spielräume, die bestehen, um sich dem Diktat aus dem Kanzleramt zu Anstelle einer Stärkung der Wirtschaft sollen nun wieder widersetzen. Hören Sie endlich auf, der verlängerte Arm einmal die Bürger, die Ärzte und Pflegekräfte – sowie die von Frau Merkel zu sein. Gewerbetreibenden, denen Sie ein Berufsverbot erteilen – das ausbaden, was die Politik auch in Sachsen und was Sie, (Beifall bei der AfD – Herr Kretschmer, verschlafen haben. Zurufe von der AfD: Genau! Bravo!) Herr Kretschmer, es braucht endlich einen Strategiewech- Eine Merkel 2.0 braucht Sachsen definitiv nicht. sel in der Politik und keine ganzseitigen Zeitungsanzeigen. (Beifall bei der AfD – Das nimmt kein Mensch mehr ernst. Unsere Bürger sind Zurufe von der AfD: Richtig!) vernünftig Sie, Herr Kretschmer, haben heute die sächsischen Bürger (Zuruf: Das haben wir gemerkt!) aufgefordert, sich solidarisch zu zeigen, sich an die Regeln und verstehen ihre Rolle bei der Eindämmung des Corona- zu halten und dazu beizutragen, die Ausbreitung des virus. Sie wissen auch ohne Sie, dass es auf jeden Einzel- Coronavirus erneut einzudämmen. Herr Kretschmer, die nen ankommt. Den Bürgern fällt es aber umso schwerer, sächsischen Bürger sind nicht das Problem – Sie sind das ihren Beitrag zu leisten, wenn sie Zweifel am Vorhanden- Problem. sein einer tragfähigen Strategie der Regierung haben. Wo waren denn Ihre Aktivitäten zur Vorbereitung auf den (Zuruf der Abg. erneuten Anstieg der Infektionen? Sie hatten im Sommer Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE) genug Zeit, Konzepte und Strategien zu entwickeln. Nichts ist passiert. Schutzkonzepte für die Risikogruppen: Fehlan- Die Bürger fragen sich, wie lange das noch so weitergehen zeige! Breite Anwendung von Antigen-Schelltests im Um- soll. Wie viele Lockdowns kommen noch? Hält der Aus- feld dieser Risikogruppen: Das scheitert bis heute an der nahmezustand womöglich noch Jahre an? All das sind re- Umsetzung. levante Fragen in diesem Zusammenhang, auf die Sie, Herr Kretschmer, keine Antwort liefern können, (Unruhe bei den LINKEN) (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Sicherung des Personalbedarfs in den Krankenhäusern und Sie auch nicht! – Intensivstationen: Nichts ist passiert, außer Papier. Luise Neuhaus-Wartenberg, Stattdessen blähen Sie mit Ihren Koalitionspartnern die DIE LINKE: Niemand liefert die!) Ministerialbürokratie auf: 470 neue Stellen für das Partei- weil Ihnen ein Plan fehlt. personal von CDU, SPD und GRÜNEN. (Beifall bei der AfD) (Lebhafter Beifall bei der AfD) Wir als Gesellschaft müssen lernen, mit dem Virus zu le- Selbst der groß angekündigte Corona-Bonus ist immer ben. Es braucht eine Normalisierung im Umgang mit noch nicht ausgezahlt. Vielleicht schaffen Sie das wenigs- Corona. Dafür bedarf es besserer und dauerhafter Schutz- tens bis Ende des Jahres, um die Motivation der dringend strategien für die Risikogruppen. Und es bedarf mehr Ver- benötigten Pflegekräfte nicht weiter zu strapazieren. trauen in die Eigenverantwortung unserer sächsischen (Zuruf der Abg. Bürger und Unternehmer. Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE) Herr Kretschmer, so, wie Sie die Bürger aufgefordert ha- Herr Kretschmer, der „Focus“ zitiert Sie folgendermaßen: ben, zur Pandemiebekämpfung beizutragen, so fordere ich „Deutschland hat durch eine kluge und stringente Politik Sie auf, endlich Ihren Teil dazu beizutragen, rationale Ent- die Infektionszahlen dramatisch gesenkt. Jetzt geht es da- scheidungen zu treffen, geeignete Strategien für den lang- rum, die wirtschaftlichen Fähigkeiten des Landes wieder fristigen Umgang mit dem Coronavirus zu entwickeln und zu stärken.“ diese dann auch umzusetzen. (Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE) Vielen Dank. Ich glaube, bei so viel unverdientem Lob wäre sogar der (Beifall bei der AfD) notorische Schönredner Erich Honecker vor Scham errötet. Präsident Dr. Matthias Rößler: Die Aussprache zur Re- (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – gierungserklärung wurde von der AfD-Fraktion durch Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) Herrn Kollegen Urban eröffnet. Jetzt folgt für die CDU- Fraktion Kollege Hartmann.

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Christian Hartmann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsi- Sie sind nämlich jemand, der die Themen gerne so nutzt dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So ganz un- und zusammenschiebt, wie er es mag. Heute reden wir ein kommentiert möchte ich das nicht stehen lassen. Herr bisschen über Sachsen, und dann wird es halt „Bund“, Urban, Ihren Ausführungen ist zu entnehmen: Es gibt tat- wenn die Argumentation nicht mehr reicht. Dann bemüht sächlich Gruppen, denen die Corona-Regeln offenbar egal man Nordrhein-Westfalen, und wenn es in Deutschland sind. nicht mehr zu lösen ist, schauen wir einmal, was noch in Wenn man Ihren Ausführungen zuhört, dann hat man den Europa zu bekommen ist. Wenn das nicht reicht, dann ist Eindruck: Da hat nicht nur Sachsen, da hat nicht nur Ihnen am Ende auch die Welt nicht genug, Herr Urban. Deutschland, da hat die ganze Welt versagt – vielleicht bis (Zuruf von der CDU: Genau so!) auf Ihre Vorzeigedemokratie China, die da sehr konsequent gehandelt hat. Wir sehen ein weltweites Phänomen und ein Dann möchte ich Ihnen am Ende noch einen Satz zu Ihren weltweites Lösungsbestreben. Ausführungen sagen. Passen Sie bitte auf, dass es Ihnen am Ende nicht so geht wie Goethes Zauberlehrling: „Herr, die Im Übrigen darf ich daran erinnern: Ihnen und Ihrer Frak- Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht tion waren die Einschränkungen ja schon im Frühjahr zu los.“ viel. Ich glaube, im Mai haben Sie gefordert, wieder zur vollständigen Normalität zurückzukehren – als ob da gar (Beifall bei der CDU, der SPD und der nichts gewesen wäre. Staatsregierung – Zuruf von der CDU: Genau so!) (Zuruf von der AfD: Sind die Zahlen gefallen?) Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vergange- nen Wochen ist die Zahl der Neuinfektionen mit dem Sie drehen sich im Wind. Im März, April wussten Sie schon Coronavirus nach oben geschnellt. Fast täglich melden die immer, was da in China im November begonnen hat. Dann Gesundheitsämter neue Höchststände an Infektionszahlen. haben Sie ausgerufen, das Ganze sei beendet, um jetzt zu Ja, es ist richtig, dass heute mehr getestet wird als noch im beklagen, dass die Regierung offenkundig keinen Plan März, April 2020. Dennoch sind die Zahlen – diesen Faktor habe. in Relation gesetzt – bereits höher als im März 2020. (Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD) Jetzt werden Sie von der AfD einwenden, die alleinige Zahl der positiv Getesteten sei kein scharfes Kriterium. Das ist Nur, Herr Urban, bleiben Sie bei alledem – ich zitiere Sie: richtig. Sie muss in Relation zu anderen statistischen Daten Sie forderten heute „kluge Vorschläge“ – Ihre klugen Vor- und zur Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems schläge ja schuldig. Sie sammeln sich etwas zusammen, er- gesetzt werden. Aber so hat die Zahl der schweren Verläufe zählen einen Stückwert und drehen es in die Richtung, wie auch deutlich zugenommen. In Sachsen werden derzeit Sie es wollen. 228 Patientinnen und Patienten mit Covid-19-Symptomen (Norbert Mayer, AfD: Sie können ja mal zuhören!) auf Intensivstationen behandelt. Davon müssen 70 beatmet werden. Von gestern zu heute früh sind 22 neue Patienten Ich darf Sie daran erinnern, Herr Urban: Sie sind Teil dieses mit Covid-19 auf Intensivstationen in Sachsens Kranken- Hohen Hauses. Es wäre an Ihnen als Opposition gewesen, häusern registriert worden. Im April 2020, auf dem Höhe- in den letzten acht Monaten – wenn Sie dieses große „Re- punkt der ersten Phase der Pandemie, lag die Zahl der gierungsversagen“ kommen sahen – doch mit einem eige- intensivmedizinisch behandelten Patienten mit Covid-19- nen Regierungsentwurf – einem eigenen Gesetzesentwurf Symptomen bei etwa 80. Noch am 1. Oktober 2020 lag die – – Zahl bei 12 Patienten, und die Zahl der Toten, die an oder (Oh-Rufe von der AfD – mit Covid-19 gestorben sind, ist seit Anfang Oktober 2020 Zuruf: Regierungsentwurf! – um über 100 Personen auf nun aktuell 342 Personen gestie- Demonstrativer Beifall bei der AfD) gen. Allein diese Zahlen, meine sehr geehrten Damen und Herren, zeigen die erhebliche Dynamik dieses Pandemie- – Ja, das wird sicherlich noch sehr, sehr lange dauern. – verlaufs. Aber Sie hätten einen eigenen Gesetzesentwurf in dieses Hohe Haus einbringen können, worin Sie Ihre konkreten Angesichts der derzeit exponentiell wachsenden Infekti- Vorschläge hätten formulieren können. Aber nein, dazu onszahlen arbeiten die Gesundheitsämter deutschlandweit sind Sie weder willens noch in der Lage. bereits jetzt an ihrer Belastungsgrenze, sodass die Infekti- onsketten kaum noch nachzuverfolgen sind. Aktuell kann (Beifall bei der CDU, der SPD nur bei rund 25 % der Fälle zurückverfolgt werden, wo die und der Staatsregierung) Infektionen überhaupt stattgefunden haben. Im Übrigen glaube ich in Bezug auf den Freistaat Sachsen, Auch in den sächsischen Gesundheitsämtern ist die Lage dass Großhochzeiten arabischer Clans derzeit nicht das angespannt. Daher hat die Sächsische Staatsregierung größte Problem des Erzgebirges, des Vogtlands oder des bereits in der letzten Woche eine umfassende personelle Landkreises Görlitz sein dürften. Unterstützung der öffentlichen Gesundheitsdienste be- (Beifall bei der CDU, den LINKEN, schlossen. So können die 13 Gesundheitsämter der Land- den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD kreise und kreisfreien Städte jeweils 40 Mitarbeiter der und der Staatsregierung) 1025 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Staatsverwaltung anfordern, die dann bei der Kontaktnach- Kampf gegen die Corona-Pandemie ist für viele mittler- verfolgung helfen sollen, und zwar neben den bereits ein- weile auch ein Kampf um ihre Existenz geworden. Deshalb gesetzten Kräften der Bundeswehr und der Unterstützung ist es gut, richtig und notwendig, dass die Bundesregierung durch Studenten. nun erneut wirtschaftliche Sonderhilfen für diese und wei- Da Sachsen mittlerweile mit einer erheblichen Dynamik tere Branchen in Aussicht gestellt hat. Ich nehme den Bund des Infektionsgeschehens zu kämpfen hat, ist die perso- an dieser Stelle auch im Namen meiner Fraktion beim nelle Hochrüstung der Ämter jedoch kein Allheilmittel, mit Wort, allen Betroffenen, die von den erneuten Schließun- dem sich das Problem grundsätzlich lösen lassen könnte. gen erfasst sind, zu helfen. Das war übrigens die Grund- Das Infektionsgeschehen hat sich mittlerweile von einzel- lage, auf der die erneuten harten Einschränkungen von nen Hotspots auf das gesamte Land verlagert, wodurch die unserem Ministerpräsidenten, dem Kabinett und letztend- Nachverfolgungsketten ständig länger und komplexer wer- lich von meiner Fraktion mitgetragen wurden. den. 75 % des Umsatzes vom November 2019 für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter und 70 % des Umsatzes vom Novem- Dieser Befund bedeutet nichts anderes, als dass erstens das ber 2019 für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern Virus dabei ist, sich unkontrolliert auszubreiten, zweitens stehen hier in Rede. Das muss sowohl für die Gastronomie, die Patientenzahlen mit Covid-19-Symptomen in den die Veranstaltungsbranche, den Tourismus als auch für die Krankenhäusern stetig weiter steigen – wir haben heute Kommunen gelten und natürlich ganz explizit für die So- vom Ministerpräsidenten gehört, dass es aktuell etwa tau- loselbstständigen, die in der ersten Phase der Pandemie nur send sind – und drittens die Zahl der intensivmedizinisch teilweise berücksichtigt wurden. behandelten Patienten weiter ansteigen wird, würden wir jetzt nicht konsequent handeln. In der Konsequenz besteht Wir werden uns in Berlin dafür einsetzen, dass diese Über- also die Gefahr, dass auch unser gut funktionierendes Ge- brückungshilfen schnell zur Auszahlung kommen. Bundes- sundheitssystem schon in absehbarer Zeit nicht mehr in der finanzminister Scholz hat hierfür erst einmal einen Betrag Lage wäre, alle Patienten adäquat zu versorgen. Wenn sich von 10 Milliarden Euro veranschlagt. Es wird sich in den das Infektionsgeschehen weiter so dynamisch entwickelt, kommenden Wochen zeigen, ob dieses Geld ausreicht oder besteht sogar die Gefahr, dass wir unsere Möglichkeiten weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. der medizinischen Versorgung absehbar überfordern. Des- Ja, das ist sehr viel Geld. Es ist jetzt schon absehbar, dass halb haben sich Bund und Länder auf weitere Maßnahmen diese Pandemie für uns alle sehr teuer werden wird, vor al- geeinigt, um die Corona-Pandemie entschieden zu be- lem für unsere Kinder, die später dafür aufkommen müs- kämpfen. sen. Dennoch ist es richtig, zu helfen, auch in diesem Unser aller Ziel muss es jetzt sein, Kontakte auf ein absolut erheblichen Umfang; denn es dient einem höheren Zweck, notwendiges Minimum zu reduzieren. Daher ist es jetzt nämlich Solidarität zu üben mit denjenigen, die für alle der- wichtig, dass sich alle Bundesländer auf die in der letzten zeit die Hauptlast zu tragen haben. Sie lassen wir in dieser Woche getroffenen Vereinbarungen mit der Bundesregie- schwierigen Situation nicht allein. rung verpflichten und die Maßnahmen konsequent umset- (Vereinzelt Beifall bei der CDU) zen. Ein bundesweiter Flickenteppich an Maßnahmen ist mit Blick auf das derzeitige Infektionsgeschehen nicht nur Wenn ich sehe, wie in den letzten Monaten versucht wurde, unter Infektionsgesichtspunkten kontraproduktiv. Dies trotz zahlreicher Auflagen unser wirtschaftliches, gesell- konterkariert auch die Akzeptanz der getroffenen Maßnah- schaftliches und kulturelles Leben aufrechtzuerhalten, men. dann bin ich stolz auf unser Land. Ich bin stolz auf die Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die neue Corona- Menschen, die alles möglich gemacht haben, mit viel Kre- Schutzverordnung, die seit Montag in Kraft ist, setzt die im ativität und Improvisationstalent, aber auch Disziplin und Bund getroffenen Maßnahmen konsequent und vollständig großem Verantwortungsbewusstsein für ihre Mitmenschen. für Sachsen um. Ja, die neuen Einschränkungen sind leider (Beifall bei der CDU und den hart und treffen vor allem jene, die sowieso schon die größ- BÜNDNISGRÜNEN) ten Lasten zu schultern hatten: Gastronomen, Hoteliers, Veranstalter, Bühnen- und Messebauer und ihre Mitarbei- Genau diesen Geist brauchen wir jetzt wieder, wenn es da- ter, Kulturschaffende sowie viele, viele Soloselbstständige, rum geht, die erhebliche Infektionsdynamik einzudämmen. denen die Pandemie teilweise das Geschäftsmodell und da- Nur gemeinsam ist das möglich und nur dann, wenn jeder mit die Existenzgrundlage genommen hat. Es sind genau ein Stück Verantwortung übernimmt. die Berufsgruppen, die schon in der ersten Phase der Pan- Vor allem für Familien ist diese Pandemie mit den damit demie unter den Einschränkungen stark gelitten haben und verbundenen Einschränkungen eine Zumutung: für unsere die jetzt wieder an erster Stelle stehen, wenn es darum geht, Kinder, die nicht wie gewohnt mit ihren Freunden spielen dem Infektionsgeschehen den Kampf anzusagen. können, für Eltern, die wochenlang Heimunterricht geben mussten, und für die Großeltern, die ihre Enkel nicht oder Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass es vielen reicht, nur aus der Ferne sehen konnten. Das ist eine großartige dass sich bei manchen eine gewisse Wut, bei anderen Er- Leistung. Allen, die diese Opfer erbracht und Solidarität nüchterung oder schlichtweg Erschöpfung breitmacht. Der geübt haben, gebührt unser großer Dank.

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(Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN sind diese Maßnahmen notwendig und in Anbetracht der und der Staatsregierung) geradezu explosionsartig steigenden Fallzahlen – zumin- dest aus unserer Sicht – verhältnismäßig, denn ein Nicht- Sie müssen sich auf uns und unsere Unterstützungszusagen handeln hätte an dieser Stelle wahrscheinlich weitaus jetzt verlassen können. schwerwiegendere Folgen, als die jetzigen Maßnahmen zu Eines müssen wir uns als Politiker immer wieder ins haben. Gedächtnis rufen: All das, was bisher geleistet wurde und Wir müssten nicht nur mit deutlich steigenden Todeszahlen noch wird, ist nicht selbstverständlich. Es ist nicht selbst- rechnen, sondern auch mit weitreichenden wirtschaftlichen verständlich, dass viele Menschen nicht ihrem gewohnten Folgen, würden wir unser Gesundheitssystem überlasten. Beruf nachgehen können. Es ist nicht selbstverständlich, Auch wenn es schwer ist, das öffentliche Leben und die dass Großeltern auf ihre Enkel verzichten müssen. Es ist Wirtschaft durch Einschränkungen und Lockdowns herun- nicht selbstverständlich, dass Eltern Lehrer vertreten müs- terzufahren, lässt sich durch solche Maßnahmen nicht nur sen. Es ist nicht selbstverständlich, das private Feste die Ausbreitung weit genug eindämmen, um die Infekti- hygienekonform gefeiert werden. Daher ist es umso groß- onsketten durchbrechen zu können, wie unter anderem artiger, dass all das möglich war und ist. Es zeigt aber auch, zwei Wissenschaftler der Boston University School of wie wichtig die Eigenverantwortung von uns allen ist. Medicine und der Harvard Medical School in einem viel Ohne diese wird es nicht gehen. Ohne dieses Verantwor- beachteten Artikel in „The Lancet“ bestätigten. Oder an- tungsbewusstsein lässt sich eine solch schwierige Situation ders gesagt: Wir müssen jetzt unsere Freiheit einschränken, wie diese in einem liberal-demokratisch verfassten Rechts- damit wir sie so schnell und umfassend wie möglich zu- staat wie unserem nicht meistern. rückerhalten können. Ich möchte an dieser Stelle an die In einem gemeinsamen Kraftakt haben wir es bisher in Worte meines Fraktionsvorsitzenden-Kollegen Ralph Sachsen und in der Bundesrepublik geschafft, souverän Brinkhaus aus der Debatte im in der vergange- durch die Pandemie zu kommen. Das ist ein Umstand, für nen Woche anknüpfen. Er sagte: „Freiheit ist nicht nur die den uns von unseren europäischen Nachbarn, aber auch der Starken, Jungen und Gesunden, sondern immer auch weltweit Anerkennung und Respekt gezollt wird. Insoweit die Freiheit der Kranken, der Kinder, der Alten und der lohnt es sich gelegentlich, Herr Urban, aus der eigenen Schwachen.“ – Jawohl, genauso ist es. Schüssel heraus auch einmal in das Umland zu schauen. (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, (Jörg Urban, AfD: Das machen wir!) der SPD und der Staatsregierung) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aktuell stehen Unser demokratisches Verständnis von Freiheit ist nicht wir wie schon im März dieses Jahres wieder vor der Ent- das Recht des Stärkeren. Wir vertreten einen Freiheitsbe- scheidung, wie wir mit dem erneuten starken Anstieg der griff, der allen die Möglichkeit zur Wahl lässt; und diesen Infektionszahlen umgehen. Wir entscheiden jetzt, wie wir müssen wir vor allem auch jenen zugestehen, die in der ak- in den kommenden Wochen und Monaten durch die Pan- tuellen Situation zu den Risikogruppen zählen oder für die demie kommen. Trotz weitergehender Erkenntnisse über wir als Erwachsene und Eltern Verantwortung tragen. Wer das Virus und einer besseren Vorbereitung als im Frühjahr in dieser Situation ständig auf sein Recht pocht und nur auf 2020 bleibt unser Handeln mit zahlreichen Unsicherheiten seine Bedürfnisse schaut, der hat den Solidargedanken, der behaftet. Dennoch müssen jetzt Entscheidungen getroffen zur DNA unserer politischen Kultur und zu unserem gesell- werden. Dabei folgt unser Handeln drei klaren Prioritäten: schaftlichen Zusammenleben gehört, weder verinnerlicht erstens – eine drohende Überlastung des Gesundheitssys- noch verstanden. tems zu vermeiden und die zur Verfügung stehenden inten- (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, sivmedizinischen Kapazitäten zu sichern, der SPD und der Staatsregierung) zweitens – Kitas und Schulen auch weiterhin offenhalten Ja, auch ich finde das Tragen einer Mund-Nasen-Bede- zu können, die Belastungen für unsere Kinder und Fami- ckung alles andere als beglückend. Es ist belastend, und ich lien als Ganzes so gering wie möglich zu halten, und würde lieber früher als später darauf verzichten können. drittens – die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der säch- Mit der Entscheidung, die Mund-Nasen-Bedeckung zu tra- sischen Unternehmen so weit sicherzustellen, dass Produk- gen, treffe ich aber auch die Entscheidung, andere zu schüt- tions- und Lieferketten aufrechterhalten werden können. zen. Ich treffe mit meinem Handeln also niemals nur eine Entscheidung für mich selbst. Das sollte, nein, das muss Um dies zu gewährleisten, ist es notwendig, in anderen Be- wieder das Leitmotiv all unseres Handelns vor allem in den reichen unseres Wirtschafts-, Freizeit-, Kultur- und Gesell- kommenden Wochen sein. Wir sollten uns bei all unserem schaftslebens stärkere Einschränkungen zu treffen. Das ist Tun möglichst immer vergegenwärtigen, welche Auswir- alles andere als einfach; es führt erneut zu Einschränkun- kungen unser Handeln – oder eben auch unser Unterlassen gen unserer gewohnten Freiheiten und bedeutet abermals – hat. Nicht das Ich, sondern „das Wir gewinnt“, um es in den Eingriff in unsere Grundrechte. Das lässt sich auch einem bekannten Sinnspruch zu formulieren. nicht schönreden. Allein die Einschränkung der Bewe- gungs- und Reisefreiheit ist für jeden, aber vor allem auch (Vereinzelt Beifall bei der SPD) für uns Ostdeutsche eine absolute Zumutung. Dennoch

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Genau das meinte Ludwig Erhard auch mit seinem Leit- (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei satz, „Freiheit in Verantwortung zu leben“. Sein Auftrag den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD kann kaum aktueller sein als in der jetzigen Situation, und sowie der Staatsregierung) er muss vor allem uns als politisch Verantwortlichen Leit- Dies gilt insbesondere auch für die Mitarbeiterinnen und motiv sein. Die Rechte auf Würde und körperliche Unver- Mitarbeiter der 13 sächsischen Gesundheitsämter und ihre sehrtheit sowie freie Entfaltung der Persönlichkeit sind zahlreichen externen Helfer. Die Situation ist für alle konstitutiv für unsere demokratische Ordnung. Deshalb schwierig; sie ist aber keinesfalls aussichtslos. Wir setzen sind Eingriffe in die Grundrechte nur dann zulässig, wenn darauf, dass bis Ende des Jahres ein Impfstoff verfügbar dadurch die Grundrechte aller gewahrt werden. sein und in der Folge mit den Impfungen begonnen wird. Von diesen Grundrechtseingriffen haben die Regierungen Es ist ein weiter Weg, aber es gibt eine Zeit nach Corona. auf Bundes- und Landesebene in den vergangenen Mona- Wir arbeiten alle hart daran, dass diese Zeit für uns alle ten verantwortungsvoll Gebrauch gemacht. Die unter Un- wieder lebenswert wird, ohne ständig an Masken, Desin- sicherheit getroffenen Maßnahmen wurden immer wieder fektionsmittel und 1,50 Meter Abstand denken zu müssen. auf den Prüfstand gestellt, teilweise revidiert und Locke- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. rungen zügig den sinkenden Infektionszahlen angepasst. Der Freistaat Sachsen hat hierbei – auch im Vergleich mit (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei anderen Bundesländern – am entschlossensten auf schnelle den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD Lockerungen und weitreichende Erleichterungen für den sowie der Staatsregierung) Alltag der Menschen gesetzt. Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die CDU-Fraktion Meine Fraktion und ich unterstützen daher auch die nun sprach gerade Kollege Hartmann. Bevor wir zum nächsten von der Regierung beschlossenen erneuten harten Ein- Redner kommen, Kollegen Gebhardt von der Fraktion schnitte für das öffentliche Leben – und das in dem Be- DIE LINKE, erinnere ich Sie alle noch einmal an meine wusstsein, dass sie unter sorgfältiger Abwägung und nach Allgemeinverfügung und das, was sich daraus ableitet: bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden und, so- Wenn wir hier im Abstand von 1,50 Meter sitzen, müssen bald es das Infektionsgeschehen zulässt, zügig zurückge- wir die Mund-Nasen-Bedeckung natürlich nicht tragen, nommen werden. Unsere Aufgabe als Parlamentarier bleibt aber dann, wenn wir im Raum unterwegs sind. Auch in der es, der Regierung hierfür die gesetzlichen Vorgaben zu ma- eigenen Fraktion ist sie zu tragen. Ich erinnere noch einmal chen und deren Einhaltung wirkungsvoll zu kontrollieren. daran. Ansonsten ist nach einer entsprechenden Mahnung Dass dabei nun intensiv über die weitere Stärkung der Par- durch den jeweils amtierenden Präsidenten bzw. die Präsi- lamente bei der Bewältigung der Corona-Pandemie disku- dentin mit entsprechenden Ordnungsrufen zu rechnen. Das tiert wird, ist ausdrücklich zu begrüßen. Besonders die ist die logische Konsequenz. Hier im Hohen Haus gilt Anregungen des Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang sozusagen nicht das Hausrecht des Präsidenten, sondern Schäuble, durch definierte Standards einen klaren Rahmen unsere Geschäftsordnung. Daran habe ich an dieser Stelle für die Verordnungserlasse zu geben, können helfen, die noch einmal erinnert. Rechtssicherheit der von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zu verbessern. Wir kommen zum nächsten Redner. Kollege Gebhardt spricht für die Fraktion DIE LINKE. Auch vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Novelle des Infektionsschutzgesetzes und die Aufnahme eines Rico Gebhardt, DIE LINKE: Herr Präsident! Meine Da- neuen § 28 a, mit dem bundeseinheitliche Regelungen für men und Herren! Allen, die in den letzten Wochen und Mo- konkrete Maßnahmen in der Pandemie durch den Bundes- naten diszipliniert ihre Mund-Nasen-Bedeckung getragen gesetzgeber getroffen werden sollen. Ebenso sollen die und den Abstand von 1,50 Meter eingehalten haben, bin ich Kontrollrechte des Parlaments durch regelmäßige Bericht- unendlich dankbar. Alle, die sich in den letzten Wochen erstattungen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und Monaten nicht an die Regeln gehalten und dies zusätz- durch die Staatsregierung im Plenum und durch die Staats- lich als „Unsinn“ und „Teufelszeug“ bezeichnet haben, ha- ministerien in den Fachausschüssen des Landtags gestärkt ben meine ganze Verachtung. werden. (Vereinzelt Lachen bei der AfD) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gemeinsam ist es uns im Frühjahr schon einmal gelungen, das Infektionsge- Seit dem Frühjahr haben meine acht- und zehnjährigen schehen einzudämmen. Es muss uns ein weiteres Mal ge- Kinder ihre Großeltern nicht mehr gesehen – nicht zum lingen. Die Staatsregierung und wir als Regierungs- 10. Geburtstag Ende März, nicht zum 80. Geburtstag mei- fraktionen sind fest entschlossen, alle dafür notwendigen ner Mutter im Mai und auch nicht zum Geburtstag der Maßnahmen zu treffen. Ich danke an dieser Stelle aus- Zwillinge im Juli. Wir haben uns entschieden, persönliche drücklich den Mitgliedern des Kabinetts sowie den Mitar- Kontakte auch in der Familie zu reduzieren. Dafür kenne beiterinnen und Mitarbeitern der sächsischen Verwaltung ich seit dem Sommer ganz viele Freibäder in Dresden, auch auf kommunaler und Landesebene, der Bundeswehr und das Waldbad in Langebrück bei Herrn Hartmann. den Hilfsorganisationen, die sich abermals weit über das Mein Papa wollte das zu Beginn überhaupt nicht verstehen. normale Maß hinaus engagiert haben. Er war sauer, als er zu Beginn der Pandemie hörte – auch

1028 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 von der Sozialministerin –, dass er mit jetzt 80 Jahren Ri- Das ist derselbe Denkfehler, den wir in diesem Jahr schon sikogruppe wäre; er, der 25 Jahre lang eine Uniform getra- einmal hatten. Im Sommer entstand bei mir der Eindruck, gen hat, soll jetzt zur Risikogruppe gehören? Unzählige dass Sie, Herr Ministerpräsident, uns ständig auf die Nor- Telefonate später habe ich ihn überzeugen können, dass es malität unseres Lebens hingewiesen haben, dass das Virus richtig ist, bestimmte Einschränkungen zu akzeptieren. im Würgegriff der Staatsregierung sei und kurz vor der Vor 14 Tagen rief er mich wieder an und schimpfte am Te- Ausrottung stehe. Pustekuchen! Der sächsische Sonder- lefon über die Unvernunft der Menschen, die keinen weg, den Sie postuliert haben, hat uns einen Spitzenplatz Mund-Nasen-Schutz tragen, über diejenigen, die das ganze bei der Corona-Infektion eingebracht, einen Spitzenplatz, Pandemiegeschehen nicht ernst nehmen – meine Eltern wie auf den wir gut und gerne verzichten sollten. meine Schwiegereltern wohnen beide im Erzgebirge. Das Virus ist nicht besiegt. Wenn ich mein angelesenes Wissen der letzten Wochen und Monate auf den Punkt Warum erzähle ich das? Nicht das reine Verkünden, son- bringe, dann wird das auch nicht im Frühjahr 2021 der Fall dern das Erklären und Vermitteln von politischen Entschei- sein und auch nicht, wenn der erste zugelassene Impfstoff dungen ist die hohe Schule der Politik. Die Zeit der angewendet wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass angeblich absoluten und einzigen Wahrheit wurde vor wir noch über Jahre hinaus mit dem Virus zu tun haben 30 Jahren auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. werden. Wer wüsste das nicht besser als ich? Wer jetzt glaubt, er müsse den Menschen Versprechungen (Carsten Hütter, AfD: Hört, hört!) machen, dass sie das Weihnachtsfest wie immer in den letz- Wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, dann ist ten Jahren feiern können – leider nur ohne Weihnachts- die Zeit, politische Entscheidungen nur zu verkünden, ohne märkte –, der ist genauso verantwortungslos wie die- sie zu erklären, besonders im Freistaat Sachsen als geschei- jenigen, die immer noch bestreiten, dass dieses Virus, diese tert anzusehen. Es geht doch in der aktuellen Situation in Pandemie eine tödliche Seuche ist und einen Angriff auf erster Linie darum, größtmögliche Akzeptanz für notwen- unser gesellschaftliches Zusammenleben darstellt. dige Entscheidungen zu erreichen; zumindest für diejeni- Was uns in Sachsen, was uns in Deutschland fehlt, ist eine gen, die einigermaßen verantwortliche Politik betreiben. Langzeitstrategie, wie wir mit diesem Virus umgehen. Ich Um es gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit zu sagen: Es komme später darauf zurück. geht uns nicht darum, den Corona-Leugnern, den Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, um nicht missverstanden schwörungspolitikern eine parlamentarische Bühne zu ge- zu werden: Wir müssen jetzt alles – ich sage: wirklich alles ben, wenn wir eine Parlamentsbeteiligung einfordern, – tun, um die Dynamik des Infektionsgeschehens zu unter- sondern es geht uns darum, diesen Leuten ihre außerparla- brechen. Dabei unterstützen wir als LINKE die Regierung mentarische Spielwiese zu entziehen. beim Gesundheitsschutz auch weiterhin, denn es geht nicht (Zuruf von der AfD: Ach was?!) um Parteipolitik, sondern um Menschenleben. Deswegen müssen wir im Parlament – ob im Plenum oder Niemand kann wollen, dass Krankenhäuser überlastet wer- in den zuständigen Fachausschüssen – nicht im Nachhinein den und Menschen mit schweren Krankheitsverläufen über bereits Verkündetes diskutieren, sondern wir müssen keine Hilfe mehr bekommen. Niemand kann wollen, dass es tun, bevor es verkündet und beschlossen wird. Menschen, die wegen eines anderen medizinischen Prob- lems als Covid-19 in Not sind, nicht mehr behandelt wer- (Beifall bei den LINKEN) den können. Es geht schon lange auch um Krebskranke, um Das kann doch nicht so schwer sein, liebe Kolleginnen und Menschen mit Knochenbrüchen oder um Schwangere, die Kollegen von den demokratischen Fraktionen, insbeson- ein Kind erwarten. Es geht nicht nur um die Intensivstatio- dere liebe CDU. Aber ich habe ja gehört, Ihr denkt darüber nen, sondern auch um die ganz normale medizinische Ver- nach. sorgung. Die Fallzahlen verlangen eine klare Reaktion. (Zuruf von der CDU) Wer immer noch Hygieneregeln missachtet, wer bezwei- felt, dass das Virus existiert oder dass es gefährlich ist, wer Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite Welle trifft andere dazu anstachelt, ebenso zu denken und zu handeln, uns voll. Das kann niemanden überrascht haben, und es der macht sich mitschuldig an jeder weiteren Eskalations- wird auch nicht die letzte Welle sein. Ich muss kein Prophet stufe, die wir in dieser Krise erleiden. sein, um das vorauszusagen. Wir blicken mit Sorge auf die Zahlen, aber auch darauf, Deshalb ärgert es mich, dass der Eindruck erweckt wird, dass Menschen sich radikalisieren. Wir müssen also nicht dass es in vier Wochen wieder so etwas wie Normalität nur die Pandemie bekämpfen, sondern auch weiterhin den gebe. Es ist klar, dass die Infektionszahlen mit den jetzt parlamentarischen Arm der Verschwörungstheoretiker und verkündeten Maßnahmen zurückgehen werden. Aber was der Corona-Leugner bekämpfen. Deswegen braucht es die ist danach? Feiern wir alle in Familie Weihnachten, be- parlamentarische Debatte zur Auseinandersetzung damit, obachten im Januar wieder den Anstieg der Zahlen und um den richtigen Weg hier im Parlament, liebe Kolleginnen nehmen uns im Februar die nächste Auszeit? und Kollegen der demokratischen Fraktionen. (Beifall bei den LINKEN) 1029 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Die Pandemie ist ein komplexer Vorgang. Aber inzwischen Wenn Maßnahmen nicht nachvollziehbar, sondern offen- kann jede und jeder begreifen, was läuft. Auch als die Zah- sichtlich wirkungslos und widersprüchlich sind, dann len niedrig waren, gab es keine stichhaltigen Argumente schwindet die Mitwirkung der Bevölkerung. Diese Mitwir- dafür, beim Seuchenschutz nachzulassen; denn das Ent- kung brauchen wir aber. Es kommt auf das solidarische scheidende ist doch: Wir können bei keinem Menschen vo- Handeln aller an, damit wir noch schlimmere Schritte, wie raussagen, welche Folgen einer Infektion es gibt – ob jung Kita- und Schulschließungen, einen Notstand im Gesund- oder alt, ob gesund oder vorerkrankt. Wir wissen einfach heitswesen und letztendlich viele Todesfälle, vermeiden. nicht, wer auf der Intensivstation landet und wer nicht. Dafür muss die Einhaltung der Maßnahmen in verhältnis- Deshalb müssen wir für den schlimmsten Fall versuchen, mäßigem Umfang mehr als bisher kontrolliert werden. die Infektionen einzudämmen. Auch vermeintlich geringe Deshalb macht es mich echt fassungslos, wenn ich die Re- Todesraten sind kein Argument, weil jeder Todesfall einer aktionen nach der „Querdenken“-Veranstaltung in Dresden zu viel ist. Auch eine Todesrate von nur einem Prozent be- am vergangenen Wochenende lese. Die Reaktion des Lan- deutet eine große Zahl an Infizierten und dass viele sterben. despolizeipräsidenten kann doch nicht lauten: „Die Durch- Es ist auch leicht zu begreifen, was ein unbegrenztes setzung der Auflagen wäre nicht verhältnismäßig Wachstum bedeutet, vor allem dann, wenn es die Zahlen gewesen“, sondern die Botschaft muss lauten: Das wird nie der Beatmungspatienten betrifft. Das bedeutet, dass wir wieder passieren! – Punkt, Ende der Durchsage. nicht vorhersehen können, wie die Lage morgen oder in ei- (Beifall bei den LINKEN) ner Woche aussieht. Wenn sich die Zahlen in immer kürze- ren Zeitabständen verdoppeln, entsteht eine bedrohliche Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob die jetzt verkündeten Dynamik. Hohe Infektionszahlen heute bedeuten höhere Maßnahmen wirken, wissen wir nicht. Aber auch dann, Todeszahlen in wenigen Wochen. wenn sie wirken sollten – was ich hoffe –, dann werden die Zahlen nicht dauerhaft niedrig bleiben; sie werden wieder Es geht nur in zweiter Linie um die Anzahl der Betten und steigen, sobald die Maßnahmen gelockert werden. Wir Beatmungsgeräte, sondern in erster Linie steht und fällt al- müssen ehrlich diskutieren, wie wir langfristig mit dem Vi- les mit dem Personal. Ich will mir nicht ausmalen, was pas- rus umgehen. Ich sprach bereits davon. Nötig sind techni- siert, wenn ein Großteil der Pflegekräfte oder der sche Investitionen und Innovationen bei Belüftung, bei der Ärzteschaft infiziert wird oder ausfällt, wie wir das im Kontaktnachverfolgung und beim Abstandhalten. Nachbarland Tschechien zum Teil schon erleben können. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass nun gerade die- Wer das alles bestreitet oder herunterspielt, handelt bösar- jenigen Einrichtungen von der Schließung betroffen sind, tig. Ich frage mich manchmal, ob es mehrerer Todesfälle die sich in letzter Zeit genau damit beschäftigt und die In- oder schwerer Verläufe in noch mehr Familien braucht, da- fektionsschutzmaßnahmen umgesetzt haben. Wir werden mit auch der Letzte aus persönlicher Betroffenheit heraus nicht umhinkommen, mit Hygienemaßnahmen wieder begreift, was stattfindet. Ich hoffe sehr, dass das nicht so Normalität zuzulassen, wo immer es möglich ist. Dazu ge- ist. Ich bin froh über jede Familie, die es nicht erwischt, hört der Besuch von Gaststätten und Kneipen, Museen, und ich bin auch froh darüber, dass sich die Mehrheit ver- Theatern, Opern, Konzerthäusern, Messen, Kinos, nünftig verhält und nicht auf zwielichtige Anwälte hört, die Freizeitparks, Sportveranstaltungen, Schwimmbäder und an der Pandemie verdienen wollen, oder auf gewissenlose Saunen, Fitnessstudios und übrigens auch von Prostituti- Politiker, die Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen, um Auf- onsstätten – wohlgemerkt: mit Hygienekonzept. trieb zu bekommen. Mit Lockdowns erkaufen wir nur Zeit. Diese Zeit müssen (Beifall bei den LINKEN, den wir aber nutzen, um weiter vorzusorgen. Mir kann niemand BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) erzählen, dass wir die gesamte Bevölkerung, sobald wir ei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle müssen mit dem nen wirksamen Impfstoff haben, binnen eines Jahres imp- Verzicht auf Kultur-, Freizeit- und Sportangebote ausba- fen lassen können und bis dahin hoffen, dass das Virus den, weil sich manche nicht an die Regeln halten oder gar nicht mutiert ist. Schon heute wissen wir, dass die Regie- die Pandemie leugnen. Herr Ministerpräsident, Sie haben renden im Bund und im Freistaat Sachsen die sehr ent- den falschen Leuten den Rücken gestärkt, indem Sie sich spannten Sommermonate nicht vollumfänglich genutzt mit ihnen eingelassen haben. Damit haben Sie Ihre eigenen haben, um vorzusorgen. Bemühungen leider konterkariert. Was könnte nicht alles längst geklärt sein? Warum sind die (Beifall bei den LINKEN) Schnelltests noch nicht in den Pflegeheimen angekom- men? Warum gibt es jetzt wieder Debatten über Finanzie- Wenn ich sage, dass wir die Regierung beim Seuchen- rungen der freizuhaltenden Krankenhausbetten? Woher schutz unterstützen, heißt das aber nicht, dass wir das Re- kommt das Personal für Schnelltests in Pflegeheimen und gierungshandeln bedingungslos mittragen. Das wird Sie Krankenhäusern, und wie wird das vergütet? Warum wird jetzt nicht überraschen. Es ist legitim, über den Sinn von das Sofortprogramm für Lüftungssysteme in Schulen und Maßnahmen zu diskutieren und sie zu kritisieren. Es ist Kitas in Sachsen nicht umgesetzt? Wer kontrolliert, ob die auch legitim, sie von Gerichten überprüfen zu lassen, denn Hygieneregeln in der Wirtschaft eingehalten werden, etwa wir leben ja nicht in einer Diktatur. in Industriebetrieben?

