Sendung vom 25.11.2014, 20.15 Uhr

HG. Butzko Politischer Kabarettist im Gespräch mit Birgit Muth

Muth: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Bei uns ist heute HG. Butzko zu Gast, politischer Kabarettist. Schön, dass Sie da sind. Butzko: Vielen Dank für die Einladung. Muth: Inzwischen sind Sie im Olymp der politischen Kabarettisten angekommen. Stimmt das so? Denn 2014 haben Sie den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten. Man kann doch sagen, dass das so ungefähr der Oscar für Kabarettisten ist, oder? Butzko: Wenn Sie das so sagen, dann will ich nicht widersprechen. Meine ganzen Kolleginnen und Kollegen, die diesen Preis vor mir gewonnen haben, sagen das alle ähnlich. Wenn ich mich umschaue in der Reihe derer, die diesen Preis vor mir schon gewonnen haben, dann kann ich ... Groucho Marx sagte jedoch mal, er würde niemals einem Verein beitreten, der Leute wie ihn aufnehmen würde. Davon abgeleitet müsste ich fragen: Was ist der Deutsche Kleinkunstpreis noch wert, nachdem ich ihn bekommen habe? Muth: Ach. Butzko: Die Antwort lautet: Solange keiner meiner Vorgänger aus Protest gegen meine Ernennung seinen Preis zurückgibt, ist alles in bester Ordnung. Muth: Und das ist ja bis jetzt nicht passiert. Butzko: Genau. Muth: Sie haben ja auch schon andere Preise gewonnen wie den Deutschen Kabarettpreis, das Memminger Maul usw. Was haben Sie denn noch so alles bekommen? Butzko: Mindener Stichling, Reinheimer Satirelöwe, von der Zeitung "Handelsblatt" das "Sprungbrett" – es nimmt kein Ende. Muth: Das heißt, Ihr Selbstbewusstsein müsste doch ganz oben sein. Butzko: Ja, mein Ego passt zurzeit nicht mehr durch die Tür. Muth: Ich muss jetzt die Frage stellen, die vermutlich auch alle unsere Zuschauer hören wollen: HG. Butzko! Haben denn Ihre Eltern gesagt, dass Sie HG. heißen müssen? Oder ist das ein ganz normaler Hans- Günter gewesen? Butzko: Oh, jetzt haben Sie es verraten. Natürlich ist es so. Wenn ich als kleiner Junge in den 70er Jahren am Sonntagnachmittag Fernsehen geschaut habe, dann liefen da immer etwas ältere Schwarz-Weiß-Filme. Dabei gab es zwei Schauspieler, die aus allen anderen herausragten wegen ihres merkwürdigen Vornamens, das waren O. E. Hasse und O. W. Fischer. Das habe ich mir gemerkt, und als es dann irgendwann darum ging, dass ich selbst auch auf eine Bühne gehe, habe ich mich gefragt, welchen originellen Künstlernamen ich mir verpassen könnte. Da hat es sich dann angeboten, aus meinem Vornamen Hans-Günter einen HG. zu machen: So wurde HG. Butzko mein Künstlername, mein Markenname, ein Produkt, bei dem man sich Gedanken macht, was das mit dem HG. wohl bedeuten könnte. Muth: Und schon haben wir dieses Rätsel gelöst. Wir wissen aber noch nicht, was der Punkt bei HG. Butzko bedeutet. Butzko: Das ist ja genau das Kuriose daran: Die normale Abkürzung wäre doch H.-G. Butzko. Ich mache einfach nur "HG." daraus und schon stellt man sich bei diesem Namen die zweite Frage und beschäftigt sich länger mit mir, als wenn mein Vorname ausgeschrieben dastehen würde. Muth: Jetzt wollen wir uns mal mit Ihrer ganzen Vita beschäftigen. Also, der Hans-Günter ist 1965 in Gelsenkirchen geboren. Butzko: Fast. Ich bin in Birkesdorf bei Düren geboren, aber noch in der ersten Woche sozusagen nach Gelsenkirchen verschleppt worden. Muth: Sie wuchsen dann ganz nahe am Stadion von Schalke 04 auf. Butzko: Ja, direkt gegenüber der "Glückauf-Kampfbahn". Ich habe quasi von unserem Küchenfenster aus in das Stadion hineinschauen können. Es gibt ja hier in München in Giesing in der Tegernseer Landstraße noch so einige Wohnungen, die ins Grünwalder Station hineinschauen können. Früher gab es einfach noch diese Stadien mitten in den Stadtvierteln. Ich bin also tatsächlich gegenüber diesem Stadion mit dem Namen "Glückauf-Kampfbahn" aufgewachsen: Das war damals, als dieser Verein noch ein guter Verein gewesen ist. Wort eines jeden Menschenkindes ist ja "Mama". Mein zweites Wort war "Papa" und das dritte war "Schaaaaalke". Muth: Warum sind Sie nicht Fußballer geworden? Da hätten Sie doch ordentlich verdient, vielleicht mehr als ein politischer Kabarettist. Butzko: Natürlich hatte ich, wie alle kleinen Jungen, die in diesem Stadtteil aufwuchsen, den Berufswunsch Fußballer. Als ich acht Jahre alt war, meinten meine Eltern, ich sollte Musiker werden, und haben mich mal zum Geigenunterricht geschickt. An der Ecke standen aber meine Kumpels mit dem Ball unter dem Arm. Und Kinder können ja grausam sein. Ich sag's mal so: Wäre z. B. ein André Rieu in Schalke aufgewachsen, dann wäre der Welt einiges erspart geblieben. Das Blöde ist nur, dass meine Eltern noch diese Mentalität hatten, dass man sich hochdienen solle. Sie waren also der Meinung, dass ich als Fußballer zuerst einmal bei einem kleinen Amateurverein anfangen sollte, nämlich bei "Teutonia Schalke": Dieser Verein spielte in demselben Stadion, allerdings in der Kreisklasse und nicht in der Bundesliga. Muth: Was ist aus der Geige geworden? Butzko: Die haben ich nach einem halben Jahr André Rieu geschenkt, und der macht seitdem eine Weltkarriere als Geiger. Ich wollte also unbedingt Fußballer werden und bin ich auch in einen Verein gegangen, aber eben zu diesem kleinen Kreisligaverein Teutonia Schalke. Das Fatale in solchen Vereinen war und ist aber: Die Trainer sind meistens Väter, die das ehrenamtlich machen. Hätte ich tatsächlich bei Schalke angefangen, hätte ich einen Trainer mit einem geschulten Blick getroffen, mit einem Auge, das ihm gesagt hätte: "Dieser Junge hier ist so talentiert, den müssen wir unbedingt fördern." Dann säße ich heute nicht hier als Kabarettist, sondern als der neue Trainer von Bayern München. Muth: Man hat also zumindest beim Fußball Ihr Genie nicht erkannt. Das heißt, der Hans-Günter hat dann irgendwann Abitur und anschließend Zivildienst gemacht. Die Eltern wollten dann natürlich, dass etwas Vernünftiges aus ihm wird. Aber nein, er wollte Schauspieler werden. Butzko: Ja, ich bin dann ans Theater gegangen. Davor hatte ich noch "Zuvieldienst" gemacht: Ich war der einzige Jahrgang, der 20 Monate lang Zivildienst machen musste. Vorher waren es weniger Monate gewesen, danach waren es auch weniger und inzwischen gibt es den Zivildienst bekanntermaßen gar nicht mehr. Ich hatte eigentlich schon einen Studienplatz für Psychologie, d. h. ich wollte ganz klassisch studieren. Muth: Warum Psychologie? Butzko: Das hat mich interessiert. Muth: Haben Sie die Menschen immer schon interessiert? Butzko: Vielleicht ist das Moment ... Muth: Vielleicht war das schon der politische Kabarettist in Ihnen? Butzko: Und natürlich auch der Schauspieler, der sich auch intensiv mit der Psyche und den Charakteren von Menschen beschäftigen muss. Aber ich bin zuerst einmal tatsächlich ans Theater gegangen. Ich war in Wuppertal am Theater, in Hof am Theater und in Würzburg am Theater und es sah zuerst einmal alles danach aus, als würde ich eine klassische Stadttheaterlaufbahn machen. Muth: Was ist dann schief gelaufen, was war der entscheidende Moment, dass es nicht so gekommen ist und Sie gesagt haben: "Ich will nicht als Schauspieler auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen, sondern als Kabarettist!"