Sendung vom 21.11.2017, 20.15 Uhr

Helmut Schleich Kabarettist im Gespräch mit Dr. Agnieszka Schneider

Schneider: Ich begrüße Sie herzlich zum alpha-Forum. Das Aufzeichnungsstudio verwandelt sich heute in eine kleine Künstlerbühne, mindestens kann man das imaginieren, denn mein Gast ist der Kabarettist Helmut Schleich. Willkommen, Herr Schleich, schön, dass Sie da sind. Schleich: Grüß Gott, servus. Schneider: Normalerweise machen Sie pro Jahr ungefähr 100 Liveauftritte und daneben auch noch viele Fernseh- und Radiosendungen. Aber zurzeit haben Sie am Abend keine Beschäftigung, d. h. da haben Sie jetzt eine Zwangspause, oder? Schleich: Nein, das ist keine Zwangspause, oh, das wäre schlimm. Nein, nein, das ist eine ganz freiwillige Pause, die ich mir selbst zu meinem 50. Geburtstag geschenkt habe. Sie sieht so aus, dass ich jetzt mal ein halbes Jahr lang keine Liveauftritte mache und nicht auf Tournee gehe. Stattdessen mache ich "nur" meine Sendung "SchleichFernsehen" und komme z. B. als Gast ins alpha-Forum. Ich gehe nicht auf Tournee, weil ich die Zeit erstens nützen möchte, um so eine Art Schnupperrente zu machen, d. h. auch mal ein bisschen zu schauen, was das Leben sonst noch so hergibt, denn das verliert man ja doch ein bisschen aus dem Blick, wenn man so viel unterwegs ist. Zweitens fange ich jetzt schon an, das neue Programm in die Pipeline zu bekommen, wie man heute so schön sagt. Schneider: Wie geht es Ihnen denn jetzt bei dieser Pause? Denn es ist doch etwas Neues für Sie, wenn Sie nicht so viel Beschäftigung haben. Ich glaube, Sie waren sich ja selbst unsicher, wie es Ihnen damit gehen wird, wenn das losgeht. Wie geht es Ihnen also momentan? Schleich: Wenn so etwas auf einen zukommt, dann denkt man sich ja zuerst einmal: Kann ich mit mir selbst überhaupt noch was anfangen? Kann die Familie mich überhaupt noch brauchen, wenn ich plötzlich wieder sehr viel mehr präsent zu Hause und da bin und Zeit habe? Aber ich muss feststellen, dass diese Pause erstens sehr gut tut und dass ich es zweitens tatsächlich erst wieder lernen muss, einen ganzen Tag lang keine Termine zu haben und nichts vorzuhaben und mich beispielsweise einfach nur mit Wohnen zu beschäftigen: Ich sitze einfach nur zu Hause und schaue, was es da so alles gibt, und dann lese ich vielleicht mal etwas, das nicht in direktem Kontext mit der Arbeit steht, sprich, nicht die aktuelle Presse oder politisch brisante Bücher, sondern einfach nur mal etwas zum Spaß. Oder ich koche auch mal wieder, was ich an sich sehr, sehr gerne mache – und was man mir vielleicht auch ansieht. Denn in der letzten Zeit ist das doch stark zu kurz gekommen. Ich mache lauter solche Dinge, d. h. ich spüre einfach das Leben wieder. Das macht mir schon sehr viel Spaß und jetzt bin ich schon fast in der Phase, dass ich mir denke: Schade, dass das alles in einem Vierteljahr schon wieder vorbei ist. Aber so ganz vorbei soll's auch nicht mehr sein, wie ich sagen muss. Schneider: Aber gedanklich hängen Sie jetzt doch schon wieder so ein wenig am neuen Programm, denn ich glaube, Sie sind ein Mensch, der nicht komplett loslassen kann, oder? Träumen Sie vielleicht sogar von neuen Ideen, von neuen Programmen? Haben Sie einen Notizzettel auf Ihrem Nachtschränkchen liegen, auf den Sie Sachen aufschreiben? Schleich: Einen Notizzettel? Ach, es gibt Unmengen von Notizzetteln bei mir. Ich bin da auch immer noch sehr analog und schreibe mit einem Stift auf Papier und tippe es nicht in irgendwelche Notebooks oder Tablets ein. Schneider: Verlieren Sie die Zettel denn nicht? Schleich: Doch, auch das kommt vor. Und die Ideen, die man verliert – das sind nicht viele, aber es kommt immer wieder mal vor –, sind natürlich genau diejenigen, von denen man hinterher überzeugt ist, dass sie die besten gewesen wären. Aber sie sind halt leider weg. Es stimmt tatsächlich, was Sie sagen: Die Maschine abzuschalten, funktioniert nicht hundertprozentig. Aber man muss ja auch ehrlicherweise zugeben, dass das kein Beruf ist, der besonders schlimm wäre oder einen besonders belasten würde. Nein, das ist ja auch eine große Freude und mir macht dieser Beruf wirklich sehr großen Spaß. Insofern will ich ja die Maschine gar nicht ganz abschalten – abgesehen davon, dass sie mit Blick auf die Fernsehsendung sowieso weiterlaufen muss. Schneider: Sie machen das inzwischen schon ganz schön lange, nämlich seit über 35 Jahren. Schleich: Ja, unglaublich. Schneider: Aber Sie machen das ja auch leidenschaftlich gerne. Ihre Anfänge lagen bereits sehr früh, denn mit 14, 15 Jahren sind Sie bereits aufgetreten. Zwischendurch gab es dann mal ein Geografiestudium, das Sie irgendwie einer verflossenen Liebe zuliebe gemacht haben. Aber letztlich war das nicht so das Ihre. Schleich: Na ja, das ist mittlerweile lange her, das war gegen Ende der 80er Jahre, als ich mal für drei Jahre Geografie studiert habe, weil meine damalige Freundin – auf diese Geschichte haben Sie angespielt – der Überzeugung war, dass dieses Studium für mich das Richtige wäre, und nicht das , das ich zu diesem Zeitpunkt, also als Student, ja schon gemacht habe im Ensemble. Auch davor als Schüler hatte ich schon im Ensemble Kabarett gemacht. Sie meinte, dass die Geografie doch das Richtigere wäre. Aber das habe ich nach drei Jahren dann doch wieder sein lassen, zumal man uns auch damals immer schon erzählt hat, dass Geografen alle Taxifahrer werden – bestenfalls. Denn damals gab es noch keine Navis, d. h. zumindest als Taxifahrer hat man die Geografen brauchen können. Aber das stimmte alles gar nicht, denn in dieser Zeit damals ereignete sich ja der Mauerfall und meine damaligen Kommilitonen haben eigentlich alle gute Jobs bekommen als Geografen, hauptsächlich beim "Aufbau Ost". Ich jedenfalls bin zurück zum Kabarett und ich glaube, das war auch die richtige Entscheidung für mich. Schneider: Im Ensemble haben Sie damals z. B. mit Herrn Rüttenauer und mit Herrn Springer gespielt. Der Herr Rüttenauer hat einmal gesagt, in Ihnen war einfach von Anfang an etwas, das raus musste. Was war denn da drin in Ihnen, was Sie der Welt unbedingt mitteilen wollten? Schleich: Ja, das hat der Andreas damals in der Sendung "Lebenslinien" gesagt und er hat das auch sehr schön auf den Punkt gebracht. Ich selbst habe das damals aber gar nicht so reflektiert wahrgenommen. Es hat da sicherlich einen inneren Antrieb gegeben, der mich dazu gebracht hat. Ich hatte einfach Freude daran, eine Freude zunächst einmal an der Parodie: am Parodieren von bekannten Persönlichkeiten, manchmal auch Politikern. Aber zu der Zeit damals konnten das auch noch Lehrer gewesen sein. Ich glaube, das hatte in diesen sehr jungen Jahren ganz viel damit zu tun, dass ich damit eigentlich nur meine Unsicherheit und Schüchternheit ganz gut überspielen konnte: Ich konnte mich ein Stück weit hinter der Maske einer Figur verstecken. Ob das nun der durchgeknallte Physiklehrer oder später … Schneider: … der Pfarrer in der Gruppe der Firmlinge … Schleich: Der Pfarrer war das nicht, sondern das war der Gruppenleiter dieser Firmgruppe. Das war schon zusammen mit dem Andreas Rüttenauer: Wir lernten uns in dieser Firmgruppe kennen. Aber das konnte auch schon in diesen jungen Jahren der Strauß sein, den ich parodiert habe. Wen ich parodiert habe, war eigentlich zweitrangig. Zunächst einmal war das "nur" ein erster Impuls, überhaupt in diese Richtung zu gehen, weil man natürlich auf der Bühne doch sehr schnell sehr viel geschenkt bekommt, vor allem an Anerkennung und Zustimmung. Schneider: Sie hatten in der Schule einen Unterstützer, das war der Lehrer Herr Weinzierl. Der hat Sie auch noch mal kräftig mit auf die Bühne geschubst. Ich glaube, das war 1983. Schleich: Ja, schon, aber ganz so war es nicht: Das war nicht der Lehrer, der ganz klassisch seine Schüler dazu angeleitet hätte, Kabarett zu machen. Nein, wir haben das vorher schon gemacht, also Andreas Rüttenauer, Christian Springer und ich. Schneider: Aber er hat das gesehen und war begeistert. Schleich: Ja, er hat das gesehen und es hat ihm gefallen. Es gab damals im Herbst 1983 einen großen Aktionstag an den bayerischen Schulen wegen der NATO-Nachrüstung und der Stationierung der Pershing- Raketen. Dieser Aktionstag wurde aber vom Kultusministerium unterbunden – bzw. es wurde versucht, ihn zu unterbinden. Und da haben wir dann zusammen eigentlich ein erstes politisches Kabarettprogramm gemacht, das sich mit Schule und Politik beschäftigt hat und wie Politik in den Unterricht aufgenommen und dort behandelt wird – und wie eben nicht. Das war damals ja alles noch ein bisschen anders in Bayern. Ja, und da kam der Klaus Weinzierl dazu. Er als politischer Mensch hat uns damals natürlich auch neue Horizonte eröffnet, keine Frage. Schneider: Eine der Figuren war damals, also schon von Anfang an, Franz-Josef Strauß. Mit 14, 15, 16 hatten Sie da so eine Art Sturm- und Drang-Zeit, in der Sie sich wohl auch selbst gesucht und auch politisch orientiert haben. Was hat Sie damals politisch geprägt? Das war doch sicherlich auch die DDR. Schleich: Na ja, sagen wir mal so: Der Strauß war damals eine Figur, die direkten Einfluss auf uns hatte, und zwar insofern, als das zunächst einmal die Wackersdorf-Zeit gewesen ist. Das war also 1986/87 und ich war damals 19, 20 Jahre alt. Wir als überzeugte Atomkraftgegner waren selbstverständlich gegen den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, und es war auch wirklich en vogue, gegen diesen Bau zu sein. Wir haben dabei jedenfalls erlebt, mit was für einer repressiven Gewalt der bayerische Staat da in der Oberpfalz aufschlägt und dieses Projekt durchdrücken will gegen den erklärten Willen der Bevölkerung und, wie sich später ja gezeigt hat, auch gegen die wirtschaftliche Vernunft, denn dieses Projekt ist dann ja von der Atomindustrie schlussendlich wie eine heiße Kartoffel fallengelassen worden. Hätte das 1986 jemand behauptet, wäre er fast schon als Staatsfeind behandelt worden. Mich hat es selbstverständlich politisch geprägt, zu sehen, was repressive Verhältnisse in einer Demokratie bewirken können bzw. wie sie eine Demokratie und die demokratischen Prozesse beschädigen können. Das hat natürlich in mir sehr viel rebellischen Geist geweckt. Das, was Sie angesprochen haben, kam dann später: Das war dieses Erlebnis des Mauerfalls und infolge dessen die Wiedervereinigung. Das hat mich politisch insofern auch sehr geprägt, als es da ja z. T. ähnlich zuging. Zunächst einmal war das ja in der DDR eine demokratische Bewegung gewesen, eine fast schon revolutionäre Bewegung, die dann aber sehr schnell von "unseren" politisch Mächtigen, also den politisch Mächtigen in Westdeutschland, vereinnahmt wurde. Sehr schnell wurde dann ja aus "Wir sind das Volk" der Ruf "Wir sind ein Volk", und auf einmal war "unser aller Kohl" der Größte. Das hat mich als jungen Menschen doch sehr befremdet, denn im Grunde genommen war Kohl vor dem Mauerfall in Westdeutschland so gut wie abgewählt. Aber auf einmal wurde er ein Superstar, und das, was danach passiert ist – Stichwort "Treuhand" usw. –, waren natürlich Dinge, die in der teilweise skandalösen Art, wie sie abgelaufen sind, mein politisches Bewusstsein bis heute sehr stark prägen. Schneider: Im Kabarett "Fernrohr" zusammen mit Rüttenauer und Springer versuchten Sie damals, diese Konstellationen politischer Art zu verarbeiten. Sie haben damals ungefähr 1000 Auftritte zu dritt absolviert und Sie perfektionierten das