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(Zuruf von der AfD: Sonntag das Berliner Abgeordnetenhaus zu einer Sonder- Genau – mehr Betriebskontrollen!) sitzung zusammengetrommelt, um nur einige Beispiele mit unterschiedlichen Farblehren zu erwähnen. Warum tun wir Warum wurde nicht stärker personell vorgesorgt, um die uns so schwer damit in Sachsen? Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern länger aufrechterhalten zu können? Weshalb gibt es kaum Mög- Mitbestimmung ist entscheidend, Respekt für das Votum lichkeiten, die Lerngruppen in den Schulen zu verkleinern? des Parlamentes, und das holt man sich vorher ein und Weshalb diskutieren wir erst jetzt darüber, mit welcher Pri- nicht hinterher, Herr Ministerpräsident. Ich erwarte, dass orität Infektionsfälle nachverfolgt werden? Warum werden Sie den Landtag wirklich beteiligen, bevor die Bundes- und weiter Menschen massenhaft in Asylunterkünften unterge- die Landesregierung in zwei Wochen prüfen, was die Maß- bracht? nahmen gebracht haben. Mindestens die zuständigen Fach- ausschüsse müssen mitmischen; das ist mit Sondersitzung Warum tun wir uns so schwer bei der Finanzierung der Ver- auch kurzfristig möglich. luste beim ÖPNV? Warum hat man zugelassen, dass die sächsische Hochschullandschaft mittlerweile ein einziger Herr Landtagspräsident, Sie haben sich ja gestern mit einer Flickenteppich mit verschiedenen Regularien ist, bei denen Pressemitteilung zum heutigen Plenum an die Spitze der weder Studierende noch Lehrende durchsehen? Warum Bewegung für mehr Parlamentsbeteiligung gestellt und wollen wir Soloselbstständigen nicht endlich ein Corona- sich wie der Bundestagspräsident in dieser Angelegenheit Grundeinkommen finanzieren? klar auf die Seite des Parlamentes gestellt. Das ist gut so, denn die Corona-Krise darf nicht noch zu einer Demokra- (Beifall bei den LINKEN) tie-Krise werden. Auch davon hängt ab, in welchem Um- Fragen über Fragen, Herr Kretschmer, Frau Köpping, Herr fang die Bevölkerung mitzieht. Piwarz, Frau Klepsch, Herr Dulig. Thüringen handelt vorbildlich. Nur dieses Bundesland hat Wenn ich sage, dass wir die Regierung beim Seuchen- per Protokollerklärung darauf gepocht, dass die Maßnah- schutz unterstützen, dann heißt das nicht, dass wir das Ver- men nicht am Parlament vorbei in Kraft gesetzt werden. Es fahren mittragen. Die Erkenntnis schmerzt, aber wir haben geht eben nicht mehr, dass die Ministerpräsidenten mit der sie aus guten Gründen nie bestritten: Der Infektionsschutz Kanzlerin Beschlüsse fassen und dann alle anderen vor macht es notwendig, Grundrechte und Freiheitsrechte vo- vollendete Tatsachen stellen. Wir fordern seit Mai – im Ge- rübergehend und im notwendigen Umfang einzuschränken. gensatz zur AfD – ein Infektionsschutz-Beteiligungsge- Ich betone: Maßnahmen müssen nachvollziehbar, verhält- setz. Es gibt gute Gründe, und es ist gut so, dass es die nismäßig und befristet sein. GRÜNEN wie wir sehen und dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen. Dass die AfD jetzt mal wieder hinterher- Umso wichtiger ist es, dass die Parlamente die Regierung hechelt – geschenkt! kontrollieren können. In der unmittelbaren Notsituation mag es nötig sein, schnelle Maßnahmen zu verordnen. (Lachen bei der AfD) Aber wir reden inzwischen über lange andauernde Grund- Thüringen hat zum neuen Lockdown eine Protokollerklä- rechtseinschränkungen. Da muss es möglich sein, Für und rung abgegeben; ich erwähnte es schon. Ministerpräsident Wider im Parlament vor den Entscheidungen der Regierun- Ramelow warnte davor, dass die Ministerpräsidentenkon- gen abzuwägen. Dabei reicht es nicht – bei allem Respekt ferenz ihre Kompetenzen überschreitet. Er betonte, dass vor den Kolleginnen und Kollegen Fraktionsvorsitzenden nur das Parlament die Regierung zu besonders eingriffsin- Schubert, Panter und Hartmann –, wenn sie mit am Kabi- tensiven Maßnahmen ermächtigen kann. nettstisch sitzen. Das ist nämlich genauso, wie wenn Sie einem eingefleischten Fußballfan sagen: Es reicht, wenn Der Präsident des VSW, also des Verbandes der Sächsi- du das Spiel auf Kurzwelle im Radio verfolgen kannst. schen Wirtschaft, Herr Dr. Brückner, schreibt in seiner Pressemitteilung vom vergangenen Donnerstag – Zitat –: Kontrolle geht nicht ohne Information. Ich bin nicht über- „Ein solch weitgehender Eingriff in die Grundrechte wird rascht, dass sich CDU-Abgeordnete gut informiert fühlen; in einer Videokonferenz getroffen, ohne die Parlamente zu aber das Parlament besteht zum Glück nicht nur aus CDU- beteiligen. Es ist bezeichnend, dass dies allein der Minis- Abgeordneten, und das ist auch gut so. terpräsident Thüringens mit seiner Protokollnotiz an- (Christian Hartmann, CDU: Na, na, na!) mahnt.“ Es reicht nicht, wenn einzelne Kolleginnen und Kollegen Also, wenn Sie nun schon nicht auf DIE LINKE hören wol- von Zeit zu Zeit informiert und in informellen Gruppen und len – was ich ja vielleicht verstehen kann –, dann hören Sie kleineren Runden über Dinge informiert werden, die sie doch wenigstens auf den wichtigsten sächsischen Wirt- anderntags dann sowieso in der Zeitung lesen. Es reicht schaftsverband, Herr Ministerpräsident und Herr Frakti- auch nicht, dass der Landtag heute über die Maßnahmen onsvorsitzender Hartmann. diskutiert, die schon seit Montag gelten. Damit bin ich bei meinem wichtigsten Punkt. Wenn ich In hat die Kenia-Koalition am Freitag das sage, dass wir die Regierung beim Seuchenschutz unter- Parlament zusammengerufen. In Hessen hat Schwarz-Grün stützen, dann heißt das auch, dass wir auf die soziale Abfe- am Sonnabend getagt und Rot-Rot-Grün in Berlin hat derung der Krisenlasten pochen. Die Kosten dürften nicht

1031 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 bei denjenigen Menschen abgeladen werden, die sowieso Das wäre ein gerechter Lastenausgleich. wenig Geld haben – diese Gefahr ist real. (Norbert Mayer, AfD: Das Prinzip, geschlossenen Unternehmen und Selbststän- Ihnen fällt nichts anderes ein!) digen bis zu drei Viertel ihres Vorjahresumsatzes vom No- vember zu erstatten, ist zwar richtig, sofern das Geld auch Deshalb fordern wir eine Corona-Abgabe auf die Privat- schnell und unbürokratisch abgerufen werden kann – viele vermögen jener Menschen, die das reichste Prozent unserer könnten dann sogar mehr einnehmen, als sie unter Pande- Gesellschaft bilden. mie-Bedingungen ohne Lockdown verdient hätten –; es (Carsten Hütter, AfD: Enteignung!) wird aber auch Fälle geben, in denen Gewerbetreibende im letzten November keinen oder nur geringen Umsatz hatten Diese Menschen besitzen mehr als ein Drittel des Gesamt- – auch ihnen muss geholfen werden. vermögens in Deutschland – das können sie gar nicht erar- beitet haben –, und allemal können sie einen Bruchteil (Carsten Hütter, AfD: davon beisteuern, damit wir diese Krise bewältigen kön- Eine Unterstellung – Wahnsinn!) nen. Viele Inhaber kleiner Betriebe und auch Soloselbstständige (Beifall bei den LINKEN – können seit Monaten ihre Lebenshaltungskosten nicht de- Norbert Mayer, AfD: cken – ob in Kunst und Kultur, im Gastro- oder im Veran- Immer in fremde Taschen greifen!) staltungsbereich. Für sie fordern wir ein befristetes Grundeinkommen in Höhe von 1 180 Euro im Monat. – Es ist schon interessant, dass sich die AfD hier zum Rä- cher der Vermögenden macht – na ja … Es sind nun für vier Wochen Lockdown 10 Milliarden Euro Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal fünf Maßnah- an Kosten veranschlagt, und dabei sind große Wirtschafts- men zusammenfassen, die aus Sicht der LINKEN jetzt not- bereiche gar nicht von Schließungen betroffen. Dieser No- wendig sind. vember wird nicht die letzte Phase sein, in der schärfere Eindämmungsmaßnahmen notwendig sind. Die Kosten (Weitere Zurufe von der AfD) werden weiter steigen, und sie lassen sich nicht einfach so Erstens. Die Maßnahmen müssen zielgerichtet, konsistent aus dem Staatshaushalt – weder im Bund noch bei uns im und nachvollziehbar sein. Nur das stellt sicher, dass die Land – herausschwitzen. Maßnahmen a) treffsicher und erfolgreich sind, dass sie b) Der Staat muss sich also Geld besorgen. Dabei hat die Re- auf Verständnis stoßen sowie c) dass keine Maßnahmen er- gierung drei Möglichkeiten: Sie könnte erstens versuchen, griffen werden, die bei wenigem Einfluss auf die Eindäm- durch Kürzungen oder Umverteilung Mittel freizuschau- mung hohe gesellschaftliche Kosten erzeugen. feln, aber das geht immer zulasten von Sozialem, Kultur Zweitens. Die Maßnahmen müssen einheitlicher sein. Es und Bildung. Das haben wir in Sachsen schon einmal er- gilt: im nötigen Umfang allgemeine Regeln erlassen, aber lebt, und wir werden alles, aber auch wirklich alles tun, da- lokal anwenden und handeln. Jede Woche auf jeder Ebene mit das nicht wieder passiert; denn an den Folgekosten neue Maßnahmen zu diskutieren und diese gegebenenfalls leiden wir bis heute. Das wird unseren verschärften Wider- nach wenigen Tag wieder zu verwerfen ist kein stringenter stand hervorrufen. Umgang mit der Krise; das stiftet nur Verwirrung. Der Die Regierung könnte zweitens Geld am Finanzmarkt Weg, mehr einheitliche Regelungen auf Bundesebene zu besorgen – was die CDU ablehnt. Wir werden aber nicht haben, die sich auf das Infektionsgeschehen vor Ort bezie- darum herumkommen, wenn wir handlungsfähig bleiben hen, ist richtig und wird von uns wie auch von der Mehrheit wollen. Gerade jetzt kann sich der Staat zu sehr günstigen der Bevölkerung unterstützt. Konditionen Geld leihen. Eine funktionierende Infrastruk- tur und ein Gesundheitssystem, das nicht profitorientiert Drittens. Jede Maßnahme braucht eine soziale Abfederung ist, kommen der gesamten Gesellschaft zugute, da dies loh- und die gesellschaftlichen Kosten müssen mitgedacht wer- nende Investitionen sind, von denen auch unsere Kinder den. Wo sonst bei vielen Gesetzentwürfen die Kosten ex- und Enkelkinder profitieren. plizit mitgedacht werden, muss die Staatsregierung bei ihren Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung stärker auf Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Der Staat beschafft die Nennung der Kompensation der gesellschaftlichen sich das Geld bei Leuten, die ohne Not etwas abgeben kön- Kosten achten. Für jede Maßnahme soll daher künftig von nen. vornherein mitgedacht werden, welche Menschen, Berufs- (Zuruf des Abg. Sebastian Wippel, AfD) gruppen oder Generationen durch die Regelungen vor be- sonderen Herausforderungen stehen und welche Kosten Die Kosten der Krise müssen auch von den starken Schul- auf die Gesellschaft – auf die Kommunen oder die betroffe- tern getragen werden. Das Steuersystem muss mittelfristig nen Gruppen – zukommen. Jede Maßnahme muss von Vor- die Empfänger kleiner und mittlerer Einkommen entlasten. schlägen begleitet werden, wie soziale und wirtschaftliche Die Besitzer hoher Einkommen und großer Vermögen Folgen für diese Gruppen abgefedert werden können. müssen mehr für die Solidargemeinschaft zahlen. (Carsten Hütter, AfD: SED bleibt SED!)

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Viertens. Die Maßnahmen müssen im Parlament diskutiert Doch das Credo von damals, "Flatten the curve", das Ab- werden. Der Landtag muss als die Vertretung der Bevölke- schwächen der exponentiellen Wachstumskurve der Neu- rung vor den Entscheidungen der Regierung im Rahmen infektionen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und des Infektionsschutzes einbezogen werden. Hier müssen hat jetzt Priorität. Dafür braucht es Solidarität im Umgang die Maßnahmen gemeinsam sachlich und im fairen Um- miteinander und im Kampf gegen das Virus zum Schutz gangston evaluiert werden. der eigenen Gesundheit, jedoch vor allem zum Schutz de- Fünftens. Sachsen und der Bund müssen jetzt in modernere rer, die von einer Ansteckung besonders betroffen wären. technische Lösungen und Infrastruktur investieren. Die Wir müssen Solidarität durchhalten. Das geht nur gemein- Corona-Warn-App – eigentlich gedacht, um die Gesund- sam. Der Titel der Regierungserklärung bringt das zum heitsämter zu entlasten und die Kontaktnachverfolgung zu Ausdruck – „Füreinander Verantwortung übernehmen. vereinfachen – leistet noch nicht das, was sie leisten Miteinander handeln.“ Ich danke dem Ministerpräsidenten könnte. Hier muss dringend nachgerüstet werden – freilich für seine klaren und besonnenen Worte zu der aktuellen Si- innerhalb des Erfordernisses des Datenschutzes. Für eine tuation. An dieser Stelle möchte ich im Namen meiner bessere Akzeptanz der App und mit Blick auf künftige Wei- Fraktion erneut all denjenigen danken, die sich solidarisch terentwicklungen mit klarem Rahmen hinsichtlich Rechts- für unsere Gesellschaft einsetzen und einander unterstüt- sicherheit und Datenschutz braucht es endlich ein zen. Wir schließen uns dem Dank an all jene an, die beruf- begleitendes Gesetz. lich und privat ihr Bestes geben. Sachsen muss die Bundesmittel für Luftfiltersysteme abru- (Beifall den BÜNDNISGRÜNEN, der fen, aufstocken und ein Luftfilterprogramm für die Schu- CDU, der SPD und der Staatsregierung) len, Kitas und die Event- und Gastronomiewirtschaft Seit nun mehr seit fast einem Jahr leben wir mit dem auflegen. Der Freistaat muss, nicht zuletzt vor dem Hinter- Coronavirus. Es wird auch nach dem Wellenbrechermonat grund des Homeoffice-Bedarfs, endlich den Breitbandaus- November weitergehen. Wir lernen, mit ihm zu leben. Wir bau als öffentliche Daseinsvorsorge verstehen und den lernen aus den Erfahrungen, die wir machen. Die vergan- Netzausbau aktiv und mittels Landesgesellschaft vorantrei- genen acht Monate haben uns aufgezeigt, was im öffentli- ben. chen Gesundheitsdienst, in den Krankenhäusern und bei Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Ihnen dazu besserem Schutz von Risikogruppen zu tun ist, und welche Vorschläge im Rahmen des Parlamentes unterbreitet und Auswirkungen Maßnahmen auf verschiedene Gruppen un- werden das auch weiterhin tun. Unsere Rolle ist die der kri- serer Gesellschaft haben. Ich denke an besonders schutz- tischen, aber konstruktiven Opposition, die um Lösungen bedürftige Personen und an ältere Menschen. Ich möchte bemüht ist und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht leug- an dieser Stelle deutlich dem Verständnis von Herrn Urban net. Wir tragen es mit, dass Maßnahmen zu solchem Schutz widersprechen, der in seiner Rede Menschen in Normal- ergriffen werden. Wir pochen aber auf wirkliche Parla- bürger(innen) und Risikobürger(innen) geteilt hat. Die mentsbeteiligung. Wir pochen vor allen Dingen darauf, Menschenwürde, meine Damen und Herren, ist universell dass diejenigen, die die Krisenkosten zahlen, diejenigen und in solchen Krisenzeiten für uns eine ethische Richt- sind, die sich das leisten können. Es muss gerecht zugehen schnur. in unserem Land. (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der CDU, Glück auf! den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung) (Beifall bei den LINKEN) Wir BÜNDNISGRÜNEN haben die bisherigen Maßnah- men mitgetragen, jedoch immer wieder ihre Verhältnismä- Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die Fraktion DIE ßigkeit sowie die Dauer der Eingriffe thematisiert. Wir LINKE hatte gerade Herr Kollege Gebhardt das Wort. Jetzt setzen uns für Freiheits- und Grundrechte, allen voran die spricht Frau Kollegin Schubert für ihre Fraktion BÜND- Versammlungs- und Religionsfreiheit, ein. Wir stehen an NISGRÜNE. der Seite derjenigen, die die Freiheitsrechte immer wieder thematisieren und berechtigte Fragen hinsichtlich ihrer Franziska Schubert, BÜNDNISGRÜNE: Danke schön. Einschränkung stellen. Es ist legitim und es ist wichtig, in Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen einer freiheitlichen Demokratie Regierungshandeln kri- und Kollegen! Die Corona-Pandemie breitet sich von Tag tisch zu hinterfragen, und auch zu demonstrieren und seine zu Tag aus und wir sind inmitten der zweiten Welle. Es ist Meinung frei zu äußern. Allerdings heißt Freiheit auch Ver- notwendig, den Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen antwortung: Verantwortung dafür, andere nicht zu gefähr- und sie zu senken, damit unsere Krankenhäuser und die den und sich an Regeln zu halten, Verantwortung dafür, die dort tätigen Menschen nicht überlastet werden und eine Gesellschaft nicht weiter zu spalten und für den Umgangs- gute Versorgung für alle gewährleistet werden kann, die ton im Miteinander, Verantwortung auch dafür, mit wem Hilfe brauchen. Die in der letzten Woche getroffenen Maß- man sich auf Demonstrationen in eine Reihe stellt. nahmen gegen die weitere Ausbreitung des Virus sind, ähn- lich wie im Frühjahr, einschneidend für die Kultur, das (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, Bildungswesen, die Wirtschaft und unser aller Privatleben. der CDU und der Staatsregierung) Es sind unbestritten Einschränkungen.

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Immer dort, wo sich Protest radikalisiert und vom eigentli- Gewaltenteilung, die entsprechend legitimierten Institutio- chen Kernthema hin zu Verschwörungsmythologie, nen und vor allem die Kraft der Parlamente. Systemumsturzfantasien und radikalem Gedankengut weg- Wir BÜNDNISGRÜNE verkennen nicht, dass das Prob- bewegt, wird dem Kernanliegen an sich geschadet – dem lem in erster Linie in der Regelung des § 28 und § 32 des hohen Gut unserer Demokratie und unserer Freiheit. Wir Infektionsschutzgesetzes – eines Bundegesetzes – liegt, beobachten, dass unter dem Deckmantel des Protests gegen das quasi eine ins Unendlich laufende Generalermächti- die Corona-Maßnahmen auch radikale Organisationen und gung an staatliche Organe enthält, im Fall einer Pandemie menschenfeindliches, demokratiefeindliches Gedankengut das Notwendige im Konkreten zu veranlassen oder gene- die Gunst der Stunde nutzen will. Dem müssen wir entge- rell abstrakt durch Rechtsverordnungen zu regeln. Die Re- gentreten, in Widerspruch gehen und unterscheiden zwi- gelungen des Infektionsschutzgesetzes gehen, so ist schen legitimer Kritik und jenen, die eine Krise zum mittlerweile die einhellige Rechtsmeinung, zu weit. Sie Zündeln und Spalten instrumentalisieren. sind problematisch, weil sie den verfassungsrechtlichen Wir als BÜNDNISGRÜNE sehen ein nicht zu vernachläs- Parlamentsvorbehalt in seinem Kern verletzen. Dieser aus sigendes Problem in der Akzeptanz der Bevölkerung für dem Rechtsstaat und Demokratieprinzip abgeleitete die Einschnitte und Einschränkungen. Es braucht Transpa- Grundsatz verlangt, dass staatliches Handeln in bestimm- renz für das Abwägen und die Entscheidungsprozesse, um ten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz le- zu erklären und Akzeptanz zu erhalten. Dafür braucht es gitimiert wird. Wir haben als Landtag die Möglichkeit, den öffentlichen Diskurs und eine parlamentarische Veran- selbst ein Gesetz zu erlassen und darin Eckdaten für den kerung, um Vertrauen und Zustimmung der Bevölkerung Abwägungs- und Entscheidungsprozess für die Verordnun- zu erhalten. Seit Beginn der Pandemie plädieren wir als gen festzulegen. BÜNDNISGRÜNE für eine starke Beteiligung des Parla- Wir als demokratisch gewählte Vertreterinnen und Vertre- ments. Wir brauchen ein Parlamentsbeteiligungsgesetz. ter der sächsischen Bürgerinnen und Bürger haben auch die (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN) Verantwortung, die Grenzen solch schwerwiegender Ein- griffe festzulegen und demokratisch zu legitimieren. So An dieser Stelle erinnere ich an die Zeit im Frühjahr. Herr wollen und können wir als Parlament in der schwersten Urban wollte damals alles andere als eine parlamentarische Krise des Landes seit seiner Gründung nicht unbeteiligt am Beteiligung. Er wollte schnellstmöglich den Notstand aus- Rand stehen. Wir wollen mitentscheiden, und wir wollen rufen und alles in Richtung exekutives Handeln verschie- die Entscheidung verantwortlich mittragen. ben. Seit dem Frühjahr erhalten wir Abgeordneten täglich Rück- (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, meldungen von Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Verbänden, Unternehmen zu den von der Regierung be- Sören Voigt, CDU: Hört, hört!) schlossenen Maßnahmen. Wir sind vor Ort in den Wahl- Das ist die seither zu beobachtende Findungssuche in der kreisen unterwegs, haben ein offenes Ohr, erklären, Positionierung der AfD. vermitteln; wir kennen die Stimmungslage. Diese Rück- meldungen weiterzugeben und zu erläutern, welche Ziele (Zurufe von der AfD) verfolgt, wie sie abgewogen werden und wie dann ent- Es ist ein weiteres, trauriges und auch gefährliches Zeugnis schieden wurde, aber auch, was es für Unwägbarkeiten gibt für die schizophrene, opportunistische und zutiefst un- – das ist essenziell. Nur so können wir Menschen mitneh- glaubwürdige Art der AfD, Politik zu machen und eine men, und nur so schaffen wir Vertrauen. Es ist also Teil der Krise zu instrumentalisieren. Verantwortung zu überneh- gemeinsamen Verantwortung und des gemeinsamen Han- men heißt nicht, den Leuten nach dem Mund zu reden, son- delns, und es muss in unserem Interesse sein, die Akzep- dern es heißt, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen tanz und damit die Wirkungskraft einer Verordnung und die Verantwortung für Entscheidungen zu überneh- deutlich zu steigern. men. Genau das unterscheidet uns in der Qualität, wie wir Unser Ziel ist die Beteiligung des Sächsischen Landtags Politik verstehen. beim Erlass von Rechtsverordnungen, also insbesondere (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, beim Erlass von Geboten und Verboten zur Bekämpfung der SPD und der Staatsregierung) übertragbarer Krankheiten. Wir wollen regeln, dass die Einschränkungen der Grundrechte auf das notwendige Die schwerwiegenden Grundsatzentscheidungen, wie sie Maß beschränkt, durch gezielte Maßnahmen minimiert in diesen Monaten getroffen werden und wurden, gehören werden und regelmäßig anzupassen sind. Unabhängig da- in die Parlamente. Denn in einer parlamentarischen Demo- von wollen wir eine frühzeitige Unterrichtung des Landta- kratie finden Debatten im Landtag statt. Das Parlament er- ges und ein Einvernehmen über den geplanten Erlass von öffnet den Raum, Entscheidung transparent zu gestalten, Rechtsverordnungen und die relevanten Erkenntnisse und Argumente abzuwägen und Entscheidungen nachzuvoll- Unterlagen. ziehen. Grundrechte dürfen nicht allein von der Exekutive eingeschränkt werden. Vor dem Hintergrund, dass das In- Eine Debatte im Parlament sorgt dafür, dass wir Abgeord- fektionsgeschehen weiter andauert, braucht es die gesamte nete uns mit den Bürgerinnen und Bürgern besser zu den

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Maßnahmen austauschen können und dabei ausloten, in- Schützer und Beteiliger des Parlaments in der Coronakrise wieweit wir Dinge ermöglichen und auch, wie wir unein- aufspielen, finde ich schon etwas dreist. Sie sitzen in der heitliche Maßnahmen vermeiden können. Die Einsicht, Regierung. Sie hatten acht Monate Zeit, eine Parlaments- dass die starken Eingriffe in die Grundrechte und die bis- beteiligung herbeizuführen. herige Dauer derselben ein Parlamentsbeteiligungsgesetz (Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, erfordern, ist spätestens seit dem Herbst in der bundeswei- BÜNDNISGRÜNE) ten Debatte angekommen, und wir haben uns hier in der Koalition auf den Weg gemacht, dass auch Sachsen ein sol- Sie haben es nicht getan. ches Gesetz erhält und der Landtag seiner Rolle als Kon- (Beifall von der AfD – Zurufe von den trollorgan gerecht wird. BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) Für das Funktionieren einer Demokratie ist ein starkes Parlament von fundamentaler Bedeutung, und eine starke Insofern freue ich mich, dass der Druck, der in der Öffent- parlamentarische Beteiligung ist daher – allen voran in Kri- lichkeit entstanden ist, endlich die Parlamente zu beteili- senzeiten – dringlichst angezeigt. Genau daran arbeiten gen, wenn es um Grundrechtseingriffe geht, wir, weil wir füreinander Verantwortung übernehmen und (Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) miteinander handeln. auch bei Ihnen in der Regierung angekommen ist. (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der CDU, (Beifall bei der AfD – der SPD und der Staatsregierung – Jörg Urban, AfD, steht am Mikrofon.) Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE) Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Eine Kurzinter- vention, Herr Urban? Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Schubert, möchten Sie sich dazu äußern? – Das ist nicht der Fall. Jörg Urban, AfD: Jawohl. Dann spricht jetzt die SPD-Fraktion. Herr Abg. Panter, bitte. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte. Dirk Panter, SPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Jörg Urban, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kolleginnen und Kollegen! Wir sind seit Montag mit den Schubert, ich muss intervenieren, weil Sie zum wiederhol- erneuten Maßnahmen an einem Punkt angekommen, den ten Male versucht haben, uns zu unterstellen, dass wir als wir noch vor weniger als einem Monat nicht für möglich AfD kein Interesse daran hätten, das Parlament bei wichti- gehalten hätten. Richtig ist, wir haben im Verlauf der Pan- gen Entscheidungen einzubeziehen, weil wir im Frühjahr demie schon eine Vielzahl an Einschränkungen und dann tatsächlich gesagt haben, es solle der Notstand ausgerufen auch wieder Lockerungen gesehen. Ich kann verstehen, werden, um all das nachzuholen, was die Regierung ver- wenn manche Menschen das Gefühl einer Achterbahnfahrt säumt hat. Das war zu diesem Zeitpunkt mehr als angemes- bekommen. Dem ist nur schwer zu begegnen. Richtig ist sen, auch, dass wir immer wieder mit Maßnahmen und Ein- (Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) schränkungen auf die Entwicklung der Pandemie reagieren müssen; denn die stimmt sich nicht vorher mit uns ab. und ich glaube, wenn die CDU zu diesem Popanz erneut Die Aufgabe von Regierungen und Parlamenten ist es, die laut klatscht, zeigt das nur, Sie wollen Ihre Verantwor- Achterbahnfahrt so gut wie möglich abzufedern; denn tungslosigkeit aus dem Frühjahr wegklatschen. Sie hatten kurzfristig werden wir nicht aussteigen können. Im Gegen- sich in keinster Weise auf eine Pandemie vorbereitet, ob- teil: Wir drehen jetzt noch eine Runde, und man erlaube wohl sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mir das drastische Bild: Manchen ist bei dieser neuerlichen vor Jahren Runde auch zum Kotzen zumute. (Zurufe von der CDU und Wichtig ist deshalb meiner Meinung nach in Zukunft eine den BÜNDNISGRÜNEN) gute Kommunikation. Ehrlichkeit und Klarheit sind die darauf hingewiesen hat, dass Deutschland nicht vorbereitet Eckpfeiler einer solchen guten Kommunikation, damit wir ist. Selbst die WHO hat im Januar angemahnt, dass eine den Menschen Orientierung geben können und die Akzep- Vorbereitung erfolgen soll. Zu diesem Zeitpunkt war Sach- tanz gestärkt wird. Wo wir dabei noch besser werden müs- sen nicht auf eine Pandemie vorbereitet, in keinster Weise, sen, dort müssen wir noch besser werden. und es war nicht abzusehen, ob es gelingt, die notwendigen Petra Köpping mit ihrer unermüdlichen Informationsarbeit Schritte wirklich zu koordinieren. Wir haben erlebt, dass es kann uns dabei ein Vorbild sein. Am Freitag zum Beispiel bis heute nicht gelungen ist, wirklich wichtige Bereiche stand sie den Bürgerinnen und Bürgern zusammen mit dem wie die Alten- und Pflegeheime ausreichend zu schützen. Ministerpräsidenten eine Stunde lang auf Sachsen-Fernse- Das ist die Wahrheit. Natürlich ist es zum heutigen Zeit- hen Rede und Antwort. So funktioniert klare und ehrliche punkt schon lange an der Tagesordnung, endlich die Parla- Kommunikation. Vielen Dank. mente zu beteiligen. Das rufen wir Ihnen schon seit Monaten zu. Dass sich die GRÜNEN gerade jetzt als die 1035 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Diese Art der Kommunikation ist wichtig; denn die Men- wird zwar gebetsmühlenartig wiederholt, ist aber falsch. schen haben ein Bedürfnis danach. Zur Ehrlichkeit gehört Im Gegenteil, die Krise der letzten Monate war auch ein auch – es ist gerade angesprochen worden –: Am 1. De- gigantischer Lernprozess. Er ist sicher nicht zu Ende, wir zember wird nicht einfach alles gut sein. Wir müssen den können immer dazulernen. Jetzt aber davon zu sprechen, November nutzen, um auf die Pandemiebremse zu steigen. wir hätten gar nichts gelernt, ist unredlich. Aber ob das ausreicht und die Zahlen wieder auf das Som- Das zeigt auch ein Blick auf die jetzt beschlossenen Ein- merniveau heruntergehen – wer kann das heute schon sa- schränkungen. Es ist absolut richtig, dass in der zweiten gen? Gerade deshalb müssen wir jetzt konsequent sein, um Welle in Sachsen die Kitas und Schulen geöffnet bleiben. eine Chance zu haben, Weihnachten mit Familie und Wir haben im Frühjahr gesehen, welche besondere Belas- Freunden verbringen zu können. So oder so müssen wir uns tung die Schließung von Schulen und Kitas für unsere ge- aber jetzt schon darauf einstellen, dass im Dezember nicht samte Gesellschaft darstellt. Wir müssen jetzt alles tun, um alles so wird wie vorher und schon gar nicht wie vor einem zu vermeiden, dass es erneut dazu kommt; denn so schwer Jahr. Alles andere zu behaupten, wäre unredlich. es ist: Versäumte Bildung kann man nicht bezahlen, Um- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in Sachsen bis- satzausfälle schon. Eltern, die arbeiten, können nicht lang wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich relativ gut gleichzeitig Kinder betreuen, auch nicht im Homeoffice. durch die Krise gekommen. Dafür gilt unser Dank der Re- Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die kommenden Mo- gierung, den Kommunen, vor allem den Gesundheitsäm- nate wird es wichtig sein, dass wir gemeinsam unser Vor- tern. Trotz allem ist es aber so, dass die Maßnahmen zur gehen immer wieder transparent kommunizieren. Wichtig Eindämmung des Coronavirus erhebliche, teils bittere wirt- dabei wird auch sein, dass wir in dieser Zeit nicht nur über schaftliche, soziale und gesellschaftliche Schäden verur- die vielen Lauten sprechen, sondern auch über die leise sacht haben. Sie haben viele Sächsinnen und Sachsen hart Mehrheit derer, die bei aller Schwierigkeit Verständnis für getroffen. Es ist gut, dass es das Kurzarbeitergeld gibt, und die Maßnahmen hat und die vernünftig ist. trotzdem bleibt bei vielen Einkommen nur wenig übrig. Gerade die Kunst- und Kulturschaffenden, die Gastrono- (Beifall bei der SPD und mie, Hotellerie, die Veranstaltungsbranche trifft es beson- des Staatsministers Martin Dulig) ders hart, wenn wir alle zu Hause bleiben müssen, statt Viele Sächsinnen und Sachsen haben trotz teils immenser gemeinsam ins Theater, in die Bar, ins Stadion oder ins persönlicher Belastungen Verantwortung füreinander über- Museum zu gehen. Deshalb gilt der Dank der SPD-Frak- nommen. Sie haben Rücksicht genommen, sie haben sich tion all denjenigen, die die Maßnahmen auch dann mittra- solidarisch gezeigt und dadurch Risikogruppen geschützt. gen, wenn sie persönlich stark betroffen sind. Damit helfen Noch einmal: Ihnen allen danken wir. Auch noch einmal sie, das Pandemiegeschehen wieder einzudämmen. sei wiederholt: Ehrliche, offene und geradlinige Kommu- (Beifall bei der SPD und der Staatsregierung) nikation wird der Eckpfeifer für die nötige Akzeptanz in den nächsten Monaten sein. Das sollte unser gemeinsamer Den Betroffenen sagen wir: Wir lassen niemanden im Re- Anspruch sein. gen stehen. Ich bin froh, dass Olaf Scholz gemeinsam mit der Kanzlerin einmal mehr gezeigt hat, wie schnelles und Vielen Dank. verantwortungsvolles Handeln aussieht. Olaf Scholz hat (Beifall bei der SPD und durchgesetzt, dass den Unternehmen jetzt 75 % ihres Um- des Staatsministers Martin Dulig) satzes ersetzt werden. Das hilft den Betroffenen, aber es hilft auch den einzelnen Menschen. Ich habe erst am Wo- Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wir gehen jetzt chenende mit einer Wirtin gesprochen, und sie hat mir ge- in eine neue Runde. Ich frage die AfD-Fraktion. Hier liegt sagt, dass sie mit den Hilfen von Olaf Scholz, wie sie sagt, mir noch kein Vorschlag vor. Wird noch das Wort ge- „über die Runden kommt“ und ihren Koch nicht auf Kurz- wünscht? – Ist nicht der Fall. Nun die CDU-Fraktion, Herr arbeit setzen muss. Abg. Voigt.

Was deshalb auch einmal gesagt werden darf: Das haben Sören Voigt, CDU: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten wir der Regierungsbeteiligung der SPD im Bund zu ver- Damen und Herren! Ich danke im Namen der Koalitions- danken. Ohne Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fraktionen unserem Ministerpräsidenten Michael Kret- in Verantwortung ginge es dem Land schlechter. Das gilt schmer und der Sächsischen Staatsregierung für ihr für den Bund ebenso wie für den Freistaat. Das haben die engagiertes Handeln, ihren Mut und ihre Entscheidungen letzten Monate gezeigt. in dieser herausfordernden Krisensituation. (Unruhe) Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir unseren – Ja, Gott, das darf an einem Tag wie heute auch einmal Dank auch denjenigen gegenüber zum Ausdruck bringen, sein. Wir reden viel über Trump. Da kann man wahrschein- die solidarisch handeln. Dass es Deutschland und Sachsen lich noch etwas lernen. in dieser schwierigen Zeit den Umständen entsprechend gut geht, ist das Verdienst der Menschen, die täglich an vie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeshilfen sind len Stellen in diesem Land ihren Dienst für die Gesellschaft nur ein Beispiel dafür, wie wir in den letzten Monaten da- tun. zugelernt haben. Der Vorwurf, wir hätten nichts gelernt,

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(Vereinzelt Beifall bei der CDU) (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Nein, nicht mehr. Ich habe nicht verstanden, warum jetzt der Trotz teilweise deutlicher grundrechtsrelevanter Beschrän- Entschließungsantrag eingebracht werden musste! kungen des privaten und wirtschaftlichen Lebens ist es uns – Christian Hartmann, CDU: Es war an der Zeit!) bislang gut gelungen, Beschäftigte und Unternehmen zu unterstützen, Existenzen zu sichern, Lieferketten aufrecht- Dann rufe ich Frau Dr. Maicher von den BÜNDNISGRÜ- zuerhalten. Ein Blick auf andere Länder in dieser Welt NEN. Bitte, Sie haben das Wort. zeigt, Herr Urban, dass das bei Weitem keine Selbstver- ständlichkeit ist. Diejenigen, die politische Verantwortung Dr. Claudia Maicher, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrte tragen, müssen sich dabei mit berechtigter Kritik an der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Dauer und dem Umfang von Grundrechtseinschränkungen haben Alarmstufe Rot. Wäre das das Thema eines Theater- auseinandersetzen. Das tun wir mit unserem Entschlie- stücks oder eine Kunstinstallation, würde man sich ein- ßungsantrag. dringlich mit den Folgen einer Krise für die einzelnen Menschen, aber auch für die ganze Gesellschaft auseinan- Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr ging es vor allem dersetzen können. Heute aber sind wir in der Pandemie mit darum, unser Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu all ihren Einschränkungen des Alltags, für die wir in aller schützen, die AHA-Regeln einzuhalten, freiwilligen Ver- Regel nicht gedanklich vorgebaut haben. Wir alle erleben zicht zu üben, Vernunft an den Tag zu legen, heißt, dem eine schwierige, eine belastende Zeit. Kulturschaffende je- Applaus vom Balkon auch als Einzelner konkrete Taten doch erleben eine einzige Katastrophe. folgen zu lassen. Normalerweise würden wir uns jetzt, ein Jahr nach dem Das Gebot der Stunde heißt Solidarität. Diese Solidarität Antritt der Regierung, auf die kulturpolitischen Herausfor- muss durch größtmögliches Bemühen um Akzeptanz der derungen in Sachsen konzentrieren, Ziele und Visionen getroffenen Entscheidungen gewahrt werden. Diese Ak- diskutieren, wie wir die lebendige Kultur im ländlichen zeptanz hängt auch davon ab, dass es einen nachvollzieh- Raum oder die kulturelle Bildung stärken können, wie wir baren Abwägungsprozess gibt, der die Verhältnismäßigkeit Kultur in den Bereichen Chancengleichheit, faire Vergü- und die Dauer der getroffenen Maßnahmen darstellt. Vor tung und die Diversität unterstützen und wie wir unserer diesem Hintergrund begrüßen wir ausdrücklich die ver- Musikszene einen Entwicklungsschub geben können oder schiedenen Überlegungen auf Bundes- und Landesebene wie Digitalisierung nicht nur als schnelle Ersatzmaß- zur Stärkung der Parlamente bei der Bewältigung der nahme, sondern in ihrem ganzen künstlerischen Potenzial Corona-Pandemie. Weder die politischen noch die juristi- erschlossen werden kann. Stattdessen müssen wir dahin schen Diskussionen auf Bundes- und Länderebene sind schauen, wo es brennt und wie es mit der Kultur weiter- derzeit abgeschlossen. Der Sächsische Landtag wird daher geht. Der Erhalt unserer kulturellen Vielfalt hat bei der Be- die weiteren Debatten hierzu sorgfältig und aufmerksam wältigung der Krise für uns BÜNDNISGRÜNE eine verfolgen und begleiten. zentrale Bedeutung. Uns ist wichtig, dass die Staatsregierung den Sächsischen Ein Motto, das uns die Kulturbranche gerade zu Recht ent- Landtag und die zuständigen Fachausschüsse auch künftig gegenruft, lautet: Ohne Kunst wird es still. Was heißt das frühzeitig und umfassend über die aktuelle Sachlage und eigentlich? Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich geplanten Maßnahmen mit Blick auf die Corona-Pandemie möchte heute noch einmal den Wert betonen, den Kultur unterrichtet. Sie muss zudem dafür Sorge tragen, dass für uns alle in Sachsen hat. Wenn es still würde, dann ist Kommunen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen und das nicht nur schlecht für ein Kulturpublikum, was auf selbstverständlich auch die Bürgerinnen und Bürger mit seine Freizeitgestaltung verzichten muss. Es geht zum ei- zeitlichem Vorlauf informiert sind und sich auf Änderun- nen um Wertschöpfung, zu der die Kultur- und Kreativwirt- gen einstellen können. Bei all diesen Maßnahmen ist da- schaft bei all ihrer Kleinteiligkeit einen wichtigen Beitrag rauf zu achten, dass dies mit der größtmöglichen Wahrung leistet. Über den unmittelbaren Umsatz hinaus hat Kultur der Grundrechte erfolgt und die Belastung dabei so gering erhebliche Effekte für die Standortattraktivität und die wie möglich ist. Nachfrage bei der Gastronomie, dem Hotelgewerbe und In unserem Antrag, meine Damen und Herren, machen wir dem Tourismus. Der Wert von Kultur beruht aber zum an- aber auch deutlich, dass denjenigen, denen seit dem 2. No- deren vor allem auf ihrer Fähigkeit, gesellschaftlichen vember wirtschaftliche Nachteile entstehen, nun auch Wandel zu diskutieren und auch anzustoßen. Es ist mir schnelle und unbürokratische Unterstützung zuteilwird, wichtig, dass wir uns die gesellschaftlichen Leistungen wie es vom Bund zugesagt wurde. Deshalb bitte ich Sie um verdeutlichen, um als Politik die Weichen für die Zukunft Zustimmung zu unserem Antrag. richtig stellen zu können. Vielen Dank. Was fehlt, wenn es in der Kultur still wird, das können wir schon in der Krise sehen, weil soziokulturelle Angebote (Beifall bei der CDU, der SPD und Vereinsamung oder Benachteiligung auffangen können. vereinzelt bei den BÜNDNISGRÜNEN) Vor allem aber macht Kultur über verschiedene Formen Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wünscht die von Film bis Theater gesellschaftliche Themen greifbar, Linksfraktion noch einmal zu sprechen? – jenseits der Sprache von Wissenschaft, von Politik oder

1037 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 von Medien. Auch nach dieser Pandemie leben wir in ei- aufgesetzt, die greifen. Das Härtefallprogramm zum Auf- nem rapiden gesellschaftlichen Wandel, den wir ohne fangen der Einnahmenausfälle für freie Träger, das Stipen- Kunst, ohne die Kreativen, ohne die Kulturorte nicht be- dium „Denkzeit“ für einzelne Kulturschaffende und das wältigen können. Kultur hilft dabei, den Veränderungs- Programm „Denkzeit Event“ für die Veranstaltungsbran- druck zu verstehen, der durch den globalen Klimawandel, che zum Beispiel. Angesichts der Ungewissheit, wann die durch die neue Arbeitswelt, die Digitalisierung, das Ausei- Umsätze wieder steigen, stehen wir allerdings auch hier nanderdriften der Gesellschaft entsteht. Kultur ist in ihrer vor weiteren Anstrengungen und müssen die bestehenden Vielfalt ein tragender Pfeiler einer demokratischen Gesell- Programme, wenn notwendig, im Jahr 2021 fortsetzen. schaft. Für die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen möchte Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur kann Krise, und ich noch einmal festhalten, dass Kultur Grundbedarf ist. zwar in mehrerlei Hinsicht. Kulturschaffende haben hoch Diesen können wir nicht als Luxusgut behandeln, das wir dynamisch reagiert, als sie während der ersten Welle digi- aus unserem Warenkorb einfach wieder herauslegen, weil tale Formate entwickelt haben, Experimente, die das kultu- schon so viel anderes darin ist. Wenn es in Sachsen nicht relle Angebot nachhaltig bereichern. Sie haben sich über still werden soll, dann müssen wir mit vereinten Kräften viele kreative Aktionen solidarisiert und jedwede Quelle und mit Weitblick handeln, unsere Kulturszene erhalten aufgetan, ihre weggebrochenen Einnahmen wenigstens an- und ihr eine Weiterentwicklung ermöglichen. teilig zu kompensieren. Herzlichen Dank. Kultur kann auch Gesundheitsschutz. Viele kleine und (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der CDU, große Kulturträger haben ausgereifte Hygienekonzepte. den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung) Ich kann das Unverständnis gut nachvollziehen, das jetzt entsteht, wenn so vieles pauschal schließen muss. Deswe- Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Möchte die gen sollten wir auch genau prüfen und genau begründen, SPD-Fraktion sprechen? – Das ist nicht der Fall. Dann welche Kultureinrichtungen wie geöffnet werden könnten. schaue ich noch einmal auf die Anmeldung. – Frau Abg. Gerade unsere Museen und Musikschulen sind wichtige Hammecke von den BÜNDNISGRÜNEN, bitte. immaterielle Lebensmittelhändler und provozieren nicht die vielen sozialen Kontakte und die Geselligkeit, auf die Lucie Hammecke, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrte wir zu Recht gerade verzichten müssen. Wir sind verpflich- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir befinden tet, um die Akzeptanz für die Einschnitte nicht zu verspie- uns in einer absoluten Ausnahmesituation, einer Situation, len, den Eindruck der Ungleichbehandlung nicht so stehen die von uns allen Disziplin erfordert, einer Situation, die zu lassen und politische Entscheidungen besser zu begrün- uns allen Einschränkungen aufgibt – ein unvorhergesehe- den und immer wieder der Situation anzupassen. nes Ereignis erschreckenden Ausmaßes, das alle Menschen hier im Freistaat Sachsen trifft. Und doch: Wenn uns Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die vordringliche kul- sprichwörtlich alle derselbe Sturm trifft, sitzen wir doch turpolitische Herausforderung ist es jetzt, unsere kulturelle nicht alle im selben Boot. Während für manche die Zeit der Infrastruktur zu sichern. Kulturveranstaltungen, wie wir sie ersten starken Beschränkungen im März eine Zeit des lieben, werden als Letztes wieder möglich sein. „Füreinan- Homeoffice, der Videokonferenzen und des Take-away- der Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln“ Essens waren, war die Zeit für andere eine besondere Her- heißt jetzt anzuerkennen, dass Kulturschaffende durch ih- ausforderung – angefangen bei den Menschen, deren Ar- ren Verzicht auf Tätigkeit, auf Einkommen einen solidari- beit nicht im Homeoffice möglich war, weiterhin bei jenen, schen Beitrag für die Gesellschaft leisten und wir ihnen im deren Arbeitsstelle vielleicht geschlossen wurde, hin zu je- Gegenzug auch durch diese Krise helfen müssen. Vor allem nen, die nicht mehr auf dringend benötigte Hilfsstrukturen die freie Szene, die Vielfalt der privaten, gemeinnützigen zurückgreifen konnten. und gewerblichen Träger und die vielen Soloselbstständi- gen brauchen eine Perspektive. Wir GRÜNE fordern des- Auch und gerade in der Krise muss es unser aller Prämisse halb seit Monaten, dass die Bundesregierung in ihr sein, niemanden alleinzulassen. Gerade die Menschen, die Hilfsprogramm für freie Kulturschaffende die Lebenshal- vielleicht bereits vor der Krise auf Unterstützung angewie- tungskosten einbezieht. sen waren, dürfen wir jetzt nicht alleinlassen. Diese beson- Diese zentrale Rettungsmaßnahme wurde inzwischen so ders vulnerablen Gruppen, so heterogen und vielfältig sie unendlich oft begründet und von allen Seiten angemahnt. sind, bedürfen unserer besonderen Aufmerksamkeit. Selbst Frau Grütters hat es nach langem Festhalten am Ver- Ein Thema haben wir im letzten Plenum bereits bespro- trösten auf die vermeintlich erleichterte Grundsicherung chen: das Thema häusliche Gewalt, Gewalt, die sich vor letztlich verstanden und letzte Woche noch einmal gemein- allem gegen Frauen richtet. Ich bin dankbar, wenn ich in sam mit den Kulturministerinnen und -ministern der Län- Apotheken gehe und dort die gemeinsame Plakatkampagne der eine Erinnerung an Bundesfinanzminister Scholz und des sächsischen Gleichstellungsministeriums und des Lan- Bundeswirtschaftsminister Altmaier geschickt. desfrauenrates sehe, dankbar, weil ich hoffe, dass nicht nur Die Kultur in Sachsen braucht diese Hilfe jetzt, und zwar ich die Plakate sehe, sondern dass diejenigen, die auf Hilfe so, dass sie unbürokratisch bei allen ankommt. Auch als angewiesen sind, diese Nummern wählen. Freistaat Sachsen haben wir verschiedene Hilfsprogramme