? 1997 starteten Sie Ihr Soloprogramm. Was war da ausschlaggebend? Haben Sie sich damals so sehr über die Politik geärgert? Oder dachten Sie: "In mir steckt etwas ganz anderes, ich bin eher so ein kleiner Revoluzzer!"? Butzko: Da kam alles zusammen. Aber entscheidend ist wohl, dass ich bereits in meiner Jugend Kabarettfan gewesen bin. Noch bevor ich ans Theater ging, bin ich sehr oft ins gegangen. Hanns Dieter Hüsch, die Lach- und Schießgesellschaft, , "Scheibenwischer" usw.: Das hat mich immer schon alles begeistert. Aber mir lag der Gedanke völlig fern, dass ich das eines Tages selbst machen würde. Ich bin also zuerst einmal ans Theater gegangen. Aber dann gab es eben zwei Schritte. Der eine Schritt war, dass ich aus dem festen Engagement raus wollte. Muth: Sie waren zehn Jahre in einem Festengagement. Butzko: Sieben Jahre insgesamt. Nach diesen sieben Jahren war ich an dem Punkt, dass ich irgendwie so einen Kreativitätskonflikt hatte: Ich wollte als Schauspieler nicht immer Anweisungen annehmen, um Fremdtexte zu sprechen. Wir nannten das damals "Text aufsagen im Kostüm" und produziert haben wir dabei nur ... Muth: Sie waren also doch ein kleiner Revoluzzer: so ein bisschen gegen alles eingestellt. Butzko: Na, das weiß ich nicht. Ich bin ja zunächst einmal ins Regiefach gewechselt, weil ich den Schauspielern dann all diese Freiräume bieten wollte, die ich selbst nie bekommen hatte. Aber ich bin dabei leider auf Schauspieler gestoßen, die ihrerseits diese Freiräume gar nicht wollten. Ich habe mich dann also zuerst einmal aus dem Stadttheaterbetrieb verabschiedet und mich drei Jahre lang als Freiberufler herumgetrieben: mit Inszenierungen an kleinen Bühnen, mit Gastspielen, mit Fernsehaufträgen, mit Workshops, in denen ich Schauspielunterricht gegeben habe. Das heißt, ich habe halt all das gemacht, was man eben so macht als freiberuflicher Schauspieler und Regisseur. Und auf einmal gab es da eine Flaute, d. h. ich hatte keinen Auftrag mehr vor mir. Ich dachte mir: "Oh, was mache ich jetzt? Ein bisschen Geld ist noch da, aber in einem halben Jahr musst du ja auch noch deine Miete bezahlen können." Ich hatte also Zeit und dann kam mir eben irgendwie, ich weiß nicht wie, in einer schlaflosen Nacht der Gedanke: "Du hast doch da diese alte Liebe zum Kabarett, probier das doch mal aus!" Ich habe mir daraufhin in Würzburg ein kleines Theater gemietet und war dann doch ein bisschen gespannt, denn es hätte ja sein können, dass die Leute anschließend zu mir sagen: "Weißt du, Butzko, du kannst zwar gut schauspielern und Regie führen, aber das mit dem Kabarett lässt du wieder bleiben!" Das Höchste der Gefühle wäre für mich schon gewesen, wenn die Leute gesagt hätten: "Hey, super! Bei uns im Stadtteil gibt es eine öffentliche Leihbücherei, willst du da nicht auch auftreten?" Mein Kosmos war also beschränkt auf Würzburg und Umgebung und der Plan war eigentlich, danach dann wieder Schauspieler und Regisseur zu sein. Muth: Und auf diese Weise ist dann Ihr Programm "Butzkolonne" entstanden. Butzko: Genau, "Butzkolonne. Die Crazy-Party-Gaga-Musical-Comedy-Show": Da entlud sich ein jahrelang aufgestauter Mitteilungsdrang in einem zweistündigen Sprechtheater. Muth: Was war da die Botschaft? Können Sie die Botschaft von "Butzkolonne" in einem Satz formulieren? Butzko: Ich versuche es mal: Ein Altachtundsiebziger, dessen politisches Bewusstsein in seiner Jugend geprägt war durch Friedensdemos, Anti- AKW-Bewegung, Ostermärsche usw., soll 15 Jahre später eine Comedy-Sendung fürs Fernsehen machen. Er macht die auch, aber sein politisches Bewusstsein kommt ihm dabei andauernd dazwischen. Das heißt, da gibt es diesen Privatsender, der ihn in dieses Format hineinzwängen will, und da gibt es ihn mit diesem politischen Bewusstsein: Das passt nicht zusammen. Muth: Das war 1997. Butzko: Ja, das war zum Höhepunkt der Comedy-Welle. Es gab die Sendung "RTL Samstag Nacht" mit diesem berühmten Ensemble, die " Harald- Schmidt-Show" ging gerade richtig steil ab, es gab die "Wochenshow" auf Sat.1, es gab den "Quatsch Comedy Club" usw. In so ein Format sollte ich also in meinem Programm reinkommen, aber mir sind eben dauernd politische Gags rausgekommen, ich habe dauernd politische Analyse betrieben. Ich habe also sogar die Comedy-Welle politisch analysiert und mich dabei in einen Monolog hineingesteigert, der im Wahnsinn endete. Das war mein erstes Programm. Und dafür bekam ich gleich den Förderpreis des Deutschen Kabarettpreises. Da war dann für mich klar: Ich gehe nie wieder zurück ins Theater. Muth: Ein voller Erfolg? Butzko: Ja, sofort. Muth: Und Ihre Zielgruppe war damals? Butzko: Comedy-Fans. Der Untertitel lautete ja: "Crazy-Party-Gaga-Musical- Comedy-Show", d. h. ich hatte sehr viel junges Publikum, quasi Partyvolk, die ablachen wollten. Und die erste Hälfte des Programms hat das ja auch bedient. Das ging wirklich ganz schnell von Pointe zu Pointe zu Pointe – eben für diese "Sendung" für diesen Privatsender. Dieses politische Bewusstsein ist im Laufe des Abends eher so peu a peu hineingeraten, bis das am Ende nur noch pures politisches Kabarett war. Muth: Und Ihre Zuhörer haben diese Pointen dann auch noch verstanden, d. h. die waren so politisch gebildet. Butzko: Nein, sie haben quasi die Entwicklung vom Unpolitischen ins Politische im Laufe des Abends mitgemacht. Muth: Und dann kam schon "Butzunion". Butzko: Ja, das war der zweite Versuch. Was ich nicht wusste und was wohl keiner von meinen Kolleginnen und Kollegen weiß, ist: Ein erstes Programm ist gerne mal ein Hit. Weil man eben jahrelang noch nichts gemacht hat und deswegen alles, was man drauf hat, reinpacken kann. Nach zweieinhalb Jahren, als klar war, dass ich diesen Beruf auch weiterhin ausüben möchte, stand dann ein zweites Programm an. Das war "Butzunion". Da ist dann plötzlich ein eigener Anspruch da, den man erfüllen möchte, und eine Erwartungshaltung des Publikums. Muth: Die Latte lag ja ziemlich hoch: Sie hatten diesen Förderpreis bekommen. Da war dann die Frage: "So, was