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Volker Mertens

Wagner

Wagner-Ring_Druck.indd 1 10.01.2013 11:53:11 Weitere Bände der Reihe OPERNFÜHRER KOMPAKT: Daniel Brandenburg . Verdi . Rigoletto Detlef Giese . Verdi . Aida Michael Horst . Puccini . Tosca Silke Leopold . Verdi . La Traviata Robert Maschka . Beethoven . Fidelio Robert Maschka . Wagner . Clemens Prokop . Mozart . Don Giovanni Olaf Matthias Roth . Puccini . La Bohème

Volker Mertens forscht und lehrt in der Literatur- und Musikwissenschaft; seine neueren Veröffentlichungen betreffen die Literatur des Mittelalters und ihre Nachwirkungen, das Werk Richard Wagners und Giacomo Puccinis sowie die Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Musik. Ferner verfasst er Beiträge für Radiosendungen und Programmhefte, u. a. für die Wiener Staatsoper, die Berliner Philharmoniker und die Bayreuther Festspiele.

Wagner-Ring_Druck.indd 2 10.01.2013 11:53:12 OPERNFÜHRER KOMPAKT

Volker Mertens Wagner Der Ring des Nibelungen

Wagner-Ring_Druck.indd 3 10.01.2013 11:53:12 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2013 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel, und Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Umschlaggestaltung: Carmen Klaucke, Berlin, unter Verwendung eines Fotos der Bayreuther Festspiele GmbH /Jochen Quast (»«, 1. Szene, 2006, Inszenierung Tankred Dorst; als , Ulrike Henzel als Wellgunde, Fionnuala McCarthy als Woglinde und Marina Prudenskaja als Floßhilde) Lektorat: Ilka Sührig Innengestaltung: Dorothea Willerding Satz: EDV + Grafik, Christina Eiling, Kaufungen Korrektur: Kara Rick, Eberbach Notensatz: Tatjana Waßmann, Winnigstedt Druck und Bindung: GGP Media, Pößneck ISBN 978-3-7618-2260-9 (Bärenreiter) . ISBN 978-3-89487-907-5 (Henschel) www.baerenreiter.com . www.henschel-verlag.de

Wagner-Ring_Druck.indd 4 10.01.2013 11:53:12 Inhalt

Der »Ring« – Anfang, aber kein Ende 7

Wagners Leben vor und mit dem »Ring« 9 Ein Sohn aus gutem Haus 9 . Lehrjahre 11 . Wanderjahre I 13 . Erster Ruhm 15 . Flucht und Zuflucht 17 . Wanderjahre II 20 . Neues Glück, neues Spiel 21 . Wo sein Wähnen Frieden fand … 23 . Epi- log: Der »Ring« am Ende 25 . Historische, biografische und werk- spezifische Daten 26

Sujet und Entstehungsgeschichte − Woher kommen und was wird aus ihnen? 30 Der Mythenbaumeister 30 . Fünf Jahre Arbeit am Mythos 32 . 21 Jahre Arbeit an der Musik 36

Die Handlung 39 »Vorabend: Das Rheingold« 39 . »Erster Tag: Die Walküre« 44 . »Zweiter Tag: « 50 . »Dritter Tag: Götterdämmerung« 55

Die musikalische und dramaturgische Gestaltung 61 Vorbemerkung 61 . »Vorabend: Das Rheingold« 63 . »Erster Tag: Die Walküre« 76 . »Zweiter Tag: Siegfried« 90 . »Dritter Tag: Göt- terdämmerung« 117

»Ring«-Aspekte 136 Was ist ein ? 136 . Mythisches, Gegenwärti- ges 138 . Leitmotive – Leidmotive ? 139 . Instrumentation 140 . Wie wollte Wagner gesungen sein? 141 . Wagners Wortkunst 143 . Mythische Referate – Arbeit mit der Erinnerung 145 . Der mys- tische Abgrund 145 . Tempi – damals und heute 147 . Wagners Wald – »O Täler weit, o Höhen« 147 . Wort und Ton 148 . Wagner und das Jüdische 149 . Die Revolution und der »Ring« 151 . Hit- lers Wagner – »Mit einem Schlag war ich gebannt« 154

Wagner-Ring_Druck.indd 5 10.01.2013 11:53:12 Im Wandel der Inszenierungen 158 Der Ur-»Ring« und die Folgen 158 . Abschied vom Bärenfell – Abstrak­tion und Licht I 164 . Der »Ring« unter dem Haken- kreuz 165 . Die reine Kunst − Abstraktion und Licht II 166 . Kri- tisch – politisch 168 . Politik – Mythos – Psychologie 170 . Was ihr wollt, wie es euch gefällt 173

Der »Ring« und die Folgen – Resonanz und Rezeption 177 Der »Ring« wirkt in der Musik 177 . Dichtungen und Essays 180 . »Ring«-Bilder zwischen 1865 und 1987 184

Jenseits der Bühne − Der »Ring« auf CD und Video 189 Studioaufnahmen 189 . Live-Aufnahmen 191 . Einzelaufnah- men 193 . Videoaufnahmen 195

Reden wir über den »Ring« mit … 197 … Brünnhilde: 197 . … Wotan: 199 . … Mime und Loge: 200 . … dem Intendan- ten: Dietmar Schwarz 201 . … dem Dirigenten: Christian Thiele- mann 202 . … dem Regisseur: 203

