DISPUT ISSN 0948–2407 | 67485 MITGLIEDERZEITSCHRIFT DER PARTEI DIE LINKE DEZEMBER 2013 2 EURO

Erörtern Erleben Erinnern

Stärker werden, raus ge- Politikwechsel gehe nur mit Willy Brandt – 100. Gedanken hen. So hat Bernd Riexinger links, stellten zum Jubiläum brachte Man- seinen Beitrag zur Entwick- und Willi van Ooyen erneut fred Coppik aufs DISPUT-Pa- lung der Partei überschrie- im hessischen Landtagswahl- pier. Und das unter einem al- ben. Es darf nicht nur, es kampf und in den Sondie- ten Wahlkampfmotto: »Millio- soll gestritten werden. 4 rungsgesprächen fest. 16 nen gegen Millionäre«. 26

Ein langes Band mit Namen von 17.306 Menschen, die an den Band der europäischen Außengrenzen gestorben sind – Protest am 20. November in Strasbourg gegen die tödliche Abschottungspolitik Anklage der Europäischen Union. (Seite 20) Foto: Pablo Eekman

DISPUT Dezember 2013 1 INHALT

DISPUT bittet zu jeder Ausgabe eine Leserin bzw. einen Leser um eine kurze Vor-Lesung des aktuellen Heftes.

destagswahl und schaut gleichzeitig zungskurses der anderen Partei- auf das nächste Jahr, in dem insge- en. Es war der Vorsitzende der hes- samt 15 Wahlen auf uns warten. Dar- sischen Grünen, der sagte: »Wer unter drei Landtagswahlen, zum Bei- DIE LINKE wählt, könnte mit Volker spiel in Sachsen. Wie sich DIE LINKE Bouffi er aufwachen.« Und es ist der dort auf den Wahlkampf vorbereitet hessische Grünen-Chef, der sich und welche Ziele sie anstrebt, be- nach der Wahl ganz schnell aufge- schreiben der Landesvorsitzende Rico macht hat, mit dem zuvor von ihm Gebhardt und die Landesgeschäfts- geschmähten Ministerpräsidenten führerin Antje Feiks (S.12). zwar nicht das Bett, aber den Kabi- Zu den größten Erfolgen unserer Par- nettstisch zu teilen. ach der Wahl ist vor tei im ausgehenden Jahr gehört der der Wahl. Eine Aussa- Wiedereinzug in den Hessischen TANJA BEHREND IST LANDESGESCHÄFTS- ge, die nicht neu und Landtag. Zum dritten Mal in Folge! FÜHRERIN IN SACHSEN-ANHALT. auch nicht sonderlich Darüber freuen sich natürlich ganz originell, aber immer besonders die beiden Fraktionsvor- Nwieder richtig ist. Und die sich wie sitzenden Janine Wissler und Willi ein roter Faden durch diesen »DIS- van Ooyen (S. 16). Unsere Genossin- DISPUT 12/2013 PUT« zieht. Auf Seite 7 verabschie- nen und Genossen in Hessen haben det sich der Bundeswahlkampfl ei- ihr 2009 gegebenes Versprechen ge- VOR-GELESEN ter Matthias Höhn vom Jahr 2013 halten: »Wir sind gekommen, um zu VON TANJA BEHREND mit einem Rückblick auf die Bun- bleiben!« Und das trotz des Ausgren-

PARTEI SOLIDARISCH Bernd Riexinger: Stärker werden, Wenn Hilfe nottut 24 raus gehen 4 GESCHICHTE KOALITIONSVERTRAG Zum »100.« von Willy Brandt 26 Nicht geliefert 6 ENERGIEPOLITIK ARBEITSKAMPF Energiewende bleibt Handarbeit! 30 Verkäufer/innen sind bedient 8 INTERNATIONAL MENSCHENWÜRDE Erinnerung an Patrice Lumumba 33 Prostituierte schützen 10 Foto: Jakob Huber GESCHICHTE LANDESVERBAND JEDEN MONAT So werden Kriege gemacht 34 Sachsens LINKE: Den Moment nutzen! 12 AUS DEM HAUS 7 GESCHICHTE FEUILLETON 11 Das Urteil 37 FRAKTION KURZ UND BUNT 13 Janine Wissler, Willi van Ooyen (Hes- PRESSEDIENST 14 PARTEI sen): Politikwechsel nur mit links 16 DAS KLEINE BLABLA 15 Der Finanzplan ’14 38 DEMNÄCHST 25 EUROPA NACHBELICHTET 29 INTERNATIONAL Das Sterben wird weitergehen 20 LESEN 46 Warm mit Charme: Portugal 40 DEZEMBERKOLUMNE 47 UMFRAGE NACH-SICHT Was soll werden, 2014? 22, 39 Der stillose Jahresrückblick 44

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009510, Fax: 030 24009399, [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE , Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 12: 9. Dezember 2013. DISPUT 1/2014 erscheint am 16. Januar.

2 DISPUT Dezember 2013 FRAGEZEICHEN

Lore, wann fühlst du dich gut?

Immer. Ich bin eine Frohnatur. Und wenn’s mir mal wirklich nicht gut gehen sollte, dann schminke ich mich eben. Was ist für dich links? Gerechtigkeit und Frieden. Dafür sind mitunter konkrete humanistische Taten wichtiger als noch so radikale Worte. Worin siehst du deine größte Stärke, deine größ- te Schwäche? Meine größte Stärke ist: Ausdauer. Ausdauer in allen Lebensla- gen. Meine größte Schwäche ist: Ausdauer – wenn ich nicht fertig werde. Was war dein erster Berufswunsch? Briefträgerin, bei Regenwetter. Als Kinder durften wir immer beim Austragen der Zeitungen helfen. Wovon träumst du? Dass Rentner/innen mehr Zeit haben. Heute, am ersten Dezembersonntag, war ich ein paar Stunden arbeiten, besuchte den Weihnachtsmarkt des Bürgerver- eins und gratulierte der Friseurin zum »20.« ihres Ladens. Wofür gibst du ger- ne Geld aus? Bevor ich es ausgeben kann, ist es meistens schon weg. Müssen Helden und Vorbilder sein? Ich bin eine geborene Held!!! Wen oder was wür- dest du mit auf eine Insel nehmen? Keinen und nichts. Ich würde die Ruhe genießen. Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in deinem Leben? Ich be- suche regelmäßig Theater und Konzerte. Gestern war ich im Konzerthaus: ein bisschen Klassik, ein bisschen Modernes, Kurt Weill, Astor Piazzolla und ande- re – phantastisch! Wann lachst du besonders gern? Eigentlich immer, aber nie aus Schadenfreude oder über Schwächere. Wovor hast du Angst? Dass sich die Weltgeschichte stets wiederholt und nicht vorwärts gerichtet ist. Persönlich brauche ich vor nichts mehr Angst zu haben. Wie lautet dein Lebensmotto? Augen zu und durch!

LORE HELD, 66, LEBT SEIT URZEITEN IN BERLIN-MAHLSDORF, IST CHEMIKERIN, AUSSENHAN- DELSÖKONOMIN, STEUERFACHGEHILFIN UND ARBEITET ALS RENTNERIN STUNDENWEISE. SEHR AKTIV WIRKT SIE ALS SPRECHERIN IHRER BASISGRUPPE UND ALS MITGLIED DER FINANZREVI- SIONSKOMMISSION IHRES LANDESVERBANDES.

DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben.

DISPUT Dezember 2013 3 PARTEI Stärker werden, raus gehen

Projekt Parteientwicklung: DIE LINKE verankern, verbreiten, verbinden VON BERND RIEXINGER

ernd Riexinger und Katja Kipping be, in dem wir mit unseren Plänen tiven vor Ort. Wir wissen es aus unse- haben ein Diskussionspapier zur für eine Umverteilung des Reichtums ren unterschiedlichen und gemeinsa- B Entwicklung und strategischen von oben nach unten, von privat zu men Traditionen schon lange: die PDS Orientierung der LINKEN vorgelegt. Das öffentlich eine Rolle spielen würden? als »Kümmerer«-Partei und mit einer Papier ist im Internet unter www.die- DIE LINKE wäre dann sicherlich Ziel starken kommunalen Vertretung, die linke.de/parteientwicklung zu lesen. von Angriffen, um ein solches Bünd- WASG mit ihrer Verankerung in Be- nis von Machtoptionen fernzuhalten. trieben und Gewerkschaften – und Das soll uns keine Angst machen. Es mit unserem gemeinsamen LINKEN Die Kräfte- soll nur deutlich machen: Was müssen Engagement in sozialen Bewegungen verhältnisse nach wir in den nächsten Jahren tun, damit und Initiativen. Wir müssen Initiati- eine gesellschaftliche Alternative für ven und Bewegungen befördern, um der Wahl Frieden und soziale Gerechtigkeit ei- die gesellschaftlichen Kräfteverhält- ne Chance hat? nisse nachhaltig zu verändern und Wir haben in diesem Jahr einen en- Gesellschaftliche Veränderungen nach links zu verschieben: Rekommu- gagierten Wahlkampf geführt, dank kommen »von unten«, aus den Kräf- nalisierung und Ent-Privatisierung der der unermüdlichen Arbeit von vielen teverhältnissen vor Ort, durch Initia- öffentlichen Daseinsvorsorge, Umver- Menschen an der Basis. Wir haben ge- tiven und soziale Bewegungen. Eine teilung des gesellschaftlichen Reich- zeigt: Wir sind gekommen, um zu blei- linke Partei wirkt nicht nur im Parla- tums, eine sozial gerechte ökologische ben. Trotz der Versuche, uns totzu- schweigen und wegzuschreiben, und trotz der schwierigen Zeiten, die die Partei hatte. Das ist ein großer Erfolg, auf den wir stolz sein können. Obwohl es rechnerisch eine rot-rot- grüne Mehrheit gibt, ist diese Option nie ernsthaft in der Debatte gewesen. Lassen wir die Strategien von SPD und Grünen beiseite: Es gab keinen (aus- reichenden) gesellschaftlichen Druck für einen Politikwechsel. Viele Ver- bände und Organisationen, auch eine Mehrheit der Menschen teilen unse- re Kernforderungen. Damit sich diese Kräfteverhältnisse auch im Parlament abbilden, müssten diese Akteure und Menschen in die gleiche Richtung wirksam werden und Druck aufbau- en. Tatsächlich aber fi nden diese Kräf- te nicht zusammen. Bei der Gegensei- Eine linke Partei wirkt vor allem in der Gesellschaft, im Alltag. Foto: Romana Dietzold te ist das anders, wir konnten es sehen an der Kampagne gegen die Grünen und ihre – vergleichsweise milden – Steuerpläne. Eine gut organisierte ment, sie wirkt vor allem in der Gesell- Wende. Wir wollen zum Beispiel un- Kampagne der Kapitalbesitzer und schaft, im Alltag, zusammen mit ande- sere Verankerung in Gewerkschaften Vermögenden in der Gesellschaft hat ren, die für soziale Gerechtigkeit aktiv dadurch verbessern, dass wir unse- bewusst auf die Grünen gezielt und sind. Ihre Aufgaben sind es besonders, ren »Gebrauchswert« in betrieblichen Erfolg gehabt. Nach dieser Machtde- Orientierung zu geben; zu zeigen, dass Auseinandersetzungen deutlich ma- monstration ist es kein Zufall, dass es anders geht; eine alternative Kul- chen. Ein gutes Beispiel war die Kon- Vermögen- und Reichensteuer von der tur zu organisieren; zusammen mit an- ferenz der Rosa Luxemburg Stiftung SPD gar nicht erst in die Koalitionsver- deren Auseinandersetzungen zu füh- zu neuen – demokratischen und kon- handlungen eingebracht wurden. Was ren und zu gewinnen. Hier müssen frontativen – Streikstrategien. Davon wäre wohl zu erwarten, wenn es tat- wir stark sein: in der Verbindung mit fi ndet sich vieles im aktuellen Kampf sächlich ein Mitte-Links-Bündnis gä- Bewegungen, Gewerkschaften, Initia- der Beschäftigten im Einzelhandel.

4 DISPUT Dezember 2013 DIE LINKE ist dabei Gesprächspartne- pen und Vorlieben wie in der gesell- net sind, konkrete Forderungen auf- rin in strategischen Fragen, Partnerin schaftlichen Linken – und in der Zu- zugreifen und sie mit einer grundle- für parlamentarische Initiativen und sammenarbeit ähnliche Reibungsver- genden Kritik zu verbinden. Denn un- solidarische Verbündete vor Ort. luste. Unsere Probleme sind also nicht sere Perspektive geht doch über den nur unsere. Wir brauchen einen Auf- nächsten Tag hinaus, wir wollen die bruch für eine solidarische politische Gesellschaft verändern! DIE LINKE Kultur in der Partei. Und einen Auf- Ich habe bei der Entwicklung vie- stark machen bruch, der das gemeinsame Handeln ler Kampagnen in meiner Zeit als Ge- in den Vordergrund stellt. werkschafter gelernt: Top-down-Kam- Wir haben im Wahlkampf gesehen: Mitglieder gewinnen: durch politi- pagnen funktionieren nicht. In der Wir können viele Reserven und Ener- sche Projekte, die zum Mitmachen ein- Partei mag die Wahlkampagne eine gien mobilisieren, aber oft knirscht laden. Wenn Ortsverbände oder Basis- Ausnahme sein, weil sie eben auch es auch gewaltig. 2005 und 2009 ha- gruppen sich zum Beispiel schon lan- nach PR-Gesichtspunkten funktio- ben wir schnell Zuspruch von Wähle- ge kennen, ist der Einstieg für neue niert. Aber Kampagnen, die attraktiv rinnen und Wählern bekommen, aber Mitglieder oft schwierig. Wer vor- zum Mitmachen sein sollen, müssen die organisatorische Basis der Partei her bereits in der Partei aktiv war, von Anfang an die Aktiven in die Ge- konnten wir nicht in gleicher Weise etwa im Rahmen einer übergreifen- staltung und Ausrichtung mit einbe- verbreitern. In aller Grobheit und Un- den Kampagne, fi ndet schneller Kon- ziehen – und gleichzeitig vermitteln, schärfe aus der Höhe betrachtet: Es takt, und der Übergang in bestehende wie erfolgreiche Kampagnen funktio- gelingt zu wenig, Menschen zwischen Strukturen wird leichter. Gerade über- nieren, damit dieses Wissen auch für 20 und 40 Jahren zu gewinnen und zu lastete Gruppen und Kreise wirken oft die sonstige politische Praxis genutzt binden. Die Partei ermutigt trotz der nicht sehr attraktiv; das kann ein Teu- werden kann. Die Kampagnen sollen formalen Quote zu wenige Frauen zur felskreis sein. Wir wollen mit Kampa- eigenständig Mitglieder und Unter- Mitarbeit. In der Fläche hat die Land- gnen auch MultiplikatorInnen und Or- stützer/innen werben. karte der LINKEN viele weiße Fle- ganizer qualifi zieren, um vor Ort ein Welche Kampagnen oder Projekte cken, in denen die alltägliche Partei- Projekt zu entwickeln, das Interes- wir entwickeln, wollen wir in der Par- arbeit die wenigen, meist ungeheu- sierte gewinnt und eine Art »Starthil- tei gemeinsam diskutieren. Mit Blick er aktiven Mitglieder an die Grenze fe« gibt. So können die Strukturen in auf die Wahlen im Jahr 2014 wäre es des Leistbaren bringt. Um im Alltag der Partei gestärkt werden. sinnvoll, für Europawahlen und Kom- und in Bewegungen und Organisati- Darüber hinaus schlagen wir Pro- munalwahlen einen gemeinsamen Bo- onen verankert zu sein, müssen wir gramme zur Nachwuchsförderung gen zu schlagen. Die Forderung nach die Partei stärken. Alle wissen es, und vor, die inhaltliche Qualifi zierung mit Umverteilung ist für die Kommunen viele sind dabei schon aktiv. Wir wol- politischem »Handwerkszeug« zur gerade unter der Schuldenbremse len die Entwicklung der LINKEN zu ei- Anleitung und Initiierung von politi- dringend. Gleichzeitig fordern wir ei- nem Schwerpunkt machen, indem wir schen Prozessen verbinden. Im nächs- ne europaweite Vermögensabgabe, für die Gewinnung von Mitgliedern und ten Jahr starten wir mit einem Pilot- die Stärkung des Öffentlichen zu Las- die stärkere Verankerung vor Ort und projekt in zwei Landesverbänden. Da- ten des privaten Reichtums in Europa. in gesellschaftlichen Auseinanderset- rüber hinaus planen wir eine Jugend- Als längere Dach-Kampagne könn- zungen zusammen angehen. offensive in Zusammenarbeit mit ten wir uns den Kampf gegen prekäre Wir werden mit einer Auswertung linksjugend ['solid] und dem SDS. Arbeits- und Lebensbedingungen vor- der Konzepte und Projekte beginnen Nicht immer stimmt das Gleichge- stellen. Hier könnten wir Arbeitszeit- (vor allem DIE LINKE 2020), die be- wicht zwischen der Bedeutung, die verkürzung und gerechte Verteilung reits entwickelt wurden. Aber die Par- wir Texten zuweisen, und der Kraft, von Zeit, Einkommensgerechtigkeit tei bestimmt sich nicht nur aus sich die wir in die Außenwirkung setzen – und eine solidarische Versicherung selbst heraus, sondern auch daraus, auch in die praktische Erprobung von für Gesundheit und Pfl ege, armutsfes- was sie erreichen will, was ihre Ziele Konzepten und Ideen. Nicht immer ge- te soziale Sicherung zusammenbrin- und Aufgaben sind. lingt es, die Konzepte auszuwerten, Er- gen. Wichtig ist: Unsere Forderun- Die Vielfalt unserer Mitglieder – in folge zu kommunizieren und vonein- gen müssen so sein, dass sich gesell- Kulturen, Generationen, Erfahrungen, ander zu lernen. Wir wollen eine stär- schaftliche Bündnisse darum bilden Perspektiven auf die Welt – ist ein ho- kere Verknüpfung von inhaltlichen können. Zum Start für diese Vorha- hes Gut der LINKEN. Sie bringt auch und organisatorischen Praxen: Wir ben und für die gemeinsame Diskus- Herausforderungen mit sich: In der entwickeln Kampagnen, politische sion wollen wir 2014 einen Zukunfts- LINKEN fi nden sich ähnliche Grup- Projekte und Praxisfelder, die geeig- kongress der LINKEN veranstalten.

DISPUT Dezember 2013 5 KOALITIONSVERTRAG

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So schaut die Kurz-Bilanz der Umsetzung von SPD-Wahlversprechen im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU aus. Gregor Gysi und Katja Kipping präsentierten dieses Zeugnis bei ihrer Pressekonferenz am 27. November auch in Plakatform.

6 DISPUT Dezember 2013 AUS DEM HAUS

a denkt man, man habe uns, dass sich dieser Trend fortsetzt. sie hinter sich, diese end- Neben den Landtagswahlen in den losen Jahresrückblicke. östlichen Bundesländern Sachsen, Ob nun Jauch mit »Men- Thüringen und liegt der schen, Bilder, Emotionen« Schwerpunkt für die gesamte Partei D oder Lanz mit »Menschen 2013« oder auf der Wahl zum Europaparlament die Unterformate »Das schönste am 25. Mai 2014. Und dabei wird uns Haustier 2013« oder wahlweise »Die ein Mann besonders fehlen, der wie nervigsten Deutschen 2013« – es ist kaum ein anderer ein Europäer aus selten schön, was man aus den ver- tiefstem Herzen war. Der Tod von Lo- gangenen 365 Tagen vorgesetzt be- thar Bisky war der dunkelste Moment kommt, und in der Regel hatte man MATTHIAS HÖHN für DIE LINKE im vergangenen Jahr. es zu Recht bereits vergessen. Seine sanfte Autorität, seine Visio- Aber – und so ist das Regelwerk – nen für ein gerechtes Europa, seine es ist Tradition. Und so will auch Persönlichkeit und sein Rat – all das ich mich dem Ritual der Rückblen- Same fehlt uns. de nicht versperren. Letztlich of- Schon jetzt zeigt sich, dass der mah- fenbaren sich im Blick zurück auch procedure as nende Wunsch, mehr wie er zu sein, Chancen, es beim nächsten Mal, every year nämlich vermittelnd, menschlich, in der Zukunft, besser zu machen. warm, wie die Erinnerung leider viel Und schlecht war das Jahr 2013 für zu schnell verblasst. DIE LINKE keineswegs. Im Fernseh- Wir werden es ohne Lothar schaffen Sprech: Es gab sogar eine Reihe se- müssen – und wir werden es schaf- henswerter Momente. Es gab laute fen. Den Grundstein für unseren Er- und schöne, bunte und fröhliche Mo- bruchsstimmung in der ganzen Partei folg im Mai legen wir im Februar in mente, aber auch sehr stille. gewandelt. Wir können doch, wenn . Das ist nicht mehr lange Ich hatte mir in der Januar-Ausgabe wir wollen! Unser Wahlprogramm, hin. Aber von jetzt aus betrachtet ist des DISPUT gewünscht, dass es ein das dank eurer Hilfe so gut wurde, es erst im nächsten Jahr. Jahr für DIE LINKE wird, und zu den wie es war, und unsere Kampagne, Und nun, auch das ist Tradition, der Hoffnungen und Wünschen für 2013 mit der ihr in den Wahlkampf gezo- Wunsch für alle Leserinnen und Le- auch eine Menge an Anstrengungen gen seid, haben uns den Erfolg ge- ser, ein schönes, ruhiges und friedli- und Arbeit vorausgesagt. Dass je- bracht, den wir am 22. September ches Weihnachtsfest zu verleben, die doch trotz Anstrengungen und eurem verbuchen konnten. Ich wiederho- Tage »zwischen den Jahren« zu nut- Engagement nicht alle Wünsche wahr le mich: Dritte Kraft im Land ist nicht zen, um im Kreis der Lieben und der werden und alle Hoffnungen reifen, nichts. Familie Kraft zu tanken für das kom- mussten wir gleich im Januar bei der Dafür von mir das größte DANKE, das mende Jahr. Es wird anstrengend, Landtagswahl in Niedersachsen er- ich 2013 zu vergeben habe. Euer En- aber es kann auch schön werden. Al- leben. Zu sehr haben uns Streit und gagement und eure Zuversicht wer- les Gute für 2014! Unkultur im Vorjahr geschadet, zu den gebraucht. Und da, wo es noch sehr haben wir uns selbst geschadet hapert, werden wir die elf Kommu- MATTHIAS HÖHN IST BUNDESGESCHÄFTS- und mit 3,1 Prozent die Quittung be- nalwahlen im kommenden Jahr nut- FÜHRER UND WAHLKAMPFLEITER. kommen. Der verpasste Wiederein- zen, nutzen müssen. DIE LINKE ist zu zug in den Landtag in Hannover war Recht stolz auf ihre kommunale Ver- Fotos: Erich Wehnert, DIE LINKE schmerzhaft – zumal wir dort gute ankerung vor Ort. Sie ist die Heraus- Arbeit geleistet haben. Die Niederla- forderung für uns, Alltag zu beste- ge habe ich jedoch im Nachhinein als hen, sie ist die Chance für uns, mit Weckruf verstanden, als Weckruf für unseren Konzepten in der Lebens- die Notwendigkeit von Zusammen- wirklichkeit zu punkten und Men- halt für ein gemeinsames Ziel. schen zu überzeugen, bei uns mitzu- Was als schlechter Start in das Bun- tun. Im zu Ende gehenden Jahr haben destagswahljahr begann, hat sich bisher etwa 4.300 neue Mitglieder spätestens mit dem Dresdner Partei- den Weg zu uns gefunden – das ist tag im Juni in eine konzentrierte Auf- erfreulich, und ich wünsche mir und

DISPUT Dezember 2013 7 ARBEITSKAMPF Verkäufer/innen sind bedient Zu den Streiks im Handel INTERVIEW MIT UNDINE ZACHLOT, VER.DI-SEKRETÄRIN FACHBEREICH HANDEL, BEZIRK MITTEL-/NORDTHÜRINGEN

Die Arbeitgeber haben den halb müsse er »modernisiert« wer- Wie haben die Belegschaften Manteltarifvertrag im Einzel- den. Modernisierung meint hier aber auf die Kündigung reagiert? handel aufgekündigt. Was be- ausschließlich die Verschlechterung Es herrscht eine große Wut, aber deutet das? der Arbeitsbedingungen. Die Arbeits- auch Kampfbereitschaft. Die Leute Es ist bisher einmalig in der Ge- zeiten sollen vollständig fl exibilisiert, verstehen natürlich, worum es hier schichte der Bundesrepublik, dass Nachtschichtzuschläge gestrichen geht, und sie sind entsprechend be- ein Arbeitgeber komplett alle Man- und neue, besonders schlecht gestell- reit, für ihre Rechte und Forderun- teltarifverträge aufkündigt. Dies ist te Lohngruppen geschaffen werden. gen zu kämpfen. In Erfurt haben wir ein Generalangriff auf alle Beschäf- Momentan befi nden wir uns in der seit dem 1. Juni 20 Streiktage mit tigen im Einzelhandel. Die Arbeitge- Nachwirkungszeit der Tarifverträ- knapp 3.000 Kolleginnen und Kolle- ber argumentieren, der Manteltarif- ge. Das bedeutet, sie haben noch ih- gen durchgeführt. Baden-Württem- vertrag sei überholt und veraltet, des- re Gültigkeit – allerdings nur für be- berg liegt bereits bei 70 Tagen. Ei- stehende Beschäftigungsverhältnisse. nen solchen großen und intensiven Für Neueingestellte gelten momentan Arbeitskampf gab es bei uns bisher bloß noch die gesetzlichen Mindest- noch nie. anforderungen. Edeka Hessenring Wie ist die Stimmung? und OBI verfahren bereits danach Kämpferisch! Anders kann man das und stellen Kolleginnen zu deutlich nicht sagen. Wir gewinnen bei ver.di schlechteren Konditionen ein. Der viele neue Mitglieder, momentan lie- Stundenlohn liegt teilweise bei gera- gen wir bei acht bis neun Prozent de einmal 6,50 Euro. Mitgliederzuwachs.