macht er denn jetzt, der Butzko?" Butzko: Genau. Das war eine arge Zitterpartie. Ich schreibe ja gerade in diesen Tagen mein achtes Programm, aber mein zweites Programm war wirklich die Weggabelung: Damit hätte ich auch scheitern können – und das wär's dann für mich gewesen mit diesem Weg. Muth: Aber es ist ja gut gegangen. Butzko: Ja, aber ich musste dafür mein Konzept ändern, d. h. ich musste mit politischem Kabarett anfangen. Die Masche, mit Comedy anzusetzen und dann aber politisches Kabarett zu machen, war ja abgefrühstückt: Das konnte ich nicht wiederholen. Mich da dann in mein zweites Programm hineinzufinden, war wirklich schwierig. Muth: Es kamen dann ganz viele andere politische Programme, in denen Sie immer den Zeigefinger hochgehoben und gesagt haben: "Regierung, das, was Ihr da macht, das gefällt mir gar nicht." Und die "liebe Angela Merkel" treffen Sie ja doch ganz schön hart mit ihrem politischen Kabarett. Ich erwähne da nur mal diese Handhaltung, diese Mundwinkel usw.: die arme Angela Merkel. Butzko: Das sind ja nur Attitüden. Was das politische Lager betrifft, bin ich völlig unverortet. Ich habe auch in den Jahren der rot-grünen Regierung gegen die Herren Schröder und Fischer geschossen. Mein drittes Programm hieß dann "Macht Party". Da ging es noch um die Fußballweltmeisterschaft. Dann gab es "Voll im Soll", "Spitzenreiter" und "Verjubelt". Das letzte Programm nun war "Herrschaftszeiten" und das neue, das in diesem Herbst herauskommen wird, wird den Titel "Super Vision" heißen. Das heißt, es ist egal, wer an der Regierung ist, er oder sie bekommt's ab! Diese Handhaltung, die Mundwinkel, die Tonlage usw., d. h. das Ganze auch ein wenig parodistisch zu machen, ist ja nur eine Fingerübung, das ist Standard, das hat ja fast jeder von uns drauf. Das ist auch schön, das soll auch so sein, aber mein Anspruch ... Muth: Würden Sie denn Frau Merkel, unsere Bundeskanzlerin, auch gerne mal persönlich treffen? Was würden Sie ihr dann sagen? Butzko: Ganz ehrlich, ich glaube, ich bin nicht dafür geschaffen, solchen Leuten persönlich was zu sagen. Ich bin ein Lästermaul und dazu muss man hinterrücks sein. In den 60er Jahren saßen ja bei der Lach- und Schieß immer wieder Politiker im Saal: Wenn zu mir Politiker kämen, dann würde ich mich freuen, dass sie mein Publikum sind, aber ich würde mich, glaube ich, nie zu solchen Gesellschaften einladen lassen, um dort irgendwie den Narren, den Kaspar zu geben. Muth: Der Prediger auf dem Nockherberg wären also nichts für Sie? Butzko: Das könnte ich nicht, genau. Muth: Sie könnten also den Politikern nicht direkt in die Augen gucken und sagen: "Hör mal zu, Angela Merkel, das gefällt mir jetzt nicht so, was du da machst." Butzko: Ich könnte mich nicht zurückhalten, ich würde ihr eben rhetorisch an die Gurgel springen wollen, ich würde Herrn Seehofer richtig eine ... Nein, diese feine Spitze, dieses Florett ist nicht meine größte Stärke, sondern ich hole schon mal sprachlich die Pumpgun raus und ballere los. Muth: Kommt da der Gelsenkirchener raus? Der Kumpeltyp? Butzko: Ja, ich befürchte, das ist so. Muth: Sie sind geprägt durch Ihre Heimat? Denn dort in Gelsenkirchen geht es ja schon ein bisschen rauer zu. Butzko: Das ist so. Klar, das ist eine klassische Malochergegend. Wir sind alle Nachfahren von Zuwanderern aus Ostdeutschland, aus Ostpreußen, aus Polen, die dann im Ruhrpott Bergarbeiter und Stahlarbeiter waren. Das ist unser Herkommen, unsere Vergangenheit. Das heißt, bei uns geht es sehr kumpelhaft und sehr direkt zu. Wir werfen auch mit Kraftausdrücken um uns und sagen auch mal "Arsch" oder "Scheiße". Wenn ich so etwas am Nockherberg Herrn Seehofer ins Gesicht sagen würde, dann wäre der Spaß schon vorbei – für Herrn Seehofer. Muth: Und für Sie vielleicht auch. Butzko: Für mich dann auch. Aber ich wäre dabei nicht der Erste, der dann am Nockherberg im nächsten Jahr nicht mehr eingeladen wird. Muth: Sagen wir mal, Sie haben diese Gelsenkirchener Mentalität drauf, die man beim politischen Kabarett ja auch durchaus schätzt: Da darf es auch durchaus zur Sache gehen. Mir sind aber trotzdem ein paar Politiker wie die arme Angela Merkel und ein Jörg Asmussen aufgefallen, die Sie immer wieder vor die Flinte nehmen. Erzählen Sie uns doch mal, wie Sie auf Jörg Asmussen kamen? Denn mir selbst war dieser Mann vorher vollkommen fremd. Butzko: Genau, das ist z. B. genau diese Art von Kabarett, die mich interessiert und die mich vielleicht auch ein bisschen abhebt und unterscheidet von anderen. Das war es möglicherweise auch, was mir diesen Kleinkunstpreis eingebracht hat: Ich habe den Anspruch und das Bedürfnis zu recherchieren. Ich möchte eben nicht nur den erstbesten Gag abschießen, sondern ich möchte, wenn mich etwas aufregt, tiefer gehen. Ich möchte wissen, was dahinter los ist. Ich beschäftige mich also nicht nur ... Muth: Sie lesen also die Zeitung und dabei ist Ihnen irgendwann der Name "Jörg Asmussen" aufgefallen. Butzko: Genau. Muth: Dieser Mann arbeitete im Bundesfinanzministerium. Butzko: Ja, und das unter vielen Ministern: unter Theo Waigel, unter Hans Eichel, kurz auch mal unter Oskar Lafontaine und Peer Steinbrück, der ihn zum verbeamteten Staatssekretär ernannte. Und dann war er Staatssekretär unter Wolfgang Schäuble. Das heißt, er hat unter fünf Finanzministern im Finanzministerium gearbeitet und dort wohl seine Strippen gezogen. Er hat sich z. B. starkgemacht für die Deregulierung des Bankenwesens. Nun wissen wir ja inzwischen, was diese Deregulierung so alles nach sich gezogen hat. Dieser Jörg Asmussen saß aber nicht nur im Finanzministerium, sondern er hatte noch viel mehr zu tun, denn er saß auch im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und er saß in diversen Aufsichtsräten. Er hat in diesen verschiedenen Funktionen Pflichten gehabt, also Aufsichtspflichten und Verwaltungspflichten, die sich eigentlich gegenseitig widersprechen müssten. Er hat das aber alles in seiner Person vereint und dadurch Entscheidungen getroffen, Entscheidungen treffen müssen, die tatsächlich nicht gänzlich unverantwortlich sind für den Schlamassel, in den wir in der Eurokrise geraten sind. Muth: Dieser Jörg Asmussen hatte es ja nicht leicht, denn Sie haben ihn regelrecht vorgeführt und gesagt: "Es ist nicht so gut, wenn du da im Verwaltungsrat sitzt und gleichzeitig dort in verschiedenen Aufsichtsräten. Denn das passt mit deiner Funktion als Staatssekretär überhaupt nicht zusammen." Sind dann auch Journalisten auf diesen Mann aufmerksam geworden? Wie waren da die Reaktionen, als Sie das alles aufgedeckt haben? Butzko: Ich habe das ja von Journalisten