Stefan Mickisch Pianist, Wagner-Experte Und Musikwissenschaftler Im Gespräch Mit Roland Spiegel
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Sendung vom 24.6.2013, 21.00 Uhr Stefan Mickisch Pianist, Wagner-Experte und Musikwissenschaftler im Gespräch mit Roland Spiegel Spiegel: Herzlich willkommen beim alpha-Forum. Ich freue mich, Ihnen heute jemanden vorzustellen, der nicht nur ausgezeichnet Musik spielen kann, sondern sie auch noch außergewöhnlich verständlich erklärt. Herzlich willkommen, Stefan Mickisch. Mickisch: Danke, dass ich hier sein darf. Spiegel: Herr Mickisch, Sie haben sich viel mit Wagner befasst und haben uns zum Einstieg eine kleine Kostprobe vorbereitet, damit die Leute auch mal sehen und hören können, was Sie so machen. Ich würde sagen: Legen Sie doch bitte los. Mickisch: Ich habe mir gedacht, mit dem "Walkürenritt" könnte man im Wagner- Jahr doch einen großen Hit von Richard Wagner vorstellen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Musik, die man ja gut kennt, sondern vielleicht auch im Hinblick darauf, was das Stück bedeutet bzw. was man aus ihm ablesen kann. Ich halte das nämlich für sehr essenziell. Der Beginn des "Walkürenritts" von Wagner fängt ja bekanntermaßen mit diesem "Quintschleifer" an (unterlegt hier wie im Folgenden alle seine Aussagen mit kurzen Beispielen auf dem Flügel). Der hat nicht nur eine gewisse aggressive Note, sondern – und bei großen Geistern steckt eben auch immer Intellekt mit drin, obwohl man meint, die Musik sei nur eine Gefühlskunst – man kann darin auch die neun Walküren abzählen. Wenn man nicht genau weiß, wie viele Walküren es sind, kann man schlicht mitzählen. Das ist die erste, hier die zweite, die dritte, die vierte, die fünfte, die sechste, die siebte, die achte und die neunte Walküre. Und genau bei der neunten Walküre beginnt dann dieses Stück zu laufen. Interessant ist auch, dass mit diesen Walküren – das sind ja Luftrosse – gemeint ist, dass da tapfere Krieger ausgewählt worden sind. Die Walküren sind Luftwesen, sind fast schon engelhaft und kommen daher von oben. Sie kommen also nicht von unten, von links auf der Klaviatur, sondern von rechts, von oben. Es dauert dann eine Zeit lang, bis sie Bodenhaftung bekommen. Als Drittes kommen wir zum berühmten Walkürenruf: Er hat die Tendenz, die Tonarten in der Mitte aufzuspalten. Das sind große Terzen! Und große Terzen bedeuten in der Musik Kraft und Spannung. Der nächste Punkt hat mit der Vorliebe unserer germanischen Vorfahren für Pferde zu tun. Manche haben diese Vorliebe ja auch heute noch, zu Recht. Richard Wagner hat hier komponiert, wie so ein Ross hochsteigt und wiehert. Man kann da richtig sehen, wie ein Pferd hochsteigt und wiehert. Das war wichtig für die Germanen, weil sie nämlich aus dem Pferdegewieher die Zukunft abgeleitet haben – genau wie aus dem Vogelflug. Sie haben also den Pferden in ihrem Aberglauben Funktion zugeschrieben, sie gaben ihnen eine "glaubenstechnische" Funktion. Noch etwas ist interessant beim "Walkürenritt": nämlich dieser Rhythmus. Das ist ein typischer Reiterrhythmus. Dieser Reiterrhythmus steht freilich nicht nur für Wagner, sondern wird z. B. auch von Rossini verwendet, und zwar ebenfalls für Reiter. Und dieser Rhythmus kommt sogar hier vor … Haben Sie es erkannt? Das war die berühmte Auftaktmelodie der Fernsehserie "Bonanza". Deswegen sage ich: Richard Wagner ist der Vorläufer dieser Bonanza-Melodie! Er hat das wirklich schon viel früher komponiert und deswegen würden ihm heute noch Tantiemen zustehen für diese Idee. Ich spiele Ihnen jetzt den gesamten "Walkürenritt" vor – mitsamt den Engelwesen, den Luftrossen, dem Pferdewiehern, dem Bonanza- Vorläufer und der großen Kraft dieser Walkürewesen. Spiegel: Vielen, vielen Dank, Herr Mickisch. Das ist erschöpfend, was Sie machen. Mickisch: Ja, das ist erschöpfend. Aber meine alte Grunddevise war immer schon: Entweder man macht es richtig oder man lässt es bleiben! Spiegel: Sie geben ja Einführungen in die kompletten Musiktheaterstücke von Richard Wagner. Jetzt haben Sie uns einiges zur "Walküre" gesagt, dem zweiten Teil der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen". Diese gesamte Tetralogie dauert ja 16 Stunden, manchmal sogar noch ein bisschen länger. Wenn Sie nur alleine die "Walküre" auf diese Weise vor Publikum erklären, dann sind Sie doch schon nach 10 Minuten fix und fertig, oder? Mickisch: Ich habe ja soeben ein bisschen was von Pferden erzählt: Es gibt unter den Pferden Kurzstreckler, Mittelstreckler und Langstreckler. Und bei Wagner muss man als Musiker eben ein "Langstreckenpferd" sein. Ich gebe ja in Bayreuth jeden Sommer nicht nur einen Vortrag, sondern 30 am Stück. Da muss ich mir meine Kräfte natürlich schon einteilen. Aber wenn ich weiß, dass ich nur eine oder zwei Nummern zu spielen habe, dann heißt das als Künstler, dass man sich verausgaben muss. Wenn ich aber den ganzen Vortrag