fast bis zum Geht-nicht-Mehr. Wie war denn diese Dreierkonstellation? Wie haben Sie sich da zusammengefunden, auch im Hinblick auf diese Bildung auf politischem Feld? Schleich: Nun ja, das war, wie gesagt, Rebellentum. Wir haben uns eigentlich auch immer als Anarchisten verstanden, zumindest als Bühnenanarchisten, die sich nicht viel um formale Kriterien kümmern. Wir haben damals nämlich auch sehr kaputte und verrückte Nummern gemacht. Damals war es ja noch viel üblicher, dass Kabarett im Ensemble stattfindet und nicht nur solistisch. Wir haben da wirklich die bizarrsten Nummern gemacht, sei es eine Nummer mit drei bayerischen Proleten an der Zonengrenze oder sei es die Nummer, die uns wirklich bis zur Auflösung unseres Ensembles in vielerlei Hinsicht verfolgt hat: Das war unsere Parodie auf Papst Wojtyla, der in verschiedenen Sprachen auf dem Petersplatz eine Ansprache absondert, die bei uns eben gekleidet war in das Lied von den "Drei Chinesen mit dem Kontrabass", das eben immer mit anderen Vokalen daherkommt: "Drö Chönösön…dra Chanasan…" Das war schon irgendwie eine legendäre Nummer. Wir hatten da einfach sehr viel Spaß an der Anarchie: Das war auch die Art von Ventil, die wir gebraucht haben. Das heißt, da war schon auch immer sehr viel Bauchgefühl mit dabei und nicht nur intellektuelle Analyse. Schneider: Diese Dreiercombo hat eigentlich super funktioniert – bis zu dem Zeitpunkt, als einer gesagt hat, er steigt jetzt aus. Dann waren Sie nur noch zu zweit. Schleich: Ich glaube, dass die treibende Kraft in dieser Dreiercombo tatsächlich ich gewesen bin, wenn ich so zurückschaue und auch aufgrund der Gespräche mit den beiden Kollegen. Ich wollte das unbedingt! Und die anderen beiden haben das natürlich auch gerne gemacht, aber sie haben eben auch noch andere Pläne gehabt. Vor allem bei Andreas Rüttenauer war es so, dass er auch noch andere Perspektiven in seinem Leben hatte. Er hat damals aufgehört, weil er nach gegangen ist, um dort Slawistik zu studieren. Heute ist er fast schon wieder zurückgekommen, weil er ja mittlerweile einer der drei Autoren bei "SchleichFernsehen" geworden ist. So schließen sich die Kreise wieder. Als der Andreas dann weg war, waren Christian Springer und ich noch zwei, drei Jahre zu zweit unterwegs, aber das war dann eine andere Dynamik: Eine Gruppe mit zwei Leuten hat wirklich eine völlig andere Dynamik als eine mit drei. Nach zwei Programmen war dann Schluss und so war ich eben mehr oder weniger genötigt (lacht), dass ich das alleine machen muss, wenn ich weiterhin Kabarett machen möchte. So kam es zum Solokabarett. Schneider: Aber Sie hatten eigentlich nicht damit gerechnet, dass Sie dann ganz alleine auf der Bühne stehen? Schleich: Sagen wir mal so, das war ursprünglich nicht mein Plan gewesen. Es gab aber auch überhaupt keinen Plan, denn wer hat mit 17 Jahren schon einen Plan, wo er mit 50 Jahren stehen möchte? Das wäre ja, wenn es so wäre, fürchterlich. Nein, man tastet sich im Leben halt immer weiter vor und entwickelt sich weiter und das Leben prägt einen. In jungen Jahren war das also nicht der Plan gewesen, da hätte ich das gerne weiterhin als eine Art Theaterkabarett, Volkstheaterensemble betrieben. Aber es ist dann eben anderes gekommen und mittlerweile bin ich sogar sehr froh darum, weil das solistische Kabarett natürlich auch viele Vorteile bietet. Man muss z. B. wesentlich weniger Kompromisse machen. Schneider: Hat Sie damals in den 80er Jahren das Kabarett hier in Westdeutschland beschäftigt? Haben Sie mitbekommen, was diesbezüglich in der DDR los war? Hatten Sie ein paar Vorbilder? Schleich: Vor dem Mauerfall war uns das DDR-Kabarett nicht bewusst, man hatte es hier im Westen gar nicht so mitbekommen und es hatte ja auch eine ganz andere Struktur. Bei uns war das Kabarett damals ja eigentlich in einer Phase des Sich-neu-Erfindens. Das klassische alte Politkabarett wie die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" oder, noch älter, die "Stachelschweine" in Berlin hatte seinen Zenit eigentlich schon in den 70er Jahren überschritten: Willy Brandt war Bundeskanzler geworden und damit war ein wesentliches Ziel, das man in all den Jahren davor als Kabarettist hatte befördern wollen, wohl erreicht. In meiner Jugend hat sich dann das Kabarett mit Leuten wie Gerhard Polt oder auch Sigi Zimmerschied gerade in Bayern eigentlich neu erfunden als ein Kabarett, das eher den Menschen anschaut und über den Menschen und über dessen Leben erzählt, das vermittelt erst über das Volk die Politik betrachtet und da auch nicht die "hohe Politik", die erst über die Presse, über die Medien für uns einfache Menschen wahrnehmbar stattfindet. Das war die Entwicklung, in die ich mehr oder weniger fast hineingeboren worden bin. Das hat mich natürlich extrem geprägt, selbstverständlich. Schneider: "Notizen aus der Provinz" ist hier bestimmt auch ein wichtiges Stichwort. Schleich: Das war vor meiner Zeit, denn die "Notizen aus der Provinz" gab es in den 70er Jahren. Nein, wenn überhaupt, dann war das der "Scheibenwischer", der damals die Speerspitze des politischen darstellte. Aber auch der "Scheibenwischer" wäre mir damals, glaube ich, mit 16, 17 Jahren nicht so zugänglich gewesen, wenn da nicht regelmäßig so jemand wie der Gerhard Polt aufgetreten wäre, der die Politik runtergebrochen hat auf die kleinen Leute und damit letztlich auch auf den Spießer, der von der Politik etwas erwartet und für den ja letztlich auch Politik gemacht wird. Schneider: Es gab ja nebenher auch noch die Comedy. Dass Gerhard Polt und seine Form von politischem Kabarett Sie interessiert hat, ist klar. Aber auch jemand wie Otto Waalkes war ja, glaube ich, noch so ein interessanter Mensch für Sie im Nachhinein. Schleich: Das kann ich nicht bestätigen. Schneider: Nein? Schleich: Otto Waalkes war eigentlich, wie man fast schon sagen kann, das Gegenmodell zu Polt. Schneider: Das war reine Comedy? Schleich: Das hat sich mir nicht so sehr erschlossen, das war mir zum einen wohl zu norddeutsch. Wenn ich ihn heute mit meinen Kindern zusammen anschaue, dann ist das anders: Sie entdecken gerade diese alten Sachen neu. Ich finde diese Sachen mittlerweile sogar sehr, sehr lustig. Ich glaube, ich bin damals einfach ein bisschen voreingenommen an diese Sachen herangegangen, denn Comedy war für uns einfach nur "bäh!". Die Sachen mussten einen gesellschaftlichen Anspruch haben, da musste schon auch politisch was dahinterstecken. Einfach nur Comedy machen oder, wie man das damals teilweise ja noch genannt hat, Nonsens machen, das war nichts für uns. Das Wort "Comedy" kam ja erst später so richtig auf. Nonsens war für uns jedenfalls nicht vorbildlich, wenn ich das mal so sagen darf. Schneider: Comedy also nicht. Sie haben damals ein Debütprogramm gemacht, das nicht unmittelbar politisch war. Schleich: Wenn Sie jetzt auf mein erstes Soloprogramm anspielen, das damals Ende der 90er Jahre rauskam und den Titel "Brauereifrei – Der Rausch packt aus" trug, dann war das tatsächlich ein Programm, das sich nicht direkt mit Tagespolitik beschäftigt hat. Aber der Rausch ist ja nicht nur der Alkohol- oder der Drogenrausch, sondern im übertragenen Sinn kann das ja auch der Machtrausch sein, das kann Selbstbesoffenheit sein usw. All das hat da sehr wohl auch reingespielt. Dass die Tagespolitik so sehr in den Fokus gerückt ist, ist bei mir eigentlich erst später aufgekommen: Das hat mich erst später zu interessieren begonnen. Das lief im Grunde genommen ziemlich parallel zu der Zeit, als dann auch "SchleichFernsehen" entstanden ist. Das war damals ja eine Idee von mir, mit der ich an den Sender herangetreten bin, dass ich gerne so etwas machen würde. Zunächst einmal war das ja sehr von Parodie aufgeladen und hat sich dann immer mehr zum politischen, zum analytisch-politischen Kabarett entwickelt, denn das ist ja nicht nur reine Gaudi. Wenn ich zurückdenke und mich frage, seit wann das so richtig politisches Kabarett ist, dann merke ich, dass das erst seit sieben, acht Jahren so ist. Schneider: In dieser Sendung "SchleichFernsehen" schlüpfen Sie in ganz, ganz viele Personen und Persönlichkeiten. Wir schauen uns da mal einen kleinen Zuspieler an. Zuspieler: (Helmut Schleich spielt einen Moderator mit Namen Traugott Sieglieb, der im Studio mit verschiedenen Gästen spricht, u. a. mit Ludwig II., mit Anton Hofreiter usw., alle dargestellt von Helmut Schleich) Schleich: Das ist schon gemein. Schneider: Gemein? Schleich: Gemein, insofern ich hier Siegmund Gottlieb, auf den ja die Figur "Traugott Sieglieb" abzielt, einen Lapsus angedichtet habe, den er gar nicht hatte, als er hier beim Bayerischen Rundfunk noch Chefredakteur gewesen ist, dass er nämlich ständig Namen verwechsele: von diesem "Herrn Bofrost" im soeben gesehenen Sketch bis zu Frau Banales, mit der natürlich Andrea Nahles gemeint ist. Das habe ich ihm als Kunstgriff angedichtet, aber ansonsten sieht man, dass hier die Maske jedes Mal ganze Arbeit leistet, dass die Maskenbildnerin Heike Puzicha wirklich Gewaltiges zu leisten vermag. Schneider: Ja, definitiv. Schleich: Wenngleich es nicht die Maske allein ist, aber trotzdem … Schneider: Das wollte ich gerade sagen, denn Sie bringen ja das "Grundgestell" mit, das muss ja schon absolut … Schleich: Ja, so kann man es auch formulieren. Das schränkt dann aber auch die Zahl der parodiefähigen Figuren etwas ein. Wir haben es z. B. nie mit Gutenberg versucht, weil das Ganze physiognomisch eben auch Grenzen hat. Mithilfe der Technik kann man allerdings diese Grenze doch recht weit hinausschieben. Schneider: Franz Josef Strauß sah vor 20 Jahren auch noch lange nicht so gut aus wie heute. Schleich: Vor 20 Jahren war er ja auch schon nicht mehr unter den Lebenden; aber vor 30 Jahren, da gebe ich Ihnen recht. Franz Josef Strauß war halt viele Jahre älter als ich. Schneider: Ich meinte natürlich Sie in Ihrer früheren Gestalt vor 20 Jahren. Schleich: Ja, da war ich fast die Hälfte von dem, was ich heute bin, und habe trotzdem diese Strauß-Parodien gemacht. Das habe ich ja auch schon gemacht, als er noch gelebt hat, d. h. das ist sogar schon 30 Jahre her. Das war lustig, denn das hat damals auch schon funktioniert. Das geht halt auch stark über die Stimme, denn die Parodie geht nicht nur über die Optik – wenngleich das im Fernsehen natürlich schon sehr stark der Fall ist. Schneider: Wenn man Sie nicht sehen würde, wenn man Sie also nur sprechen hörte, dann ist es schon erstaunlich, wie Sie das stimmlich so perfekt hinbekommen: Man könnte fast meinen, das ist Franz Josef Strauß selbst. Es gibt da wohl ein paar Figuren, in die Sie hineinschlüpfen, in denen Sie sich so fühlen, als wären Sie dieser Mensch. Wie kommt das? Wie unterscheiden Sie zwischen den Figuren? Gibt es da emotional etwas, was sich verändert bei der Erarbeitung der Figuren? Schleich: Ich kann Ihnen das jetzt hier im Einzelnen gar nicht so gut analytisch darlegen, weil ich da auch sehr viel übers Gefühl arbeite. Das heißt, ich studiere die Person über Filme, Interviewauftritte usw. nicht nur und nehme sie auseinander, um sie mir dann wieder zusammenzubauen, sondern es ist die Befindlichkeit eines Typus, die mich interessiert und mit der ich arbeite. Das gilt nicht nur für Strauß, der ja von mir sowieso zur Kunstfigur umgeformt worden ist, sondern wenn Sie als Beispiel meinetwegen den Anton Hofreiter nehmen, dann ist es ja schon so, dass das vom Original kaum wegzukennen ist. Das ist eine Figur, in