Deutschland

die bei der Machtsicherung nützlich sein sollen. KANZLERIN Sie hat aus der Geschichte gelernt; vor allem, dass sich die Geschichte der Kanz- ler auch als eine Geschichte der Kanzler- Die Merkel-Loge stürze erzählen lässt: Willy Brandt und Helmut Schmidt wurden nicht nur vom hat ihre Macht mit einem dichtgewebten Kontroll- politischen Gegner, sondern auch von ihren Parteifreunden aus den Ämtern ge- system abgesichert. Ihr innerster Zirkel funktioniert wie drängt. Helmut Kohl ist nur knapp einem ein Geheimbund – nach außen gilt äußerste Verschwiegenheit. Putschversuch entkommen. Gerhard Schröder ließ sich von den SPD-Linken in enn Angela Merkel über Freiheit zicht auf einen eigenen politischen Gestal- das Neuwahlabenteuer treiben, das für ihn redet, wird sie gern lyrisch. „Es tungsanspruch. als Privatier endete. Die Gefahr, das ist Wgibt den schönen Satz: Der Staat Die Schwierigkeit dieses Schattendaseins Merkels Erkenntnis, droht von innen. Die muss Gärtner sein und darf nicht Zaun liegt darin, auch im Schatten Blüten her- wahren Feinde sind die falschen Freunde. sein“, sagt sie dann. Der Satz stammt von vorbringen zu müssen: Alle Vertrauten der Im Mittelpunkt des Machtsystems ste- ihr selbst. Kanzlerin sollen ja politisch wachsam und hen die Kanzlerin selbst und ihre wich- Was dieser schöne Satz bedeuten soll, anregend und sogar kritisch ihr gegenüber tigste Vertraute, Büroleiterin Beate Bau- erklärt sie bereitwillig: „Wir müssen den sein – nur eben nicht nach außen. mann. Menschen Freiheit zur Entfaltung geben.“ Und oft fügt sie hinzu, dass Freiheit für den Christenmenschen „immer auch Ver- antwortung“ bedeute. Vor allem von dieser Kehrseite der Me- daille wissen Merkels Getreueste zu be- richten. Denn die Freiheit, von der die Kanzlerin spricht, kennt nur vom Hörensagen. Im System der Angela Merkel ist der CDU-Generalsekretär ein wichtiger Mann – und damit ein unfreier. Seine letzte freie Entscheidung war die, aus dem Tross der Unbedeutenden auszu- scheiden und sich in die Gefolgschaft Mer- kels zu begeben. Seither nimmt sich Pofalla nicht mal die Freiheit heraus, den Ko- alitionspartner im Alleingang anzurem- peln. Für so etwas holt er sich das Einver- ständnis aus dem Kanzleramt. Er weiß, was sich gehört. Erst kürzlich sagte er an die Adresse von Arbeitsminister Franz Müntefering: „Ich fordere unseren Koalitionspartner auf, re- spektvoller mit den Interessen der Länder und mit den Ministerpräsidenten umzuge- hen.“ Am Vortag hatte er sich in einem Te- lefonat mit Merkel abgesichert. Wenn Mün- tefering die Union kritisiere, würde er gern

dagegenhalten, sagte er. Sie ermunterte ihn. DARCHINGER MARC Dank seiner Bereitschaft, auf absehbare Vertraute Merkel, Kauder, Röttgen: Die gültige Währung ist Loyalität Zeit ein Leben im Schatten der Kanzlerin zu führen, hat Pofalla es geschafft, in den Es ist eine Gruppe, die nach dem Logen- Die 43-Jährige erteilt auch dem General- innersten Machtzirkel um Merkel aufge- prinzip funktioniert. Nach innen herrscht sekretär oder dem Fraktionschef Anwei- nommen zu werden. Offenheit. Man diskutiert über alle Aspek- sungen, die freilich nicht so heißen dürfen. Es ist ein kleiner Kreis: Fraktionschef te der Politik, aber auch über die richtige Sie gibt Anregungen der Regierungschefin und sein Geschäftsführer Frisur und das passende Jackett darf hier ge- weiter, berichtet von Reaktionen Merkels, Norbert Röttgen gehören dazu, Bildungs- redet werden, es gibt keine Sprechverbote. die oft schon ausreichen, den gewünschten ministerin Annette Schavan, die Staatsmi- Nach außen herrscht Schweigen. Es gilt die Impuls beim Gegenüber auszulösen. nisterin im Kanzleramt Hildegard Müller, Linie, die Merkel vorgibt. Sie ist die Einzige, der Merkel nahezu die Parlamentarischen Staatssekretäre Pe- Die CDU-Vorsitzende hat hart ge- vollständig vertraut. Sie ist die geschäfts- ter Altmaier und , die dem kämpft, um das Kanzleramt zu erringen. führende Vorsitzende der Merkel-Loge. breiten Publikum unbekannt sind und aus Sie hat sich gegen das Parteiestablish- Ihr Naturell erleichtert den Umgang mit eigenem Antrieb auch nicht zum Bühnen- ment und die Ministerpräsidenten durch- Merkel. Beide lachen über dieselben Scher- rand streben. gesetzt, die sich als natürliche Anwärter ze. Seit knapp 15 Jahren folgt die studierte Sie genießen das Vertrauen der Regie- sahen. Anglistin ihrer Chefin über alle Stationen. rungschefin und dürfen sich dem Zentrum Sie weiß, dass das Gelände noch nicht An den politischen Kämpfen in Partei der Macht nahe fühlen. Der Preis dafür ist gefestigt ist. Das erste Jahr ihrer Kanzler- und Fraktion nimmt sie nur als Beobachte- hoch. Die gültige Währung ist Loyalität, schaft will sie vor allem dazu nutzen, Loya- rin teil. Sie ist keine Politikerin. Wie Kanz- und das bedeutet den weitgehenden Ver- litäten und Abhängigkeiten zu schaffen, leramtsminister Thomas de Maizière be-