gelesen, d. h. es ist ja nicht so, dass ich mühsam in irgendwelchen Archiven in irgendwelche Keller hätte steigen müssen. Nein, das ist ja alles im Netz vorhanden und nachprüfbar, und zwar auf seriösen Seiten. Ich habe einen Bericht vom SWR gesehen, aber es gibt durchaus auch noch andere Berichte. Es gab mal einen Bericht von "Monitor" oder von "Report" usw. Das heißt, das sind alles Fakten, die offiziell bekannt sind. Ich habe sie nur in eine satirische Form gepackt. Muth: Das heißt, Sie haben zu Medien, zu Journalisten ein gutes Verhältnis? Wie ist das bei einem politischen Kabarettisten? Kommen da die Journalisten glücklicherweise gut weg? Denn meistens haben Sie ja die Politiker auf dem Kieker. Butzko: Sagen wir mal so, ich habe natürlich auch die Erfahrung machen dürfen, dass man an so manchem Montag in der Zeitung eine Kritik liest, bei der man sich fragt: "Wo war dieser Mann vorgestern, am Samstagabend eigentlich, als er in meinem Programm gewesen ist? Es muss in einem Paralleluniversum gewesen sein." Das kommt also vor. Es kommt auch vor, dass in der Zeitung Sachen über mich stehen, die ich nie gesagt habe. Aber insgesamt habe ich ja an mich selbst einen journalistischen Anspruch, d. h. ich recherchiere ja auch selbst. Da kann ich mich auch sehr wohl mit Journalisten austauschen. Ja, auch das kommt vor. Muth: Sie sagen in Ihren Programmen auf der Bühne und Sie sagen auch in Ihrem Buch, Sie seien eigentlich jemand, der von Wirtschaft keine Ahnung hat. Butzko: Richtig. Muth: Das glaube ich Ihnen nicht. Butzko: Doch. Muth: Wenn man das alles so hört von Ihnen, wenn Sie diesen Jörg Asmussen so untersuchen, wenn Sie dann von der Finanzkrise und vom Bankensystem sprechen, dann kann man nicht glauben, dass Sie davon nichts verstehen. Sie kennen und verstehen ja auch alle Fachausdrücke. Kokketieren Sie da gerne? Butzko: Nein, das ist ja genau der Trick, das mache ich nicht. Muth: Diesen Trick müssen Sie mir verraten. Butzko: Der Trick besteht darin, dass ich selbst keine Ahnung davon habe, sondern es mir selbst erklären möchte: Ich mache mich selbst schlau. Das heißt, ich bin ein Autodidakt, ich bin ein Laie. Es gibt politische Vorgänge, die mit Wirtschaft und Finanzen zu tun haben und die ich verstehen möchte. Also lese ich mich da ein. Dabei treffe ich natürlich auf so viel Fachvokabular bzw. Fachchinesisch, dass mir meine nicht vorhandenen Haare zu Berge stehen. Muth: Die Finanzkrise 2008 war also für Sie ein gefundenes Fressen: natürlich um Stoff zu haben für die Bühne. Butzko: Der Auslöser war diese Erklärung von Angela Merkel, die sie damals zusammen mit Peer Steinbrück abgeben hat, dass unsere Einlagen sicher seien. Die erstbeste Pointe ist da natürlich, einen Witz zu machen mit dem Begriff "Einlagen". Ich jedoch wollte wissen, warum da auf einmal meine Kanzlerin persönlich im Fernsehen auftaucht und sagt, dass meine Ersparnisse sicher seien. Denn ich dachte ja, das wäre selbstverständlich. Ich wollte also herausfinden, was da passiert ist. Da bin ich dann über diese Subprime-Kredite gestolpert, die zu Werten erklärt wurden. Das Konstrukt, das ich dazu gefunden habe, klang so kompliziert, dass ich mich gefragt habe: Wie kann man das in fünf Zeilen beschreiben, dass es jeder versteht? Das war quasi das Rezept für mich, ein Kabarett zu machen, das all diese Vorgänge genau auf diese Weise bearbeitet. Denn die Finanzkrise, die Bankenkrise, die Eurokrise und all das, was darauf dann noch folgte, blieb ja ein politisches Thema mit Finanz- und Wirtschaftsschwerpunkten. Nehmen Sie als Beispiel den sogenannten Rettungsschirm: Den möchte ich mir selbst so erklären, dass ich ihn wirklich verstehe. Diese Prozesse bringe ich dann auf die Bühne, damit das andere auch verstehen. Das ist das Kabarett, das ich jetzt eine ganze Zeitlang gemacht habe. Muth: Sind Sie da so etwas wie ein Anwalt der kleinen Leute? Butzko: Ha, na ja ... Muth: Sie haben gesagt, Sie seien ein Lästermaul, und Sie gehen auch tatsächlich nicht gerade zimperlich mit den Politikern um. Butzko: Ja, wie sich das für einen Kabarettisten gehört. Muth: Sind Sie ein Anwalt der kleinen Leute? Sie sind ja fast schon ein Gutmensch, denn Sie schreiben in Ihrem Buch: "Wenn wir alles Geld der Welt verteilen würden, dann hätte jeder von uns eine Million." Das habe ich in Ihrem Buch gelesen. Butzko: Ich schrieb aber dazu: "Ob diese Zahl stimmt, weiß ich nicht, denn ich habe keine Ahnung davon, ich habe das nur mal gelesen, d. h. es kann auch sein, dass diese Zahl nicht stimmt." Muth: Aber trotzdem, sind Sie ein Gutmensch? Sind Sie ein Anwalt der kleinen Leute? Butzko: Ich glaube erstens, dass der Begriff "Gutmensch" zu unrecht negativ besetzt ist. Ich glaube, ein guter Mensch sein zu wollen, Gutes zu wollen, ist ja erst einmal per se nichts Schlechtes. Entscheidend ist ja nur, dass man nicht mit einem moralinsauren Gesicht und den Zeigefinger schwingend das Gute predigt. Ich bin nämlich auch ein Zyniker und ein Sarkast und lange sehr wohl massiv hin. Bin ich ein Anwalt der kleinen Leute? Ich habe, und das darf man nicht vergessen, einfach nicht die Sorgen und Nöte eines Hartz-IV-Empfängers. Aber ich habe halt eine Stunde mehr Zeit damit verbracht, um hinter die Schlagzeile der Bild- Zeitung zu schauen und nachzulesen, warum der Hartz-IV-Empfänger der Gearschte ist und die Banken fein raus sind. Und warum die obersten zehn Prozent in Deutschland 60 Prozent des Gesamtvermögens besitzen und die unteren 70 Prozent nur zehn Prozent. Muth: Welche Menschen sitzen denn bei Ihnen im Publikum und hören sich das an? Sind das die kleinen Leute oder sind das nicht doch die Intellektuellen? Die Intellektuellen, die sagen: "Das ist doch ein schöner, gemütlicher Abend, wir hören uns ein paar nette Pointen zu unserem Wirtschaftssystem an." Können Sie denn die Welt mit Ihrem Kabarett verbessern? Butzko: Ha! Ja! Auf diese Frage antworte ich immer mit "Ja, ich habe die Welt schon mal verbessert!". Muth: Ach ne! Butzko: Ja, im Jahr 2002 hat Edmund Stoiber die Wahl zum Bundeskanzler gegen Gerhard Schröder mit nur 6000 Stimmen Unterschied verloren. Diese 6000 Wähler haben sicher ihre Wahlentscheidung in meinem Kabarett gemacht. Das heißt, ich habe die Welt also schon mal verbessert, nämlich die von Edmund Stoiber. Muth: Was war da die ausschlaggebende Passage in Ihrem Programm? Können Sie uns die heute noch vorspielen? Butzko: Nein. Muth: Das würden wir doch gerne sehen. Butzko: Na, das war 2002, das ist ja jetzt auch schon wieder 12 Jahre her. Muth: Sie haben das also vergessen? Butzko: Ich weiß nur, dass Herr Stoiber damals meine Zielscheibe gewesen