8 DISPUT Dezember 2013 SOLIDARISCH

Die Tarifauseinandersetzun- Was sind eure Forderungen? kämpfenden Kolleginnen und Kolle- gen im Einzelhandel halten nun Wir wollen zwei Dinge: erstens die gen. So wurden große Türanhänger schon seit Monaten an. Ein Wiedereinsetzung des Manteltarif- mit dem Spruch »Ich unterstütze den Schwerpunkt der Auseinander- vertrages und zweitens eine Lohn- Tarifkampf meiner Verkäuferin« pro- setzung ist die Eingruppierung: erhöhung von einem Euro pro Stun- duziert und in die Regale von Super- Zwei Drittel der Beschäftigten de. Momentan gibt es immer wieder märkten gehängt. Damit sollen auch fallen bisher in übersichtliche neue Verhandlungsrunden mit den die Kunden über die Notwendigkeit drei Gehaltsklassen. Jetzt sollen Arbeitgebern. Darauf verlassen wir des Arbeitskampfes informiert wer- diese unter dem Deckmantel uns aber nicht alleine. Es wird viel den. der »Modernisierung« nach Tä- gekämpft vor den Betrieben. Was kommt als Nächstes? tigkeiten aufgefächert und neue In einigen Städten haben sich Wir bereiten weitere Streikaktionen Niedriglohngruppen etabliert Unterstützerstrukturen in Zu- unter dem Motto »Weihnachten steht werden. Für viele Verkäuferin- sammenarbeit mit Belegschaft vor der Tür – wir auch!« vor. Am 11. nen und Verkäufer würden sich und ver.di gebildet … Dezember gibt es eine neue Verhand- die Löhne und Gehälter damit Das ist eine prima Sache. In Erfurt lungsrunde mit den Arbeitgebern. weiter verschlechtern. gibt es die Gruppe »Tarifkampf im Sollte es dort zu keiner Einigung Schon jetzt ist die Lage der Be- Einzelhandel – Supporter Crew«, das kommen, werden wir auch die Vor- schäftigten im Einzelhandel ist eine große Gruppe von jungen Weihnachtszeit bestreiken. Wir las- vielfach prekär. Befristete Be- Leuten aus anderen Gewerkschaften sen uns nicht kleinkriegen. schäftigung, Teilzeitverträge und der Universität. Sie organisieren und Niedriglöhne haben sich in Unterstützungsmaßnahmen für die INTERVIEW: TIM HERUDEK den letzten Jahren rasant aus- gebreitet, so dass immer mehr von ihrem Lohn allein nicht le- ben können. Der Einsatz von Beschäftigte aus Werkvertragsfi rmen verschärft dem Einzelhan- den Druck auf die Beschäftig- del setzen ihre ten und die Arbeitsverhältnisse. Streiks fort. An Nur noch vier von zehn werden einer Demonstra- nach einem Branchentarifver- tion am 29. No- trag bezahlt. vember in Berlin- Die Beschäftigten, mehrheitlich Steglitz nahmen Frauen, und ihre Gewerkschaft auch Mitglieder ver.di wehren sich mit öffentli- der LINKEN teil. chen Protest- und Streikaktio- Foto: Stefan Richter nen. DIE LINKE unterstützt die- se Aktionen vielerorts aktiv. Im Weihnachtsgeschäft sollen jetzt noch einmal an möglichst vie- len Orten Unterstützungsakti- onen stattfi nden. Die Bundes- tagsfraktion produziert zu die- sem Zweck eine neue »Aktions- postkarte«, mit der Kundinnen und Kunden die Verkäuferin- nen und Verkäufer unterstützen können. Wer aktiv werden will, kann sich bei Tim Herudek mel- den ([email protected], 030/24009481). PASCAL MEISER

DISPUT Dezember 2013 9 MENSCHENWÜRDE Nicht im Verborgenen

Rechte von Prostituierten schützen! VON EVRIM SOMMER

Das gesamte Gesetz ist zudem juris- schen Arbeitsbedingungen gibt, dass tisch paradox. Die Prostituierte wird Prostituierte weniger in Wälder oder de facto zur Mittäterin, denn ohne Industriebrachen abgedrängt werden sie könnte der Täter gar keine Straf- und vom Gesetz her vor der Willkür tat ausüben. Es ist auch schwierig, und Gewalt von Kunden, Zuhältern, die Freier zu belangen. Dafür braucht Polizisten oder marodierenden Ban- man Zeugen, und die gibt es meist den geschützt sind.« nicht. Damit ist das Gesetz eigentlich Nun ist das aber auch wieder ein wirkungslos, schafft aber stattdessen Problem. Denn diese besseren Arbeits- neue Tabus. Dennoch werden Alice bedingungen führen dazu, dass Frau- Schwarzer und ihre politischen Tritt- en insbesondere aus Osteuropa nach brettfahrer nicht müde, dieses Modell Deutschland kommen, um hier als ber kaum ein Thema wurde in zu propagieren. Prostituierte zu arbeiten. Nur ein ver- den letzten Wochen so heiß dis- Eines der Grundprobleme ist die schwindend geringer Teil davon wird Ü kutiert wie über Prostitution. Vermengung von sexueller Sklave- nach Deutschland verschleppt. Viele Angestoßen wurde diese Debatte von rei und freier Prostitution. Sexarbei- wissen, dass man das schnelle Geld Alice Schwarzers lautem Aufruf zu de- terinnen werden pauschal zu Opfern nicht mit Putzen macht. ren Abschaffung. Die »Emma«-Heraus- erklärt, und es wird ihnen ihre sou- August Bebel beschrieb 1879 in geberin fordert dies seit Jahrzehnten veräne Entscheidungskraft abgespro- »Die Frau und der Sozialismus« die und propagiert dabei das »Schwedi- chen. Dabei ist sexuelle Sklaverei nur Prostitution als ökonomisches Phäno- sche Modell«. Dort steht seit 1999 der ein Randbereich der Prostitution. Nun men, welches aus der ökonomischen Kauf von sexuellen Dienstleistungen schreibt die angehende CDU/CSU- Überlegenheit des Mannes resultiert. unter Strafe. Durch ein Anti-Freier-Ge- SPD-Koalition bereits in den Koaliti- Kurz gesagt: Frauen brauchen Geld, setz, welches Bestandteil des Geset- onsvertrag, dass das deutsche »Pros- Männer haben es. Das ist heute auch zespaketes »Kvinnofrid« (Frauenfrie- titutionsgesetz im Hinblick auf die Re- nicht viel anders. Sex verkauft sich den) ist, sind es die Freier, die krimi- gulierung der Prostitution umfassend« besser. Obwohl nur wenige Frauen nalisiert werden. Prostituierte hinge- zu überarbeiten sei. diesen Weg gehen, halten einige Frau- gen machen sich keiner kriminellen In Deutschland wurde 2002 unter en dies für besser, als prekär bei ALDI Handlung schuldig. Dieses Modell ist SPD und Grünen ein Prostitutionsge- beschäftigt zu sein. weltweit einmalig, und die schwedi- setz eingeführt, das diese entkrimina- So kommt es eben auch darauf sche Regierung wird nicht müde, für lisierte, Prostituierte rechtlich besser- an, dass wir die Rechte dieser Frauen dieses Modell zu werben. stellte und ihnen den Zugang zu so- schützen. Sexarbeit darf nicht im Ver- Leider funktioniert es in der Re- zialer Absicherung ermöglichen soll- borgenen stattfi nden! Dort nämlich alität nur nicht so, wie sich ihre Er- te. Das Gesetz zog gewissermaßen die wird sie gefährlich. Populistisches Ge- fi nderinnen das vorgestellt hatten. Konsequenz aus der Erkenntnis, dass schrei nach Verboten hilft weder den In Schweden ging zwar die sichtbare eine Hure nicht automatisch ein Op- Prostituierten noch den Opfern von Prostitution zurück – in den großen fer, ein Bordellbetreiber nicht auto- Menschenhandel. Um Menschenhan- Städten um 50 Prozent –, aber bloß, matisch ein Zuhälter und die Branche del und damit verbundene sexuelle weil sie nun im Verborgenen stattfi n- nicht automatisch eine Hochburg der Versklavung gezielt zu bekämpfen, det. Kontakte werden im Internet ge- organisierten Kriminalität ist. Das Ge- müssen wir Opferschutz gewährleis- knüpft. Schwedische Freier werden setz ist ein Schritt in die richtige Rich- ten und ein Aufenthaltsrecht in un- jetzt zu Sextouristen. Besonders be- tung, auch wenn es Lücken aufweist serem Land bieten. Wir müssen die liebt ist Berlin. Obwohl das Gesetz und weiterentwickelt werden muss. Infrastruktur aus Frauenprojekten die Prostituierten schützen soll, ver- Prostituierte fühlen sich heute ih- stärken und Verbote abbauen. Nur so schlechtert es ihre Situation unge- ren Kunden gegenüber nicht mehr können wir diese Frauen schützen, ih- mein. Nun müssen sie in einer Grau- rechtlos. Ja, sie können sogar ihr Ho- nen sichere Arbeitsbedingungen oder zone agieren, in der sie ungeschützt norar einklagen. Der Hurenverband Möglichkeiten zum Ausstieg bieten. sind. Sie können dubiose und gewalt- Hydra e.V. sagt: »Das deutsche Mo- Sexarbeit ist keine Arbeit wie jede an- same Freier nicht mehr ablehnen. So- dell steht vor allem für menschen- dere, aber sie ist eine Arbeit! zialarbeiter/innen können Prostituier- würdige Rahmenbedingungen in der te so schwer erreichen, um eventuel- Prostitution. In vielen Ländern wer- EVRIM SOMMER IST FRAUENPOLITISCHE le Ausstiegsmöglichkeiten mit ihnen den wir darum beneidet, dass es le- SPRECHERIN DER LINKE-FRAKTION IM zu erarbeiten. gale Bordelle mit sicheren, hygieni- BERLINER ABGEORDNETENHAUS.

10 DISPUT Dezember 2013 FEUILLETON

GLÜ CK

rüher meinte das Lied der DAX-Börse. Die haben in diesem dert, gilt er als Miesmacher. Wenn die Glöckchen zur Heili- Jahr etwa 25 Prozent Kursgewinn der Papst das in seinem apostoli- gen Nacht. Heute gilt das durch immer neue Rekorde dank der schen Schreiben sagt, dann fehlt mehr für die Kassen der Billigzinsen der Europäischen Zent- den Medien Papier und Sendezeit. Warenhäuser und Super- ralbank gemacht. Die Sparer suchen Mal sehen, ob BMW hundert Lie- Fmärkte. Die Einzelhändler rech- händeringend eine Bank, die we- ferwagen für »Essen auf Rädern« nen mit einem Drittel des Jah- nigstens 1,5 Prozent abgibt. Für kur- an die Armenkasse spendet. Viel- resumsatzes zur Weihnachtszeit. ze Zeit mussten die Vorstandseta- leicht räumt der Skandal-Bischof Das sind über 15 Milliarden Euro gen zittern, weil in der Schweiz, wo von Limburg seine mit 32 Millio- oder 288 pro Rentier, das mit ro- man die Demokratie öfter wörtlich nen Euro renovierte Amtshütte für ter Nase durch die Konsumtem- nimmt, eine Volksabstimmung lief, obdachlose Asylbewerber? pel stapft. die bestätigen sollte, dass die Ma- Die ARD hatte den glücklichen Solch Reibach fällt nicht vom nager nicht mehr als das Zwölffache Einfall, in Stadt und Land, Ost und Himmel. Da müssen gleich nach ihrer Untergebenen einstecken dür- West, die Leute zu fragen, ob sie Ostern die Schoko-Hasen, die fen. Das ging aber daneben, weil in glücklich sind. Eine Umfrage von überlebt haben, umgeschmolzen der Schweiz jedes zweite Haus ei- Infratest dimap bei über 50.000 werden zu Weihnachtsmännern. ne Bankfi liale ist. In Deutschland ist Mitbürgerinnen und Mitbürgern Da müssen ab Oktober alle We- weiter das 50- und 100-Fache er- ergab: Im Westen sind die Leute ge mit Pfefferkuchen gepfl astert laubt und gefördert. Trotzdem wurmt glücklicher als im Osten, im Sü- werden. Da müssen die »fünf Wei- es unsere Superreichen, wenn ihre den noch glücklicher als im Nor- sen« der Kanzlerin – Jesus hat- Pförtner Mindestlohn kriegen sollen. den, nur in Ostelbien hängen sie te nur drei als Paten – dem Volk Der Koalitionsvertrag sagt deshalb: durch! Ab 3.000 Euro netto im und der Regierung vorrechnen, Nicht gleich und nicht alle. Lasst Monat kommen die Leute zurecht. dass Deutschland das glücklichs- doch die Sozialämter weiter die Mie- Wer nur die Hälfte hat, ist halb so te Land der Erde ist. Und weiter- ten der unterbezahlten Leiharbeiter glücklich. Wer hätte das gedacht! regieren darf nur, wer den Un- blechen! Um aber die Quellen der Unzu- ternehmern das »Weiter so!« ver- Es zahlt sich eben aus, wenn Familie friedenheit nicht im System zu su- spricht und die linken Ketzer und Quandt für BMW vor der Weihnacht chen – wie Papst Franziskus –, Umstürzler an der kurzen Leine oder der Wahl einen dicken Goldbar- wurde auch gefragt, welcher Par- hält. ren in die richtige Parteikasse wirft. tei die Befragten nahestehen. Und Die SPD hat ein bisschen an der Kein Wunder, dass seine Heiligkeit siehe da: Die Glücklichen wählen Leine gezerrt. Sie verlangte 50 der Papst zum Advent verkündet: die Union, die Nörgler kommen Milliarden für den Wandel auf Der Kapitalismus ist in der Wurzel von den Linken. Müssen wir nun wichtigen Gebieten. Am Ende der ungerecht! Diese Wirtschaft tötet! die Rute fürchten? Nicht doch! Koalitionsrangelei hatte sie 23 Wenn die Priester und Potentaten Die Glücksbotschaft lautet: Der Milliarden auf ihrem Gabentisch. gute Hirten sein wollen, dann soll- Papst ist einer von uns! Halleluja! Das wird bei 17 Milliarden Steu- ten sie nach den Schafen riechen. – erüberschuss schon aufzubringen Starke Worte für ein starkes Arbeits- sein. Das größte Geschenkpaket programm im Vatikan! geht an die 30 Großunternehmen Wenn Gysi derlei im for-

JENS JANSEN Illustration: Ale Sund

Kling, Glöckchen, Klingelingeling …

DISPUT Dezember 2013 11 LANDESVERBAND Den Moment nutzen! Sachsens LINKE vor dem Landtagswahljahr VON RICO GEBHARDT, LANDES- UND FRAKTIONSVORSITZENDER, UND ANTJE FEIKS, LANDESGESCHÄFTSFÜHRERIN

er eine oder andere mag sich immer noch verwundert die D Augen reiben über die Haken, die die SPD geschlagen hat, als sie im November zu ihrem Bundesparteitag in Leipzig zusammentrat. Im Mittel- punkt sollten Erfolgsmeldungen ste- hen, ein neuer Vorstand bestimmt werden. Nur in einer Randnotiz war zunächst zu lesen, dass sich die Par- tei auch für eine Zusammenarbeit mit der LINKEN öffnen wollte. Die Geister, die sie rief, wurde die SPD je- doch nicht mehr los. »Sag, wie hältst du’s mit der LINKEN?« – Um diese Gretchenfrage drehte sich schon bald die bundesweite Berichterstattung. In der sächsischen Medienland- schaft überstrahlte diese Nachricht in ihrer Ableitung für die sächsi- schen Verhältnisse bald die gesam- ten Bemühungen sozialdemokrati- scher Themensetzung. So konnte letztlich kein Beitrag aus der Messehalle über den säch- sischen Äther gehen, ohne dass das Verhältnis zur LINKEN thematisiert wurde. Die sächsische SPD muss- te sich nun tatsächlich mit der Fra- ge auseinandersetzen: Würde sie im Freistaat gemeinsam mit der LINKEN und den Grünen koalieren? Und wür- de sie einen LINKEN zum Minister- Am Weltfriedenstag 2013 in Dresden Foto: DIE LINKE. Sachsen präsidenten wählen? Dass DIE LIN- KE zeitgleich auf einem Landespar- teitag in Leipzig die Weichen für die Landtagswahl 2014 stellte und auch ge debattierte, konnte die Diskussion wohl die FDP als auch die NPD nicht die Grünen auf einem Landespartei- nur noch verstärken. Und auch wenn mehr im Landtag vertreten. Nur we- tag in Dresden über die Koalitionsfra- sich SPD wie Grüne alle Optionen of- nige Prozent lagen Rot-Rot-Grün bei fenhalten: Eine rot-rot-grüne Koaliti- der Bundestagswahl hinter der Uni- on für Sachsen wollen sie nicht aus- on. Wenn es gelingt, auch die AfD aus schließen. Plötzlich ist er da: der Mo- dem Landtag herauszuhalten, dann ment, in dem alles möglich scheint. ist eine Gestaltungsmehrheit jenseits Kontakt Bis zur Landtagswahl wird noch der CDU tatsächlich möglich. einige Zeit vergehen, ob sie nun An- Für die Notwendigkeit der politi- DIE LINKE. Sachsen fang Juli oder Ende August 2014 ab- schen Veränderung spricht einiges: Kleiststraße 10 a gehalten wird. Dennoch stellt sich die In Sachsen werden heute mit Ab- 01129 Dresden Frage gerade jetzt nicht von ungefähr. stand die niedrigsten Industriear- Telefon: 0351/853270 Alle Parteien bereiten sich inhaltlich beiterlöhne in Deutschland gezahlt. [email protected] und strukturell auf die Landtagswahl Sachsen ist das Bundesland mit der www.dielinke-sachsen.de vor. Und die zurückliegende Bundes- höchsten Quote von Hartz-IV-Auf- tagswahl wirft neue Fragen auf. Nach stockenden. Sachsen hat die durch- diesem Ergebnis wären nämlich so- schnittlich längste Verweildauer in

12 DISPUT Dezember 2013 KURZ UND BUNT

Erwerbsarbeitslosigkeit. In diesem stellen. Dabei ist es uns stets wichtig Erwarten Land gibt es den niedrigsten Betreu- gewesen, mit den Mitgliedern ins Ge- ungsanteil der bis 3-Jährigen in Kin- spräch zu kommen, sie einzubinden, 2014 erwarten uns 365 Tage, dertageseinrichtungen in den neu- eine Anlaufstelle zu bieten für ihre darunter der Tag des Glücks en Bundesländern. Und Sachsen hat Probleme, Fragen, Anregungen und (20.3.) und die 12 Erschei- den höchsten Anteil an Schülerin- Kritiken. Und diese auch in unsere nungstage des DISPUT: 16.1., nen und Schülern in Förderschulen Politik mit aufzunehmen. 27.2., 20.3., 17.4., 22.5., 19.6., sowie die niedrigsten Eingliederungs- Ein Wahlplakat kann nur verkün- 17.7., 21.8., 18.9., 16.10., sätze für Menschen mit Beeinträchti- den. Im besten Falle kann es über- 20.11. und 11.12. gung in ganz Deutschland. Filz (Stich- zeugen. Es kann aber nicht beteili- wort Sachsensumpf) und fi nanzielles gen. Und vor allen Dingen kann es Missmanagement (Stichwort Zwangs- aus unserer Sicht nur am Ende einer Beraten verkauf der Landesbank) machen die langen Auseinandersetzung mit den negative Regierungsbilanz der Union eigenen Positionen und der der Men- Für DIE LINKE stehen zwei Par- erst richtig rund. Die CDU ist nach 23 schen in Sachsen stehen. Deshalb teitage (mit insgesamt fünf Be- Jahren an der Macht inhaltlich, per- haben wir den »Dialog für Sachsen« ratungstagen) an: am 15. und sonell und methodisch am Ende. Eine geschaffen, ein Projekt, mit dem wir 16. Februar in Hamburg (der Alternative kann es jedoch nur mit im wahrsten Sinne des Wortes mit Europawahl-Parteitag) sowie der LINKEN geben, denn als größte den Menschen ins Gespräch kom- vom 9. bis 11. Mai in Berlin Oppositionspartei in Sachsen ist eine men wollen. (mit der Wahl des Vorstands). Regierungsbildung jenseits der CDU In zahlreichen Veranstaltungen, ohne unsere Beteiligung ausgeschlos- bei Einzelgesprächen und Podien, sen. auf der Straße, am Infotisch oder im Wählen Das allerdings muss genauso als Wahlkampfcafé, aber auch im Netz Aufforderung an SPD und Grüne ge- auf den unterschiedlichsten Plattfor- Mehrfach wird 2014 gewählt: sehen werden wie als mahnende Er- men und vor allem auf unserer Seite das Europaparlament (25.5.), innerung an uns selbst: Wir müs- dialog-fuer-sachsen.de suchen wir so die Landtage in Sachsen, Thü- sen Verantwortung für einen Poli- die aktive Auseinandersetzung. Wir ringen und Brandenburg und in tikwechsel in Sachsen übernehmen. wollen eine andere politische Kultur unzähligen Kommunen, wo die Wir brauchen den Willen zur Gestal- vermitteln, eine Kultur der Verän- Bayern beginnen (16.3.). Wer die tung, ohne dass wir die kämpferi- derung, eine Kultur, in der man tat- Wahl hat, hat den Wahlkampf. sche Grundhaltung verlieren. Und sächlich etwas bewegen kann, statt, wir brauchen den Mut zum Kompro- wie in 23 Jahren CDU-Herrschaft, im miss mit den Partnern, mit denen Stillen die Sorgen und Probleme für wir diesen Politikwechsel gestalten sich allein zu erdulden und besten- wollen. falls wohlwollende Worte – ohne tat- Wir haben in Sachsen in den sächliche Veränderung – von den po- vergangenen Jahren einen großen litisch Agierenden präsentiert zu be- Schritt gemacht. Seit der Landtags- kommen. Das ist unser Anspruch, an wahl 2009 befi nden wir uns in einem dem wir uns messen lassen. Und mes- Prozess der Auseinandersetzung mit sen lassen müssen. unseren Inhalten und unseren Zie- Wir gehen also in das Wahlkampf- len für unser Bundesland. Wir disku- jahr 2014 mit einem klaren Ziel: Wir tieren seitdem verschiedenste Leitli- wollen nicht nur möglichst stark in Wünschen nien: sozialpolitische, energiepoliti- den Landtag einziehen, das ist selbst- sche, bildungspolitische, kommunal-, verständlich. Wir wollen vielmehr KURZ UND BUNT (wie der ange- europa- und wirtschaftspolitische, Teil eines tatsächlichen Politikwech- schlossene DISPUT) wünscht al- um nur einige zu nennen. sels für Sachsen sein. Letztlich hängt len Leserinnen und Lesern, allen Wir sind mit diesem Diskussions- das nicht nur, aber auch an uns. Und Abonnentinnen und Abonnenten, prozess noch lange nicht am Ende. wenn wir es tatsächlich wollen, müs- allen Autorinnen und Autoren ein Als Ziel steht ein Landtagswahlpro- sen wir alles dafür tun, damit die kurz(weilig)es und buntes 2014. gramm, ein Plan, wie wir uns dieses CDU im kommenden Jahr ihr »rotes« Auf ein Neues! Land unter unserer Beteiligung vor- Wunder erlebt.