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Auch psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen muss es auch bei uns gehen. Dabei sehe ich die Staatsre- sind Themen, über die unsere Gesellschaft viel zu häufig gierung in der Verantwortung, und sie macht es auf der In- schweigt. Betroffene werden stigmatisiert. Dabei ist es es- ternetpräsenz, auf den sozialen Medien des Freistaates senziell, dass wir darüber sprechen, denn psychische Er- auch vorbildlich, niedrigschwellig Informationen bereitzu- krankungen sind Teil der Lebensrealität vieler Menschen. stellen. Aber ich sehe auch uns Abgeordnete in der Pflicht, Die Hilfsangebote, Beratungen und Therapiemöglichkei- zu informieren, für Transparenz zu sorgen, Informationen ten sind alle geöffnet. Das ist wichtig und richtig so, und es weiterzuleiten, die wir bekommen, und verantwortungsvoll muss auch weiterhin gewährleistet werden. Während die zu kommunizieren. meisten Menschen während der Zeit der Kontaktbeschrän- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen von kungen mehr Zeit bei sich zu Hause verbringen, gibt es für Solidarität, die unser Handeln leiten muss, die unserem andere Menschen diese Möglichkeit nicht. Geschätzt sind Handeln zugrunde liegt. Das ist richtig und wichtig. Des- in Deutschland 48 000 Menschen obdachlos, von den halb ist es auch genauso wichtig, darüber zu sprechen, dass Wohnungslosen sprechen wir hier gar nicht. Die Versor- wir die besonders vulnerablen Gruppen im Blick behalten, gung von Obdachlosen in Notunterkünften ist unbedingt si- uns ihrer besonderen Bedürfnisse bewusst sind. Ebenso cherzustellen, auch für nicht deutsche Staatsbürger(innen). sollte uns bewusst sein, dass sich auch, wenn über uns alle Wir müssen auch über Menschen in prekären Arbeitsver- derselbe Sturm hereinbricht, die Wetterfestigkeit unserer hältnissen reden, die in der Coronakrise entweder massive Boote stark unterscheidet. Einnahmeneinbußen hatten oder sogar ein Verbot ihrer Tä- Vielen herzlichen Dank. tigkeit hinnehmen mussten. Meine Kollegin Claudia Mai- cher ist in ihrer Rede bereits auf die prekäre Situation vieler (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der CDU, Soloselbstständiger in der Kunst- und Kulturszene einge- den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung) gangen. Ich möchte aber meinen Fokus auf eine ganz an- dere Gruppe legen. Denn auch viele in der Prostitution Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich schaue zur Tätige gehören zu jenen, deren Leben und Erwerbstätigkeit Staatsregierung, ob Redebedarf besteht. – Das ist nicht der momentan massiv eingeschränkt ist. Einige sind jetzt ge- Fall. Damit haben wir die Aussprache beendet. zwungen, in der Illegalität und damit unter noch prekäreren Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen. Wir be- und gefährlicheren Bedingungen weiterzuarbeiten, oder sie ginnen mit dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE sind von Obdachlosigkeit bedroht. Hier braucht es Unter- LINKE in der Drucksache 7/4439. Ich denke, dass noch stützungsmöglichkeiten. Einbringung gewünscht ist. – Herr Abg. Gebhardt, bitte. (Sebastian Wippel, AfD: Sie sollen das Gewerbe abmelden!) Rico Gebhardt, DIE LINKE: Frau Präsidentin, ich möchte ihn gern einbringen. Ich freue mich, dass Sie wie- Aber auch Geflüchtete, besonders in Gemeinschaftsunter- der da sind. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unse- künften oder Erstaufnahmeeinrichtungen, sind hiervon be- rem Entschließungsantrag: Wir wollen uns mit diesem sonders betroffen. Es ist wichtig, dass in Unterkünften die Entschließungsantrag einerseits besonders bei allen Men- Hygienestandards eingehalten werden, dass es Quarantä- schen bedanken, die sich in Sachsen sowohl an der Bewäl- neplätze und bei Bedarf psychologische Betreuung gibt. tigung der Krise beteiligen, aber auch sich an die Regeln Aber auch bei der Frage von Integration darf es jetzt keinen halten. Wir haben noch einmal aufgelistet, wen wir beson- Vollstopp geben. Es geht um Integrations- und Sprachkurse ders herausheben wollen: Praxen, Krankenhäuser, Pflege- und um Bildungsangebote für Kinder, die auch in der Krise einrichtungen, Gesundheitsdienst, Feuerwehr, Polizei, möglichst aufrechterhalten werden müssen. Katastrophenschutz, Rettungsdienste, Labore, Einzelhan- Sehr geehrte Damen und Herren, auch diese Aufzählung ist delsgeschäfte usw. natürlich nur ein kleiner Ausschnitt, ein kleiner Blick auf Wir wollen uns aber mit diesem Entschließungsantrag noch die Menschen, die jetzt besonderer Unterstützung bedür- einmal bei Kunst- und Kultureinrichtungen bedanken so- fen. In der Krise niemanden allein zu lassen bedeutet aber wie bei der Veranstaltungsbranche, bei Tourismus-, Gast- auch, dass wir der Einsamkeit mit allen Mitteln entgegen- stätten- und Beherbergungsbetrieben und -vereinen, die in wirken müssen. Unsere Erläuterungen zu den Kontaktbe- den letzten Monaten ganz viel geleistet haben. Wir würden schränkungen müssen klar sein: Die Menschen müssen gern feststellen wollen mit unserem Entschließungsantrag leicht verstehen, wo und mit wie vielen Personen sie sich – es sind dazu schon Ausführungen gemacht worden –, treffen dürfen. Es gibt natürlich die Menschen, über die wir dass es uns um die Verhältnismäßigkeit, die Zielgerichtet- zu Recht viel reden, die sich nicht an die Beschränkungen heit und die Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen geht. Es halten. Aber es gibt auch jene, die sich aus Angst vor einer geht uns aber auch darum, dass die bereitgestellten finan- Weiterverbreitung, aus Angst vor einem Verstoß zu Hause ziellen Mittel die gesellschaftlichen Kosten letztendlich völlig isolieren. auch abbilden und dass wir uns darüber verständigen: Es Unsere Sprache kennt keine so niedliche Bezeichnung wie geht uns um mehr Investitionen in moderne technische Lö- den „Knuffelcontact“ im Belgischen, der zuletzt im Inter- sungen. net sehr viel Aufmerksamkeit erhielt. Aber um das Thema

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Wir würden mit unserem Entschließungsantrag gern die Sie können die Krise nicht dauerhaft mit der Notenpresse Staatsregierung auffordern, vor allen Dingen im Gesund- retten, auch wenn das linke Politiker schon immer glauben. heitswesen einschließlich der Krankenhäuser noch aktiver (Susanne Schaper, DIE LINKE: zu werden, was die Unterstützung betrifft. Wir möchten da- So ein Schwachsinn!) rauf hinweisen, dass wir an vielen öffentlichen Einrichtun- gen mehr tägliche Desinfektion brauchen: an Schulen, Das Geld wächst nicht auf den Bäumen. Durch eine ufer- Kindereinrichtungen usw. Ich glaube, dort haben wir noch lose Neuverschuldung schaffen Sie ganz andere, neue einigen Nachholbedarf. Probleme. Die Auswirkungen einer neuen Wirtschafts- und Letztendlich geht es auch darum – darüber habe ich schon Finanzkrise wären verheerend, und sie würden alle treffen. gesprochen –, ein Grundeinkommen für die betroffenen (Beifall bei der AfD) Soloselbstständige und Kleinstunternehmer aufzulegen: 1 180 Euro. Da wiederhole ich mich. Wir wollen noch ein- Sie wären dadurch deutlich dramatischer als die Auswir- mal darauf verweisen – ich habe vernommen, was die Ko- kungen der Corona-Maßnahmen. Wir erlauben uns da et- alition gesagt hat –, dass wir eine Etablierung was mehr Weitsicht und wollen eine gewisse hinbekommen, sodass die Beteiligung des Landtags statt- Normalisierung im Umgang mit dem Coronavirus – auch findet und gemeinsam mit der Staatsregierung auf der durch geeignete, zielgerichtete Schutzmaßnahmen. Ihr An- Grundlage gesetzlicher Ermächtigungen vorher eine De- trag ist dafür nicht hilfreich, und deshalb lehnen wir ihn ab. batte dazu geführt wird, und zwar entweder hier im Plenum Vielen Dank. oder in den zuständigen Fachausschüssen. Wir hatten (Beifall bei der AfD) Ihnen dazu schon einen Gesetzentwurf vorgelegt; dieser wurde auch schon angehört. Wir können ihn gemeinsam Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Nun möchte die auch im Dezember, gern mit Änderungsanträgen von der SPD-Fraktion sprechen; Frau Abg. Friedel, bitte. Koalition – wir sind da immer sehr aufnahmefähig –, be- schließen. Damit hätten wir dann eine rechtliche und ge- Sabine Friedel, SPD: Frau Präsidentin! Ich will nur kurz setzliche Grundlage dafür. begründen, warum wir den Entschließungsantrag ableh- nen. Er ist sehr umfangreich, und dieser Umfang führt Vielen Dank. dazu, dass darin auch eine Reihe von Dingen stehen, denen (Beifall bei den LINKEN – wir zustimmen und von denen wir meinen, dass das ver- Heiterkeit des Abg. Christian Hartmann, CDU) nünftige Punkte sind. Dieser Umfang führt aber auch dazu, dass andere Themen erwähnt sind, wo wir sagen: Das geht Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wer möchte nicht so schnell hoppla-hopp zu beschließen bzw. sind wir zum Entschließungsantrag der LINKEN-Fraktion spre- hierzu anderer Auffassung. Das heißt konkret: Die Punkte chen? – Herr Urban von der AfD-Fraktion, bitte. 1 bis 10, zu denen die Staatsregierung aufgefordert wird, haben eine Bandbreite von dem schon angesprochenen Jörg Urban, AfD: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge- Grundeinkommen über den Verzicht auf die Schulden- ehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Entschlie- bremse bis hin zur Frage der ordnungsgemäßen Ausstat- ßungsantrag der Linksfraktion geht aus unserer Sicht in tung öffentlicher Einrichtungen mit Desinfektionsmitteln, eine völlig falsche Richtung. Sie wollen einen allumfassen- wozu wir sagen: Das ist ein Punkt, der sich schon in der den Lastenausgleich für alle möglichen Bereiche, die Ein- Umsetzung befindet; deswegen muss man ihn nicht be- bußen durch die Corona-Maßnahmen hinnehmen mussten. schließen. Es geht zum Beispiel um eine bessere Unterstützung von Soloselbstständigen mit einem Grundeinkommen. Aus un- Aufgrund dieser Breite bitte ich um Verständnis dafür, dass serer Sicht braucht es nicht neue Hilfen. Es würde schon es uns nicht möglich ist, diesem Entschließungsantrag zu- reichen, wenn die versprochenen Hilfen auch da ankom- zustimmen. Ich denke aber, dass einige Punkte daraus auch men würden, wo sie benötigt werden. in den Entschließungsantrag der Koalition aufgenommen worden sind, sodass hier nichts unter den Tisch fällt. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. Sie wollen mit Ihrem Antrag die Krisensituation zementie- ren. Wir müssen aber weg vom Panik- und Krisenmodus! (Beifall bei der SPD) Die Menschen und Unternehmen müssen wieder in die Lage versetzt werden, ihre Einnahmen durch Erwerbs- und Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Weiteren Rede- Geschäftstätigkeit selbst zu generieren. bedarf kann ich jetzt nicht erkennen; deshalb lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE ab- (Beifall bei der AfD) stimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben Es braucht hierfür eine Neuausrichtung der Strategie auf möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer einen langfristigen Umgang mit dem Coronavirus. Wir ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ohne müssen Risikogruppen viel besser schützen, um so Freihei- Stimmenthaltungen und mit einer Reihe von Stimmen da- ten für ein geregeltes Leben und eine geregelte Geschäfts- für ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt. tätigkeit für den Großteil der Bevölkerung zu ermöglichen.

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Ich rufe nun den Entschließungsantrag der Koalition auf. nichts transparent ist und weil Sie sich nur an Infektions- Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dieser vorhin zahlen festhalten, anstatt wirklich Ausbruchshorte heraus- schon eingebracht worden. Gibt es vonseiten der weiteren zugreifen. Diese Kritik konnten Sie auch der Presse Fraktionen Redebedarf? – Herr Dr. Weigand, bitte. entnehmen. Es geht darum, das einfach transparenter zu machen. Ihre Maßnahmen gehen also an der Sache vorbei. Dr. Rolf Weigand, AfD: Frau Präsidentin! Meine sehr ge- ehrten Damen und Herren! Ja, Herr Voigt, den Antrag ha- (Beifall bei der AfD) ben Sie vorhin so schön mit hineingemogelt, damit Sie der Sie gehen auch auf die Rolle der Parlamente ein. Ich erin- Erste sind, der einen Entschließungsantrag einbringt. Da nere mich an eine wunderschöne Rede von Joachim Keiler morgen von der AfD auch noch einiges auf der Tagesord- im April, der gesagt hat: Bei diesen Kettenverordnungen ist nung steht, muss man der Sache auch etwas vorgreifen; das große Problem, dass sie eben die Grundrechte aushe- darüber musste ich ein wenig schmunzeln. Jörg Urban hat beln. – Darauf haben wir auch schon im Frühjahr hinge- das heute früh sehr schön in seiner Rede dargestellt: Auch wiesen; das ist auch Ihnen jetzt eingefallen. Wahrschein- wir danken natürlich all denjenigen, die uns durch diese lich haben es die Leute auch langsam satt, dass hier die Zeit gebracht und viele Entbehrungen in Kauf genommen Grundrechte so sehr ausgehebelt werden. Alles in allem haben. eine schöne Sache, die wir aber morgen mit einem Antrag Sie sprechen das Privatleben an und schreiben in Ihrem etwas konkreter machen werden. Deshalb werden wir uns Entschließungsantrag, den Sie übrigens gestern unter- enthalten. schrieben haben: „Die Verbreitungsgeschwindigkeit des Vielen Dank. Virus konnte gebremst werden.“ (Beifall bei der AfD) Da habe ich heute früh allerdings ihren Ministerpräsiden- ten irgendwie anders verstanden. Dabei müssen Sie – wenn Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Das war Herr Sie es wissenschaftlich betrachten; Sie kommen ja aus der Dr. Weigand von der AfD-Fraktion. Gibt es weiteren Rede- Wissenschaft – auch das Zeitfenster ein wenig mit festle- bedarf? – Die Linksfraktion, bitte. gen. Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ich will mich zu dem Ent- (Sabine Friedel, SPD: schließungsantrag der Koalition äußern. Da hat man viel Es ging um das Frühjahr 2020!) Text aufgeschrieben. Für diejenigen, die das nicht alles ge- – Das steht aber nicht so drin. Sie gehen nur auf die Pfle- lesen haben, darf ich zumindest noch einmal zwei, drei As- gekräfte ein. Wir sehen da auch noch andere Berufsgrup- pekte kommentieren. pen. Auch in den Krankenhäusern – das wurde heute früh Ich freue mich natürlich, wenn der Sächsische Landtag die schon angesprochen – wird momentan sehr vieles getan. weiteren Debatten zum Thema „Wie beteiligen wir das Par- Der Pflegebonus ist ja etwas, wo es erst hü und dann hott lament?“ sorgfältig verfolgt und begleitet. Man hätte dazu zuging. Schließlich kam er doch, ist aber bis heute nicht auch einmal etwas Konkreteres festlegen können. Aber wir ausgezahlt. Das ist nämlich das große Problem. Ich denke, verfolgen jetzt einmal, was da so auf Bundesebene und auf hier braucht es nicht noch mehr warme Worte für die Leute anderen Länderebenen gemacht wird. Gleichzeitig wird die – man muss das Geld, das man versprochen hat, endlich Staatsregierung aufgefordert – ich zitiere –, „auch künftig auch bei den Leuten ankommen lassen. umfassend das Parlament zu informieren“. Das „umfas- (Beifall bei der AfD) send“ bisher würde ich jetzt einmal infrage stellen. Ja, in den Krankenhäusern herrscht Personalmangel. In Dann steht in Punkt 3 bei II, wer alles daran zu beteiligen Niedersachsen ist man jetzt so weit, dass man 12-Stunden- ist, nämlich Kommunen, Bildungseinrichtungen, es sind Schichten in der Pflege legalisiert hat. Ich hoffe aber nicht, Vorläufe bei Behörden und Unternehmen zu schaffen. Dass dass das auch der Weg in Sachsen sein wird. dabei wieder der Landtag fehlt, möchte ich nur einmal fest- stellen. Ein bisschen hasenfüßig wurde das also schon zu- Ferner schreiben Sie in dem Entschließungsantrag, dass sammengeschrieben. Darüber bin ich etwas traurig. Das Sie mehr wissenschaftliche Erkenntnisse möchten. Dar- hätte man schon etwas konkreter machen können. Wir wer- über musste ich schmunzeln. Genau so hieß ein Antrag von den uns aber der Stimme enthalten, weil auch einige kluge uns hier im April: „Wissenschaftliche Fakten statt gefähr- Dinge darinstehen. liches Halbwissen“. Für diesen Antrag wurden wir damals kritisiert. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Damit kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der (Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, Koalition in der Drucksache 7/4444. Wer dem Antrag seine BÜNDNISGRÜNE) Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzei- Wo sind denn die wissenschaftlichen Fakten, die sich auch chen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der kritisch mit der Sache auseinandersetzen und die sagen, wir Stimme? – Es gibt eine Reihe von Stimmenthaltungen, brauchen keinen Lockdown und wir müssen andere Maß- keine Gegenstimmen. Der Antrag ist mit Mehrheit ange- nahmen ergreifen? Warum müssen wir hier 100 000 Anfra- nommen. gen stellen und jeder Sache hinterherrennen? Weil eben

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Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungs- punkt 1 abgeschlossen. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2 Bestimmung der Anzahl und Wahl der stellvertretenden Schriftführerinnen und Schriftführer Drucksache 7/4219, Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD Drucksache 7/4276, Wahlvorschlag der Fraktion CDU Drucksache 7/4277, Wahlvorschlag der Fraktion AfD Drucksache 7/4278, Wahlvorschlag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 7/4279, Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 7/4268, Wahlvorschlag der Fraktion SPD

Gibt es zu der Drucksache 7/4219, Antrag der Fraktionen, nicht alle Drucksachen-Nummern der verschiedenen Frak- noch Diskussionsbedarf? – Das ist nicht der Fall. Damit tionen vorzulesen. Gemäß § Abs. 1 der Geschäftsordnung stelle ich die Drucksache 7/4219 zur Abstimmung. Wer ist derjenige gewählt, der mehr Ja- als Neinstimmen erhält. dieser Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den Hierzu ist keine Debatte vorgesehen. Ich frage, ob wir die bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? Wahl durch Handzeichen erledigen können, oder wider- – Wer enthält sich der Stimme? – Ich kann Einstimmigkeit spricht dem jemand von den Abgeordneten? – Das ist nicht erkennen. Damit ist die Drucksache beschlossen. der Fall. Damit können wir mit Handzeichen abstimmen. Wer dem Beschlussvorschlag seine Zustimmung geben Nach § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 der Ge- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer schäftsordnung wählt der Landtag nach den Vorschlägen ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich stelle der Fraktionen entsprechend dem Stärkeverhältnis der Einstimmigkeit fest. Ich frage, ob jemand von den Damen Fraktionen stellvertretende Schriftführerinnen und Schrift- und Herren Abgeordneten die Wahl nicht annimmt. – Das führer. Daraus ergibt sich bei der eben beschlossenen An- ist nicht der Fall. Damit sind alle gewählt und können ihr zahl von 10 stellvertretenden Schriftführerinnen und Amt antreten. Schriftführern folgende Zusammensetzung; Sie können diese alle erkennen. Ich glaube, ich brauche Ihnen auch Damit ist Tagesordnungspunkt 2 beendet. Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 3 Wahl eines stellvertretenden stimmberechtigten Mitgliedes für den Landesjugendhilfeausschuss gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 des Landesjugendhilfegesetzes Drucksache 7/4293, Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2020 hat der Abgeordnete Meine Damen und Herren! Die Wahlen finden nach den Volkmar Zschocke seine stellvertretende Mitgliedschaft im Bestimmungen unserer Geschäftsordnung geheim statt. Landesjugendhilfeausschuss niedergelegt. Gemäß § 12 Aber wir können auch offen abstimmen. Ich frage Sie, ob Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 des jemand widerspricht. – Das ist nicht der Fall. Damit kom- Landesjugendhilfegesetzes hat der Sächsische Landtag bei men wir zur Abstimmung. Wer dem Vorschlag der BÜND- Ausscheiden aus dem Landesjugendhilfeausschuss für die NISGRÜNEN seine Zustimmung geben möchte, den bitte verbleibende Amtsperiode ein Ersatzmitglied bzw. einen ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer Stellvertreter zu wählen. Deshalb ist heute eine Nachwahl enthält sich der Stimme? – Ich sehe Einstimmigkeit und erforderlich. Hierzu liegt Ihnen der Wahlvorschlag der frage Sie: Nehmen Sie die Wahl an? nach § 15 Abs. 2 der Geschäftsordnung vorschlagsberech- (Lucie Hammecke, BÜNDNISGRÜNE: Ja!) tigten Fraktionen BÜNDNISGRÜNE in der Drucksache 7/4293 für die Wahl eines stellvertretenden stimmberech- Dann gratuliere ich Ihnen und wünsche Ihnen viel Erfolg tigten Mitglieds vor. Vorgeschlagen zur Wahl als stellver- in Ihrer Arbeit. tretendes stimmberechtigtes Mitglied für den Landes- jugendhilfeausschuss ist Lucie Hammecke. 1042 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Damit haben wir diesen Punkt abgearbeitet und kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 4 Aktuelle Stunde Erste Aktuelle Debatte: Messermord in Dresden – Gefährder unter uns – worauf wartet Wöller? Antrag der Fraktion AfD Zweite Aktuelle Debatte: 30 Jahre Sächsischer Landtag – starkes Parlament – starke Demokratie – starker Freistaat Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD

Die AfD-Fraktion hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht, BÜNDNISGRÜNE und SPD zum Thema „30 Jahre Säch- das Thema ihrer Aktuellen Debatte entsprechend § 50 sischer Landtag – starkes Parlament – starke Demokratie – Abs. 1 Satz 4 unserer Geschäftsordnung zu ändern. Der starker Freistaat“. Aktuellen Debatte der Fraktionen CDU, BÜNDNIS- Die Gesamtredezeiten brauche ich wohl jetzt nicht noch GRÜNE und SPD haben wir zu Beginn der Sitzung bereits einmal vorzulesen, oder wünscht dies eine Fraktion? – Das zugestimmt. Demzufolge liegen mir die vorliegenden An- ist nicht der Fall. träge auf Aktuelle Debatten vor: Antrag der Fraktion AfD zum Thema „Messermord in Dresden – Gefährder unter Dann kommen wir zu uns – worauf wartet Wöller?“, Antrag der Fraktionen CDU,

Erste Aktuelle Debatte Messermord in Dresden – Gefährder unter uns – worauf wartet Wöller? Antrag der Fraktion AfD

Die AfD hat als Antragstellerin das erste Wort. Herr Abg. Berliner Attentat auf dem Breitscheidplatz – im europäi- Wippel, bitte. schen Kontext aber auch die unzähligen Anschläge in Frankreich, in England und zuletzt das brutale Attentat in Sebastian Wippel, AfD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wien. Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Am Anfang der De- batte möchte ich mich bedanken, dass Sie unserem Anlie- Dieser Anschlag zeigt nicht nur beliebigen Schwulenhass gen gefolgt sind und heute Morgen eine Schweigeminute eines Islamisten, sondern es ist auch ein Anschlag auf unser für die Opfer des islamistischen Terrors eingelegt haben. aller Werte, auf unsere Lebensweise, auf unsere Kultur, auf Es freut mich sehr, dass wir das durchgeführt haben. Am die Art und Weise, wie wir in diesem Land zusammenle- 04.10. spazierte Thomas L. mit seinem Lebenspartner ben. Wir wollen diese Werte allesamt erhalten. Wir sind be- durch Dresden über die Schloßstraße, und er wurde durch reit, diese Werte auch gegen den Islamismus zu einen feigen, wirklich hinterhältigen islamistischen Mord- verteidigen. anschlag jäh aus dem Leben gerissen. Sein Partner wurde (Beifall bei der AfD) schwer verletzt. Möglicherweise werden die Wunden hei- len – die körperlichen. Die Narben bleiben, und es werden Wie aber geht unsere Regierung nun damit um, mit diesem bei seinem Lebenspartner immer die schlimmen Bilder im Anschlag in Dresden? Ich frage wirklich: Wo waren denn Kopf bleiben, die er an diesem Abend erleben musste. die Lichterketten aus Betroffenheit? Wo waren denn die Meine Damen und Herren! Wir leben in einem Land, in Demonstrationen für Toleranz? Wo war denn der Aufschrei dem jeder lieben kann und darf, wen er möchte. So stellt des Bundespräsidenten, der sich ansonsten zu unliebsamen sich natürlich die Frage, warum, und welche Islamisten wir Demonstrationen äußert? Wo waren die Worte der Bundes- tatsächlich in dieses Land gelassen haben. kanzlerin? Ich habe bis vorhin – heute Morgen, am Anfang der Regierungserklärung – kein Wort der Anteilnahme Dieser Anschlag reiht sich ein in eine Reihe von Anschlä- vonseiten des Ministerpräsidenten gehört, zumindest nicht gen: die Jagd auf Motorradfahrer durch einen Islamisten in in der öffentlichen Debatte. Berlin, die Anschläge von Ansbach und von Würzburg, das

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(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Was? – Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte zum Ende Zuruf von der CDU: Selektive Wahrnehmung! – kommen. Unruhe) Sebastian Wippel, AfD: Einen Satz noch. – Diese Länder Der Innenminister erklärte im Innenausschuss auf Fragen schieben nämlich ab. Arbeiten wir hier im europäischen zu der Tat, dass er sich zu Gerüchten noch nicht einmal äu- Gedanken mit unseren Partnern zusammen! Schließen wir ßern werde. Anstatt sich dem Parlament zu stellen und uns an. Gehen wir mit voraus. Solidarisieren wir uns mit Rede und Antwort zu stehen, hat er sich erst später, nach den anderen Staaten. der Festnahme des Tatverdächtigen, gegenüber der Presse erklärt – allerdings wiederum nicht selbst, denn er hat das Vielen Dank. nicht zur Chefsache gemacht. Er hat es vorgezogen, in den (Beifall bei der AfD) Herbstferien lieber im Urlaub zu weilen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Das ist an Kaltschnäuzigkeit und an Instinkt- Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die CDU- losigkeit überhaupt nicht zu überbieten, wenn wir einen Fraktion Herr Abg. Anton, bitte. Anschlag im Herzen unseres Freistaates haben. (Zurufe von den LINKEN: Maske! – Heiterkeit – (Beifall bei der AfD) Rico Anton, CDU, kehrt zu seinem Platz zurück, um einen Mund-Nasen-Schutz zu holen. – Ich habe hier bereits an anderer Stelle gesagt: Wenn sich Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wenn man aus der unter einer Million Menschen, die nach Deutschland kom- letzten Reihe kommt! – Vereinzelt Heiterkeit) men, nur ein Promille Gefährder befinden oder relevante Personen, dann brauchten wir etwa 14 000 bis 16 000 Po- Rico Anton, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge- lizisten, um diese Leute auf Schritt und Tritt zu überwa- ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Messerattacke eines chen. Das geht in Deutschland nicht, denn wir haben dieses Islamisten auf zwei Touristen am 4. Oktober 2020 in Dres- Personal nicht. den hat uns alle tief bestürzt. Ein 55-jähriger Mann aus Somit stellt sich die Frage: Was hat die Regierung eigent- Krefeld starb, ein 53-Jähriger aus Köln überlebte schwer lich getan, um Gefährder abschieben zu lassen? Die Aus- verletzt. setzung der Abschiebungen, und zwar für alle Personen, ist Wir sind mit unseren Gedanken bei den Opfern und ihren in der Innenministerkonferenz von unserer Staatsregierung Angehörigen. Der Ministerpräsident und alle Mitglieder immer wieder mit durchgewinkt worden. Jetzt die wohl- dieses Hohen Hauses haben heute Morgen der Opfer ge- feile Forderung zu erheben, islamistische Gefährder dann dacht, Herr Wippel. auch einmal nach Syrien abzuschieben, kommt reichlich spät. (Sebastian Wippel, AfD: Doch schon! Heute Morgen!) Ich sage Ihnen eines: Ihre Initiativen – die Sie offensicht- lich nicht gebracht haben; zumindest sind sie uns nicht Etwas anderes zu unterstellen ist wirklich eine Unver- bekannt – reichen nicht aus. Protokollnotizen in einem Pro- schämtheit und eine Böswilligkeit, wie wir sie von Ihnen tokoll der Innenministerkonferenz sind nichts anderes als aber auch nicht anders kennen. das Waschen der Hände in Unschuld, wie es einst Pontius (Sebastian Wippel, AfD: Pilatus an anderer Stelle getan hat. Das habe ich nicht unterstellt!) (Beifall bei der AfD) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der mutmaßli- Meine Damen und Herren! Wir brauchen Maßnahmen, wir che Täter war ein 20-jähriger Syrer, der erst fünf Tage zu- brauchen konsequente Maßnahmen. Wir brauchen die Ab- vor, nach Verbüßung einer Jugendstrafe, wieder auf freien schiebung von Gefährdern aus diesem Land in deren Land Fuß gesetzt wurde. Im November 2018 hatte ihn das Ober- oder in ein Drittland, mit dem wir ein Abkommen haben. landesgericht wegen Werbens um Mitglieder oder Unter- Wir brauchen für diese Personen, solange sie noch hier stützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie sind, die Abschiebehaft oder eine Internierung – wie es Körperverletzung und Bedrohung zu einer Jugendstrafe Nicolas Sarkozy in Frankreich bereits gefordert hatte. von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. (Vereinzelt Beifall bei der AfD) (Zuruf von der AfD: Doch so hoch!) Ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention liegt Er suchte im Internet nach Anleitungen zum Bau von hier auch nicht vor, denn dort ist die Abschiebung von Ge- Sprengstoffgürteln, rief zum Kampf gegen – aus seiner fährdern auch in gefährliche Staaten durchaus vorgesehen. Sicht – „Ungläubige“ auf und hatte als Ziele für mögliche Die Sicherheit des eigenen Volkes muss immer Vorrang vor Terroranschläge offenbar das Festgelände an der Dresdner dem Schutz von Verbrechern haben. Marienbrücke und die Kinonächte am Elbufer im Visier. (Beifall bei der AfD) (Zuruf des Abg. Norbert Mayer, AfD) Meine Damen und Herren, schauen wir uns an, was Däne- Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass ihn mark macht, was Schweden macht und wo Frankreich auch das LKA bereits 2017 als islamistischen Gefährder einge- nachzieht. Diese Länder schieben – – stuft hatte. 1044 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Das abscheuliche Motiv für die Auswahl der Opfer war erfahren, was die Quelle des ausländischen Geheimdiens- mutmaßlich der religiös-extremistisch begründete Hass auf tes war. Homosexuelle. Die Tat führt uns einmal mehr drastisch vor (Unruhe) Augen, dass von islamistischem Extremismus eine tödliche Gefahr ausgeht. Aber man kann davon ausgehen, dass diese Erkenntnisge- winnung beispielsweise auch dadurch entstehen könnte, (Zuruf von der AfD: Aha!) dass der ausländische Geheimdienst andere Islamisten be- Nun ist nach einem solchen Verbrechen immer die Frage obachtet hat, die mit dem Täter von Dresden in Verbindung zu stellen, ob die Tat hätte verhindert werden können und standen. ob es Versäumnisse aufseiten der Sicherheitsbehörden gab. (Sebastian Wippel, AfD: Während der Haftzeit?) Zu den Verlautbarungen der AfD heute und in den letzten Tagen lohnt es sich kaum, vertieft etwas zu sagen; diese Mit ausländischen Geheimdiensten arbeitet der Auslands- sind oberflächlich, platt, populistisch: immer die Regie- geheimdienst der Bundesrepublik Deutschland zusammen, rung im Visier, und diese ist ja grundsätzlich immer und an aber nicht das Sächsische Landesamt für Verfassungs- allem schuld. Irgendein sinnvoller Beitrag zur Sache fehlt schutz. Deswegen werden dort die Erkenntnisse gewon- – wie immer. nen. Ob sie dann im Verfassungsschutzverbund weiter- gegeben werden, hängt von der Beurteilung durch den (Zuruf des Abg. Sebastian Wippel, AfD) Bundesnachrichtendienst ab. Das hätte in diesem Fall Gleichwohl muss man feststellen, dass es ein schweres Ver- erfolgen müssen, ist aber nicht rechtzeitig geschehen – so säumnis aufseiten des Bundesnachrichtendienstes gegeben einfach ist das. hat. (Carsten Hütter, AfD: „So einfach ist das“! – (Zurufe von der AfD: Aha!) Weitere Zurufe von der AfD: „Einfach“!) Der BND hatte einen brisanten Hinweis von einem auslän- Man muss jetzt allerdings einmal das Auge nach Sachsen dischen Geheimdienst, der besagte, dass Abdullah Al H. richten. Für uns ist die Frage ja noch entscheidender, wie nach seiner Haftentlassung einen Anschlag verüben wollte es mit der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden in diesem und mit weiteren mutmaßlichen Islamisten in Verbindung Fall aussieht. stand, schlichtweg liegengelassen. Unsere sächsischen Si- Es bleibt schon festzustellen, dass es zunächst einmal eine cherheitsbehörden haben davon erst nach der Tat erfahren. wirklich anerkennenswerte Leistung ist, dass nach nur Das ist wirklich kaum zu fassen. Meine Damen und Her- 16 Tagen entsprechend akribischer Ermittlungsarbeit der ren! So etwas darf einfach nicht passieren. Hier muss die- Täter gefasst werden konnte. Das ist nicht selbstverständ- ser Sachverhalt aufgearbeitet werden. lich; denn die Tat selbst wies nicht auf Abdullah Al H. hin. Letztlich kamen ihm die Ermittler durch eine DNA-Spur Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie auf die Schliche. eine Zwischenfrage, Herr Anton? Er war als Gefährder eingestuft. Was bedeutet das denn für Rico Anton, CDU: Bitte schön. seine Überwachung? Es gab eine auf fünf Jahre angeord- nete Führungsaufsicht. Es sollte damit eine umfassende Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Wippel, Kontrolle und Überwachung sichergestellt werden. Bereits bitte. vor seiner Haftentlassung wurde deshalb ein umfangrei- cher Maßnahmenplan ausgearbeitet, um ihn zu überwa- Sebastian Wippel, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – chen und die gerichtlich verfügten Auflagen durch- Können Sie mir vielleicht erklären, wie ein befreundeter zusetzen. Er musste sich dreimal pro Woche in Dresden bei Nachrichtendienst Erkenntnisse darüber bekommt, was in der Polizei melden. Es waren ihm der Kontakt zu Angehö- deutschen Haftanstalten passiert? rigen islamistischer Gruppen, der Besuch einschlägiger (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Webseiten und das Mitführen von Hieb-, Stich- oder Das müssen Sie den Nachrichtendienst fragen!) Schusswaffen verboten. Warum bekommen unsere Haftanstalten es nicht hin, sol- (Zuruf von der AfD) che Erkenntnisse auch selbst zu haben und zu demselben Zudem fanden die Überwachungsmaßnahmen durch die Schluss zu kommen? Polizei sowie Observationen durch das Landesamt für Ver- Wie kann sich ein islamistischer Gefährder überhaupt aus fassungsschutz statt. Es war leider trotz dieser umfangrei- der Haft heraus mit anderen Islamisten zu Anschlägen nach chen Maßnahmen nicht möglich, die Tat zu verhindern. der Haft verabreden? Nun wurde in den letzten Tagen immer wieder kritisch hin- (Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD) terfragt, warum denn keine 24-Stunden-Überwachung stattgefunden habe. Das LKA hat darauf eine klare Antwort Rico Anton, CDU: Herr Wippel, Sie werden aufgrund der gegeben: Eine 24-Stunden-Überwachung war zu diesem Geheimhaltungsbedürftigkeit solcher Informationen nicht Zeitpunkt durch die Polizei rechtlich nicht zulässig.

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(Sebastian Wippel, AfD: Und – Wie ist es mit dem Kauf der Tatwaffe? Zu Hause durfte welcher Richter hat das angeordnet?) er schon ein Küchenmesser haben. Wenn man hätte verhin- dern wollen, dass er diese beiden Messer mit sich führt, Eine Vollzeitbeobachtung durch den Verfassungsschutz – dann hätte man ihn jedes Mal, wenn er das Haus verlässt, das ist eine andere Geschichte, da wären die rechtlichen durchsuchen müssen. Das wäre die notwendige Vorausset- Voraussetzungen theoretisch für eine 24-Stunden-Überwa- zung gewesen, um das Mitführen dieser Tatwerkzeuge zu chung gegeben gewesen. Allerdings – und das gehört zur verhindern. Das ist auch kein realistisches Szenario. Wahrheit dazu – hätte damit die Tat nicht verhindert wer- den können. Eine nachrichtendienstliche Observation hat Im Ergebnis bleibt festzustellen: Die sächsischen Sicher- ja noch nicht einmal eine abschreckende Wirkung auf einen heitsbehörden haben alle rechtlich zulässigen Möglichkei- potenziellen Täter; denn wenn die Beamten ihre Arbeit gut ten ausgeschöpft, um diese Tat zu verhindern. Natürlich ist machen, dann bekommt er von dieser Überwachung gar es ernüchternd, dass trotz dieser Maßnahmen die Tat nicht nichts mit. verhindert werden konnte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es niemals eine hundertprozentige Sicherheit gibt. (Tobias Keller, AfD: Ein Armutszeugnis!) Trotzdem steht die Frage im Raum, wie wir mit solchen Noch einmal ganz klar: Eine Observation durch das Lan- Gefährdern umgehen und wie solche Taten perspektivisch desamt für Verfassungsschutz ist keine Überwachung einer zu verhindern sind. Dazu werde ich mich gern in der nächs- Person zur Gefahrenabwehr im polizeilichen Sinne, son- ten Rederunde noch einmal einlassen. dern sie ist ausgelegt auf die Gewinnung von Erkenntnis- sen über extremistische Aktivitäten, im konkreten Fall also Herzlichen Dank. zum Beispiel über Verbindungen zu anderen Personen aus (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, der islamistischen oder dschihadistischen Szene. der SPD und der Staatsregierung)

Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Fraktion eine Zwischenfrage? DIE LINKE kann sich vorbereiten. – Frau Abg. Köditz, Sie haben das Wort. Rico Anton, CDU: Ja, bitte schön. Kerstin Köditz, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsi- Sebastian Wippel, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. dentin! Meine Damen und Herren! Ich will heute nicht über Ich habe eine Zwischenfrage. Abdullah reden. Könnte es sein, dass sich Personen von einer Behörde, die (Zurufe von der AfD: Nein!) eine Zielperson observieren und nicht eingreifen, wenn diese zur Tat schreitet, der unterlassenen Hilfeleistung Ich will über Thomas reden, der getötet wurde, und über schuldig machen? Könnte es sein, dass der Dienstherr viel- Oliver, der seinen Lebenspartner verlor und selbst schwer leicht vorsorgen könnte, damit sie einschreiten können, ge- verletzt wurde. rade wenn man das Gefährdungspotenzial kennt? (Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD) Rico Anton, CDU: Sie wollen darauf hinaus, ob die Be- Reden wir über die Opfer, geben wir ihnen Namen, geden- amten des Verfassungsschutzes, wenn sie festgestellt hät- ken wir ihrer. Sprechen wir den Hinterbliebenen unser Bei- ten, dass jetzt ein Angriff unmittelbar bevorsteht, hätten leid aus, wünschen wir Oliver gute Besserung und viel eingreifen müssen. Das gehört nicht zu ihren Aufgaben als Kraft, um mit dem Verlust eines geliebten Menschen um- Verfassungsschützer. Aber sie wären als Zivilperson gehen zu können. (Carsten Hütter, AfD: Oberste Bürgerpflicht!) Ich bin nicht mehr gewillt, diese permanente Spirale von möglicherweise verpflichtet gewesen, hier Hilfe zu leisten. Hass und Gewalt weiter mitzudrehen. Aber genau das will Das ist klar. die AfD mit ihrer Aktuellen Debatte. Aber schauen Sie sich einmal an, wie die Tatbegehung er- (Beifall bei den LINKEN – Lachen bei der AfD – folgte. Der erste tödliche Messerstich wurde von hinten Dr. Rolf Weigand, AfD: Unverschämt!) ausgeführt. Wenn ein Observationsteam dort in der Nähe in Hass säen, Vorurteile schüren, einfache Lösungen verspre- 50 Meter Abstand gewesen wäre und jemand ein Messer chen – die Welt ist nicht so einfach. Fanatismus in Worten zieht und zusticht, dann ist alles schon passiert, ehe sie ein- greifen können. Das ist in diesem Fall ein absolut unrealis- (Tobias Keller, AfD: tisches Szenario, was Sie hier aufzeigen. Auch eine 24- Fakten zur Kenntnis nehmen!) Stunden-Überwachung mit Personen, die im Auto sitzen führt zu Fanatismus in Taten. Das zeigt sich tagtäglich auf und sich zumindest in der Nähe aufhalten, hätte hier nichts dieser Welt: Wien, Paris, Dresden, Hanau und Halle. Ich genützt. könnte noch weiter zurückgehen. Die Weltgeschichte ist (Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD – voll von Hass, von religiösem, rassistischem, nationalisti- Tobias Keller, AfD: Wie kam er zu dem Messer?) schem, ideologischem (Jan-Oliver Zwerg, AfD: Kommunistischem!)

