Sie Ist Eine Stattliche Erscheinung ...“1 Von Josef Börste Und Uta C
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Altersbilder Maria Niggemeyer – Eine große alte Dame der Politik „Sie ist eine stattliche Erscheinung ...“1 von Josef Börste und Uta C. Schmidt CDU-Frauen im ersten deutschen Bundestag: Maria Niggemeyer, Aenne Brauksiepe, Luise Rehling und Margarete Gröwel, 1949. Foto: Friedrich Ebert Stiftung, 6/FOTA 054790 Der sechste Tagesordnungspunkt sah für die 87. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. September 1950 die Beratung eines Antrags der Abgeordneten Maria Niggemeyer und ihrer Fraktion vor: Die Bundesre- gierung sollte bei den Hohen Kommissaren darauf hinwirken, ein gerade patentiertes, politisch nicht diskreditiertes chemisches Verfahren zur Kohleverflüssigung für die zivile Nutzung zuzulassen. Auf Grundlage dieser Zulassung könnte auch das Chemische Werk in Bergkamen, für die Treibstoffgewinnung im nationalsozialistischen Angriffskrieg unabdingbar, einer Demontage entgehen und von der Militärregierung eine sichere Betriebserlaubnis erhalten. Maria Niggemeyer erhielt als erste das Wort. Während Redner in der folgen- den Debatte auf die Bedeutung Bergkamens für die Ferngasversorgung des Ruhrgebiets und den wirtschaftspolitischen Stellenwert einer nationa- 73 Altersbilder len Gas-, Parafin- und Lösungsmittelproduktion abhoben, erinnerte Maria Niggemeyer daran, dass das Chemische Werk auch mehreren hundert Frauen Arbeitsplätze bot. Sie waren durch den verheerenden Krieg und die tragischen Grubenunglücke von 1944 und 1946 auf Schacht Grimberg III/IV zu Witwen und Alleinversorgerinnen ihrer Restfamilie geworden. Dass sich hier eine Politikerin der Christlich-Demokratischen Union (CDU) im Parlament für außerhäusliche Frauenerwerbsarbeit aussprach, während ihre Partei gleichzeitig Frauen massiv auf die Familie zurück zu verweisen suchte, macht neugierig. Wer war diese Politikerin? Jugend und Ausbildung Geboren wurde Maria Niggemeyer am 18. Mai 1888 in Münster als Tochter des Schreiners Heinrich Keuper und seiner zweiten Frau Rosalia, geborene Friedag.2 Sie besuchte die Katholische Höhere Töchterschule in Münster.3 Seit der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ im Jahre 1865 mit seiner frauenpolitischen Mobilisierung war das Thema Mädchen- und Frauenbildung aus der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Und so ließ sich mittlerweile auch das mittlere Bürgertum die Ausbildung von Mädchen etwas kosten. Der Beruf der Lehrerin bot eine der wenigen ge- sellschaftlich anerkannten Möglichkeiten, ein bürgerliches Leben auf eige- nen finanziellen Füßen zu führen. Im überwiegend katholischen Münster kam dem 1903 gegründeten „Katholischen Deutschen Frauenbund“ als konfessionelle Frauenlobby eine wichtige Funktion zu, den Forderungen nach Bildung Gehör zu verschaffen. Maria Keuper absolvierte im Anschluss das der Schule angeschlossene Lehrerinnenseminar. Sie bestand am 15. Juli 1907 die Lehrerinnenprüfung mit einer Zusatzqualifikation für den weiblichen Handarbeits- und Turnun- terricht. Am 20. August 1907 trat sie 19-jährig eine kommissarische Stelle in der Ludgerischule in Münster an. Bereits am 23. August 1907 wurde ihr zum 1. Oktober eine einstweilige