DISPUT Dezember 2013 13 PRESSEDIENST

▀ ▀ Europawahlpro- ▀ ▀ Sozialabbau: »Der KE ruft zur Sammlung von fe sowie Verbesserungen gramm: Der Parteivor- Sozialbericht für Deutsch- Unterschriften auf. Un- für Einwanderer/innen und stand beriet und verab- land zeichnet ein Bild des terstützen kann man die Flüchtlinge. schiedete auf seiner Bera- grassierenden Sozialab- Petition im Internet un- tung am 23. und 24. No- baus, den die Bundesregie- ter https://epetitionen. ▀ ▀ Nordrhein-Westfa- vember den Entwurf für rungen der vergangenen bundestag.de/content/pe- len: Die Auswertung der das Europawahlprogramm Jahre extensiv betrieben titionen/_2013/_10/_23/ Bundestagswahl sowie die als Leitantrag für den haben«, kritisierte Partei- Petition_46483.nc.html Vorbereitung auf die Kom- Hamburger Parteitag (15. vorsitzende Katja Kipping munalwahlen und die Eu- und 16. Februar 2014). am 26. November nach ▀ ▀ Rüstungsexporte: ropawahl am 22. Mai 2014 Dem Vorstand hatten zwei Veröffentlichung des Da- Die deutschen Waffenex- prägten den Landespartei- alternative Entwürfe vorge- tenreports von Sozialwis- porte seien völlig außer tag in Nordrhein-Westfa- legen. Das Gremium wähl- senschaftlern und Statis- Kontrolle, über die Hälfte len am 7. und 8. Dezember te mehrheitlich den Ent- aller Exportgenehmigun- in Herne. Einstimmig an- wurf der Parteivorsitzen- gen seien 2012 für Liefe- genommen wurden Kom- den als Beratungsgrund- rungen in Länder außer- munalpolitische Leitlini- lage aus und bearbeitete halb der NATO erteilt wor- en. Bei Nachwahlen wur- über hundert Änderungs- Kontakt den, fast jede Waffe, so den Darius Dunker in den anträge dazu. der stellvertretende Partei- geschäftsführenden Lan- Am Ende stimmte die www.dielinke.de vorsitzende Jan van Aken desvorstand und Christian Mehrheit des Parteivor- [email protected] am 20. November zum Leye in den Vorstand ge- standes diesem Text zu. Rüstungsexportbericht, wählt. Er ist als Leitantrag veröf- dürfe in fast jedes Land fentlicht unter: der Welt geliefert werden: ▀ ▀ Rheinland-Pfalz: Die www.dielinke.de/partei/ »Wir beobachten seit 2005 rheinland-pfälzische LINKE organe/parteitage/ eine große Koalition der wählte auf einem außer- europaparteitag-2014. tikern. Der Bericht belege Rüstungsexporteure. Da ordentlichen Parteitag am deutlich, dass das Armuts- haben CDU/CSU, SPD und 7. Dezember in Trier ihren ▀ ▀ Nelson Mandela: risiko in Deutschland zu- FDP in den vergangenen neuen 14-köpfi gen Landes- Als den »größten Kämpfer nimmt, unter älteren Men- Jahren gemeinsam alle Re- vorstand für die Amtszeit gegen die Apartheid, ein schen genauso wie unter korde gebrochen. Angela von einem Jahr. Den Vor- Symbol für die internatio- jungen. Auch die künfti- Merkel ist die Kanzlerin der stand führen Katrin Werner nale Solidarität und eine ge Bundesregierung werde Waffenexporte.« und Alexander Ulrich. Stell- Schlüsselfi gur des Über- keine wirkliche Reform des vertretende Vorsitzende gangs zu einem demokrati- Arbeitsmarktes in Angriff ▀ ▀ Hamburg: Auf ih- sind Brigitte Freihold und schen und multiethnischen nehmen. rem Landesparteitag am Wolfgang Förster, Schatz- Südafrika« würdigten Kat- 8. Dezember hat DIE LIN- meister Sebastian Knopf ja Kipping, Bernd Riexin- ▀ ▀ Online-Petition: KE ihre Ziele für die Be- und Schriftführerin Stepha- ger und Gregor Gysi am 6. Noch bis 18. Dezember zirkswahlen in Hamburg nie Beck. Dezember den verstorbe- läuft auf der Bundestags- im Mai 2014 formuliert. nen Nelson Mandela: »Wir Webseite die Online-Peti- Unter dem Titel »Soziale ▀ ▀ Baden-Württem- trauern um einen charis- tion von Inge Hannemann Gerechtigkeit, Demokra- berg: Auf ihrem Landes- matischen Mann, der mit zur Abschaffung der Sank- tie und Kampf für gleiche parteitag am 23. und 24. seinen fortschrittlichen tionen und Leistungsein- Rechte für alle Menschen« November in Stuttgart-Un- Ideen entscheidende An- schränkungen bei Hartz setzt sie sich gegen die so- tertürkheim bereitete sich stöße beim Aufbau einer IV und Sozialhilfe. Benö- ziale Spaltung der Stadt Baden-Württembergs LIN- Gesellschaft gab. Mit Nel- tigt werden 50.000 Unter- ein. Weitere Schwerpunk- KE auf die Kommunal- und son Mandela verlieren wir stützer/innen, damit der te sind mehr Bürger/in- Europawahlen 2014 vor. einen großen Staatsmann »offene Strafvollzug Hartz nenbeteiligung, eine sozi- Darüber hinaus wurde tur- und Menschenfreund, des- IV« endlich im Petitions- ale Stadtentwicklung, der nusgemäß ein neuer Lan- sen Andenken immer einen ausschuss des Bundes- Kampf gegen Mietenwahn- desvorstand gewählt. An Platz in unserer Partei ha- tages öffentlich gemacht sinn, die Förderung regio- der Spitze des Landesver- ben wird.« werden kann. DIE LIN- naler Wirtschaftskreisläu- bandes steht wieder ein

14 DISPUT Dezember 2013 DAS KLEINE BLABLA

sechsköpfi ger Geschäfts- mahnte einen selbstkriti- führender Vorstand. Im In aller schen Umgang an. Amt bestätigt wurden Hei- Munde di Scharf, Dirk Spöri, Bern- ▀ ▀ : Auf ih- hard Strasdeit (Landesge- rem Landesparteitag am schäftsführer) und Chris- 23. November in Dillin- toph Cornides (Landes- gen haben die Delegier- schatzmeister). Neu im h, lecker: ein gutes Frühstück im kal- ten der Saar-LINKEN Astrid Geschäftsführenden Vor- ten Winter. Im Radio die Nachrichten. Schramm mit 67,5 Prozent stand: Eva-Maria Glathe- Ich kaue und höre: »… sind derzeit in zu ihrer neuen Vorsitzen- Braun und Sahra Mirow. aller Munde.« In einem Comic stünde den gewählt. Stellvertre- daraufhin hier: Hust … röchel … prust! tende Landesvorsitzende ▀ ▀ Mecklenburg-Vor- MBeinahe fällt mir das Essen aus dem Gesicht. Man wurden Andrea Küntzer, Al- pommern: Auf ihrem hätte die Schnauze voll, bei dem, was derzeit so alles fred Pfannebecker sowie Greifswalder Landespar- in aller Munde ist. Leicht ließen sich die Backen füllen Heike Kugler. Sigurd Gil- teitag am 23. und 24. No- mit Schwerverdaulichem: Klimaerwärmung, Elektro- cher wurde Geschäftsfüh- vember bestimmte Meck- autos oder Whistleblowing … Da ist so allerhand zu rer, Thomas Lutze Landes- lenburg-Vorpommerns schlucken. schatzmeister und Hans- LINKE einen neuen Vor- Gemeint ist ja, dass man (alle, immer wieder sind es Kurt Hill Schriftführer. stand. Als Landesvorsit- ALLE) über etwas spricht. Demzufolge kommt etwas zende wiedergewählt wur- thematisch Begrenztes (Klimaerwärmung, Elektroau- ▀ ▀ Bayern: Der Wahl- de Heidrun Bluhm. Ihre tos oder Whistleblowing) in Form von Atem und Ge- kampf habe die Partei zu- Stellvertreter/in sind Jean- räusch AUS aller Munde, wenn schon und überhaupt. sammengeschweißt, stell- nine Rösler, Björn Griese Das fröhliche Bild hinkt (ja, das Bild hinkt!!!), wenn te Landesgeschäftsführer und André Walther. Lan- man bedenkt, dass etwas, worüber eine Vielzahl von Bruno Engelhardt auf dem desschatzmeisterin Gab- Menschen spricht, oftmals schon zigfach durchge- Landesparteitag am 17. riela Buchholz wurde im kaut und wiedergekäut wurde – wer will sowas in sei- November in Nabburg fest. Amt bestätigt. Außerdem nem Mund, dem des Nachbarn, gar in ALLER Munde Der Landesverband bekam beriet der Parteitag über haben? während der Wahlkampf- ein Kommunikationskon- »In aller Munde« ist zudem so ausgelutscht, dass kei- zeit rund 400 neue Mitglie- zept und über Kommunal- ner mehr Hemmungen oder Beklemmungen kennt. der, der Negativtrend sei politische Leitlinien zu den Oder es dürfen Azubis texten, wenn so was raus- gestoppt. Nicht die Funk- Kommunalwahlen 2014. kommt: »Gammelfl eisch in aller Munde.« Besser noch tionäre brauchen DIE LIN- EHEC: »Der Erreger war im letzten Jahr in aller Mun- KE, sondern die Menschen ▀ ▀ Berlin: »Wohnen ist de.« Mein Mund wird rund, mein Mund wird breit – in unserem Land, beton- ein Grundrecht« – unter warum auch nicht, er hat ja Zeit, und ich lache gern te Landessprecher Xaver diesem Motto verabschie- über verbalen Stuss. Merk. dete der Berliner Landes- Einen ironischen Seitenhieb verpasste diesem Ge- parteitag am 23. Novem- fl oskel im Übrigen vor Jahren schon die Werbeagen- ▀ ▀ Gedenken: Partei- ber ein wohn- und mie- tur der LINKEN. »In aller Munde, DIE LINKE«, stand vorstand, Betriebsrat und tenpolitisches Programm auf Bonbons, die in Wahlkampfzeiten verteilt wurden. die BAG Selbstbestimmte für bezahlbares Wohnen. Der Bonbon gehört genau dahin, in den Mund. The- Behindertenpolitik trauern Dem ging eine Debatte men nicht – die gehören, wenn überhaupt in Bildern, um den Genossen und Kol- mit GastrednerInnen aus durch die Ohren in das Hirn. Und wenn einem dann legen Stephan Lorent, der dem Mieterverein und von das Herz auf der Zunge liegt – bitte, meinetwegen. am 28. November 2013 im Mieterinitiativen voraus. Ansonsten: durchatmen und runterschlucken. Alter von 52 Jahren starb. Die Delegierten diskutier- Stephan Lorent hat in der ten zudem über den Aus- DANIEL BARTSCH Partei DIE LINKE viel da- gang der Bundestagswahl. zu beigetragen, den Blick Landeschef Klaus Lede- auf die Barrierefreiheit zu rer setzte sich mit Rot-Rot- DISPUT steht wirklich mehr auf Lebkuchen, Dominostein schärfen und die Sensibi- Grün-Optionen und Erwar- oder Glühwein. Denen gilt die kleine Sprachglosse lität für Inklusion zu ver- tungen auseinander und ausdrücklich nicht. Wohl bekomms! größern.

DISPUT Dezember 2013 15 FRAKTION Politikwechsel nur mit LINKS! Modell Hessen: Grün wählen – CDU-geführte Regierung bekommen VON JANINE WISSLER UND WILLI VAN OOYEN

IE LINKE kommt sowieso sitive Stimmung für sich am 22. Sep- tik, die die öffentlichen Kassen leert nicht mehr in den Landtag«, tember nutzen können. Konkret be- und die Handlungsfähigkeit des Staa- D »Die Westausdehnung der LIN- deutet das: Wir haben die Wähler- tes immer mehr lähmt. KEN ist gescheitert«, »Wer DIE LINKE stimmen insgesamt erhöht und den DIE LINKE hält auch nach dem wählt, verschenkt seine Stimme«, Abstand der Stimmen von Landtags- 22. September daran fest: Hessen »Wir kämpfen dafür, dass DIE LINKE und Bundestagswahl auf 0,8 Prozent braucht ein Tariftreue- und Vergabe- aus dem Landtag fl iegt« – Die Vertre- reduzieren können. gesetz, das seinen Namen verdient. terinnen und Vertreter der vier an- Besonders in den Städten (Kas- Dazu gehört ein fl ächendeckender deren Landtagsparteien (CDU, SPD, sel, Frankfurt am Main, Gießen) ha- Mindestlohn. Prekäre Beschäfti- Grüne, FDP) in Hessen wurden im ben wir zugelegt. Als erfreuliche Ent- gungsverhältnisse müssen zurück- Wahlkampf nicht müde, mit derarti- wicklung bleibt festzuhalten: Bei Ju- gedrängt, Altersarmut muss verhin- gen Kampfansagen, Beschwörungen gendlichen und Frauen gab es einen dert werden. Die Beschäftigten im und eindeutigen Appellen an die Öf- erheblichen Zuwachs im Vergleich zu öffentlichen Dienst haben ein Recht fentlichkeit zu gehen. Seit dem 22. 2009 – in Frankfurt am Main wählten auf vernünftige Arbeitsbedingungen September gilt: … war wohl nix. uns 14 Prozent der Erstwähler/innen. und Wertschätzung ihrer Arbeit. Fakt ist: Nicht die Westausdeh- Die SPD, aber auch die Grünen Bildung und Ausbildung müssen nung der LINKEN ist gescheitert, son- haben in der Schlussphase des Wahl- für jeden Menschen zugänglich sein. dern die Strategie von Thorsten Schä- kampfes sehr deutlich gegen DIE LIN- Das bedeutet auch, dass sie keine Fra- fer-Gümbel (SPD) und Tarek Al-Wazir KE Stimmung gemacht – so Schäfer ge des Geldes sein dürfen. Jedes Kind (Grüne). Die Stimmabgabe zugunsten Gümbel: »Ich habe fünf Jahre dafür unter drei Jahren muss einen Betreu- der LINKEN hat es erst ermöglicht, gekämpft, DIE LINKE aus dem Land- ungsplatz haben können. Lernen in dass Schwarz-Gelb keine Mehrheit tag herauszudrängen« – und den Aus- der Schule muss wieder Raum und mehr im neuen Landtag hat. Nicht grenzungskurs von Schwarz-Gelb da- Zeit bekommen. an der LINKEN scheitert der Politik- mit um eine »rot-grüne Variante« er- Hessen muss dem Sozialstaats- wechsel. Er scheitert daran, dass SPD weitert. Zwischen diesen vermeint- prinzip folgen: Es muss im Sinne aller und vor allem Grüne nach dem Wahl- lich konkurrierenden Lagern nicht Bürger/innen gestalten, regulieren, tag schneller von ihren Versprechen zerrieben zu werden, war nicht ein- für gesellschaftlichen Zusammen- nach sozialen Verbesserungen abrü- fach. Hilfreich dabei war dieses Pro- halt sorgen und fi nanziell handlungs- cken, als CDU-Vertreter davor war- fi l: DIE LINKE in Hessen versteht sich fähig sein. Hessen ist ein wichtiger nen können, in Zeiten der »Schulden- als Unterstützerin von sozialen Pro- Industrie- und Dienstleistungsstand- bremse« vom Konsolidierungspfad testbewegungen. Diese haben sich ort. Damit das so bleibt, brauchen abzuweichen. sehr unterschiedlich zusammenge- Beschäftigte und Unternehmen Pla- In den letzten Jahren hat DIE LIN- setzt – von den linksaktionistischen nungssicherheit – gerade im Energie- KE in Hessen nicht nur viel Zuspruch Initiativen bei Blockupy bis zum Pro- bereich. Denn gute Arbeit, eine zu- aus Gewerkschaften, Sozialverbän- test gegen Fluglärm, der sehr stark kunftsfähige Gesellschaft und eine den und von Aktiven aus sozialen auch von bürgerlichen Kreisen ge- wettbewerbsfähige Wirtschaft hän- Bewegungen (unter anderem Blocku- prägt ist. gen von einem intakten Bildungssys- py) erhalten, sondern auch eine po- DIE LINKE hat im Wahlkampf das tem, einer funktionierenden Infra- Versprechen gegeben, bei eventuell struktur und von gerechten Steuern stattfi ndenden Gesprächen mit SPD ab – deswegen fordern wir einen ak- und Grünen zwecks Tolerierung ei- tiven Staat! ner Minderheitsregierung oder Bil- Der Bau der Nordwestlandebahn Kontakt dung einer rot-grün-roten Koalition am Frankfurter Flughafen war ei- sich stets daran zu orientieren, was ne krasse politische Fehlentschei- DIE LINKE. Fraktion wir gemeinsam mit Gewerkschaf- dung, die rückgängig gemacht wer- im Hessischen Landtag ten, dem hessischen Sozialforum, mit den muss. DIE LINKE unterstützt die Schlossplatz 1-3 Blockupy, den Flughafeninitiativen Forderungen des Bündnisses der Bür- 65183 Wiesbaden usw. an Positionen erarbeitet haben gerinitiativen: Nachtruhe von 22 bis Telefon: 0611/3506090 und seit vielen Jahren fordern. Dar- 6 Uhr, Deckelung der Flugbewegun- [email protected] an haben wir uns gehalten. gen und Schließung der neuen Lan- www.linksfraktion-hessen.de Es ist so banal wie richtig: Für ei- debahn. nen echten Politikwechsel braucht Für soziale Gerechtigkeit, für gu- das Land eine Abkehr von einer Poli- te Bildung, für eine Energiewende –

16 DISPUT Dezember 2013 ABOSCHEIN Ich abonniere DISPUT

Name, Vorname

das schien in Hessen die gemeinsame Hessen-CDU) bundesweit als rechtes- Straße, Hausnummer Überschrift zu sein, unter der SPD, ter Landesverband der CDU gilt und Grüne und DIE LINKE 2008 die über- in der Vergangenheit nicht vor aus- fällige Ablösung der rechts-konser- länderfeindlichen Wahlkämpfen zu- PLZ, Ort vativen Landesregierung von Roland rückgeschreckt ist, wird Hessen nun Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) Koch auf den Weg bringen wollten. zu einem Modell für »schwarz-grüne der Zeitschrift DISPUT im Am Ende zeigte sich: Die einzige Modernisierung«, die auch für die Partei, die aus innerer Überzeugung Bundesebene denkbar werden soll. Halbjahresabonnement zum Preis von für dieses Projekt einstand und für Bezogen auf Hessen heißt das 12,00 Euro inkl. Versandkosten dessen Umsetzung warb, war DIE in den nächsten Jahren: Stellenab- LINKE. In dieser Hinsicht ist 2013 ein bau im großen Stil im öffentlichen Jahresabonnement zum Preis von kleines Déjà-vu-Erlebnis. Dienst, Sozial- und Bildungsabbau, 21,60 Euro inkl. Versandkosten Die einzige Partei, die wirklich ei- der mit Verweis auf die Schulden- nen Politikwechsel wollte und dafür breme als alternativlos präsentiert und nutze den vorteilhaften Bankeinzug öffentlich und in den Sondierungs- wird. Und eine Bildungspolitik, die gesprächen eingetreten ist, war DIE weiter aufs Aussortieren setzt und LINKE. Bei den Grünen war von An- bei der Chancengleichheit unter die fang an erkennbar, dass ein rot-rot- Räder kommt. Die CDU »behält« das Geldinstitut grünes Bündnis nicht intendiert war, auf frühe Auslese setzende, dreiglied- aber auch die Führung der SPD zeig- rige Schulsystem aus der Kaiserzeit, te sich in dieser Frage nur halbherzig grüne Besserverdiener können ihre Bankleitzahl und abwartend. In der Schlussphase Kinder »ganz modern« auf gut ausge- ging es nicht mehr um eine Gemein- stattete Privatschulen schicken und, samkeit mit den LINKEN, sondern es wenn es mal klemmt, für private Kontonummer war ein Wettlauf von SPD und Grü- Nachhilfe sorgen. nen um die Gunst der CDU. Dass der Bleibt als positiver Ausblick: Der oder Wechsel der Grünen zur CDU schon Ausgrenzungskurs gegenüber der länger vorbereitet war, kann man nur LINKEN in Hessen ist Geschichte. bitte um Rechnungslegung vermuten. 2009 haben wir erklärt: »Wir sind ge- (gegen Gebühr) an meine Adresse. Am Ende entpuppte sich der im kommen, um zu bleiben.« Dieses Ver- Wahlkampf als Warnung an alle po- sprechen gilt auch noch in fünf Jah- Das Abonnement verlängert sich tenziellen LINKE-Wähler/innen ge- ren! Und vom Ziel eines Politikwech- automatisch um den angegebenen dachte Satz von Tarek Al-Wazir »Wer sels rücken wir auch nicht ab. Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, DIE LINKE wählt, könnte mit Volker falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schriftlich kündige. Bouffi er aufwachen« als groteske Ver- JANINE WISSLER UND WILLI VAN OOYEN drehung der Tatsachen. Es war DIE SIND DIE FRAKTIONSVORSITZENDEN IM LINKE, die als einzige Partei stets be- HESSISCHEN LANDTAG. tonte, auch nach dem 22. September Datum, 1. Unterschrift an dem Ziel eines Politikwechsels festhalten zu wollen, der nur mit ei- Foto: Dietmar Treber ner gerechten Steuerpolitik und ei- Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung innerhalb von 10 Tagen nem Ende der Spar- und Kürzungspo- widerrufen kann. litik zulasten einer Mehrheit der Be- Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige völkerung einhergehen sowie zwin- Absendung des Widerrufs. gend die Abwahl von Bouffi er und Co zur Folge haben müsste. Richtig ist: Wer in Hessen am 22. September Grün gewählt hat, hat Vol- Datum, 2. Unterschrift ker Bouffi er das Ministerpräsiden- tenamt gesichert. Obwohl die Hes- sen-CDU in der Tradition von Alfred Coupon bitte senden an: Dregger, Manfred Kanther und Ro- Parteivorstand DIE LINKE land Koch (Ehrenvorsitzender der Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de DISPUT Dezember 2013 17 RÜCKBLICKE 2013

aufklären

teilhaben eintreten

hochhalten

18 DISPUT Dezember 2013 gleichstellen

bekämpfen einstehen

feiern

Fotos: Erich Wehnert (3), Jakob Huber (3), Uwe Hiksch, Günter Schwab, Gert Gampe, DIE LINKE. Parchim