die ich mich tatsächlich hineinfühlen kann. Ich halte ihn auch für einen guten Politiker, wie ich hier einfach mal sagen muss, der mitunter natürlich extrem impulsiv ist, den aber doch, wie ich glaube, auch ein gewisser Grundzorn antreibt. Das kann ich ihm z. B. nachfühlen. Aber ich kann das auch bei einem Ratzinger, als der noch Papst gewesen ist, denn ich habe ja auch sehr viele Papst-Benedikt-Parodien gemacht: Auch dieses Feingeistige, dieses vorsichtige sich Herantasten und in einer intellektuellen Welt leben, in der man immer quasi einen halben Meter über dem Boden schwebt, kann ich ihm nachspüren. Wenn man das kann, kommt man natürlich in so eine Figur sehr viel besser hinein, als das meinetwegen bei einer anderen Figur der Fall ist, die womöglich auch sehr prominent ist, aber vom Gefühl her nicht so viel hergibt für mich wie z. B. Frau Merkel. Frau Merkel ist eine Figur, die man immer wieder mal machen muss, wenn man aktuelles Kabarett macht. Aber sie löst bei mir keine besondere Parodiefreude aus (lacht). Schneider: Ich würde gerne in Bayern bleiben und bei König Ludwig II. Sie geben natürlich politisch Orientierung: In diesem kleinen Zuspieler, den wir vorhin gesehen haben, ist zu merken, dass Sie diese Zerrissenheit von Bayern ein wenig thematisieren. Es geht so ein bisschen in die Richtung, dass es da einerseits eine Sehnsucht nach der Heimat gibt und auf der anderen Seite diese schnelle Entwicklung, die stattgefunden hat und immer noch stattfindet und die man überall sehr massiv wahrnehmen kann. Schleich: Das ist ja etwas, was die bayerische Seele nachhaltig charakterisiert: Da gibt es einerseits diesen Drang nach oben, diesen Drang, modern sein zu wollen, an der Spitze zu stehen und von allen bewundert werden zu wollen, sei es im Sport, sei es in der Wirtschaft, sei es in der Politik. Andererseits gibt es diese Sehnsucht nach den Wurzeln, nach dem Einfachen, nach dem Bäuerlichen, nach dem Traditionellen. Und dieser Spagat wird ja immer größer, Bayern und hier vor allem Südbayern mit dem Großraum München wird ja immer mehr zu einem reinen Wirtschaftsstandort, bei dem es wirklich nur ums Geld geht, ums schnelle Geld. Umso mehr verkommen dabei natürlich die Wurzeln, die Tradition, das Brauchtum zur Folklore. Dieser Spagat ist ein Thema, das mich grundsätzlich interessiert, auch über das Kabarett hinaus. Ich habe da auch mal zusammen mit Thomas Merk, meinem Mitdenker und Co- Autor, ein Buch geschrieben mit dem Titel "Daheim is ned dahoam". Schneider: Das war im Jahr 2013 und da sind Sie durch Bayern gereist. Schleich: Ja, da haben wir eine Reise durch Bayern gemacht und verschiedene Gegenden angeschaut: Wir waren nicht überall in Bayern, sondern wir haben uns halt ein paar Sachen herausgepickt und diese Gegend dann unter diesem Aspekt abgeklopft. König Ludwig II. ist natürlich erstens als Figur enorm schillernd und bildet zweitens historisch sehr viel von dieser Zerrissenheit ab, denn all das hatte ja im 19. Jahrhundert seine Anfänge. Als das Königreich Bayern aufgehört hat zu existieren und im Deutschen Reich aufging, ist etwas zerbrochen und nicht zuletzt wahrscheinlich auch in diesem Monarchen zerbrochen, weswegen er sich dann eben auch in diese Fantasiewelten geflüchtet hat. Das ist etwas, was meiner Meinung nach Bayern bis heute prägt: einerseits sich immer abzugrenzen, auch von den Preußen, auch von Deutschland, andererseits das aber nicht konsequent durchgezogen zu haben, denn letztlich ist man immer nur den Weg des geringeren Widerstands gegangen. Schneider: Wie fühlen Sie sich denn? Sie sind in Schongau geboren und leben seit den 70er Jahren in München. Sind Sie ein Münchner? Fühlen Sie sich als Bayer? Schleich: Ich bin in Schongau geboren, aber in München-Schwabing aufgewachsen, wo ich bis heute wohne. Die Veränderungen dieser Stadt beobachte ich wirklich manchmal mit offenem Mund vor lauter Staunen. Wie so eine Stadt ihre Seele verlieren kann, ist schon beeindruckend, und zwar innerhalb der 40 Jahre, die ich jetzt diese Stadt von meiner Kindheit bis heute kenne. Ich fühle mich dennoch als Münchner. Bayer? Es ist ja so, je weiter man von Zuhause entfernt ist, umso größer wird die Dimension im Hinblick darauf, als was man sich definiert bzw. definiert wird. Wenn man in Australien ist, dann wird man vielleicht noch als Deutscher, aber wohl vor allem als Europäer identifiziert. Wenn ich in Bayern bin, bin ich Münchner, und wenn ich außerhalb Bayerns bin, dann wird man doch meistens auf den Bayern verengt. Aber ich selbst fühle mich als Münchner und fühle mich dieser Stadt auch mit großer Hassliebe verbunden. Schneider: Hassliebe wegen der großen Veränderungen? Schleich: Ja, ich kann nicht sagen, dass ich München für eine besonders schöne oder lebenswerte Stadt halte. Stattdessen finde ich ganz viel von dem, was sich in der Stadt entwickelt, was hier gemacht wird, wohin die Stadt getrieben wird, ganz abstoßend und unsympathisch. Daran reibe ich mich natürlich. Aber der Kabarettist, der sich nicht reibt, kann ja eh in den Ruhestand gehen. Ich brauche das schon auch, wie ich ehrlich zugeben muss. Schneider: Sie haben den Ruhestand jetzt gerade ja ein bisschen ausprobiert: Das ist noch nichts für Sie. Schleich: Das ist schon auch ganz angenehm, mal so zwischendrin. Aber ich merke natürlich, dass die Reibung an den Zuständen weiter stattfindet. Und wenn dann das Ventil fehlt, was ja das Kabarett für mich selbstverständlich ist, dann wird es auf die Dauer heikel, glaube ich. Schneider: Woran man sich reiben kann, das ist z. B., dass man in Schwabing kaum draußen sitzen kann in Cafés, dass, wie ich gelesen habe, jeden Tag um die 470000 Menschen nach München reinfahren zum Arbeiten, dass die Immobilienpreise