Kleines »Ring«-Wörterbuch 206

Anhang 210 Zitierte und empfohlene Literatur 210 . Abbildungsnachweis 215

Wagner-Ring_Druck.indd 6 10.01.2013 11:53:12 Der »Ring« – Anfang, aber kein Ende

Stehplatz in der Wiener Staatsoper am 15. Oktober 1958 – der Härtetest. Wenn man nach der Aufführung körperlich ausgelaugt, aber innerlich an-, ja aufgeregt ist, dann muss es sehr gut gewesen sein. Wagners Sieg- fried, der vom Publikum ungeliebte Teil der Tetralogie, zog mich in seinen Bann, nicht nur weil Karajan dirigierte, hervorragende Sänger wie und , und Jean Madeira sangen, sondern weil die Musik so ausdrucksvoll und spannend war, weil die Handlung sich so dramatisch folgerichtig entwickelte und durch viele Dunkelheiten und Dämmerungen zum strahlenden Licht geführt hatte: »leuchtende Liebe – lachender Tod«, Tod ? Ja, Siegfried hatte ihn nicht ge- scheut, um zu Brünnhilde zu dringen, sie aus todesähnlichem Schlaf er- weckt. Im Jubel des Schlusses war nicht zu hören, dass diese Liebe ihrer beider Tod sein würde. Dass dem Rausch nicht zu trauen war, der Fluch des Ringes ihn einholen sollte, ahnte der Zuhörer auf der Galerie wohl, wenn auch der Siegfried seine erste Ring-Oper war. Konnte ich den Ring angemessen verstehen? Ich hatte den Text nicht ohne leichtes Befremden gelesen, von der zugrunde liegenden Philosophie wusste ich kaum etwas. Und die Kompositionsgeschichte? Ich konnte die Musik ungefähr einordnen. Viel Beethoven hatte ich gehört (auf den Wag- ner, was ich nicht wusste, sich besonders bezieht), aber noch nichts von oder , kannte also nichts von den Folgen. Ich brachte Aufnahmebereitschaft und Neugier mit und den Wil- len, das, was ich sah und hörte, auf- und anzunehmen. Große Gefühle – sie sprechen unmittelbar an. Politische und gesellschaftliche Botschaften hingegen, sie verstören eher. Mythische Offenheit aber appelliert an den Zuschauer, seine eigene Deutung in seiner Zeit, in seinen Lebensumstän- den zu finden – wenn der Regisseur nicht mit dem kleineren oder grö- ßeren Hammer inszeniert, der mir in den Kopf hauen will, was ich zu denken habe.

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Wagner-Ring_Druck.indd 7 10.01.2013 11:53:12 Aufführungen aller vier Teile waren noch sehr selten, anders als heute, wo selbst kleinere Bühnen wie Münster, Lübeck oder Halle den Zyklus spielen, und der Mythos, der Ring sei der höchste und schwerste Berg der Opernlandschaft, etwas verblasst ist. Doch gewaltig bleibt er – die größte Geschichte, die auf dem Musiktheater erzählt wird, sodass, wenn das Wunderthema am Schluss der Götterdämmerung verklungen ist, man die äußere Welt vergessen hat. Es wird berichtet von einem Ame- rikaner, der in den 1930er-Jahren den Ring in Bayreuth besuchte und an- schließend durch die Straßen irrte, fragend: »Is Roosevelt still president?« Irdische Herrschaft vergeht: »Selig in Lust und Leid lässt – die Liebe nur sein«, lauten die instrumental vertonten letzten Worte Brünnhildes, die im Des-Dur-Gesang der Geigen Gestalt geworden sind. Vielfältig sind die Botschaften, die der Ring aussendet. Karajan zeigte in Wien eine schön anzusehende Erzählung. Man hätte sie für zeit- los halten können, sie war jedoch in ihrer beabsichtigten Geschichtsferne eine Konsequenz der Geschichtsverweigerung der 1950er-Jahre in Öster- reich und anderswo. Es war dem Zuhörer nicht bewusst, dass der Ring eine politische Dimension hat, die ihm nicht gezeigt wurde. Er wusste auch nicht, dass Wagner diese seine ursprüngliche Aussage mehr und mehr mit allgemein Menschlichem (wie er es genannt hätte) überlagert hatte. »Weltanschauung« war hier, anders als Wagner meinte, ebenso we- nig zu erkennen. Später wurden mir zu den menschlichen die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen deutlich, aber im Zentrum blieb und bleibt für mich das grandiose Drama in der Musik – im Detail und im großen Atem: Karajan konnte das. Für den einsamen Hörer war die Zeit wie zu einer Kugel geballt, diese Totalität habe ich immer wieder gesucht. Heute, über 50 Jahre und eine gute Reihe von (nicht immer guten) Inszenierungen später, hat die Faszination nicht nachgelassen. Je tiefer man in die Entstehungszusammenhänge eintaucht, die Werkgestalt zu ergründen sucht, die Wirkungsgeschichte sich vergegenwärtigt, umso er- staunlicher und bezwingender ist Wagners umfassender Gestaltungswille zu erkennen – in der Handlungs- und Personenführung, in der Sprache, in der Sinngebung durch die Musik mit ihren vokalen und instrumenta- len Dimensionen, in der Verwirklichung der Bühnengestalt, der Prägung des Aufführungsortes und der Schaffung eines eigenen Publikums. Das möchte ich über die Darstellung der großen Zusammenhänge wie einzel- ner Aspekte nachvollziehbar machen.

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Wagner-Ring_Druck.indd 8 10.01.2013 11:53:12 Im Wandel der Inszenierungen

Der Ur-»Ring« und die Folgen Wem gehört der Ring? König Ludwig, der ihn bezahlt, oder Wagner, der ihn geschaffen hatte? Ludwig wollte jeden Teil, der fertig war, sofort auf der Bühne sehen, Wagner die Tetralogie nur geschlossen aufführen. Der König setzte sich durch, 1869 wurde das Rheingold, ein Jahr später die Wal- küre auf dem Münchner Hoftheater gespielt. Der undankbare Schöpfer der Werke blieb demonstrativ fern und betrieb umso entschiedener die Grün- dung der Festspiele: 1876 wurde das mit seiner unendlich tiefen Bühne, die mehr als die Hälfte des Gebäudes einnahm, eigens für den Ring ge- schaffene Theater in Bayreuth mit den vier Dramen an vier Tagen eröffnet. Wie war ein solcher Kosmos zu realisieren? Die Tiefe des Rheins, die Regenbogenbrücke, der Feuerzauber, der Drachenkampf, die Riesen, die Zwerge, die Nixen und Pferde, der sprechende Vogel? Die Herausfor- derungen an Bühnenbildner und Kostümentwerfer, an Bühnentechniker und Beleuchter, an Sänger und Musiker waren beispiellos. Ein völlig neues Operntheater! Schon in München hatte man damit zu kämpfen gehabt. So stellten akrobatisch »schwimmende« Balletttänzerinnen die Rheintöchter dar (»Hurenaquarium« schrieb ein Kritiker), gesungen wurde aus der Ku- lisse, der Regenbogen geriet zu massiv, der Feuerzauber aus brennenden Spirituseimern zu gefährlich. In Bayreuth engagierte Wagner den füh- renden Bühnentechniker der Zeit, Carl Brand. Hier schwebten die Rhein- töchter hoch über der Bühne auf Wagen, die, hin und her geschoben, die Illusion des Schwimmens erzeugten. Illusion hieß der Zauber, mit dem man das Publikum gewann. Lichteffekte, farbige Dämpfe aus zwei Loko- motiven, transparente Schleier spielten eine herausragende Rolle, zusätz- lich zum Gaslicht wurden elektrische Bogenlampen mit höherer Helligkeit eingesetzt. Doch das Zischen der Dampfmaschinen störte und die avant- gardistischen Projektionen der Flucht Sieglindes und Brünnhildes auf