DISPUT Dezember 2013 19 EUROPA Das Sterben wird weitergehen Wenn sich auf dem Mittelmeer etwas ändern soll, müssen das Dublin-System reformiert und Frontex abgeschafft werden VON CORNELIA ERNST

eit dem Schiffsunglück vor Lam- pedusa Anfang Oktober, bei dem S über 300 Menschen ihr Leben ließen, hat es die europäische Migra- tionspolitik wieder auf die politische Tagesordnung und in das Bewusstsein vieler Menschen in ganz Europa ge- schafft. An der Tragödie, die sich täg- lich an den Außengrenzen der EU ab- spielt, hat sich allerdings in den ver- gangenen Jahren nicht viel geändert. Es geht nach wie vor um einige Zehntausend Menschen, die jedes Jahr versuchen, nach Europa zu gelangen. Sie suchen Schutz und Zufl ucht vor Verfolgung, Not und Elend, einen Aus- weg aus Perspektivlosigkeit und Un- terdrückung. Dem steht eine europäi- sche Politik gegenüber, deren oberstes Ziel es ist, diese »illegale Migration« zu verhindern und Europa von diesen »Strömen« abzuschotten. Es wird zwar dass die Menschen unbedingt nach rum einrichten, dessen Stellungnah- ständig beteuert, alle Maßnahmen in Italien oder Griechenland wollen. Die men die Agentur allerdings nicht bin- der Hinsicht stünden im Einklang mit meisten haben überhaupt kein kon- den. Nach jahrelangen Verhandlun- den Grund- und Menschenrechten. Be- kretes Ziel; sie wollen einfach in die gen wurde im Sommer dieses Jahres sonders weit her ist es aber mit die- EU, irgendwohin nach Europa, wo es im Europaparlament – gegen unsere sen Beteuerungen nicht. Berichte von hoffentlich besser ist als da, wo sie Stimmen – das sogenannte Asylpaket engagierten Menschen, von Nichtre- herkommen. beschlossen, das eigentlich weitrei- gierungsorganisationen (NGO), auch Flüchtlinge, die sich wahrschein- chende Verbesserungen in der EU zur dem europäischen Ombudsmann und lich relativ problemlos über die EU Folge haben sollte. Ende Oktober ist nicht zuletzt Urteile vom Straßburger verteilen würden, wenn man sie denn die Verordnung über das Grenzüber- Menschenrechtsgerichtshof legen ein ließe, werden so künstlich an wenigen wachungssystem Eurosur in Kraft ge- anderes Zeugnis ab. Orten konzentriert. Diese Länder wer- treten, womit die Überwachung der Im Kern der völlig falsch ausge- den schlicht und einfach mit der Last Grenzen durch modernste Technik richteten europäischen Politik steht der Ankömmlinge allein gelassen. Ef- verbessert werden soll und die Daten neben der Grenzschutzagentur Fron- fektiv schafft das Dublin-System auf zentral bei Frontex zusammengeführt tex, deren Hauptaufgabe die Abwehr diese Art einen Anreiz für die am werden sollen. Zu guter Letzt bearbei- von »illegaler Migration« ist, insbe- meisten betroffenen Länder, Flücht- tet das Europaparlament derzeit einen sondere die sogenannte Dublin-Ver- lingsboote lieber absaufen zu lassen, Gesetzesvorschlag, der Regeln zur Ret- ordnung. Die legt eigentlich nur fest, als hinterher auf den Kosten für die tung auf See an den Außengrenzen welcher Mitgliedstaat der EU zustän- Asylverfahren und das, was damit zu- aufstellt. dig ist, wenn jemand in irgendeinem sammen anfällt, sitzen zu bleiben. Vor allem Eurosur ist im Zusam- EU-Staat einen Asylantrag stellt. Die Glaubt man den europäischen menhang mit dem Unglück vor Lam- Grundregel ist dabei so einfach wie fa- Machthabern in den Regierungen und pedusa als das neue Instrument ange- tal: Grundsätzlich ist der Staat zustän- der EU-Kommission, müssten sichtba- priesen worden, das solche Unglücke dig, wo der oder die Betreffende in die re Verbesserungen schon eingesetzt in Zukunft verhindern soll. Es drängt EU eingereist ist oder sich zuletzt legal haben oder in naher Zukunft zu er- sich die Frage auf, wie viel von all die- aufgehalten hat, zum Beispiel mit Tou- warten sein. Frontex musste sich ei- sen Reformen und Neuerungen zu er- ristenvisum. Für das Gros der Fälle ist nen menschenrechtskonformen Ver- warten ist. Zumindest die Frontex-Re- das heutzutage Griechenland oder Ita- haltenskodex zulegen, eine Menschen- form von 2011 sollte ihre Wirkung – lien. Das liegt einfach an deren geogra- rechtsbeauftragte einsetzen und ein so sie denn eine nennenswerte Wir- fi scher Lage und nicht – man kann es mit NGO und internationalen Orga- kung hat – langsam zeigen. Mir ist nicht oft genug wiederholen – daran, nisationen besetztes Konsultativfo- bisher kein nennenswerter Effekt be-

20 DISPUT Dezember 2013 20. November am Europäischen Parlament: Flüchtlingsorganisationen und Europaabgeordnete bildeten eine Menschenkette, bei der ein langes Banner mit den Namen all derer, die auf dem Flucht-Weg nach Europa gestorben sind und identifi ziert werden konnten, getragen wurde. Fotos: Oliver Hansen kannt, wobei man sich auch im Kla- sern. Nur: Die satelliten- und radar- Das heutige System krankt nicht ren darüber sein muss, dass Reformen gestützte Überwachung des Meeres so sehr an fehlenden Rettungsboo- bei Frontex eben wegen des Dublin- vor der eigenen Küste und in der ei- ten bei den Küstenwachen; deren An- Systems nur Symptombehandlungen genen Rettungszone ist nicht neu und schaffung wird schon seit Jahren über sein können. Und solange der Haupt- eine Selbstverständlichkeit. Und das europäische Fördergelder aus Brüs- auftrag von Frontex die Abwehr von Wissen darüber, wo ein Schiff in See- sel subventioniert. Praktisch alle Ret- Migration ist, wird sie auch versu- not ist, ist eben nur ein Teil eines gut tungsschiffe der italienischen Küsten- chen, dies zu erreichen. funktionierenden Rettungssystems. wache tragen die bekannte Aufschrift Die Dublin-Verordnung war Teil Ohne die passenden Kapazitäten an »Mit Unterstützung der EU«. Aller- jenes Asylpakets, das im Sommer Rettungsbooten, Bereitschaft zur Hil- dings müssen italienische Fischer, beschlossen wurde, und einer der fe auf privaten Schiffen und vor al- die ein Flüchtlingsboot retten und die Hauptgründe für mich und die ge- lem den politischen Willen, kleinen, Menschen zum Hafen bringen, später samte Fraktion der GUE/NGL, das Pa- mit Flüchtlingen überfüllten Booten mit einer Anklage wegen Menschen- ket abzulehnen. Am System hat sich auch tatsächlich zu helfen, nützt die schmuggels rechnen. Ein Risiko, das letztlich gar nichts geändert, die Zu- beste Satellitentechnik nichts. nur sehr wenige bereit sind, auf sich ständigkeiten bleiben dieselben. Nur zu nehmen. ein Frühwarnmechanismus wurde ge- Aber das allergrößte Hindernis ist schaffen für den Fall, dass in einem der fehlende politische Wille. Im Eu- Land unzumutbare Bedingungen für ropaparlament hatten wir darauf be- Asylbewerber/innen bestehen, wie et- standen, die Rettung von Menschenle- wa in Griechenland. Der »Mechanis- ben als zusätzliches Ziel von Eurosur mus« hat aber keine verbindlichen in den Text zu schreiben. In den Ver- Konsequenzen. Abschiebungen nach handlungen mit dem Rat stellte sich Griechenland werden also wohl auch dann heraus, dass diese wenigen Wor- in Zukunft die Richter in Straßburg te eine absolute rote Linie der Regie- ahnden müssen. rungen überschritt. Die wollten Euro- Das Paket enthält einige Verbes- sur zwar so schnell wie möglich ein- serungen, keine Frage. Sie werden si- richten, aber ausdrücklich nicht, um cher einigen AsylbewerberInnen in damit Menschenleben zu retten. Das- laufenden Verfahren Verbesserungen selbe erleben wir im Augenblick wie- bringen. Nur, das große Problem, fast der, wenn es um die Regeln zur Ret- 20.000 Tote an den Grenzen in 25 Jah- tung auf See geht. Alleine bei der An- ren, wird man so nicht in den Griff be- kündigung, verbindliche europäische kommen können, weil es zu spät an- Regeln auf diesem Gebiet zu schaffen, setzt. Bleibt Eurosur. winken die Minister im Rat ab. Wenn alles eingerichtet ist, soll Eu- Was wir brauchen ist auch nicht rosur am Ende ein umfangreiches Sys- mehr Überwachung oder mehr Re- tem werden, mit dem alle Außengren- pression. Wenn sich an dem Sterben zen der EU mit Hilfe von aller verfüg- auf dem Mittelmeer etwas ändern soll, baren Technik überwacht werden sol- müssen zuallererst das Dublin-System len. Dazu soll in jedem Mitgliedstaat reformiert und Frontex abgeschafft der EU eine Koordinierungsstelle ein- werden. Das muss komplementiert gerichtet werden, die dann die gesam- werden mit einem Rechtsrahmen, melten Daten von Satelliten, Droh- der es den »boat people« von heute nen, Kameras in Echtzeit untereinan- einfach und niederschwellig ermög- der austauschen sollen. licht, in der EU leben und arbeiten zu Wird Eurosur nun helfen, Men- dürfen, unabhängig von Geschlecht, schenleben auf dem Mittelmeer, in Herkunft und Ausbildung. Geschieht der Ägäis oder am Evros zu retten? nichts davon, bleibt das Mittelmeer Es lässt sich nur schwer bestreiten, ein anonymes Massengrab. dass solch ein aufwändiges System durchaus seinen Beitrag dazu leisten CORNELIA ERNST IST MITGLIED DES könnte, die Seenotrettung zu verbes- EUROPÄISCHEN PARLAMENTS.

DISPUT Dezember 2013 21 UMFRAGE Was soll werden, 2014? DISPUT will es wissen – wir haben nachgefragt

EDELTRAUT LIESE, NIEDERGÖRSDORF einigen, können sich die Herren Pro- HENDRIKJE KLEIN, BEZIRKSVERORDNE- (BRANDENBURG): … gesund bleiben, fi tgeier, Kriegstreiber und Leuteschin- TE, BERLIN-LICHTENBERG: 2014 wird für damit wir gemeinsam die vielen Auf- der warm anziehen! mich die Landtagswahl in Branden- gaben erfüllen können. Das heißt für burg spannend. Und bei uns in Lich- mich: eine starke Fraktion in der Ge- ATES GÜRPINAR, PRESSESPRECHER DER tenberg werden wir weiter versuchen, meindeversammlung, Spaß mit mei- BAYRISCHEN LINKEN: Für uns stehen die herrschende Zählgemeinschaft ner Kindergruppe der »Dennewitzer mit vielen Kommunalwahlen und der von SPD, CDU und Grünen zu zwin- Flämingtrachten« und Freude mit mei- Europawahl sehr wichtige Termine gen, mit uns zusammenzuarbeiten. nen Enkeln. an. Europa und Kommune, das sind zwei ganz wichtige Punkte für DIE CHRISTIAN STÄHLE, STADTRAT IN GÖPPIN- TINO EISBRENNER, ROCKPOET: Ich habe LINKE. Wir sind die Kümmererpar- GEN (BADEN-WÜRTTEMBERG): Bei Kom- 2014 einige Verabredungen mit Ber- tei, wir sind vor Ort aktiv. DIE LIN- munalwahlen können bei uns jetzt tolt Brecht und James Bond. Werde an- KE macht nicht Politik für die Men- auch 16-Jährige wählen. Ich möchte, fangs noch etwas moderieren müssen schen über deren Köpfe hinweg, son- dass ich in meinem Kreisverband ei- zwischen den beiden. Aber sie stehen dern mit ihnen. Und wir denken in- nen 21-Jährigen bis auf Listenplatz 2 sich näher, als sie selbst ahnen. Nun, ternational – mit anderen Linken in durchkriege und wir in Fraktionsstär- Bond jagt um den Globus für eine bes- Europa und darüber hinaus. Ich freu ke in den Stadtrat einziehen. Die Aus- sere Welt – ebenso Brecht. Der wur- mich auf 2014! grenzung, die ich im Stadtrat seit vier- de gejagt und schlug zurück mit sei- einhalb Jahren ertrage, muss endlich nen Stücken, Aufsätzen und Gedich- KLAUS PELLMANN, ALTES LAGER (BRAN- beendet werden – das ist mein wich- ten. Und Bond verehrt Brecht für des- DENBURG): Hoffentlich kann ich 2014 tigstes Ziel. sen scharfen Verstand, mit dem er die viele Mitmenschen davon überzeu- Skrupellosigkeit des Kapitals bis heu- gen, dass Kommunalpolitik nicht nur EGGO HABELT, BÜRGERMEISTER DER GE- te enttarnt und an den Pranger stellt. Betroffenheit auslöst, sondern auch MEINDE LELKENDORF (MECKLENBURG- Bond wird Brecht gefallen, davon bin Möglichkeiten zur positiven Gestal- VORPOMMERN): Wir haben am 25. Mai ich überzeugt. Und wenn die zwei sich tung bietet. außer der Europawahl auch Kommu-

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22 DISPUT Dezember 2013 Karikatur: Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH

nalwahl. Ziel muss es sein, dass DIE Bundestag und die Stärkung unserer vernünftigen Lohn erhalten. Notfalls LINKE bzw. die nahestehenden Ge- Bundesarbeitsgemeinschaft. In den müssen die Streiks fortgesetzt und ver- meindevertreter die Mehrheit bekom- Wahlprogrammen muss die Kommu- stärkt werden, und das mit noch mehr men, damit wir unsere Ziele durchset- nalpolitik einen hohen Stellenwert be- Unterstützung durch alle Linken. zen können. kommen. KARL-HEINZ GRAUPMANN, DARGUHN MICHAEL FABER, FRAKTIONSVORSITZEN- ISOLDE HOFMANN, MÜHLHEIM (NORD- (MECKLENBURG-VORPOMMERN): Ich bin DER IM STADTRAT BONN (NORDRHEIN- RHEIN-WESTFALEN) hauptamtlicher Bürgermeister einer WESTFALEN): Unser Hauptziel ist 2014, Verkäuferinnen und Pfl egekräfte sol- kleinen Stadt. Meine wichtigste Auf- die Kommunalwahlen insofern zu ge- len für ihre gute Arbeit endlich einen gabe im nächsten Jahr wird sein, mit winnen, dass wir wieder in Fraktions- allen politischen Parteien und Gremi- stärke und mit einem guten Ergebnis en so zusammenzuarbeiten, dass wir ins Rathaus einziehen. wieder eine schlagkräftige Stadtver- tretung hinbekommen. Eine, die et- SABINE GUMPEL, KLEIN SCHULZENDORF was bewegt und die mich in meinen (BRANDENBURG): Privat wünsche ich Aufgaben unterstützt. Die Mehrheits- mir vor allem Gesundheit für meine Silvester 1913: In der letz- verhältnisse sollten ausgewogen sein. Eltern, die weit über 80 sind. Meinem ten Neujahrsnacht wars mir Bis jetzt haben wir sechs Fraktionen, Enkel Pascal soll es gelingen, seinen furchtbar schwer wegen all da muss man viel kämpfen. Das Wich- Freunden Interesse für DIE LINKE der Kriegsprophezeiungen. tigste für mich ist, junge Leute für die zu vermitteln. Und »meine« Zeitung Nun ist das Jahr herum und Kommunalpolitik zu fi nden. »Blickpunkt«, bei der tätig bin, soll hat nichts so ganz Besonderes sich weiter als regionaler Informator gebracht. (…) Jedenfalls 1913 ist CARSTEN PREUSS, ZOSSEN (BRANDEN- entwickeln und von den Leserinnen ziemlich harmlos verlaufen, BURG): Für 2014 wünsche ich uns gute und Lesern gut angenommen werden. nicht tot und schläfrig, ziem- Ergebnisse bei den Wahlen. Berufl ich lich viel inneres Leben. hoffe ich auf neue Perspektiven. Und PATRICK WAHL, MITGLIED DER BAG KOM- KÄTHE KOLLWITZ. DIE TAGEBÜCHER. privat wäre es gut, wenn sich die neu- MUNALPOLITIK: Ich erhoffe mir eine er- 1908–1943. btb. 2007 en Aufgaben gut mit dem Familienle- folgreiche Fortführung der Arbeit im ben verknüpfen ließen.

DISPUT Dezember 2013 23 SOLIDARISCH Wenn Hilfe nottut

LINKE-Berater/innen trafen sich zum Erfahrungsaustausch VON KAJO TETZLAFF

IE LINKE hilft, vielerorts und gen Jahr bei einer Landtagsabgeord- Krankenkassen für Schwerbehinder- vielfältig. In zahlreichen Ge- neten soziale Beratung durchgeführt; te. Nicht selten können wir helfen. Es D schäftsstellen fi nden Sprech- das werde ich jetzt bei unserer Bun- gibt aber auch Fälle, wo wir das nicht stunden für Mitmenschen mit ernst- destagsabgeordneten Sigrid Hupach können – wie bei Jugendlichen, die haften Sorgen und Problemen statt: fortführen. Das Wahlkreisbüro hat sozusagen in einer Grauzone auf dem Hartz IV, Miete, Unterhalt, Behörden keine festen Sprechzeiten, aber wir allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ver- … Welche Erfahrungen es bei der er- sind ja häufi g im Büro und damit an- mittelbar sind, die jedoch nicht als folgreichen Hilfe gibt – darüber ver- sprechbar. Da ich 13 Jahre lang unter Behinderte gelten. Das sind Jugend- ständigten sich etwa 60 Beraterinnen anderem Spätaussiedler betreut ha- liche, die das Berufsvorbereitungs- und Berater am 30. November in Er- be, kommen des Öfteren meine »Kun- jahr abbrechen oder nicht schaffen. furt. Aus fast allen Bundesländern den«, natürlich auch andere. Es geht In unserem Landkreis betrifft das, waren sie gekommen, um sich ihrer- ihnen um Hartz IV und Rente, um An- glaube ich, 60 Jugendliche. Die meis- seits zu beraten. Thüringens Landes- träge und auch um Leistungen der ten von ihnen bleiben auf der Stre- geschäftsführerin Anke Hofmann er- cke. Es ist sehr bitter, da nicht helfen öffnete das Treffen, Rechtsanwalt zu können. Jörg Schindler vermittelte rechtliche Sabine Daniels, Kreisverband Grundlagen für Sozialberatungen, die Hannover (Niedersachsen): Wir stel- Bundestagsabgeordnete Sabine Zim- EINFACH POLITIK len unsere Beratung auf starke Bei- mermann kritisierte unsoziale Tei- ne. Wir unterstützen die Kinder- und le des Koalitionsvertrages von CDU/ Leiharbeit Jugendarbeit, insbesondere von Ver- CSU und SPD, und Hans-Peter Weyer, einen, die nicht so kommerziell sind. Piraten-Mitglied und 1. Vorsitzender Zum Beispiel habe ich als Bezirksrats- des Vereins »Wir gehen mit – Die Mit- frau im Januar eine Aktion laufen: Ei- läufer e.V.«, gab Tipps zur Begleitung Der Begriff »Leiharbeit« stammt nen ganzen Monat lang können mich auf Ämter: Mehr als bundesweit 300 aus dem Arbeitnehmerüberlas- Firmen oder Privatpersonen gegen ei- ehrenamtliche »Mitläufer« begleiten sungsgesetz (AÜG) von 1972. ne Spende »mieten«. Wie das »Lecker- Hilfesuchende zu Ämtern und geben Etwas zu »verleihen« impliziert haus«, wo Kinder und Jugendliche be- moralische Unterstützung. laut Bürgerlichem Gesetzbuch treut werden, wo es kostenlos Mittag- zum einen eine unentgeltliche essen und Sprachförderung gibt. * Abgabe von Dingen und degra- Klaus Ledebuhr, Rostock (Meck- diert zum anderen die Arbeit- lenburg-Vorpommern): Ich war bis DISPUT hörte sich um, was in LIN- nehmer/innen zum Objekt. We- vor Kurzem in Schleswig, wo unsere KE-»Sprechstunden« zwischen Lü- gen dieser negativen Assoziati- Sprechstunden einen guten Zuspruch beck, Cottbus und der Wetterau zur onen sprechen ihre Befürwor- fanden. Zu den Erfolgen gehörte, dass Sprache kommt und was sie bewir- ter von »Zeitarbeit«, die Kritiker wir von 2009 bis 2013 vor dem Sozial- ken können. eben von Leiharbeit. Leiharbei- verwaltungsgericht in 12 von 13 Fäl- Ragnar Harald Lüttke, Lübeck ter/innen verdienen weit we- len gewonnen haben, einmal gab es (Schleswig-Holstein): Wir bieten Ar- niger als der Durchschnitt aller einen Vergleich. Dass es überhaupt beitslosenfrühstück mit Sozialbera- Beschäftigten in Deutschland. so weit kommen muss, ist letztlich tung an. Einmal monatlich kommt ein Einer DGB-Studie zufolge lag auch das Resultat der verbreiteten Rechtsanwalt, ein absoluter Spezia- das monatliche Bruttoeinkom- Unkenntnis in den Jobcentern. Die list, zu uns und sieht sich kostenlos men aller Vollzeitbeschäftigten Berater/innen dort sind oft schlecht die Fälle an. Das läuft schon seit ein im Jahr 2009 bei 2.805 Euro. informiert, sie sitzen ihr Jahr ab und paar Jahren, und es läuft ganz gut. Leiharbeitskräfte mit Vollzeit- werden dann ausgewechselt. Das In der Woche haben wir so 20 Besu- stellen kamen dagegen nur auf ist schlimm für die, die dann zu uns cherinnen und Besucher. Manchmal 1.456 Euro brutto. Die Betroffe- kommen. begleite ich als Mitglied der Bürger- nen können von ihren Vollzeit- Valentin Veithen, Düren (Nord- schaft Leute zu den Ämtern – wenn jobs allein oft nicht leben und rhein-Westfalen): Seit wir im Kreistag ein Abgeordneter dabei ist, hat das müssen mit Hartz IV »aufsto- vertreten sind, seit 2009, bieten wir erfahrungsgemäß immer ein biss- cken«. Der Staat subventioniert Sozialberatung an: im Fraktionsbü-

chen mehr Gewicht. damit die Leiharbeitsfi rmen. A.K. ro im Kreistag. Wir sitzen da im sel- Petra Welitschkin, Eichsfeld- ben Gebäude wie die Mitarbeiterin- Kreis (Thüringen): Ich habe im vori- nen und Mitarbeiter des Jobcenters.