ist. Der hat's echt abgekriegt! Selbstverständlich. Und da war noch nicht einmal der Transrapid im Gespräch, denn der kam erst nachher. Muth: Kann es sein, dass Sie die Sozialdemokraten ein bisschen besser behandeln als die Politiker von der Union? Butzko: Warten Sie es ab! Und in den sieben Jahren der rot-grünen Regierung hat es Schröder ja genauso abbekommen von mir. Auch Joschka Fischer. Wir haben jetzt zum zweiten Mal eine Große Koalition. Und natürlich mache ich auch da der SPD wieder schwere Vorwürfe. Meine Meinung ist nämlich, sie hätte, anstatt in die Große Koalition zu gehen, Neuwahlen anstreben sollen. Ich kann auch nicht verstehen, warum sie das nun schon zum zweiten Mal macht: Die SPD hat doch eigentlich schon die Erfahrung gemacht, was dann passiert. Muth: Aber die Wähler mögen das. Es gab erst kürzlich eine Umfrage, dass die Wähler mit dieser Bundesregierung besonders zufrieden sind. Das heißt, Sie haben hier das Gefühl für die normalen Wähler vielleicht doch nicht, Herr Butzko? Butzko: Es kommt doch darauf an, wer die Umfrage macht. Bitte schön, man solle doch jede Statistik selbst fälschen dürfen. Es nützt ja auch nichts, wenn in einer Umfrage herauskommt, dass soundso viel Prozent die Regierung gut finden. Stattdessen muss man doch nach den Fakten, den Tatsachen fragen: Was sind die Ergebnisse dieser Regierung? Mein Anspruch ist dabei nun einmal, nicht nur im deutschen Teller hocken zu bleiben, sondern gerne mal über den Tellerrand hinauszublicken. Durch die Eurokrise, durch die Vorkommnisse mit Griechenland und Irland und Portugal habe ich mich natürlich auch dafür interessiert, inwieweit wir Deutschen denn dafür verantwortlich sind. Wie weit ist unsere deutsche Politik daran beteiligt, dass es anderen Ländern schlecht geht? Muth: Sie gehen ja nicht nur nach Europa, sondern Sie schauen auch über den Atlantik hinüber. Butzko: Ja, auch das. Muth: Man konnte Sie in diesem Jahr am 8. Mai auf der Bühne im Schlachthof in München sehen und erleben. Vielleicht schauen wir uns das mal kurz gemeinsam an. Butzko: Gerne. Filmeinblendung: (Auftritt von HG. Butzko in der Sendung "Schlachthof".) Muth: Ja, auch ein Barack Obama, ein Friedensnobelpreisträger kommt da nicht ganz so gut weg. Haben Sie denn einen Lieblingspolitiker, den Sie wirklich mögen, von dem Sie sagen, dass er einen guten Job macht? Butzko: Nein, wirklich mögen tu ich keinen. Ich glaube, es ist für den Beruf des politischen Kabarettisten wichtig, jedem Politiker zu misstrauen. Ich glaube, da kommt man einfach nicht darum herum. Schauen Sie, ich bin ja grün geprägt: Meine Jugend ... Muth: ... in Gelsenkirchen ... Butzko: ... fiel ja in eine Zeit, in der die Grünen gegründet worden sind. Da gab es sehr wohl eine Aufbruchsstimmung. Und dann waren sie eines Tages an der Regierung und sie haben schlicht das gemacht, was alle machen: sich in Machtspielchen ergehen, sich in Sachzwänge hineinbegeben, sich in Realismus hineinfügen, Kompromisse schließen und Ideale verraten. Auch wenn mir momentan bei Reden im Bundestag die Beiträge von Herrn Gysi und von Frau Wagenknecht von der Redestruktur her immer noch am meisten Spaß machen, wäre ich wohl der Erste, der diese beiden sofort ins Visier nehmen würde, wenn sie Regierungsverantwortung hätten. Muth: Warum? Geht es da um Glaubwürdigkeit? Butzko: Welcher Politiker hat denn Glaubwürdigkeit? Wie sagte mal Franz Müntefering? "Parteien an ihren Wahlversprechen zu messen, ist unfair." Das gilt wirklich für alle Parteien. Muth: Wollen Sie denn als politischer Kabarettist dafür sorgen, dass mehr Leute wählen gehen? Butzko: Ja. Muth: Oder wollen Sie nicht doch für noch mehr Politikverdrossenheit sorgen? Butzko: Nein, auf keinen Fall. Muth: Was wollen Sie dann? Butzko: Ich will auf alle Fälle, dass diese Große Koalition zwischen CDU und SPD, die wir ja im Grunde genommen seit 1949 haben, denn es war ja immer eine von diesen Parteien die Regierungspartei und hat den Kanzler gestellt, aufhört: Das wäre doch mal einen Versuch wert! Muth: Sie wollen eine reine FDP-Regierung! Butzko: (lacht) Warum nicht, dann hätten wir richtig was zu lachen, dann hätten wir richtig Spaß, dann hätte das Kabarett auch richtig Munition. Nein, im Ernst ... Muth: Die Liberalen kommen ja gar nicht gut weg bei Ihnen. Butzko: Natürlich, aber es kommen doch alle nicht gut weg: Wer dran ist, der kriegt's ab. Kabarett ist immer Opposition. Egal, wer an der Regierung ist, er muss aufs Korn genommen werden. Wenn es Politiker gibt, die ich gerne habe, dann habe ich ja zwei Namen soeben genannt. Ich finde diese beiden als Redner im Bundestag gut. Was sie sagen und wie sie das sagen, finde ich spannend. Aber noch einmal: Sobald die an der Regierung wären, würde ich keinen Unterschied machen. Muth: Politisches Kabarett geht also auf die Politiker los: Die kommen nicht gut weg. Welche Spezies mögen Sie denn darüber hinaus nicht so gerne? Sind das vielleicht die Lehrer ... Butzko: Nein. Muth: ... oder sind es die Banker? Butzko: Die Banker haben es natürlich schon abbekommen in den Programmen, in denen es um die Finanz- und Wirtschaftskrise ging: Da war es natürlich schon ein Heidenspaß, die Mentalität der Leute, die im Finanzsektor arbeiten, kräftig aufs Korn zu nehmen. Das musste einfach sein. Muth: Da haben Sie auch mal den Vergleich mit dem Affen gemacht: Der Affe liegt bei den Börsenprognosen besser als der Banker. Butzko: Es gab mal vor ein paar Jahren in der "New York Times" Anfang Januar folgendes Experiment. Man bat ein paar Dutzend Börsenmakler, sie sollten mal tippen, welche Unternehmen in den nächsten 12 Monaten die meisten Gewinne machen werden. Die größte Trefferquote hatte aber ein Schimpanse: Dem hat man einen Pinsel in die Hand gedrückt und dann hat man einen Farbeimer vor ihn hingestellt. Er hat in diesem Farbeimer herumgepantscht und daraufhin sind Farbtropfen auf eine Liste getropft. Diese Liste war eine Liste mit Börsenunternehmen und man hat dann Aktien von den Unternehmen gekauft, auf denen ein Farbtropfen dieses Schimpansen gelandet war. Am Ende des Jahres war der Schimpanse Millionär. Das heißt also ... Muth: Trauen Sie Ihrem Bankberater? Haben Sie einen Bankberater? Nimmt Sie überhaupt noch eine Bank an, Herr Butzko? Butzko: Das ist eine gute Frage. Ich mache natürlich nur noch Online-Banking. Aber auch hier wahre ich natürlich das Bankgeheimnis. Ich mache meine Bankgeschäfte wirklich in Eigenverantwortung, d. h. ich lasse mich nicht beraten: Ich weiß selbst, was ich mit dem Geld mache, das ich übrig habe. Da kaufe ich keine Derivate oder Zertifikate, denn das ... Muth: Und das, obwohl Sie vorhin