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Fanatismus. Anschlag in Wien am vorgestrigen Abend und die islamis- Den Islam lehnen wir entschieden ab. Er gehört bekämpft tischen Attentate in Frankreich haben uns in den letzten – der Islamismus! Wochen und Tagen schockiert. Sie zeigen, dass religiöser Fanatismus eine erhebliche Bedrohung für unsere freie und (Lachen und Beifall bei der AfD) offene Gesellschaft ist. Diese Attentate und Gewaltverbre- – Ich freue mich, dass die AfD so leicht zu erheitern ist, chen zielen darauf ab, unsere Demokratie im Herzen zu wenn ein Mensch sich einmal verspricht. treffen. Wir erleben eine Bedrohung, vor der wir nicht zu- rückschrecken dürfen, die uns aber auch nicht sprachlos (Beifall bei den LINKEN und der SPD – Zuruf zurücklassen darf. von der AfD: Wir werden Sie daran erinnern!) Wir müssen über radikalen Islamismus und über religiösen Wir dürfen diese Spirale von Hass und Gewalt nicht bedie- Fanatismus sprechen. Wir müssen dabei laut und wir müs- nen; denn genau das dient jenen, die Hass und Gewalt säen. sen dabei auch klar sein, aber wir dürfen keine Scheinde- Sie wollen, dass wir uns entsolidarisieren, dass wir Angst batten führen. Wir dürfen kein Schaulaufen um die haben, dass wir den uns Unbekannten argwöhnisch beäu- einfachste Lösung beginnen, und wir dürfen vor allem gen, nicht der Versuchung erliegen, im Kampf gegen die An- griffe auf die Werte unserer Demokratie genau jene Werte (Tobias Keller, AfD: So ein Blödsinn!) zu verraten, die wir vorgeben, verteidigen zu wollen. uns von ihm fernhalten, ihn nicht verstehen wollen, ihm Damit sind wir beim Kern dieser Aktuellen Debatte. Diese nicht die Hand reichen, ihm nicht helfen. Aktuelle Debatte ist Ausdruck einer schäbigen Scheinde- Nur gut, dass sich engagierte Bürgerinnen und Bürger in batte, in der unter billiger Instrumentalisierung schreckli- Wien nicht davon haben beeindrucken lassen und coura- cher Verbrechen mal wieder ein ganzer Laster voller Gift, giert geholfen haben, Menschenleben zu retten. Dazu Hass und Hetze in diesem Hohen Haus ausgekippt wird. Es würde aber die AfD nie eine Aktuelle Debatte machen. Das geht der AfD nicht darum, Lösungen zu finden. passt nicht in ihr Weltbild. Es geht einmal mehr darum, zu spalten, indem Muslime in (Sebastian Wippel, AfD: Deutschland und in Sachsen mit radikalen Islamisten oder Wir sind auch nicht in Österreich!) Asylsuchende mit fanatischen Extremisten gleichgestellt werden. Aber Menschen helfen einander. Das ist wichtig. Genau das muss unsere Antwort sein: Achtung der anderen auch (Zuruf von der AfD: in ihrem Anderssein. Alle Menschen sind gleich. Die Frei- Das soll Herr Wippel gesagt haben?) heit darf der Sicherheit nicht geopfert werden; denn dann Islamfeindlichkeit und Abschiebedebatten – das ist der erledigen wir das für jene, die Hass und Gewalt säen und durchschaubare Krawall, der hier wieder angezettelt umsetzen. wurde, der leider nicht nur bei der AfD verfängt, dem man Unsere Gedanken sind bei Thomas und Oliver. sich aber, wenn es wirklich darum geht, die Werte unserer Danke. Demokratie zu verteidigen, als überzeugter Demokrat ei- gentlich konsequent entgegenstellen muss. (Beifall bei den LINKEN, den Werte Kolleginnen und Kollegen! Egal, ob islamistischer BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) Terror oder rechtsextremer Terror: Das Ziel ist Hass und Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Im Anschluss Spaltung. Eigentlich sollten Sie, werte Kollegen von der spricht jetzt die SPD-Fraktion – Entschuldigung, die AfD, einmal zugeben, dass Ihre Gesellschaftsvorstellung BÜNDNISGRÜNEN. im Ziel und die des radikalen Islamismus nahezu de- ckungsgleich sind. (Carsten Hütter, AfD: Ist alles eins!) (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN Herr Abg. Lippmann. – Ich glaube, es wäre auch nicht und den LINKEN – Zuruf von der AfD: Oh!) schlimm gewesen. Der Feind ist bei Ihnen nicht der Islam; der Feind ist die (Carsten Hütter, AfD: Macht nichts!) liberale Gesellschaft, und das verbindet Sie von der AfD Aber wir müssen die Reihenfolge einhalten. im Geiste mehr mit jenen Attentätern, als Ihnen vielleicht lieb ist. Deshalb gilt: Wer in diesem Land eine freie und (Carsten Hütter, AfD: Das wäre nicht aufgefallen!) vielfältige Gesellschaft verteidigen will, der darf nicht auf Herr Lippmann, bitte. das rechtspopulistische Getöse setzen, sondern muss da- rauf vertrauen können, dass der Rechtsstaat mit Besonnen- Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrte heit und Klarheit seine Aufgaben erfüllt. Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nicht Dabei gilt es, zunächst aufzuklären, wie es zu der schreck- nur die Tat in Dresden, bei der ein radikaler Islamist mut- lichen Tat in Dresden tatsächlich kommen konnte. Hierzu maßlich aus religiös motiviertem Schwulenhass einen Menschen aus dem Leben gerissen hat, sondern auch der

1047 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 sind nach wie vor viele Fragen offen. Wir sind es den An- Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, – gehörigen des Opfers schuldig, dass diese auch beantwor- tet werden können. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Lippmann, bitte langsam zum Ende kommen. Auch wenn wir einsehen müssen, dass so manche Tat nicht verhindert werden kann, dass der freiheitliche Rechtsstaat – Ich komme zum Schluss. – dass die wirksamsten Waffen nie hundertprozentige Sicherheit garantieren kann, so im Kampf gegen religiösen Fanatismus eine klare Haltung braucht es doch Aufklärung, ob und welche Fehler gemacht der Gesellschaft und Deradikalisierung sind, und nicht die werden. Ich hoffe, dass die Ermittlungen des Generalbun- einfachen Angaben, die Sie gerade wieder gemacht haben desanwaltes dort auch zur Erhellung beitragen. – und dieser blöde Zwischenruf, den Sie gerade getätigt ha- ben. Ich erwarte aber auch, dass die kommende Sitzung des In- nenausschusses Klarheit darüber bringt, welche Maßnah- Vielen Dank. men tatsächlich geplant wurden, und ob alles Mögliche (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, unternommen wurde, um diese Tat zu verhindern. den LINKEN und der SPD – Aber bevor diese Tat nicht restlos aufgeklärt ist, verbieten Dr. Rolf Weigand, AfD: Diejenigen, sich vorschnelle und einfache Lösungen, wie sie leider die radikalisiert sind, nur für die!) auch unmittelbar nach Ergreifung des Tatverdächtigen Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die SPD- vonseiten des sächsischen Innenministeriums propagiert Fraktion kommt jetzt Herr Abg. Pallas. wurden. Ich sage Ihnen, Herr Staatsminister des Innern, ganz klar: Mit uns BÜNDNISGRÜNEN ist eine Aufwei- Albrecht Pallas, SPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr chung des Abschiebestopps nach Syrien nicht zu machen, geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Oktober kam es weil wir nicht die Humanität opfern werden, um vermeint- in Dresden zu dem Angriff auf die beiden Männer – lich unsere Werte zu schützen. Touristen aus Nordrhein-Westfalen, ein Paar –, mutmaß- (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN lich aus homophoben Motiven und – wie wir nach einigen und den LINKEN) Tagen erfahren mussten – von einem Tatverdächtigen, der als islamistischer Gefährder eingestuft ist. Damit ist die Syrien ist und bleibt ein Kriegsgebiet, und ich muss auch Gefahr durch Fanatismus, durch Islamismus nicht mehr ganz klar sagen: Woher Ihre Behauptung kommt, Herr In- abstrakt. Es war ein konkreter Angriff, der zum Tode nenminister, große Teile dieses Landes seien befriedet, führte. kann ich nicht verstehen. Das entspricht in keinster, wirk- lich in keinster Art und Weise den Äußerungen des Aus- Der Bericht des Verfassungsschutzes von gestern zeigt, wärtigen Amtes. dass sich der bundesweite Trend eines steigenden Perso- nenpotenzials im Bereich des legalistischen Islamismus Welche Maßnahmen sind stattdessen anzugehen? Wir soll- auch in Sachsen fortsetzen könnte. Der schwulenfeindliche ten nicht die einfachste, sondern die wirksamste Lösung Anschlag in Dresden trifft dabei nicht nur Menschen, die wählen. Es gilt, islamische Radikalisierung weiter besser aus rassistischen, antisemitischen, homophoben oder ande- zu verstehen und ihr wirksam entgegenzutreten. Der Staat ren menschenfeindlichen Haltungen heraus von Gewalt be- muss Angebote schaffen und darf keine Lücken lassen, vor troffen sind. Er trifft die ganze Gesellschaft, uns alle, die allem, wenn man merkt, wo sich junge Menschen radikali- wir ein Zusammenleben in Vielfalt wollen und auch vertei- sieren. digen. Islamistische Extremisten wollen unsere offene und (Jan-Oliver Zwerg, AfD: Beispiel?) vielfältige Gesellschaft treffen, und sie schrecken auch vor Mord nicht zurück. Das zeigen genauso der grausame Das Problem ist übrigens: Wenn sich Deutsche islamisch Mord am Lehrer Samuel Paty in einem Pariser Vorort, der radikalisieren, dann können Sie diese nicht einfach ab- Anschlag von Nizza mit drei Toten und zuletzt der An- schieben. schlag in Wien mit vier ermordeten Menschen und 14 (Jan-Oliver Zwerg, AfD: In Schwerverletzten. eine Häkelgruppe, oder was?! – Unsere Antwort auf diesen Hass müssen eine Verteidigung Gegenruf Kerstin Köditz, unserer Lebensweise, mehr Offenheit und mehr Demokra- DIE LINKE: Das ist doch …!) tie sein, aber auch eine klare Ächtung und Bekämpfung – Also, wenn Sie Deradikalisierungsmaßnahmen als Hä- dieser menschenfeindlichen Taten. Islamismus ist keine kelgruppen begreifen, dann zerstören Sie gerade die Arbeit Herkunft und keine Religion; es ist eine feige und derjenigen, die wahrscheinlich in den letzten Jahren einen menschenfeindliche Ideologie, die wir als Bedrohung von erheblichen Beitrag dazu geleistet haben, dass es in Frieden und Zusammenhalt mit allen Mitteln bekämpfen Deutschland nicht zu massiven Angriffen gekommen ist müssen. durch diejenigen, die sich tatsächlich im Strafvollzug radi- Deshalb bin ich dem Christopher Street Day Dresden e. V. kalisiert haben. sehr dankbar, dass er am vergangenen Sonntag zu einer (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN Mahnwache und Schweigeminute in der Dresdner Innen- und der SPD) stadt aufgerufen hatte, um der beiden Opfer dieser Tat zu

1048 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 gedenken, aber auch um anzusprechen, welche Gefahren lassen, aber der Stellenwert in der öffentlichen Debatte für unsere Gesellschaft durch diese Ideologie vorherr- muss anders werden. schen. Es bleiben auch für uns viele Fragen offen. Es gibt ein gro- Ich bin dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, Martin ßes öffentliches Interesse, die Tat in Dresden restlos aufzu- Dulig, dankbar, dass er – wie auch viele andere Vertreterin- klären. Deshalb haben auch wir einen umfangreichen nen und Vertreter aus dem Landtag, aus dem Bundestag Fragenkatalog an die Staatsregierung geschickt und erwar- und aus der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld – anwesend ten eine zügige Beantwortung. Vielleicht ist die heutige war. Diese Mahnwache erfolgte vier Wochen nach der Tat, Debatte eine Gelegenheit, einige dieser Fragen zu beant- zehn Tage nach Bekanntwerden des islamistischen Hinter- worten. grundes des Tatverdächtigen. Selbstkritisch stelle ich fest: Das war zu spät. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte zum Ende kommen. (Zuruf von der AfD: Ja!) Albrecht Pallas, SPD: Ich komme zum Schluss, Frau Prä- Nach den Taten in Frankreich und in Wien wurde und wird sidentin. – Insgesamt hoffe ich, dass der aktuelle Vorsit- sehr schnell reagiert. Es gibt Angebote der Politik und der zende der Innenministerkonferenz, der thüringische Zivilgesellschaft zum Gedenken an die Opfer. Das hilft der Innenminister Georg Maier, nicht recht hat, wenn er eine Gesellschaft im Umgang mit diesen furchtbaren Taten. In neue Welle islamistischer Gewalt befürchtet. Lassen Sie Deutschland haben wir uns schwerer damit getan, und das uns gemeinsam mit den europäischen Nachbarn dafür sor- ist schlecht, meine Damen und Herren. gen, dass es nicht dazu kommt und dass wir die menschen- (Sebastian Wippel, AfD: feindliche Ideologie des Islamismus zurückdrängen Herr Pallas, ich stimme Ihnen zu!) können! Bundespräsident Steinmeier hat sich nach den Taten in Ich danke Ihnen. Dresden dazu geäußert. Er hat gesagt, dass wir der Gewalt (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den und den islamistischen Motiven hinter diesen Taten mit LINKEN und den BÜNDNISGRÜNEN) aller Entschiedenheit entgegentreten müssen, dass es uns alle verpflichtet, auch die Menschen, die in der Politik, in Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Nachfolgend Religionsgemeinschaften und in der Gesellschaft Verant- kommt die AfD-Fraktion an die Reihe; Herr Abg. Hütter. wortung tragen. Dazu gehört es, den Islamismus als men- schenfeindliche Ideologie zu benennen, ihn zu ächten und Carsten Hütter, AfD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ihn mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen geehrte Damen und Herren! Kollege Anton, Sie lenken in Mitteln zu bekämpfen. Ihrem Redebeitrag deutlich von den eigentlichen Versäum- nissen und von den Verantwortlichen ab. Die schnelle Ver- Dazu gehört auch, dass wir jenen entgegentreten, die jetzt haftung zu loben finde ich schon mehr als bemerkenswert. wieder massiv Stimmung gegen die Muslime oder insge- Für Sie scheint es durchaus normal zu sein, wenn einer, der samt gegen Menschen mit Migrationshintergrund in unse- nach drei Jahren Haft entlassen wird, sich als Erstes ein rem Land machen. Küchenmesser kauft. Darin sehe ich schon bemerkens- Dabei ist ganz klar: Die überwiegende Mehrheit der hier werte Bewertungen eines Vorganges, der schlussendlich zu lebenden Muslime, der hier lebenden Menschen mit Mig- einem Mord geführt hat. rationshintergrund sind normale Menschen, die sich ein- Meine Damen und Herren! Ich sehe hierbei auch einige bringen und sich rechtstreu verhalten. Eine solche Probleme in unserem Landesamt für Verfassungsschutz, Schieflage in der Debatte entsteht meines Erachtens nur, das ja auch in diesem Fall wieder ein Stück weit involviert wenn die Bewertungen dieser islamistischen Angriffe de- war. In meinen Augen reihen sich dort mehrfach wieder nen rechts außen überlassen wird. Pannen aneinander: rechtswidrige Einflussnahme auf pri- Deswegen begrüße ich die bundesweite Debatte, insbeson- vate Arbeitgeber, Datenleck durch einen Mitarbeiter, dere bei den politisch linken Parteien, dieses „unangenehm rechtswidrige Sammlung von Abgeordnetendaten, auffällige Schweigen“ – wie es Kevin Kühnert nannte – zu (Zuruf von den LINKEN) beenden. Aus sozialdemokratischer Sicht ist das notwen- dig; denn Islamismus trifft insbesondere die Werte, die uns die vermutlich vorschnelle Löschanweisung für eventuell so wichtig sind: Offenheit, Vielfalt, ein friedliches, freiheit- rechtswidrig gespeicherte Daten liches Leben in Sicherheit, Gemeinsinn, Gleichheit, Soli- (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Na, Vorsicht!) darität. Gleichzeitig haben wir viel getan, um auf der Ebene der und offensichtlich die mangelnde Analysefähigkeit, die ich Inneren Sicherheit voranzukommen und die Behörden fit auch in diesem Fall wieder erkennen kann. zu machen, um mit diesem Phänomen umzugehen – und Herr Staatsminister Wöller, bei dieser Gelegenheit möchte das nicht erst jetzt. Es begann bereits nach den Anschlägen ich bemängeln, dass der Verfassungsschutzbericht auch vom 11. September, damals noch unter Rot-Grün, Otto mir gestern zugegangen ist, nachdem die Pressekonferenz Schily. Diesbezüglich müssen wir uns nichts vorwerfen

1049 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 schon gelaufen war. Per Mail wurde er um 13:01 Uhr an- um die wahren Gefährder dieser Gesellschaft, anstatt uns gekündigt und um 13:25 Uhr konnte er geholt werden. heimische Politiker ins Visier zu nehmen. Nicht nur die Presse urteilt: Wir haben eine Amtsführung Vielen Dank. vorbei an Recht und Gesetz. Der jüngste Fall hat allerdings (Beifall bei der AfD) einen sehr ernsten Hintergrund: In Dresden wurde ein Mensch grausam ermordet und ein weiterer schwer ver- Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Mir liegen jetzt letzt. In diesem Zusammenhang von einer Panne zu reden keine weiteren Wortmeldungen vor. – Ach, Herr Anton; verbietet sich. Hier liegt offensichtlich ein Versagen vor. bitte. Es wäre schön, wenn Sie es mir signalisieren, denn Angesichts dessen stellt sich zwingend die Frage: Was dann kann ich Sie auch aufrufen. Für die CDU-Fraktion muss in sächsischen Behörden und speziell im LfV noch Herr Abg. Anton. passieren, damit endlich Konsequenzen gezogen werden? Rico Anton, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge- (Beifall bei der AfD ehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hütter, Sie haben Meine Damen und Herren! Wir fordern eine externe Be- von Versagen gesprochen, aber mit keinem Wort substan- gutachtung des gesamten LfV, vor allem des eingesetzten ziell dargelegt, worin denn dieses Versagen genau bestehen Personals, dessen Qualifizierung und der Aufgabenstellung soll. in der Behörde. Wir fordern die externe Begutachtung mit (Thomas Kirste, AfD: dem Ziel, die offenkundig vorhandenen Mängel in der Be- Dass nicht abgeschoben wurde!) hörde aufzudecken und diese Mängel schnellstmöglich ab- zustellen. Eigentlich war das, was Sie hier abgegeben haben, nichts als heiße Luft. Trotzdem bleibt die Frage, wie die schreck- Meine Damen und Herren! Wir fordern für die Zukunft von liche Tat vom 4. Oktober möglicherweise hätte verhindert dieser Behörde ein effektives und gesetzmäßiges Handeln werden können und Arbeiten, das frei von jedweder politischen Einfluss- nahme erfolgt. (Carsten Hütter, AfD: Das wissen Sie doch ganz genau!) (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) und wie wir mit solchen Gefährdern umgehen. Wir fordern die Überprüfung der Behörde im Zusammen- (Carsten Hütter, AfD: Sie unterstützen ihn!) spiel mit dem Informationsaustausch mit anderen Behör- – Jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden. – Der Präsident den und mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. des Landeskriminalamtes, Herr Kleine, hat es auf den (Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE – Punkt gebracht: Die Tat wäre zu verhindern gewesen, wenn Rico Gebhardt, DIE LINKE: Mein Gott!) es eine Abschiebung oder eine Ausweisung gegeben hätte. Auch der BND, meine Damen und Herren, hat hier versagt; (Zurufe von der AfD) Kollege Anton hatte es schon erwähnt. Dieser hatte von ei- Die Ausländerbehörde hatte ihren Teil dazu getan. Sie hatte nem ausländischen Nachrichtendienst im August 2019 eine Abdullah Al H. aufgrund seiner Straftaten die Flüchtlings- Warnung erhalten, dass der Tatverdächtige einen islamisti- eigenschaft aberkannt, und seit Herbst 2019 lag auch ein schen Angriff planen könnte. Doch anstatt die sächsischen Ausweisungsbescheid vor. Behörden zu informieren, leitete die zuständige Sachbear- beiterin beim BND den Hinweis nicht an die Polizei oder (André Barth, AfD: Das ist das Problem!) den Verfassungsschutz in Sachsen weiter. Das berichteten Dieser konnte allerdings wegen des Abschiebestopps nach der WDR und die „Süddeutsche Zeitung“. Syrien nicht vollzogen werden. Noch eine weitere Fehleranalyse in diesem Zusammen- hang: Ein privater Verein, VPN, hat sich um den Gefährder (Norbert Mayer, AfD: Die GRÜNEN liegen quer!) während und nach der Haft gekümmert. Trotz fehlender Sachsen hat sich bereits seit dem Jahr 2018 auf der Innen- klarer Distanzierung vom Islamismus hat dieser Verein ministerkonferenz vergeblich dafür eingesetzt, Gefährder dem Tatverdächtigen einen Neustart zugetraut. und Straftäter von diesem generellen Abschiebestopp aus- Meine Damen und Herren, überlegen Sie einmal: Wir ha- zunehmen. Im Dezember dieses Jahres müssen die Innen- ben einen islamistischen Gefährder unter uns und übertra- minister erneut über die Verlängerung des generellen gen die Verantwortung für diesen Mann diesem privaten Abschiebestopps nach Syrien entscheiden, und ein solcher Verein. Was, meine Damen und Herren, stimmt hier nicht? Beschluss setzt Einstimmigkeit voraus. Unser Innenminis- Über welche Kompetenzen verfügt solch ein Verein, um ter, Roland Wöller, hat es deutlich gesagt: Er wird einer mit politischen Terroristen umgehen zu können? Islamis- Verlängerung des Abschiebestopps nicht zustimmen, wenn mus ist doch weiß Gott keine Jugendsünde. nicht Straftäter und Gefährder hiervon ausgenommen sind. Für diese Position bin ich ihm sehr dankbar. Meine Damen und Herren! Wir fordern eine politisch neut- rale Behörde, die effektiv und nach Recht und Gesetz ar- (Beifall bei der CDU und der SPD – beitet. Herr Staatsminister Wöller, bitte kümmern Sie sich Zuruf des Abg. Norbert Mayer, AfD)

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Grundlage für die Entscheidung über einen generellen (Carsten Hütter, AfD: Muss erst etwas passieren, Abschiebestopp ist die Lagebeurteilung des Auswärtigen oder was?! – Weitere Zurufe von der AfD) Amtes, und diese darf mit Blick auf Syrien durchaus Die Situation ist, dass eine solche Ausnahme allein natür- kritisch hinterfragt werden. Genau genommen erstellt das lich nicht ausreicht, sondern der Bundesaußenminister Außenministerium seit Schließung der Botschaft in muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Abschie- Damaskus im Jahr 2012 kein reguläres Lagebild mehr, weil bungen nach Syrien auch praktisch durchgeführt werden es kein eigenes Bild von der Lage mehr hat. Vielmehr können. Zurzeit gibt es keine diplomatischen Beziehungen beruht das Lagebild auf Informationen von UN und Nicht- zu diesem Land. regierungsorganisationen und auf Erkenntnissen anderer Staaten. (Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE) (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Machen andere auch so!) Wir haben keine Botschaft. Aber dann ist er gefordert, dafür zu sorgen, dass es künftig wieder diplomatische Kon- Wenn man dann zur Kenntnis nimmt, dass die Asylbehörde takte oder Gesprächsfäden zu entsprechenden Entschei- der EU oder Länder wie Schweden und Dänemark Teile dungsträgern vor Ort gibt; von Syrien für sicher genug halten, um dahin abzuschie- ben, dann darf man das Lagebild des Auswärtigen Amtes (Zurufe der Abg. Luise Neuhaus-Wartenberg, an dieser Stelle schon infrage stellen. DIE LINKE, und Valentin Lippmann, Herr Kollege Lippmann, Ihre pauschale Feststellung, in BÜNDNISGRÜNE) Syrien gebe es keinen sicheren Ort, ist zumindest so nicht denn sonst wäre dieses Vorhaben von Anfang an zum sicher belegbar. Scheitern verurteilt. (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: (Unruhe im Saal) Sie müssen das Gegenteil sicher belegen!) Dann wären wir genau an dem Punkt, wo wir hinmüssen: Ich erwarte von Bundesaußenminister Maas, dass er hier Es fände bei jedem, der eine schwere Straftat begangen hat genauer hinschaut und ein differenziertes Bild der Sicher- oder als Gefährder eingestuft wird, eine Einzelfallprüfung heitslage für Syrien erarbeitet. statt, ob eine konkrete Gefahr für sein Leben, seine Freiheit oder seine Gesundheit besteht. Wenn das nicht der Fall ist, Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie dann wird abgeschoben. eine Zwischenfrage, Herr Anton? Herr Lippmann, das heißt aber auch: Ein genereller Ab- Rico Anton, CDU: Bitte schön. schiebestopp ist überhaupt nichts, was der Frage des indi- viduellen Schutzes entgegensteht, oder dessen es bedarf. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Urban, bitte. (Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE) Jörg Urban, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Individueller Schutzes ist auch gewährleistet, wenn es kei- Anton, Sie hatten gerade von der Einstimmigkeit des Be- nen generellen Abschiebestopp gibt. schlusses über den Abschiebestopp gesprochen. Es ist eine Verständnisfrage; ich bin kein Innenpolitiker: Bedeutet das (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: im Umkehrschluss, dass Herr Wöller diesem Abschiebe- Dann bringt es ja nichts!) stopp bisher immer zugestimmt hat, in der Pauschalität? Meine Damen und Herren! Ich danke in diesem Zusam- Rico Anton, CDU: Das bedeutet, dass solch ein Abschie- menhang unserem Ausländerbeauftragten, Geert Macken- bestopp ja nicht aus einem luftleeren Raum heraus verlän- roth, für seine klaren Worte. Er hat völlig recht, wenn er gert wird, sondern es gibt eine Grundlage. sagt, dass es niemandem zu erklären ist, dass ein Täter, der aus Hass tötet oder auf sonstige Weise unsere Werte mit (André Barth, AfD: Ja oder nein?) Füßen tritt, hierbleiben darf und aus Sorge vor Gefahren Diese Grundlage ist der Lagebericht des Außenministeri- für seine Person nicht abgeschoben wird. ums. Dieser Lagebericht ist meiner Meinung nach in seiner (Zuruf des Abg. André Barth, AfD) Qualität nicht mehr geeignet, einen solchen Abschiebe- stopp zu begründen. Im Übrigen geht es der CDU-Fraktion Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie gar nicht darum, den Abschiebestopp als solchen vom noch eine Zwischenfrage? Sonst ist die Zeit abgelaufen. Tisch zu schieben, sondern eine entsprechende Ausnahme für Gefährder und für Schwerverbrecher hierbei zuzulas- Rico Anton, CDU: Herr Hütter, bitte. sen. Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte. (André Barth, AfD: Ja oder nein, Herr Anton?) Carsten Hütter, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Genau das wird der Innenminister im Dezember im Bund Kollege Anton, ich habe noch eine Rückfrage zum Thema: auf der Innenministerkonferenz entsprechend erwirken.

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Wie gehen Sie mit weiteren bekannten Gefährdern aus der Jetzt ist es so, dass einige islamistische Gefährder zwar als islamistischen Szene in Sachsen um? Asylsuchende hierhergekommen sind, aber andere sind hier geboren oder kommen aus Ländern im Schengenraum. (Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, Auch der Blick nach Frankreich oder Wien zeigt – im Üb- BÜNDNISGRÜNE) rigen auch auf die weltweiten Anschläge in den letzten Wie sollte die weitere Vorgehensweise der Regierung in Jahrzehnten –, dass Zuwanderung nur ein kleiner Teil des dieser Frage aussehen? – Vielen Dank. Problems ist. (Sabine Friedel, SPD: Wie gehen Sie damit um?) Trotzdem befürwortet auch die SPD, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht, die andere Menschen oder die öffentliche Rico Anton, CDU: Es gibt für die Frage, wie man mit Ge- Sicherheit gefährden, als letztes Mittel, wenn möglich, ab- fährdern umgeht, bundeseinheitliche Standards. Es gibt für geschoben werden. Aber wir dürfen dabei die zivilisatori- jeden einzelnen Gefährder eine entsprechende Beurteilung, schen Errungenschaften, den Rechtsstaat oder den welche Maßnahmen notwendig sind, um Gefahren, die von Grundsatz, Menschen nicht in Lebensgefahr abzuschieben, dieser Person ausgehen, einzudämmen bzw. diese Gefah- nicht selbst beschädigen. Und in diesem Lichte sehe ich die ren zu bannen. Und das wird genauso weiterhin erfolgen. aktuelle Forderung, jetzt wieder nach Syrien abzuschieben. (Carsten Hütter, AfD: Das Es ist noch kein sicheres Land, und es gibt dort gerade nie- wird weiterhin so erfolgen!) manden, dem wir rückgeführte Menschen übergeben kön- nen. Was die Frage der Ausweisung anbelangt, so ist das hin- sichtlich des Abdullah völlig unstrittig. Der Ausweisungs- (Thomas Thumm, AfD: bescheid lag vor, nur war in diesem Fall die Situation so, Deutschland ist auch kein sicheres Land mehr!) dass er aus einem Land kam, für das momentan ein gene- Wie soll das rechtssicher gehen? reller Abschiebestopp besteht. Also kann diese Abschiebe- verfügung praktisch nicht vollzogen werden. (Zurufe von der AfD) (André Barth, AfD: Dann gibt es eben Nun zu dem Hinweis auf andere europäische Staaten: Die Sachleistungen und keine Geldleistungen mehr!) in Deutschland verantwortliche Behörde ist das Auswär- tige Amt. Dieses trifft die Einschätzungen zur Sicherheits- Wir müssen daran arbeiten, dass das künftig auch für Sy- lage in den betreffenden Staaten. Ich bin sehr dafür, dass rien möglich wird. Es gibt andere Länder, bei denen das das Auswärtige Amt seine Arbeit weiterhin verrichtet und funktioniert, und da wird das auch getan. Es ist ja nicht so, dabei gern den Prüfturnus enger zieht. Aber ich kann mir als wenn es in keinem einzigen Fall funktionieren würde. nicht vorstellen, dass die Innenministerkonferenz einen Es ist ganz klar: Roland Wöller hat hier eindeutig Position entsprechenden Beschluss anders fasst, solange das Aus- bezogen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Schutz wärtige Amt seine Einschätzung von der Sicherheitslage in unserer Bevölkerung vor ausländischen Attentätern, Terro- Syrien nicht verändert. – Danke. risten und Schwerkriminellen gewährleistet wird, und da (Beifall bei der SPD und des geht der Schutz der eigenen Bevölkerung vor. Solche Per- Staatsministers Martin Dulig) sonen müssen, wenn irgend möglich, – Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Anton, Sie Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte zum Ende wollen antworten. kommen! Rico Anton, CDU: Herr Kollege Pallas, es ist natürlich Rico Anton, CDU: – konsequent abgeschoben werden, richtig, dass es Gefährder gibt, die beispielsweise die deut- auch nach Syrien. sche Staatsbürgerschaft haben. Nach meinen Erkenntnis- (Beifall bei der CDU) sen bezieht sich das in etwa auf die Hälfte der circa 600 in Deutschland eingestuften Gefährder. Das heißt aber nicht, Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es folgt eine dass wir die anderen 300 deswegen in Ruhe lassen sollten. Kurzintervention von Herrn Abg. Pallas; bitte. Fakt ist eines: Jeder Gefährder, der außer Landes gebracht Albrecht Pallas, SPD: Danke, Frau Präsidentin. Herr Kol- werden kann, stärkt die innere Sicherheit in Deutschland, lege Anton, bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich nach und wir sollten uns das in jedem einzelnen Fall anschauen. Ihrem Redebeitrag zu einer Kurzintervention melde; denn (Vereinzelt Beifall bei der CDU – ich finde, dass die Diskussion über die Abschiebungen ein Beifall bei der AfD) bisschen schräg läuft. Es ist keine Tatsache, dass es in Syrien keine Ansprechpart- Herr Kurz hat gestern geäußert – und Herr Kretschmer hat ner gäbe, mit denen man eine Abschiebung organisieren es heute Morgen aufgenommen –, dass es bei dem Kampf könnte. Deutschland hat nur im Moment keinen Kontakt zu gegen den Islamismus um den Kampf zwischen Barbarei einem möglichen Ansprechpartner, mit dem man das reali- und Zivilisation geht. sieren könnte. Genau dort liegt das Versäumnis des Bun- (Zuruf von der AfD: Genau!) desaußenministeriums, hier entsprechend nachzuarbeiten.

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(Beifall bei der AfD) (Zurufe und Gelächter von der AfD) Insofern gehe ich davon aus, dass der generelle Abschiebe- Deswegen oder auch wegen schwerer Gefährdung seiner stopp ohne jede Ausnahme im Dezember auf der Bundes- Person, solange der generelle Abschiebestopp besteht, sa- innenministerkonferenz nicht verlängert wird. Wir werden gen die Bundesregierung und die Innenminister: Es ist in es ja in wenigen Wochen sehen. diesem Land zu gefährlich, als dass wir nach den Maßga- ben unseres Grundgesetzes jemanden in diese Zustände zu- (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der AfD – rückführen können. Zuruf von der AfD: Hoffentlich!) Das bedeutet: Die Einstufung von mindestens einem Teil Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Wippel, von Syrien in ein sicheres Gebiet – bei dem wir sagen, wir eine Kurzintervention auf Herrn Antons Rede? – Bitte. verstoßen nicht gegen das Grundgesetz, wenn wir jeman- den abschieben – ist zwingende Voraussetzung, damit die Sebastian Wippel, AfD: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Abschiebung durchgeführt werden kann. Ich habe es be- Ich möchte eine Kurzintervention auf die Rede des Kolle- reits gesagt: Auch ein Aufheben dieses generellen Abschie- gen Anton halten. Zunächst erkenne ich, dass die CDU bestopps führt nicht dazu, dass jeder nach Syrien offensichtlich gewillt ist, etwas zu tun. Starke Worte sind abgeschoben werden kann, sondern es hat in jedem Einzel- ja jetzt genug gesprochen worden. fall eine individuelle Prüfung zu erfolgen. Ich formuliere es jetzt als Frage, auch wenn es eine Kurzin- Das ist die Grundlage, auf der wir arbeiten. Lediglich der tervention ist, aber Sie können ja antworten: Der Artikel 33 Blick in die Genfer Flüchtlingskonvention ist dabei zu kurz der Genfer Flüchtlingskonvention ist Ihnen ja sicherlich gegriffen. bekannt und wahrscheinlich schließen Sie sich mir dann auch an. In Artikel 33 Abs. 1 steht geschrieben, dass man Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Abg. quasi niemanden zurückschiebt in Staaten, in denen man Kliese, bitte, mit einer Kurzintervention zu Herrn Anton. gefährdet ist, wenn man als Flüchtling gekommen ist. Aber im Abs. 2 steht: „Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift Hanka Kliese, SPD: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus Ich möchte gern Bezug auf die Aussage des Kollegen schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicher- Anton nehmen, dass die Sicherheitslage in Syrien vom heit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder Auswärtigen Amt eher nicht mehr detailliert beschrieben der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeu- werden könne, da die Botschaft in Damaskus nicht mehr tet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders geöffnet habe. schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“ Das Es ist richtig, dass die deutsche Botschaft in Damaskus seit ist Ihnen ja sicherlich bekannt. dem Jahr 2012 geschlossen ist. Das stimmt. Herr Anton, Für mich stellt sich die Frage: Warum reagieren Sie erst aber seither können Sie in jedem Bericht nachlesen, dass jetzt? Denn die Protokollnotizen in den IMK-Sitzungen man sich in den Berichten des Auswärtigen Amtes und in finden ja schon etwas länger statt, und die Aufforderung den Lageeinschätzungen darauf stützt, was die Organe der ans Auswärtige Amt, dann mal bitte etwas zu liefern, ist ja Vereinten Nationen, die Sie sicherlich respektieren, selbst schon vor Jahren aufgestellt worden. Jetzt kommen Sie in vor Ort beurteilen. Das heißt, es gibt Lageberichte vom die Puschen, nachdem etwas passiert ist, aber in den ver- UNHCR. Es gibt Lageberichte von verschiedenen Men- gangenen Jahren haben Sie nichts gemacht. schenrechtsorganisationen vor Ort. Zum einen aus diesen Lageberichten speist sich die Einschätzung des Auswärti- Sehen Sie es als Frage an, aber gleichzeitig als erhebliche gen Amtes. Kritik für Ihr Nichtstun. Zum anderen speist sich die Einschätzung aus den Lagebe- (Beifall bei der AfD) richten der Nachbarländer, beispielsweise der nach wie vor Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Anton, geöffneten Botschaft in Beirut. Beirut liegt 130 Kilometer bitte. entfernt von Damaskus und 80 Kilometer entfernt von der Grenze zu Syrien. Auch von dort aus ist es sehr gut mög- Rico Anton, CDU: Herr Wippel, Ihre rechtliche Einord- lich, eine Lageeinschätzung vorzunehmen. Deshalb, finde nung greift zu kurz. Ich hatte es in meiner Rede schon aus- ich, gibt es durchaus Anlass, den Einschätzungen des Aus- geführt: Die Flüchtlingseigenschaft wurde dem Abdullah wärtigen Amtes Vertrauen zu schenken. bereits aberkannt. Er hatte hier keinen Schutz mehr als Ich wollte diese Ergänzung zu Ihren Ausführungen brin- Flüchtling, gen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Lageein- (Sebastian Wippel, AfD: Er hätte schätzung zur Sicherheit in Syrien im Auswärtigen Amt in abgeschoben werden müssen!) Berlin erfolgt. sondern das, was ihn schützt – unabhängig von dem, was (Beifall bei der SPD, den LINKEN und den in der Genfer Flüchtlingskonvention steht –, ist unser BÜNDNISGRÜNEN – Zuruf von der AfD) Grundgesetz. Es ist natürlich verboten, jemanden quasi in Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Anton, den Tod abzuschieben. bitte noch einmal. 1053 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Rico Anton, CDU: Frau Kollegin Kliese, festzuhalten kurz nach ihrer Haft Straftaten begangen haben. Wir wis- bleibt: Diese Information des UNHCR usw. ist allen euro- sen auch, dass er nach Bauanleitungen für Sprengstoffgür- päischen Ländern zugänglich. Es ist doch zu hinterfragen, tel gesucht hat. Also wissen wir, dass er, wenn er so eine warum andere europäische Länder in Kenntnis mindestens Tat begeht, sein Ableben mit einplant. Wie kann ich denn derselben Informationen zu einer anderen Lagebeurteilung dann sagen, dass er fünf Tage oder zehn Jahre noch leben in Syrien kommen. möchte, wenn er ein überzeugter Islamist ist? Diese An- Das bedeutet – und das will ich jetzt mal ein bisschen dras- nahme ist einfach absurd. tischer formulieren –, dass es darauf ankommt, welchen Dann sagt man: Okay, wir haben ihm Meldeauflagen gege- Bericht man sich anschaut, wie man ihn bewertet und was ben, die er auch eingehalten hat. Ja, solche Meldeauflagen vielleicht auch der politische Wille bei der Bewertung des werden ihn wahrscheinlich ziemlich beeindruckt haben. Ganzen ist. Das halte ich auch eher für ungeeignet. (Beifall bei der AfD) Kurz und gut, die Integration eines Islamisten in unsere Ge- sellschaft ist völlig falsch. Wir haben kein Interesse daran. Ich gehe nicht davon aus, dass die Bewertungen von Damit man es ganz klar versteht – und diese Worte müssen Schweden und Dänemark völlig unhaltbar sind. Denn dann gewählt werden –: Wir befinden uns tatsächlich im Krieg wäre ja die Folge: Sie müssten zu demselben Ergebnis mit dem Islamismus. kommen wie der Bundesaußenminister in Kenntnis dersel- ben Informationen, wenn es hier nicht zumindest Spiel- (Beifall bei der AfD) räume gäbe. Das sind nicht nur meine Worte, sondern das sagt auch der Erste Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen französische Präsident Macron. Und wo er recht hat, meine und Herren! Ich frage noch einmal die Fraktionen: Wer hat Damen und Herren, hat er einfach recht. noch Redebedarf zu dieser Aktuellen Debatte? – Dann bitte Jetzt kommen wir noch einmal zum Landeskriminalamt. die AfD-Fraktion; Herr Abg. Wippel. Der Präsident sagte in der Pressekonferenz, dass er keine weiteren Mittel zur Verfügung gehabt hätte. Das sehe ich Sebastian Wippel, AfD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! ausdrücklich anders. Wir haben heute schon darüber ge- Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Es ist gut, dass wir sprochen, was man hätte machen können. diese Debatte hier führen. DIE LINKE wollte sie ja nicht führen. Warum wollen wir uns hier eigentlich mit diesem Er ist ein verurteilter Straftäter. Verurteilte Straftäter kön- Thema beschäftigen? Diese Frage musste ich mir in den nen nach dem Aufenthaltsgesetz – gerade wenn sie eine letzten Tagen anhören. Aber wir sehen ja, dass dies eine Ausweisung und eine Duldung haben, aber aus rechtlichen wirklich wichtige Sicherheitsdebatte für die Zukunft ist. Gründen nicht abgeschoben werden können – eine Wohn- sitzauflage erhalten. Wir stellen uns natürlich jetzt die Frage – Carsten Hütter hat soeben über das Landesamt für Verfassungsschutz ge- Ja, meine Damen und Herren, wenn ich solch eine Ein- sprochen –: Was haben das Landeskriminalamt und der In- schätzung habe, dass der Mensch jederzeit einen Anschlag nenminister in der Vergangenheit getan? begehen könnte, warum lasse ich ihn denn dann in Dresden herumlaufen und nicht irgendwo in der Pampa, wo er sei- In der Pressekonferenz konnten wir vernehmen, dass man nen Wohnsitz bitte nehmen darf? alles Mögliche getan und im Prinzip alles richtig gemacht habe, was man hätte machen können. Kollege Anton hat es (Zurufe von den LINKEN und des auch gesagt und die anderen Fraktionen sind sich alle einig. Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE – Staatsminister Martin Dulig: Fassen wir also noch einmal grob zusammen, welche Maß- Das ist ja interessant!) regeln der Besserung und Sicherung denn nun angewandt worden sind, von Anfang an vom Gericht beauflagt. Dabei Und dann bekommt er eine Aufenthaltsvorgabe. Diese müssen wir erst einmal feststellen, dass diese Maßregeln Aufenthaltsvorgabe haben wir in unser Polizeigesetz hin- der Besserung und Sicherung eigentlich ungeeignet sind, eingeschrieben. Er bekommt eine elektronische Fußfessel, weil sie das Ziel der Reintegration des Straftäters in die Ge- um diese Aufenthaltsvorgabe ebenfalls zu überprüfen. sellschaft haben. Wir wollen diese Person aber gar nicht in (Staatsminister Martin Dulig: Erklären Sie das unsere Gesellschaft integrieren, wenn es ein Islamist ist. Ihren Leuten! – Zurufe von den LINKEN) Vor allem war er noch nie in dieser Gesellschaft integriert, also kann ich ihn auch nicht zurückintegrieren. Und wenn er – –

(Beifall und Bravo-Rufe von der AfD) Zweiter Vizepräsident André Wendt: Kollege Wippel, Dann haben wir die völlig falsche Einschätzung, dass er gestatten Sie eine Zwischenfrage? nach Haftende zunächst einmal sein Leben sortieren Sebastian Wippel, AfD: Oh ja, sehr gern. würde. Ja, gut, das kann man natürlich so sagen. Wir erin- nern uns zum Beispiel auch an Attentäter aus London, die Andreas Nowak, CDU: Lieber Herr Kollege, mich würde islamistisch unterwegs gewesen sind und die alle ebenfalls interessieren, was Sie unter „Pampa“ verstehen?

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(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Genau!) – Nein, es geht nicht um Integration. Das ist völliger Unsinn. Es geht nicht um Integration, kein Stück. Sebastian Wippel, AfD: Ja, das ist gut. Ich habe schon ge- merkt, dass das zu einiger Aufregung führt. Also, wir wis- (Vereinzelt Beifall bei der AfD – sen natürlich, dass dieser Straftäter sich große Ziele Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD – heraussuchen will, und hier hat er eine sehr große Auswahl Zuruf des Staatsministers Martin Dulig) an Tatgelegenheiten. Er ist in der Stadt schwer zu kontrol- Ich stelle fest, Sie sind nicht gewillt, die Bevölkerung zu lieren, wo er sehr viele Fortbewegungsmittel hat und Bus, schützen, indem Sie die Person dezentral unterbringen. Bahn, Taxi usw. nutzen kann. Zurück zum Thema: Wir haben die Möglichkeit der Kon- (Zurufe von den LINKEN) trolle der Aufenthaltsvorgabe über die elektronische Fuß- Damit ist das schwer zu kontrollieren. Also muss ich ihn in fessel. Wenn er dagegen verstößt, dann können wir ihn sehr dünn besiedelte Bereiche bringen und dort die Wohn- sofort in Gewahrsam nehmen, sogar für eine lange Zeit. sitzauflage vornehmen, wo er weniger Tatgelegenheiten Die Voraussetzung, um dies anzuordnen, ist eine soge- hat und wo er leichter zu kontrollieren ist. nannte konkrete Wahrscheinlichkeit, in überschaubarer Zeit einen terroristischen Anschlag zu begehen. (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Das ist doch Satire! – Zurufe von den LINKEN) (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Verhindern, oder was?) – Nein, das ist keine Satire. Wenn ich schon kein Internie- rungslager habe, wo diese Person ist, Das ist eine neue Regelung, die wir in unser gemeinsam beschlossenes Polizeigesetz aufgenommen haben, und ich (Susanne Schaper, DIE LINKE: sehe nicht, dass das LKA oder irgendjemand anders hier Internierungslager?!) den entsprechenden Antrag gestellt hat. dann muss ich ihn in einen Bereich bringen, wo ich ihn (Albrecht Pallas, SPD: Welche kontrollieren kann. Tatsachen kennen Sie denn, Herr Wippel?) (Beifall bei der AfD – – Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Die beantworte Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: ich Ihnen gern. Jetzt wird es interessant! – Starke Unruhe) (Albrecht Pallas, SPD: Das war keine Zweiter Vizepräsident André Wendt: Meine sehr geehr- Zwischenfrage, sondern ein Zwischenruf!) ten Kolleginnen und Kollegen! Das war eine Zwischen- – Okay, ein Zwischenruf. – Ich sage ganz kurz: Wir haben frage des Kollegen Nowak. Nun ist noch eine zweite die Tat, wegen der er im Gefängnis gesessen hat. Wir haben Zwischenfrage angekündigt worden. Möchten Sie sie be- sein Verhalten während des Vollzugs: dass er Wachleute antworten, Herr Wippel? angegriffen hat, dass er christliche Mitinsassen bedroht hat, Sebastian Wippel, AfD: Ich werde es versuchen. ihnen die Zunge herauszureißen. Beschäftigen Sie sich mit der Rechtslage und schauen Sie sich das Urteil zum Bun- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Bitte schön, Herr deskriminalamtgesetz an, – Kollege Anton. (Albrecht Pallas, SPD: Tatsachen!) Rico Anton, CDU: Es ist eine einfache Frage, die ich Zweiter Vizepräsident André Wendt: Kollege Wippel, Ihnen zu stellen habe: Ist das wirklich Ihr Ernst? Wollen letzter Satz. Sie heute wirklich die Botschaft ins Land senden, dass es, um das Thema Gefährder in den Griff zu bekommen, ein Sebastian Wippel, AfD: – dann ist das Ganze völlig klar. Rezept sei, alle Gefährder in den ländlichen Raum zu ver- Das ist möglich, denn dort ist genau dieser Begriff ausge- bringen? formt worden. Wenn es der Innenminister versäumt, – (Sabine Friedel, SPD: In die sogenannte Pampa! – Zweiter Vizepräsident André Wendt: Letzter Satz! Zuruf der Abg. Antonia Mertsching, DIE LINKE – Sören Voigt, CDU: Ja oder nein? – Weitere Zurufe) Sebastian Wippel, AfD: – ein neues Gesetz zu haben, und für Unklarheit bei seinen Polizisten sorgt, weil er keine Sebastian Wippel, AfD: Warum hat der Gesetzgeber Durchführungsbestimmungen erlässt, nicht für Klarheit CDU/SPD in das Aufenthaltsgesetz genau diese Möglich- sorgt und sein LKA-Präsident nicht arbeiten kann, dann hat keit, die Wohnsitzauflage für diese Personen, hineinge- der eine nicht nachgefragt und der andere sich nicht darum schrieben? Warum? Genau das ist Sinn und Zweck des gekümmert. Deshalb sind sie beide an dieser Stelle unge- Ganzen, und er muss es tun, denn das hat etwas mit Verant- eignet. wortungsbewusstsein zu tun. Vielen Dank. (Albrecht Pallas, SPD: Integrationsförderung, Herr Kollege!) (Beifall bei der AfD)

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Zweiter Vizepräsident André Wendt: Meine sehr geehr- Gewalttat erlassen. Kurz darauf wurde der Haftbefehl voll- ten Damen und Herren, das war Kollege Wippel von der streckt. Seitdem saß der Tatverdächtige bis zum Tag seiner AfD-Fraktion. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Frak- Entlassung am 29. September dieses Jahres durchgehend tionen? – Das sehe ich nicht. Somit übergebe ich das Wort im Gefängnis. an Herrn Staatsminister Prof. Wöller, bitte schön. Kurz nach seiner Verhaftung hat ihn das Landeskriminal- Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister des Innern: amt als Gefährder eingestuft. Später hat ihm das Bundes- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren amt für Migration und Flüchtlinge auch den Flücht- Abgeordneten! Der entsetzliche Mord an einem Mitbürger lingsstatus aberkannt und den subsidiären Schutzstatus und der heimtückische Angriff auf seinen Begleiter am abgelehnt, zugleich aber das Abschiebeverbot festgestellt. 4. Oktober in Dresden erfüllen uns mit tiefer Trauer. Im Vor seiner Haftentlassung hat das Landeskriminalamt Namen der Staatsregierung möchte ich an dieser Stelle gemeinsam mit der Justiz, der Ausländerbehörde Dresden, nochmals den Angehörigen und Freunden des Opfers der Polizeidirektion Dresden und dem Landesamt für Verfassungsschutz einen engmaschigen Maßnahmenplan (Zuruf von der AfD: Erstmals!) erstellt, um den Tatverdächtigen nach seiner Entlassung im unser tief empfundenes Beileid ausdrücken. Das hat im Blick zu behalten: Führungsaufsichtsbeschluss, Verbleibs- Übrigen unser Ministerpräsident heute Morgen im Rahmen kontrollen, Meldepflicht, Gefährderansprache und Obser- seiner Regierungserklärung ebenfalls getan, und, Herr vationsmaßnahmen. Geplant war also eine enge Wippel, hier zu behaupten, er hätte es nicht getan, ist un- Betreuung, aber keine Bewachung. wahr und dreist und zeigt das gesamte Ausmaß Ihrer billi- Es ist eine bittere Erkenntnis, dass dieses Verbrechen durch gen Polemik. diese engmaschigen Maßnahmen nicht verhindert werden (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN konnte. Selbst durch eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtung ungeachtet der rechtlichen Zulässigkeit hätte diese und der SPD – Zurufe der Abg. Rico Gebhardt, schreckliche Tat leider nicht sicher verhindert werden DIE LINKE, und Dr. Rolf Weigand, AfD – können. Dennoch habe ich eine Überprüfung des gesamten Sebastian Wippel, AfD, steht am Mikrofon.) Geschehens angeordnet, um festzustellen, ob alles ord- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Herr Staatsminis- nungsgemäß gelaufen ist. ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Meine Damen und Herren, solche Menschen wie der Täter haben nichts in der Mitte unserer freiheitlichen und friedli- Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister des Innern: chen Gesellschaft zu suchen. Wer in unserem Land Nein. – Dem schwer verletzten Terroropfer wünschen wir schwere Straftaten bis hin zum Mord begeht, kann nicht eine vollständige Genesung und alles erdenklich Gute. Die erwarten, dass er bei uns Schutz findet. Wenn Schutzbe- jüngsten Terrorakte in Dresden, Paris, Nizza und Wien zei- dürftige zu Gefährdern werden, haben sie ihr Gastrecht gen, dass vom islamistischen Extremismus nach wie vor vollständig verwirkt. hohe Gefahr ausgeht – in Deutschland und in Europa. Die Extremisten sehen in uns und in der Weise, wie wir leben, Seit 2011 befindet sich Syrien in einem Bürgerkrieg. Seit eine Gefahr für ihre Ideologien. Die Lehre, die wir daraus 2012 gilt in Deutschland ein Abschiebestopp nach Syrien. ziehen, ist klar: Wir müssen uns im Rahmen von Recht und Diese Regelung wird regelmäßig überprüft und ist bislang Gesetz mit allen gebotenen Mitteln dagegen wehren. immer wieder verlängert worden, zuletzt bis zum Ende die- ses Jahres. Für die Zeit danach soll im Dezember auf der Der 20 Jahre alte Tatverdächtige aus Syrien ist jetzt in Haft. Innenministerkonferenz anhand aktueller Lageberichte aus Dies ist ein zügiger Ermittlungserfolg der sächsischen Po- dem Auswärtigen Amt neu entschieden werden. Der Frei- lizei, und dafür danke ich unseren Polizistinnen und Poli- staat Sachsen tritt seit 2018 – nicht erst jetzt – für die Ab- zisten sehr. schiebung von Gefährdern und schweren Straftätern ein. (Beifall bei der CDU sowie vereinzelt Mit Blick auf Syrien müssen wir vor dem Hintergrund un- bei den BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) seres eigenen vitalen Interesses prüfen, ob wir solche Straf- Der Generalbundesanwalt hat dann die Ermittlungen über- täter und Gefährder nicht in befriedete Gebiete dieses nommen. Der Tatverdächtige ist im Oktober 2015 in die Landes abschieben können; denn der Schutz unserer eige- Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im Mai des darauf nen Bevölkerung hat Vorrang gegenüber dem Schutz von folgenden Jahres wurde er als Flüchtling anerkannt. schweren Straftätern. (Zuruf von der AfD) (Beifall der Abg. Dr. Matthias Rößler und Christian Hartmann, CDU) Dann ist er durch verschiedene Straftaten aufgefallen, wie Bedrohung, Sachbeschädigung, Diebstahl und Körperver- Gefährder zu schützen gefährdet die Schützer selbst. Wir letzung. Zunächst war bei ihm keine ideologische Färbung müssen die vollziehbar ausreisepflichtigen Straftäter ab- erkennbar. Das Gesamtbild hat sich jedoch rasch geändert. schieben dürfen und auch abschieben. Deshalb wird der Im August 2017 hat das Amtsgericht Dresden Haftbefehl Freistaat Sachsen in der Innenministerkonferenz Ende die- gegen ihn wegen des dringenden Tatverdachts einer Anlei- ses Jahres der automatischen Verlängerung des Abschiebe- tung zur Begehung einer schweren, staatsgefährdenden stopps nicht zustimmen.