24 DISPUT Dezember 2013 Jubiläen und Jahrestage Termine

Das heißt die Wege sind sehr kurz; 15. Dezember 1998 13. bis 15. Dezember wir haben einen direkten Zugang zu Unterzeichnung des GATT- Parteitag der Europäischen den Sachbearbeitern. Es werden aber Abkommens über die Liberali- Linken, Madrid auch durch das Jobcenter Menschen sierung des Welthandels mit Problemen zu uns geschickt, mit 16. Dezember denen sie nicht klarkommen. Wir ha- 18. Dezember Geschäftsführender ben eine relativ hohe Erfolgsquote. Internationaler Tag der Parteivorstand Geöffnet haben wir dienstags und Migrantinnen und Migranten donnerstags, sonst nach Vereinba- 17. Dezember rung. Weil Düren ein sehr großer Flä- 18. Dezember 1913 Enthüllung Gedenktafel und chenkreis ist, bin ich an zwei Tagen Willy Brandt geboren Podiumsdiskussion, Berlin, in den Kommunen unterwegs, um Karl-Liebknecht-Haus Hilfesuchende direkt zu unterstüt- 20. Dezember zen. Internationaler Tag der 19. Dezember Birgit Mankour, Cottbus (Bran- menschlichen Solidarität Plenarsitzung Bundesrat denburg): Seit 1997 habe ich viele Menschen auf Behördenwegen be- 20. Dezember 1963 16. bis 20. Dezember gleitet, seit fast zwei Jahren mache In Frankfurt am Main wird Sitzungswoche im Bundestag ich das im Rahmen der LINKEN. Ich der »Auschwitz-Prozess« gegen prüfe Papiere, helfe beim Ausfüllen 20 Aufseher und Angehörige 6. Januar 2014 von Anträgen und erklärt amtliche der Lagerleitung eröffnet. Geschäftsführender Schreiben. Zu mir kommen Arbeits- Parteivorstand lose, junge Leute, die Probleme mit 21. Dezember 1913 (Telefonkonferenz) dem Jugendamt haben, und Men- In der »New York World« schen mit Problemen beim Umgangs- erscheint das erste 12. Januar recht. Die Beratung wird immer bes- Kreuzworträtsel der Welt. Luxemburg-Liebknecht-Ehrung, ser angenommen. Berlin-Friedrichsfelde Gabi Faulhaber, Wetterau (Hes- 31. Dezember 1993 sen): Wir sind DIE LINKE Hartz4-Hil- Die Kali-Grube in Bischofferode fe Wetterau, ein Verein, und haben wird nach fast einjährigem zweimal wöchentlich Sprechstun- Arbeitskampf geschlossen. den im Laden der LINKEN. Wir fi n- den es wichtig, dass DIE LINKE im 1. Januar 2014 Namen steht – sie ist die einzige Par- Weltfriedenstag (katholisch) tei, die sich für die Betroffenen ein- setzt, und das muss auch zum Aus- 1. Januar 1939 druck kommen. Wir begleiten zu Äm- Deutsche Juden müssen den tern und machen eigentlich alles, au- Vornamen Sara oder Israel Erich Wehnert ßer Schuldnerberatung, da sind wir annehmen. nicht fi t. Wenn’s haarig wird, hilft uns ein Rechtsanwalt. Unsere Erfah- 4. Januar 13. Januar rung ist, dass vieles von der Werbung Welt-Braille-Tag Geschäftsführender abhängt. Je besser die Werbung, des- Parteivorstand to mehr Leute kommen. Wir sind vor 8. Januar 1954 dem Jobcenter aktiv und machen als Elvis nimmt seine erste Platte auf. 13. bis 16. Januar Fraktion zweimal jährlich eine Zei- Sitzungswoche im tung für den Kreis, rund 25.000 Ex- 14. Januar 1914 Europaparlament emplare, auch für den ländlichen Be- Ford-Werke führen reich. Fließbandfertigung ein. 13. bis 17. Januar Sitzungswoche im Bundestag ZU DEN MEHR ALS 120 ANGEBOTEN 16. Januar 1964 DER LINKEN: WWW.DIE-LINKE.DE/NC/ Adolf-Grimme-Preis erstmals ZUSAMMENSTELLUNG: POLITIK/BERATUNG/DIE-LINKE-HILFT verliehen DANIEL BARTSCH

DISPUT Dezember 2013 25 GESCHICHTE »Millionen gegen Millionäre« Gedanken und Reminiszenzen zum 100. Geburtstag von Willy Brandt (18.12.1913–8.10.1992) VON MANFRED COPPIK

ls Jugendlicher zog Willy dentenrevolte: »Wir müssen uns der Brandt um 1930 gemeinsam Herausforderung stellen mit der Be- A mit seinen sozialistischen reitschaft, uns selbst in Frage zu stel- Freunden durch die Straßen von len und hinzuzulernen.« Er versuch- Lübeck und rief: »Republik, das ist te dann, diese Herausforderungen in nicht viel, Sozialismus ist das Ziel.« ein – wie er es selbst nannte – drei- Mit 17 Jahren wurde er Mitglied der faches Bemühen um Friedenssiche- SPD, verließ diese aber ein Jahr spä- rung, lebendige Demokratie und ge- ter, den aus der Partei wegen »orga- sellschaftliche Erneuerung umzuset- nisatorischer Sonderbestrebungen« zen. In Wechselwirkung mit dem ge- ausgeschlossenen Sprechern des lin- sellschaftlichen Aufbruch gelang es ken Parteifl ügels Max Seydewitz und Willy Brandt, den Geist der zukunfts- Kurt Rosenfeld folgend, die dann die weisenden Reformen aufzugreifen SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) und für einige Jahre auch in das Re- gründeten. Willy Brandt wollte Kom- gierungshandeln der 1969 mit einer promisslertum durch Kampfeswil- äußerst knappen Mehrheit gebilde- len ersetzen und nicht hinnehmen, ten sozialliberalen Koalition umzu- dass die SPD bei der letzten Wahl setzen. »Weichen können auch bei Geld für Kinderspeisungen forderte, hauchdünner Mehrheit neu gestellt sich dieses dann aber für Panzerkreu- werden«, meinte er. Diesen Mut wür- zer abhandeln ließ. Später verstand de man heute einigen SPD-Politikern er nicht, dass die Arbeiterschaft, die wünschen. sich gegen die Nazis wehren wollte, Da war nicht nur das berühm- von der SPD-Parteiführung in Berlin te »Mehr Demokratie wagen« seiner zurückgepfi ffen wurde. Er sah aber ersten Regierungserklärung 1969. auch den Leidensweg der führenden Es war das Bemühen, die Fronten SPD-Genossen, wie insbesondere des des Kalten Krieges aufzubrechen ihm persönlich bekannten Lübeckers und diese Welt friedlicher zu ge- Julius Leber. stalten. Und er stellte sich der deut- Willy Brandt selbst wurde von der schen Verantwortung für die Verbre- SAP nach Norwegen geschickt, um chen des Faschismus, gerade weil er von dort die Solidaritätsarbeit mit selbst ein Mann des Widerstandes dem Widerstand zu organisieren. Wie war. Dies hatte auch emotional ei- andere bekannte West-SAPler, so Ot- ne enorme Bedeutung. Sein Kniefall Debatte im Bundestag, 5. Februar 1982 to Brenner, schloss er sich nach dem vor dem Ghettodenkmal in Warschau Krieg wieder der SPD an. Andere wie wird unvergessen bleiben, ebenso Max Seydewitz gingen in die DDR. wie sein klares Bekenntnis, dass nie Als Willy Brandt nach seiner Ber- wieder Krieg von deutschem Boden der Reformbewegung und vertrat liner Bürgermeisterzeit 1966 Außen- ausgehen dürfe. diese offensiv gegen eine gegen sie minister der Großen Koalition wur- Es war seine Überzeugung, dass entfachte Medienkampagne. »Millio- de, konnte man in Europa schon die mehr soziale Gerechtigkeit wie auch nen gegen Millionäre« war einer der Vorboten gesellschaftlicher Umbrü- andere gesellschaftliche Verände- Slogans im Wahlkampf 1972, der mit che spüren. Studenten begehrten ge- rungen der vielen konkreten klei- dem besten Ergebnis in der SPD-Ge- gen die verkrusteten konservativen nen Schritte bedürfen, die zu seiner schichte endete. In seinen Erinnerun- Strukturen und soziale Ungerechtig- Zeit auch angepackt wurden: von gen dazu schreibt Willy Brandt: »Wer keiten auf, in der Bundesrepublik der Lohnfortzahlung für Arbeiter im wagt, gewinnt.« Es war das letzte Mal zogen viele Tausende gegen die Not- Krankheitsfall, über die Reform des in der deutschen Geschichte, dass die standsgesetze auf die Straße – auch Betriebsverfassungsrechts bis zur SPD gesellschaftliche Umbrüche auf- SPD-Mitglieder. Willy Brandt hatte Mitbestimmung und dem Abschnei- gegriffen hat und parlamentarisch zu ein Gespür für die Bedeutung die- den alter Zöpfe in der Bildungspolitik vertreten versuchte. ser Aufbruchstimmung und sagte wie in der Ehe- und Familienpolitik Die Phase der Reformeuphorie im November 1968 auf einer Tagung oder im Demonstrationsrecht. währte nicht lange. Bei den ersten der Unesco in Paris zu der 68er-Stu- Die SPD setzte sich an die Spitze wirtschaftlichen Problemen im Zu-

26 DISPUT Dezember 2013 »›Weichen können auch bei hauchdünner Mehrheit neu gestellt werden‹, meinte er. Diesen Mut würde man heute einigen SPD-Politikern wünschen.«

mit Reformen. Es begann eine Politik der Aufrüstung, des Abbaus demo- kratischer Rechte, der Vermögens- umverteilung von unten nach oben und des Sozialabbaus. Natürlich war aus linker Sicht auch an verschiedenen Positionen Willy Brandts Kritik zu üben. Neben der bereits erwähnten nicht konse- quent durchgehaltenen Konfl iktbe- reitschaft gegenüber den Kapitalkräf- ten war es seine unverbrüchliche Lo- yalität gegenüber der NATO und den USA, auch im Vietnamkrieg, wenn- gleich er sich selbst stets für eine po- litische Lösung einsetzte. Diese Loya- lität schien ihm eine notwendige Vor- aussetzung und Grundlage der Frie- dens- und Aussöhnungspolitik mit dem Osten zu sein. In der Innenpolitik glaubte Wil- ly Brandt, die Öffnung nach Osten durch eine klar antikommunistische Position im Innern absichern zu müs- sen. So kam es zu jenem »Radikalen- Erlass«, der Kommunisten aus dem öffentlichen Dienst fernhalten sollte und gegen den wir auch als Linke in der SPD gekämpft haben. Die Praxis der Berufsverbote stand in krassem Gegensatz zu »Mehr Demokratie wa- gen« und löste Schnüffelprozesse aus, die Willy Brandt später zu dem Ein- Foto: Deutscher Bundestag/Presse-Service Steponaitis geständnis veranlasste, das Ganze sei ein Fehler gewesen. Trotz dieser Kritik habe ich per- sönlich eine positive Erinnerung an sammenhang mit der Ölkrise 1973 nem Umkreis machten es möglich, Willy Brandt. 1972 wurde ich als Ju- wurde deutlich, dass Veränderun- Willy Brandt Fallen zu stellen, die so in den Bundestag gewählt. Als jun- gen ohne eine konsequent antika- ihn schließlich veranlassten, 1974 als ger Abgeordneter in einer mehr als pitalistische Politik mit der entspre- Kanzler zurückzutreten. Er widmete 200-köpfi gen Fraktion gehörte ich na- chend auf Dauer angelegten Konfl ikt- sich sodann vornehmlich den globa- türlich nicht zum engeren Kreis um bereitschaft nicht herbeigeführt und len Problemen der Umwelt und der Willy Brandt, habe ihn aber im Laufe nicht gesichert werden können. Wil- Nord-Süd-Entwicklung, ohne wesent- der Jahre nicht nur in den offi ziellen ly Brandt brachte diese Konfl iktbe- lich in die deutsche Innenpolitik ein- Sitzungen, sondern auch in Gesprä- reitschaft nicht auf, wirkte aber mit zugreifen. chen im kleinen Kreis oder auch un- seinen Grundüberzeugungen, wie Hier begann damals mit der Wahl ter vier Augen kennengelernt. Er war etwa seinem Bekenntnis in der Re- von Helmut Schmidt zum Bundes- ein Mensch, der zuhören konnte und gierungserklärung zum Schutz der kanzler die Rechtswende. Seine Re- Verständnis aufbrachte. Was er dann Schwächeren vor den wirtschaftlich gierungserklärung mit dem Motto an neuen Aspekten und Abwägungen Stärkeren und seinen Reformbestre- »Kontinuität und Konzentration« be- in das Gespräch einbrachte, war eine bungen, störend für die Kapitalinte- deutete nichts anderes als: Begonne- gemeinsame Suche nach Antworten, ressen. Fehlende Loyalitäten in sei- nes beenden und dann ist Schluss keine apodiktischen Postulate. >

DISPUT Dezember 2013 27 GESCHICHTE

Als die Probleme, die große Teile der das Schicksal eines einzelnen ver- Als Gerhard Schröder Deutsch- SPD-Basis mit der Regierungspolitik hungernden Kindes vor Augen füh- land wieder in einen völkerrechts- von Helmut Schmidt hatten, immer ren, um zu wissen, was tagtäglich in widrigen Angriffskrieg führte und größer wurden, und ich diese Kon- dieser Welt geschieht. Es ist keine Na- die Axt an die sozialen Sicherungs- fl ikte auch öffentlich austrug, wur- turkatastrophe, sondern ein Verbre- systeme legte und damit die Seele de von Parteirechten 1981 der Ruf chen, für das Menschen verantwort- der Sozialdemokratie verkaufte, wa- nach meinem Parteiausschluss laut, lich sind. Und dieses Verbrechen hat ren es 2004 mutige sozialdemokra- sinngemäß wegen organisatorischer einen Namen, vielleicht vereinfacht, tische Gewerkschafter, die zusam- Sonderbestrebungen. Es war Willy aber deshalb nicht falsch: Kapitalis- men mit anderen die WASG gründe- Brandt, der das im Parteivorstand mus. ten und damit eine Alternative für ei- verhinderte, vielleicht auch in Erin- Willy Brandt sah damals diese Un- ne Politik der sozialen Gerechtigkeit nerung an seine eigenen Jugendjah- geheuerlichkeiten – wenn auch ohne aufzeigten. Und es war der auch von re. 1982 verließ ich dann doch die diese Schuldzuschreibung – und ver- Willy Brandt geprägte Oskar Lafon- SPD – freiwillig und Karl-Heinz Han- suchte, in den verschiedensten in- taine, der sein mediales Gewicht ein- sen folgend. Nach meinem Austritt ternationalen und globalen Gremien setzte, um eine politisch-geistige Ge- habe ich in meiner letzten Bundes- diesen Zuständen entgegenzuwirken. genströmung in Deutschland zu be- tagsrede 1982 die alten uneingelös- Vergebens. Und hier müssen wir Wil- fördern. Das ist ihm gelungen. Man ten Forderungen der Arbeiterbewe- ly Brandt hinterfragen: Letztlich hel- mag ihn sonst zu Recht oder zu Un- gung und die Vision eines demokra- fen keine Kommissionen, sondern recht kritisieren, aber die erhebliche tischen Sozialismus angesprochen. nur der Widerstand von unten – kon- Verbreiterung des öffentlichen Dis- Dabei verwandte ich auch einige sequent von der lokalen, über die re- kurses über den verhängnisvollen Gedanken, die ich von Willy Brandt gionale und nationale Ebene bis hin neoliberalen Mainstream und die kannte. Die meisten SPD-Spitzen hat- zu den internationalen Auseinander- Notwendigkeit der Gegenwehr bleibt ten zu diesem Zeitpunkt den Plenar- setzungen um Eigentum und Macht, ein Verdienst von , saal schon verlassen. Willy Brandt um die Frage, was zählt: Menschen der sich damit als »politischer Enkel« saß in der ersten Reihe ganz allein oder Profi te. von Willy Brandt mehr qualifi ziert unmittelbar vor mir und hörte zu. Als Willy Brandt hatte ein Gefühl für hat als alle anderen. Ohne das Bünd- ich von dem Ziel einer Gesellschaft Gerechtigkeit und für die Notwendig- nis mit der PDS wäre dies aber nicht ohne politische Unterdrückung und keit von Veränderungen. In der jet- möglich gewesen. Das sollte nicht ohne ökonomische Ausbeutung zigen Führung der deutschen Sozi- vergessen werden. sprach, schaute er mich an und nick- aldemokratie wird man die notwen- Das Vermächtnis von Willy Brandt te nachdenklich und zustimmend. dige Empathie und auch von Emoti- bleibt, mit Mut, Empathie und Ver- Zwanzig Jahre nach Willy Brandts onen getragene Solidarität mit den stand für eine Gesellschaft zu kämp- Tod ist die Welt nicht besser gewor- Schwachen vergeblich suchen. Mut- fen, in der die Kriege geächtet und den und die Vision eines Weges zum lose Buchhalter und Bürokraten be- Menschenrechte geachtet werden, demokratischen Sozialismus not- stimmen das Geschehen. Bei den die soziale Sicherheit als Voraus- wendiger denn je. Selten waren Em- Grünen ergreift eine Generation die setzung der Freiheit gewährleistet pathie und Solidarität so wichtig wie Führung, die durch Joschka Fischers ist und die Menschen in demokrati- in einer Zeit, in der die Erde eigent- »langen Lauf zu sich selbst« geprägt scher Selbstbestimmung ihr Schick- lich so reich ist wie noch nie und der ist und die »Politikfähigkeit« mit in- sal gestalten ohne politische Unter- Stand der Produktivkräfte ein gutes haltlicher Beliebigkeit und Verzicht drückung und ohne ökonomische Leben für alle ermöglichen würde, auf gesellschaftliche Veränderungen Ausbeutung. der Reichtum sich aber in den Hän- verwechselt. Das haben wir neulich Zum 100. Geburtstag von Willy den einer kleinen Schicht konzent- bei den Sondierungsgesprächen in Brandt sollten wir uns, aber vor al- riert, die auf der blinden Suche nach Hessen erlebt. Heute werden die von lem auch die Sozialdemokratie, an noch mehr Profi t ganze Volkswirt- Willy Brandt aufgegriffenen Grund- die Worte des französischen Sozialis- schaften angreift und Spekulationen werte der 70er Jahre Frieden, gesell- ten Jean Jaures erinnern, dass Tradi- bis hin zu Nahrungsmitteln betreibt. schaftliche Emanzipation und sozi- tion kein Aufbewahren von Asche, Gleichzeitig leben Millionen in Not ale Gerechtigkeit in den deutschen sondern das Weiterreichen der Flam- und Elend. Jährlich verhungern Mil- Parteien nur noch von der LINKEN me sein muss. lionen Kinder. Die menschliche Fan- konsequent vertreten. Sie steht auch tasie kann mit diesen Zahlen nicht personell teilweise in Willy Brandts MANFRED COPPIK IST MITGLIED DES viel anfangen, aber man sollte sich Nachfolge. ÄLTESTENRATES UNSERER PARTEI.

28 DISPUT Dezember 2013 NACHBELICHTET

ARTHUR PAUL

Ihre Wiederkehr ist ungewiss

iese Störche sind missen. Doch ihre Wiederkehr ist zu fi nden. Die Kinder hocken län- Überlebenskünst- ungewiss. ger vor den Bildschirmen als in der ler. Die Menschen in Irgendwann hieß es in diesem Dorf: Schule und glauben inzwischen, den Häusern auch. »Lasst uns Steinhäuser bauen, dann dass alle Kühe lila sind. Mensch, Natur und sind wir vor Wind und Wetter und Was macht das Gute zum Bösen? D Technik stehen im Verdrängungs- Kälte geschützt. Und lasst die paar Unsere Verletzlichkeit ist nicht kampf. Aber was soll die Grü- Bäume stehen!« Irgendwann sag- marktkonform, hier zählt Durchset- belei – Störche trifft man doch te einer: »Der Schornstein der al- zungskraft! Unser Bedürfnis nach überall? ten Schmiede ist weg und der Storch Geborgenheit ist geschäftsschädi- Eben nicht mehr! Diese »Lehr- auch. Lasst uns ein neues Gerüst für gend, hier zählt Verfügbarkeit! Der meister des Segelfl uges« brau- ihn bauen!« Ein anderer meinte zu Artenschutz für Mensch und Tier chen Wiesen ohne Phosphat, Tei- anderer Zeit: »Wir sollten Windräder ist eine Existenzbedingung, aber che ohne Pestizide, Landebah- aufstellen, dann sind Strom und Hei- deren Missachtung ist eine Profi t- nen ohne Hindernisse. Sie fl iegen zung billiger und die Lüfte sauberer.« begünstigung! tausende Kilometer ohne Na- Und noch einer meinte: »Der Anten- Wie kommen wir da raus? Die Grü- vi und Landkarte auf den einen nenmast bringt die Welt in unsere nen, Gelben, Schwarzen und Rosa- Punkt zu, wo sie aus Reisig ihr Stube, dann haben die Kinder keine nen haben es nicht geschafft. Die Nest gebaut, ihren Partner gefun- Langeweile.« Roten müssen es immer noch mal den und ihre Brut aufgezogen ha- Aber die Dörfer veröden. Gesunde versuchen, auch, indem sie grüner ben. Und obwohl wir inzwischen Wiesen und Teiche sind selten. Die werden! auch Babys aus der Retorte pro- Störche haben Mühe, zwischen den duzieren, möchten wir sie nicht Windrädern eine Einfl ugschneise Foto: Erich Wehnert

DISPUT Dezember 2013 29 ENERGIEPOLITIK

Ein breites Bündnis von Umweltgrup- pen, Verbänden und Parteien demonstrierte am 30. Novem- ber im Berli- ner Regierungs- viertel für eine wirkliche Ener- giewende in Deutschland.

Fotos: Erich Wehnert

30 DISPUT Dezember 2013 Erneut eingeknickt

Energiewende bleibt Handarbeit! VON KERSTIN RUDEK

ie Bundestagswahl 2013 hat Die Kosten für den Rückbau und im Ausland benutzt, werden nicht ab- uns eine kräftige Rolle rück- die Entsorgung den Verursachern geschafft – hier Atomausstieg, in an- D wärts in der Energiepolitik aufzuerlegen hätte geheißen, die deren Ländern Förderung von Atom- beschert. Der Koalitionsvertrag von steuerfreien Rückstellungsmilliar- anlagen.