immer weiter steigen und steigen usw. Das sind so die Entwicklungen, von denen Sie soeben gesprochen haben. Schleich: Ja, zum Beispiel. Man ist in dieser Stadt nicht in der Lage, diese Entwicklung politisch zu kanalisieren. Ich glaube, da ist in den letzten Jahrzehnten auch unheimlich viel verschlafen worden. Denn dieses Wachstum ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich erst entwickelt. Es gibt in München auch den großen Drang, diesem Affen immer noch weiter Zucker zu geben, obwohl diese Stadt beispielsweise im Verkehr erstickt. Damit meine ich jetzt gar nicht nur die großen Ring- und Ausfallstraßen, sondern man muss sich ja nur einmal anschauen, wie viel öffentlicher Raum in München dem Auto zur Verfügung gestellt wird: Das steht doch in gar keinem Verhältnis mehr dazu, wie eine Stadt funktionieren sollte. Das sind alles Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, dass da in München auch politisch viel zu wenig passiert, um dagegenzusteuern. München als die Stadt des BMW-Autos, das ist nicht umsonst so: Das ist schon die Stadt der Bayerischen Motorenwerke. Als Kabarettist muss man da meiner Meinung nach immer wieder den Finger in die Wunden legen. Das gehört mit dazu. Schneider: Das machen Sie und das ist auch gut so. Schleich: Das mache ich sehr gerne. Schneider: Haben Sie denn einen persönlich zugewiesenen Stellplatz vor Ihrem Haus bzw. vor Ihrer Wohnung? Oder gibt es so etwas in Schwabing nicht? Schleich: Wieso sollte ich den haben? Schneider: War ja nur eine Idee (lachen). Schleich: Ich habe eine Garage und für die muss ich so viel zahlen, wie ich in Oberfranken wahrscheinlich für eine Wohnung bezahlen müsste. Schneider: Sie haben soeben Franken erwähnt. Sie sind ja durch Bayern gefahren und haben sich dabei verschiedene Orte und Menschen und deren Identität näher angeschaut. Was passiert denn jetzt gerade mit unserer eigenen Identität aufgrund all dieser Veränderungen? Schleich: Das Tolle an Bayern ist ja – um auch mal was Positives über Bayern zu sagen … Schneider: Ja, denn wir wollen ja nicht nur schimpfen. Schleich: Eben, um Gottes willen nicht! Bayern ist zunächst einmal ein wirklich tolles Land insofern, als es ein kleiner Vielvölkerstaat ist. Es ist ja enorm, was für eine Vielfalt es in Bayern gibt, wie sich Franken, Oberbayern, Niederbayern, Schwaben usw. unterscheiden lassen, was es da an kulturellen Kleinigkeiten gibt, die sich noch erhalten haben. Aber all das nivelliert sich natürlich und all das droht meiner Meinung nach mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten oder zu verschwinden bzw. nur mehr als Folklore zu überleben. Denken Sie nur einmal an die große Zahl sogenannter Trachtler auf dem Münchner Oktoberfest: Da wird Tradition als Folklore wiedergeboren und das Ganze geht eigentlich eher in Richtung Fasching. Das ist, glaube ich, auch etwas, das den Leuten ein Gefühl von Unsicherheit gibt und letztlich auch ein Gefühl des Kontrollverlusts. Da geht es also zum einen um den Heimatbegriff, und zum anderen geht es natürlich schon auch darum, dass ich das Gefühl habe, in dem Land, in dem ich lebe, bin ich als Teil des Volkes nicht mehr der Souverän, sondern es werden Entscheidungen gefällt – und zwar in jeder Hinsicht, also in wirtschaftspolitischer Richtung, in sozialer Richtung usw. –, auf die wir als Souverän überhaupt keinen Einfluss mehr haben. Das macht, wie ich meine, ganz viel von dieser Stimmung aus, die heutzutage herrscht. Die Menschen sagen: "Das stimmt doch alles nicht mehr! Wo sind wir denn überhaupt noch daheim?" Das löst natürlich auch viel Europaskepsis aus, denn die Menschen fragen: "Wo bleiben wir denn da noch?" Ich muss ganz ehrlich sagen, ein europäischer Zentralstaat ist für mich auch eine Vision des Grauens. Ich möchte nicht in einem europäisch-zentralistischen Land leben, denn ich sehe absolut nicht, wo und wie da dann noch demokratische Strukturen erhalten bleiben sollen. Darum bin ich, das muss ich ehrlich sagen, schon ein Freund der Region und der Vielfalt, die wir haben. Und diese Vielfalt bildet sich eben entsprechend ab, wenn den Regionen ein entsprechendes Gewicht gegeben wird. Schneider: Sie haben soeben das Oktoberfest angesprochen: Das Oktoberfest ist aber nicht gleich Heimat. Schleich: Nein, auf keinen Fall. Mein Gott, was ist das Oktoberfest? Das ist für den einen ein schönes Fest, für den anderen das absolute Grauen. Aber es ist kein wesentlicher und nachhaltiger Bestandteil bayerischer Identität. Das Oktoberfest ist, auch für mich, ein nettes, schönes Fest, aber … Schneider: Mit Lederhose und allem Drum und Dran? Schleich: Vor allem geht es da ums Feiern, ums Trinken, ums Lustigsein, ums Flirten usw., also halt all das, was zum Oktoberfest mit dazugehört. Aber ich glaube nicht, dass man sein Bayerisch-Sein darüber definieren kann. Wenn, dann nur auf folkloristische Weise. Schneider: Was wäre denn das Bayerische für Sie in Ihrer Tradition, also für jemand, der aus Schongau stammt? Schleich: Mit Schongau hat das jetzt nicht direkt etwas zu tun. Aber ich mag ja an sich dieses bescheidene, dieses leise Bayern, das sich mitunter auch in der bairischen Sprache sehr schön abbildet. Das ist ein Bayern, das mir sehr sympathisch ist. Die Menschen, die so sprechen, sind nicht großkotzig und stellen auch nicht dieses "mia san mia", dieses Krachlederne zur Schau, d. h. das sind Menschen, die sich nicht so schnell von irgendwas oder irgendwem beeindrucken lassen und ein ruhiges und vernünftiges und für sich stimmiges Leben führen wollen. Diese Menschen stehen daher für ein Bayern, das ich sehr mag, das ich aber immer weniger finde. Schneider: Sie sind auch nicht Mitglied in einem Trachtenverein? Schleich: Nein, ich habe mit