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Wagner-Ring_Druck.indd 158 10.01.2013 11:53:30 Grane sowie des Walkürenritts blieben zu lichtschwach. Die Technik ist bis heute schwer zu bändigen – noch 2012 in New York irritierte die klap- pernde Bühnenmaschinerie. Der angezielte Naturalismus erwies sich als technisch wie ästhe- tisch problematisch. Der Drache wurde unvollständig angeliefert, »ein Mittelding zwischen Eidechse und Stachelschwein« (Paul Lindau) und der Kampf wirkte albern: »In die Kulisse mit dem Lindwurm! Der Kampf mit dem Drachen ist auf der Bühne kindisch und Brünnhilde und Siegfried. Lithografien nach den Kostümentwürfen von Carl verwerflich.« Frickas Widder waren ausge­ Emil Doepler für die Uraufführung 1876. stopfte Schafe, Spielzeuge für große Kinder. Wie sollten die Darsteller aussehen, wie sollten sie gekleidet sein? Ein verbindliches Bildvokabular für »die Germanen« gab es, anders als für Antike und Mittelalter, noch nicht. Für Schmuck und Waffen konnte Carl Emil Doepler immerhin auf archäologische Funde zurückgreifen, was ge- mäß der Praxis der zeitgenössischen Historienmalerei auch geschah. Für

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Wagner-Ring_Druck.indd 159 10.01.2013 11:53:30 die Kostüme blieb er auf die Phantasie angewiesen und kombinierte Völ- kerwanderungszeit und Antike. Die Bühnenbilder ließ sich Wagner von dem Wiener Maler Josef Hoffmann entwerfen, Ölskizzen, die klassische Landschaften zeigen und in den Innenräumen einen archaisierend-historisierenen Stil im Sinn eines vagen Mittelalters (so eine altdeutsche Stube für Hunding) kultivieren. Die schwierige Aufgabe, die Bilder in Prospekte umzusetzen, übernahmen die Brüder Brückner aus Coburg. Wagner war nur mit dem Rheingold zufrie- den, sonst schien ihm die Übertragung der malerischen Ideen in die Büh- nenrealität wenig gelungen. Er hätte bei den nächsten Festspielen »alles anders« gemacht. Von größter Bedeutung für ihn blieb die Verbindung von Darstel- lung und Gesang, um die er sich als sein eigener Regisseur besonders mühte, indem er den Sängern ihre Szenen vorspielte. erin-

Die erste Brünnhilde: Als »Kunstgenossin« apostrophierte Wagner sie in seinen Briefen, mensch- lich und künstlerisch war sie ihm eng verbunden. Sie war 30 Jahre alt, als sie 1874/1875 für die Brünnhilde in der Uraufführung der Tetralogie 1876 angenommen wurde. Sie hatte als Soubrette in Operetten begonnen und besaß daher ein gutes Gespür für Deklamation. Ihre vor allem im Piano sinnlich schöne Stimme und ihre leuchtende Höhe nahmen Wagner ebenso für sie ein wie ihre Energie und Intensität der Darstellung. Gesangstech- nisch war sie nicht vollkommen, unter Belastung tendierte die Stimme zur Schärfe. Eine angeblich von Wagner dirigierte Edison-Walzenaufnahme, entstanden 1882, mit Teilen des Liebesduetts aus Tristan, in der sie zu- sammen mit Hermann Winkelmann (dem ersten ) singt, übermit- telt eine eher lyrische Stimme mit schönem Legato. Lilli Lehmann (Wog- linde, Waldvogel) meinte in ihren Erinnerungen, Materna habe die Stimme gehabt, aber den Stil nicht ganz getroffen, was sich auf Probleme der künstlerischen Kontrolle beziehen dürfte, die ihre Spontaneität mit sich brachte. Ihre Loyalität zu Wagner und Bayreuth führte dazu, dass ihr die erste Kundry übertragen wurde. Brünnhilde blieb ihre eigentliche Rolle, die sie in Wien, Berlin und New York verkörperte, Als »world-wide-celebrity« wurde sie dort gefeiert, ihre intensive Gestaltung ebenso gerühmt wie die Schönheit und Kraft der Stimme. Dass sie eine majestätische Erscheinung war, wie viele Rollen-Nachfolgerinnen, zeigen die Fotos.

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Wagner-Ring_Druck.indd 160 10.01.2013 11:53:30 nerte sich, wie Wagner die Rolle der Sieglinde gestaltete: »Noch niemals hat eine Sieglinde ihn auch nur annähernd zu erreichen gewusst«. Hein- rich Porges, der die Proben genau verfolgte und protokollierte, schrieb über Wagners Regie: »Die entscheidende That Richard Wagners besteht eben darin, »Siegfried«, 1. Aufzug: Mimes Höhle. Entwurf von Josef Hoffmann für die daß er uns von dem Hexengebräu der zu Uraufführung in Bayreuth 1876. einem wahren Pandämonium geworde- nen deutschen Oper befreite und eine echt deutsche dramatisch-musikalische Kultur geschaffen hat«. Wagner habe »den realistischen Styl der Shakespearschen­ mit dem idealistischen der antiken Tragödie« zu verschmelzen gesucht. Die Urproduktion blieb lange ein Vorbid für die Aufführungen anderer Theater, oft wurden die Bayreuther Prospekte und Kostüme ein- nachgebildet. Da die Ausstattung trotz – oder wegen – mangelnder bildlicher Originalität als vorbildhaft empfunden wurde, kopierte sie z. B. für seine Leipziger Tetralogie im Jahre 1878; drei Jahre später, als absehbar war, dass es keine Bayreuther Wiederaufnahme geben würde, kaufte er sogar die Originaldekorationen. Durch sein rei- sendes Wagnertheater lernte ganz Europa den leicht gekürzten Ur-Ring kennen und die Intendanten wurden zu eigenen Produktionen ermutigt.