Union und SPD bleibt weit hinter den den der Atomkonzerne umgehend in Wie sieht es aus mit Kohle, CO2, Möglichkeiten und Notwendigkeiten einen öffentlich-rechtlichen Fonds Fracking und den Erneuerbaren eines guten Klimaschutzes zurück zu überführen. Stattdessen wurde Energien? und streut Sand in die Augen der Ge- die Brennelementesteuer ersatzlos Statt neue Kohlekraftwerke zu sellschaft. »Wir halten am Ausstieg gestrichen. bauen, müssen die alten nach und aus der Kernenergie fest.« Es liest »Den Strahlenschutz nach Fuku- nach vom Netz gehen, Braunkohle- sich ja ganz schön, doch was bedeu- shima anpassen«? Grenzwerte die- Tagebaue beendet und die unterir- tet der Koalitionsvertrag im Detail? nen nicht dem Schutz der Menschen, dische CO2-Speicherung verhindert Atomkraftwerke dürfen bis 2022 sondern dem Betrieb von Atoman- werden. Doch der Koalitionsvertrag weiterlaufen. Die Schließung weite- lagen. Jedes Maß an Radioaktivität sieht vor, Kohle-Dreckschleudern rer Atomanlagen, beispielsweise die kann Krebs erzeugen. Grenzwerte be- noch mehr zu subventionieren und Urananreicherungsanlage in Gro- schreiben lediglich das Kosten-Nut- Erneuerbare Energien auszubrem- nau, ist gar nicht beabsichtigt. Die Si- zen-Verhältnis. Den Strahlenschutz sen. Große Erzeuger von Strom aus cherheit von Atomkraftwerken wol- nach Fukushima anzupassen bedeu- Erneuerbaren Energien müssen ei- le die neue Bundesregierung bis zum tet, weltweit alle Atomanlagen sofort nen Grundlastanteil ihrer Maximal- letzten Betriebstag gewährleisten. In stillzulegen. einspeisung garantieren. Konkret meinen Augen bedeutet das: Sofort Hermesbürgschaften, bisher gern könnten also Betreiber, zum Beispiel abschalten! Alles andere ist Lüge. zur Absicherung von Atomprojekten großer Windparks, verpfl ichtet wer- >

DISPUT Dezember 2013 31 ENERGIEPOLITIK

Foto: Erich Wehnert den, bei einer Windfl aute am Markt wollen? Die Koalition will den Öko- Die Chance, mit der Energiewen- Strom aus fossilen und atomaren strom bis zum Jahr 2020 auf 45 Pro- de und dem Klimaschutz ernst zu ma- Quellen einzukaufen und diesen dem zent erhöhen. Das bedeutet, 55 Pro- chen, Atomkraft abzuschalten, den Netz zur Verfügung zu stellen. zent würden aus Kohle, Gas und Öl Stromkonzernen den Stecker zu zie- Gasförderung per Fracking ge- gewonnen. Wir müssen auf 100 Pro- hen und für eine Energieversorgung hört ausnahmslos verboten. Unter zent Erneuerbare Energien umstei- in Bürger/innenhand zu sorgen, wur- Verwendung zahlreicher Chemikali- gen – dezentral und in Hand der Bür- de nicht genutzt. Union und SPD ma- en weiter dem Boden erschöpfl iche gerinnen und Bürger. Die Kosten der chen keine Politik, die es den Men- Schätze abzupressen, ist derselbe Irr- Energiewende gehören fair und sozi- schen ermöglicht, ihre Grundbedürf- weg wie damals die Atomkraft. Hier- al gerecht verteilt. Ausnahmen für nisse und Grundversorgung nach zu fi ndet sich ein langer Absatz im energieintensive Betriebe bei der sauberer Luft, sauberem Wasser, sau- Koalitionsvertrag, der schwammiger EEG-Umlage müssen massiv redu- berem Boden, bezahlbarer und sau- nicht sein könnte. Spekulanten von ziert werden. berer Energie zu decken. Diese Ko- Firmen wie Exxon, die weltweit und Die Absage der künftigen Bundes- alitionsvereinbarungen sind statt- auch in Deutschland schon dick im regierung an die deutsche Vorreiter- dessen ein erneutes Einknicken vor Fracking-Geschäft sind, werden hier- rolle beim Klimaschutz geht einher Großkonzernen, denen es nicht um mit Tür und Tor geöffnet. mit dem Aussetzen der Reform der das schöne Leben der Menschen Energiesparen und Energieeffi zi- europäischen Klimapolitik. Sie besie- geht, einzig und allein ihr Profi t steht enz müssen gefördert und ausgebaut geln die Bedeutungslosigkeit des eu- im Zentrum. werden. Wo spiegelt sich im Koali- ropäischen Emissionshandels über Noch ist es Zeit, das Ruder herum- tionsvertrag, dass die Menschen im 2020 hinaus, das zentrale Instrument zureißen. Gesetze werden in Parla- Land die Energiewende mehrheitlich der europäischen Klimapolitik. menten gemacht, Politik auf der Stra-

32 DISPUT Dezember 2013 INTERNATIONAL

Lumumba in Berlin Eine Skulptur erinnert an den afrikanischen Freiheitskämpfer VON KATRIN VOSS

s geschieht nicht häufi g, dass tert, erschossen, begraben, wieder Freiheitskämpfer aus Afrika ausgegraben, in Stücke geschnit- E in Europa mit einer Statue ten, mit Säure übergossen und geehrt werden. Wenn diese Frei- verbrannt. Bis heute sind die Ver- heitskämpfer offen Kritik an der antwortlichen für diese abscheuli- kolonialen Politik Europas geübt chen Taten nicht zur Rechenschaft haben, sinkt die Wahrscheinlich- gezogen worden, jahrzehntelang keit einer Ehrung zumeist noch blieben die näheren Umstände deutlich. Für Patrice Lumumba des Mordes unaufgeklärt. scheint in Deutschland eine Aus- Unmittelbar nach der Ermor- nahme zu gelten. Eine Lumumba- dung Lumumbas gab es welt- Skulptur der Kunstsammlung der weit viele Proteste. Als besondere Akademie der Künste Berlin-Bran- Form der Solidarität mit Lumum- denburg wurde am 8. Oktober auf bas Weggefährten wurde Ende dem Garnisonkirchplatz in Berlin- 1961 in Leipzig, in direkter Nähe Mitte feierlich aufgestellt und der eines Studentenwohnheims mit Öffentlichkeit übergeben. Daran überwiegend afrikanischen Stu- nahmen die Botschafterin der De- dierenden, ein Denkmal errichtet. mokratischen Republik Kongo, Dieses Lumumba-Denkmal wur- Clementine Shakembo Kamanga, de 1997 geschändet, später wur- und der älteste Sohn Lumumbas, de sogar dessen Büste gestohlen. François Emery Tolenga Lumum- Vor drei Jahren konnte sie durch ba, teil. eine neue Büste ersetzt werden – Patrice Emery Lumumba galt das war vor allem auf das Engage- als die Stimme des kongolesi- ment überwiegend privater Initia- schen Unabhängigkeitskampfes tiven zurückzuführen. und war ein leidenschaftlicher Neben der DR Kongo scheint Kritiker der kolonialen Unterdrü- Deutschland das einzige Land zu ckung Afrikas. sein, in dem Lumumba eine sol- Nach der Unabhängigkeit am che öffentliche Ehrung erfährt. 30. Juni 1960 wurde er der ers- Seine Ideen für eine Emanzipation ße. Die Energiewendedemo am 30. te demokratisch gewählte Minis- der afrikanischen Völker und das Dezember in Berlin mit über 16.000 terpräsident der DR Kongo. Seine Recht eines jeden Volkes, frei und Menschen ist ein schönes Beispiel, Amtszeit währte jedoch nicht lan- in Würde in der Gemeinschaft der wie wir unseren Einfl uss geltend ma- ge, er wurde am 17. Januar 1961 unabhängigen Staaten zu leben, chen können. Zusammen Druck ma- ermordet. Den Mördern genügte haben in unserer Zeit nicht an Ak- chen, den Gegendruck zu Konzernpo- es nicht zu töten. Er wurde gefol- tualität verloren. litik erzeugen. Wir müssen uns rein- hängen, für eine Energiewende, wie wir sie wollen. Und gleichzeitig das eigene Handeln überdenken und ver- ändern. Der WeXel zu einem regene- Foto: Frank Heller rativen Stromanbieter scheitert eher an den Vorurteilen (Kosten, Versor- gungssicherheit, Sinnhaftigkeit) als an der Realität und Machbarkeit. Wir haben die Erde nur von unseren Kin- dern geliehen. Sorgen wir zusammen dafür, dass sie nicht weiter kaputt ge- macht wird!

KERSTIN RUDEK IST UMWELTAKTIVISTIN AUS DEM WENDLAND.

DISPUT Dezember 2013 33 GESCHICHTE So werden Kriege gemacht

Erster Weltkrieg zwischen Schlafwandeln und Profi tgier VON STEFAN BOLLINGER

m Jahr 2014 soll das Weltkriegsju- wachsendem Wohlstand und unbän- schen Bewegung mit Bertha von Sutt- biläum herhalten, eine Geschichte digem Expansionsdrang auf. »Welt- ner als Symbolfi gur, trotz einer sich I zu erzählen, in der die Geschichte politik« wurde eingefordert, der Ku- antimilitaristisch und internationa- von Demokratie und Diktatur im Euro- chen war neu zu verteilen. Lenin hat- listisch erklärenden Arbeiterbewe- pa des 20. Jahrhunderts miteinander te recht: »Für den Imperialismus ist ge- gung, trotz der Versuche, dem Krieg verfl ochten sind und mit dem Ersten rade das Bestreben charakteristisch ... seine Schrecken durch internationale Weltkrieg der Aufstieg totalitärer Dik- sogar höchst entwickelte Industriege- Verträge zu nehmen: Es war ein lan- taturen begann. Ein gradliniger Weg biete zu annektieren (Deutschlands ger Frieden, in dem sich Herrschende, soll von Sarajewo zu Stalin wie Hitler Gelüste auf Belgien, Frankreichs auf Unternehmer, vor allem Militärs und führen, erst 1989 sei Europa davon be- Lothringen), denn erstens zwingt die Intellektuelle auf einen neuen Krieg freit. Ein ebenso fataler wie überwäl- abgeschlossene Aufteilung der Er- vorbereiteten. Zudem: Diese Friedens- tigender Manipulationsversuch, dem de, bei einer Neuaufteilung die Hand ordnung wurde mit dem Tod zehn- nur mit Fakten beizukommen ist, auch nach jedem beliebigen Land auszustre- tausender Kommunarden in Paris zum Ersten Weltkrieg, dem »großen cken, und zweitens ist für den Impe- 1871 eingeleitet. Über alle nationalis- Krieg der weißen Männer«, wie ihn rialismus wesentlich der Wettkampf tischen Dünkel hinweg wussten deut- Arnold Zweig nannte. einiger Großmächte in ihrem Streben sche Autokraten wie französische De- nach Hegemonie, d. h. nach der Erobe- mokraten, dass der wahre Feind im rung von Ländern, nicht so sehr direkt Zweifel im eigenen Land gegen sie ste- Streit um für sich als vielmehr zur Schwächung hen wird. Der Klassenkrieg trat nun Geschichte des Gegners und Untergrabung seiner in neuer Weise neben die Kriege und Hegemonie ...«1 Metzeleien der nationalistisch dra- ist Streit um Trotz einer achtbaren pazifisti- pierten Eroberungskriege. Gegenwart Zweitens war das expansive Be- streben der Großmächte mit veränder- Hier können relevante Verständnisli- ten innenpolitischen Bedingungen ver- nien nur skizziert werden: bunden. Starke linke Parteien suchten Erstens wird der Krieg als Bruch Einfl uss und Macht zu gewinnen. Sie eines friedlichen, demokratischen, taten dies unterschiedlich radikal, die sich gar sozialdemokratisch entwi- KARL LIEBKNECHT Herrschenden taktierten. Zwischen ckelnden Europa mindestens seit Revolution und Klassenkompromiss 1871 interpretiert. Aber diese euro- … im Interesse der Aufrechter- lagen Welten. Noch schien die Sozi- zentristische Sicht leitet bewusst in haltung des Friedens, im Inter- aldemokratie entschlossen, die Ver- die Irre, reduziert auf die zivilisierten esse der Förderung der Bestre- hältnisse umzustürzen, und war ge- Mächte Deutsches Reich, Frankreich, bungen, die verhinden sollen, gen den imperialistischen Krieg. Der Großbritannien, dazu einige zentral- daß um eine solche wahnwitzi- Stuttgarter Sozialistenkongress 1907 europäische Staaten. Da interessie- ge Prestigepolitik Europa in ei- schwor: »Droht« dessen »Ausbruch ..., ren die Dauerkriege an der Periphe- nen Krieg gebracht werde, ist so sind die arbeitenden Klassen und rie, auf dem Balkan nur insofern, als es erforderlich, vor aller Welt deren parlamentarische Vertretungen ihr Auffl ackern 1911–1913 den Glut- einmal wieder mit Fingern auf in den beteiligten Ländern verpfl ich- funken für die Zündschnur lieferte. jene Kapitalcliquen zu weisen, tet …, alles aufzubieten, um durch die Ausgeblendet wird, dass all diese »zi- deren Interesse und deren Nah- Anwendung der ihnen am wirksams- vilisierten« Länder weltweit Kriege in rung der Völkerunfriede, der ten erscheinenden Mittel den Aus- und um Kolonien und abhängige Ge- Völkerzwist, der Krieg ist; ist es bruch des Krieges zu verhindern«. biete führten. Jede der 1914 beteiligten erforderlich, den Völkern zuzu- Armeen, vom British Empire bis zum rufen: Das Vaterland ist in Ge- überfallenen neutralen Belgien, hatte fahr! Es ist aber nicht in Gefahr Die Konkretheit Blut sehr ungleicher Kriege in der spä- vor dem äußeren Feinde, son- der Analyse ter so apostrophierten Dritten Welt an dern vor jenen gefährlichen in- den Händen zu kleben. neren Feinden, vor allem vor Drittens wird die Analyse zu Ursa- Vor allem trat 1871 das Deutsche der internationalen Rüstungsin- chen, Interessenlagen und Strategien Kaiserreich mit »Blut und Eisen« dustrie. verwässert, die schließlich zum gro- als neue Großmacht mit dem dyna- ßen Krieg führten. Derzeit begeistert mischsten Wirtschaftswachstum, mit Im Reichstag am 26. April 1913 die »Schlafwandler«-These Christoph

34 DISPUT Dezember 2013 GENERALSTABSCHEF HELMUTH V. MOLTKE

Nach wie vor bin ich der An- sicht, daß ein europäischer Krieg über kurz oder lang kom- men muß, in dem es sich in Clarks.2 Sie entspricht dem positivis- letzter Linie handeln wird um tische, expansive Profi tmacherei We- tischen Zeitgeist, personalisiert Ge- einen Kampf zwischen Germa- sensmerkmal kapitalistischer Politik schichte, scheint Parallelen zu heuti- nentum und Slawentum. Sich und Wirtschaft bleibt. ger Politikinterpretation zu bieten – darauf vorzubereiten, ist Pfl icht Viertens steht die Frage nach der und wird massiv medial verbreitet: aller Staaten, die Bannerträ- Kriegsschuld. Heute bahnt sich ei- Überforderte Politiker schlittern in ei- ger germanischer Geisteskul- ne Entschuldung des Deutsche Rei- nen Krieg, Sachzwänge bestimmen al- tur sind. ches, seiner politisch und wirtschaft- le Schritte bis hin zum großen Kladde- lich herrschenden Klassen an. Die hat- radatsch vor. Da braucht es keine Im- 10. Februar1913 ten besonders intensiv einen »Platz an der Sonne« gefordert und waren risi- kobereit. Hinterher gaben sie sich un- schuldig. Erst nach Jahrzehnten der Verharmlosung und Schuldleugnung wurde dies mit Fritz Fischers »Griff nach der Weltmacht« 19613 in der BRD geschichtsnotorisch gemacht. Das soll heute multikausal vergessen gemacht werden. Dieser Versuch einer Neuauftei- lung entfesselte einen Weltkrieg, in- dem die anderen imperialistischen Mächte begierig und mit eigenen Inte- ressen eingriffen. Darum standen Wil- helm II. und die Militärs der K.u.k.-Mo- narchie bei. Dass keiner der Beteilig- ten den Krieg bekam, den er wollte und den die bald jubelnden Massen erhofften, lag in der Logik der Sache. Freilich steht ein Betonen einer deut- schen Kriegsschuld oder zumindest einer hervorgehobenen Mit-Schuld im Kontrast zu linker Politik. Für die war diese Frage im Unterschied zu den Konfl iktgegnern sekundär. Für die Kriegspropaganda war sie wichtig und gab das Argument der Vaterlands- verteidigung für alle Kriegsbeteiligten ab. Insofern war sie auch für die SPD des »Burgfriedens« wichtig, die nun al- le Marx-Zitate zum russischen Despo- tismus hervorkramte. Radikale Lin- Deutscher Gasangriff bei Chilly, Frankreich Foto: illustrierte historische hefte, 1978 ke dagegen setzten auf den Kampf für die Niederlage der eigenen Regierung, auf Revolution. Nicht zuletzt wurde die Schuldfrage durch die einseitige perialismustheorien und keine Suche weniger Strategien der indirekten Un- Belastung Deutschlands im Friedens- nach der sozialökonomischen Logik, terwerfung, wobei dessen Methoden, vertrag von Versailles 1919 Basis neu- die sich aus der imperialistischen Ent- wie der Bau der Bagdad-Bahn zeigte, er Konfl ikte und Vertreibungen auf wicklung ergab – die Expansion not- durchaus bekannt und zielführend dem Balkan und in Kleinasien, vor al- wendig machte zumal für die, die zu sein konnten. Indirekt stellt sich die lem aber für den Revanchekrieg eines spät kamen, auch kein Hinterfragen Frage, ob der Erste Weltkrieg den Im- deutschen Faschismus. der ideologischen Wegbereitung. Da- perialismus beerdigte, was heute Ge- Davon unbenommen ist jedoch die mals dominierte militärische Gewalt, meinplatz ist, oder ob die imperialis- besonders aggressive deutsche Kriegs- >

DISPUT Dezember 2013 35 GESCHICHTE

EIN AUSFÜHRLICHERER TEXT FINDET SICH UNTER WWW.DIE-LINKE.DE/ Soldatenlied PARTEI/WEITERE-STRUKTUREN/ VON ERICH MÜHSAM BERUFENE-GREMIEN/HISTORISCHE- KOMMISSION/DISKUSSIONSBEITRAEGE

Wir lernten in der Schlacht zu stehn bei Sturm und Höllenglut. Gefallene Soldaten im Ersten Weltkrieg (Prozent der Soldaten) Wir lernten in den Tod zu gehn, nicht achtend unser Blut. Und wenn sich einst die Waffe kehrt auf die, die uns den Kampf gelehrt, Deutschland 2.000.000 15 % sie werden uns nicht feige sehn. Österreich-Ungarn 1.500.000 19 % Ihr Unterricht war gut. Osmanisches Reich 600.000 20 % Bulgarien 100.000 8 % Wir töten, wie man uns befahl, Russland 1.850.00015 % mit Blei und Dynamit, Frankreich 1.300.000 16 % für Vaterland und Kapital, British Empire 850.000 12 % für Kaiser und Profi t. Italien 680.00014 % Doch wenn erfüllt die Tage sind, Rumänien 340.000 28 % dann stehn wir auf für Weib und Kind Serbien 130.00019 % und kämpfen, bis durch Dunst und Qual USA 210.000 4 % die lichte Sonne sieht.

Soldaten! Ruft’s von Front zu Front: Es ruhe das Gewehr! Wer für die Reichen bluten konnt‘, kann für die Seinen mehr. führung: Mit dem Brechen der Neutra- gar Revolutionen waren die Folge. Ihr drüben! Auf zur gleichen Pfl icht! lität von Belgien und Luxemburg, mit Doch das ist schon Gegenstand eines Vergeßt den Freund im Feinde nicht! Kriegsverbrechen gegen vermeintli- anderen Kapitels ... In Flammen ruft der Horizont che »Franc-tireurs« (Partisanen), mit nach Hause jedes Heer. frühzeitigen Luftbombardements, der DR.SC.PHIL. STEFAN BOLLINGER IST aktiven Hinnahme des Völkermordes MITGLIED DER HISTORISCHEN Lebt wohl, ihr Brüder! Unsre Hand, an Armeniern durch die verbündeten KOMMISSION BEIM PARTEIVORSTAND. daß ferner Friede sei! Osmanen, den Abnutzungsschlachten Nie wieder reiß das Völkerband á la Verdun, dem Ersteinsatz von Che- in rohem Krieg entzwei. miewaffen und dem uneingeschränk- 1 Wladimir Iljitsch Lenin: Der Impe- Sieg allen in der Heimatschlacht! ten U-Boot-Krieg schrieb Deutschland rialismus als höchstes Stadium des Dann sinken Grenzen, stürzt die Macht, Kriegs- und Massenmord-Geschichte. Kapitalismus. Gemeinverständlicher und alle Welt ist Vaterland Nicht zuletzt wurde im Osten ein per- Abriss. In: ders.: Werke. Bd. 22, Berlin und alle Welt ist frei! fektes System der Unterwerfung »neu- 1960, S. 273. en Lebensraumes« gegenüber erober- 2 Siehe Christopher M. Clark: Die ten Slawen wie bolschewistischer Ge- Schlafwandler. Wie Europa in den Ers- fahr erprobt. ten Weltkrieg zog. München 2013. Entscheidend sollte sein, dass die- 3 Siehe Fritz Fischer: Griff nach der ser Krieg in seiner Härte und seinen Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des sozialen wie politischen Folgen alle be- kaiserlichen Deutschland 1914/18. teiligten Gesellschaften radikal verän- Königstein/Ts. 1979, 2. A. [Erstausga- Anstehen nach Brot in Berlin derte. Aufstände, Meutereien, Streiks, be 1961]. Foto: illustrierte historische hefte, 1978

36 DISPUT Dezember 2013 GESCHICHTE Das Urteil Vor achtzig Jahren endete der Reichstagsbrandprozess in Leipzig mit einem Fiasko für Hitler und seine Bande VON RONALD FRIEDMANN

m 23. Dezember 1933, nach ger Stunden nach dem Reichstags- in 17 Sprachen übersetzt und erreich- 57 Verhandlungstagen, wur- brand mit einer Welle des politischen te weltweit eine Millionenaufl age. A de vor dem Reichsgericht in Terrors überzogen. Am 20. September 1933, also am Leipzig das Urteil im sogenannten Dem Reichsgericht in Leipzig fi el Tag vor dem Beginn des Reichstags- Reichstagsbrandprozess verkündet, die Aufgabe zu, den Beweis für die brandprozesses, legte die »Juristische der drei Monate zuvor begonnen hat- behauptete »kommunistische Ver- Untersuchungskommission«, wie sie te: »Die Angeklagten Torgler, Dimit- schwörung« zu liefern. Dass dies sich selbst nannte, nach mehrtägigen row, Popow und Tanew werden frei- nicht gelang, hatte drei wesentliche Beratungen in London ihren Bericht gesprochen. Der Angeklagte Marinus Gründe. vor. Das Gremium, das unter Leitung van der Lubbe wird wegen […] auf- Bereits Mitte 1933 hatte Wil- des britischen Kronanwalts D. N. Pritt rührerischer Brandstiftung […] zum li Münzenberg, der Chef des inzwi- stand und dem namhafte Juristen aus Tode […] verurteilt.« schen von den Nazis liquidierten »ro- ganz Europa angehörten, arbeitete Ernst Torgler war Vorsitzender der ten Medienkonzerns« der KPD, im unter maßgeblicher Mitwirkung des Reichstagsfraktion der KPD gewesen. Pariser Exil öffentlichkeitswirksam »Welthilfskomitees für die Opfer des Er hatte sich unmittelbar nach dem das »Braunbuch über Reichstags- deutschen Faschismus«. Es hatte zahl- Reichstagsbrand freiwillig der Po- brand und Hitlerterror« vorgelegt. reiche Zeugen vernommen und offi - lizei gestellt, um seine persönliche Es lieferte die ersten detaillierten Be- zielle Dokumente ausgewertet und Unschuld zu beteuern, und die- war zu dem Schluss gekommen, se Linie auch während des Pro- dass Torgler, Dimitrow, Popow zesses verfolgt. Georgi Dimit- und Tanew unschuldig waren row, Blagoj Popow und Was- und dass van der Lubbe keines- sil Tanew waren drei führende falls als Alleintäter gehandelt bulgarische Kommunisten, die haben konnte. seit Jahren in Berlin im politi- Entscheidend war jedoch schen Exil lebten. Dimitrow hat- das Auftreten von Georgi Dimit- te bis Anfang 1933 das Westeu- row, der sich selbst – und sei- ropäische Büro der Kommunis- ne Partei! – verteidigte und da- tischen Internationale geleitet. bei sehr schnell vom Angeklag- Alle drei waren Anfang März ten zum Ankläger wurde. Zur 1933 verhaftet worden, weil sie Legende wurde seine Ausein- angeblich gemeinsam mit Torg- andersetzung mit Hermann Gö- ler und van der Lubbe gesehen ring, dem zweiten Mann in der worden waren. Nazi-Hierarchie, der als preußi- Der Niederländer van der scher Ministerpräsident in den Lubbe war bereits in der Brand- Zeugenstand gerufen worden nacht im Reichstagsgebäude war. Durch zielgerichtete, aber festgenommen worden, wo er stets sachliche Fragen gelang mit Kohlenanzünder und seiner es Dimitrow wiederholt, Göring Kleidung einige kleinere Feu- zu Wutausbrüchen zu provozie- er gelegt hatte, die kaum Scha- ren. Seinen politischen Sieg den anrichteten. Das große Feu- über Göring krönte er mit der er, das den Plenarsaal zerstörte, Feststellung: »Sie haben wohl konnte er nicht allein gelegt ha- Berühmte Fotomontage von John Heart- Angst vor meinen Fragen, Herr ben. fi eld, AIZ, 16. November1933 Ministerpräsident?« Hitler und seine Gefolgsleu- Dimitrow erwarb sich in der te tönten umgehend von einer weltweiten antifaschistischen großen »kommunistischen Ver- Bewegung so den Ruf des »Hel- schwörung«. Der Reichstagsbrand richte über die Verbrechen der »na- den von Leipzig«. Das gab ihm in den sollte angeblich das Fanal für einen tionalsozialistischen« Regierung in folgenden Jahren die Autorität, als »gewaltsamen Umsturz« in Deutsch- Deutschland und stellte explizit die Spitzenfunktionär der Kommunis- land sein. Auf der Grundlage von Not- Frage nach den politischen Nutznie- tischen Internationale für eine Poli- verordnungen des Reichspräsidenten ßern des Reichstagsbrandes. Inner- tik der Volksfront von Kommunisten wurde Deutschland innerhalb weni- halb kürzester Zeit wurde das Buch und Sozialdemokraten einzutreten.