gesagt haben, dass Sie von Wirtschaft angeblich keine Ahnung haben. Butzko: Habe ich auch nicht. Ich handle da nach Bauchgefühl, nach Instinkt. Muth: Das kommt wohl noch von Ihrem Opa, der Ihnen ein paar Regeln mitgegeben hat fürs Leben. Butzko: Das ist wieder ein sehr schönes Stichwort. Mein Opa in Gelsenkirchen! Mein Opa hat noch höchstpersönlich unter Tage gearbeitet, denn er war Bergmann. Das heißt, mein Opa wusste, wie man an Kohle kommt. Der hat auch abends in der Kneipe immer seine Zeche gezahlt, er hat also keinen Deckel gemacht, hat nicht anschreiben lassen. Er wusste also noch, wie man eine Wirtschaft ohne Schulden hinterlässt. Und mein Opa hat mir damals tatsächlich diese berühmten Sprüche mit auf den Weg gegeben, die jeder kennt. Der erste Spruch lautete: Man soll das Fell des Bären nicht verkaufen, bevor man ihn erlegt hat. Zweitens: Bäume wachsen nicht in den Himmel. Mit anderen Worten heißt das, mit Einnahmen kalkulieren, die noch nicht auf dem Konto sind, funktioniert nur, wenn man Wachstum für unendlich hält. So hat quasi ein Lebensmotto meines Großvaters die Kritik an der Finanzpolitik unserer Regierung von heute schon vorweggenommen. Muth: Von ganz Europa. Butzko: Ja, von ganz Europa. Er hat in diesen beiden klugen Sprüchen das ganze System begriffen. Muth: Wenn man Sie so anhört, dann fragt man sich: Waren früher bessere Zeiten? Ihr Opa hatte unter Tage ja wohl kein leichtes Leben? Butzko: Natürlich. Man verklärt ja im Rückblick alles. Wenn man sagt, früher sei alles besser gewesen, dann ist das nichts als ein Klischee. Bevor dieser Spruch einem über die Lippen geht, muss man sich den Mund zunähen. Früher war nicht alles besser, es war nur anders. Man erlebte es höchstens als angenehmer, als gemütlicher. Gegenüber vom Gelsenkirchener Stadion aufzuwachsen, bedeutete, dass man den Menschen zugesehen hat, die sich ein Fußballspiel anschauen wollten. Die Reporter waren dabei, um davon zu berichten. 30 Jahre später ist das Publikum im Stadion nur noch Studiokulisse, weil das Spiel fürs Fernsehen gemacht wird. Da stellt sich natürlich die Frage, was besser ist. Aber die will ich gar nicht entscheiden. Es war auf jeden Fall anders und mir hat das mehr gefallen. Muth: Sie würden also gerne so ein paar Jahrzehnte zurückgehen können in der Zeit? Butzko: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Muth: Ich habe da so ein bisschen eine Kritik an der Mediengesellschaft herausgehört, an unserer Mediengesellschaft, die alles mediengerecht aufbereitet haben will, die alles durchschaubar macht usw. Sind Sie also auch so ein bisschen ein Digitalisierungskritiker? Butzko: Ich kann die Entwicklung ja nicht zurückschrauben, ich kann nur die Entwicklung, die stattfindet, kritisch beleuchten. Das ist ja auch der Job des Kabarettisten: das, was stattfindet, zu verfolgen, und das, was einem auf den Senkel geht, in die Pfanne zu klopfen. Muth: Lebte Ihr Opa noch, als Sie mit dem politischen Kabarett angefangen haben? Butzko: Nein, leider nicht. Muth: Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert, dass der Junge jetzt nichts Ordentliches macht? Was haben die gesagt? Butzko: Mein Vater war irgendwann, als ich noch Schauspieler gewesen bin, im Theater und hat sich eine Vorstellung angeschaut. Hinterher hat er gemeint: "Na ja, gut ist er schon!" Damit hatte ich seinen Segen. Muth: Sie leben in Düsseldorf ... Butzko: Inzwischen in . Muth: Weil dort das richtige Leben stattfindet, weil dort die richtige Bühne für den politischen Kabarettisten ist? Weil man dort ganz nah am Geschehen ist? Butzko: Ganz genau, deswegen wollte ich dort hin. Das war der Grund. Als klar war, dass wir Düsseldorf verlassen werden, stellte sich natürlich die Frage, wohin wir gehen sollen. Die Antwort kam sofort: nach Berlin! Ganz einfach deswegen, um in der Stadt zu leben, in der Politik stattfindet, um mitzubekommen, wie sich das auf der Straße anfühlt, welche Auswirkungen das im Umfeld des politischen Berlin hat. Ich wollte dort den Leuten auf der Straße begegnen und mitbekommen, wie eine Stadtbevölkerung auf diese Politik reagiert. Die Berliner Bevölkerung ist nämlich meinem Empfinden nach die politischste, die ich kenne. Ich habe in vielen Städten gewohnt, ich komme von Berufs wegen in vielen Städten rum, aber nirgendwo gibt es so viele Menschen, die zu allem und jedem eine politische Meinung nicht nur haben, sondern auch äußern. Das ist wahnsinnig interessant. Muth: Warum? Weil das die Hauptstadt ist? Weil das mal eine geteilte Stadt war? Weil es ein so gemischtes Publikum gibt? Was ist da die Analyse des politischen Kabarettisten Butzko? Butzko: Ich vermute mal, dass das daran liegt, dass Berlin eine geteilte Stadt gewesen ist. Man kam als Berliner gar nicht darum herum, sich für Politik zu interessieren. Ein anderer Grund ist, dass damals natürlich auch viele junge Leute aus politischen Gründen gerade nach Berlin gezogen sind. Die Gemengelage in Westberlin und nach dem Fall der Mauer in ganz Berlin ist eine politische. Das ist meiner Meinung nach das Geheimnis, das ist der Grund dafür. Muth: Und das war natürlich ein krasses Gegenprogramm zu Düsseldorf. Ich hätte ja gedacht, dass Sie in Köln gewohnt haben. Warum jedoch in Düsseldorf? Butzko: Das lag schlicht daran, dass damals meine Frau ein Engagement im Theater in Düsseldorf bekommen hat. Ich bin mitgezogen, denn wenn man in ganz Deutschland tourt, ist es letztlich egal, in welcher Stadt man wohnt. Und als ihr Engagement dort aufgehört hat, sind wir einfach dort wohnen geblieben, weil es sich aus Bequemlichkeit so ergeben hat. Außerdem war die Nähe nach Gelsenkirchen schön, denn von Düsseldorf aus war man dann doch auch schnell mal zu Hause. Auch die Nähe nach Köln zum WDR war sehr schön. Das darf man natürlich keinem Düsseldorfer sagen: dass man deshalb so gerne in dieser Stadt wohnt, weil man so schnell raus kann in Richtung Köln. Aber man darf natürlich auch nicht übersehen, Düsseldorf ist schon auch wieder ein Sozialkontrast zu Gelsenkirchen gewesen. Der Unterschied ist, dass der Gelsenkirchener sagt: "Na, du Arsch!" Und in Wirklichkeit meint er: "Hallo, mein Freund." Ein Düsseldorf sagt: "Hallo, mein Freund!" Und was meint er? Eben: "Na, du Arsch!" Da muss man sich dann schon zurechtfinden. Und von Düsseldorf nach Berlin zu gehen, das ist für einen Düsseldorfer das Allerschlimmste, was man machen kann. Muth: Sie stehen ja in München auf der Bühne, in Hof, manchmal vielleicht auch noch in Düsseldorf, in Berlin, in Hamburg. Versteht man denn dort diesen Gelsenkirchener überhaupt, dieses Schroffe? Oder sind Sie jeweils ein bisschen anders und