Anstellung an der katholischen Volksschule in Gronau zugewiesen. Die Vereidigung für den Schuldienst erfolgte am 5. Oktober. Zwei Jahre später, am 13. Juli 1909, stellte Maria Keuper an die Schuldeputation in Gronau die „ergebene Bitte“, die einstweilige Anstel- lung in eine endgültige zu verwandeln. Dem Gesuch wurde stattgegeben. Zum 1. Oktober 1909 erhielt sie eine Festanstellung. Damit verbunden war der Anspruch auf Zahlung des vollen Grundgehalts. Der Personalbogen verzeichnet für diese Stelle ein Jahreseinkommen von 1.200 Mark und eine Mietentschädigung von 350 Mark.4 Mit der Zusatzqualifikation als Handarbeitslehrerin erweiterte Maria Keuper ihre beruflichen Handlungsspielräume, denn in staatlichen preußischen Schulen gehörte der Handarbeitsunterricht für Mädchen schon seit 1872 74 Altersbilder zum Pflichtprogramm. Handarbeitsunterricht diente zur Disziplinierung der Mädchen, denn äußerlich sauber ausgeführte Handarbeiten sollten auch zur „inneren Sauberkeit“ führen.5 Gleichzeitig jedoch brachte die Beherrschung der jeweiligen Arbeitstechniken den Mädchen ganz hand- feste materielle Vorteile in einer Zeit, in der Kleidung per Hand hergestellt, ausgebessert, verschönert wurde. Die Befähigung für den Turnunterricht eröffnete Maria Keuper einen weiteren beruflichen Radius. Seit 1905 galt Mädchenturnen an Volksschu- len als Pflichtfach, doch mangels geeigneter Lehrkräfte und fehlender Räumlichkeiten ließ sich die ministerielle Anweisung zunächst nur schwer Jugendfoto umsetzen.6 Körperliche Ertüchtigung für Frauen galt in der wilhelminischen von Dr. Hein- Gesellschaft hinsichtlich bevölkerungspolitischer Ziele und nationaler rich Niggemey- Interessen als wünschenswert, nur hinsichtlich der Turnübungen und der er aus seiner Turnbekleidung gingen die Meinungen noch weit auseinander. Zeit als Schüler Jenseits ideologischer Gefechte um geschlechtsspezifische Körperpolitik des Gymnasi- erhielt die katholische Schule, die Maria Keuper besuchte und der auch um Paulinum, das preußische Lehrerinnenseminar angegliedert war, bereits 1888 eine vor 1910. Turnhalle,7 neun Jahre bevor Preußen offiziell die Einbeziehung des Tur- Foto: Stadtar- nens in die Seminare für Volksschullehrerinnen verordnete. Ihre moderne chiv Münster, Zusatzqualifikation konnte sie auch als Übungsleiterin für Damenriegen Nichtamtliches in Turnvereinen einsetzen.8 Archivgut, Für das bürgerliche Herkunftsmilieu Maria Keupers bildeten die Turnverei- Sportvereine, ne am Ende des 19. Jahrhunderts eine anerkannte Repräsentations– und Münsterscher Geselligkeitsform. Turnvereine hatten sich mittlerweile von einer revolu- Gymnasial- tionären Jugendbewegung der nationalen Einheit zu einer von Kleinbür- Turnverein gertum und bürgerlichem Mittelstand repräsentierten Massenbewegung Paulinum, entwickelt, in der auch katholische Beamten- und Handwerkerfamilien aus Porträtalbum, Münster ihre nationale Loyalität bekundeten.9 Auch Maria Keupers späterer Nr. 7 Mann, Heinrich Niggemeyer, wie sie katholisch und aus Münster stam- mend, war seit Schulzeiten am Münsteraner Paulinum Turner. Es deutet sich hier eine Milieuprägung an, in der sich ein für gesellschaftlichen Wandel durchaus offenes katholisches Umfeld mit Verhaltensformen und -normen eines