Trachten überhaupt nichts am Hut. Sie werden es nicht glauben, ich besitze nicht mal eine Lederhose. Schneider: Nein! Schleich: Ich brauche auch keine! Für was soll ich eine Lederhose haben? So was brauche ich nicht. Das ist jenseits meiner Bedürfnisse. Schneider: Aber Sie haben die Sprache angesprochen, also etwas, das für jeden Menschen ganz wesentlich ist. Mit Ihrer Sprache erreichen Sie ja auch in der Tat die Menschen in deren Innerstem. Schleich: Natürlich, die Sprache ist das zentrale Werkzeug eines Kabarettisten – und als Transporteur der Sprache die Stimme. Klar, die deutsche Sprache ist halt unsere Sprache, sie ist ein Schlüssel zu unserer Seele und unseren Gefühlen: Ich denke, diesen Schlüssel kann man nur in der eigenen Muttersprache finden. Nur in der Muttersprache kann man die eigene Befindlichkeit wirklich zum Ausdruck bringen. Der Dialekt spielt hier natürlich eine entscheidende Rolle, weil der Dialekt die Dinge oft noch sehr viel mehr zuspitzt und in sehr viel kleineren und schärfer umgrenzten Begriffen fasst. Für uns Kabarettisten ist die Sprache das, was für einen Schreiner die Säge ist. Schneider: Sie kommen ja aus dem schwäbischen Schongau. Als Sie nach München gekommen sind und dann politisches Kabarett gemacht haben, haben Sie natürlich schon auch versucht, ein bisschen am Dialekt zu arbeiten. Schleich: Ja nun, ich bin ja schon als Kind nach München gekommen. Schneider: Mit acht Jahren. Schleich: Ja, und da hatte ich natürlich mit politischem Kabarett noch nichts im Sinn, noch nicht einmal mit Kabarett überhaupt. Aber in München ist damals schon noch mehr Bairisch bzw. Münchnerisch gesprochen worden als heute. Es ist richtig, Schongau gehört sprachlich bereits definitiv zum schwäbischen Bereich und deswegen hat sich in meiner Kindheit mein Dialekt natürlich auch verändert. Wahrscheinlich hat auch das mit dazu geführt, dass ich heute in der Lage bin, sehr viele Dialekte und sehr viele Intonationen sprachlicher Art nachbilden zu können. Schneider: Ihre Großmutter kam aus Berlin. Schleich: Nein, Sie kam nicht aus Berlin, sie kam aus der Pfalz, hatte aber lange in Berlin gelebt und hat deswegen auch ein sehr reines Hochdeutsch gesprochen. Sie hat auch mit mir als Kind damals in Schongau Hochdeutsch gesprochen. Das heißt, auch zum Hochdeutschen habe ich schon sehr früh einen Zugang bekommen. Darüber bin ich nicht traurig. Schneider: Man kann Sprache sprechen, man kann aber in einer Sprache auch denken. Wie gehen Sie da ran – ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine –, wenn Sie Ihre Programme schreiben? Schleich: Ich denke nach wie vor sehr stark in Figuren. Und die Figuren sind ja nicht zuletzt durch ihre Sprache, durch ihren Dialekt, durch ihren Wortschatz, durch ihre Formulierungen charakterisiert. Das heißt, wenn ich mich eines Themas annehme, dann läuft das folgendermaßen ab. Ich nehme als Beispiel jetzt bewusst nicht Franz Josef Strauß, sondern die Figur Heinrich von Horchen. Das ist die von mir entwickelte Kunstfigur eines Gesangslehrers, der bereits uralt ist, denn er war schon der Gesangslehrer von Heesters. Aus diesem Grund kann er quasi wie er will im Geiste durch die Jahrhunderte tingeln und alle möglichen Verbindungen herstellen, von Napoleon bis in die Gegenwart, und so die Politik und die Welt betrachten. Wenn ich da etwas Neues schreibe, dann denke ich in dessen Duktus, wenn ich mir überlege, was er zu einem bestimmten Thema zu sagen hat. Ich denke bereits in der Figur: Was würde er dazu sagen und wie würde er es formulieren? Wie klingt das bei ihm? Und so schreibe ich es dann auch auf. Schneider: Sie schreiben seit 2007 Ihre Programme zusammen mit Herrn Merk. Schleich: Ja, seit 2007/8 arbeite ich mit Thomas Merk zusammen und das ist bis heute so. Das ist eine Zusammenarbeit, die sich nicht nur auf die Bühnenprogramme erstreckt, sondern wir haben auch schon zwei Bücher miteinander gemacht und das "Schleichfernsehen" gemeinsam konzeptioniert und teilweise auch miteinander geschrieben. Diese Zusammenarbeit schaut so aus, dass zwar viele gemeinsame Ideen existieren, aber den Text dann zu Papier bringen, das muss man letztlich alleine machen, denn sonst diskutiert man sich ja über jeden Satz zu Tode. Schneider: Genau, Sie müssen dann in die Figur schlüpfen, und das wäre wohl nur schwer transferierbar. Schleich: Genau. Es gibt dann aber auch noch einen Dritten im Bunde, nämlich Rainer Pause, den Regisseur, den man nicht vergessen darf. Er sitzt in Bonn, hat dort ein wunderbares Theater und ordnet das dann sozusagen in einem dritten Schritt für die Bühne. Denn zunächst einmal sind das ja vom Textvolumen her eher romanartige Gebilde. Das ist immer alles viel zu umfangreich und teilweise viel zu wenig zugespitzt und pointiert. Und so entsteht dann letztlich ein Programm. Schneider: Wie oft läuft denn das "Schleichfernsehen"? Ich glaube, das läuft acht Mal pro Jahr, oder? Schleich: Ja, das "Schleichfernsehen" machen wir derzeit acht Mal im Jahr, das soll aber mehr werden. Jetzt sind neun Mal im Jahr geplant und in der Sommerzeit gibt es dann immer eine Zusammenstellung der "Best-of". Wir machen also mit Ausnahme der Ferienzeit pro Monat eine Sendung. Dafür haben wir jeweils neun Tage für die Produktion: Das fängt mit dem Ideensammeln an, geht über das Schreiben bis zur Vorproduktion und schlussendlich bis zur Sendung. Das sind jeweils neun Tage. Schneider: Aber neben dem "Schleichfernsehen" machen Sie auch noch Radio, momentan sind Sie am Freitagmorgen auf "Bayern 2" zu hören, nämlich in der "radioWelt" mit "Alles eine Frage der Perspektive". In der Kabarettsendung "Radiospitzen" am Freitagnachmittag wird das dann wiederholt. Und zusätzlich gibt es noch die Liveauftritte, die