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Wagner-Ring_Druck.indd 161 10.01.2013 11:53:31 Neumann ging mit dem Ring nach Berlin (wo Wagner die Proben leitete), Hamburg und London, er kam nach Rom, Bologna, Turin und Triest, nach St. Petersburg und Moskau, insgesamt in weit über 20 Städte. Er leitete das bis dato größte wandernde Theaterunternehmen, das mit einem eigenen Sonderzug unterwegs war. Überall war der Andrang trotz hoher Eintritts- preise gewaltig und der Erfolg groß, ja sensationell. In München bot man 1878 Rheingold und Walküre in den dortigen Uraufführungsinszenierungen, Siegfried und Götterdämmerung wurden neu produziert, die Gesamtleitung hatte der spätere Parsifal-Dirigent Her- mann Levi. Wieder waren es Darsteller, Bühne und Technik, die uneinge- schränkten Beifall erhielten, während die Musik, vor allem die Melodiefüh- rung der Gesangsstimmen, auf Befremden stieß. Den größten Erfolg errang die Götterdämmerung, weil ihr Inhalt sich mit dem populären Nibelungen- lied in Verbindung bringen ließ. Den Verrat an Brünnhilde rühmte die Süd- deutsche Presse als »den höchsten tragischen Moment«. Bald gab es Ge-

Grane – Ein Königreich für ein Pferd Brünnhildes Ross war der Liebling der Bayreuther Festspiele 1876. Cocotte kam aus den Ställen König Ludwigs II., ein neun Jahre altes kräftiges Gebirgspony (Altai), sanft, lammfromm und gelehrig, kein »Hojotohoh- Pferd«, sondern ein »Hottehüh-Pferd« (Lindau). Es erregte zu viel Begeis- terung, sodass Wagner es aus der Todesverkündigung im 2. Aufzug der Wal- küre, wo Brünnhilde es »am Zaum geleiten« sollte, verbannte. Tiere und Kinder, sagt eine alte Theaterweisheit, sind große Sympa- thieträger. Noch Hugo von Hofmannsthal wünschte sich für die Ägyptische Helena, dass die Heldin und ihr Mann am Schluss ihre Pferde besteigen und in die Weite reiten sollten, das sähe sehr schön und edel aus. Hofmanns- thal musste lebendige Rösser auf der Bühne bereits verteidigen. 1925 trat Grane in Bayreuth Siegfried und war so aufgeschreckt, dass Brünnhilde mit ihm nicht in die Flammen reiten konnte, 1939 verendete das Pferd nach dem 1. Aufzug der Götterdämmerung und musste durch ein neues ersetzt werden; Sänger und Publikum standen Ängste aus, ob Brünnhilde mit ihm zurechtkommen würde. Noch 1976 war in ein echtes Ross zu sehen. Doch heute bevorzugt man ein Steckenpferd (Stuttgart), Spielzeugpferd (Frankfurt), Stofftierchen (Freiburg) oder großes Blechgetüm (New York) – alles gut für Komik. In Weimar spielte eine Frau das Pferd und wurde von geschändet, da lachte niemand.

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Wagner-Ring_Druck.indd 162 10.01.2013 11:53:31 samtaufführungen in Wien (Mai 1879) und Hamburg (1880), Berlin zeigte eine Eigenproduktion erst 1888, die Metropolitan ein Jahr später. Erst 20 Jahre nach der Uraufführung, im Jahre 1896, wurde der Ring wieder in Bayreuth gespielt, Cosima ließ neue naturalistische Büh- nenbilder (die alten waren verkauft, sie wurden noch 1927 in Prag benutzt) von den Brüdern Brückner und stärker stilisierte Kostüme herstellen, für die sie den bekannten Maler Hans Thoma heranzog, denn sie war mit den pseudohistorischen Gewändern Doeplers (»Indianer-Häuptlinge«, grollte sie) beson- Amalie Materna in der Uraufführung ders unzufrieden gewesen. Andererseits der »Walküre« 1876 als Brünnhilde mit Cocotte als Grane. versuchte sie, Wagners Regie durch skla-

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Wagner-Ring_Druck.indd 163 10.01.2013 11:53:31 vische Befolgung der Szenenweisungen, mit Hilfe der Aufzeichnungen von Porges und ihrem Gedächtnis wiederzubeleben. Eigenes tat sie hinzu, indem sie auf einer Statik in der Art lebender Bilder einerseits und de- monstrativer, amateurhaft übertriebener Gestik und Mimik andererseits insistierte. George Bernhard Shaw spottete daher: »Frau Wagner weiß so wenig davon, wie dramatische Effekte darstellerisch-technisch produziert werden, dass sie glaubt, es werde überhaupt keine Wirkung erzielt, wenn die Prima Donna sie nicht mit demonstrativer Bewusstheit vorführt« (Bas- setto at Bayreuth 1896). Bis 1914 wurde ihre Inszenierung gespielt. Um 1900 hatte sich der Ring, was angesichts der künstlerischen und organisatorischen Probleme undenkbar geschienen hatte, im Reper- toire der Bühnen durchgesetzt. Das an den großen Häusern übliche Stagione-Prinzip (eine Oper zu produzieren, dann abzuspielen und eine neue zu inszenieren) erwies (und erweist) sich dem Ring international als abträglich, die deutschen Stadttheater mit ihrem Repertoire-Prinzip hatten und haben weitaus gerin- gere bühnenorganisatorische Probleme: In der Spielzeit 1900/1901 wurde der gesamte Ring an 22 deutschsprachigen Bühnen gespielt; auch mittlere Häuser waren, ganz wie heute, zu solchen Kraftakten in der Lage. Zehn Jahre später (1910/1911) wagten sich sogar 43 deutschsprachige Häuser an einen Ring-Zyklus. Man präsentierte keinesfalls immer pseudo-naturalistische Insze- nierungen mit Flügelhelmen und Bärenfellen. Sich davon loszusagen, hatte vor allem Gustav Mahler in Wien unternommen: 1905 –1910 führte Lothar Wallerstein die Personen stark psychologisch in Bühnenbildern von Alfred Roller, zwischen Wiener Sezession und Frühexpressionismus, verbunden mit eindringlichen Lichteffekten.