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(Beifall bei der CDU) nisterpräsident nicht in der Art und Weise in der Öffentlich- keit geäußert hat, wie es für diese Tat angemessen gewesen Einen Automatismus kann und darf es nicht mehr geben. wäre – bis heute Morgen hier in dieser Veranstaltung. Denkbar wäre auch ein beschränkter Abschiebestopp, der Gefährder und bestimmte schwere Straftäter ausnimmt. Es gab eine kleine Randnotiz – eine Zeile unter mehreren Ferner muss die Bundesregierung versuchen, Regelungen –, nachdem er den Anschlag von Wien kommentiert hat, mit Drittländern zu vereinbaren, um diese Abschiebungen indem er natürlich auch Bezug auf Dresden genommen hat. zu erleichtern. Ich weiß, dies alles setzt erhebliche diplo- Zuvor findet man, wenn man eine Recherche mit her- matische und politische Anstrengungen voraus; aber die kömmlichen Suchmaschinen im Internet durchführt, keine Bundesregierung muss sich ernsthaft anstrengen und auch Aussage zu der Tat in Dresden. Genau das habe ich kriti- bereit sein, den finanziellen Preis dafür zu zahlen; siert. Es kommt an dieser Stelle einfach zu spät. (Zuruf von der AfD) Hätten wir diese Debatte nicht beantragt und hätten wir dem Wunsch der anderen Fraktionen nachgegeben, diese denn das schulden wir den Opfern und den zahlreichen Debatte heute nicht zu führen, dann hätte diese Debatte Flüchtlingen aus Syrien, die friedlich und gesetzestreu un- heute auch nicht stattgefunden. ter uns und mit uns leben, und das schulden wir unseren Bürgerinnen und Bürgern, die zu Recht von uns erwarten, (Beifall bei der AfD) dass wir ihre Sicherheit gewährleisten und ihnen ein Leben Deswegen finde ich es unredlich, dass Sie mir, weil ich das ohne Angst und in Frieden ermöglichen. anspreche, hier Polemik unterstellen. Herzlichen Dank. Weil Sie jetzt Aufklärung anstreben wollen, noch eine (Beifall bei der CDU und des Bitte: Bitte informieren Sie den Landtag frühzeitig und um- Abg. Albrecht Pallas, SPD) fassend über das, was Sie aufklären wollen. Vor allem würde mich eine Sache interessieren: Welcher Richter hat Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Staatsmi- den Antrag des Landeskriminalamtes auf die elektronische nister Prof. Wöller für die Staatsregierung. Nun hat sich an Fußfessel, auf die Aufenthaltsvorgabe und auf eine länger- Mikrofon 7 Kollege Wippel postiert; vermutlich mit einer fristige Observation abgelehnt? Wer hat diese Anträge von- Kurzintervention. seiten des LKA gestellt, und wann wurden sie gestellt?

Sebastian Wippel, AfD: Ja, vielen Dank, Herr Präsident, (Beifall bei der AfD) das ist richtig. Ich möchte eine Kurzintervention auf den Redebeitrag von Herrn Minister Wöller machen. Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege Wippel von der AfD-Fraktion mit einer Kurzintervention. Ich möchte noch einmal deutlich zurückweisen, mir hier Herr Staatsminister, möchten Sie erwidern? – Das sehe ich Polemik zu unterstellen. nicht. Gibt es sonst noch Redebedarf? – Das sehe ich auch (Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE) nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen. Ich habe kritisiert – und das mit deutlichen Worten –, dass Wir kommen nun zu Sie sich zu spät geäußert haben und dass sich der Herr Mi-

Zweite Aktuelle Debatte 30 Jahre Sächsischer Landtag – starkes Parlament – starke Demokratie – starker Freistaat Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU, Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Herr Präsident! BÜNDNISGRÜNE und SPD das Wort. Die weitere Rei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der zweiten henfolge in der ersten Runde: AfD, DIE LINKE und da- Aktuellen Debatte lautet: 30 Jahre Sächsischer Landtag – nach die Staatsregierung, wenn gewünscht. starkes Parlament – starke Demokratie – starker Freistaat. Ganz kurz zum Thema Kurzintervention: Die Fraktionen Mir ist heute die Ehre zuteilgeworden, für die CDU- SPD und AfD haben ihre Kurzinterventionen bereits auf- Fraktion diese Aktuelle Debatte zu führen. Ich bin meiner gebraucht. Die Fraktionen BÜNDNISGRÜNE, CDU und Fraktion dafür sehr dankbar und auch persönlich bewegt; DIE LINKE haben noch die Möglichkeit für ihre Kurzin- denn das war bei meiner Geburt im Jahr 1971 in Göttingen terventionen; das nur als Information. unvorstellbar. Ich übergebe nun das Wort an Herrn Kollegen von Meine Großeltern und die jüngere Schwester meines Vaters Breitenbuch von der CDU-Fraktion. lebten jenseits des Grenzzaunes. Der Grenzübertritt war je- des Mal ein Wagnis und bei meinen Eltern mit spürbarer

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Angst verbunden. Hatte mein Vater doch die Enteignung Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollegen und den Verlust der Heimat innerhalb einer Stunde erlebt, von Breitenbuch von der CDU-Fraktion. Nun übergebe ich war sein Vater abgeholt worden und kam als Einziger von an die Fraktion BÜNDNISGRÜNE. Herr Kollege mehreren Männern lebendig zurück, waren die Familien- Lippmann, bitte schön. gräber aufgebrochen und verwüstet, war mein Vater im Al- ter von zwölf Jahren, wie schon seine ältere Schwester, für Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrter viele Jahre allein nach Westdeutschland gegeben worden, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Viel- weil eine schulische Zukunft für den Sohn eines adligen leicht habe ich heute Morgen beim Betreten dieses Plenar- Pfarrers erschwert oder unmöglich war. saals deswegen in einzelne übermüdete Gesichter geschaut, weil sich einige heute Nacht die Wahlen in den Unsere Familie war durch die Grenze schmerzvoll ge- USA angeschaut haben. Es hat etwas Faszinierendes, wenn trennt, wir litten unter der Teilung. Wir hatten Cousinen in einem der Mutterländer der modernen Demokratie ge- und ich einen Patenonkel, die uns nie besuchen konnten wählt wird, und es hat etwas Erschreckendes, wenn man und bis zum Jahr 1989 nie besucht haben. Heute ist das an- diese Stunden erlebt, wie ein gewählter Präsident mit ge- ders. Deswegen möchte ich hier klar und fröhlich sagen: zielten Desinformationen versucht, demokratische Wahlen Die Wiedervereinigung Deutschlands vor 30 Jahren ist bis zu delegitimieren. heute eine große Freude, ein großes Geschenk und Glück. (Zuruf von der AfD) (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD) Die Ereignisse zeigen einmal mehr in großer Deutlichkeit, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern erreichte mich dass Demokratien ihre Stärke nicht nur aus der reinen Ver- eine Kurznachricht: „Hallo Papi, ich muss in Sozi einen fassungsordnung, Text über den idealen Übergang Gewaltherrschaft Demo- kratie schreiben. Wie würdest du darangehen?“ Ich habe (André Barth, AfD: Zum Thema sprechen!) geantwortet: „Aufbau Demokratie, runde Tische, starke, in sondern vor allem aus ihrer politischen Kultur schöpfen. der Bevölkerung verankerte neue Parlamente und Regie- Wenn ein demokratisches Parlament, wie der Sächsische rungen, Aufbau eines starken Rechtsstaates, gute Kommu- Landtag, 30 Jahre alt wird, dann ist das allemal ein Grund nikation über Debatten und Entscheidungen, Aufarbeitung zu feiern – dem wir dieses Jahr leider nicht so nachgehen von Unrecht, Zerschlagung der alten Verwaltungsstruktu- können, wie es angemessen wäre. Es ist aber Grund dafür, ren und Neuaufbau der neuen Verwaltungen, straffe Füh- darüber zu sprechen, wie wir unsere Demokratie und un- rung und Kontrolle der sensiblen Bereiche Militär, Polizei, sere demokratische Kultur weiter stärken können. Lehrerschaft, Hochschulen – so etwa.“ Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer Zeit, Kurze Zeit später kam noch eine Nachricht: „Also kommt in der die Demokratie offen angegriffen wird, in der gezielt der Übergang automatisch, indem man die Demokratie fest versucht wird, Entscheidungen von Parlamenten und Re- verankert?“ Meine Antwort: „Nein, eine riesige Kraftan- gierungen mit gezielten Mechanismen verächtlich zu ma- strengung, die lange dauert. Automatisch passiert gar chen, teils auch aus diesem Parlament heraus, wie wir es nichts.“ heute bei der Aussprache zur Regierungserklärung wieder Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine riesige Kraftan- eindrucksvoll durch Herrn Urban vorgeführt bekommen strengung, ja, das ist es. Wir müssen die Demokratie wol- haben. len und Vertrauen zu ihr erarbeiten – immer wieder. Für Für uns BÜNDNISGRÜNE ist klar: Die beste Antwort auf alle, die es mit diesem Staatswesen und dieser Gesellschaft die Angriffe auf die Grundpfeiler unserer Demokratie muss wohlmeinen, ist es immer wieder eine große Kraftanstren- mehr gelebte Demokratie und vor allem ein starkes Parla- gung: nachdenken und reden, meckern wie Zuspruch, Teil- ment sein. habe und Teilnahme, dazu gehört auch Führen und Sammeln. Diese Kraftanstrengung ist der Urquell der De- (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN) mokratie und speist sich aus der historischen Überzeugung, Werte Kolleginnen und Kollegen, ein selbstbewusstes Par- dass die demokratisch legitimierte Machtzuweisung an lament ist die Grundlage einer starken Demokratie. Hier eine Regierung und auch an Verwaltungen von uns Bürge- finden die entscheidenden politischen Debatten über die rinnen und Bürgern kontrolliert und immer wieder hinter- Zukunft unseres Landes statt, und wir sind diejenigen, die fragt werden muss, aber auch eingeschränkt werden kann: als einzige der drei Gewalten direkt vom Volk legitimiert Gewaltenteilung – Parlament, Regierung, unabhängige sind. Vor diesem Hintergrund kann der Sächsische Landtag Justiz. noch ein Stück weit selbstbewusster auftreten als bisher. Das ermöglicht uns die Freiheit, die die Mitverantwortung Die Macht des Parlamentes rührt dabei grundsätzlich aus trotzdem von jedem Einzelnen verlangt – auch heute. der Entscheidung heraus. Das mag banal klingen, ist aber Herzlichen Dank. elementar, wie wir heute Morgen bei dem Thema Beteili- gung des Parlamentes bei den Corona-Schutzverordnungen (Beifall bei der CDU, der SPD erlebt haben. Ein Parlament darf eben nicht Zuschauer sein, und der Staatsregierung) wenn es um andauernde schwere Grundrechtseingriffe

1058 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 geht. Es muss sich im Zweifel auch ein Recht auf Beteili- Werte Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie lebt gung sichern, und als Gesetzgeber kann es das. aber auch davon, dass sich möglichst viele an ihr beteili- Darüber hinaus gilt es in diesem Hohen Haus auch darüber gen. Das gilt ganz unmittelbar beim Engagement für unsere zu sprechen, wie wir eigentlich mit den Informations- Gesellschaft, aber eben auch bei Wahlen. Nach 30 Jahren pflichten der Staatsregierung gegenüber dem Parlament Demokratie im Freistaat Sachsen – und damit möchte ich umgehen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf ver- zum Schluss kommen – lohnt es sich, auch über das Wahl- ständigt, diese ausweiten zu wollen. Ich glaube, es ist ein recht zu diskutieren und gerade jetzt, da Entscheidungen guter Weg; denn ein starkes Parlament kann auch eine debattiert und getroffen werden, die auf Jahrzehnte wirken starke Staatsregierung am besten dann kontrollieren, wenn können und werden, darüber nachzudenken, all jenen eine ihm die notwendigen Informationen darüber vorliegen. Stimme zu geben, die diese Folgen später mittragen müs- sen, und das Wahlalter abzusenken. Es gilt darüber hinaus zu konstatieren, dass die Anforde- Eine starke Demokratie gibt es nur mit selbstbewussten rungen an das Parlament in den letzten Jahren – nicht zu- Parlamenten und engagierten Demokratinnen und Demo- letzt durch die Zunahme der Kommunikation über die kraten. Nach 30 Jahren Sächsischer Landtag lohnt es sich, sozialen Netzwerke mit den Bürgerinnen und Bürgern – nicht alles anders, aber doch einiges besser zu machen und enorm gestiegen sind. Das erleben wir als Abgeordnete tag- darüber in den nächsten Jahren intensiv zu debattieren. täglich. Vielen Dank. Ich sage vor diesem Hintergrund auch ganz deutlich: Ich habe kein Verständnis für die regelmäßige vorauseilende (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD Selbstkasteiung, wenn es darum geht, wie unsere Parla- und ganz vereinzelt den LINKEN – mente mit Ressourcen ausgestattet sind. Das Interesse an Beifall bei der Staatsregierung) einem schwachen Parlament können nur diejenigen haben, die im Parlamentarismus höchstens eine ausbeutbare Über- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Herr Kol- gangslösung und lediglich eine Bühne für Hass und Hetze lege Lippmann von der Fraktion BÜNDNISGRÜNE. Nun sehen. hat die SPD-Fraktion das Wort; Kollege Panter, bitte schön. (André Barth, AfD: Wer soll das denn sein?) Dirk Panter, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus gegebenem Anlass gibt es – Herr Barth, schön, dass Sie sich angesprochen fühlen. heute eine Aktuelle Debatte, gemeinsam beantragt von den Das ist immer schön! Sie reagieren so wie ein Hündchen Koalitionsfraktionen, und es wird sich jetzt durch meine darauf, wenn man Sie anspricht, ich brauche Sie gar nicht Rede herausstellen, dass wir da einen Bogen schlagen: an- mehr benennen – das ist doch selbstentlarvend! gefangen mit einem Blick zurück – auch einer persönlichen Werte Kolleginnen und Kollegen, eine starke Demokratie Note durch den Kollegen Breitenbuch, der das Erreichte braucht aber mehr als ein starkes Parlament: Eine starke dargestellt hat –, über Kollegen Lippmann mit der Aktuali- Demokratie braucht engagierte Demokratinnen und Demo- tät und den aktuellen Herausforderungen, und ich möchte kraten; denn der alltägliche Kampf für unsere Demokratie gern für die SPD-Fraktion den Blick nach vorn werfen; findet nicht in den Parlamenten oder in den Medien allein denn 30 Jahre – – statt; er findet dort statt, wo Menschen jeden Morgen auf- stehen und für Werte unserer Demokratie eintreten – meist, (Rico Gebhardt, DIE LINKE: ohne sich selbst als kämpferische Demokratinnen und De- Sie sind die Zukunftspartei!) mokraten zu bezeichnen. Aber genau das sind sie: das – Danke schön, ja, genauso ist es! Nehmt euch mal ein Bei- Rückgrat unserer Demokratie. spiel! – „30 Jahre Sächsischer Landtag …“ ist ein gutes Eine starke Demokratie lebt von diesen Menschen, von ei- Thema, um zurück, gleichzeitig aber auch in die Zukunft ner starken Zivilgesellschaft, von einer lauten und kraftvol- zu blicken. len Zivilgesellschaft – gerade jetzt, wenn es darum geht, (Zuruf des Abg. André Barth, AfD) die Demokratie zu stärken. – Herr Barth, entschuldigen Sie bitte, ich möchte mit mei- Wir sind als Landtag gut beraten, dafür Sorge zu tragen, ner Rede fortfahren. dass diejenigen, die jeden Tag aufs Neue für unsere Demo- kratie eintreten, dafür große Wertschätzung erhalten. Ge- Wenn wir die langfristige Linie im Blick behalten wollen rade deshalb darf es trotz aller finanziellen Heraus- und uns auch an den Altministerpräsidenten Biedenkopf er- forderungen in den nächsten Jahren keine Probleme bei der innern: Er hat immer gesagt, unsere Aufgabe muss es sein, Finanzierung der Demokratieförderung geben. Aus der dass wir in diesem Parlament 10, 15, 20 Jahre nach vorn Coronakrise darf eben keine Demokratiekrise werden. denken, um die richtigen Entscheidungen für den Freistaat zu treffen. (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung – Wir haben große Herausforderungen vor uns. Wir haben Zuruf von der AfD) Herausforderungen wie die Digitalisierung, die Verkehrs- wende, den Klimaschutz. Jetzt sind wir in einer besonderen

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Situation durch die Coronakrise und befinden uns in Haus- Dinge in den Blick nehmen, die besondere Aufgaben sind haltsgesprächen. Die Staatsregierung diskutiert intensiv und uns vor besondere Herausforderungen stellen. darüber – wir werden es im Parlament in den nächsten Mo- In einer solchen Situation würde jeder vernünftige Unter- naten auch noch tun – und dadurch wird klar, wir werden nehmer, wenn es um die langfristige Finanzierung geht – sehr, sehr viel mit Klein-Klein zu tun haben. Wir werden gerade auch in diesem Zinsumfeld –, als eine Option natür- nicht die Möglichkeit haben, das große Ganze so richtig in lich Fremdkapital in Betracht ziehen; das ist doch vollkom- den Blick zu nehmen. men klar. Wir sehen das – darüber werden sich einige Deshalb möchten wir das schon frühzeitig tun, und so ha- wundern – unter dem Aspekt der Generationengerechtig- ben wir schon vor Wochen einen Fonds Sachsen 2050 vor- keit; denn das bedeutet nicht nur, dass man keine Schulden geschlagen. Wir schauen also 30 Jahre in die Zukunft und vererbt, sondern auch, dass man eine intakte Infrastruktur wollen damit sicherstellen, dass wir Zukunftsinvestitionen hinterlässt und sicherstellt, dass dieses Land auch zukünf- in den Blick nehmen, zum Beispiel in Kommunikations- tig gut funktionieren kann. netze, in die Digitalisierung, in den ökologischen Umbau Deshalb müssen wir diese Investitionen nicht über Kredite des Verkehrsnetzes, im ÖPNV, in den ökologischen Umbau finanzieren, aber wir müssen diese Investitionen finanzie- von Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft und auch in ren, und hier können wir über verschiedene Instrumente die Themen Zukunftstechnologien sowie Energieversor- sprechen. Was ganz klar ist: Wenn wir nicht investieren gung. oder die Entscheidung vor uns herschieben, wäre es ganz Zweiter Vizepräsident André Wendt: Herr Panter, ge- sicher nicht generationengerecht, sondern verantwortungs- statten Sie eine Zwischenfrage? vergessen. Danke schön. Dirk Panter, SPD: Herr Barth, ja, sicher. (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei Zweiter Vizepräsident André Wendt: Am Mikrofon 7 der CDU und den BÜNDNISGRÜNEN – Kollege Barth, bitte schön. Beifall bei der Staatsregierung)

André Barth, AfD: Danke schön, Herr Präsident. Sehr ge- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege ehrter Herr Panter, bedeutet das als Erstes – wenn ich auf Panter von der SPD-Fraktion. Nun folgt die AfD mit Kol- Ihre öffentlichen Statements Bezug nehme –, dass Sie be- legen Urban; bitte schön, Kollege Urban. absichtigen, weitere 2,5 Milliarden Euro Schulden aufzu- nehmen? Bedeutet das als Zweites womöglich, dass Jörg Urban, AfD: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge- Zuführungen an unseren Generationenfonds möglicher- ehrte Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich eines sa- weise gekürzt werden sollen? Können Sie – als dritte Frage gen: Es gibt eine Fraktion, von der, wenn sie hier vorn – sagen, wie Sie Ihre Zukunftsideen finanzieren wollen? steht, erwartbar und verlässlich ist, dass Hass und Hetze im Parlament verbreitet werden. Das ist die grüne Fraktion. (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Er verschafft Ihnen Redezeit!) (Beifall bei der AfD – Zurufe von den BÜNDNISGRÜNEN) Dirk Panter, SPD: – Das ist schön, darüber freue ich mich auch. Herr Barth, ich danke Ihnen für diese Frage. Ich wäre Das Parlament ist die Herzkammer der Demokratie. Wir als sowieso im Verlauf noch dazu gekommen, kann aber gleich AfD-Fraktion sind stolz darauf, als frei gewählte Abgeord- erst einmal generell feststellen, dass Sachsen auch nach nete in der Herzkammer der Demokratie die Interessen un- dem Corona-Bewältigungsfonds das Land in der Bundes- serer Bürger zu vertreten. republik mit der niedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung ist. (Zuruf von der AfD: Genau!) Das möchte ich festhalten. Ohne die Entschlossenheit unserer Sachsen hätte es 1989 Die Antwort auf die Frage, wie man es finanzieren kann, möglicherweise keine friedliche Revolution gegeben. können Sie natürlich auch schon den öffentlichen Verlaut- Wenn es nach so manchem Vertreter der in Sachsen mitre- barungen entnehmen – das ist möglicherweise in Form ei- gierenden SPD und GRÜNEN gegangen wäre, dann könn- ner Kreditfinanzierung, kann aber auch eine Zuführung aus ten wir hier und heute weder von einem starken Freistaat dem Generationenfonds sein, oder wir können über andere noch von einem starken Parlament reden. Instrumente sprechen; wir haben Vorschläge gemacht. (Zuruf des Abg. Dirk Panter, SPD) Ich möchte mit der Rede fortfahren und komme später da- rauf zurück. Wir haben auf jeden Fall vorgeschlagen, dass Kurz bevor die Mauer fiel, bezeichnete Egon Bahr, SPD, wir Zukunftsinvestitionen in den Blick nehmen möchten, das Reden über eine Wiedervereinigung als „politische und zwar eine ganz konkrete Auswahl an Zukunftsinvesti- Umweltverschmutzung“. Joschka Fischer, GRÜNE, for- tionen, nicht einfach jede reguläre Investition, die wir als derte sogar, die Wiedervereinigung aus dem Grundgesetz Freistaat sowieso zu tätigen haben. Darunter fällt zum Bei- zu streichen. spiel auch der Schulhausbau. Es ist eine normale Aufgabe, (Beifall bei der AfD – Dirk Panter, SPD: Vorsicht!) die wir haben und die wir nicht über einen solchen Fonds finanzieren wollen, sondern wir wollen die langfristigen 1060 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Sehr geehrte Damen und Herren! Norbert Lammert, der Mit dem Selbstverständnis meiner Fraktion ist das auch ehemalige Präsident des Bundestages, sagte einmal: „Nicht nicht vereinbar. die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parla- (Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) ment bestimmt und kontrolliert die Regierung.“ Das heißt, das Parlament ist nicht irgendein Anhängsel, das den Ent- Wir stimmen in diesem Parlament allen Anträgen zu, egal scheidungen der Regierung irgendeine politische und ob die Initiativen aus der Regierung oder aus der Opposi- verfassungsrechtliche Legimitation geben soll. Es ist an- tion, von den LINKEN, kommen, wenn wir davon über- dersherum: Das Parlament ist die Kontrollinstanz. zeugt sind, dass sie sachlich richtig sind und Sachsen Ich frage mich zum Beispiel, warum eine 45-köpfige CDU- nützen. Fraktion bis jetzt nur 25 Kleine Anfragen gestellt hat, wäh- Schließen möchte ich mit einem Zitat von Gustav Heine- rend allein mein Kollege André Barth schon 477 Kleine mann. Er sagte: „Der Bürger hat das Recht und die Pflicht, Anfragen gestellt hat. Was ist das für eine Kontrolle? die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn er glaubt, dass sie demokratische Rechte missachtet.“ Wir als AfD stehen (Beifall bei der AfD) als Vertreter der Bürger in der Pflicht, der Regierung auf Aufgabe des Parlaments ist es auch, Entscheidungspro- die Finger zu klopfen, indem wir das ansprechen, was an- zesse transparent zu machen, das heißt, den Einfluss von dere nicht sagen oder nicht hören wollen. Dafür wurden wir Lobbyisten und natürlich auch NGOs auf die Gesetzge- gewählt und dafür stehen wir. bung sichtbar zu machen. Letztendlich gilt für das Parla- Vielen Dank. ment: Schattenhaushalte sollten auf ein Minimum reduziert werden. Was bleibt vom Königsrecht des Parlamentes üb- (Beifall bei der AfD) rig, wenn beispielsweise unter dem Stichwort Konjunktur- belebung ein Schulhausbau aus dem Corona-Fonds Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege finanziert wird? Auch wenn mittlerweile 80 % aller Ge- Urban von der AfD-Fraktion. Nun für die Fraktion DIE setze, die unter starken Demokratiedefiziten leiden, von LINKE Frau Kollegin Neuhaus-Wartenberg. der EU bestimmt werden, so ist das nicht gerade eine Stär- Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Sehr geehrter kung unserer Parlamente hier in Deutschland und in Sach- Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Starkes Parla- sen. ment, starke Demokratie, starker Freistaat – starker Titel, Sehr geehrte Damen und Herren! Das Parlament ist vor al- würde ich sagen. Die Frage ist: Ist auch stark drin, wo stark lem gesetzgebende Gewalt. Es ist nicht die verlängerte draufsteht? Was bedeutet ein starker Staat? Was bedeutet Werkbank der Regierung. Wohin ein solches Parlaments- eine starke Demokratie? Was bedeutet ein starkes Parla- verständnis führt, erleben wir aktuell an der Art und Weise, ment? Ich bin mir sicher, die Meinungen gehen hier im Ho- wie Bundes- und Landesregierung mit der Coronakrise hen Hause stark auseinander. Die einen sagen: Ein starker umgehen. Auch in Sachsen zeigten CDU, SPD und Staat bemisst sich am Bruttosozialprodukt. Die anderen GRÜNE deutlich ihre Missachtung des sächsischen meinen einen starken Staat, wenn sie mehr Polizei und här- Parlamentes. Erst heute haben wir die ersten Initiativen in tere Strafen verlangen. Ich weiß, wer sich hier angespro- Richtung einer Parlamentsbeteiligung gehört. Ein starkes chen fühlt. Aber ist das wirklich ein starker Staat? Haben Parlament bedarf einer starken Opposition. Arthur uns die Pandemie und andere Krisen nicht etwas anderes Schopenhauer sagte es so: „Skepsis ist, was die Opposition gelehrt? Corona haut selbst den Härtesten in dieser Gesell- im Parlament ist. Sie ist ebenso wohltätig wie notwendig.“ schaft um. Hitze oder Hochwasser zwingen die stärksten Unternehmen in die Knie. Und nun? Doch statt einer sachlichen Auseinandersetzung mit Vor- schlägen der Opposition erleben wir hier regelmäßig eine Was also macht einen starken Staat aus? Ich sage Ihnen ritualisierte Ablehnung mit fadenscheinigsten Begründun- meine Meinung dazu: Ein starker Staat ist ein Staat, in dem gen. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionspar- das Gemeinwohl oberste Maxime ist, ein Staat, in dem sich teien, aber auch DIE LINKE grenzen nicht nur die AfD aus, die Menschen auf gleicher Augenhöhe begegnen können – nein, Sie grenzen 27,5 % der sächsischen Wähler aus. egal welches Amt, welche Fähigkeit und wie viel Geld sie in der Tasche haben –, ein Staat, der nicht denjenigen (Zuruf von der CDU: Unsinn!) nimmt, die nichts oder wenig haben, ein Staat, der keine Wenn Sie sich gar nicht mehr zu helfen wissen, werden soziale Ungleichheit zulässt, ein Staat, der gesellschaftli- Ideen der Opposition einfach geklaut, etwas abgeändert che Probleme und Risiken, für die der Einzelne oder die und einige Zeit später in die parlamentarischen Abläufe Einzelne nichts kann, nicht auf Selbige abwälzt. Er tut es eingebracht. Das mag für Sie langjährig bewährte parla- einfach nicht, denn er ist ein Sozialstaat, der jedem ein Le- mentarische Praxis sein. Ich kann Ihnen aber sagen, der ben in Würde ermöglicht, der sich um Chancengerechtig- Mann auf der Straße hat dafür keinerlei Verständnis. Er er- keit kümmert, der nicht zulässt, dass seine Bürger(innen) wartet, dass hier sachorientiert und lösungsorientiert ent- gebückt durchs Leben gehen müssen, ganz im Gegenteil. schieden wird. Es ist der aufrechte Gang, und es sind vor allem der auf- rechte Bürger und die aufrechte Bürgerin. Nichts anderes (Beifall bei der AfD) braucht diese Demokratie, nichts anderes macht sie stark.

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Eine Demokratie die nur von Gebückten gelebt wird, kann zusammenhält, wie wir die Folgen der Pandemie mildern keine gute Demokratie sein. und uns gegenüber künftigen Krisen besser wappnen kön- Genau deshalb ist es wichtig zu sagen, dass Sozialstaat und nen. Solidarität ist dabei ein wesentliches Stichwort, ein Demokratie unweigerlich zusammengehören und dass sie zweites ist Einsicht, die Einsicht, die Fehler der Vergangen- beide stark sein müssen. Niemand behauptet, dass es ein- heit nicht erneut zu begehen. Nur so kommen wir zu einer fach ist. Demokratie muss jeden Tag aufs Neue verteidigt starken Demokratie und einem starken Sozialstaat. werden, auch und vor allem im Parlament. Herzlichen Dank. Keine Frage, dieses befindet sich gerade in einer besonde- (Beifall bei den LINKEN) ren Situation, denn wir alle befinden uns in einer solchen. Die Corona-Pandemie hat uns fest im Griff. Natürlich ist Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollegin die Regierung in Krisensituationen gefragt. Sie muss fix Neuhaus-Wartenberg von der Fraktion DIE LINKE. Damit und vor allem effektiv handeln. Krisen, so heißt es, sind die ist die erste Rederunde abgeschlossen. Wir kommen nun Stunden der Exekutive. Aber ich wiederhole: Stunden, zur zweiten Rederunde, wenn weiterer Bedarf besteht. Herr nicht Monate oder Jahre. Wer rechnen kann, ist klar im Vor- Kollege von Breitenbuch hat bereits Bedarf angemeldet. teil. Für die CDU-Fraktion Kollege von Breitenbuch; bitte schön. Kein Wunder also, dass langsam der Eindruck entsteht, dass das Parlament von der Regierung nicht mehr ernst ge- Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Sehr geehrter nommen wird. Parlament kommt von parlare. „Parlare“ be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dirk deutet reden und nicht abknicken oder zustimmen. Es geht Panter, der Fonds für die großen Investitionen in die Zu- um eine Parlamentskultur. Es geht um Beteiligung und um kunft dieses Landes – – Wir wissen alle, wir haben in den Debatte, lebendig und vielfältig – logisch, denn hier sitzt letzten Jahren enorm investiert. Wir haben in der Vergan- nicht nur eine Fraktion, auch wenn es vielleicht die eine genheit Geld gespart, das dann ausgegeben worden ist. oder andere Fraktion gibt, die das seit 30 Jahren oft anders Sprich: Wir haben die ganze Zeit auf hohem Niveau inves- sieht. tiert. Ich denke, wir müssen eine Diskussion führen, was Nehmen wir als Beispiel die Veranstaltung zum 3. Oktober. die Prioritäten sind, was im Kern bleiben muss, was weiter Das war eine CDU-Feierstunde, zumindest, wenn man sich in die Zukunft entwickelt werden kann. Das ist gerade die die Rednerliste anschaut. Wie repräsentativ sind derartige Diskussion insgesamt, und wir sind mitten im Prozess. Es Veranstaltungen? Welches Bild vom Parlament vermitteln wird in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin span- sie? Meine Antwort ist relativ flapsig: Stillleben mit einem nend bleiben. Obst. Selbstverständlich, Herr Urban – er ist jetzt weg –, haben (Heiterkeit bei den LINKEN) wir ein lebendiges Parlament, wenn alle da sind, wenn alle mitdiskutieren, wenn sich alle in Vielfalt einbringen und Apfel würde ich sagen, sehr einfältig, sehr selbstherrlich, letztendlich eine kultivierte Debatte so führen, dass das überhaupt nicht stark. Leider oft typisch zu diesen Feier- Land in diesem Landtag ein Vorbild sieht und nicht ver- stunden. Denn eigentlich geht es Ihnen um sich und aus- ächtlich hierherschauen kann. Wir sind alle gefordert, dazu schließlich um das von Ihnen Erreichte in den letzten beizutragen, und das kostet Kraft, wie ich vorhin schon dar- 30 Jahren. gestellt habe. Über die großspurigen Verlautbarungen mancher Spitzen- Was Schattenhaushalte angeht: Ich denke, wir haben uns in kräfte aus dem Westteil des Landes müssen wir hier nicht der Koalition vorgenommen, groß und transparent zu zei- reden. Die dachten ja, die Wende sei im Kanzleramt ge- gen, was wir für Geld ausgeben, wo was ist. Das wird in macht worden und nicht auf den Straßen in Ostdeutsch- den Ausschüssen immer in einer vernünftigen Art und land. 30 Jahre friedliche Revolution, 30 Jahre Weg in eine Weise transparent gemacht. Insofern sehe ich nicht diesen Demokratie gehören auch den Ostdeutschen. Sie sind das Vorwurf bei uns hängen. Dass eine dauernde Skepsis in Verdienst vieler, die leider immer noch viel zu oft übergan- dieser Koalition, auch mit ihrer eigenen Regierung, selbst- gen werden. verständlich unterwegs ist, das erlebe ich alltäglich. Ich Damit komme ich unweigerlich auf meine zu Beginn ge- halte es auch für richtig, weil das eigentlich das Feuer in stellte Frage zurück: Was sind eigentlich ein starker Staat, diese Demokratie bringt, und das ist unsere Aufgabe in die- eine starke Demokratie und ein starkes Parlament? Es ist sem Landtag. gesellschaftliche Anerkennung. Es ist die Chance, in die- Ausgrenzungen sehe ich nicht. Wir grenzen niemanden sem Land gleichberechtigt mittun zu können. Es ist auch aus. Jeder kann sich beteiligen. Hier ist die offene Debatte. der Respekt davor, diese gewaltige Transformationsleis- Entsprechend muss man es aushalten, wenn man mit seinen tung erbracht zu haben, und, und, und. Positionen allein steht, wenn alle anderen es anders sehen. Wie also wollen wir in Zukunft leben? Sie müssen sich ent- Frau Neuhaus-Wartenberg, der starke Staat, ja, was ist das? scheiden. Wollen Sie länger allein in Ihrer Obstschale lie- Ich möchte den Aspekt Rücksicht auf die Schwachen durch gen? Ich glaube nicht. Lassen Sie uns Demokratinnen und den Hinweis darauf ergänzen, dass wir Leistungen zulas- Demokraten gemeinsam darüber reden, was unser Land sen, Leistungen von denjenigen, die Leistungen bringen

1062 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 wollen und bringen müssen, damit in diesem Land die merkung immer wieder auf die Zeit von vor 31 Jahren be- Steuerkraft erhalten bleibt, der Wohlstand täglich erarbeitet ziehen, als damals gerufen wurde: „Wir sind das Volk!“ werden kann. Ich denke, das ist eine Balance. Dazu werden Dieser Ruf war ein ausdrücklich auf Versöhnung orientier- wir uns sicher immer streiten, aber ich möchte auf diese ter Ruf, ein auf Verständigung orientierter Ruf und nicht beiden Seiten der Waagschale deutlich hinweisen. Wir ein Ruf der Aggressivität. brauchen eine handlungsfähige Exekutive. Das ist ganz (Zurufe von der AfD) klar. Gerade, weil in der letzten Woche die Zahlen so sehr gestiegen sind, ist niemandem zu erklären – – Wenn wir in Es wäre schwer erträglich, wenn stehengelassen würde, Gesetzesverfahren eintreten, dann ist Handeln gefragt. Mit dass Egon Bahr, ein großer Sozialdemokrat, ebenso wie der Regierungserklärung heute und mit der ausführlichen Gustav Heinemann, ein großer Sozialdemokrat, mit seiner Diskussion danach sind wir dem gerecht geworden. Wir Formulierung ausschließlich als ein Gegner der deutschen zeigen, dass eine Regierung handlungsfähig ist, und stellen Einheit aufgefasst würde. Meine Damen und Herren, ich das auch hier im Landtag vor. Ich denke, das ist vorbildli- konnte das Zitat in der Kürze jetzt nicht nachprüfen, ich cher Umgang miteinander. Ich kann Ihre Kritik nicht auf- kann nicht ausschließen, dass es so formuliert worden ist. greifen. Ich hatte zwei, drei Gelegenheiten – das gehört zu den Noch einmal zum 3. Oktober: Arnold Vaatz ist jemand, der schönen Momenten meines Lebens –, Egon Bahr persön- in der Wendezeit für dieses Land und für seine Entwick- lich zu sprechen. Er hat mir mehrfach ausdrücklich gesagt, lung prägnant war und dafür viel geleistet hat. Sich anzu- dass er sich über die Wiedervereinigung gefreut hat und ein hören, was er geleistet hat, und letztendlich eine Position, überzeugter Vertreter dieses politischen Vorgangs war. die sperrig ist, trotzdem anzuhören, dass man hier zuhören (Zurufe von der AfD) sollte, fanden wir richtig. Deshalb sind wir an dem Tag hier gewesen. Wir haben nicht uns gefeiert, sondern die Ent- – Dann hat er sich halt korrigiert, meine Damen und wicklung, die dieses Land genommen hat. Das sind nicht Herren. nur wir als CDU-Fraktion, das sind alle. (Zurufe von der AfD) (Rico Gebhardt, DIE LINKE: – Ja, es kann sein, dass Menschen dazulernen. Das darf Das kommt aber nicht zum Ausdruck!) auch Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden. Deshalb Ich will es deutlich sagen: Es gibt nicht die da oben und die sage ich Ihnen das jetzt. da unten. Wir sind alle auf Augenhöhe unterwegs, alle hier (Zurufe von der AfD) auf Zeit unterwegs und ich denke, mit einer gewissen Demut – die sollte man uns allen in der Art und Weise zu- Die Ostpolitik der SPD Willy Brandts und Egon Bahrs hat gestehen, wie wir versuchen, positiv ins Land zu wirken. übrigens maßgeblich dazu beigetragen – das ist, glaube ich, nicht strittig –, dass wir heute hier gemeinsam unter diesem Herzlichen Dank. Dach, unter demokratischen Verhältnissen sein können. (Beifall bei der CDU, den Ein zweiter Hinweis, der mir im Blick auf Gegenwart und BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) Zukunft allerdings mindestens genauso wichtig ist: Demo- kratie ist die einzige Herrschaftsform, die man lernen muss. Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege Selbst wenn es niemals diktatorische Verhältnisse in die- von Breitenbuch von der Fraktion CDU. – Nun könnte die sem Land gegeben hätte, müssten wir trotzdem lernen, wie SPD das Wort ergreifen. Kollege Richter, bitte schön. Demokratie funktioniert. Woraus schöpft Demokratie ihre Stärke? Aus starken Demokraten. Herr Lippmann hat es Frank Richter, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr angedeutet: Ohne Überzeugungstäter in Sachen Demokra- geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Vieles tie können auch Demokratien degenerieren. Wichtige ist zum Thema bereits gesagt worden. Ich will meinerseits zum Thema starke Demokratie einige wenige Ich verweise darauf, dass im vorpolitischen, gern auch im zusätzliche und vielleicht notwendige korrigierende vordemokratischen Bereich Grundlagen gelegt werden, auf Bemerkungen machen. Das Erste: Natürlich können wir die unsere Demokratie nicht verzichten kann, à la Böcken- darüber sprechen, dass vor 30 Jahren hier ein starkes Par- förde: Der demokratische Staat steht auf Grundlagen, die lament, eine starke Demokratie entstanden sind. Wichtiger er selbst nicht garantieren kann. Wo werden diese Grund- und richtiger wäre es zu sagen, die Demokratie ist vor lagen gelegt, meine Damen und Herren? Unter anderem 30 Jahren nicht vom sächsischen Himmel gefallen. Die dort, wo es um das Erlernen von Toleranz, von Verständi- Demokratie hat vor 31 Jahren in diesem Land Gestalt gungsbereitschaft, von wahrheitsorientierter Sprache, von angenommen. wahrheitsorientierter Kommunikation, von Empathie und Perspektivwechsel geht. An der Stelle weise ich als kultur- Das, was damals geschehen ist, wissen Sie. Ich kann ganz politischer Sprecher darauf hin – Sie sehen es mir nach –, und gar nicht ertragen, dass dies im Blick auf die inhaltli- dass eine Stärke dieses Freistaates auch in seinem kulturel- chen Beziehungen, aber auch im Blick auf das Symbolka- len Ziel liegt. pital ausgerechnet von den neuen Rechten in Anspruch genommen wird, die sich mit der einen oder anderen Be- Wie heißt es in Artikel 1 unserer Verfassung: „Der Freistaat Sachsen … ist ein demokratischer, dem Schutz der natür-

1063 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 lichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteter schaft ist. 1993 beschloss der Sächsische Landtag das Ver- sozialer Rechtsstaat.“ Kultur ist nicht nur eine Geschichte, fassungsgerichtshofgesetz. Damit war die Bildung eines die unter Freizeitgestaltung abgehandelt werden könnte, Bundeslandes mit Exekutive, Legislative und Judikative oder eine Geschichte, die quasi als nicht systemrelevant vollendet. Das Regierungshandeln auf Landesebene war in beiseitegeschoben werden könnte. Es ist wichtig, dass die den Folgejahren durch eine Dominanz im Landesparla- Kulturpolitiker in diesen schwierigen Zeiten der ment unter Führung der CDU gekennzeichnet. Es gab eine Coronakrise und der Bekämpfung der Pandemie darauf deutliche Mehrheit mit einer bürgerlich-konservativen achten, dass wir alle darauf achten, dass dieser Bereich un- Ausrichtung. Die gäbe es auch heute noch, wenn ich so in serer Gesellschaft, den ich für systemrelevant bezeichne, die Runde blicke, nur leider verschreibt sich auch in Sach- auch für die Demokratie keinen Schaden nimmt. sen die CDU immer mehr einer in Berlin vorgegebenen Ich hatte vor Kurzem die Gelegenheit, mit einem anderen bundespolitischen Ausrichtung. großen Sozialdemokraten, den Sie auch hätten zitieren Zu erwähnen ist, dass gerade in den Neunzigerjahren Sach- können, aber der Ihnen offenbar weniger wichtig war, mit sen eine Rolle als Anwalt Ostdeutschlands zugeschrieben Markus Meckel zu sprechen. worden war. Ganz wesentlich ging von Sachsen die fried- liche Revolution aus. In den letzten Jahren änderte sich Zweiter Vizepräsident André Wendt: Bitte zum Schluss wahrnehmbar die positive Einschätzung von Sachsen. Was kommen. ist geschehen, wenn politische Medien wie „Stern“ und „Cicero“ titeln: „Wird der Osten unregierbar?“ und sich die Frank Richter, SPD: Letzter Gedanke, wenn Sie gestat- Beiträge dann vornehmlich mit Sachsen befassen. ten. Nach der Bankenkrise und der Griechenland-Krise kam es Zweiter Vizepräsident André Wendt: Ja. nach der Flüchtlingskrise 2015 zu Bürgerprotesten aus Sorge vor unbegrenztem Zuzug. Bundespolitiker suchten Frank Richter, SPD: Er hat nochmal ausdrücklich darauf in Sachsen eine Bühne, und einer belegte die sächsischen aufmerksam gemacht: Vor 30 Jahren ist nicht die DDR un- Demonstranten sogar mit der Bezeichnung „Pack von Hei- tergegangen, sondern eine kommunistische Diktatur. Die denau“. Waren die Sachsen über Nacht weniger demokra- Menschen haben vor 30 Jahren – auch unter Einbeziehung tisch geworden, vom Grundgesetzbürger zum Pack? Die manch ehemaliger Funktionäre, die sich politisch intelli- Ostdeutschen, also auch die Sachsen, hatten mit der Wende gent verhalten haben – dafür entschieden, demokratisch in die Verfassung der DDR gegen das Grundgesetz getauscht. die deutsche Einheit zu gehen. Die Bürger der DDR – das Die DDR-Verfassung war ein Instrument der Staatsgewalt ist mir wichtig zu sagen – sind erhobenen Hauptes in dieses zur Verwirklichung des Kommunismus im Auftrag der wiedervereinigte Deutschland gegangen. Das ist auch eine herrschenden SED. Nur die Bürger, die den Marxismus- wichtige Quelle der Ressource unseres demokratischen Leninismus öffentlich guthießen, hatten ansatzweise eine Staates. Chance, einen kleinen Freiheitsraum zu erhalten. Die Bür- (Beifall bei der SPD und der CDU – ger durften die führende Rolle der SED nicht infrage stel- Dr. Joachim Keiler, AfD: len. Waren immer alles Deutsche!) Diese verfassungsrechtliche Zwangsjacke war mit dem Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege Grundgesetz und der Sächsischen Verfassung Schall und Richter von der SPD-Fraktion. Nun zu den BÜNDNIS- Rauch geworden. Zu den Ostdeutschen und den Sachsen GRÜNEN, wenn noch Bedarf angemeldet wird. – Kein Be- war die wahre Freiheit gekommen. Durch den ständigen darf mehr. Dann die Fraktion der AfD, Kollege Dr. Keiler, Krisenmodus, in dem sich allerdings in den letzten Jahren bitte schön. nicht nur Sachsen, sondern die gesamte Bundesrepublik befindet, wird die im Osten erst 30 Jahre andauernde Frei- Dr. Joachim Keiler, AfD: Sehr geehrter Herr Präsident! heit eingeschränkt und damit erneut gefährdet. Während in Meine sehr geehrten Damen und Herren! In seiner konsti- den westdeutschen Bundesländern eine Generation – und tuierenden Sitzung am 27. Oktober 1990 beschloss der ich darf das sagen, denn ich komme aus dem Westen – ohne Sächsische Landtag mit großer Mehrheit die Landesbe- DDR-Erfahrung mit lethargischer Gelassenheit auf Exeku- zeichnung Freistaat Sachsen. Am 27. Mai 1992 wurde die tivmaßnahmen vertraut, ist der Ostdeutsche und gerade der Sächsische Verfassung verabschiedet. Bei der Abstimmung Sachse demokratiesensibler. Wenn etablierte Politiker im am Vortag hatte nur die Fraktion der PDS im Landtag die August 2018 nicht nur Hetzjagden in Chemnitz erfinden Zustimmung zur Verfassung verweigert. Die Nachfolge- ließen, sondern auch noch den Terminus „Zusammenrot- partei der SED, die sich heutzutage sehr gern als demokra- tungen“ benutzten, so stieß das gerade im Osten auf wenig tische Partei bezeichnet, Verständnis. (Widerspruch bei den LINKEN) (Beifall bei der AfD) verwahrte sich nämlich gegen die Formulierung in der Der Begriff „Zusammenrottung“ bedeutete im DDR-Straf- Präambel, in der die Rede von den leidvollen Erfahrungen gesetzbuch „regierungsfeindliche Demonstrationen“ und nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherr- war strafbar. Bei einem Ostdeutschen, der das DDR-Re-