von 90 Minuten mache, dann werde ich mir meine Kraft einteilen und sparen und nicht meine gesamte Energie beim "Walkürenritt" verbrauchen. Das heißt aber nicht, dass ich dieses Stück nicht trotzdem mit vollem Einsatz spiele: Ich bin dann hinterher schon immer ein bisschen fertig, aber wenn ich dann spreche und das nächste Tableau erkläre – z. B. das von Wotans Abschied –, kann ich mich wieder ein bisschen erholen. Das Herz schlägt dann wieder langsamer und man geht hinüber in die Philosophie. Spiegel: Besonders dankbar war ich Ihnen natürlich für die Bonanza-Melodie und auch für das ... Mickisch: Man vergisst das immer: Richard Wagner war im Grunde genommen der Urvater der Hollywood-Musik, überhaupt der guten Unterhaltungsmusik. Denken Sie nur einmal an die Leitmotive in dem Film "Star Trek": Das kommt alles von Richard Wagner. Deswegen sage ich auch, er ist der erfolgreichste aller Komponisten. Spiegel: Wie fing denn eigentlich Ihre Faszination für Wagner an? Man muss dazusagen, dass Sie ja auch ganz andere Dinge machen, Sie beschäftigen sich auch mit anderen Komponisten. Es ist also nicht so, dass Sie für sich noch nach einem Zweit-Komponisten suchen würden. Aber woher kommt bei Ihnen diese ganz starke Konzentration auf Wagner? Mickisch: Wagner ist nun einmal besonders intensiv, ist besonders fantasievoll und er hat ganz besonders viele interessante Philosophien in seinen Stücken. Das geht bis zur Religiosität im "Parsifal" und der Frage der Kunst in den "Meistersingern". Wer hat die Liebe besser und intensiver beleuchtet als Richard Wagner? Da findet man eigentlich niemanden. Und er vergisst nichts und gibt auch überall Antworten. Er stellt also interessante Fragen zur Kunst, zur Liebe, zur Religion, zur Macht, zum Verzicht oder zum Sterbenlernen – wie z. B. bei Wotan im "Ring" – und er gibt auch Antworten. Schlechtere Künstler bzw. mittelmäßige Künstler formulieren noch nicht einmal die richtigen Fragen. Das aber ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt Antworten geben zu können. Deswegen sagt ja auch Sokrates, die richtige Frage würde bereits die passende Antwort implizieren. Spiegel: Es gibt natürlich eine zentrale Frage zu Wagner selbst, und vor allem in Jahren, in denen Jubiläen gefeiert werden: Wie steht es mit Wagners Antisemitismus und auch mit dem Antisemitismus in seinen Opern? Gerade vom Weltanschaulichen her ist ja Wagner ein extrem heißes Eisen. Wie stehen Sie dazu? Mickisch: Das wird überbewertet und das wird überzogen und das verstellt den Blick auf die Klasse Richard Wagners. Letztlich ist dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt. Dazu muss man aber relativ viel wissen. Das gilt z. B. auch für Nietzsche: Es gibt ja viele Leute, die Nietzsche kritisieren, ohne ein einziges Buch von Nietzsche gelesen zu haben. Das empfinde ich schon immer als besonders lustig. Bei Wagner ist es im Grunde genommen genauso, dass kaum jemand seine Schriften gelesen hat, auch nicht seine Schrift "Das Judentum in der Musik". Trotzdem spielen diese Leute dauernd den Moralapostel. Ich empfinde das eigentlich als lächerlich. Man muss nur genau lesen, was Wagner geschrieben hat. Dann kann man nämlich herausfinden, welcher Art der Antisemitismus von Wagner war, was das für eine relativ entschärfte Form des Antisemitismus bei Wagner gewesen ist. Wagners Antisemitismus war nämlich ein sprachphilosophischer und kein rassistischer. Wagner war auch ein Anti- Adelsmensch, ein Kommunist, ein Antikapitalist: Das sind alles Dinge, die man heute gerne vergisst. Er war ein Bakuninfreund, er war ein Karl Marx Naher, er war quasi ein Feuerbachschüler, er war ein Religionskritiker usw. Dieser ganze linke Komplex bei Wagner ist viel zu wenig beleuchtet. Dass er heute ein Grüner wäre, dass er heute ein Öko wäre, dass er wahrscheinlich ein "Pirat" wäre, das steht für mich fest: Ich glaube, er wäre in politischer Hinsicht ein rot-grüner "Pirat". Spiegel: Dann würde er aber keine Tantiemen bekommen. Das heißt, er würde es sich vielleicht doch überlegen, ein "Pirat" zu werden. Mickisch: Wagner war auch gar nicht tantiemengeil in dem Sinne, wie das heute viele sind, die irgendeinen Mist produzieren. Denn Wagner ging es um große Kunst und er hat auch deswegen so lange nichts verdient. Wenn man einen "Tristan" schreibt oder den "Ring", den niemand aufführen kann, dann kann man doch so jemandem nicht unterstellen, er wäre geldgeil. Wenn er das wirklich gewesen wäre, dann hätte er leichte Symphonien komponieren müssen, Streichquarttete, Lieder wie z. B. seine Kollegen. Sein Kollege Brahms hat z. B. gut verdient. Nichts gegen Brahms, aber so ein Streichquartett lässt sich eben leichter aufführen als der "Tristan". Marcel Reich-Ranicki hat doch sehr gut bemerkt: "Es gibt viele nette Menschen auf Erden, aber die haben keinen "Tristan" und keine "Meistersinger" geschrieben." Das heißt, man muss den Genies zugestehen, dass sie