Abschied vom Bärenfell – Abstraktion und Licht I Licht statt herkömmlicher Dekorationen wollte der Bühnenbildner und Regisseur Adolphe Appia einsetzen: Treppen und Podeste sollten den Ak- tionsraum schaffen, die Umgebung der Handlung wurde durch Beleuch- tungseffekte angedeutet, die Sänger-Darsteller sollten auf jeden psycholo- gischen Realismus verzichten, da bereits die Musik das Innere offenbare. Schon 1892, mit 30 Jahren, hatte Appia ein Ring-Szenario mit ausführli- chen Skizzen an geschickt, die meinte, »in bezug auf De- korationen und Regie« sei »nichts mehr zu erfinden«. Erst in der Spielzeit 1924 /1925 erhielt er in Basel die Gelegenheit, seine Ideen in einer Ring-

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Wagner-Ring_Druck.indd 164 10.01.2013 11:53:31 Inszenierung umzusetzen. Das Rheingold wurde noch akzeptiert, aber die Walküre mit einer äußerst reduzierten Hunding-Hütte, einer breiten fünfstufigen Treppe im Zentrum und je einem Podest links und rechts im 2. Aufzug, Vorhängen und Projektionen und höheren asymmetrischen Podesten für den 3. Aufzug erregte einen Skandal bei den Alt-Wagneria- nern, sodass das Unternehmen abgebrochen werden musste. Gleichzeitig, zwischen 1922 und 1924, inszenierte Saladin Schmitt in Duisburg einen avantgardistischen Ring in reduzierten, expressionistisch-ausdrucksvol- len Bühnenbildern von Johannes Schröder; die Personen wurden durch je unterschiedlich farbige Verfolger-Scheinwerfer charakterisiert (»Farb- lichtmusik«) und bewegten sich in tänzerisch stilisierter Weise. Für die Produktion in Freiburg (1912/1913) entwarf Ludwig Sievert eine expres- sionistische Bühne mit Treppen und Podesten, die er für Baden-Baden (1917), Hannover (1925) und Frankfurt am Main (1926 /1927) abgewandelt wiederholte. Zu den Kuriositäten der Regie gehört der Einfall Hans Wil- dermanns in Dortmund 1920 /1921 und Düsseldorf 1926, nach dem Brand Walhalls ein großes Kreuz erscheinen zu lassen, das auf den Parsifal als Gestaltung einer christlichen Utopie vorausdeuten sollte.

Der »Ring« unter dem Hakenkreuz Die Vielfalt der neuen Ansätze in den 1920er-Jahren wurde durch die na- tionalsozialistische Kulturpolitik reduziert, aber nicht beendet. Vereinzelt setzte sich ein stärker realistischer Stil durch, nicht jedoch in Bayreuth. Bis 1931 hatte man in den Brückner-Dekorationen Cosimas gespielt, da be- deutete die Inszenierung von 1933 durch Heinz Tietjen mit den Bühnen- bildern von Emil Preetorius einen Neubeginn, an den dann Nachkriegs- Bayreuth anknüpfen konnte. Tietjen, seit 1930 Generalintendant in Ber- lin, hatte schon dort einen »entrümpelten« Ring inszeniert und übertrug diese Produktion in überarbeiteter Form nach Bayreuth. Damit kamen die Festspiele auf ein Niveau, das dem aktuellen Stand der Theaterarbeit am entsprach, und, trotz vieler Angriffe aus völkischen Kreisen wegen angeblicher Entstellung von Wagners Werk, gelang es der Festspiel- leitung in den Händen Winifred Wagners unter dem persönlichen Schutz Hitlers, an den »Modernisten« festzuhalten. Die Produktion blieb bis 1942 auf dem Spielplan. Dass auf der Bühne modernes Musiktheater gemacht wurde, verhinderte jedoch nicht die politische Vereinnahmung der Fest- spiele durch die Nationalsozialisten und die Etablierung eines Hitlerkults: In den Bayreuther Festspielführern war jetzt ein Hitlerfoto (von Wieland

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Wagner-Ring_Druck.indd 165 10.01.2013 11:53:31 Wagner) das erste Bild, nicht mehr ein Wagnerporträt. Die Wagnerge- meinde und -familie hatte in Hitler ihren neuen Helden gefunden, vor- wiegend aus weltanschaulichen, doch nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen, denn Hitler machte durch großzügige Spenden und Kartenkäufe das Überleben der Festspiele erst möglich. Dafür war nicht nur seine per- sönliche Faszination durch das Werk Wagners verantwortlich, sondern auch die durch die Überblendung von Wagnerkult und Hitlerkult erreichte kulturelle Legitimierung nach innen und außen. Zudem sind zwischen Wagners Bühnenfantasie und Hitlers öffentlicher Ästhetisierung politi- scher Repräsentation offensichtliche Analogien zu erkennen. Der Ring bot dafür allerdings nur partielle Anschlussmöglichkei- ten, denn zwischen der Liebe als stärkster Kraft des Menschen, wie sie sich in Brünnhilde verkörpert, und dem brutalen Herrschaftswillen Hit- lers bestehen unüberbrückbare Gegensätze. Analogien gibt es jedoch zwi- schen dem »self-made-hero« Siegfried und Hitlers Selbstrepräsentation, die an Muster aus dem Ersten Weltkrieg nicht zufällig anknüpfte. Dabei musste jedoch Wagners grundsätzliche Kritik an Macht und Herrschaft ausgeblendet werden.