DISPUT Dezember 2013 37 PARTEI Der Finanzplan Die Herausforderungen für das nächste Jahr sind solidarisch zu bewältigen VON BUNDESSCHATZMEISTER RAJU SHARMA

er Bundesausschuss der LIN- wuchs in der Bundesgeschäftsstelle notwendigen Haushaltskonsolidie- KEN hat am 1. Dezember 2013 gestoppt und der Stellenplan auf zu- rung sinken die Zuschüsse an den Ju- D den Finanzplan des Parteivor- nächst 76 Stellen, darunter eine Aus- gendverband daher um 150.000 auf standes für das Jahr 2014 verabschie- zubildende, im Jahr 2014 reduziert. 300.000 Euro. Durch eine Ausfall- det. Der Beschluss entspricht im We- Bis zur Beschlussfassung des Stellen- bürgschaft hinsichtlich der staatli- sentlichen dem Grobfi nanzplan, des- plans 2015 wird für die Bundesge- chen Mittel des Bundes in Höhe von sen Eckpunkte in der Oktober-Ausga- schäftsstelle eine mittelfristige Per- 150.000 Euro stellt der Parteivorstand be der Mitgliederzeitschrift DISPUT sonalbedarfsplanung einschließlich aber sicher, dass dem Jugendverband vorgestellt wurden. Einzelne Budget- eines Strukturkonzeptes mit einer wie bisher auch im Jahr 2014 insge- positionen wurden jedoch verändert Aufgabendefi nition erarbeitet. Neu- samt mindestens 450.000 Euro zur und konkretisiert. einstellungen sind lediglich inner- Verfügung stehen. Somit bleibt der Angesichts der infolge der Bun- halb des somit defi nierten Stellen- Jugendverband faktisch von der aktu- destagswahl 2013 notwendig gewor- ziels und des Finanzplans möglich. ellen Sparrunde ausgenommen. Eine denen Einsparungen von rund ei- Durch die Kündigung von Büro- Garantieerklärung des Parteivorstan- ner Million Euro konnten naturge- räumen und fi nanzielle Umschich- des zum Erhalt bestehender Struktu- mäß nicht alle Wünsche erfüllt wer- tungen innerhalb der Bundesge- ren des Jugendverbandes sorgt für den. Dennoch lässt sich nach vielen schäftsstelle konnten die ursprüng- zusätzliche Planungssicherheit. Zu- Abstimmungs-, Beratungs- und Ver- lich vorgeschlagenen Kürzungen bei sätzlich zu diesen zentralen Mitteln handlungsrunden, in denen sich so- den politischen Bereichen deutlich erhält die Linksjugend von den Lan- wohl die Mitglieder des Bundesaus- abgemildert werden. Zur Unterstüt- desverbänden der Partei beziehungs- schusses, des Parteivorstandes und zung der Parteientwicklung wird im weise aus staatlichen Mitteln auf Lan- des Bundesfi nanzrates als auch die Jahr 2014 erstmals ein gesonderter desebene weitere Personal-, Geld- und Beschäftigten der Partei sowie Ver- – mit 25.000 Euro ausgestatteter – Sachmittel in einem Gesamtwert von treterinnen und Vertreter der bun- Fonds beim Parteivorstand gebildet. rund 250.000 Euro. Ferner wird der desweiten Zusammenschlüsse ak- Für das mit nunmehr 140.000 Euro Jugendverband sich darum bemü- tiv, konstruktiv und kreativ betei- deutlich verringerte Budget der Zu- hen, vorhandene Potenziale durch ligt haben, feststellen: Unsere Partei sammenschlüsse haben diese sich Beitragseinnahmen stärker als bis- steht auch in schwierigen Zeiten so- einvernehmlich auf ein neues und her auszuschöpfen: Derzeit liegt der lidarisch zusammen und kann selbst transparentes Verteilungsmodell ver- monatliche Durchschnittsbeitrag der größere fi nanzielle Herausforderun- ständigt. rund 5.000 aktiven Mitglieder bei gen erfolgreich bewältigen. Weil das Wahlkampfbudget zur 0,67 Euro, der satzungsmäßige Min- Bundestagswahl 2013 nicht voll aus- destbeitrag beträgt monatlich 1 Euro. geschöpft werden musste, wurden ge- Der Druckkostenfonds des Partei- Gemeinsame genüber der ursprünglichen Planung vorstandes, aus dem neben der Mit- Verantwortung weitere Mittel in Höhe von 100.000 gliederzeitschrift DISPUT auch die Euro frei, die gemäß eines Vorschla- externen Publikationen bezuschusst Das Bewusstsein einer gemeinsamen ges des Bundesfi nanzrates jeweils zur werden, wurde – wie im Grobfi nanz- Verantwortung wird auch im Ergeb- Hälfte dem Länderfinanzausgleich plan vorgesehen – auf 170.000 Euro nis der Tarifverhandlungen deutlich: und dem Jugendverband zufl ießen. festgesetzt und damit gegenüber dem Auf der einen Seite wurde eine Be- Der im Bundesfi nanzrat einvernehm- Vorjahr um 50.000 Euro deutlich re- schäftigungssicherung für 2014 ver- lich erarbeitete Verteilungsschlüssel duziert. Dem Vorschlag des Parteivor- einbart; die Wochenarbeitszeit wird des Länderfi nanzausgleichs in einer standes, diesen Ansatz um weitere um eine halbe Stunde verkürzt, es Gesamthöhe von 800.000 Euro orien- 30.000 Euro zu senken, war der Bun- gibt zusätzliche Blocktage für den tiert sich einerseits an rechnerischen desausschuss bei seiner Beschluss- Ausgleich für Mehrarbeit und eine Kriterien wie Fläche, Wählerstimmen fassung zum Finanzplan 2014 nicht zunächst bis zum Jahr 2017 befristete und Geschäftsvorfällen, berücksich- gefolgt. Zuvor hatten mehrere Lan- neue Vereinbarung zur Altersteilzeit. tigt andererseits aber auch den tat- desverbände und zahlreiche Vertre- Andererseits wird es im kommen- sächlichen Mittelbedarf der einzel- terinnen und Vertreter der Zusam- den Jahr keine Lohn- und Gehaltser- nen Landesverbände. menschlüsse davor gewarnt, dass höhungen geben. Der Jugendverband erhält seit dem weitere Kürzungen in diesem Bereich Um die Personalkosten dauerhaft Jahr 2013 auch auf Bundesebene ei- den DISPUT und/oder die externen auf einen angemessenen Umfang gene staatliche Mittel in Höhe von Publikationen der Zusammenschlüs- zu begrenzen, wurde der Stellenauf- derzeit 160.000 Euro. Im Rahmen der se gefährden könnten.

38 DISPUT Dezember 2013 UMFRAGE Was soll werden, 2014? DISPUT will es wissen – wir haben nachgefragt

Hast Du jetzt genug zum Neu- jahrsgruß? Dann sieh zu, daß Du Mensch bleibst. Mensch sein ist vor allem die Haupt- sache. Und das heißt: fest und klar und heiter sein, ja heiter trotz alledem und alledem, denn das Heulen ist Geschäft der Schwäche. ... Die Welt ist so schön bei allem Graus und wä- re noch schöner, wenn es kei- ne Schwächlinge und Feiglinge auf ihr gäbe. Komm, Du kriegst doch noch einen Kuß, weil Du Der Weihnachtsstand der LINKEN Ende November im saarländischen Riegelsberg doch ein ehrlicher kleiner wurde zum dritten Mal in Folge prämiert. Und das war auch verdient! (Fast) alles Kerl bist. Prosit Neujahr! war selbst gemacht, der Duft von frisch gebackenen Zimtwaffeln lag in der Luft, und ROSA LUXEMBURG AN MATHILDE schon am ersten Abend war der gesamte Glühwein verkauft! Da hieß es, schnell WURM AM 28. DEZEMBER 1916 AUS noch zu improvisieren. Auch Plätzchen, selbst gestrickte Mützen und Socken, Weih- DER FESTUNG WRONKE nachtskarten mit Motiven aus Riegelsberg, genähte Taschen, Geschenkbeutel und vieles mehr wurden gern gekauft. Foto: Joachim Schild-Schröder

SUZANNA, SÄNGERIN: Ich wünsche mir, sterbende bedrohte Art anerkennt ne, nicht von den »meisten« gewollte dass die kleinen Theater nicht mehr und sie nicht mehr so unterdrückt ... Musik sehen und hören wollen. Und so viele Abgaben an die großen Pop- Ich wünsche mir, dass das Fernsehen dass diese Themen und Reportagen stars leisten müssen (Gema), dass auch Menschen berücksichtigt, die an- nicht erst 1.00 Uhr nachts laufen ... man sie vielleicht wie eine vom aus- spruchsvolle Themen und verschiede- Und ich wünsche mir eine Einladung für das Neujahrsfest der LINKEN, weil es da immer so lustig ist. :)

HELMUT WERNER, PETKUS (BRANDEN- BURG): Ich wünsche mir bestmögliche Gesundheit für die Familie sowie po- litische und fachliche Unterstützung als Ortsvorsteher in Petkus; das ma- che ich seit zwanzig Jahren.

HENRY FÖRSTER, FÜRTH (BAYERN): Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der niemand Angst haben muss vor Ar- beitslosigkeit, vor Armut im Alter, vor schlechter Gesundheitsversorgung, Angst davor, dass unsere Kinder keine ordentliche Ausbildung mehr bekom- Zum alljährlichen »roten Grünkohlessen« kamen zahlreiche Genossinnen und Genos- men, Angst davor, von Arbeit nicht sen aus Nordwestmecklenburg und Ostholstein am 6. Dezember in Lübeck zusam- mehr leben zu können, Angst vor ver- men. Begrüßt von der Vorstandsvorsitzenden Katjana Zunft ließen sie die letzten Mo- gifteten Lebensmitteln, zerstörter Um- nate Revue passieren und gehen gestärkt vom hanseatischen Mahl in das neue poli- welt und Angst vor Krieg. Ich hoffe, tische Jahr. Foto: DIE LINKE. Lübeck meine Wünsche sind nicht zu groß …

DISPUT Dezember 2013 39 INTERNATIONAL Warm mit Charme

Das Sich-Treibenlassen gebiert wundervolle Begegnungen. Reiseeindrücke in Portugal VON DANIEL BARTSCH

ortugal ist Reiseziel. Eines, bei Attraktionen, Abgeschiedenheit und hinein in die Wälder. Was dem be- dem sich in den vergangenen Autokilometern. Auch klar: Ich habe quem Pauschal-Kutschierten entgeht: P Jahren die verwendeten Attri- in keine Wohnung geschaut, keinen ein steiler Aufstieg zwischen riesigen bute geändert haben. Krise, Jugendar- »lohnabhängig Beschäftigen« inter- Bäumen, immer höher und immer beitslosigkeit, soziale Härten – selbst viewt, sondern Urlaub gemacht. schöner die Aussicht über die Ebe- Otto Normalzeitungsleser wird daran Der Einstieg in die 14 Tage Portugal ne, die sich unter einem ausbreitet zuerst denken, wenn er Portugal hört. war gut gewählt und geriet zum teil- bis hin zum Meer. Aufwärts auf alten, Strände, Natur, Essen sind auf die Plät- weise beschwerlichen Aufstieg. Sint- gewundenen Pfaden hin zum Castelo ze verbannt worden. Schwer legt sich ra liegt gut 20 Kilometer nördlich der dos Mouros, dem maurischen Kastell der Schatten der Nachrichten über die Hauptstadt Lissabon, ein Naturschutz- aus dem 8. Jahrhundert. Herrlich an- Standarderwartungen an einen Jah- gebiet mit Wäldern, Hügeln … und al- strengend und herrlich sinnlos, denn resurlaub. Aber trotzdem. Nun gerade. ten Burgen, Schlössern und Parkanla- außer alten Steinen (zwar ordentlich Und wie zum Trotz habe ich auch gen. vermauert) ist oben eigentlich nix los. noch eine Camus-Biografi e zur Rei- Nur ein paar Autominuten von Aber das ist Urlaub – und ein erhabe- selektüre erhoben: Sengende Sonne der Großstadt entfernt, umfangen ei- ner Moment ist es dann dennoch: Es und bittere Armut, zentrale Baustei- nen hier selige Ruhe und malerische ist ein selbsterarbeiteter, schöner Au- ne in Camus‘ Werken und von ihm zu Schönheit. Trotz Nachsaison muss genblick. Licht und Einfachheit verklärt, immer man noch einigen Touristenbussen Nach zwei Tagen ging es die Küste schlicht, melancholisch, ergreifend … aus dem Weg hüpfen, die die engen hinab gen Süd-Westende Europas mit Das schien zu passen. Ebenso die an- Straßen der malerischen Altstadt Spontanübernachtung in Vila Nova gedachte Mischung aus touristischen durchfahren. Fluchtinstinkt: nur weg, de Milfontes (Neues Dorf der tausend

40 DISPUT Dezember 2013 Schwer legt sich der Schatten der Nachrich- ten über die Standar- derwartungen an ei- nen Jahresurlaub. Aber trotzdem. Nun gerade. Fotos: Daniel Bartsch

Quellen). Von hier startete 1924 der Wanderte einst das Portugiesisch als erste Direktfl ug in die ehemalige por- Amtssprache über den Ozean, wabert tugiesische Kolonie Macau, und zwar es nun leicht verändert aus der einsti- mit so vielen Zwischenstationen, dass gen Kolonie wieder zurück und sucht »erster Direktfl ug« getrost in die Kate- sich seinen Platz in der Sprache des gorie »Unnützes Wissen« fallen darf. einstigen Mutterlandes. Beeindruckend jedoch das irre Wech- Und dann steht man da, steht auf selspiel von Ebbe und Flut; mal drückt den Felsen, die genau an die Küste das Meer, mal schiebt der Fluss (nichts Südamerikas passen, vor Urzeiten ein mit 1.000 Quellen) und offenbart eine Felsen waren. Und wieder – so klein Wattlandschaft voller urwüchsiger man selbst, so winzig, wenn unter ei- Schönheit, Möwengeschrei und rauer nem das Meer tost. Man angelehnt an Wellengewalt. Vor dem Meer ist man alte Kanonenrohre in der noch älte- ganz klein – klingt abgedroschen ba- ren Festung von Sagres steht, davon nal, ist aber so. segelnde Karavellen regelrecht sieht Der nächste längere Aufenthalt ist oder sich vorstellen kann, wie die Pi- in der Nähe von Luz geplant, das Ba- raten Kurs auf die Küste nehmen. sislager für Ausfl üge in die Ecke von Auch wenn man sich fragt, was Pira- Europa, die Brasilien am nächsten ist. ten hier gewollt haben können? Das Land ist fl ach und so schön wie leer, die Sonne viel zu heiß – das wird vor 500 Jahren nicht besser gewesen sein, ist zu vermuten. Landschaftlich ein- wandfrei – aber sonst: Nur Surfer ja- gen noch nach Wellen und prahlen mit dem Ritt auf dem Nass. Nach der Touristensaison im Som- mer scheint es, die ganze Gegend chillt und atmet leise aus. Männer sit- zen regelrecht gestapelt vor den klei- nen Cafés, reden, und es schaut nicht nach Krise aus, eher nach Tradition. Frauen sieht man nur in Geschäften und mit vollen Tüten oder beim Wä- scheaufhängen – wohl auch Tradition. Diese kleinen, starken Kaffees, für 50 bis 60 Cent, der Energieschub für den Weg zur nächsten Landmarke, die man besichtigen will – ein wahrer Se- gen, dessen heilende, belebende Wir- kung im Laufe der Reise schnell auch für uns Tradition wird. Wenn man nach vier dieser kleinen Espressover- wandten und zwei Bieren immer noch von der Fünf-Euro-Marke entfernt ist, fi ndet man das preiswert bis zur Schamgrenze. Kundige wissen zu be- richten, dass dieses Preisniveau keine Zwangsbeuge vor der Krise ist, schon immer so war – somit ein Lebensstil, der Überlebensnotwendiges bewusst preiswert hält. Aber wehe, es verlangt einen nach Luxus, der über Stulle mit >

DISPUT Dezember 2013 41 INTERNATIONAL

Brot hinausgeht … Also lässt man das Wir kommen ins Gespräch. Vin- es wissen –, hier hat er seinen Frieden bleiben, gibt sich der verschwenderi- cent ist ein Hippie, ist über 80 Jahre gefunden, hier will er auch die letzte schen Leere der Landschaft hin, nippt alt … und eigentlich Amerikaner. Sein Ruhe fi nden. In Frieden. Und dass am Kaffee und preist die Kargheit als Heimatland (»Landschaftlich schön, Frieden uns begleiten soll, wünscht Schönheit, ganz wie bei Camus. Mit aber nach JFK politisch ein Dreck!«), er. »Peace be with you!«, sagt der alte durchaus positiver Wirkung: Alles seine Geburtsstadt San Francisco hat Hippie zum Abschied. Ein zum Heulen Laute verschwindet aus den Tagen er 1970 verlassen und die USA seither schöner Moment. Und ein Abschied und macht Platz für eine Langsam- nicht mehr betreten. Anfangs kreuz auch von der Nähe zum Meer, dem keit, die so friedfertig scheint. Macht und quer durch Europa reisend, hat ewigen Duft nach Salz und Fisch. Platz für eine Freundlichkeit, die je- Vincent fast 30 Jahre als Fotojourna- Diagonal durchs Land Richtung Lis- den trifft, der bereit ist, sich dazuzu- list in Nordafrika, dem Nahen und sabon geht es weiter – mit einem Tag setzen und nicht herabzusehen. Mittleren Osten gelebt und gearbei- in Evora, in der Landesmitte. Schlaue Dieses Sich-Treibenlassen gebiert tet. Man wird trübsinnig, denkt man Bücher sagen, die Gegend war schon wundervolle Begegnungen. Nach Luz die Geschichten, die Vincent erzählen vorzeitlich besiedelt. Wobei »vorzeit- geht es durch die Berge die Südküs- te entlang zu einem Gasthof in den Bergen nahe Tavira. Von der Terrasse blickt man ins Nichts und kann auch nichts weiter tun, als die Schattierun- gen von Blau zu zählen, die ein Him- mel gegen Abend anzunehmen ver- mag. Das kalte Bier schmeckt, wäh- rend die Haine von Korkeichen, ge- schält und abgeerntet, langsam mit der Nacht verschmelzen. Es ist so still, dass der eigene Atem einem störend vorkommt. In der Stadt Tavira haben die Rö- mer eine Brücke hinterlassen, wie sie überall Brücken hinterlassen ha- ben auf ihren Eroberungszügen. Es scheint, von dieser römischen Brücke zehrt der Ort noch heute. Unter fl ir- render Hitze geduckt schmiegen sich kleine Häuser an die Ufer des Flus- ses, über den die Brücke geht. Dazu ein Stadtplatz (die Stadt stellt dort frei- es W-Lan für alle) und diese typischen überdachten Märkte. Es reichte, auf der Mitte der Brücke stehenzubleiben. In Tavira dann kommt es zu der Begeg- nung, die zu den seltenen gehört, die man gern endlos ausgedehnt hätte. Nahe der Brücke ein kleines Café, wir sitzen und schauen. Hinter uns könnte. Und er erzählt – wach nicht lich« wohl »sehr viel früher« meint. sitzt ein sehr alter Mann mit Vogel- nur über die Vergangenheit, wach Zeugen jener Vorzeit (grau?) sind Me- federn im Cowboyhut, in der Hand auch in Gegenwart und Zukunft bli- galithen, aufgestellte große Steine, – kurios genug – ein iPad, kurioser ckend. Die Wahlen in Deutschland, die im Jetzt esoterischen Hausfrauen- aber noch: »Staying alive« von den ja, ja … die Grünen, ja, ja … Links ist gruppen erlauben, die Energieströme Bee Gees auf youtube anschauend. gut, mehr links ist besser. Hier in Ta- fl ießen zu fühlen. Evora selbst ist ein Dabei kichernd. Die Einordnung »Ori- vira sind die Menschen anders, sagt Gewirr aus Einbahnstraßen, die noch ginal« ist uns lieber als das nahelie- er, nirgendwo auf der Welt seien sie nicht von der portugiesischen Seelen- gendere »Irrer«. so angenehm wie hier – und er muss ruhe Angesteckte zur Verzweifl ung

42 DISPUT Dezember 2013 Wahlwerbung für Bloco de Esquer- da (Linksblock). Die Partei ist Mitglied der Europäischen Linken. Fotos: Daniel Bartsch treibt. Aber das Motto »Immer mit der Liegt man in einem Bett, das in einem teils kunstvoll wie Gemälde gestaltet, Ruhe« schleift sich schnell ein, wird Gebäude steht, dessen Grundmauern die zeigen, dass doch etwas im Argen zur zweiten, der lieberen, weil ange- aus dem 11. Jahrhundert sind, ist die liegen muss. Und doch wird Not und nehmeren Natur. Auch deshalb: Auto Geschichte eine Bettdecke. Armut nicht offensichtlich zur Schau stehen lassen und zu Fuß erkunden, Beeindruckend nicht nur das Le- gestellt – selbst wenn man bewusst was das »Weltkulturerbe der Unesco« ben in der Stadt: viele alte Mauern, nicht wegsehen will, wenn man be- zu bieten hat. Die Römer waren schon viele junge Leute. Auch der Tod hat wusst sehen will, man fi ndet die Kri- da, diesmal hinterließen sie einen hier ein Denkmal. In der »Kapelle der se nicht. Tempel, keine Brücke. Im 15. und 16. Knochen« sind die Gebeine von 5.000 Die Stadt präsentiert sich beina- Jahrhundert ist Evora das Zentrum Toten an den Wänden gestapelt. Von he aufgekratzt, die Lokale und Res- des portugiesischen Humanismus – einer humorvollen Lebensnähe zeugt taurants sind voll – und es sind mehr- davon zeugt bis heute die hohe Dich- die Inschrift über dem Eingang, sinn- heitlich keine Touristen, es sind junge te an Universitäten im Ort, der einem gemäß: Hier ruhen unsere Gebeine Menschen, die, wie überall, mit dem wie ein riesiges Museum vorkommt. und warten jetzt auf deine. Hier bin Hunger nach Leben auf Nahrungssu- ich Mensch, hier darf ich’s sein, jubi- che sind. Man möchte sich einreden, liert das Gruftiherz. dass die, die sonst nichts haben, kei- Noch 120 Kilometer Fahrt, dann ne Arbeit, keine Perspektive, wenigs- Oft zu sehen an den sind wir in Lissabon, geben das Auto tens Spaß haben. Aber die Lebens- Wänden in Seiten- ab und gewöhnen uns wieder an das, freude wirkt echt. Das einzig Trauri- straßen: politische was Großstadt ist. Vier Tage zum Ab- ge bleibt der Fado – jener schwermüti- Parolen, teils kunst- schluss, ohne detaillierten Plan, da ge, sehnsuchtsvolle Musikstil, der hier voll wie Gemälde wir die Stadt schon kennen. Die »stille so zuhause ist wie der kleine schwar- gestaltet. Schöne«, wie die Stadt manchmal ge- ze Kaffee. Und ein Fadoabend ist im- nannt wird, empfängt uns freundlich. mer noch dann am besten, wenn er Über dem Tejo hängen ein paar Wol- mit Einheimischen gemeinsam genos- ken, die ihre riesigen Schatten auf die sen wird. Diese Musik bleibt hängen, roten Häuserdächer werfen, dann wie- wenn man durch die Straßen mit ma- der bricht die gleißende Sonne durch roder Bausubstanz geht, wenn die al- – ein Wandel an Farben und Licht, der ten Straßenbahnen an einem vorbei- betört. Oft zu sehen, an den Wänden ruckeln, wenn man am Abend auf die in Seitenstraßen: politische Parolen, Lichter der Stadt schaut. Und ein letztes Mal genießen wir die Vorzüge der portugiesischen Kü- che: ein besonderes kleines Restau- rant, betrieben von vier jungen Män- nern, die ausschließlich regionale Pro- dukte verwenden. Ein letztes Mal das Erleben dieser Leichtigkeit, dieses Zaubers aus Offenheit und Charme, dieser Zufriedenheit, wenn man nicht mehr als das Einfache möchte. Und auf dem Rückfl ug grübel ich nach über die Krise und die Folgen, über das, was ich sah, und vielmehr das, was ich nicht sah und warum ich es nicht sah. Und mir fällt ein Satz von Albert Camus ein, den er bei seinem Austritt aus der Kommunistischen Partei schrieb: »Zwischen den Men- schen und sein Leben möchte ich kei- nen Band des Kapital stellen.« Und vielleicht hat es ja etwas damit zu tun. Vielleicht.