30 24/2006 sitzt auch sie in der Partei keine Haus- „Wie ist die Stimmung bei euch?“ Und: Kauder sitzt am Besprechungstisch in sei- macht. Denn das kann gefährlich sein, wie „Trinkst du ein Gläschen mit?“ nem Büro und versucht zu erklären, warum Merkel an ihrem Vorgänger beobachtet hat. Nur Fraktionschef Wolfgang Schäuble er die Politik Merkels trotzdem für richtig Zur Disziplinierung von Partei und Frak- widerstand dem Allmachtsanspruch des hält. Die Worte purzeln in loser Folge aus tion vertraute Schröder auf Franz Münte- Kanzlers. Der Fraktionsvorsitzende dräng- ihm heraus: Kompromiss, das Machbarma- fering. Der beaufsichtige zunächst als Ge- te Kohl schließlich auf einen Reformkurs, chen, die „Beschränkungen einer Großen neralsekretär die Partei, stieg zum Frak- den dieser nicht haben wollte. Merkel re- Koalition“. Es geht darum, das Überleben tionschef auf und übernahm am Ende auch gistrierte die Machtspiele zwischen Kohl der Koalition zu sichern, weil das – im Mo- noch den Parteivorsitz. Merkel würde sich und Schäuble sehr genau, ohne an ihnen ment – das Überleben seiner Kanzlerin si- nie einem einzigen Politiker so ausliefern. beteiligt gewesen zu sein. Schäuble war chert. Es geht nicht mehr um seine Ziele. Ihr Stil gleicht eher dem des späten Hel- der schwache Punkt des Systems Kohl. So Kauder ist sich bewusst, welchen Preis mut Kohl. Sie erlebte den Kanzler in einer ein Fehler soll ihr nicht passieren. er für sein Amt zahlt. Er ist Mitglied im Phase, als er die Union eisern umklammert Vor Raum 5233 des Berliner Jakob-Kai- Xantener Kreis, einem vertraulichen Zu- hielt. Angefangen hatte es ganz anders: Mit ser-Hauses steht eine Deutschlandfahne. sammenschluss einflussreicher konserva- den Generalsekretären Kurt Biedenkopf Volker Kauder hat sie dort aufstellen las- tiver CDU-Abgeordneter. Man trifft sich und Heiner Geißler und Ministern wie Ger- sen, als er in das Büro des Fraktionsvorsit- regelmäßig im „Xantener Eck“ in der hard Stoltenberg und Rita Süssmuth hatte zenden zog. Es ist ein demonstratives Be- Nähe des Kurfürstendamms, einer gutbür- sich Kohl selbstbewusste und kompetente kenntnis zur Nation, zum Patriotismus, es gerlichen Gaststätte. Politiker an die Seite geholt, die bis weit ins ist eine Geste, die politische Gegner pro- Der Innenpolitiker linke Lager hinein Respekt genossen. vozieren soll, ohne wirklich anstößig zu gehört dazu, der außenpolitische Experte , Georg Brunnhu- ber, Sprecher der CDU-Landesgruppen- chefs, auch der frühere Verteidigungsmi- nister Rupert Scholz. Man trinkt Bier, lacht viel und redet offen. Kauder weiß, was sei- ne konservativen Freunde über die Kom- promisse denken, die er zu verteidigen hat. Er kennt den Vorwurf, er sei nur Mer- kel-Erfüllungsgehilfe. Und er hasst ihn. Kauder weiß, dass seine Autorität in der Fraktion erodieren wird, wenn er als bloßer Vollstrecker erscheint. „Die Fraktion ist kein Abnickverein“, hat Kauder den Abgeordneten kürzlich ge- sagt. Er muss das sagen, auch wenn seine Hauptbeschäftigung das Nicken ist – und auch bleiben wird. Merkel hat ihm das erst kürzlich wieder klargemacht. Im April gab Kauder ein Interview zur Gesundheitsreform. Er sagte, auch über ei- nen Gesundheitsfonds müsse man nach- denken. In der Koalitionsrunde hatte man darüber gesprochen. Kauder wollte den Anteil der Union an der Reform deutlich machen, bevor die SPD Akzente setzte. Er wollte das Profil schärfen – das eigene und das der Fraktion. Merkel war erbost. Zweimal griff sie in