Die reine Kunst – Abstraktion und Licht II Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte man die Abstraktion neu, sie be- deutete die Befreiung von jeglichem Pseudohistorismus und die Öffnung für eine rein mythische Interpretation. Am Anfang steht Wieland Wag- ners Ring-Inszenierung aus dem Jahr der Wiedereröffnung der Festspiele 1951, ein kühner und angefeindeter Beginn, der dann kontinuierlich ver- vollkommnet wurde. Sie stand unter dem Motto: »Uns interessieren keine germanischen Götter mehr, sondern nur der Mensch«. Die mythische Tiefenstruktur des Werkes, die Wieland als archetypisch-anthropologisch verstand, sollte eine jeder konkreten Konventionalität entblößte szenische Oberfläche erhalten. Er knüpfte damit an Tendenzen der 1920er-Jahre an, radikalisierte sie allerdings im Sinn weitestgehender Abstraktion. Es gab kein Bühnenbild, nur die Welt-Scheibe bzw. deren Segmente, die einen Handlungsraum vor einem leuchtend hellen Horizont herstellten; die symbolische Lichtregie hob die Figuren heraus, die statisch, ja statuarisch geführt wurden. Mit dieser Enthistorisierung und Entgermanisierung des Rings griff Wieland die »griechische« Dimension auf, die Richard Wag- ner bei seiner Ring-Konzeption geleitet hatte und die ihn seinen Festspiel- gedanken als Analogie zum Gemeinschaft stiftenden Ideal der attischen

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Wagner-Ring_Druck.indd 166 10.01.2013 11:53:31 Tragödie hatte entwerfen lassen. Die Kostüme waren dann auch von eher »griechischer« Anmutung, Brünnhilde z. B. als Pallas Athene charakteri- siert. So wurde ein Mysterientheater verwirklicht, das den Anspruch auf Zeitlosigkeit erhob. Binnen Kurzem wurde der Neu-Bayreuther Stil prä- gend. Den Rückgriff auf die ästhetischen Konzepte der Weimarer Zeit nur aus der Absicht Wieland Wagners zu interpretieren, die Festspiele (und nicht zum wenigsten sich selbst) von den politischen Verstrickungen in den Nationalsozialismus zu befreien, greift zu kurz. Trotz heftiger Kritik an der antitheatralischen Oratorienhaftigkeit wurde der Bayreuther Stil bald prägend. In der zweiten Bayreuther Produktion von 1965 (vorangegangen war als »Étude« Köln 1964) arbeitete Wieland stärker mit Dingsymbo- len, die oft ins Monumentale gesteigert wurden (wie z. B. Walhall) sowie starkfarbigen Lichteffekten. Der Mythos wird (eher in den Begleittexten als im Visuellen) politisch gedeutet: In Wotan soll die Unvereinbarkeit von Macht und Liebe gezeigt werden, wobei die Machtbesessenheit als männliches, »Götterdämmerung«, 2. Aufzug: Hagen (im mythischen Lichtkreis) ruft die Gi- die Liebe hingegen als elementares weib- bichsmannen. Inzenierung und Bühnen- liches Prinzip verstanden ist. Nach dem bild , Bayreuth 1954. Urteil der Rezensenten gelang es ihm, durch eine ausgefeilte Personenregie (die im ersten Ring zugunsten der Statik ganz zurückgesetzt worden war) ein- dringliche Charakterstudien zu schaffen. Die politisch, auch geschlechter- politisch aufgeladene anthropologisch-mythische Sicht weist voraus auf die Regiearbeit Harry Kupfers. Die Inszenierung Wolfgang Wagners blieb

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Wagner-Ring_Druck.indd 167 10.01.2013 11:53:31 ebenso im Bannkreis der wielandschen Neuerungen wie die von Gustav Rudolf Sellner an der Deutschen Oper Berlin (in Bühnenbildern von Fritz Wotruba) oder die von in Wien (1957/1958) und Salz- burg (1967). Dort überwog das dekorativ-gefällige Arrangement in edel designten Bildern.

Kritisch – politisch Die politische Neudeutung des Rings aus dem Geist seiner Entstehungs- zeit (und seiner Rezeption) begann nicht in Bayreuth, sondern in Kassel durch Ulrich Melchinger (1970/1974). Er »historisierte« anders als seine Vorgänger, indem er entmythologisierend die weitreichende historische Aktualität aufzeigte – mit Bildern aus dem 20. Jahrhundert. Die Gibichun- genhalle stammte aus der Nazi-Zeit, Alberich wirkte in einer modernen Schaltzentrale, Wirtschaftsführer Wotan empfing in einem Büro mit bun- ten Plastikmöbeln, Mime werkelte in einem Spießer-Idyll und die Walkü- ren brausten auf Motorrädern heran und trugen Kalaschnikows unter den Armen. Da waren die Versatzstücke bereits versammelt, die bis heute gern benutzt werden. Das Anliegen Melchingers war Kritik an der Mytholo- gisierung, indem er den Ring an die Erfahrungswelt des Publikums her- anführte; weitergehende konzeptionelle Tendenzen (etwa Ideologie- oder Technikkritik) blieben vage. Eine wichtige Rolle in der Neupositionierung des Rings »nach Wie- land« spielten die Felsensteinschüler , Götz Friedrich und (später) . Ihnen gemeinsam ist ein ausgesprochen theatraler Zugriff und eine intensive Personenführung. Gleichzeitig mit Götz Fried- rich in London inszenierte in Leipzig Joachim Herz (1973–1976) den Ring. Er erkannte im Sinne George Bernard Shaws ( 1898) die sozialen und politischen Probleme des 19. Jahrhunderts (und ihr Fort- wirken im 20.) im zeittypischen Gewand der germanischen Mythologie. Er fragte, ob Alberich der erste Kapitalist war und entdeckte im »freien« Menschen Siegfried faschistische Züge. Rudolf Heinrich zeigte Walhall als historistische Burg und die Gibichungenhalle als »nationalsozialisti- sche« Architektur der 1930er-Jahre, dekoriert mit Bannern, wie sie die Nazi-Propaganda (aber auch die sozialistische) favorisierte. In Projektio- nen wurden Fotografien bekannter Bauten des 19. Jahrhunderts wie des Justizpalasts in Brüssel, der Kaisertreppe des Wiener Burgtheaters und des Niederwalddenkmals einbezogen, der Walkürenfelsen zitierte Kriegs- erinnerungsstätten des 19. Jahrhunderts: eine geflügelte Victoria mit Lor-