DISPUT Dezember 2013 43 REEDEREI UND REINE LEERE Der stillose Jahresrückblick

2013 – dreizehnte Ausgabe ZUSAMMENSTELLUNG: STEFAN RICHTER

Ich weiß jetzt nicht, an wel- so auf dem bewährten Kurs was seit Sonntag durch die FRANK KUSCHEL, LANDTAG che Unwuchten Sie gera- von Partei- und Staatsfüh- Gazetten geht, hätten Sie THÜRINGEN, 22. MÄRZ de denken, aber ich kann es rung! sich wahrscheinlich letzten mir ungefähr vorstellen. FRANK THIEL, LANDTAG Dienstag überlegt, über die Es gibt hier Leute, die elf HENDRIK LANGE, LANDTAG SACHSEN-ANHALT, 25. APRIL Kuhhaltung in Nordhessen Minuten reden, und das SACHSEN-ANHALT, 22. MÄRZ zu debattieren. kommt mir dann wie eine Schwarz und Gelb bleiben WILLI VAN OOYEN, LANDTAG halbe Stunde vor. Bei mir eben Signalfarben für Untie- HESSEN, 24. APRIL rennt Ihre Uhr immer. Konkurrenz & fen, und denen weicht man GREGOR GYSI, BUNDESTAG, 17. JA- Konkurrenz besser aus. Pferdefl eischskandal: Aigner NUAR PETRA SITTE, BUNDESTAG, reitet hinterher Die Selbstsuggestionskräfte 22. FEBRUAR KARIN BINDER, ERKLÄRUNG, Erneute KORREKTUR - Bitte innerhalb der SPD sind nach 15. FEBRUAR verwenden Sie ausschließ- wie vor stark. Vielleicht ver- Das Gequatsche einer lich diese Pressemitteilung, raten Sie mir bei Gelegen- Blockpartei geht einem Es wäre das Ehrlichste, die nicht – wiederhole: nicht – heit den Dealer, bei dem Sie wirklich an die Nerven. Volksabstimmung zu wie- die Varianten von 13:14 Uhr das Zeug kaufen, das Sie da BODO RAMELOW, LANDTAG derholen und den Men- und 15:23 Uhr. gerade genommen haben. THÜRINGEN, 25. APRIL schen offenen Wein einzu- KERSTEN ARTUS, ERKLÄRUNG, KLAUS LEDERER, ABGEORDNETEN- schenken ... 18. SEPTEMBER, 16:17 UHR HAUS BERLIN, 17. JANUAR Werter Genosse und Kollege BERND RIEXINGER, – nein, Genosse ist falsch: PRESSEKONFERENZ, 4. MÄRZ Ich war lange genug mit ei- Werter Kollege … Hören & ner Sozialdemokratin zu- HERBERT BEHRENS, BUNDESTAG, Die EU ist in der Wasserfra- Staunen sammen, ich glaube, ich 17. JANUAR ge zurückgerudert. kann das beurteilen. DIETHER DEHM, Mein Mann staunt immer, MATTHIAS BÄRWOLFF, FRAKTIONSSITZUNG, 12. MÄRZ wie die Männer hier im LANDTAG THÜRINGEN, 22. MÄRZ Essen & Landtag mich sozusagen zur Trinken Höchstform aufl aufen las- Den Kolleginnen und Kolle- Uhr & Zeit sen … gen der Piratenfraktion ist KORNELIA WEHLAN, LANDTAG sicher der Pastafarianismus Herr Bundestagspräsident, BRANDENBURG, 23. JANUAR vertraut; mein Gott, beten ich werde mir jetzt einmal Sie Ihre Spaghettimonster Essen notieren, wann Sie Geburts- Sie haben es wirklich ge- an, aber lassen Sie den Rest tag haben. Dann werde ich schafft, mich sprachlos zu der Welt bitte damit in Ruhe, Ihnen eine neue Uhr schen- machen. Dazu gehört etwas. manche Menschen mögen ken. MARJANA SCHOTT, LANDTAG keine Nudeln! GREGOR GYSI, BUNDESTAG, HESSEN, 21. MÄRZ WOLFGANG BRAUER, ABGEORD- 17. JANUAR NETENHAUS BERLIN, 16. MAI Ich wecke Sie jetzt. Gammelfl eisch in Essen Ja, es kommt vor, dass diese WOLFGANG ALBERS, ABGEORD- Ich komme mir vor wie in ei- RATSFRAKTION ESSEN, Landesregierung etwas rich- NETENHAUS BERLIN, 13. JUNI nem Kinderzimmer. CDU/ ERKLÄRUNG, 18. MÄRZ tig macht. Aber, Herr Belli- CSU und FDP verhalten sich no, auch eine kaputte Uhr Lieber Kollege …, ich verste- wie eine Horde von Kindern, Nun gut, stattdessen wol- hat bekanntlich zweimal am he nicht, warum ich Ihnen die zwar wissen, dass sie len wir heute über Pferde- Tag recht. immer wieder Ihr eigenes aufräumen müssen, aber es fl eisch reden. Der Gaul ist JANINE WISSLER, LANDTAG HESSEN, Gesetz erklären muss. nicht tun wollen. Ihnen gerade zur rechten 31. JANUAR FRANK THIEL, LANDTAG BÄRBEL HÖLL, BUNDESTAG, 14. JUNI Zeit in die Lasagne geritten, SACHSEN-ANHALT, 12. JULI nicht wahr? … dass uns das Thema wich- Nun werden wir also einen WOLFGANG ALBERS, ABGEORD- tig ist, können Sie daran er- Ich nehme das überhaupt Alternativantrag der Koaliti- NETENHAUS BERLIN, 21. FEBRUAR kennen, dass ich hier für die nicht zurück. Ihr halbstar- onsfraktionen beschließen, Fraktion gesprochen habe, kes Auftreten hier trägt dem in dem gesagt wird: Weiter Wenn Sie geahnt hätten, und das sogar 11 Minuten. auch gar nicht Rechnung …

44 DISPUT Dezember 2013 Gefällt mir

Gefällt mir Illustrationen: Ale Sund

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HEIKE HÄNSEL, BUNDESTAG, Leben & 21. MÄRZ Lassen Alles, was Frau Oldenburg sagt, stimmt. Friedrich zieht Kurzschlüsse , LANDTAG JAN KORTE, ERKLÄRUNG, 30. APRIL MECKLENBURG-VORPOMMERN, 4. SEPTEMBER Selbstmordrate Ausdruck falscher Planung für die Ich bedanke mich für die Psychotherapie Richtigstellung. Dann ist mir DIE LINKE. DORTMUND, aufgrund Ihres Dialektes of- Die Wähler kennen uns zwar Der Senat fährt die Busbe- ERKLÄRUNG, 30. APRIL fensichtlich ein Irrtum unter- nicht, aber sie sind mit uns schleunigung voll vor die laufen. Ich bitte um Nach- zufrieden. Wand Außerhalb des Protokolls sicht. ANDREA JOHLIGE, FLORIAN KAISER, würde ich gern wissen, wa- FRANK KUSCHEL, LANDTAG BUNDESWAHLBÜRO, 28. FEBRUAR ERKLÄRUNG, 28. AUGUST rum auf der Gelben Karte THÜRINGEN, 24. JANUAR noch »Gelbe Karte« stehen Steueroasen trockenlegen – Merkels Mietpreisbremse muss und ob Sie farben- Das ist doch mal ein Setz- offshore und hierzulande gibt kräftig Gas! blind sind. punkt, richtig gesetzt. ANTRAG DER BUNDESTAGS- KATJA KIPPING, BERND RIEXINGER, HEIKE SUDMANN, BÜRGERSCHAFT WILLI VAN OOYEN, LANDTAG FRAKTION, APRIL BILANZPAPIER, 2. SEPTEMBER HAMBURG, 28. AUGUST HESSEN, 24. APRIL Michael Schlecht wegen Eu- Ein Schmalspurantrag beför- Wenn ich gewusst hätte, rokrise in China dert keine Breitbandinitiati- wie Sie mich heute ankündi- Ordnen & MICHAEL SCHLECHT, ve – wir lehnen ihn ab. gen, wäre ich mit einer Au- Säubern ERKLÄRUNG, 19. JUNI AXEL HENSCHKE, LANDTAG genklappe erschienen. Das BRANDENBURG, 25. APRIL konnte ich nicht ahnen und Entschuldigen Sie bitte, Jetzt schauen Sie sich ein- so schnell konnte ich nicht aber ich komme direkt von mal dieses Papier an. Es ist Leuchttürme verdecken kei- reagieren. meinem Sohn, der krank nicht nur schön, sondern ne kargen Landschaften OSKAR LAFONTAINE, war. Ich habe es nicht an- auch umfangreich. GERHARD BESIER, LANDTAG SAARLAND, 15. MAI satzweise geschafft, mir ir- HENDRIK LANGE, LANDTAG ERKLÄRUNG, 11. JUNI gendetwas Vernünftiges an- SACHSEN-ANHALT, 25. APRIL Blinde Kuh mit Philipp Rös- zuziehen. Es gibt zwei Unterarten des ler TIM GOLKE, BÜRGERSCHAFT Wir brauchen auch keinen Kormorans in Europa, Phala- SAHRA WAGENKNECHT, HAMBURG, 24. JANUAR Papiertiger Bibermanage- crocorax carbo sinensis und ERKLÄRUNG, 9. AUGUST mentplan, sondern kla- Phalacrocorax carbo carbo. Hebammenvergütung: Win- re Vorgehensregelungen in TILO KUMMER, LANDTAG Ich bitte darum, diesen delweiches Votum Konfl iktlagen. THÜRINGEN, 24. MAI Pappkameraden nicht durch INGRID REMMERS, CAROLIN STEINMETZER-MANN, die Geschäftsstelle zu fah- ERKLÄRUNG, 30. JANUAR ERKLÄRUNG, 11. SEPTEMBER Als ich das gelesen habe, ren. hatte ich nachts einen Alb- MATTHIAS HÖHN, BETRIEBS- Versicherungspfründesiche- Ich sage es immer, Hermann traum, in dem ich Sie mit VERSAMMLUNG, 17. OKTOBER rungsgesetz gehört in den war schuld. Hermann, der einem Marx-Bart gesehen Papierkorb hat mit den germanischen habe, Frau Ministerpräsi- Vier Euro Lohn bei Höhn , Stämmen im Jahre 9 im Teu- dentin. sind ein Hohn ERKLÄRUNG, 3. FEBRUAR toburger Wald die Römer ge- OSKAR LAFONTAINE, NIEMA MOVASSAT, stoppt. Hätten die die Rö- LANDTAG SAARLAND, 26. JUNI ERKLÄRUNG, 5. FEBRUAR Neuer Vorstoß für Raumord- mer durchgelassen, hätten nungsverfahren zur geplan- wir hier eine intakte Infra- Frauenquote: Der Bart muss Wie immer gilt der Dank ten Deponie Ramelow struktur. endlich ab allen Mitwürgenden! TORSTEN KOPLIN, ERKLÄRUNG, FRANK KUSCHEL, LANDTAG CORNELIA MÖHRING, Vorwärts zu allem 28. JANUAR THÜRINGEN, 26. APRIL ERKLÄRUNG, 15. APRIL Möglichen 2014!

DISPUT Dezember 2013 45 LESEN

Affen sind auch nur Menschen?

folgte sie. Erst als sie voll- GELESEN VON munikation funktioniert ei- jährig war und einen an- INGRID FEIX nigermaßen. Bis der Pu- deren Namen tragen durf- bertierende eines Tages te, schien ein »normales« ausrastet und nach einem Leben für sie möglich. Sie Wutausbruch in einem Ver- studierte Soziologie und suchslabor landet. verbrachte für eine Arbeit, Das Besondere an diesem »Die Friedensstrukturen Schmaleisen auf ungeklärte Roman ist das Einfühlungs- des Matriarchats bei den Weise zu Tode kam. vermögen des Autors in die Bonobos«, hunderte Stun- Im Hafttagebuch be- Psyche der Menschenaffen, den vor dem Affenkäfi g im schreibt Camilla sehr ge- die Entschlüsselung ihres CHRISTINE LEHMANN Stuttgarter Zoo. Was kön- nau, was sie in der Justiz- Verhaltens, ihrer Gebärden. DIE AFFEN VON nen die Menschen von die- haftanstalt erlebt, die Ohn- Da gibt es keine King-Kong- CANNSTATT sen sozialen Wesen lernen, macht, das Warten auf ei- Romantik, wenn der Autor ARIADNE KRIMI 1195 bei denen die Weibchen nen Prozess, der Klarheit aus der Sicht dieses und ARGUMENT VERLAG in der Gruppe mindestens bringen soll, die Begegnun- auch anderer Affen wie der 288 SEITEN, 12 EURO gleichberechtigt leben? Die- gen mit anderen Häftlin- sie umgebenden Menschen se friedlichen Menschen- gen. Auch hier geht es um erzählt. affen bauen Stress ab Machtverhältnisse. Der Versuchung, mensch- bzw. lösen Konfl ikte durch Bis zum Schluss bleibt für liche Interpretationen für er Dezember ist ein Geschlechtsverkehr. Ei- den Leser spannend, ob das Verhalten der einen wie Monat der Überra- ne eigenwillige Lösung der Camilla Feh wirklich un- der anderen zu liefern, ent- D schungen, und um ei- Machtverhältnisse wird da schuldig ist, oder ob es – geht der Autor zum Glück, ne Überraschung handelt vermutet. Männer wie ihr wie sie sich selbst am An- er beschreibt das offenkun- es sich auch bei dem neus- Dozent Professor Schmal- fang fragt – nicht vielleicht dig Sichtbare mit sachkun- ten Krimi von Christine Leh- eisen bekamen da verklär- doch »ein Asozial-Gen, ein diger biologischer Kennt- mann, die hier schon ihren te Gesichter, und er wollte Außenseiter- und Verbre- nis. Faszinierend ist die Ent- zwölften Ariadne Krimi vor- nicht glauben, dass Camil- cher-Gen« gibt, gegen das deckung der Unterschie- legt. Eigentlich ermittelt da- la einen Tötungsversuch in auch eine gute Erziehung de zwischen den Primaten, rin die Lokalreporterin Li- der Affengruppe beobach- nicht ankommt. aber auch der Gemeinsam- sa Nerz. Diesmal allerdings tet hat. Camilla brach ihr keiten unter ihnen, wo- hat diese zwar doch wieder Studium ab. Till, ihr Freund, für wir nur menschliche das letzte Wort, spielt aber konnte allerdings nicht ver- Begriffe haben, wie Liebe, zunächst keine Rolle. Oder stehen, dass sie kampfl os m den Unterschied Freundschaft, Ärger, Angst doch, aber nur als »Hyä- das Feld räumte, für den zwischen Affen und und so weiter. ne«, die Camilla Feh – um Anarchisten ist »der Kampf U Menschen geht es in die geht es in diesem Buch eine soziale Übung«. Sie dem Roman des 1971 ge- COLIN MCADAM – hinterlistig in diese Situ- trennte sich auch von ihm. borenen kanadischen Au- EINE SCHÖNE WAHRHEIT ation gebracht hat, näm- Später bietet er, der inzwi- tors Colin McAdam. Dass ROMAN lich hinter Gitter. Camilla schen zum Executive Di- ein ausgesetztes Men- WAGENBACH VERLAG Feh führt hier einerseits ein rector mutiert ist, Camil- schenkind bei tierischen 336 SEITEN, 19,90 EURO Hafttagebuch, und anderer- la einen Job an und erklärt: Eltern im Dschungel über- seits versucht sie, an ihrer »Anarchie ist der Luxus der leben kann, war schon zu Verteidigung zu arbeiten, Jugend und ihrer Verant- lesen. Hier geht es an- indem sie ihr Leben und die wortungslosigkeit. … Aber dersrum. Das kinderlose Ereignisse Revue passie- die Jugend endet irgend- Ehepaar Judy und Walt ad- ren lässt. wann.« optiert anstelle eines Soh- Von Anfang an beteuert sie Camilla wird verhaftet, weil nes das Schimpansenba- ihre Unschuld. Als Tochter man ihren Exfreund im Af- by Looee. Sie stecken es in einer mehrfachen Kinds- fenkäfi g tot auffand – ein Kleider und umgeben ihn mörderin kam sie frühzei- grausiges Tötungsverbre- mit elterlicher Liebe und tig zu Pfl egeeltern, aber der chen. Und es stellt sich he- Fürsorge. Das geht auch Schatten der Mutter ver- raus, dass auch Professor ganz gut, sogar die Kom-

46 DISPUT Dezember 2013 DEZEMBERKOLUMNE

ein, Alternative lässt der EU längst eine »Alternative für sich nicht mit AfD Deutschland« gemacht. Der frühere schreiben. Leider auch Bundesfi nanzminister Weigel entblö- nicht mit SPD. Eine Al- dete sich nicht einmal zu verkünden, ternative zur EU-Politik dass die europäische Währungspoli- N und ihren rechtlichen Grundlagen ist tik sich am »Wesen« der deutschen schon lange unerlässlich. Solche Al- orientieren werde. Praktisch wur- ternativen, die im Übrigen auch die de die europäische Politik nicht nur Beendigung der deutschen Austeri- zum Vehikel von Sozialabbau und ty- und Niedriglohnpolitik und daher Niedriglohnpolitik in Deutschland ge- gesellschaftspolitische Alternativen macht, sondern auch zur wirtschaft- für die Bundesrepublik erfordern und lichen und sozialen Gefährdung in bedeuten, müssen sich sozial, öko- Griechenland, Spanien, Portugal, Ita- nomisch vernünftig, demokratisch, lien und letztlich der gesamten euro- kulturell, global solidarisch und öko- päischen Integration. Es ist höchste logisch buchstabieren lassen. Die Zeit, dem energisch und wirkungsvoll SPD hat ihre Öffnung zur LINKEN entgegenzutreten. nicht nur auf 2017 verschoben und Wie die aktuelle Koalitionsvereinba- damit zu einem mehr als Vierteljahr- rung von CDU, CSU und SPD zeigt, hundertprojekt gemacht, sondern wird von ihnen praktisch nur ein auch ihre Voraussetzungen verkün- »Weiter so!« fortgesetzt. Eine proeu- det, zu denen eine verlässliche euro- ropäische Politik verlangt natürlich papolitische Haltung der Partei DIE die Veränderung der vertraglichen LINKE gehören soll. Zum einen aber Grundlage und der inhaltlichen Poli- hat sie dabei ignoriert, wie verläss- tik der EU. Notwendig sind nicht bloß lich diese Haltung schon in der frü- Alternativen für Deutschland, son- heren PDS im Januar 1990 beschlos- dern gesellschaftliche, nationale wie sen wurde, zum anderen, dass die europäische, Alternativen. Es wäre Festlegung einer verlässlichen pro- denkbar, sich endlich wieder auf Al- europäischen Position eher für die tiero Spinelli zu besinnen, den kom- SPD zum Problem wird. Die Europa- munistischen und leidenschaftlichen politik der vergangenen mindestens proeuropäischen Antifaschisten. Na- ANDRÉ BRIE zwei Jahrzehnte, die die Europäische türlich gilt das auch für das maßgeb- Union in die Krise gestürzt und die lich von ihm geprägte »Manifest von deutsche Vorherrschaft bedrohlich Ventotene 1941«, doch noch aktu- verstärkt hat und zugleich die sozia- eller und kühner wäre sein von ihm Alternative le und gesellschaftliche Spaltung, fi - als (parteiloser) Abgeordneter der nanzielle und soziale Deregulierung kommunistischen Fraktion durchge- schreibt sich bedeutete, wurde nicht allein von setzter Anspruch eines Verfassungs- anders CDU/CSU und FDP, sondern glei- entwurfes des Europäischen Parla- chermaßen von SPD und Grünen be- ments, der 1984 angenommen wur- schlossen und durchgesetzt. de. Emanzipatorische Bewegungen Schon vor genau sieben Jahren wies und Parteien sowie ein wieder muti- der Philosoph Jürgen Habermas in ges Europäisches Parlament könn- einem Vortrag im Willy-Brandt-Haus ten so (mit einem wirklichen Kon- die SPD auf ihre »schwierige Situati- vent) die europäischen Regierungen on und … ein anhaltendes Umfrage- gerade vor und nach den Europawah- tief« hin und warnte sie insbesonde- len in jeder Hinsicht herausfordern, re vor ihrem Verhaften an »den ge- wenn sie nicht nur intellektuell und wohnten nationalstaatlichen Denk- institutionell agierten, sondern die mustern«. Er sah dies als soziale, sozialen, wirtschaftlichen, ökologi- wirtschaftliche und demokratische schen, internationalen und demokra- Herausforderung für die Bundesre- tischen Forderungen der am meisten publik wie auch die Europäische Uni- betroffenen Menschen erreichten. on. Doch Habermas muss auf taube sozialdemokratische Ohren gestoßen DR. ANDRÉ BRIE IST LANDTAGS- sein. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ABGEORDNETER IN wird mit Unterstützung der SPD aus MECKLENBURG-VORPOMMERN. Foto: Gert Gampe

DISPUT Dezember 2013 47 SEITE ACHTUNDVIERZIG

Regine Stroner

Backen für Weihnachten

© Gräfe und Unzer Verlag München. 2013 100 Seiten, 6,99 Euro ISBN 978–3–8338–3654–1