städtischen, wilhelminisch-nationalen Bürgertums mischten. Mit der Gründung der Weimarer Republik wurde Frauen im Jahre 1919 das aktive und passive Wahlrecht gewährt. Alle Parteien warben intensiv nicht nur um die Stimmen der Wählerinnen, sondern auch um Frauen in politischen Ämtern. Maria Keuper stellte sich in Gronau für das katholische Zentrum als Kandidatin zur Verfügung und zog als erste Frau in den Stadt- rat ein. Ihre Amtszeit währte jedoch nur kurz, denn bereits 1920 folgte sie ihrem Verlobten Heinrich Niggemeyer ins westfälische Werne. Heinrich Niggemeyer, am 8. Februar 1890 in Münster als Sohn eines Ge- richtsvollziehers geboren, besuchte das angesehene Gymnasium Paulinum 75 Altersbilder in Münster. Er machte dort Ostern 1910 das Abitur, gemeinsam mit Joseph Keuper, Marias jüngerem Bruder.10 Mit dem Berufsziel „Gewerbeaufsichts- beamter“ schloss er mit einer Doktorarbeit über „Die Beschädigung der Vegetation durch Rauch“ sein Studium in Münster und München ab.11 Maria Keuper und Heinrich Niggemeyer kannten sich wahrscheinlich seit den Schulzeiten in Münster, aber der Zölibat für Lehrerinnen ließ eine Heirat erst dann ratsam erscheinen, wenn eine angemessene berufliche Position des Mannes das Familieneinkommen sichern konnte. Bereits bei ihrer Vereidigung für den Schuldienst im Jahre 1907 hatte Maria Keuper den Satz akzeptiert: „Im Falle Ihrer Verheiratung erreicht Ihre Beschäfti- gung im Schuldienst ihr Ende.“12 Der Lehrerinnen-Zölibat schrieb demnach die Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf vor. Diese Regelung, seit 1880 in Kraft, lässt sich als Maßnahme zur Reformulierung der gesellschaftlichen Gesuch der Geschlechterordnung angesichts zunehmender Tätigkeit von Frauen Lehrerin Maria als Lehrerinnen werten. Gleichzeitig stützte diese Diskriminierung ar- Keuper um beitsmarktpolitische Absichten, indem sie den Zugang zum Lehrerberuf endgültige An- prinzipiell für Männer offen hielt, während der für Lehrerinnen jeweils stellung, 1909. der Arbeitsmarktsituation angepasst werden konnte.13 1919 wurde der Foto: Stadtar- Zölibat aufgehoben.14 chiv Gronau, Auf diese Situation bezog sich Maria Keuper in einem Schreiben an die Personalakte Schuldeputation vom 12. August 1920, indem sie einerseits ihre Verheira- tung zum 26. August bekannt gab und gleichzeitig beantragte, weiterhin im öffentlichen Schuldienst der Stadt Gronau beschäftigt zu bleiben. Mit Verweis auf den Runderlass vom 8. März 1920 des Ministeriums für Wis- senschaft, Kunst und Volksbildung begründete sie ihren Antrag mit dem Umstand, dass sie an ihrem zukünftigen Wohnort noch keine Wohnung für den gemeinsamen Hausstand zur Verfügung hätte, die Zuweisung einer solchen jedoch von der bereits vollzogenen Trauung abhängig gemacht würde.16 Die Schuldeputation bewilligte erst „nach längerer eingehender Besprechung“, dass sie bis Mitte Oktober im Amte bleiben dürfte, nach den Sommerferien also ihren Schuldienst wieder aufnehmen konnte. Ab dem 16. Oktober wurde Maria Keuper für ein Jahr ohne Bezüge beurlaubt. Die endgültige Entlassung aus dem Schuldienst in Gronau erfolgte zum 16. Oktober 1921. 17 Erstes Engagement in Werne Maria Keuper führte laut eigener Aussage seit dem 15. Oktober 1920 mit ihrem Mann Heinrich einen gemeinsamen Hausstand in