Sie machen. Das sind also drei Felder, auf denen Sie arbeiten, drei Felder, die sich doch auch jeweils ein klein wenig unterscheiden, oder? Was ist denn für Sie der Unterschied zwischen Fernsehen, Radio und Bühne? Schleich: Das ist nicht nur ein kleiner Unterschied, das sind Welten. Natürlich ist Kabarett als Live-Form vor Publikum im Theater geboren worden: Das ist die Basis und deswegen ist auch das Bühnenprogramm das zentrale Element bei mir. Das Fernsehen hingegen bietet unheimlich viele Möglichkeiten, wenn man es entsprechend nutzt. Über die Maske haben wir bereits gesprochen, die Kostüme haben wir vorhin auch schon gesehen. Aber man kann darüber hinaus auch noch verschiedene Spielorte nutzen und das ganze Medium auch als Form parodieren. Das Radio wiederum ist einfach das Zwiegespräch, wie wir beide es im Moment führen, auch wenn mir da zum Glück mehr Leute zuhören als nur eine Person. Da hören auf "Bayern 2" doch sehr, sehr viele Menschen zu, aber man spricht immer so, als würde man nur mit einem sprechen. Das heißt, das ist der komprimierteste und direkteste Text. Für mich persönlich ist es ein ganz wichtiges Korrektiv, jede Woche zu wissen: Diesen Text musst du am Freitagmorgen abgeben, da musst du ein Thema haben, das du kabarettistisch bearbeitet hast! Das diszipliniert mich. Schneider: Und dann stehen Sie eben auch auf der Bühne und da sind Menschen im Publikum … Schleich: Ja, zum Glück. Schneider: …, die man unterhalten muss. Ende der 70er, zu Beginn der 80er Jahre hat man im Westfernsehen tatsächlich auch mal versucht, Kabarettsendungen zu machen, bei denen kein Publikum im Studio saß. Man hat dann aber doch relativ schnell festgestellt, dass diese Resonanz fehlt. Sie stehen also auch vor Publikum: Wie ist das für Sie vom Gefühl her? Schleich: Ich bin sehr froh, dass es bei meinen Bühnenauftritten Publikum gibt. Ich kenne nämlich schon auch Zeiten, in denen da nur wenig oder kein Publikum gesessen ist. Ich habe früher auch schon mal vor fünf oder sechs Leuten gespielt, als mich noch keiner gekannt hat. Heute, wenn viele Menschen kommen, ist es aber viel schöner. Und so ein Publikum erzeugt natürlich auch eine gewisse Dynamik. Ein großes Publikum ist ein tendenziell ungeduldigeres Publikum als ein kleines Publikum. Einem großen Publikum muss man also schon ein bisschen mehr Zucker geben. Im Fernsehen ist es so, dass das Publikum mit seinen Lachern dem Fernsehzuschauer zu Hause ungefähr andeutet, wo es lustig gewesen sein könnte (lacht). Schneider: Gewesen sein könnte! Schleich: Im Idealfall geht der Fernsehzuschauer zu Hause auf dem Sofa dann diesen Weg mit. Aber Kabarett im Fernsehen ohne Publikum wäre tatsächlich ein interessantes Experiment, das ich selbst aber auf keinen Fall machen möchte. Schneider: Sie arbeiten sehr, sehr gerne … Schleich: Ja. Schneider: Sie haben ja bestimmt auch einen gewissen Workflow, um einmal dieses beliebte neudeutsche Wort zu verwenden. Wie sieht denn für Sie ein erfolgreicher Arbeitstag aus? Schleich: Eine gute Frage. Was ist für mich ein erfolgreicher Arbeitstag? Ich denke nicht in Arbeitstagen, sondern auch ich denke ganz modern in Projekten. Das heißt, wenn wir z. B. "Schleichfernsehen" machen, dann ist das für mich neun Tage lang eine 24-Stunden-Arbeit bis zu dem Tag, an dem die Sendung im Fernsehen gelaufen ist. Wenn das gut funktioniert hat, wenn diese Sendung also viele Leute gesehen haben, wenn ich das zum Ausdruck gebracht habe, was mich ärgert oder belustigt, und wenn ich das, was mir in dieser Sendung wichtig war, so zum Ausdruck gebracht habe, dass ich sagen kann: "Ja, das hast du gut formuliert, das hat funktioniert", dann war das für mich ein erfolgreiches Projekt. Ein Arbeitstag innerhalb so einer Reihe von Tagen ist da nicht so konkret greifbar, weil wir eben nicht in einzelnen Tagen arbeiten, sondern weil die Maschine im Grunde genommen pro Tag 24 Stunden lang läuft. Das ist ja auch mitunter im Traum das Verhängnis: dass man gerade dann, wenn man in der Vorbereitung von neuen Dingen ist, von diesen Premieren, von diesen Texten usw. träumt. Und dann ist man immer der Meinung: Das, was ich jetzt gerade geträumt habe, wäre doch die geniale Pointe überhaupt, das wäre der geniale Programmtitel schlechthin. Manchmal wacht man ja auf und schreibt sich das auf einen Zettel, den man auf dem Nachtkastl liegen hat. Aber am nächsten Morgen merkt man dann schon, dass das nicht so ist, dass das oft Sachen sind, die vollkommen irre sind und zu nichts zu gebrauchen. Dann ist man froh. Denn solange der Mythos besteht: "Das wäre gut gewesen, aber es fällt mir nicht mehr ein", quält einen dieser Mythos natürlich. Schneider: 2018 im April kommt das neue Programm. Gibt es dafür schon einen Titel? Schleich: Nein, da gibt es noch nichts. Das mache ich ganz bewusst so, denn ich möchte das jetzt alles auf mich wirken lassen, was so passiert. Wir sind ja gerade in einer Phase, in der sich die Politik auch in Deutschland neu konstituiert und sich auf Regierungsebene mit der Jamaika-Koalition eine ganz interessante Konstellation abzeichnet – was auch immer daraus nun werden mag. Ich möchte mir das zuerst einmal anschauen und werde sicherlich erst im Februar damit anfangen, mich sehr intensiv mit dem neuen Programm zu beschäftigen. Es ist auch erst Ende April, und das sind auch zunächst einmal "nur" Vorpremieren. Die eigentliche Premiere ist erst im Mai. Schneider: Wunderbar. Darauf freuen wir uns sehr. Herr Schleich, herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren, es war sehr nett. Schleich: Bitte schön. Schneider: Ihnen, liebe Zuschauer, vielen Dank fürs Interesse und bis zum nächsten Mal bei alpha-Forum.

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