1064 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 gime miterlebt hat, löst derartiger Sprachgebrauch panik- hoch einschätze, egal aus welcher Couleur oder Geschichte ähnliche Zustände aus. Gerade der Sachse hat eine hervor- sie kommen, auf Ihre Wasserräder läuft, das geht nicht. Wir ragende demokratische Antenne. Der Sachse – und stehen für dieses Ganze, das wir heute dargestellt haben übrigens der Bayer auch – ist eigenwillig und freiheitslie- und das wir in dieser Debatte mit viel Sensibilität und viel bend. Er lässt sich das friedliche Zusammenrotten nicht Achtung vor dem, was hier geleistet worden ist und heute verbieten. zu leisten ist, ansprechen wollten. Insofern dieses klare Veto in Ihre Richtung. (Vereinzelt Beifall bei der AfD) Herzlichen Dank. Wenn sich im Bund so wie auch in Sachsen alteingesessene Parteien programmatisch immer mehr annähern und der (Beifall bei der CDU und vereinzelt Eindruck einer Blockpartei entsteht, dann muss es nicht bei den BÜNDNISGRÜNEN) verwundern, dass demokratischer Widerstand aufkommt. Deshalb ist der Zeitpunkt gekommen, die direkte Demo- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege kratie zu erweitern, sodass das Volk, von dem alle Staats- von Breitenbuch von der CDU-Fraktion. Gibt es seitens der macht abgeleitet ist, stärker in den demokratischen Fraktionen BÜNDNISGRÜNE und SPD noch Redebe- Entscheidungsprozess eingebunden wird. Wir brauchen darf? Ich frage vorsichtshalber. – Das sehe ich nicht. Dann Volksentscheide. übergebe ich an die Fraktion der AfD. Herr Kollege Beger, bitte. Die AfD-Fraktion hat deshalb das Gesetz zur Erweiterung der sachunmittelbaren Demokratie im Freistaat Sachsen Mario Beger, AfD: Herr Präsident! Meine sehr geehrten eingebracht. Allen Unkenrufen zum Trotz – Sachsen hat Damen und Herren! Ein starker Freistaat, das ist der letzte tatsächlich eine starke Demokratie. Das sächsische Volk Punkt im Debattentitel, und diesen möchte ich nun näher hat eine gute demokratische Antenne. So sehe ich unseren beleuchten. Bewegen wir uns dazu einmal von der parla- Freistaat – entgegen Kritik aus dem Westen – in einer her- mentarischen Elite weg hin zum Souverän, also zum Volk, vorragenden demokratischen Verfassung. Dies allerdings dann sehen wir einen agilen, einen kämpferischen, einen ist nicht nur Verdienst der Regierung, sondern auch der starken Freistaat; Bürger, die ihre Rechte verteidigen und Sachsen und ihrer Neigung zum sächsischen Weg. sich nicht mit angeblichen politischen Alternativlosigkei- ten abspeisen lassen, sogenannten Alternativlosigkeiten, Herzlichen Dank. die – das kommt erschwerend hinzu – oftmals mangelhaft (Beifall bei der AfD) begründet sind oder schlichtweg gegen den gesunden Men- schenverstand verstoßen. Das gilt in der Coronakrise, und Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege das gilt auch für die im Jahr 2015 getroffenen Fehlentschei- Dr. Keiler von der AfD-Fraktion. Nun könnte die Fraktion dungen und Begründungen der Regierung Merkel. DIE LINKE das Wort ergreifen, wenn gewünscht. – Das sehe ich nicht. 30 Jahre Landtag, das heißt aber auch 30 Jahre CDU- Regierung und fast 30 Jahre Abnickparlament. In den par- (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Es ist genug gesagt!) lamentarischen Initiativen der regierungstragenden Frakti- Ist eine dritte Rederunde gewünscht? – Herr von Breiten- onen können wir bis heute keinerlei Regierungskritik oder buch von der CDU-Fraktion. Herr Beger von der AfD- einen echten Arbeitsauftrag für die Regierung erkennen. Fraktion hat auch Bedarf angemeldet. Zuerst hat die CDU- (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Ach so? Fraktion das Wort. Kollege von Breitenbuch, bitte. – Zuruf von der CDU) Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Sehr geehrter Stattdessen darf diese ausschließlich Erfolgsmeldungen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verkünden. Dass durch die mangelnde parlamentarische Kontrolle Fehlentwicklungen entstehen, ist fast unver- Dr. Keiler, Sie stellen das hier so dar, als stünde diese De- meidbar. mokratiesensibilität, die wir selbstverständlich die ganzen 30 Jahre immer miterlebt und in diesem Rund immer in die (Oh-Rufe von der CDU)) Diskussion eingebracht haben, im Gegensatz zu denen, die So kommt es dann auch, dass die AfD-Fraktion in der 6. jetzt hier regieren. Diesen Eindruck möchte ich ganz deut- Wahlperiode die Regierung über Jahre hinweg bearbeiten lich zurückweisen. musste, bis eine hundertprozentige Breitbandförderung für (Beifall bei der CDU und der SPD) finanzschwache Kommunen ermöglicht wurde. Ganz deutlich! Das lassen wir Ihnen auch nicht durchge- (Lachen des Abg. Sören Voigt, CDU) hen, sondern selbstverständlich kann sich jeder in diesem Unser Wirtschaftsminister hielt so etwas lange für europa- Land eine Partei aussuchen, entweder in der Wahlkabine rechtswidrig. oder auch in der Mitgliedschaft. Jeder kann sagen, was er denkt und was er will, und letztendlich zur Demokratie bei- Es war auch die AfD-Fraktion, die beim Meisterbonus tragen. Dass Sie sich anmaßen, dass diese Demokratiesen- ordentlich Dampf machte und bereits lange vor der sibilität, diese Aufmerksamkeit von Bürgern, die ich enorm Entscheidung im Bundestag die Wiedereinführung der Meisterpflicht in vielen Gewerken forderte.

1065 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Es war auch die AfD-Fraktion hier im Sächsischen Land- Aber Sie hätten noch 44 Sekunden, Herr Richter, wenn Sie tag, die Zuschüsse wie Betriebsgründungsprämien und für möchten. – Entschuldigung, ich habe das Minus nicht ge- die Betriebsnachfolge forderte oder sich für Unterstützun- sehen. Sie hatten schon etwas überzogen. gen für Wirtschaftsbetriebe in besonders kriminalitätsbe- (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Aus lasteten Regionen einsetzte – alles Forderungen, die Minus ein Plus machen! – Dirk Panter, SPD: Was hoffentlich schnellstmöglich erhört werden. die AfD alles machen kann! – Ei, ei! von der AfD) Meine Damen und Herren, das alles sind Forderungen, die bei Problemen ansetzen, die unsere Wirtschaft, die unsere – Tut mir leid, Herr Richter. Die Kurzinterventionen sind kleinen und mittelständischen Betriebe umtreiben. Leider auch schon aufgebraucht. Aufgrund dessen kann die SPD wird in diesem Hohen Haus viel zu oft der Argumentie- zum Thema nicht mehr sprechen. rende und nicht das Argument bewertet. Gute Vorschläge Gibt es Redebedarf seitens der anderen Fraktionen? Dafür werden abgelehnt, weil sie von der Opposition kommen. ist noch Redezeit vorhanden. – Das sehe ich nicht. Dann So werden viele Aufgaben auf Regierungsseite erst spät übergebe ich jetzt das Wort an die Staatsregierung, Frau oder gar nicht gelöst. Ein starkes Parlament handelt nicht Staatsministerin Meier, bitte schön. so. Katja Meier, Staatsministerin der Justiz und für Demo- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine relativ kratie, Europa und Gleichstellung: Herr Präsident! aktuelle BIP-Prognose vom 12. Oktober zeigt: Das Brutto- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich damals, inlandsprodukt – ein wichtiger Gradmesser für den Wohl- vor gut fünf Jahren, als nachgerückte Abgeordnete das stand einer Gesellschaft – wird für dieses Jahr erste Mal hier am Pult stand, war das ein Gefühl, das wahr- wahrscheinlich um rund 6 % in Deutschland fallen. Die scheinlich schon viele vor mir empfunden haben und be- Arbeitslosenquote liegt in Sachsen schon jetzt bei über stimmt auch viele Kolleginnen und Kollegen nach mir 6 %. Kurzarbeit und Homeoffice bestimmen gegenwärtig empfinden werden. Es war eine Mischung aus ein bisschen die Arbeitswelt. Der Staat und auch der Freistaat pumpen Aufgeregtheit, aber durchaus auch ein Gefühl aus Erhaben- Milliarden Euro in Hilfs- und Rettungsprogramme. Wert- heit, in einem Parlament als symbolischem Ort der Demo- schöpfung entsteht so jedoch nicht. Wer darf das am Ende kratie sprechen zu dürfen. wohl alles bezahlen? Gerade in den letzten Wochen habe ich mich häufig ge- Anstatt innovative Lösungen zu finden, zu fördern und um- fragt, wie sich die Abgeordneten damals – Anfang der zusetzen – beispielsweise gezielt UV-Strahlen gegen Viren Neunzigerjahre – fühlten, die einst diesen Landtag neu ge- einzusetzen oder Hygieneampeln für Geschäfte einzufüh- formt haben. Die Mitglieder des Landtags mussten nicht ren –, setzt die Regierungsbank lieber einen Flächenbrand nur formal die neuen Regeln aushandeln, unter denen die bei Gastronomen, Künstlern und vielen anderen Dienstleis- erste Gewalt des Staates arbeitet, sondern auch so etwas tungsanbietern in Gang. Damit verbrennen wir aber keine wie eine parlamentarische Kultur etablieren. Eine Demo- Viren, sondern die Existenzgrundlage vieler Menschen, die kratie neu gestalten zu dürfen, das ist eine große Aufgabe; unser Sozial- und Wirtschaftssystem am Leben erhalten. ich glaube, sie war auch mit einem großartigen Gefühl ver- Das macht den Freistaat jedoch nicht stark, sondern bunden. Viele der Gestalterinnen und Gestalter unserer par- schwach. lamentarischen Demokratie hatten zuvor einen wichtigen Meine Damen und Herren, wir brauchen sehr schnell lang- Beitrag dazu geleistet – Herr Richter hat es gesagt –, dass fristige Lösungen für unsere Wirtschaft und für unseren Sachsen überhaupt wieder dazu in der Lage war, ein demo- Staat, Lösungen, die Wertschöpfung erhalten und generie- kratisches Parlament zu gestalten. Genau ihnen gilt unser ren. Dank und unsere Anerkennung dafür, dass wir uns hier und heute überhaupt Gedanken darüber machen können, wie (Zuruf von der CDU) wir unsere Parlamente und unsere Demokratie weiterent- Ohne Wertschöpfung wird das alles hier über kurz oder wickeln können. lang kollabieren. Deshalb denken Sie vielleicht doch noch (Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN einmal über unseren Antrag zur Rückverlagerung der Pro- und der CDU) duktion von essenziellen Grundgütern nach und darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, die Kontaktstelle Lieferketten Der Sächsische Landtag ist ein Parlament, das in den de facto zu schließen. letzten 30 Jahren immer wieder seinen Weg gesucht hat und immer wieder Antworten auf neue Fragen finden Vielen Dank. musste. (Beifall bei der AfD – Vielleicht geziemt es sich als Mitglied der Staatsregierung Frank Richter, SPD, steht am Mikrofon.) nicht, dem Parlament Hinweise zur Weiterentwicklung des Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Kollege Parlamentarismus zu geben. Gleichwohl habe ich einige Beger von der AfD-Fraktion. Gibt es weiteren Redebedarf? Gedanken dazu. Die Aussprache in der Regierungserklä- – Ich schaue noch einmal kurz auf die Zeit: Die SPD hätte rung heute Vormittag hat gezeigt, dass der Landtag – noch 44 Sekunden. Zwei Kurzinterventionen sind schon meines Erachtens zu Recht – mehr Mitsprache bei wesent- aufgebraucht worden, eine dritte ist leider nicht möglich. 1066 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 lichen Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie for- und Volksentscheide zu vereinfachen und andererseits auch dert. Aus Sicht der Staatsregierung ist diese Debatte auch Bürgerbeteiligung besser zu ermöglichen. wichtig, weil sie gelebter Ausdruck der Debatte um die Das Potenzial einer frühen und guten Bürgerbeteiligung Aufgaben der Gewalten ist. Ein selbstbewusstes und star- liegt darin, die fachliche Qualität politischer Entscheidun- kes Parlament – das ist das Herz einer starken Demokratie. gen zu erhöhen, indem man den Sachverstand von Bürge- Unser Sächsischer Landtag ist zweifelsohne ein Parlament rinnen und Bürgern mit einbezieht. Denn wer anders kennt mit starken und selbstbewussten Abgeordneten. Eine starke sich denn vor Ort besser aus als die Bürgerinnen und Bür- Staatsregierung braucht keine Angst zu haben, und sie hat ger, wenn es um die konkrete Situation geht? Damit die auch keine Angst vor einem starken Parlament. Nur wenn Bürgerinnen und Bürger im besten Sinne mitüberlegen und alle die ihnen zugeschriebenen Aufgaben mit großer Kraft mitentscheiden können, brauchen wir in erster Linie eine und großem Selbstbewusstsein erfüllen, ist auch unsere gute Informationsgrundlage. Denn gerade in Zeiten, in de- Demokratie stark. Dieser Grundgedanke, den die Abgeord- nen viele nur eine Meinung haben und sich in dieser nicht neten der 1. Legislaturperiode in der Sächsischen Verfas- von Fakten beirren lassen wollen, ist es Aufgabe des Staa- sungsordnung verewigten, sollte der Leitgedanke des tes, die Fakten, Daten und Informationen, die ihm vorlie- Ringens der Gewalten um ihre Rolle sein. gen, transparent zu machen. Es kann aus meiner Sicht keine stärkere Beteiligung ohne eine größere Transparenz Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine starke Demokratie des Staates geben. Um die Welt zu ändern, muss ich eben lebt aber nicht nur von starken Gewalten, sondern vor al- erst einmal wissen, wie sie aussieht, um mir dann Gedan- lem von überzeugten Demokratinnen und Demokraten. ken darüber machen zu können, was ich vielleicht ändern Aber eine starke Demokratie macht eben auch mehr aus als möchte. ein starkes Parlament. Sie lebt davon, dass Menschen sich mit ihren Ideen einbringen, unsere Gesellschaft gestalten Deshalb haben wir als Koalition uns vorgenommen, ein wollen, im Großen, aber natürlich auch im Kleinen, weil Transparenzgesetz zu erarbeiten. Wir haben uns darauf ver- sie sich vor Ort zum Beispiel für einen neuen Spielplatz ständigt, und es befindet sich aktuell schon in der Ressort- einsetzen, sich in Debatten mit Nachbarinnen und Nach- abstimmung. Also, lieber Herr Panter: Wir blicken nicht barn über die jüngsten Entscheidungen der Staatsregierung nur in die Zukunft – nein, wir gestalten sie auch. Und das streiten oder weil sie sich gegen Hass und Hetze einsetzen machen wir gemeinsam! und ganz konkret einen großen Beitrag beispielsweise auch Wir wollen, dass der Staat damit das Wissen, das er hat, für dadurch leisten, dass sie Geflüchteten bei der Integration die Gestaltung der Gesellschaft zur Verfügung stellt – und helfen. zwar unkompliziert und in der Regel auch kostenfrei. Eine Viele Menschen gestalten jeden Tag unsere Demokratie selbstbewusste Verwaltung muss keine Angst vor dem Wis- mit, ohne dass sie sich damit rühmen oder sich dies jeden sensdurst der Bürgerinnen und Bürger haben. Sie sollten Morgen vor Augen führen. Es gilt, gerade jetzt, in Zeiten, ihn selbstverständlich bei Einhaltung des Datenschutzes in denen unsere Demokratie von einigen verächtlich ge- und natürlich auch des Schutzes der Arbeitsfähigkeit der macht und teilweise angegriffen wird, all jene zu stärken, Verwaltung fördern. Deshalb wollen wir den Bürgern nicht die nicht nur meckern, krakeelen und wüten, sondern die nur das Recht geben, Informationen von Behörden zu eine Idee von einer lebenswerten Gesellschaft haben, in die erhalten, sondern sie auch aktiv bereitstellen. In Zeiten sie sich selbstverständlich auch einbringen wollen. Dafür digitaler Kommunikation und fortschreitender Digitalisie- braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die sich darauf ver- rung der Verwaltung ist das nur ein logischer Schritt. lassen können muss, dass der Staat sie gerade in schwieri- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach 30 Jahren eines gen Zeiten unterstützt und fördert. Es braucht auch mehr starken Landtags und einer lebhaften Demokratie gilt es Entscheidungsrechte für die Bürgerinnen und Bürger. nicht nur, unsere Verfassung ein Stück weit zu modernisie- Die Sächsische Verfassung hat von Anfang an einen Weg ren, sondern auch unsere politische Kultur neu auszurich- beschritten, der den Bürgerinnen und Bürgern die Möglich- ten. Mit Entscheidungsrechten für die Bürgerinnen und keit gibt, nicht nur die Gesetzgebung und damit die ele- Bürger, mehr Beteiligung für die Menschen vor Ort sowie mentare Politik unseres Freistaates in Wahlen zu größerer Transparenz des Staates wollen wir diejenigen beeinflussen, sondern auch durch unmittelbare demokrati- stärken, die unsere Demokratie stark machen. Denn die sche Entscheidungen. Im Geiste unserer Verfassung gibt es stärkste Demokratie ist schlicht die, die ein selbstbewuss- eben kein Entweder-Oder mit einem Parlament auf der ei- tes Parlament und eine engagierte Bürgerschaft zu ihrem nen Seite oder Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Kern zählen darf. Seite, sondern es ist ein Sowohl-als-auch. Als Koalition Herzlichen Dank. und als Staatsregierung wollen wir mehr direkte Demokra- tie wagen, weil wir den Bürgerinnen und Bürgern in Sach- (Beifall bei der CDU, den sen zutrauen, es vielleicht manchmal auch besser zu wissen BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) als die Regierung oder das Parlament. Als Justiz- und Ver- fassungsministerin freue ich mich daher auf die sicherlich Zweiter Vizepräsident André Wendt: Das war Frau sehr grundsätzliche Debatte in den kommenden Jahren, Staatsministerin Meier für die Staatsregierung. Meine sehr wenn es eben genau darum geht, einerseits Volksbegehren verehrten Damen und Herren! Die zweite Aktuelle Debatte

1067 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 ist damit abgeschlossen. Der Tagesordnungspunkt 4 ist be- Ich rufe nun auf endet.

Tagesordnungspunkt 5 Befragung der Staatsregierung Thema der Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt: Auswirkungen der Corona-Pandemie – Resümee und Ausblick

Zunächst berichtet die Staatsministerin für Soziales und Ländern und anderen Regionen vor uns und erinnern uns Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Frau Staatsministerin auch noch gut daran, welches verheerende Ausmaß diese Petra Köpping. Hierfür stehen ihr nach Ziffer 1 der An- Bilder gezeigt haben. Diese Entscheidungen mussten sehr lage 8 zur Geschäftsordnung bis zu 5 Minuten zur Verfü- schnell getroffen werden. Es ist richtig: Das war für alle ein gung. Anschließend haben die Fraktionen über eine Dauer echter Gewaltakt und eine enorme Belastung für unsere von insgesamt 40 Minuten die Möglichkeit, der Staatsmi- Bürgerinnen und Bürger. Dabei haben wir als Staatsregie- nisterin Fragen zu Themenkomplexen zu stellen, die ihren rung bis jetzt neun Corona-Schutzverordnungen erlassen, Bereich betreffen. Die jeweilige Frage darf eine Minute, acht Corona-Quarantäneverordnungen beschlossen und die Antwort 3 Minuten nicht überschreiten. mehrere Allgemeinverfügungen getroffen. Ich erteile zunächst Frau Staatsministerin Petra Köpping Dazu zählt zum Beispiel auch das Betretungsverbot in Al- das Wort. ten- und Pflegeheimen, das Betretungsverbot für Werkstät- ten mit Behinderten, der Betrieb von Schulen und Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Kindertagesstätteneinrichtungen oder auch die Schutzmaß- sellschaftlichen Zusammenhalt: Sehr geehrter Herr Prä- nahmen an Krankenhäusern und stationären medizinischen sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Corona bleibt – Rehabilitationseinrichtungen. All diese Entscheidungen und wir werden mit Corona leben müssen. Das ist ein Fakt, wurden nicht ohne fachliche Expertise getroffen – also dessen wir uns stets bewusst sein müssen. Das Coronavirus Gremien und Fachleute, die bei den Beratungen und Ab- bestimmt weiterhin unseren Alltag. Wir haben heute in der stimmungen einbezogen worden sind und einbezogen wer- Regierungserklärung darüber gesprochen. Im Rahmen den. Wen meine ich damit konkret? Zum Beispiel unsere meiner Einführung in die Befragung der Staatsregierung Infektiologen Dr. Grünewald, Prof. Lübbert, Frau Dr. de möchte ich daher weniger darauf eingehen, welche neuen With; die Krankenhauskoordinatoren Prof. Albrecht, Prof. Maßnahmen getroffen worden sind und wie wichtig diese Josten, Herr Balster; die Laborkoordinatoren Prof. Dahlke, sind, sondern ich möchte mehr darauf eingehen, welche Er- Prof. Liebold, Prof. Stamminger; den Wissenschaftlichen fahrungen wir gemeinsam im Rahmen der ersten Welle ge- Beirat für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit Frau sammelt haben und welche Konsequenzen wir daraus Prof. Besand, Prof. Ehninger, Frau Prof. Grande usw. gezogen haben. Es wurde ja heute viel kritisiert, wir hätten nichts gelernt usw. Ich glaube, wenn ich das jetzt vortrage, Dazu kommen regelmäßige Abstimmungsrunden im Be- sieht man sehr wohl, welche Konsequenzen gezogen wor- reich von Pflege, Gesundheitsämtern, Ärztinnen und Ärz- den sind und was wir gelernt haben. ten. Auch mit den Oberbürgermeistern und Landräten gibt es regelmäßige Abstimmungsrunden. Wir haben im März Ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass uns das die Krankenhauskoordinatoren in Chemnitz, Dresden und Virus im Frühjahr völlig überrollt hat. Wir waren mit einer Leipzig betraut und mit ihnen einen Maßnahmenkatalog Krise unvorstellbaren Ausmaßes konfrontiert und es waren für die Krankenhäuser verfasst. Im Bereich der Testungen Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen, die am An- wurden diverse Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel wur- fang sehr stark auf Vermutungen und Annahmen basierten. den von März bis Juli die sogenannten Corona-Ambulan- Es ist auch Tatsache, dass sich einige dieser Vermutungen zen eingerichtet. Ab den Sommerferien wurden die und Annahmen im Nachhinein nicht bestätigt haben. Testcenter an den sächsischen Flughäfen errichtet. Es wur- Was aber allen getroffenen Maßnahmen zugrunde lag, war den Testkonzepte erarbeitet und mehrfach den Gegeben- eine umfassende und nicht leichtfertig getroffene Abwä- heiten angepasst. Nicht zuletzt wurden die Testkapazitäten gung zwischen dem Schutz des Lebens und der Gesundheit erheblich erweitert – von anfangs 300 auf rund 10 000 – wobei die medizinischen, personellen und technischen Tests, die nun pro Tag durchgeführt werden. Kapazitäten bei den Ärztinnen und Ärztinnen, in den Kran- Auch innerhalb der Staatsregierung, in meinem Haus, wur- kenhäusern sowie den Apotheken berücksichtigt werden den die verschiedensten Maßnahmen ergriffen. So wurde mussten – und den verfassungsrechtlich geschützten im März die Corona-Stabsstelle im SMS eingerichtet; dann Grundrechten aller Bürgerinnen und Bürger. Ich denke, wir wurde der Krisenstab eröffnet, die Taskforce „Beschaf- haben alle noch die Bilder der Intensivstationen in anderen fung“ im SMS und SMI geschaffen. Ebenfalls im März

1068 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 wurde die Telefonhotline eingerichtet und mit bis zu hun- in medizinischen Einrichtungen, aber auch in Pflegeein- dert Mitarbeitern aus der Staatsregierung in drei Schichten richtungen und in Einrichtungen für Menschen mit Behin- von 7 bis 18 Uhr besetzt, auch an Wochenenden und Feier- derungen tatsächlich zu wenig Schutzkleidung haben. tagen. In all dieser Zeit konnten wir viel lernen und fest- Normalerweise ist der Weg so – es ist mir wichtig, dass stellen. So haben all unsere bisherigen Erfahrungen man den Weg noch einmal bespricht, weil es auch für die bewiesen, dass der öffentliche Gesundheitsdienst eine ent- Zukunft wichtig ist –, dass die einzelnen Verantwortlichen scheidende Bedeutung für den Infektionsschutz und den ihre Schutzkleidung selbst organisieren. Der Staat, auch Kampf gegen das Coronavirus hat. der Freistaat, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Die sächsischen Krankenhäuser sind leistungsfähig. Der Dennoch haben wir bemerkt, dass aufgrund dessen, das Freistaat hat in den vergangenen 30 Jahren krankenhaus- weltweit eine Pandemie ausgebrochen ist, zu wenig planerisch rund 5,7 Milliarden Euro in Krankenhausinves- Schutzkleidung zur Verfügung stand. Deswegen haben wir titionen getätigt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass im Krisenstab und auch im Kabinett beschlossen, dass wir wir gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort Wege zu- auf der einen Seite eine Taskforce einrichten, die sich um lassen könnten, die sowohl Gesundheitsschutz als auch die Beschaffung kümmert. Viele von Ihnen, den Abgeord- Teilhabe ermöglichen. Und wir haben festgestellt, dass bei neten, haben mir auch Namen, Adressen, Firmen zugear- Besuchs- und Betretungsregelungen von Pflege- und Be- beitet, von denen Sie sagen, dort wäre noch eine hinderteneinrichtungen ein angemessenes Verhältnis zwi- Möglichkeit, dort könnte man vielleicht bestellen, welt- schen Schutz der versorgten Personen sowie deren weit. Dort haben wir die gesamten Bestellungen gebündelt Persönlichkeits- und Freiheitsrechten wichtig ist. und wirklich kontrolliert, wer tatsächlich zuverlässig ist, wem man vertrauen und bei wem man bestellen kann. Ich kann in der kurzen Zeit, die ich hier zur Einführung Redezeit habe, nicht alles ausführen. Aber wer jetzt noch Wir haben dort eine zweite Festlegung getroffen. Das ist behauptet, dass wir alleine und im stillen Kämmerlein – die Festlegung, ein Reservelager anzulegen, damit wir ge- wie es vorhin angedeutet wurde – entschieden haben, der wappnet sind, wenn es wieder zu entsprechenden Größen- sieht sich allein anhand der Beispiele, die ich soeben ge- ordnungen kommt – der Herbst ist ja schneller da, als wir nannt habe, in die Irre geführt. gedacht haben –, dass wir in diesem Reservelager tatsäch- lich Schutzkleidung haben. Deswegen glaube ich, dass wir für die Zukunft alles daran- setzen wollen, auf der einen Seite hier mit dem Parlament Ich möchte zumindest sagen, wie unser Lagerbestand aus- – keine Frage – und natürlich auch mit all unseren Partnern sieht. Wir haben für 5,5 Millionen Euro Masken angelegt, weiter für die Gesundheit unserer Bevölkerung zu sorgen. es sind 55 000 Stück FFP3-Masken. Wir haben 180 000 Herzlichen Dank. Stück Schutzbrillen angelegt, 1 700 Stück Vollschutzmas- ken, 100 000 Stück Schutzanzüge, 2,2 Millionen Schutz- (Beifall bei der CDU, den kittel, 28 Millionen Schutzhandschuhe und 9 Millionen BÜNDNISGRÜNEN und der SPD) OP-Masken. Das alles sind Größenordnungen, die seit An- fang November vorhanden sind, und wir könnten, wenn es Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank, Frau notwendig würde, dieses Lager erweitern. Staatsministerin. Die Fraktionen haben nun die Möglich- keit, Fragen an die Staatsministerin zu stellen. Wir begin- Das war uns insofern wichtig, dass wir dann, wenn von ir- nen mit der CDU-Fraktion an Mikrofon 4. Frau Kollegin gendeiner Stelle die Meldung eines Mangels kommt, rea- Kuge, bitte schön. gieren können. Wir haben es in den letzten Wochen schon erlebt, dass wir, wenn eine Bestellung einmal nicht funkti- Daniela Kuge, CDU: Sehr geehrte Frau Staatsministerin! oniert hat, sofort aushelfen konnten. Deshalb ist das wich- Vielen Dank für Ihre kurzen Ausführungen oder für die tig, und die Einrichtung dieses Reservelagers ist eine der Rückblicke. Ich hätte gern einen Vorausblick. Und zwar strategischen Maßnahmen, die wir auch für die Zukunft geht es in einer Ihrer letzten Pressemitteilungen um den treffen wollen. Aufbau eines zentralen Reservelagers für Schutzausrüstun- gen. Können Sie uns kurz etwas dazu sagen? Die Zahlen Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank, Frau sind veröffentlicht worden, aber wie ist jetzt der Fahrplan Staatsministerin. Nun hat die AfD-Fraktion die Möglich- dazu? keit, eine Frage zu stellen. Am Mikrofon 7 Kollege Schau- fel, bitte. Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- sellschaftlichen Zusammenhalt: Vielen Dank, Frau Frank Schaufel, AfD: Sehr geehrte Frau Staatsministerin! Kuge, für die Frage. Wir haben tatsächlich im Rahmen der In der Regierungserklärung wurde die Corona-Pandemie ersten Welle eine Taskforce gegründet. Sie alle erinnern heute ausgiebig behandelt. Dennoch stellen sich weitere sich, dass im März das Thema der Schutzkleidung, der Fragen, zum Beispiel zu den Weihnachtsmärkten. Am Schutzausrüstung ein zentrales Thema war. 14. September haben Sie, Frau Staatsministerin, im Aus- schuss sehr deutlich gemacht, dass die Weihnachtsmärkte Ich gebe ganz ehrlich zu, ich hätte nicht gedacht, dass wir stattfinden sollen. Im Freien sei das Infektionsgeschehen in Deutschland in die Situation kommen, dass wir gerade gering – das deckt sich auch mit den Aussagen von führen-

1069 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 den Biologen und vielen Ärzten in unserem Land –, nie- im letzten Dreivierteljahr mit Corona in Sachsen verstor- mand müsse den Weihnachtsmarkt absagen, denn die Auf- ben. lagen seien allesamt machbar. Das sind Zahlen, die uns zum Handeln zwingen. Das ist Jetzt haben viele Städte ihre Märkte absagen müssen we- keine freiwillige Sache. Deshalb haben wir gemeinsam mit gen der zu hohen Auflagen. Wie erklären Sie diesen Wider- der Staatsregierung festgelegt, auch wieder in Abstimmung spruch zu dieser Ihrer Aussage im Sozialausschuss? mit allen, dass die Weihnachtsmärkte in diesem Jahr unter diesen Bedingungen so nicht stattfinden können. Die zweite Frage – – Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Das Zweiter Vizepräsident André Wendt: Nur eine Frage, war die Frage der AfD-Fraktion. Nun für die Fraktion DIE Herr Schaufel. LINKE Kollegin Schaper an Mikrofon 1, bitte schön. Frank Schaufel, AfD: Das ist schade. Susanne Schaper, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Staats- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Frau Staatsminis- ministerin! Welche konkreten Bundesmaßnahmen sind be- terin, bitte. reits im Freistaat Sachsen angekommen zur Stärkung und zum Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes, zum Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Beispiel beim Thema Digitalisierung und Personal, und sellschaftlichen Zusammenhalt: Herr Schaufel, vielen welche sind noch in Aussicht gestellt bzw. angekündigt? Dank für die Frage. Das ist eben genau unser Problem. Wenn Sie über das letzte halbe Jahr getroffene Aussagen Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- übereinanderlegen, dann können diese sich ändern. Ich sellschaftlichen Zusammenhalt: Vielen Dank. Die Ge- habe von dem dynamischen Verlauf der Pandemie ja auch sundheitsämter – das will ich in dieser Runde noch einmal gesprochen. ganz deutlich sagen – spielen bei der Bewältigung der Pan- demie eine ausgesprochen wichtige Rolle. Wir haben Ich glaube schon, dass wir im Sommer – da sind wir in 13 Gesundheitsämter in Sachsen, um das noch einmal von Sachsen tatsächlich unseren eigenen Weg gegangen – der Größenordnung her zu benennen, also in allen zehn durchaus viele Maßnahmen lockern bzw. verändern konn- Landkreisen und allen drei kreisfreien Städten. ten, weil es die Infektionszahlen und auch die Zahlen der Menschen, die in Krankenhäusern behandelt werden müs- Das eine, was wir getan haben – das ist heute auch in der sen, hergegeben haben. Das war eine Zeit, wo uns schon Regierungserklärung noch einmal gesagt worden –, ist, die Anfragen der Städte und Gemeinden erreicht haben, dass für jeden Landkreis drei Strategien festgelegt wurden. wie es denn Weihnachten aussieht. Da war es der Wunsch Die eine Strategie ist, dass die Landkreise schon im Früh- und der Wille der Staatsregierung – das ist immer der erste jahr – auch das ist eine Lehre, die wir aus dem Frühjahr Satz, den ich bei allem, was ich sage, gesagt habe –, wenn gezogen haben – im Bereich der Kontaktnachverfolgung es die Zahlen hergeben, wenn die Zahlen so bleiben, dies fünf Personen je 20 000 Einwohner ausgebildet und zur und das zu machen. Diese Aussage können Sie nie losge- Verfügung gestellt haben, die aber teilweise auch in ande- löst von diesem Eingangsstatement betrachten. Genauso ist ren Behördenteilen arbeiten, die dann eingesetzt werden, es gekommen. Wir hätten uns auch gewünscht, die Weih- wenn wir sie brauchen. Ich brauche diese Leute natürlich nachtsmärkte stattfinden zu lassen. nicht, wenn es gerade gar keine Nachverfolgungen gibt. Wir hatten eine ganze Reihe Landkreise, die während der Nicht das Land hat die Weihnachtsmärkte abgesagt, son- Sommermonate null Infektionen hatten. Dann brauche ich dern wir gemeinsam mit den Städten, Gemeinden und auch keine Kontaktnachverfolgung zu machen. Aber so- Landkreisen. Wir führen immer zu allem, was wir machen, bald sie da sind, werden die Leute, die geschult sind, ein- gemeinsame Beratungen durch. Wir hatten erst in den letz- gesetzt. Das ist die eine Maßnahme. ten 14 Tagen zwei Runden mit den Landkreisen und Ober- bürgermeistern, um genau zu besprechen, was wir machen Die zweite Maßnahme: Wir haben jetzt im Herbst gesehen, können, was wir verantworten können und was eben nicht. dass die Gesundheitsämter wirklich überfordert gewesen sind, was die Kontaktnachverfolgung betrifft. Deswegen Insofern ist es zu einer Entscheidung gekommen, dass die haben wir als Freistaat pro Landkreis und kreisfreier Stadt Weihnachtsmärkte unter den Zahlen, wie wir sie im Mo- 40 Personen zur Verfügung gestellt bzw. es können die ment vorfinden, nicht stattfinden können. Es tut mir auch Landkreise noch Personen anfordern, wenn sie es noch leid, das gebe ich zu. Ich habe die Zahlen vom heutigen Tag nicht getan haben, die zusätzlich in den Gesundheitsämtern hier, was die Neuinfektionen betrifft. Wir haben insgesamt arbeiten können. Das sind Bedienstete des Freistaates. in Sachsen 20 956 positiv getestete Menschen. Das sind vom gestrigen zum heutigen Tag 924 mehr, und leider sind Die dritte Maßnahme: Auch das haben die Landkreise und auch 15 Menschen von gestern auf heute in Sachsen ver- kreisfreien Städte zum Teil in Anspruch genommen, je storben. Ich rede nur von Sachsen. nachdem, wie sie es gebraucht haben. Es betrifft die Bun- deswehr. Da gibt es eine ganze Reihe von Verantwortlichen Noch einmal auf unsere Krankenhäuser und Intensivstatio- in den Landkreisen und kreisfreien Städten, die zurzeit ih- nen geschaut: Gegenwärtig befinden sich 1 350 Menschen ren Dienst tun. wegen Corona in Krankenhäusern, und 219 Menschen sind

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Bei der vierten Maßnahme kommen wir zum ÖGD, zu den 1 000 Pflegeeinrichtungen in Sachsen 39, in denen es posi- Bundesmaßnahmen, die beschlossen worden sind. Der tiv getestetes Personal oder Bewohnerinnen und Bewohner Bund hat gesagt, dass in den nächsten Jahren 5 000 Perso- gibt. nalstellen zur Verfügung gestellt werden sollen, um den Wir wissen alle: Wenn es dort einen großen Ausbruch gibt, ÖGD zu stärken. Das, liebe Frau Schaper, beginnt erst. Das sind dann eben auch sehr schnell Menschen auf Intensiv- gilt für ganz Deutschland, nicht nur für Sachsen. Das ist stationen, sind verstorbene Menschen zu beklagen. Deswe- noch nicht umgesetzt; es wird also sukzessive eingeführt. gen ist das ein ganz wichtiger Bereich, über den wir Hier warten wir auf die Umsetzung, sodass wir doch tat- sprechen. sächlich auch langfristig eine Personalstärkung durchfüh- ren. Das ist eine sehr erfreuliche Maßnahme, finde ich, weil Ja, wir hatten in den ersten Verordnungen tatsächlich ein es nicht nur darum geht, jetzt in der Pandemie Unterstüt- Besuchs- und Betretungsverbot von Pflegeeinrichtungen zung zu geben, sondern weil die Aufgaben, auch die ge- geregelt. Das war in einer Zeit, in der wir schnell handeln setzlichen Aufgaben der Gesundheitsämter, weit darüber mussten, für diesen Zeitraum erst einmal wichtig, sage ich hinausgehen. Wir sehen das jetzt in Sachsen gerade in dop- einmal. Das war – das will ich auch in dieser Runde sagen pelter Bedeutung an zwei Stellen. – eine der schwierigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben; auch das ist nicht zu verhehlen. Wir wissen: Wenn Die zweite Stelle ist die Schweinepest, die bei uns auch Menschen ein Betretungsverbot haben, kann man über be- noch aufgetreten ist und wo die gleichen Personen an der stimmte technischen Medien, die man heute hat, sicher et- gleichen Stelle arbeiten, die sonst im Bereich Covid-19 ar- was machen. Aber das ersetzt bei Weitem nicht den beiten. persönlichen Kontakt. Insofern sieht man, dass die Stärkung der Gesundheitsäm- Da war ich, ehrlich gesagt, sehr erstaunt, dass wir in der ter außerordentlich wichtig ist. letzten Zeit sehr viele positive Möglichkeiten in den Pfle- Der andere Punkt ist die Digitalisierung, auch das ist ein geeinrichtungen gesucht und gefunden haben, mit denen wesentlicher Punkt. Da sind die Gesundheitsämter in Sach- man eben trotz der Auflagen tatsächlich eine Begegnung – sen nicht ganz schlecht aufgestellt. Wir haben ein einheit- ich will noch gar nicht von direkten Besuchen sprechen – liches System. Das können sie jetzt mit den Mitteln, die möglich gemacht hat. vom Bund bereitgestellt werden, verbreitern, vergrößern, In Chemnitz zum Beispiel erinnere ich mich an eine Pfle- verbessern. Wir fangen da nicht von null an. Auch das wird geeinrichtung, die Boxen hergerichtet hat, in die man sich in der nächsten Zeit geschehen. setzen konnte, bei denen man sich sehen und über eine Ple- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Jawohl, vielen xiglasscheibe miteinander sprechen konnte. Ich habe das Dank. Nun erst einmal die Fraktion BÜNDNISGRÜNE. selbst ausprobiert, habe einmal getestet, wie das funktio- Frau Kollegin Kuhfuß an Mikrofon 3, bitte schön. niert. Es gab Einrichtungen, die Gartenhäuschen gekauft haben, wo sich diejenigen treffen konnten. Da gibt es die Kathleen Kuhfuß, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrte unterschiedlichsten Varianten – abgetrennte Bereiche, wo Frau Staatsministerin! Herzlichen Dank erst einmal für den man getrennt hingehen konnte. Es gab sehr viele Möglich- Überblick und Einblick. keiten. Diese lassen wir jetzt natürlich wieder aktivieren, wenn ich das so sagen darf, denn über die Sommermonate Meine Frage bewegt sich noch einmal in Richtung der Pfle- war durchaus mehr möglich. geeinrichtungen. Wir haben uns ja darauf verständigt, dass wir ein absolutes Besuchsverbot so nicht wollen – auch Aber wir wissen eben auch: Bei 39 Einrichtungen – was wenn das hier im Raum vielleicht einige bewerben –, son- nicht die gesamte Anzahl der Pflegeeinrichtungen ist, die dern dass wir den Menschen gerne das Recht auf soziale betroffen sind – bestehen durchaus auch sehr schwierige Kontakte geben wollen, dieses Recht lassen wollen. Dafür Situationen. Wir haben Einrichtungen, wo ein sehr hoher werden sehr viele Anstrengungen unternommen, auch von- Personalanteil positiv getestet wurde und auch eine sehr seiten der Einrichtungen. hohe Anzahl von Bewohnerinnen und Bewohnern. Da bleibt manchmal nichts anderes, als zu sagen: Dort müssen Welchen Regelungsbedarf sehen Sie da noch von Landes- wir ein Betretungsverbot aussprechen. seite? Welche Unterstützung brauchen die Einrichtungen? Welche Unterstützung brauchen vielleicht auch die Ge- Das macht übrigens die Heimeinrichtung selbst. Wir haben sundheitsämter in den Landkreisen und Städten noch von in unserer neuen Verordnung geregelt, dass es kein aus- uns? drückliches Betretungsverbot gibt, sondern dass die Ein- richtungen umfassend prüfen sollen, wie Kontakte in den Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Einrichtungen – natürlich unter Beachtung der Auflagen – sellschaftlichen Zusammenhalt: Die Pflegeeinrichtungen möglich sind. Das ist unsere Maßgabe, die wir gegeben ha- sind besondere Einrichtungen, die wirklich unsere beson- ben. Ich merke schon jetzt wieder ein bisschen, dass die dere Aufmerksamkeit brauchen. Ich habe gerade versucht, meisten Anfragen von den Bürgern eben genau zu diesen die tagesaktuellen Zahlen zu bekommen. Im Moment ha- Einrichtungen kommen: Darf ich denn jetzt wieder einen ben wir – das ist keine vollständige Zahl – unter den fast Besuch machen? Darf ich jetzt wieder nur eine Stunde lang bleiben?

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Wir sprechen wirklich mit den Einrichtungen; auch das ge- wurde heute schon einmal angesprochen. Alles, was wir im hört immer zur Kommunikation dazu. Gerade letzte Woche Bereich Corona unternehmen, passiert den Finanzaus- – nein, es war, glaube ich, sogar diese Woche – hatten wir schuss. Es gibt einfach nichts, was wir frei, locker und le- wieder die Liga da und haben miteinander gesprochen. Je- ger einfach so festlegen und Geld dafür ausgeben würden, der soll sich Gedanken machen, noch Weiteres zu ermögli- sondern alles wird im Finanzausschuss beraten, beschlos- chen und zu verbessern. Das ist die Strategie, die wir sen und festgelegt. Deshalb fühle ich mich immer sicher, fahren: kein Betretungsverbot, sondern eine Ermögli- dass bezüglich der parlamentarischen Beteiligung alles Er- chungshaltung. forderliche getan wird.

Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Nun Zweiter Vizepräsident André Wendt: Jawohl. Vielen die SPD-Fraktion, Frau Kollegin Lang an Mikrofon 3. Dank. Damit haben wir die erste Fragerunde absolviert. Bitte schön. Wir kommen jetzt zur zweiten Fragerunde. Frau Kollegin Kuge von der CDU-Fraktion an Mikrofon 4, bitte schön. Simone Lang, SPD: Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Zu Ihren Ausführungen: Ich würde den Blick auf die Ak- Daniela Kuge, CDU: Aufgrund der neuen Corona-Schutz- teure im Bereich Soziales lenken wollen und habe deshalb maßnahmen sind Treffen über zwei Haushalte hinaus ja die Frage: Wie waren die Rückmeldungen zu den Hilfspro- verboten oder untersagt. Des Weiteren haben wir noch die grammen im Zuge der Corona-Pandemie von den Akteuren Afrikanische Schweinepest in unserem schönen Sachsen. im sozialen Bereich? Wie wurden diese Programme aufge- Jetzt meine Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit mit den nommen? Wurden sie als ausreichend empfunden? Landkreisen und den Jagdverbänden? Wie funktioniert die Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Vorbereitung der Drückjagden? sellschaftlichen Zusammenhalt: Vielen Dank für diese Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Frage. Sachsen war wirklich eines der wenigen Bundeslän- sellschaftlichen Zusammenhalt: Okay, ich habe vorhin ja der, die auf der einen Seite natürlich an die Wirtschaft ge- schon versucht auszuführen, dass im Moment wirklich im- dacht haben, auf der anderen Seite aber auch an unsere mer das gleiche Amt von diesen beiden schwerwiegenden sozialen Akteure. Wir haben für die sozialen Akteure tat- Katastrophen betroffen ist. sächlich eigene Förder- und Unterstützungsprogramme aufgelegt. Schweinepest, das hört sich für den einen oder anderen im- mer so ein bisschen locker an: Na ja, das ist ja nicht so Wenn ich zurückdenke: Wir haben zum Beispiel sehr schlimm. Wir haben jetzt gerade in Görlitz das sogenannte schnell und frühzeitig ermöglicht, dass Kinder- und Ju- Sperrgebiet festgelegt; heute Vormittag hat der Krisenstab gendeinrichtungen entweder gar nicht geschlossen wurden getagt. Wir wissen jetzt also, welches Gebiet tatsächlich oder sehr frühzeitig wieder geöffnet haben, sodass dort, in eingezäunt und abgesperrt werden muss, damit wir in die- den Bereichen, wo Hilfe notwendig ist, tatsächlich auch der sem Gebiet ein Betretungsverbot – so nennt sich das dann persönliche Kontakt immer möglich war. – für diese Zone einrichten können. Dort ist ein entspre- Dann gab es den zweiten Teil: Viele der Vereine und Träger chendes Wildschwein – damit bin ich bei der Prävention – akquirieren über Weiterbildungsveranstaltungen, über geschossen worden. Kontaktveranstaltungen natürlich auch ihre Einnahmen. Das war eine der präventiven Maßnahmen, die wir vorge- Genau für diesen Bereich haben wir Förderprogramme auf- nommen haben und die für die Jäger nicht ohne sind. Die gelegt. Jäger müssen jedes Schwein, das sie schießen, ganz normal Was mir zu Ohren gekommen ist – mir kommt nicht alles zur Beprobung schicken. Dass sie eine Beschau machen zu Ohren, das muss man ja sagen –, war fast ausschließlich müssen, das wissen sie – eine Trichinenuntersuchung. Aber positiv: dass es diese Programme gibt, dass wir in den Pro- dass sie auf der anderen Seite eben tatsächlich auch bepro- grammen Ermöglichungen vorsehen und dass wir dort un- ben müssen, ob das Schwein die Schweinepest hat, ist neu. terstützen. Gleichzeitig kamen wirklich relativ starke Auflagen für das Wir haben in allen Programmen auch noch ein bisschen Entsorgen der Haut des Wildschweins bzw. der Innereien Luft, was die Abrufung der Mittel betrifft, was nicht heißt, hinzu. Normalerweise vergräbt ein Jäger das im Wald. Das dass ich jetzt dazu aufrufe: Ruft mal alle ab! Aber wir wis- konnte er in dieser ganzen Zeit nicht tun. Deswegen haben sen, dass wir gerade in der zweiten Welle sind, weshalb wir im Finanzausschuss und hier im Plenum ja auch schon man vielleicht das eine oder andere Programm eben auch berichtet, dass es die sogenannte Pürzelprämie geben soll, verlängern muss, weil wir erneut in der Situation sind, dass damit der Aufwand, den die Jäger haben, ein Stück weit mit bestimmte Dinge nicht stattfinden können. dieser Aufwandsentschädigung wiedergutgemacht werden kann. Deswegen haben sich die Programme, die wir an dieser Stelle aufgelegt haben, als außerordentlich positiv erwie- Genau dieser Schuss eines Schweines und die Untersu- sen. Wir würden gerne bei dem Programm bleiben. chung haben dazu geführt, dass wir das relativ früh gefun- den haben. Ein geschossenes Schwein ist immer besser zu Damit will ich gleich wieder einen Schlenker zum Stich- finden als ein Schwein, das im Wald verendet. Ein wort „Demokratische Beteiligung“ vornehmen – das Schwein, das im Wald verendet, wird durch andere Tiere 1072 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 angefressen, womit dies eben auch verbreitet werden kann. es mir noch einmal herausgeschrieben – ist die Testverord- Insofern ist das erst einmal positiv, was die Prävention be- nung des Bundes in Kraft getreten. Wir wussten, dass es trifft. einen Schnelltest gibt. Das habe ich im Sozialausschuss ge- Nun haben wir das Thema Drückjagd, was die Jäger betrifft sagt. Wir wussten nur nicht genau, wie er aussieht, was es – dass sie gemeinsam zur Jagd gehen können. Ich kann für Materialien sind. Es gibt nämlich unterschiedliche noch keine endgültige Antwort geben. Wir arbeiten an dem Schnelltests. Deswegen konnten wir erst nach dem 15. Ok- Thema und wollen das möglich machen, weil das ver- tober überhaupt sehen, welcher Schnelltest für die Umset- mehrte Jagen in diesen Territorien außerordentlich wichtig zung infrage kommt. ist. Es gab eine entsprechende Anfrage im Landtag. Wir Ich möchte erklären, wie das Prozedere ist. Alle Pflegeein- wollen die sogenannte Pürzelprämie erweitern auf das ge- richtungen müssen jetzt eine Konzeption erarbeiten – das samte Gebiet Sachsens. sieht die Bundesverordnung vor, das ist nicht meine Erfin- dung –, die sie beim Gesundheitsamt vorlegen. Mit der Das sind die Maßnahmen, die wir in diesem Bereich ver- Vorlage beim Gesundheitsamt können sie die Materialien folgen. Noch einmal: Es sind immer die gleichen Ämter in bestellen. Genau in der Phase sind wir. Wir haben erste den Landratsämtern, die das zurzeit machen. Sie können Pflegeeinrichtungen, die schon Schnelltests machen kön- sich schon vorstellen: Wenn dann wieder Frau Köpping nen. Das sind nur vereinzelte und nicht die große Masse. kommt und eine neue Anordnung verkündet, ist man nicht Die anderen werden in den nächsten Wochen und Tagen die unbedingt immer begeistert, denn eine neue Anordnung be- Möglichkeit erhalten. Wir werden dort systematisch ver- deutet auch Arbeit und braucht Kraft für die Umsetzung. bessern, damit tatsächlich über die Schnelltests – gerade, Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Nun wenn es um Besucherregelungen und Ähnliches geht – die an Mikrofon 7 wieder die AfD-Fraktion. Kollege Schaufel, Möglichkeit besteht, Erleichterungen zu schaffen. Das ist bitte schön. unser Ziel. Dass das nicht alles von heute auf morgen und über Nacht bei so vielen Einrichtungen geht – noch einmal: Frank Schaufel, AfD: Ich denke schon, dass die Alten- 970 allein in Sachsen –, ist, glaube ich, verständlich und und Pflegeheime ein Stück weit im Stich gelassen wurden. nachvollziehbar. Das sind Orte, wo sich die Risikogruppen befinden und die Man kann immer sagen: Ihr hättet das alles vorher wissen meisten Hotspots. Bis heute ist mir von keinem Haus be- müssen. Aber wenn ich bis zum 15. Oktober nicht weiß, kannt, dass Schnelltests eingesetzt würden, abgesehen da- welche Tests angewandt werden, kann ich vorher keine be- von, dass auch der ganze Infektionsschutz sehr verspätet stellen. So einfach ist das. dort eingetroffen ist. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Tests, die im Umlauf Frau Köpping, Sie sagten auch am 14. September 2020 sind, auch Unternehmen besorgen sich welche. Im Übrigen wieder, die Tests stünden kurz vor der Zulassung. Wie ge- wird – auch das darf ich sagen – der Freistaat ebenfalls eine sagt, mir ist nicht bekannt, dass sie eingesetzt würden, im Reserve von Schnelltests anlegen. 100 000 Stück haben Gegenteil. In Kliniken wird das Personal dreimal pro Wo- wir uns vorgenommen. Damit können wir da reagieren, wo che auf Corona getestet, damit da nichts passiert. wir schnell einsatzfähig sein müssen, wo wir schnell agie- Meine Frage: Wie konkret können Sie die Alten- und Pfle- ren müssen. Dort wollen wir helfen. Das Material ist be- geheime hier in ihrer aufopferungsvollen Arbeit unterstüt- stellt. Dort wollen wir unterstützen. Das kann in dem einen zen? oder anderen Fall auch eine Pflegeeinrichtung sein. Ich sage das deswegen, weil es an der Stelle die Eigenverant- Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- wortung gibt und ich nicht für eine Sammelbestellung zu- sellschaftlichen Zusammenhalt: Das eine, wo ich ein ständig bin. Da muss man die Zuständigkeiten wahren, bisschen herunterbremsen möchte, ist, was das Alleinge- weil es letztendlich um Gelder geht, die abzurechnen sind. lassensein betrifft. Das ist nicht der Fall. Wir haben an die Pflegeeinrichtungen Rundschreiben verfasst. Wir hatten Zweiter Vizepräsident André Wendt: Nun die Fraktion sie im Frühjahr schon aufgefordert – was sie im Übrigen DIE LINKE, Frau Kollegin Schaper an Mikrofon 1. Bitte auch schon getan haben –, ihre Pandemiepläne zu erarbei- schön. ten. Jedes Pflegeheim hat einen Katastrophenschutzplan. Das haben sie alle. Aber angepasst auf diese Pandemie Susanne Schaper, DIE LINKE: In der Antwort auf meine musste das natürlich erst erarbeitet werden. Man muss die- Kleine Anfrage zu Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser sen Pandemieplan dann wirklich umsetzen. Er hat ja be- und zum Intensivbettenbonus wurden diese mit dem Ver- stimmte Hygieneauflagen, die darin involviert sind. Er hat weis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht offen- einen Hygienebeauftragten, der darin involviert ist, und, gelegt bzw. dazu keine krankenhausgenauen Angaben und, und. Keine leichte Aufgabe bei dem Personal, das wir gemacht. in Pflegeheimen im Einsatz haben. Das wissen Sie auch. Meine Frage ist: Woher können gesetzlich Versicherte er- Das Zweite ist das Schnelltesten. Das ist wirklich eine Lö- fahren, inwieweit die Beiträge zur Krankenversicherung, sung für die Zukunft, bei der wir glauben, dass wir sehr viel die auch in dem Gesundheitsfonds bzw. der Liquiditätsre- Erleichterung bringen können. Am 15. Oktober – ich habe

1073 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 serve der Krankenkassen enthalten sind, im nächstgelege- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Danke schön. Nun nen Krankenhaus tatsächlich eingesetzt wurden? Wie kön- die Fraktion BÜNDNISGRÜNE, Frau Kuhfuß an Mikro- nen sie das nachvollziehen? fon 3. Bitte schön.

Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Kathleen Kuhfuß, BÜNDNISGRÜNE: Kontaktbe- sellschaftlichen Zusammenhalt: Alle Gelder, die die schränkung, Kontaktbeschränkung, Kontaktbeschränkung Krankenhäuser vom Bund in Anspruch genommen haben, – das ist genau das, was wir mittragen. Das bringt aber ge- sei es die Bettenfreihaltepauschale, seien es die Gelder für rade für Familien, die so schon Schwierigkeiten mit sich das Aufstocken von Intensivkapazitäten, wo man sagen und dem Leben hatten, häufig die Situation, dass man mehr kann, dass wir in Sachsen insgesamt 2 000 Betten auf In- Zeit miteinander verbringt, weil andere Dinge wegfallen. tensivstationen geschaffen haben, werden natürlich ord- Meine Frage ist: Welche Schlussfolgerungen zum Thema nungsgemäß abgerechnet und damit kontrolliert. Es gibt Kinderschutz sind aus der ersten Phase gezogen worden nichts, was eine Einrichtung einfach mitnehmen kann. Wir und was sind die Strategien, um uns in diesem Bereich, der haben dafür gesorgt, dass es immer kontrolliert wird, wenn mir persönlich ein Herzensanliegen ist, gut durch die Krise Gelder von den Krankenhäusern beansprucht wurden, ge- zu bringen? Was sind die Dinge, die dazu jetzt auf der rade bei der Freilenkung von Betten. Das erfolgt systema- Agenda stehen? – Danke. tisch nach und nach. Dass das von den Krankenhäusern nicht offengelegt wird, Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- verstehen Sie sicher. Ich sitze im Aufsichtsrat von zwei sellschaftlichen Zusammenhalt: Was für uns alle sehr Universitätskliniken, wo die Offenlegung erfolgt ist. Da wichtig war, war das Thema der Kitas und Schulen, das kann ich sagen, dass das sehr korrekt abgerechnet wird. heißt, dass sie offen geblieben sind. Wir wissen, dass es im Man kann wirklich Vertrauen haben, dass das, was dort ab- Frühjahr, als wir Kitas und Schulen geschlossen hatten, ein gerechnet wurde, auch eingesetzt worden ist. absoluter Belastungsschwerpunkt für die Eltern war. Na- türlich war es das auch für die Kinder, die ihre sozialen Das werden jetzt alle Krankenhäuser mit sich machen las- Kontakte nicht mehr wahrnehmen konnten. Insofern war sen. Es gibt die Krankenhauskontrollen, die ganz normal und ist es unser oberstes Anliegen, dass Kitas und Schulen angesetzt werden. Dort wird die Abrechnung erfolgen. Da soweit irgendwie möglich geöffnet bleiben. Das ist der hoffen wir wirklich, dass alle Krankenhäuser das Geld ord- erste Punkt, über den man reden muss. nungsgemäß eingesetzt haben. Der zweite ist, dass wir in allen Bereichen in der Kinder- Im Übrigen haben wir jetzt eine besondere Situation. Wir und Jugendhilfe, ob örtliche oder überörtliche Träger, haben momentan – ich habe vorhin die Zahl genannt – circa nichts geschlossen haben. Wir lassen alle diese Bereiche 1 700 Intensivbetten in Sachsen zur Verfügung. Davon geöffnet, damit immer die Möglichkeit gewährleistet ist, sind circa – ich mache es nicht tagesgenau – 1 250 belegt. dass man sich Hilfe und Unterstützung suchen kann. Die Differenz sind die sogenannten freien Kapazitäten. Das heißt, so viel Spielraum haben wir nicht. 9,1 % davon sind Was eingeschränkt ist – das muss man deutlich sagen –, ist mit Corona-Patienten belegt, die übrigen mit anderen das Vereinsleben. Das fängt an bei Musikschulen und geht Schwersterkrankten. weiter bei Vereinssport, bei all diesen Dingen. Da hätte man sagen können: Es ist doch eigentlich in der Vergan- Insofern ist es eine Frage, wie wir jetzt mit der neuen Ver- genheit auch nichts passiert. – Aber da bin ich wieder bei ordnung umgehen, die „Kontaktbeschränkung, Kontaktbe- dem Punkt. Wir wissen eben nur von 25 % der positiv Ge- schränkung, Kontaktbeschränkung“ heißt, damit wir die testeten, wo sie sich anstecken. Wir wissen es von 75 % Kapazitäten so nutzen können, dass wir keine Überbele- eben nicht. Das genau macht es so schwierig. gung bzw. Notsituation in Sachsen bekommen. Deswegen haben wir an den Bund die Bitte gestellt, erneut gezielt und Es gibt viele Gastronomen und Vereine, die hervorragende genau über eine Bettenfreilenkungspauschale nachzuden- Hygienekonzepte erarbeitet haben und nach diesen verfah- ken, weil die Krankenhäuser sonst natürlich in Schwierig- ren. Die sagen: Jetzt werde ich dafür bestraft, weil ich nun keiten kommen, wenn es tatsächlich eine größere Anzahl schließen muss. – Das ist kein Bestrafen. Es ist einfach die von intensiv zu betreuenden Menschen gibt. Möglichkeit der Kontakte, die man damit organisiert. Ich weiß aber auch, dass die Krankenhäuser sehr vorsorg- Hier haben wir gesagt: Lasst uns das jetzt vier Wochen lich arbeiten. Mir haben zum Beispiel die Leipziger Klini- durchhalten. – Ich weiß nicht, ob es dann zu Ende ist. Es ken gesagt, dass sie auf der einen Seite bereits Personal kam vorhin der Hinweis, dass wir heute von vier Wochen ausgebildet haben, das in den Intensivstationen arbeiten sprechen würden, wobei man nicht wüsste, wie lange es kann, um dort die Betreuung vorzunehmen, und auf der an- geht. Ich weiß es auch nicht. Ich habe keine Glaskugel. Es deren Seite Stationen freigelenkt haben, um Menschen, die ist einfach der Versuch, dass wir über diese Art der Kon- zwar nicht auf der Intensivstation, aber im Krankenhaus taktbeschränkungen auf der einen Seite den Bedürfnissen selbst stationiert sein müssen, gut zu betreuen und zu ver- der Kinder, Kita und Schule besuchen zu können, und da- sorgen. mit den Wünschen der Eltern nachkommen, aber auf der

1074 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 anderen Seite die Hilfsprogramme aufrechterhalten, wäh- Außerdem setzen wir uns natürlich immer mit den Ergeb- rend wir im dritten Bereich, bei dem es die Freizeitgestal- nissen auseinander. Deshalb ist es sicher auch für den Aus- tung betrifft, durchaus Einschränkungen machen. schuss für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Darüber, dass das Einschränkungen sind, sind wir uns alle eine wichtige Aufgabe, über diese Zusammenhänge zu ar- bewusst. Aber im Moment habe ich keine andere Lösung beiten. Ich sage ausdrücklich nicht, dass alles, was wir ge- für die Frage, wie wir beim Thema Kontaktbeschränkung tan haben, richtig war. Das kann man im Nachhinein immer in diesem Bereich vorangekommen wären. hinterfragen. Aber wir haben immer das getan, was nach dem Erkenntnisstand der Zeit richtig war, deshalb verän- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Nun die SPD- dern wir auch das eine oder andere, und ich habe immer Fraktion, Frau Kollegin Lang an Mikrofon 3. Bitte schön. Schwierigkeiten damit, wenn man sagt: Sie haben aber im Juli gesagt … Sie haben aber im August gesagt … Das war Simone Lang, SPD: Frau Staatsministerin, Sie führten be- eine andere Zeit. Wir wussten nicht, was im Herbst sein reits aus, wie viele Verordnungen und Maßnahmen getrof- wird – Sie auch nicht. Sie hätten am liebsten die Pandemie fen worden sind. Wir sind alle Lernende in diesem Prozess. Corona für beendet erklärt. Insofern ist das eine Frage, die Deshalb ist meine Frage: Plant die Staatsregierung eine sich entwickelt, und wir müssen uns ein Stück weit ehrlich Aufarbeitung und eine strukturierte Reflexion der Maßnah- machen und dürfen nicht einfach anderen Vorwürfe ma- men und Entwicklungen während der Corona-Pandemie, chen. Wir tun das alle – zum Wohle der Gesundheit und und wenn ja, wie soll diese erfolgen? unseres Landes.

Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Wir sellschaftlichen Zusammenhalt: Es ist ganz klar, dass wir haben noch 8 Minuten. Ich übergebe wieder an die CDU- tatsächlich bei jeder neuen Verordnung reflektieren: Was Fraktion, falls Bedarf angemeldet wird. – Nein. Die AfD- hat gut gewirkt? Wo gab es – ich sage es ganz bewusst – Fraktion? – Jawohl, Herr Kumpf, bitte schön. sehr viele Beschwerden, nicht, weil man jemanden wertet, Mario Kumpf, AfD: Frau Staatsministerin, das Hotel- und der die meisten Beschwerden liefert, sondern weil man sich Gaststättengewerbe hat in vorbildlicher Weise Hygiene- angesehen hat, warum die Beschwerde gestellt worden ist. maßnahmen umgesetzt, es hat Geld investiert und wurde Das ist der Hintergrund, warum wir uns Beschwerden an- auch von den Gesundheitsämtern regelmäßig kontrolliert. sehen. Das ist ein Punkt, an dem wir bei neuen Verordnun- Nun meine Frage: Wie viele lokale Corona-Ausbrüche gen fragen: Wie können wir das an dieser Stelle besser bzw. -Hotspots gab es denn in sächsischen Gastronomie- lösen? Ein Thema haben wir gerade besprochen: das Be- und Hotelleriebetrieben, um die Maßnahmen, die jetzt ak- tretungsverbot für Alten- und Pflegeheime. Das wollen wir tuell sind, zu rechtfertigen? so nicht mehr machen. Ein zweites Thema haben wir ebenfalls gerade besprochen: Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- die Schließung von Kitas und Schulen. Dabei gibt es im sellschaftlichen Zusammenhalt: Ich sage nochmals: Wir Übrigen neue Erkenntnisse. Wir arbeiten in dieser Zeit wissen bei 25 % aller Ausbrüche, woher sie kommen. Dar- auch mit Studien, und der Freistaat hat ebenfalls eine ganze über haben wir heute auch schon oft gesprochen: Familien- Menge Studien aufgelegt. Ich nenne eine, bei der wir über- feiern, manchmal das kleine Dorffest, ein Vereinsfest; prüft haben, ob und unter welchen Umständen Großveran- manchmal war es auch eine Physiotherapeutin, auch das staltungen in geschlossenen Räumen möglich sind. Diese hatten wir. Aus gastronomischen Einrichtungen und Hotels Studie ist in der letzten Woche ausgewertet worden. Es ist ist mir das so nicht bekannt. Aber bei 75 % derer, die posi- eine Studie, die von Sachsen gemeinsam mit Sachsen-An- tiv getestet wurden, wissen wir eben nicht, woher es halt erarbeitet worden ist. Dies tun wir, um auch neue Er- kommt, deshalb weiß ich nicht, ob es von dort kommt. kenntnisse für die Zukunft einfließen zu lassen. Was die Gastronomie und die Hotellerie betrifft, so ist es Noch einmal zu dem Punkt, wie wir die sogenannten vul- uns wirklich schwergefallen, zu sagen, dass sie nicht arbei- nerablen Gruppen schützen. Natürlich machen wir uns Ge- ten dürfen, da dies wirklich ein Bereich ist, der sich in vor- danken darüber, wie wir zum Beispiel für ältere Menschen bildlichster Weise – ich kann Ihre Aussage nur wiederholen bestimmte Möglichkeiten schaffen, damit sie beispiels- – an das, was sie an Hygieneauflagen bekommen haben, weise nicht mit dem ÖPNV fahren müssen, oder dass sie gehalten haben: Sie haben die Abstände eingehalten, sie beim Einkaufen bestimmte Zeiten bevorzugt angeboten be- haben Filteranlagen gekauft, sie haben ihr Personal ge- kommen. Dabei geht es um Möglichkeiten, die man sucht; schult. Wir wissen immer, dass es auch ein paar Einzelne und dies tun wir. Oder auch, dass Bundesminister Spahn gab, die dies nicht getan haben. Das ist in allen Bereichen jetzt FFP2-Masken verschicken will. Auch solche Dinge so; es ist auch kein Vorwurf. werden angefasst. Das sind Lehren aus der vergangenen Deshalb sagte der Ministerpräsident heute zu Recht, es Zeit, dass man auf der einen Seite fragt, was wir ermögli- gehe nicht um Schuldzuweisungen, wenn man etwas chen können, und auf der anderen Seite: Wie schützen wir schließt, sondern darum, dass wir etwas tun müssen, um besonders vulnerable Gruppen? Das ist es, was wir aus der Kontakte zu verhindern und zu vermeiden. Dazu brauchten Vergangenheit gelernt haben. wir eigentlich ein 80-prozentiges Herunterfahren unserer

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Kontakte. Dabei müssen wir mit bestimmten Bereichen be- Simone Lang, SPD: Frau Staatsministerin, wir hatten zu ginnen, deshalb haben wir diese Bereiche gewählt – und Beginn schon einmal auf die Hilfsprogramme hingewiesen nicht, weil die Gastronomie oder die Hotelwirtschaft in ir- bzw. gefragt, wie sie gelaufen seien. Mich würde vielmehr gendeiner Form das, was wir an Auflagen erteilt haben, interessieren – Sie sagten zwar, Sie hätten keine Glaskugel nicht eingehalten hätten. –: Wird es weitere Bedarfe für Hilfsmaßnahmen im sozia- Deshalb noch einmal an dieser Stelle: Ich hatte in dieser len Bereich für 2021 geben? Sind diese nötig, und wie Woche ein Gespräch mit der DEHOGA. Wir haben uns hoch, schätzen Sie ein, könnte die Summe ausfallen? verständigt und miteinander gesprochen. Es ist wichtig, Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- dass man miteinander spricht und erklärt und nicht gegen- sellschaftlichen Zusammenhalt: Die genaue Summe einander ausspielt: Der darf öffnen und der nicht. Gerech- kann ich noch nicht nennen, weil ich nicht weiß, wie lange tigkeit gibt es in einer Krise nicht, aber wir haben Varianten wir diese Unterstützung und Hilfe für die einzelnen Vereine und Möglichkeiten gesucht, um die Kontaktbeschränkun- und Organisationen benötigen, da wir auch noch nicht wis- gen einzuschränken. Wir wissen, dass im Gastronomiebe- sen, was wir nach einer bestimmten Zeit wieder ermögli- reich Alkohol im Spiel ist. Das ist kein Geheimnis, und es chen können. – Das ist das eine. ist auch in Ordnung, wenn es in einem gesunden Maße ist. Insofern haben wir gesagt: Diese Bereiche sind es. Das ist Das andere ist, dass die Programme, die wir aufgelegt ha- in der Ministerpräsidentenrunde mit der Bundeskanzlerin ben, durchaus noch gewisse finanzielle Möglichkeiten bie- beschlossen worden. ten. Diese sollten wir ausschöpfen, wenn es notwendig ist. Dazu ist es an der einen oder anderen Stelle nötig, dass man Zweiter Vizepräsident André Wendt: Die Fraktion DIE das Programm verlängert bzw. mit der alten Form neu auf- LINKE, Kollegin Schaper. legt. Es gibt aber auch Programme, die noch laufen und bei denen man weiterhin Anträge stellen kann. Susanne Schaper, DIE LINKE: Vielen Dank. Sie er- wähnten, dass Herr Spahn in Erwägung ziehe, FFP2-Mas- Was jedoch Fakt ist – damit sind wir beim Thema Digitali- ken an vulnerable Gruppen zu verschicken. Meine Frage sierung, das auch in den Haushaltsberatungen eine große lautet: Inwieweit kann der Freistaat Sachsen im öffentli- Rolle spielt –: Die Digitalisierung, auch für Vereine und chen Nahverkehr bzw. auch bei Berufsgruppen unterstüt- gerade in der Kinder- und Jugendarbeit, ist unglaublich zen, die vielleicht nicht in der Medizinbranche tätig sind, wichtig, dass man dort mit Laptops und allen möglichen aber dennoch gezwungen – „gezwungen“ meine ich nicht medialen Angeboten arbeiten kann. Dies hat sich gerade in im negativen Sinne –, acht, neun oder zehn Stunden die der Pandemie gezeigt. Viele Sozialarbeiterinnen und Sozi- Maske zu tragen, dass diese ausreichend zur Verfügung ge- alarbeiter haben diese aus ihrem privaten Bereich genutzt. stellt werden, bzw. sie unter Umständen sogar FFP2- oder Aber wenn wir dort verstärken, dann können wir auch für FFP3-Masken zur Verfügung gestellt bekommen? Gibt es die Zukunft – gerade für den ländlichen Raum – ein ganz dafür Pläne? anderes Angebot vorhalten, als wir es in der Vergangenheit hatten. Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- Es ist eine positive Lehre aus dieser Zeit, dass die Digitali- sellschaftlichen Zusammenhalt: Wir sind in der Tat ge- sierung auch in der Kinder- und Jugendhilfe in diesen Be- rade dabei, eine Art Konzeption – eine Art, weil sie von reichen eine gute Alternative sein kann – kein Ersatz, aber vielen Seiten noch einmal verändert oder hinterfragt wer- eine gute Alternative. Dabei gibt es durchaus finanzielle den kann – zu erarbeiten, wie wir gerade vulnerable Grup- Anfragen, die wir in diesen Bereichen haben – diese liegen pen schützen können. Dazu gehört auch so etwas. Vom schon bei circa 30 Millionen Euro – und bei denen es um ÖPNV habe ich bereits gesprochen, aber auch, dass man die Ausstattung und Vernetzung der einzelnen Angebote ein Angebot einer FF2-Maske oder Ähnliches macht, bei- geht. Darüber werden wir in der Perspektive ebenfalls spre- spielsweise zum Einkaufengehen. Genau darüber denken chen müssen. wir nach. Sehen Sie es mir nach, dass ich noch nicht ganz so weit bin. Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Nun Alles, was wir tun, hat auch mit viel Geld zu tun. Deshalb haben wir noch 2 Minuten. Eine kurze Frage und eine müssen wir das genau überlegen, genau besprechen und kurze Antwort bekommen wir noch hin. Die CDU hat Ver- abwägen. Wir haben morgen noch einmal die Obleu- zicht angemeldet. Die AfD wäre jetzt an der Reihe. Herr terunde, und ich werde einige Worte dazu sagen, um einmal Schaufel, die letzte Frage für den heutigen Tag. Bitte kurz das Modell vorzustellen – denn mehr ist es noch nicht –, und bündig. um dann darüber zu entscheiden, was wir in diesen Berei- Frank Schaufel, AfD: Ich habe noch eine kurze Nach- chen tun können. frage: Wurde die Quarantäneverordnung überarbeitet? Im Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank. Nun Hinblick auf die Wirtschaftslage wäre es sicher sinnvoll, die Fraktion BÜNDNISGRÜNE, wenn noch Bedarf be- wenn die Quarantäne statt zwei nur noch eine Woche dau- steht. – Nicht. Die SPD-Fraktion? – Frau Lang, bitte schön. ern würde. Das schafft man, indem man in der ersten Wo- che zwei oder drei Testungen durchführt.

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Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Ge- einen Unterschied. Genauso testen Ärzte sehr viel, sodass sellschaftlichen Zusammenhalt: Die Hygieneverordnung man jetzt zum Beispiel bei einer einfachen Erkältung nicht wurde angepasst; und da Sie das Testen ansprachen, lassen mehr testet, sondern es muss weitere Symptome geben. Sie mich noch sagen: Wir haben im Moment außerordent- Das wird neu sein, da wir es sonst einfach nicht mehr schaf- liche Probleme, die vielen Tests, die wir in Sachsen durch- fen. So ehrlich muss man auch sein. führen, überhaupt zu bewältigen. Wir haben in der letzten Mehr als 10 000 Tests in Sachsen pro Tag, um es noch ein- Woche an jedem Tag fast 10 000 Tests durchgeführt. Das mal zu betonen, sind schon eine Größenordnung. Dort können wir nicht mehr umsetzen. kommen wir nicht hinterher. Deswegen muss das überar- Es sind auf der einen Seite die Materialien, die dazugehö- beitet werden, und dabei sind wir gerade. ren – das werden Sie in den nächsten Tagen hören; gut, dass Sie die Frage gestellt haben –, die an allen Orten fehlen. Zweiter Vizepräsident André Wendt: Vielen Dank, Frau Wir haben in Deutschland ungefähr 100 000 Testrück- Staatsministerin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, stände zu verzeichnen. Heute hat Herr Spahn eine neue die Zeitdauer der Befragung der Staatsregierung ist abge- Teststrategie vorgestellt, die wir umsetzen: dass jemand, laufen. Der Tagesordnungspunkt ist damit beendet. – der eine direkte Kontaktperson ersten Grades war, zwar in Danke schön, Frau Staatsministerin. Quarantäne geschickt, aber nicht unbedingt getestet wird. Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Dabei gibt es also auch noch einmal eine Abwägung und

Tagesordnungspunkt 6 – Parlamentarische Kontrolle gemäß Artikel 13 Abs. 6 GG i. V. m. § 2 Sächsisches Kontrollgesetz Bericht über die im Freistaat Sachsen im Kalenderjahr 2019 durchgeführten Maßnahmen Drucksache 7/2958, Unterrichtung durch das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung

Drucksache 7/4242, Beschlussempfehlung des Parlamentarischen Kontrollgremiums – Parlamentarische Kontrolle gemäß § 2 Satz 1 Sächsisches Kontrollgesetz aF von Maßnahmen der Überwachung von Wohnungen nach § 41 Abs. 1 Sächsisches Polizeigesetz und gemäß § 2 Satz 2 Sächsisches Kontrollgesetz aF von polizeilichen Maßnahmen unter Einsatz besonderer Mittel gemäß § 38 Abs. 1 Sächsisches Polizeigesetz Bericht über im Kalenderjahr 2019 abgeschlossene Maßnahmen Drucksache 7/3037, Unterrichtung durch das Sächsische Staatsministerium des Innern

Drucksache 7/4243, Beschlussempfehlung des Parlamentarischen Kontrollgremiums

Meine Damen und Herren, es ist keine Aussprache vorge- Dank. Stimmenthaltungen? – Keine. Somit wurde der Be- sehen. Wünscht dennoch der Berichterstatter des Parla- schlussempfehlung einstimmig zugestimmt. mentarischen Kontrollgremiums, Herr Lippmann, oder ein Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfeh- anderer Abgeordneter das Wort? – Das sehe ich nicht. lung in der Drucksache 7/4243. Ich bitte bei Zustimmung Damit kommen wir zu den Abstimmungen über die um Ihr Handzeichen – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Beschlussempfehlungen des Parlamentarischen Kontroll- Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Sehe ich nicht. Somit gremiums. ist dieser Beschlussempfehlung ebenfalls einstimmig zuge- Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung in der stimmt worden. Der Tagesordnungspunkt ist beendet. Drucksache 7/4242. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Vielen nun zum

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Tagesordnungspunkt 7 Jahresbericht 2019 Drucksache 7/300, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof

Drucksache 7/4286, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Das Präsidium hat dafür eine Redezeit von 10 Minuten je gierung und nicht so prominent wie die Verfassungsge- Fraktion festgelegt. Gleiche Redezeit gilt für die Staatsre- richte. Aber für die Statik unserer Republik, unseres Staa- gierung und den Präsidenten des Sächsischen Rechnungs- tes ist er unverzichtbar.“ hofs. Die Reihenfolge in der ersten Runde: der Präsident Gestatten Sie einige wenige Anmerkungen zum Jahresbe- des Sächsischen Rechnungshofs, danach CDU, AfD, DIE richt 2019. Nach der Haushaltsrechnungsprüfung für das LINKE, BÜNDNISGRÜNE, SPD und Staatsregierung, Haushaltsjahr 2017 bestätigen wir insgesamt eine ord- wenn gewünscht. nungsgemäße Haushalts- und Wirtschaftsführung. Die Vor der Aussprache frage ich den Berichterstatter des Aus- Haushaltssituation war ausgewogen, und die Gesamtaus- schusses Herrn Dietrich, ob er das Wort ergreifen möchte. gaben in Höhe von rund 18,6 Milliarden Euro waren durch – Das sehe ich nicht. Dann übergebe ich jetzt an Herrn Prof. verfügbare Einnahmen gedeckt. Der Entlastung der Staats- Dr. Binus. Herr Professor, bitte schön. regierung steht aus unserer Sicht nichts entgegen.

Prof. Dr. Karl-Heinz Binus, Präsident des Sächsischen Im Haushaltsjahr 2017 blieben die Investitionsausgaben Rechnungshofs: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr trotz hoher Steuereinnahmen unter den Haushaltsansätzen. geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Für den Der Freistaat gab 300 Millionen Euro weniger als geplant 313 Jahre alten und vor 29 Jahren wieder errichteten Säch- für Investitionen aus. Seit dem Jahr 2001 hat sich die In- sischen Rechnungshof ist der heutige Augenblick so etwas vestitionsquote von 26 % auf 13,3 % nahezu halbiert. Ähnliches wie ein neuer Sonnenaufgang. Der Präsident des Wir haben uns in der Vergangenheit nicht nur mit Neuin- Rechnungshofs hat erstmals die Möglichkeit, dem Hohen vestitionen, sondern auch mit der Werthaltung der vorhan- Haus einige Grundzüge des heute abschließenden Jahres- denen Infrastruktur befasst. Die Mittelbereitstellung in berichtes 2019 unmittelbar vorzustellen. Höhe der Abschreibungen gilt als ein rationales Maß für (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, eine erforderliche Werthaltung. Dies wurde in der Vergan- genheit nie erreicht. der SPD und vereinzelt bei der AfD) Die Personalausgaben müssen in Bezug auf die haushalts- Für die diesbezügliche Änderung der Geschäftsordnung wirtschaftliche Tragfähigkeit in den Blick genommen wer- möchte ich Ihnen von ganzem Herzen danken. den. Der Planansatz für Personal wurde innerhalb von vier Die unabhängige Finanzkontrolle verschafft der öffentli- Jahren um nahezu eine Milliarde Euro erhöht. Die Perso- chen Haushaltswirtschaft eine wesentliche Legitimation: nalausgaben steigen stärker als der Gesamthaushalt. Rund Haushaltstransparenz und Berichte über den Umgang mit 40 % der Ausgaben sind für das Personal gebunden. Steuergeldern entsprechend der Verantwortung gegenüber Nicht alle Einnahmen und Ausgaben sind im Kernhaushalt den Bürgerinnen und Bürgern. Für das Gemeinwesen hat abgebildet. Es gibt zahlreiche Nebenhaushalte, was die die Prüfung auch eine einfache wirtschaftswissenschaftli- Transparenz deutlich einschränkt. Die Zuschüsse und Zu- che Basis. Für kommunale oder staatliche Leistungen und führungen betrugen 3,8 Milliarden Euro; zum Vergleich: Produkte gibt es keine Marktpreise und damit keine ver- Im Jahre 2010 war es eine Milliarde Euro weniger. fügbaren Marktinformationen. Die Bürgerinnen und Bür- ger verfügen auch nicht regelmäßig über Alternativen zum Das Finanzministerium prognostiziert für das Jahr 2022 Leistungsbezug, das heißt, der Staat oder Kommunen sind eine kommunale Zuweisungsquote in Höhe von 34,6 %. für viele Bereiche Oligopolisten oder Monopolisten. Wenn dann 42 % für Personalausgaben gebunden sind, ver- bleiben 23 % für alle sonstigen bundes- und landesgesetz- Der Rechnungshof prüft die sachliche Richtigkeit der öf- lichen Leistungen: für die Umsetzung von Förder- fentlichen Rechnungslegung sowie die Haushalts- und programmen, die Durchführung landeseigener Investitio- Wirtschaftsführung der staatlichen und kommunalen Kör- nen, für Werterhaltung und eigene sonstige Verwaltungs- perschaften. Schließlich legt der Rechnungshof eine unab- ausgaben. hängige Analyse der Haushaltswirtschaft vor. Aufgrund dieser Entwicklung sowie aufgrund des ge- Der deutsche Altbundespräsident Joachim Gauck hat das dämpften Wachstums der Steuereinnahmen empfehlen wir Aufgabenfeld des Rechnungshofs treffend wie folgt be- ein Umdenken aller, die am Haushaltsprozess beteiligt sind schrieben – ich zitiere –: „Der Rechnungshof ist ein Pfeiler, und Verantwortung tragen. Die Berechnungen zum der manchmal übersehen wird, gewiss: Er ist nicht so Jahr 2022 führen zu keinem anderen Ergebnis. mächtig wie die Parlamente, nicht so präsent wie die Re- Aus Zeitgründen möchte ich aus der Vielzahl der Beiträge nur zwei Probleme ansprechen. Das IT-Verfahren SaxMBS

1078 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 war nicht mehr zeitgemäß. Erhebliche Mängel bestanden nen, Erkenntnisse können positive Veränderungen bewir- in der Informationssicherheit. Im Ergebnis der Prüfung ken. Mit Oscar Wilde gilt zu bedenken: Was uns als eine wurden die Informationssicherheit verbessert und die Pass- schwere Prüfung erscheint, erweist sich oft als Segen. wortkriterien angepasst. Allerdings ist die Ablösung des al- Herzlichen Dank. ten Verfahrens erst für das Jahr 2025 vorgesehen. (Beifall bei allen Fraktionen Einem zweiten Thema der Erfolgskontrolle bei den Zu- und der Staatsregierung) wendungen wird oft zu wenig Beachtung geschenkt. Der Erfolg der Förderprogramme ist nicht belegt oder belegbar. Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: Grundlagen müssen bereits mit den Förderkonzepten, den Das war der Präsident des Sächsischen Rechnungshofs, Richtlinien und den Zuwendungsverfahren geschaffen Prof. Binus. Ich bitte jetzt als Nächsten für die CDU-Frak- werden. tion Herrn Dietrich; bitte. Einige Anmerkungen aus unserer Kommunalprüfung. Wir Eric Dietrich, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! sind für 1 362 Körperschaften und Einrichtungen zustän- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr dig. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind nach Prof. Binus! Wir sprechen heute über den Jahresbericht wie vor deutlich. Einnahmen aus kommunalen Steuern be- 2019 des Sächsischen Rechnungshofs – einen Bericht, in trugen 2018 in Sachsen 877 Euro pro Kopf, in den Flächen- dem der Rechnungshof das Haushaltsjahr 2017 geprüft hat. ländern West 1 409 Euro pro Kopf. Das widerspiegelt sich Viele von Ihnen kennen derartige Beratungen – für mich auch in den Investitionsquoten. Abschreibungen, die aus und einige andere neue Abgeordnete ist es allerdings die dem doppischen Jahresabschluss ersichtlich wären, sind erste Befassung mit dem Rechnungshofbericht. ein wesentlicher Indikator für Werterhaltung und Investiti- onsbedarf. Jahresabschlüsse fehlen nach wie vor. Für die Ich möchte deshalb zu Beginn der heutigen Aussprache, Jahre 2007 bis 2017 lag rund ein Drittel der Jahresab- aber auch, weil es die erste Befassung in der neuen Legis- schlüsse vor. laturperiode ist, noch einmal auf die bisherigen Behauptun- gen eingehen. Ein erheblicher Anteil der kommunalen Aufgabenerfüllung ist ausgelagert, aber es fehlt ein Gesamtabschluss. Damit Der Sächsische Rechnungshof prüft als unabhängige Kon- fehlen Übersichten zu den gesamten Schulden und zu den trollinstitution die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Haftungsrisiken. Freistaates. Erstmals ist auch die überörtliche Kommunal- Aus diesem Grund unser nochmaliger dringender Ruf an prüfung, die der Rechnungshof für die Gemeinden und den Gesetzgeber: Der verpflichtende Gesamtabschluss Landkreise durchführt, mit in diesem einen Band enthalten sollte unbedingt in Betracht gezogen werden. und nicht separat erschienen. Auf fast 370 Seiten in 37 Bei- trägen hat der Rechnungshof viele Themen des Verwal- Meine sehr geehrten Damen und Herren, einem Rech- tungshandelns genau beleuchtet, hinterfragt und teilweise nungshof steht nur das mahnende Wort zur Verfügung. Ein Empfehlungen ausgesprochen. Rechnungshof ist im Gegensatz zu einer Aufsichtsbehörde, Nach dem Beginn der Beratungen im Frühjahr haben wir die er wegen seiner Unabhängigkeit eben nicht ist, darauf uns als CDU-Fraktion intensiv mit den einzelnen Beiträgen angewiesen, dass seine Anmerkungen durch andere aufge- auseinandergesetzt. Wir haben die geprüften Ministerien griffen und in Maßnahmen verwandelt werden. zu den einzelnen Themen befragt und deren ausführliche (André Barth, AfD: Leider!) schriftliche Stellungnahmen ausgewertet. Im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir dann nach eingehender Ich selbst empfinde die Reaktionen auf dieses Anmahnen Diskussion entschieden, wie wir mit den 37 Beiträgen um- durch unseren Rechnungshof manchmal so, wie es der gehen. 1813 in Leipzig geborene Kommunist, Dramatiker und Dichter Richard Wagner einst beschrieben hat – ich zitiere Das Ergebnis ist die heute zur Abstimmung stehende ge- –: „Dass wir alle unbekümmert um Erfolg das tun, was wir sammelte Beschlussempfehlung. Dabei haben wir mehr- für gut erkannt haben, das ist gewiss unsere Parole. Ob heitlich wie folgt entschieden: Wir sind neunmal den Fanfare dazu geblasen oder Katzenmusik gemacht oder tot- Ausführungen des Rechnungshofs gefolgt, also beigetre- schweigend beobachtet wird, muss uns einerlei sein.“ ten, 17-mal konnten wir die Ausführungen zustimmend zur Kenntnis nehmen und einem großen Teil auch deshalb fol- Allerdings bleibt zu wünschen, dass unsere Prüfungsbe- gen, weil die Verwaltung die Anregung teilweise schon richte als das verstanden werden, was sie sind: ein verfas- umgesetzt hatte. Nur elfmal haben wir in diesem Jahr eine sungsgemäßer Ausdruck der Selbstverpflichtung des andere Sicht auf die Sachverhalte gehabt und die Berichte Staates, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu handeln. nur zur Kenntnis genommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht kann man die wirtschaftswissenschaftliche Erklärung von Prü- Die in diesem Jahr sehr wohlwollenden Voten des Haus- fungen noch durch eine physikalisch-philosophische er- halts- und Finanzausschusses zeigen auch, wie sehr der gänzen: Prüfung erzeugt Friktion, Friktion erzeugt Energie, Sächsische Landtag die Prüfung des Rechnungshofs wert- Energie führt zu Licht, Licht lässt Erkenntnisse aufschei- schätzt. Wir hatten aufgrund der vielen Hinweise im Be- richt die Möglichkeit, Themen zu hinterfragen, die uns