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Wagner-Ring_Druck.indd 168 10.01.2013 11:53:31 beerkranz in der Hand, sie schwebte allerdings über einem Bunker. In die- sen Dekorationen machte Herz mit seinem »realistisch-komödiantischen« Wagnertheater Schluss mit der Abstraktion und der Statuarik, aber auch der archetypischen Psychologie der Personenführung, hier wurde agiert, ja chargiert fast bis zum Schmierentheater, um mit derartiger Komödi- antik die Neubayreuther Weihestimmung zu vertreiben. Wäre Leipzig Bayreuth, so wäre die inszenatorische Wende, die mit Patrice Chéreaus »« bestimmend wurde, von Joachim Herz ausgegangen. Götz Friedrichs Inszenierung in London 1974/1976 berief sich auf die materialistische Geschichtstheorie als Mittel zum Verständnis von Wagners Werk, dessen Essenz der Kampf um die Macht und die Unterdrü- ckung der Besitzlosen sei. Er vermied allerdings historische Konkretisie- rung, verstand das Rheingold als ironisches Mysterienspiel, die Walküre als psychologisches Drama des 19. Jahrhunderts, den Siegfried als Mär- chen und die Götterdämmerung als Untergang der Zivilisation mit Zügen von George Orwells 1984. In ihrer Neubearbeitung für die Deutsche Oper Berlin entfaltete die Inszenierung eine ungleich stärkere Wirkung. Die Zeit war reif für eine Neuorientierung auch in Bayreuth. Als Patrice Chéreau im Jahre 1976 den »Jahrhundertring« inszenierte, kannte er die Leipziger Inszenierung von Herz nicht; dass sich beide dennoch in manchen Punkten berühren, ist ein Reflex der Zeit »nach 1968« mit ihrer Politisierung und der »Karnevalisierung« als Mittel der politischen Kritik. Mit seinem Bühnenbildner Richard Peduzzi und dem Kostümentwerfer Jaques Schmidt wollte der Regisseur die sozialhistorischen Verhältnisse der Entstehungszeit sichtbar und mit dem Aufrufen aktueller Situationen die Kontinuität der Gesellschaftskonstruktion erlebbar machen. Die Plura- lität der szenischen Mittel bei Chéreau, die die verschiedenen historischen und sozialen Ebenen zeigt (Adelsherrschaft, industrielle Revolution, Im- perialismus des 19., die Kriege des 20. Jahrhunderts), ist nicht beliebig, sondern kritisch eingesetzt. Typisch dafür ist Walhall als Collage aus Ringstraßenmonumentalitiät, Fabrikantenvilla und moderner Industrie- architektur, oder Siegfrieds Schmiedeleistung mithilfe eines Dampfham- mers, während Mime noch ganz traditionell handwerklich vorgeht und scheitert. Überzeugend war die Personenregie weniger durch die komödi- antischen Momente (wie bei Loge) als durch eindrucksvolle symbolische Gesten, wie die »gebrochene« Brünnhilde im 2. Aufzug Götterdämmerung oder sie als »weißer Vogel Albatros« im Schlussbild. Chéreaus intensive Arbeit mit den Sängern griff Wagners Postulat einer eindringlichen Dar- stellung auf und setzte es überzeugend um. Dass stimmliche Qualität und sängerische Perfektion mitunter zu wünschen übrig ließen, wurde allge-

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Wagner-Ring_Druck.indd 169 10.01.2013 11:53:31 mein in Kauf genommen. Wagner selbst war es im Fall seines Siegfried ähnlich widerfahren. Wütende Proteste wichen im Lauf der Zeit einer wei- ten Akzeptanz der Inszenierung wegen der schauspielerischen Stimmig- keit der Figuren und der bildlichen Überzeugungskraft der Dekors. Das neutralisierte für nicht wenige Zuschauer die politische Botschaft von der Fortdauer der Probleme des 19. Jahrhunderts in unserer Zeit. Dennoch konnte in der Folge kaum ein Regisseur an den politischen Implikationen des Rings vorbeiinszenieren, er musste sie zumindest in Versatzstücken aufscheinen lassen.

Politik – Mythos – Psychologie Überwunden wurde die sozial-politische Perspektive bzw. dieser Gestus zuerst durch in Frankfurt am Main (1985–1987), die – ähn- lich wie Wieland Wagner – den Ring aus dem psychologisch verstandenen Mythos interpretierte und zwar im Sinne Freuds als Verbildlichung des Widerspiels narzisstischer (männlicher) Allmachtsphantasien Alberichs, Wotans und Siegfrieds und der Rückkehr zur Mutter (Brünnhilde). Die Bühne ist durch teils sinnfällige, teils verrätselte Symbolik geprägt, aber nicht in wielandscher Auratisierung, sondern theaterhaft bildlich cha- rakterisierend, wie Fricka mit Handspiegel und Lippenstift, Siegfried mit Steiff-Raben und Taschenmesser, aber auch einer von innen beleuchteten Theaterkugel als Rheingold oder blutroten Pflastersteinen für den Hoch- zeitszug Gunthers und Brünnhildes. So wurde die Theaterhaftigkeit der dargestellten Ereignisse immer wieder »ausgestellt«. Harry Kupfers Bayreuther Ring von 1988 knüpfte sowohl an die psychologische wie an die politische Deutungstradition an, indem er Arche­typisches in der heutigen geschichtlichen Situation aufrufen wollte. Auch bei ihm agieren männliches gegen weibliches Prinzip, Macht gegen Liebe, aber die Konflikte gehen durch die Figuren hindurch und machen sie damit menschlich glaubhaft. Während die Personenregie Kupfers an- thropologische Grundkonstellationen zeigt, ist die Bühne mit technizis- tisch-abstrakten Bildern und Laserstrahlen, aber auch mit Technoschrott im Siegfried und dem Raumschiff der Rheintöchter in der Götterdämme- rung, im Sinn einer mechanistischen Moderne aktualisiert. Historisches tritt hinzu: Neben Geschosskratern und Schützengräben (der »Sieg- friedlinie«?) steht die Todesrampe von Auschwitz. So soll auch der Ring nicht Anfang und Ende »der Welt« vorführen, sondern einen heutigen Ausschnitt aus der Geschichte, die sich von Katastrophe zu Katastrophe