LAURENCE CHAPERON (L.); GOETZ SCHLESER (R.) LAURENCE CHAPERON (L.); GOETZ SCHLESER ihrem Urlaubsort Ischia zum Telefon, um Merkel-Getreue Pofalla, Müller: Leben im Schatten der Kanzlerin Kauder zu rüffeln. Die Kanzlerin fürchte- te, dass der Vorstoß eine Einigung mit der Nach einem Putschversuch einiger sei- sein. Die Konservativen in der Union lie- SPD schwieriger machen werde. Und sie ner Zöglinge im Jahr 1989 duldete Kohl ben solche Gesten. fürchtete, Kauder könnte künftig ein Ei- kaum noch starke Figuren neben sich. Die Kauder zählt sich zu den konservativen genleben entwickeln. Generalsekretäre wurden zu Sprachrohren Christdemokraten. Er lehnt die Homo-Ehe Damit der Fraktionschef die Botschaft des Kanzleramts umfunktioniert, die Lan- ab. Er findet es nicht unbedingt erstre- auch verstand, kam der Rüffel noch ein des- und Bezirksfürsten der Union hielt benswert, dass Mütter arbeiten. Es ist der drittes Mal bei ihm an, diesmal öffentlich. Kohl durch ein ausgeklügeltes System von tiefsitzender Konservatismus seiner schwä- „Ich bin sicher, dass alle Beteiligten spätes- Geburtstagsanrufen, Wahlkampfbesuchen bischen Heimat. tens jetzt über Ostern zu der Einsicht kom- und Audienzen im Kanzleramt bei Laune In letzter Zeit musste Kauder viele Po- men, dass es für den weiteren Prozess sehr und Loyalität. sitionen vertreten, die gegen sein Grund- hilfreich ist, wenn man die Vertraulichkeit, Kohl war geradezu befremdet, wenn je- verständnis stehen. Das Elterngeld zum die vereinbart ist, auch einhält“, ließ Mer- mand mit ihm ein Sachthema besprechen Beispiel, das nur in voller Höhe gezahlt kel ihren stellvertretenden Regierungs- wollte. „Das Fachliche machst du mit der wird, wenn auch der Vater Erziehungsur- sprecher Thomas Steg erklären. Juliane“, beschied er dem Vorsitzenden laub nimmt. Oder das Anti-Diskriminie- Ein Spitzenbeamter, noch dazu ein der Bremer CDU, . Julia- rungs-Gesetz, das Minderheiten mehr Sozialdemokrat und Stratege aus der ne Weber war die Büroleiterin des Kanz- Rechte verschafft. Das hatte Kauder noch Schröder-Zeit, weist den Vorsitzenden der lers. An den Besucher aus dem Norden im vergangenen Jahr mit den Rassegeset- stärksten Regierungsfraktion zurecht. hatte er in aller Regel nur zwei Fragen: zen der Nazis in Zusammenhang gebracht. Deutlicher hätte Merkel nicht demon-