holen gelegentlich auch den Weichzeichner raus und formulieren ein bisschen netter? Butzko: Ich glaube, das Geheimnis ist, dass ich ja keine Type spiele, die durch den Dialekt, durch den Akzent etwas vermittelt. Stattdessen ist das einfach meine Sprache, meine Melodie. Das, was ich mache, lebt ja vom Inhalt, ist politisches Kabarett. Das heißt, es geht um Themen. Die Sprache ist dabei quasi nur meine Sprache, mit der ich davon berichte, mit der ich das mache. Ich glaube, deswegen funktioniert das auch, egal wo ich im deutschsprachigen Raum gerade auftrete. Ich trete ja auch in der Schweiz auf, ich war auch schon in Südtirol, also in Italien. Wo immer man Deutsch versteht, wo immer man sich für die deutsche Politik interessiert, funktioniert das, was ich mache. Muth: Eigentlich sind Sie damit als politischer Kabarettist ja beschränkt auf den deutschsprachigen Raum. Butzko: Ja, natürlich. Es gibt Comedians, die können auch im englischsprachigen Raum auftreten. Aber bei mir geht das nicht. Muth: Wenn Sie die Länder mal vergleichen: In welchem Land gibt es ähnlich gutes politisches Kabarett wie in Deutschland? Oder ist das etwas typisch Deutsches? Butzko: Ich glaube, das ist etwas typisch Deutsches. Muth: Hängt das mit der deutschen Mentalität zusammen? Butzko: Ich glaube, das hängt mit der deutschen Geschichte zusammen. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass in den 20er Jahren in den Cabarets, wie das damals noch hieß, bzw. in den Varietes, wo es auch noch viel Tingeltangel und Tanz und Revuen gegeben hat, die Moderatoren, die Conferenciers angefangen haben, bei ihren Zwischenmoderationen politische Statements einzuflechten. Dadurch ist das überhaupt erst so richtig entstanden. Ich glaube, unter dem Druck der Weimarer Republik und des beginnenden Hitlerfaschismus' war das auch die Reaktion auf eine Notsituation: Man hat dann das Publikum eben mit Spitzfindigkeiten, mit politischen Satiren unterhalten. Ich glaube, das ist eine Tradition, die es so nur in Deutschland geben konnte. Muth: Wann war denn die Hochzeit des politischen ? Sie haben es vorhin ja schon mal angesprochen. War das zu Zeiten eines Hildebrandt, eines Hüsch? Butzko: Mit Sicherheit. Ich habe ja meine Jugend in den 80er Jahren verbracht: Da waren wir alle politisiert – also zumindest diejenigen, die sich bereits in der Jugend für Politik interessiert haben. Muth: Da gab es den großen Ost-West-Konflikt ... Butzko: Genau, und es gab den NATO-Doppelbeschluss, die Stationierung von Cruise Missiles, von Pershing-2-Raketen, es gab den Kalten Krieg ... Muth: ... die Ostermärsche ... Butzko: ... die Friedensbewegung usw. In dieser Zeit gab es für junge Leute eben die Musik: Das war vor allem Punk, den wir gehört haben. Und es gab eben für die sprachlichen Widerstandsformen in Sachen Politik das Kabarett. Das war's! Ja, das war die Hochzeit. Muth: Und heute? Sie sagen, es kommt zu Ihnen auch viel junges Publikum. Erleben Sie wieder mehr politisches Interesse? Butzko: Ich habe nie wenig politisches Interesse erlebt. Das heißt, zu mir kamen sowieso von Anfang an Leute, die sich für politisches Kabarett interessiert haben. Gleichzeitig beobachte ich aber auch bei all meinen Kolleginnen und Kollegen, die politisches Kabarett machen, seit 20 Jahren, dass diese Form des Kabaretts alles andere als tot ist. Es war immer lebendig. Natürlich war die Hochzeit zu Zeiten des Kalten Kriegs. Natürlich hat es seit dem Fall der Mauer eine andere Dynamik gegeben in Deutschland. Da mussten im politischen Kabarett andere Schwerpunkte und Themen gefunden werden: Da waren dann einfach andere Fragen spannend. Trotzdem ist die Brisanz gleich geblieben. Und Munition für politisches Kabarett gab es auch weiterhin jede Menge. Ich glaube, da hat sich nichts geändert. Muth: Wir haben über die Wurzeln des politischen Kabaretts in Deutschland gesprochen. Wie sah es da aus in Ostdeutschland? Konnte sich da auch etwas entwickeln? Butzko: Das ist eine gute Frage. Muth: Denn Stoff hat es dort ja auch genügend gegeben. Butzko: Ich bin als Solist bisher drei Mal in Ostdeutschland aufgetreten, und zwar auf den Bühnen in Dresden, Magdeburg und Leipzig. Dort ist bis heute tatsächlich eine andere Tradition spürbar. Das Publikum, das sich in Ostdeutschland für politisches Kabarett interessiert, hat eine andere Prägung, die meiner Meinung nach noch aus den Zeiten der SED- Diktatur herrührt. Ich glaube, damals in der DDR bestand für einen politischen Kabarettisten die Aufgabe und Kunst darin, zwischen den Zeilen um drei Ecken herum zu formulieren. Während in Westdeutschland ein Kabarettist ... Muth: Dieter Hildebrandt hat das ja auch mal gemacht. Ich bin mir da nicht ganz sicher, aber ich glaube, Dieter Hildebrandt ist auch mal im Osten aufgetreten. Butzko: Ja, er trat mal zusammen mit Werner Schneyder in Leipzig auf. Muth: Richtig. Butzko: Damals haben diese beiden das Leipziger Publikum im Sturm erobert. Das war zu einer Zeit, als die Mauer noch stand. Muth: Da war das auch sehr, sehr zwischen den Zeilen. Butzko: Genau, das musste man eben so machen, wenn man dort aufgetreten ist. In Westdeutschland war es so: Unsere Politiker haben geschwurbelt, und die Kabarettisten mussten das in Klartext übersetzen. In Ostdeutschland war es hingegen eher so: Die Partei hatte immer recht und gab vor, was gesagt werden durfte, der Kabarettist musste daher seine Kritik an den Verhältnissen immer um ein paar Ecken herum formulieren. Das hatte auch mit der Zensur zu tun, denn jedes Programm musste man ja vorher gegenlesen lassen von der Partei. Nur das, was diese Instanz durchlaufen hat, durfte überhaupt auf die Bühne gebracht werden. Muth: Haben Sie auch so eine Schere im Kopf oder sagen Sie alles, was Ihnen auf der Zunge liegt? Gibt es diese Schere, die Ihnen sagt, dass da etwas zu weit gehen würde? Butzko: Nein, diese Schere habe ich nicht. Aber es gibt selbstverständlich eine Grenze: Diese Grenze ist mein eigener Maßstab. Das heißt, ich frage mich, wenn ich jemanden in die Pfanne haue, immer: Könnte ich es ertragen, das über mich selbst zu hören? Würde ich das über mich selbst auch sagen, wenn ich in dieser Position wäre? Das heißt natürlich, die Würde muss gewahrt bleiben. Jemanden einfach nur blöd in die Pfanne hauen oder ihn nur beleidigen, ist ja keine Herausforderung und auch kein politisches Kabarett. Wenn also jemand doof ist, dann muss man ihm halt so auf die Zehen treten, dass er das selbst am besten gar nicht merkt – und wenn er es merkt, selbst darüber lachen kann. Muth: Was ist das Schlimmste für einen politischen Kabarettisten? Wenn Sie denken, das wäre