1079 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 sonst vielleicht nicht aufgefallen wären. Der Bericht unter- stellte Herr Prof. Binus den Jahresbericht 2019 der Öffent- stützt uns Abgeordnete damit bei unserer Aufgabe, die Exe- lichkeit vor und für diese Sisyphusarbeit, die eine Vielzahl kutive zu kontrollieren. Das zeigt, wie wichtig und von Problemen auf den Punkt bringt, danken wir Ihnen, unerlässlich die Arbeit des Sächsischen Rechnungshofs für Herr Prof. Binus, und Ihren Mitarbeitern sehr herzlich. unsere Demokratie ist. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU und In diesem Bericht erkannte der Rechnungshof als wesent- des Abg. Dirk Panter, SPD) liche Herausforderung der kommenden Jahre für den Frei- Der Bericht prüft nicht nur kritisch die Vergangenheit, son- staat Sachsen die steigenden Personalausgaben – wir haben dern gibt uns auch die Möglichkeit, Auswirkungen auf die es vorhin gehört – und den Generationenwechsel in der kommenden Jahre abzuleiten, so zum Beispiel beim Thema Verwaltung. Der Rechnungshof befürchtet, dass die Um- Investitionsquote. Herr Prof. Binus, Sie hatten es ange- setzung des Lehrerpaketes weitere Finanzanreize der Per- sprochen: Der Rechnungshof – so interpretiere ich es – lobt sonalgewinnung in der Landesverwaltung wecken könnte. uns für die hohe Investitionsquote von 14,7 %. Das war Dies werde auch in den kommenden Jahren zu weiter stei- 2017 immerhin die höchste Investitionsquote aller Bundes- genden Personalausgaben führen – und das bei sinkenden länder; das muss man sich einmal vor Augen führen. Er Einnahmen –, die Zukunftsfähigkeit des Haushaltes ge- mahnt aber dennoch – Herr Binus hat es angesprochen –, fährden und zwangsläufig zu einem Rückgang der Investi- dass steigende Ausgabeverpflichtungen, zum Beispiel stei- tionen führen. Aber die Warnungen des Rechnungshofs – gende Personalausgaben, diese hohe Investitionsquote und der Freistaat Sachsen sei auch auf eine kommende Rezes- damit auch unseren Gestaltungsspielraum als Haushaltsge- sion nicht ausreichend vorbereitet – verhallen und sind bei setzgeber gefährden könnten. der Staatsregierung und der Regierungskoalition offenbar Trotz aller punktuellen Kritik und Einzelprüfung will ich auf taube Ohren gestoßen. zwei grundlegende Aussagen des Berichts erwähnen. Zum Sie haben Geld ausgegeben, als wenn es kein Morgen gäbe. einen bescheinigt der Rechnungshof der Staatsregierung Allein 2,6 Milliarden Euro für Asyl und Integration seit für das Haushaltsjahr 2017 eine ordnungsgemäße Haus- 2015. Für die Gewinnung von Lehrkräften sind bis 2023 haltsführung. Auf dieser Basis empfiehlt der Haushalts- 1,7 Milliarden Euro vorgesehen. Als Krönung wollte die und Finanzausschuss den Abgeordneten dann im nächsten neue Regierungskoalition 1,1 Milliarden Euro für die zu- Tagesordnungspunkt auch die Entlastung der Staatsregie- sätzlichen Wünsche der Koalition in den nächsten fünf Jah- rung. Zum anderen hebt Herr Prof. Binus im Vorbericht ren ausgeben. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag. hervor, dass der Freistaat Sachsen so gut wie noch nie in Diese Ausgabenorgien werden bei der Bekämpfung der seiner Geschichte dastand – für mich ein Ergebnis einer so- Auswirkungen der von der Staatsregierung verhängten liden und vorausschauenden Haushalts- und Finanzpolitik Maßnahmen gegen Corona noch übertroffen. Statt Ein- in den vergangenen 30 Jahren, die wir gern auch in der Zu- schnitten in anderen Bereichen soll es dagegen Kreditauf- kunft – mit Ihrer Unterstützung, Herr Prof. Binus, bzw. der nahmen in bisher nicht vorstellbarer Höhe geben. Eine Unterstützung des Rechnungshofs – weiter fortsetzen solche Entwicklung war vorhersehbar, weil die Staatsregie- möchten. rung und die Regierungskoalitionen die Landesfinanzen in Sehr geehrter Herr Prof. Binus, Sie schreiben im Vorwort: den vergangenen Jahren in diese Sackgasse manövriert ha- Jahresberichte sollen Fehler aufzeigen, Diskussionen anre- ben. gen und zum Umdenken auffordern. Das hat auch dieser Für langfristig solide Finanzen in Sachsen fehlt es nach An- Bericht wieder geschafft. Die CDU-Fraktion – und ich sicht des Rechnungshofs an drei Dingen: Erstens, an einer denke, auch alle anderen Abgeordneten – bedankt sich bei Leitlinie für eine ganzheitliche Personalentwicklung. Ihnen und Ihrem Kollegium für die geleistete Arbeit, für Zweitens, an einer stetigen Investitionsplanung und, drit- die wahrgenommene Kontrollfunktion der Staatsregierung tens, an Strategien zur Risikoabwehr. Haushaltsrisiken und und für die Hinweise, die Sie uns damit gegeben haben. die erforderlichen Vorsorgemaßnahmen wurden von Ihnen, Vielen Dank. sehr geehrte Staatsregierung, vollkommen ausgeblendet. Ihre Konzeptlosigkeit tritt auch in der Förderpolitik des (Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, Freistaates Sachsen deutlich zutage. Bei der Prüfung von der SPD und der Staatsregierung) allein sieben Förderprogrammen in drei Beiträgen zum Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: Jahresbericht kritisierte der Rechnungshof, dass zu fünf Vielen Dank an Herrn Dietrich für die CDU-Fraktion. Jetzt von sieben dieser Förderprogramme kein Förderkonzept bitte ich Herrn Barth für die AfD-Fraktion. vorlag, obwohl dies Voraussetzung für die Bereitstellung der Gelder gewesen sei. André Barth, AfD: Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Für die weiteren Förderprogramme, für die Förderkonzepte Prof. Binus! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! vorlagen, fehlte es an messbaren Zielgrößen oder diese wa- Die heutige Debatte im Landtag zum Rechnungshofbericht ren einer Erfolgskontrolle gänzlich ungeeignet. Mangels 2019 ist der Abschluss eines circa einjährigen Verfahrens, der erforderlichen Voraussetzungen war eine Erfolgskon- welches am 9. September 2019 begann. An diesem Tag

1080 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 trolle von vornherein zum Scheitern verurteilt. In den meis- Im Landesamt für Straßenbau und Verkehr gab es nicht ein- ten Fällen war sie nicht einmal vorgesehen. Das Schlimme mal eine zuständige Stelle, die zur Annahme von Beloh- daran ist, dass dies nicht das erste Mal war, dass die Staats- nungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen bestimmt ist. regierung auf diese gravierenden Mängel aufmerksam ge- Den sogenannten Anfüllungen von Firmen, die sich davon macht worden ist. Ganz im Gegenteil. Der Rechnungshof einen Vorteil versprechen, war damit Tür und Tor weit ge- muss dies in jedem Bericht in den vergangenen Jahren bei öffnet. Wenn ich daran denke, dass das Landesamt für Stra- der Prüfung von Förderprogrammen feststellen. Leider ßenbau für Maßnahmen des Freistaates zuständig ist und passiert daraufhin nichts oder nicht viel. für diesen Zweck zwischen 300 und 400 Millionen Euro Ein weiteres Schlaglicht auf die mangelnde Regierungsar- jährlich zur Verfügung stehen, bin ich mir sicher, hier be- beit liefert auch der Beitrag des Jahresberichts zur Image- steht dringender Handlungsbedarf. kampagne „So geht sächsisch“. Einen Tag nach Vorstellung (Beifall bei der AfD) des Jahresberichts titelte die Morgenpost „Rechnungshof nimmt Kampagne auseinander“. Der Rechnungshof kriti- Wie handeln Sie jedoch? – Auf unseren Antrag, Ihre eige- siert vorrangig, dass die Zielstellung der Kampagne weit- nen Regeln zur Korruptionsbekämpfung bitte ernst zu neh- gehend im Nebel liege. Wie bei einer Werbemaßnahme men, wurde uns hier im Plenum entgegengehalten: Die müsse vorher die Frage gestellt und beantwortet werden, Staatsregierung sei im fünften Jahr nach dem Erlass der wer zu welchem für den Freistaat Sachsen volkswirtschaft- Richtlinie fleißig an der Umsetzung und es brauche unse- lich angestrebten Verhalten veranlasst werden soll. Im ren überflüssigen Antrag nicht. Im vergangenen Monat Klartext: Worin liegt der angestrebte Nutzen für den Frei- wollte ich wissen, wie fleißig die Staatsregierung war. Ich staat und seine Bürger? – Der Freistaat hat bis Ende 2019 war voller Freude, endlich einmal eine Erfolgsmeldung fast 50 Millionen Euro für die Kampagne ausgegeben. von der Staatsregierung zu hören. Leider war ich bitter ent- täuscht. Die überwiegende Anzahl der abgefragten Behör- Wenn so viele Steuergelder ausgegeben werden, stellen den hat die Richtlinie immer noch nicht vollständig sich die Fragen: Was will die Regierung damit erreichen? umgesetzt. Oder auch: Was hat sie erreicht? – Wir können den Nutzen Der Gipfel war jedoch für mich: Der Rechnungshof kriti- der Kampagne nicht erkennen. Es genügt uns nicht, den sierte, die Behörde gelobte Besserung und bis heute ist Freistaat Sachsen national und international bekannter zu nichts umgesetzt, wie meine weitere Kleine Anfrage zeigte. machen. Das ist nichts Greifbares und vielmehr steht der Zu diesen Behörden gehört das Wirtschaftsministerium Erfolg nicht im Verhältnis zu den Ausgaben in Höhe von und das Landesamt für Straßenbau. In seiner Stellung- fast 50 Millionen Euro. nahme zum Beitrag des Rechnungshofs hat das Wirt- Meine persönliche Krönung des diesjährigen Rechnungs- schaftsministerium uns mitgeteilt, welche Einzelmaß- hofberichts ist allerdings Beitrag Nummer 17 mit der Über- nahmen umgesetzt werden sollen. Bei den entscheidenden schrift „Korruptionsbekämpfung im Geschäftsbereich des Arbeiten ist jedoch bis heute nichts passiert. Absolut Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Ar- nichts. beit“. Meine Damen und Herren, dazu gibt es folgenden Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Hintergrund: Im Dezember 2015 gibt die Regierung den ihr Sechs Jahre nach Erlass der Richtlinie setzt die Verwaltung unterstellten Behörden modernere Regelungen zur präven- die Richtlinie der eigenen Staatsregierung nicht um. Der tiven und repressiven Korruptionsbekämpfung vor. Da- Einwand im Januar, dass es dafür keine Frist gebe und die nach sollten die Behörden der Korruptionsgefahr in drei Verwaltung noch später tätig werden könne, ist nichts wei- Schritten vorbeugen. Erstens, Feststellung korruptionsge- ter als billige Ausrede. Die Verwaltungsvorschrift ist am fährdender Arbeitsplätze, zweitens, Analyse des Gefähr- 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt ist dungsgrades ihrer Arbeitsplätze und drittens, Ergreifung sie umzusetzen und nicht erst fünf oder zehn Jahre später. gezielter Maßnahmen zur Vorbeugung. Bei diesem Theater muss sich der Bürger fragen: Hört die Welche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung haben Verwaltung noch auf die eigene Regierung? Weiß die Re- die Behörden des Freistaates Sachsen daraufhin vorgenom- gierung überhaupt, was in ihrer Verwaltung vor sich geht? men? – Dies hat der Rechnungshof im Wirtschaftsministe- – Ich werde daher weiter beharrlich meine Kleinen Anfra- rium, im Landesamt für Straßenbau und Verkehr und im gen stellen, bis die letzte Behörde des Freistaates Sachsen Oberbergamt geprüft. Während das Oberbergamt die ge- die Korruptionsrichtlinie der Regierung endlich umgesetzt nannte Verwaltungsvorschrift umgesetzt hat, musste der hat. Rechnungshof im Wirtschaftsministerium und im Landes- amt für Straßenbau und Verkehr feststellen, dass es dort an (Beifall bei der AfD) einer Behördenstrategie für die Korruptionsvermeidung Irgendjemand muss das Controlling in der Staatsverwal- komplett fehlt. Die von der Staatsregierung vorgegebenen tung übernehmen, wenn die Staatsregierung und auch die Regeln werden ignoriert und Bedienstete befanden sich re- Regierungskoalitionen dazu nicht in der Lage oder willens gelmäßig länger als fünf Jahre auf hochkorruptionsgefähr- sind. deten Arbeitsplätzen. Recht herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD)

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Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: Auch in der Personalwirtschaft beim Landesamt für Stra- Das war Herr Barth für die AfD-Fraktion. Jetzt bitte ich ßenbau und Verkehr lief – nun ja, sagen wir mal – nicht Franz Sodann für die Fraktion DIE LINKE. alles ganz rund. Es werden Fehlzahlungen an Beschäftigte geleistet. 150 Stellen wurden ohne sachlichen Grund ange- Franz Sodann, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsiden- hoben, und in der großen Mehrzahl der geprüften Fälle tin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Prof. stimmten Tätigkeitsdarstellung und Tätigkeitsbewertung Binus! Heute sehen und hören Sie mich in Vertretung und nicht mit der Realität überein. Das zuständige Wirtschafts- im Auftrag von meinen Kollegen Nico Brünler und Mirko ministerium begegnete der Kritik recht lapidar, nämlich da- Schultze, also unseren originären Haushaltspolitikern. mit, dass es seit 2018 eine Arbeitsgruppe LASuV 2021 (André Barth, AfD: Die sind wohl in Quarantäne? gebe, die an einem Zukunftskonzept arbeite, aber bis dahin – Zuruf von den LINKEN: Ja!) sei es nun mal so, wie es ist. Kostet halt ein bisschen Geld. – Sind sie. – Gleich zu Beginn möchte ich gern im Namen Ausdrücklich zu eigen machen wir uns die vom Rech- unserer Fraktion Ihnen, Herr Prof. Binus, und allen Mitar- nungshof wiederholt vorgebrachte Kritik an der hohen An- beiterinnen und Mitarbeitern des Landesrechnungshofs für zahl von Nebenhaushalten in Sachsen. Im Haushaltsjahr Ihre Arbeit herzlich Danke sagen. 2018 erfolgten rund 18 % der Staatsausgaben am eigentli- chen Landeshaushalt vorbei in Sondervermögen, Staatsbe- (Beifall bei den LINKEN) trieben oder Stiftungen und haben sich letztlich so der Das betrifft nicht nur den heute zu verhandelnden Jahres- Kontrolle des Haushaltsgesetzgebers, also des Parlamen- bericht, sondern auch all die anderen einmal mehr, einmal tes, Ihnen, meine Damen und Herren, entzogen. Doch lei- weniger spektakulären Berichte, die leider nie das große der mangelt es den Regierungsfraktionen hier am Podium finden, sondern nur den Mitgliedern des Haus- Problembewusstsein, wurde doch die grundsätzliche Kritik halts- und Finanzausschusses vorliegen und dort als so ge- mit einer einfachen Protokollnotiz abgetan, dass man ein- heim eingestuft werden, dass sie ausschließlich im mal schauen könnte, das in Zukunft transparenter zu ge- Geheimschutzraum gelesen und in geschlossener Sitzung stalten. Zumindest Teile der Koalition haben bereits im beraten werden dürfen. Das ist auf der einen Seite ein Är- Zuge der aktuellen Haushaltsverhandlungen signalisiert, gernis, zeigt aber auf der anderen Seite, wie wichtig und dass sie gern neue Sondervermögen bilden wollen. wie teilweise unbequem die Arbeit und Berichte des Rech- Der Rechnungshof kritisiert darüber hinaus, dass das nungshofs sind. – Danke. Budgetrecht des Landtags auch im Bereich des Grund- Doch nun zum heute zur Debatte stehenden Jahresbericht stocks regelmäßig durch die Staatsregierung missachtet 2019: Bereits vorab möchte ich ankündigen, dass wir uns wird, indem hier Zuführungen in Millionenhöhe am Haus- zur Beschlussempfehlung enthalten werden. In den Bera- haltsgesetzgeber vorbei erfolgt seien. tungen im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir dem Abschließend will ich noch die Kritik des Rechnungshofs Rechnungshof in weit mehr Punkten zugestimmt, als dies an der Kampagne „So geht Sächsisch“ erwähnen. Hier die Ausschussmehrheit aus CDU, GRÜNEN und SPD ge- hatte die Staatsregierung im Prüfzeitraum zwar einen mitt- tan hat, aber auch wir teilen nicht jede einzelne der Fest- leren zweistelligen Millionenbetrag ausgegeben, aber kei- stellungen des Berichtes, haben uns aber dennoch mit allen nerlei Prüfkriterien, inwieweit die vorgeblichen Ziele, sorgfältig auseinandergesetzt. Investoren, Touristen oder Studenten in den Freistaat zu lo- Ich möchte an dieser Stelle nicht alle 41 Prüfungspunkte cken, erreicht worden seien. Das ausschließliche Prüfkrite- des Berichtes einzeln erläutern, jedoch einige beispielhaft rium der Staatsregierung war die Frage, wie viele herausgreifen, die unsere Auffassung zu Problemen im Be- Imageanzeigen in Medien platziert wurden. Wenn ein reich der Staatsverwaltung ausdrücklich stützen. So stellt schon im Grundsatz fragwürdiges Programm auch noch so der Rechnungshof unter anderem fest, dass die Neuauftei- schlecht gemacht wird, dann kommt man nicht umhin, es lung der sächsischen Betriebsprüfungsstellen infolge des zu hinterfragen. damals beschlossenen Standortkonzeptes in den Jahren Abschließend möchte ich noch bemerken – und diese Kri- 2015 bis 2017 zu Mehrkosten in Höhe von 17,8 Millio- tik geht an uns alle als Parlament: Meine Fraktion und ich nen Euro führte, ohne dass es dafür eine sachliche Notwen- halten es für falsch, dass sich fast immer nur der Haushalts- digkeit gab. Auch die dadurch in Aussicht gestellten und Finanzausschuss mit den Gutachten des Rechnungs- Verbesserungen in der Arbeit der Prüfstellen oder eine hofs befasst und nicht auch die anderen Fachausschüsse. messbare Stärkung des ländlichen Raumes durch die de- Auch wenn vordergründig der korrekte Umgang mit öf- zentrale Neuorganisation hat es nicht nachweislich gege- fentlichen Geldern im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, ben. Vielmehr behindern Übergangslösungen über Jahre so geht es doch eigentlich um die grundlegende Frage, ob die Funktionsfähigkeit. Entscheidungsprozesse, Strukturen oder Programme sach- Diese Feststellung bestärkt uns in unserer Forderung, das gerecht funktionieren, und dazu haben auch andere Res- Standortekonzept der sächsischen Behörden, seine bisher sorts ihre Expertise beizutragen. Vielleicht ändert sich das noch nicht vollständige Umsetzung und seine Auswirkun- in Zukunft. gen nochmals grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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(Beifall bei den LINKEN) Der Rechnungshof geht in seinem Jahresbericht auf die Höhe und vor allem die Struktur der sächsischen Staats- Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: schulden ein. Seit Januar 2014 sieht die Verfassung des Das war Kollege Sodann für die Fraktion DIE LINKE. Ich Freistaates Sachsen vor, dass der Haushaltsplan grundsätz- bitte jetzt für die BÜNDNISGRÜNEN Herrn Liebscher. lich ohne Kredite auszugleichen ist. Eine Neuverschuldung ist nur noch bei Naturkatastrophen und Notsituationen so- Gerhard Liebscher, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrte wie konjunkturbedingten starken Einnahmerückgängen Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst zulässig. Diese Situation hat uns in diesem Jahr eingeholt. mein Dank an Sie, Herr Prof. Binus, und Ihre Mannschaft. Wir haben aber nicht nur die pandemiebedingten Schulden, Sie haben wieder gute Arbeit geleistet und einen les- und vorangegangene Regierungen haben uns auch kosteninten- sehr nachvollziehbaren Bericht abgeliefert. sive Verpflichtungen überlassen. Im Jahresbericht werden Bereiche aufgezeigt, die mehr Um zu gestalten, braucht es Ideen, gute Leute und finanzi- Aufmerksamkeit erfordern. Auch wenn der betrachtete ellen Spielraum, und wir wollen gestalten. Ich denke, das Zeitraum vor Corona liegt, können wir sehen, dass die Pan- gilt für alle, die sich engagieren, engagiert haben oder das demie kaum neue Handlungsfelder schafft, sondern vor zukünftig tun wollen. Vor diesem Hintergrund müssen wir allem bekannte Baustellen noch stärker beleuchtet. Als genau überlegen, welche Entscheidungen wir treffen und Haushaltsgesetzgeber tragen wir eine hohe Verantwortung. welche Konsequenzen das hat. Die Menschen erwarten, dass die Verwaltung funktioniert und dass öffentliche Gelder zum Wohle aller eingesetzt Für uns BÜNDNISGRÜNE steht die Gesellschaft im Mit- werden. Es gehört zu unseren Aufgaben, Entscheidungen telpunkt. Wir brauchen tragfähige Konzepte, wie Schulden zu treffen und zu erklären. Das erleben wir vor Ort im getilgt werden können ohne gesellschaftlich wichtige Auf- Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Schulen, gaben zu opfern. Im Bericht finden sich auch regelmäßig Verbänden, Vereinen, Unternehmen, Kirchen und auch mit Ausführungen zu Personal in der öffentlichen Verwaltung. unseren Mitarbeitern. Voraussetzung hierfür ist Transpa- Man bekommt immer einen guten Überblick, was über die renz im Zahlenwerk und bei der Umsetzung. Jahre praktizierte Personalpolitik für finanzielle Effekte auf den Staatshaushalt hat. Wir wissen, dass bis 2030 etwa Uns BÜNDNISGRÜNEN ist es wichtig, dass Entscheidun- die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffent- gen nachvollziehbar und nachhaltig sind. Die Jahresbe- lichen Dienst in den Ruhestand gehen wird. Vielleicht kann richte des Rechnungshofs sind immer wieder eine wichtige der Rechnungshof sich auch hierzu in Zukunft äußern. Was und hilfreiche Grundlage. Sie beinhalten Entwicklungen bedeutet das für den Freistaat, die Verwaltung und den und Einordnungen, Sachstände und auch Rückmeldungen Staatshaushalt, wenn in solchen Größenordnungen Men- der geprüften Bereiche, sodass sich Interessierte gut infor- schen aus dem Dienst ausscheiden? mieren können. Der Rechnungshof hat in bekannter Breite geprüft. Ich empfehle die Lektüre und möchte an dieser Noch ganz kurz zu Sachsen Beteiligungen. Zu den unter- Stelle nur ganz kurz auf einige ausgewählte Themen einge- nehmerischen Aktivitäten des Freistaates haben wir uns in hen. der Koalition darauf verständigt, welche Aufgaben der Freistaat als Unternehmer hat und was es für die Unterneh- Herr Prof. Binus hat heute schon die Nebenhaushalte ange- men bedeutet, eine Beteiligung des Freistaates zu sein. Wir sprochen. Die Staatsregierung hat einen Kernhaushalt und streben auch hier Transparenz und Klarheit an. parallel dazu unterhält sie mehrere Nebenhaushalte. Diese reichen von Hochschulen über Sondervermögen bis hin zu Der zweite Teil des Berichts betrachtet die Kommunalfi- unternehmerischen Aktivitäten des Freistaates. Der Rech- nanzen. Auch hier zeigt sich, dass die großen Kritiken und nungshof kritisiert mehrere Aspekte. Da ist zum einen die Handlungsfelder unverändert sind. Auf der kommunalen unverändert hohe Anzahl an Nebenhaushalten, dann das Tagesordnung steht noch immer die Umsetzung der doppi- finanzielle Gesamtvolumen und der Anteil am Gesamt- schen Buchführung. Der Rechnungshof weist seit Jahren haushalt. Nebenhaushalte sind sehr vereinfacht im Haus- auf die fehlenden Eröffnungsbilanzen hin. Hinzu kommt, haltsplan dargestellt. Das schränkt die Budgethoheit des dass zum Zeitpunkt der Berichterstellung nach wie vor Landtags unmittelbar ein. In der Haushaltsrechnung ist viele Jahresabschlüsse fehlten. Beides ist wichtig, denn sie nicht mehr erkennbar, wofür Gelder eingesetzt oder ausge- liefern grundlegende Informationen zur Beurteilung der geben wurden. kommunalen Finanzlage. Wir teilen die Bedenken. Da der Rechnungshof die Kritik- Ich zitiere den Rechnungshof: „Für das Jahr 2017 sind punkte wiederholt geäußert hat, haben wir es innerhalb der lediglich rund 9 % der Jahresabschlüsse fristgerecht fest- Koalition besprochen und im Koalitionsvertrag festgehal- gestellt. Wesentliche Finanzentscheidungen zahlreicher ten. Wir unterstützen die Bemühungen der Staatsregierung, Kommunen basieren lediglich auf fortgeschriebenen Plan- die Transparenz zu erhöhen. Wir haben uns auch darauf ge- daten. Es bestehen in zahlreichen Fällen erhebliche Zwei- einigt, dass neue Sondervermögen nur bei Vorliegen eines fel am Vorliegen einer geordneten Haushaltswirtschaft.“ tatsächlichen Sonderzwecks eingerichtet werden und nicht Dieses Prüfergebnis war schon ohne Corona beunruhigend. zur Finanzierung laufender Haushaltsaufgaben eingesetzt Mit Corona ist die Situation noch mal schwieriger, für die werden. Kommunen vor Ort, aber auch für uns als Haushaltsgesetz- geber. Für eine gute und solide Finanzausstattung der 1083 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Kommunen ist es für eine Staatsregierung notwendig zu sowie die Anzahl der Spuren der Fachplaner durch den wissen, wie es wirklich um ihre Kommunen bestellt ist. Im Rechnungshof kritisiert werden. Augenblick stellen wir Gelder für Kommunen im Doppel- Das führt mich zu einem ganz allgemeinen Punkt. Der haushalt ein, ohne dass eine Bedarfsermittlung vorliegt. Rechnungshof hat die Aufgabe, die Wirtschaftlichkeit der Damit wird landesseitig auf Sicht gefahren. Eine Haus- staatlichen Tätigkeit zu prüfen, und das ist richtig so. Dafür haltswirtschaft kann so nicht nachhaltig gesteuert werden. sind wir dankbar, weil es diese Überprüfung braucht. Es ist Das ist nicht transparent, und qualifizierte Informationen ein Verfassungsorgan und wir müssen respektvoll damit können so auch nicht bereitgestellt werden. umgehen, was wir auch tun. Der Rechnungshof bietet eine Grundlage für Gespräche Ich möchte noch einmal das Spannungsfeld der Wirtschaft- zwischen Staatsregierung, Landtag und Kommunen. Ich lichkeit auf der einen Seite und den Freistaat auf der ande- hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode einen Schritt ren Seite benennen, der eben kein Unternehmen ist. Der weiterkommen. Die kommunalen Finanzen sind ein wich- Staat hat gesellschaftliche Notwendigkeiten, die nicht wirt- tiger Bestandteil der Staatsfinanzen. Daher ist es angemes- schaftlich abbildbar sind. Das ist ganz natürlich. Dieses sen, gemeinsam die kommunalen Finanzen zeitgemäß und Spannungsfeld müssen wir als Politikerinnen und Politiker entsprechend den heutigen Herausforderungen weiterzu- auflösen – die Regierung genauso wie der Landtag – und entwickeln. müssen einen Ausgleich finden. Eine Vielzahl von öffent- Ich danke nochmals dem Rechnungshof und seinen Mitar- lichen Gütern ist schlichtweg nicht wirtschaftlich darstell- beiterinnen und Mitarbeitern. Der Bericht als Vorlage und bar. Ich brauche die Landkreise gar nicht zu nennen, wo die Rückmeldung der Ministerien zu den Prüfergebnissen das nicht wirtschaftlich darstellbar ist – das funktioniert geben einen guten Einblick, wo wir stehen, was wir ma- auch in kreisfreien Städten nicht. chen und auch darüber, was liegen geblieben ist. Ich schätze ein, dass wir respektvoll miteinander umgehen. Vielen Dank. Ich bin dankbar dafür, was der Rechnungshof vorlegt. Ich muss mich nicht immer über alles freuen. Das tut der Rech- (Beifall bei den nungshof sicher auch nicht. Es ist ein gutes Miteinander. BÜNDNISGRÜNEN und der CDU) Ich möchte zum Schluss noch einmal Ihnen, Herr Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: Prof. Binus, danken, denn Sie haben 1994, als Sie noch Vielen Dank an Kollegen Liebscher von den BÜNDNIS- Abgeordneter in diesem Hause waren, Ihre erste Rede hier GRÜNEN. Jetzt bitte ich Dirk Panter von der SPD- gehalten. Auch wenn es noch lange nicht die Zeit für einen Fraktion. Abschied ist, so nehme ich doch an, dass es wahrscheinlich die letzte Rede gewesen sein wird, denn der nächste Rech- Dirk Panter, SPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe nungshofbericht wird erst Mitte bis Ende nächsten Jahres Kolleginnen und Kollegen! Lieber Prof. Binus, ich darf vorgestellt. Insofern möchte ich Ihnen im Namen der SPD- mich zuerst dem Dank anschließen, der hier schon vielfach Fraktion für die gute Zusammenarbeit, die profunde an den Rechnungshof und die vielen Mitarbeiterinnen und Kenntnis, auch die gute Vorbereitung zu den Sitzungen des Mitarbeiter geäußert wurde, die dieses 363 Seiten umfas- Haushalts- und Finanzausschusses – Sie konnten immer sende Berichtswerk wieder vorgelegt haben. Es war sicher gut zu den Punkten Stellung nehmen – ganz herzlich dan- in vielen Teilen eine große Fleißarbeit, das zusammenzu- ken. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute für die Arbeit. tragen. Sie haben damit wieder einmal den sächsischen Kommunen, der Staatsregierung, aber auch dem Landtag Danke schön. wichtige Denkanstöße gegeben, indem Sie eine Vielzahl (Beifall bei der SPD, der CDU und den LINKEN) von Voten vorgelegt haben. Wir könnten jetzt sehr viele positive Beispiele aus dem Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: Rechnungshofbericht zitieren. Wir sehen auch an den Stel- Das war Kollege Panter für die SPD-Fraktion. Ich bitte nun lungnahmen der Staatsregierung, wie viel schon aufge- die Staatsregierung. Das Wort ergreift Herr Minister nommen wurde. Das haben wir auch ausführlich im Vorjohann. Haushalts- und Finanzausschuss diskutiert. Die beratenden Hartmut Vorjohann, Staatsminister der Finanzen: Sehr Äußerungen waren in den ganzen letzten Jahren ein sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wichtiger Aspekt. Sie konnten heute zum ersten Mal hier Herren Abgeordneten! Der Sächsische Rechnungshof hat sprechen, auch dafür herzlichen Dank. die Tätigkeit der Staatsregierung auch im Jahr 2019 inten- Es sei mir an der Stelle erlaubt, auf einen Punkt einzuge- siv, kritisch und konstruktiv begleitet. Dafür, Herr hen; denn dort, wo viel Licht ist, ist auch manchmal ein Prof. Binus, möchte ich Ihnen, obwohl zum Teil Gegen- bisschen Schatten. Es geht mir um das Spannungsfeld des stand der Kritik, meinen herzlichen Dank aussprechen und Aus-, Um- und Neubaus von Staatsstraßen; das Votum ha- bitte Sie, das auch an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ben wir umfassend diskutiert. Man könnte den Eindruck weiterzugeben. gewinnen, dabei sind dem Rechnungshof die Gäule etwas Der Jahresbericht 2019 enthält wichtige Anregungen und durchgegangen, wenn die Linien- und Höhenführungen Impulse, unter anderem zur Effizienz des Verwaltungshan-

1084 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020 delns und zur Perspektive der Haushaltsführung der nächs- zusätzlich zur Deckung des Doppelhaushaltes 2019/2020 ten Jahre. Der Bericht stellt zudem hinsichtlich der Haus- zur Verfügung. haltsrechnung 2017 eine wichtige Entscheidungsgrundlage Es wurden im zwölften Jahr hintereinander Schulden ge- für die Entlastung der Staatsregierung durch den Landtag tilgt. Davon sind wir mittlerweile deutlich entfernt, das dar. wissen wir. Im Jahr 2017 erfolgte im Sinne der Generatio- (Unruhe im Saal) nengerechtigkeit und Nachhaltigkeit eine geplante Tilgung in Höhe von 75 Millionen Euro. Die Zuweisungen an die Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: sächsischen Kommunen betrugen knapp 6 Milliarden Euro Herr Staatsminister, einen kleinen Moment. – Darf ich um – 5 978 000 Millionen Euro, um genau zu sein. Damit flos- ein bisschen mehr Ruhe im Saal bitten. Es ist fürchterlich sen rund ein Drittel aller Ausgaben des Freistaates Sachsen anstrengend und man versteht eigentlich kaum ein Wort. an die kommunale Ebene. Hartmut Vorjohann, Staatsminister der Finanzen: Vie- Die Investitionsausgaben waren weiterhin auf hohem Ni- len Dank. Neben einer Analyse der Haushaltssituation des veau. Sie blieben bei 2 604 000 000 Euro zwar um rund Freistaates Sachsen werden Ausführungen zu Einzelprü- 300 000 000 Euro hinter der Planung zurück, dennoch fungen gemacht, ebenso wie zum Haushaltsplan, zum wies der Freistaat Sachsen noch im Jahr 2017 mit 14,8 % Haushaltsvollzug und zur Haushaltsrechnung des Haus- die höchste Investitionsquote im Ländervergleich aus. haltsjahres 2017. Insgesamt bescheinigt der Rechnungshof Insgesamt zeigt sich, dass die solide und nachhaltige Haus- der Staatsregierung eine ordnungsgemäße Haushalts- und haltspolitik für Sachsen auch im Jahr 2017 fortgesetzt Wirtschaftsführung. wurde. Nur so können wir unsere finanzielle Handlungsfä- In diesem Zusammenhang möchte ein paar wichtige Kenn- higkeit und die der künftigen Generationen bewahren und zahlen des Jahres 2017 ins Gedächtnis rufen. Den Ist-Aus- stärken. Diesen Weg müssen wir fortsetzen. gaben von 18,63 Milliarden Euro standen Einnahmen von Wir haben in den letzten Jahren ein insgesamt kräftiges rund 18,66 Milliarden Euro gegenüber. Rechnungsgemäß, Wirtschaftswachstum erlebt. Trotz konjunkturellem das heißt unter Berücksichtigung der übertragenen Einnah- Abschwung entwickelten sich die Steuereinnahmen noch men und Ausgabenreste, wurde der Haushalt 2017 ausge- im Jahr 2019 wie in den Vorjahren sehr positiv. Aufgrund glichen abgeschlossen. der Coronakrise ist die aktuelle konjunkturelle Situation al- Der Haushalt 2017 wurde neuerlich sogar auch von Belas- lerdings nicht mehr mit dem Jahr 2019 vergleichbar. Waren tungen beeinflusst, die ursprünglich gar nicht vorgesehen nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds, der Bun- waren, und zwar von den Ausgaben für die Aufnahme und desregierung und auch des ifo Instituts bis März 2020 die Betreuung der Integration von Flüchtlingen. Für diese Auf- großen Risiken immer in den Themen wie Brexit, Handels- gabe wurden im Jahr 2017 674 Millionen Euro verausgabt, krieg und Zölle zusammengefasst, stellt uns die unvorher- wobei hiervon ein Betrag von 258 Millionen Euro durch gesehene Coronakrise im Moment vor ganz neue Steuerzuweisungen im Zusammenhang mit der Betreuung Herausforderungen. und Integration von Flüchtlingen bereitgestellt wurde. Die enormen Steuerausfälle werden zum Preis von neuen Im Haushaltsjahr 2017 profitierte der Freistaat erneut von Schulden aktuell über den Corona-Fonds kompensiert, um Steuermehreinnahmen. Gegenüber dem Plan konnte ein die geplanten Ausgaben weiterhin sicherzustellen. Ziel Plus von 467 Millionen Euro verzeichnet werden. Grund muss es sein, eine ausgewogene Balance zwischen der dafür waren damals die gute konjunkturelle Entwicklung klugen Weiterentwicklung des Freistaates Sachsen und der sowie die dynamisch wachsende Wirtschaft in Deutsch- Sicherstellung der langfristigen Finanzierbarkeit des land. Stolze 2,2 % Plus gab es damals beim Bruttosozial- öffentlichen Leistungsangebotes zu finden. Dies gestaltet produkt. In Sachsen waren es 1,6 %. Gemäß unseren sich bereits in den aktuellen Haushaltsverhandlungen finanziellen Leitsätzen, Substanzerhalt sowie Zukunfts- schwierig und wird in der Zukunft für große Herausforde- und Risikovorsorge zu betreiben, wurden finanzielle Spiel- rungen sorgen, da ab dem Jahr 2023 die Steuerrekompen- räume zur Finanzierung des Doppelhaushaltes 2019 und sation durch den Corona-Fonds entfällt sowie die 2020 genutzt. Durch Zuführung von 547 Millionen Euro gleichzeitig einsetzende Tilgung der Kreditaufnahme im im Jahr 2017 und entsprechende Entnahmen aus der Haus- Corona-Fonds aufgefangen werden muss. haltsausfallrücklage in den Jahren 2019 und 2020 können Die Zeiten, in denen mit jeder Steuerschätzung die Einnah- die Maßnahmen des „Zukunftspakts Sachsen“ finanziert meerwartungen nach oben korrigiert werden konnten, dürf- werden. Das heißt im Klartext: Aufgrund der sehr guten ten der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig setzt uns die Steuerentwicklung konnten große Überschüsse im Haus- in der Sächsischen Verfassung verankerte Schuldenbremse halt 2017 erzielt werden, von denen wir heute noch profi- zu Recht enge Grenzen, um auf schwächer wachsende Ein- tieren. nahmen zu reagieren. Dies erfordert Disziplin. Daher soll- Auch unter Verzicht auf die geplante Entnahme aus dem ten wir alle auch mit Blick auf künftige Haushalte ein Asyl- und Flüchtlingshilfefonds in Höhe von 126 Millio- vernünftiges Augenmaß walten lassen. nen Euro im Haushaltsvollzug 2017 steht dieser Beitrag

1085 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Meine Damen und Herren, im Namen der Staatsregierung Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: möchte ich hier aber auch die Gelegenheit nutzen, den Mit- Das war Herr Staatsminister Vorjohann. Wir kommen jetzt gliedern des Haushalts- und Finanzausschusses für die gute zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haus- und konstruktive Zusammenarbeit im Zusammenhang mit halts- und Finanzausschusses. Wir stimmen über die Be- dem Jahresbericht 2019 zu danken. Der Rechnungshof be- schlussempfehlung in der Drucksache 7/4286 ab. Wer scheinigt der Staatsregierung im Jahresbericht eine ord- dieser Beschlussempfehlung die Zustimmung gibt, den nungsgemäße Haushalts- und Wirtschaftsführung. Ich bitte bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Die Gegenstimmen? Sie deshalb, sich dem Votum des Haushalts- und Finanz- – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Beschlussempfeh- ausschusses anzuschließen und der Staatsregierung die lung in der Drucksache 7/4286 bei ganz vielen Zustim- Entlastung für das Haushaltsjahr 2017 zu erteilen. Lassen mungen und wenigen Stimmenthaltungen zugestimmt. Sie uns gemeinsam den Weg einer zukunftsfähigen Haus- Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen, und haltspolitik fortsetzen. wir kommen zum Vielen Dank. (Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Tagesordnungspunkt 8 Entlastung der Staatsregierung gemäß § 114 Abs. 2 SäHO zu Haushalts- und Vermögensrechnung 2017 Drucksache 7/4098, Unterrichtung durch das Sächsische Staatsministerium der Finanzen Drucksache 7/4287, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Es ist hierfür keine Aussprache vorgesehen. Wünscht den- Die Gegenstimmen, bitte? – Die Stimmenthaltungen? – noch die Berichterstatterin, Frau Schubert, das Wort? Damit ist bei vielen Stimmen dafür, einigen Stimmen da- gegen und wenigen Stimmenthaltungen dieser Drucksa- (Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: chennummer und der Beschlussempfehlung des Haushalts- Sie ist nicht da!) und Finanzausschusses zugestimmt. Dann geht das also nicht. – Wünscht ansonsten eine Abge- Hinsichtlich der Haushaltsrechnung für das Jahr 2017 müs- ordnete oder ein Abgeordneter das Wort? – Auch das sehe sen wir noch die Entlastung erteilen. Dafür liegt Ihnen die ich nicht. Drucksache 7/4287 vor – – Dann können wir über die Beschlussempfehlung des Haus- (Die Präsidentin stimmt sich halts- und Finanzausschusses in der Drucksache 7/4287 mit dem Sitzungsvorstand ab.) abstimmen. Bei Zustimmung bitte ich jetzt um das Hand- zeichen. – Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Dadurch, dass wir der Beschlussempfehlung zugestimmt – Entschuldigung, ich habe das jetzt nicht gesehen und bitte haben, ist damit auch die Entlastung erteilt hinsichtlich der noch einmal um die Dafür-Stimmen. – Haushaltsrechnung für das Jahr 2017. Auch dieser Tages- ordnungspunkt ist damit abgeschlossen. (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wissen Sie nicht, was Sie tun? Wie immer!) Wir kommen zu

1086 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Tagesordnungspunkt 9 Entlastung des Präsidenten des Sächsischen Rechnungshofs hinsichtlich der Haushaltsrechnung für das Jahr 2018 nach § 101 SäHO zu Haushaltsrechnung des Sächsischen Rechnungshofs für das Haushaltsjahr 2018 Drucksache 7/528, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Drucksache 7/4288, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Auch hierfür ist keine Aussprache vorgesehen. Ich frage Sehr geehrter Herr Prof. Binus, seien Sie uns weiterhin mit dennoch, ob der Berichterstatter Herr Mikwauschk das Ihren Mitarbeitern eine verlässliche Stütze des Haushalts- Wort wünscht. – Bitte sehr. und Finanzausschusses bei den Bemühungen um einen so- liden Haushalt und einer sachgerechten Mittelverwendung! Aloysius Mikwauschk, CDU: Sehr geehrte Frau Präsiden- tin! Sehr geehrter Herr Prof. Binus! Meine sehr geehrten Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Berichterstatter sich diesem einstimmigen Votum des Haushalts- und Fi- einige wenige Anmerkungen zur vorliegenden Beschluss- nanzausschusses anzuschließen und dem Rechnungshof empfehlung mit der Entlastung des Präsidenten des die Entlastung für die Haushaltsrechnung 2018 zu erteilen. Sächsischen Rechnungshofs hinsichtlich der Haushalts- Dritte Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg: rechnung 2018 nach § 101 SäHO durch den Sächsischen Das war der Berichterstatter des Ausschusses, Herr Mik- Landtag zu machen. Der Sächsische Rechnungshof ist als wauschk. Wünscht jetzt noch ein Abgeordneter oder eine Kontrollinstanz ein kritischer und objektiver Begleiter der Abgeordnete das Wort? – Das ist nicht der Fall. Haushalts- und Wirtschaftsführung der Staatsregierung. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschluss- Diesem Maßstab wird der Sächsische Rechnungshof auch empfehlung des Ausschusses in der Drucksache 7/4288. hinsichtlich der eigenen Haushaltsrechnung im Haushalts- Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmt, den bitte ich jahr 2018 gerecht, indem er die ordnungsgemäße Haus- um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer haltsführung um rund 796 000 Euro reduziert hat. Dies enthält sich der Stimme? – Damit ist dieser Beschlussemp- entspricht 3,2 % in Saldo weniger als im Haushalt veran- fehlung einstimmig zugestimmt. Der Tagesordnungs- schlagt. Diese Erwirtschaftung von Handlungsspielräumen punkt 9 ist damit beendet. ist insbesondere ein Ergebnis der vom Rechnungshofpräsi- denten eingerichteten Innenrevision. Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 10 Nachträgliche Genehmigungen gemäß Artikel 96 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungen Drucksache 7/3628, Unterrichtung durch das Staatsministerium der Finanzen Drucksache 7/4289, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Auch hierzu ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht 7/4289 abstimmen. Wer seine Zustimmung geben möchte, dennoch der Berichterstatter, Herr von Breitenbuch, das den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dage- Wort? – Das ist nicht der Fall. Wünscht ein anderer Abge- gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei vielen Stimmen ordneter oder eine andere Abgeordnete vielleicht das Wort? dafür, einigen Stimmen dagegen und wenigen Enthaltun- – Das ist ebenfalls nicht der Fall. gen ist dieser Beschlussempfehlung mehrheitlich zuge- stimmt. Tagesordnungspunkt 10 ist damit abgeschlossen. Damit können wir über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses in der Drucksache Wir kommen zu

1087 Sächsischer Landtag 7. Wahlperiode – 16. Sitzung 4. November 2020

Tagesordnungspunkt 11 Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse gemäß § 17 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 der Geschäftsordnung – Sammeldrucksache – Drucksache 7/4290

Auch hierzu ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht fest, dass den Beschlussempfehlungen so zugestimmt dennoch ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete das wurde, und wir können den Tagesordnungspunkt als been- Wort? – Das ist nicht der Fall. Gemäß § 102 Abs. 7 der Ge- det ansehen. schäftsordnung stelle ich hiermit die Frage, ob wir zu den Wir kommen zu Beschlussempfehlungen abstimmen wollen. – Ich stelle

Tagesordnungspunkt 12 Beschlussempfehlungen und Berichte zu Petitionen – Sammeldrucksache – Drucksache 7/4291

Entsprechend § 63 Abs. 2 der Geschäftsordnung liegt Auffassungen einzelner Fraktionen fest und kann sofort Ihnen als Drucksache 7/4291 ebenfalls eine Sammeldruck- den Tagesordnungspunkt 12 schließen. sache vor. Zunächst frage ich, ob einer der Berichterstatter Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung der 16. Sit- zur mündlichen Ergänzung der Berichte das Wort wünscht. zung des 7. Sächsischen Landtages ist damit abgearbeitet. – Das ist nicht der Fall. Hierzu ist auch grundsätzlich keine Ich bedanke mich recht herzlich. Das Präsidium hat den Aussprache vorgesehen. Uns liegen zu den verschiedenen Termin für die 17. Sitzung auf morgen, Donnerstag, den Beschlussempfehlungen von einigen Fraktionen abwei- 5. November 2020, um 10 Uhr festgesetzt. Die Einladung chende Meinungen vor. Die Information, welche Fraktion und die Tagesordnung liegen Ihnen vor. Ich möchte noch und welche Beschlussempfehlung dies betrifft, liegt Ihnen daran erinnern, dass wir die Tagesordnung für morgen ge- schriftlich vor. ändert und so beschlossen haben. Damit erkläre ich die Gemäß § 102 Abs. 7 der Geschäftsordnung stelle ich hier- heutige Sitzung für beendet. mit zu den Beschlussempfehlungen die Zustimmung des

Plenums entsprechend dem Abstimmungsverhalten im Ausschuss unter Beachtung der mitgeteilten abweichenden (Schluss der Sitzung: 16:58 Uhr)

Sächsischer Landtag, Bernhard-von-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden

Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter www.landtag.sachsen.de

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