der spiegel 24/2006 31 Deutschland strieren können, wie sie Kauders Rolle Müller ist ein wichtiger Knoten des weit- versteht. reichenden Informantennetzes, das Mer- Vergleichbaren Eigensinn hätte Hilde- kel in Partei und Fraktion installiert hat. Es gard Müller gar nicht erst entwickelt. Sie umspannt alle wichtigen Gruppen – die kennt die ungeschriebenen Gesetze der Frauen, die Jungen, den Wirtschaftsflügel, Macht und hält sie millimetergenau ein. den Sozialflügel. Kommuniziert wird per Von ihrem Büro aus blickt Müller in den Telefon, SMS und E-Mail. Tiergarten. Im Hintergrund ragt die Sieges- Der Europapolitiker Elmar Brok ist ei- säule in die Höhe. Müller hat es weit ge- ner, der Merkels Handy-Nummer gespei- bracht für eine 38-Jährige, die vor einem chert hat. Er spielt eine wichtige Rolle in Dreivierteljahr noch einfache Oppositions- Brüssel, aber noch wichtiger ist für Merkel, abgeordnete war. Sie sitzt im Leitungstrakt dass er Mitglied des Andenpaktes ist, eines des Kanzleramts als „Staatsministerin bei mächtigen Männerbundes in der CDU, der Bundeskanzlerin“. Sie ist zuständig für dem unter anderem die Ministerpräsiden- die Bund-Länder-Koordination und den ten , und Bürokratieabbau. Über beide Aufgaben re- Günther Oettinger angehören. Er ist ihr det sie mit großem Ernst. Die Arbeit ist Späher im Feindesland. wichtig und sehr zeitaufwendig. Es gibt im Machtuniversum Merkels eine Für Merkel wesentlich wichtiger ist aller- Reihe von wichtigen Zuträgern wie Brok. dings eine Funktion, die nicht auf der Visi- Der Kulturstaatsminister Neumann gehört tenkarte steht. Müller ist für Merkel ein dazu, der nach wie vor enge Kontakte zu Frühwarnsystem. Sie nimmt Helmut Kohl pflegt. Die In- an allen Sitzungen des ge- tegrationsbeauftragte Ma- schäftsführenden Fraktions- ria Böhmer, die im Kanz- vorstandes teil. Es ist das leramt residiert und die Gremium, im dem die Frauen-Union führt. Viele großen Entscheidungen Politiker, aber auch Män- vorbereitet und diskutiert ner der Wirtschaft beliefern werden. Von hier aus hat die Kanzlerin mit ihren Ge- Schäuble seinen Reform- dankensplittern, die Mer- kampf gegen Kohl geführt. kel in ihr Puzzle einfügt. Es Hildegard Müller redet gibt nicht immer eine in diesen Sitzungen wenig, Rückmeldung – Merkels aber sie hört aufmerksam Welt ist offen im Eingang zu, zuweilen fertig sie No- und eher verschlossen im tizen an. „Sie ist in erster Ausgangsbereich. Kaum je- Linie Protokollführerin“, mand weiß, wie seine An-

sagt ein Mitglied des Gre- / REUTERS SCHWARZ TOBIAS regungen und Ideen auf die miums spöttisch. Wenn es Bildungsministerin Schavan Chefin wirklich wirken. Unmut über die Regierung Teil des Machtuniversums Wer die Gunst Merkels gibt, wird dieser ins Kanz- verloren hat, erfährt davon leramt gemeldet. Auch wenn es in den Lan- eher indirekt. Der außenpolitische Spre- desvertretungen grummelt, hört Merkel da- cher der Fraktion von durch ihre Staatsministerin. Das kennt beides – das Dazugehören und den Frühwarnsystem arbeitet schnell und ex- Ausschluss. Er gehörte einer Gruppe vor- klusiv. Die freundliche Frau berichtet aus- wiegend junger Unionspolitiker an, mit de- schließlich an Merkel. nen sich die Kanzlerin seit mehr als zwei Immer wieder kommt es zu Rivalitäten Jahren abseits des politischen Betriebs im engsten Führungszirkel. Vor allem dann, trifft. Röttgen und Pofalla sind dabei, Alt- wenn aus der beobachteten Stimmung po- maier, Hintze und Kauder. litische Handlungen abgeleitet werden. Der Ausschluss des Fraktionsrechten Anfang März hatte Müller in der Mor- Martin Hohmann ist 2003 in dieser Runde genlage des Kanzleramtes Besorgniserre- beraten worden, der Gesundheitsstreit mit gendes zu berichten. In der Runde sitzen der CSU, die Frage, wen die Union als Merkels Vertraute, Baumann, de Maizière, Bundespräsidenten nominieren soll. Es ist regelmäßig kommen Kauder und Röttgen der Kreis, in dem abseits der Gremien und dazu. Die Stimmung in den Ländern sei festen Runden über alle Personal- und nicht gut, es ging um das Arzneimittelver- Sachfragen gesprochen wird. Zur Merkel- sorgungsgesetz, das der Bundestag bereits Runde gibt es keine formalen Einladun- verabschiedet hatte. Müller berichtete, die gen. Man bekommt einen Anruf oder eine Länder würden das Gesetz möglicherwei- SMS – oder eben nicht. se blockieren. „Da müssen wir etwas tun“, Klaeden bekam irgendwann keinen Anruf sagte die Staatsministerin. mehr. Merkel verdächtigte ihn, über diesen Solche Ratschläge tragen, erst recht bis dahin öffentlich nicht bekannten Kreis wenn sie von Merkel befolgt werden, den geplaudert zu haben. Er hatte damit das ers- Keim des Neides in die Runde. So rieten te Gebot der Loge verletzt: „Das wichtigste denn auch prompt andere Merkel-Getreue ist, schweigen zu können“, sagt ein Mitglied zur Gelassenheit. Ein Teilnehmer empfand des inneren Zirkels und legt den Zeigefinger Müllers Verhalten als „etwas alarmistisch“. an die Lippen. Ralf Neukirch

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