doch jetzt witzig, aber wenn Sie dann das Publikum anschauen und feststellen, dass es gar nicht lacht? Oder das Publikum lacht an der falschen Stelle? Ist Ihnen das schon mal passiert? Butzko: Ja, das ist mir schon passiert. Aber lachen an der falschen Stelle passiert ganz selten. Denn da denke ich dann sofort darüber nach und frage mich: "Ah, ich habe da eine Pointe, von der ich gar nichts wusste." Muth: Sie reagieren also auf Ihr Publikum. Butzko: Ja, natürlich. Muth: Das heißt, Sie können in der Regel nicht so gut über das Medium Fernsehen arbeiten, sondern Sie müssen das Publikum und dessen Reaktionen vor sich haben. Butzko: Ja, natürlich. Und Gedankengänge, die nicht zu Lachern führen, können ja trotzdem eine Pointe sein. Es gibt durchaus Passagen in Kabarettprogrammen – also nicht nur bei mir, sondern auch bei all meinen Kolleginnen und Kollegen –, da ist zeilenlang kein Lacher. Das muss ja auch gar nicht sein und das unterscheidet eben auch die Satire von der Comedy. Comedy braucht ... Muth: Und das können Sie erleben? Butzko: Ja, natürlich. Muth: Sie hoffen also darauf, d. h. Sie gucken in die Gesichter der Menschen und denken sich: "Mensch, hoffentlich kommt jetzt meine Botschaft an." Und was, wenn sie nicht ankommt? Butzko: Nein, nein, die kommt schon an, selbstverständlich. Man sieht das am Schmunzeln und merkt es an der Art des Zuhörens. Als ich noch Schauspieler war, habe ich gelernt: Wenn das Publikum im Theater anfängt, sich zu räuspern, wenn man die Stühle knarzen hört, weil die Leute auf ihnen hin und her rutschen, dann sind sie schon weg. Muth: Das ist sozusagen der Fluchttrieb. Butzko: Das passierte bislang bei meinen Kabarettvorstellungen nicht. Seit 17 Jahren passiert das, toi, toi, toi!, nicht. Muth: Sie haben trotzdem ein Buch geschrieben. Was hat Sie dazu gebracht, dass ein HG. Butzko nicht auf der Bühne steht, sondern ein Buch schreibt mit dem Titel "Geld oder Leben"? Butzko: Der Verlag hat mich angefragt. Ich bekam plötzlich eine E-Mail, in der es so ungefähr hieß: "Herr Butzko, wir bekommen seit einiger Zeit mit, was Sie als Kabarettist zur Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise so sagen. Hätten Sie nicht Lust, ein Buch zu schreiben?" Muth: Das ist aber kein Ratgeberbuch. Butzko: Nein, das ist eine satirische Betrachtung all der Vorgänge, all der Informationslagen, die zu der Zeit gerade herumschwirrten. Muth: Können wir damit rechnen, dass Sie in Zukunft noch mehr Bücher schreiben? Oder wird man Sie weiterhin in erster Linie auf der Bühne sehen und erleben können? Butzko: Ich habe tatsächlich schon wieder eine Anfrage, dieses Mal eines anderen Verlags. Ich soll also ein zweites Buch schreiben. Damit beginne ich jetzt quasi im September. Anfang September kommt mein 9. Programm heraus und danach fange ich dann an, mein zweites Buch zu schreiben. Muth: Das 9. Programm wird welchen Titel haben? Butzko: "Super Vision". Muth: Die Supervision kennt man ja aus der Psychologie. Butzko: Ja, das ist der eine Sinn des Titels, aber ich schreibe ja diese beiden Wörter auseinander, das ist eine super Vision. Aufhänger ist die Regierungserklärung unserer Kanzlerin, in der es geheißen hat: "Diese Bundesregierung will die Quelle des guten Lebens allen zugänglich machen." Die vier Jahre der aktuellen Großen Koalition standen und stehen also unter dieser Vision. Und die klopf ich ab, die beleuchte ich. Muth: Ich befürchte, dass da für die Kanzlerin und für die Bundesregierung keine tolle Bilanz herauskommt. Butzko: Das kann gar nicht anders sein. Denn wenn es anders wäre, dann wäre ich im falschen Beruf. Muth: Sie schreiben also demnächst ein zweites Buch und haben bereits ein neues Programm mit dem Titel "Super Vision". Da stellt sich natürlich die Frage, wie es um die Haltbarkeit dieser Bücher und Programme bestellt ist. Sagen Sie sich nach einem halben Jahr, nach einem Jahr oder nach zwei Jahren: "Oh, das sind olle Kamellen, jetzt muss was Neues her!"? Butzko: Ein neues Programm mache ich tatsächlich alle zwei Jahre. Und zwar genau aus diesem Grund: Das politische Tagesgeschäft hat sich in zwei Jahren ja tatsächlich abgenudelt. Wenn ich ein Programm in den letzten Wochen und Monaten spiele, dann merke ich schon: "Jetzt wird's langsam Zeit, dass Schluss ist damit." Denn die Themen und Schwerpunkte haben sich geändert, haben sich erneuert. Bei einem Buch ist es hingegen so, dass ich sehr wohl versuche, allgemeingültiger zu schreiben. Ich versuche also möglichst zu vermeiden, irgendetwas an einem bestimmten politischen Personal aufzuhängen. Denn das tauscht sich ja noch schneller aus, als man gucken kann. Stattdessen geht es mir da viel eher darum, Entwicklungen, Strukturen und Mechanismen zu beleuchten. Das nächste Buch wird voraussichtlich den Titel haben: "Verarschen kann ich mich alleine." Muth: Die Hauptfiguren darin werden auch wieder die Politiker sein? Butzko: Ja, aber nur als Prototypen, als austauschbare Kasperl. Es geht also mehr um die Strukturen, mehr um ... Muth: Verhaltensweisen. Butzko: ... Gesellschaftskritik. Es geht um die Situation in unserer Gesellschaft: Es geht darum, wie wir uns als Deutsche in Europa entwickeln, wie sich Europa aufgrund von uns Deutschen entwickelt. Das könnte so ein Leitfaden sein. Muth: Es geht also auch um Visionen, um super Visionen? Butzko: Genau. Muth: HG. Butzko als Visionär. Butzko: Zum Beispiel, aber ich weiß es ja noch nicht genau. Ich schreibe dieses Buch ja erst noch. Muth: In welcher Welt möchten Sie denn leben? Aber wahrscheinlich wären Sie dann arbeitslos. Butzko: In welcher Welt mag ich leben? Ich glaube, sagen zu können, gerne in einer Welt, die sozial gerechter ist als die heutige. Ich würde also gerne in einer Welt leben, in der die Chancengleichheit mit mehr Geld gefördert wird. Ich würde gerne in einer Welt leben, in der diejenigen, die wirklich Kohle im Überfluss haben, einfach mal sagen: "So, jetzt drücken wir mal fünf Prozent davon ab, damit wirklich auch die unteren 70 Prozent in die Gänge kommen." Muth: Und dafür würden Sie dann auch in Kauf nehmen, als politischer Kabarettist arbeitslos zu sein. Butzko: Nein, die Regierung, die das machen würde, würde mir immer noch genügend Futter liefern. Ich habe es ja schon gesagt: Egal, wer an der Regierung ist, ich finde meine Zielscheiben schon. Muth: Wir sind gespannt auf das weitere Programm. Herzlichen Dank, Herr Butzko … Butzko: Ich danke. Muth: ... dass Sie bei uns in der Sendung waren. Das war der Kabarettist HG. Butzko. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und auf Wiedersehen.

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