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Wagner-Ring_Druck.indd 170 10.01.2013 11:53:31 fortsetzt, eine Zivilisation, die an ihren eigenen Gesetzen scheitert. Kupfer erhellt »Götterdämmerung«, 1. Aufzug, 3. Sze- ne: Brünnhilde und Waltraute im Ber­ die »Spielregeln des Untergangs«, der jetzt liner »Tunnel«, Götz Friedrich 1985. und hier stattfindet. Doch bleibt es nicht bei der Auslöschung der Zivilisation durch eine Atomkatastrophe, die von einer dekadenten Abendgesellschaft im Fernsehen verfolgt wird, sondern Kupfer visualisiert das »Prinzip Hoffnung«, indem er zwei Kinder mit Ta- schenlampen auf die Suche nach einer Zukunft schickt. Damit ist in die- ser Inszenierung der politische Anspruch der 1970er-Jahre aktualisiert: Die Gegenwart erscheint nicht mehr als Konsequenz der Strömungen des 19. Jahrhunderts, sondern gezeigt wird die Aktualität eines katastrophi- schen Menschen- und Geschichtsbilds. Die einzige Inszenierung der 1980er-Jahre, die heute noch zu sehen ist, hat die Zeit bemerkenswert gut überstanden: Götz Friedrichs (neu konzipierter) Ring an der Deutschen Oper Berlin von 1984 /1985 und 1985 /1986. Er spielt nicht mehr »auf dem Theater«, sondern in einem Tunnel, der an U-Bahn-Röhren erinnert. Der hat eine zweifache Bedeu- tung: als realer Raum, in den sich die Götter nach einer Atomkatastrophe zurückgezogen haben, sowie als symbolischer Raum der Erinnerung, als »Zeittunnel«, in dem sich alles ereignet, die Götter ihre eigene Geschichte nachspielen, wieder und wieder. Der Vorhang geht anderthalb Minu- ten vor dem Beginn der Rheingold-Musik auf, man sieht die Gestalten

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Wagner-Ring_Druck.indd 171 10.01.2013 11:53:32 in Leichentücher eingemummt regungslos dasitzen, genau wie dann im Schlussbild der Götterdämmerung. Ist das Ende der Anfang? Erleben alle alles noch einmal? Lernen sie etwas aus der Katastrophe? Das ist großes Welttheater, arbeitet mit Chiffren der Gegenwart wie dem nuklearen Be- drohungsszenario, zielt jedoch auf eine umfassende Geschichtsdeutung. »Sollen es andere Götter sein? Oder keine?« könnte die Frage mit Bertolt Brecht lauten. Politische Konkretisierungen meidet Friedrich weitgehend, was ihn interessiert, ist vor allem das My- »Götterdämmerung«, 3. Aufzug, 3. Sze- tho- und Psycho-Drama. Weil auch die ne: , Siegfried und Hagen in Bühne von Peter Sykora auf technisches der »politischen« Inszenierung von Jürgen Flimm, Bayreuth 2003. Spielwerk verzichtet, ist diese Realisie- rung weniger an die Aktualitäten (und Pseudoaktualitäten) der Entstehungszeit gebunden als so manche gleichzeitige. Friedrichs Ring markiert in anderer Weise als der von Ruth Berghaus die Abkehr von der konkreten Politisie- rung der 1970er-Jahre. Nachklang der politischen Deutung ist die Inszenierung von Jür- gen Flimm bei den Bayreuther Festspielen (2000–2004), sie will den Ring in die Gegenwart versetzen und so die Aktualität der »Parabel des Unter- gangs« (Udo Bermbach als politologischer Berater) aufzeigen, eine Folge von Machterwerb, Machterhalt, Machtzerfall. Die Bühne von Erich Won- der mischt Symbolisches und Realistisches (ein Lift für die Rheintöchter, eine Konzernzentrale mit Corbusiersesseln für den Armbanduhrträger Wotan, der etwas unmodische Schreibtisch für Alberich), es gibt komödi-

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Wagner-Ring_Druck.indd 172 10.01.2013 11:53:32 antische Szenen, wie das Picknick Mimes nach Fafners Tod, und herme- tische, wie den (später leider gestrichenen) Auftritt als Kind zu den Schlusstakten der Götterdämmerung: Rocking Wagner: Der Walkürenritt, »Die Der Parsifal dichtet den Ring weiter und Walküre«, 3. Aufzug, 1. Szene in der scheint eine Lösung anzubieten. Inszenierung von Andreas Kriegenburg in München 2012.

Was ihr wollt, wie es euch gefällt Es scheint, dass die Zeit der großen Konzepte vorüber ist. Zwei Stränge bilden sich heraus: einmal ein mythtisierend-märchenhafter, wo »nur die Geschichte erzählt wird«, dann ein psychologisch ausdeutender; auf bei- des hatte bereits Wagner als sein eigener Regisseur großen Wert gelegt. Der Stuttgarter Ring von vier Regisseuren ist symptomatisch, denn er bietet ein Panoptikum unterschiedlicher Herangehensweisen: Joachim Schlömers ritualhaftes Rheingold in einem Kursanatorium des frühen 20. Jahrhunderts, Christof Nels Walküre als ibsenhaft psychologisieren- des Familiendrama, Jossi Wielers rockerhaft zeitgenössischer Siegfried und Peter Konwitschnys Götterdämmerung als ironisiertes Volkstheater mit burlesken Zügen, das am Schluss als Budenzauber entlarvt wird: Der Ring spielt (wieder einmal) auf dem Theater. Brünnhilde singt ihre große Szene im roten Abendkleid, weckt die Toten, Gunther und Siegfried, auf und steckte sich den Ring an den Finger, es gibt keine Rheintöchter, kei- nen Brand Walhalls, weder Weltzertrümmerung – noch erlösten Neube-

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Wagner-Ring_Druck.indd 173 10.01.2013 11:53:32 ginn. Die Ratlosigkeit über den Schluss wird programmatisch ausgestellt, indem lediglich Wagners Regieanweisungen in seiner Handschrift als Rolltext projiziert werden. Die Bayreuther Produktion von 1994 wandte sich wieder dem My- thos zu; und rosalie wählten als Spielfläche ein Segment der Weltkugel, die ihrerseits die Kugelgestalt der Zeit abbildet. Die Figuren wurden durch Symbole charakterisiert, im Unterschied zum bei Kupfer mitunter störenden Aktionismus konzentrierte sich die Personenführung auf das Detail. Kirchners Remythisierung war bei der Kritik nur mäßig erfolgreich; sie wurde als unverbindlich dekorativ angesehen. Zu den mythisierenden Inszenierungen gehört die von in Zürich 2000/2002, übernommen am Théâtre du Chatelet, Paris 2005 /2006. Sie ist eher regisseurspezifisch als werkspezifisch: langsame, statische Bewegungen und Gesten vor wechselnden, weitgehend farbigen Hintergründen mit entsprechenden Lichtwirkungen, das kennt man von Wilson seit den 1970er-Jahren. Diese Intensität der Langsamkeit passt zu statischen Szenen besser als zu ereignisprallen. Deshalb überzeugte die Götterdämmerung am wenigsten. Dass der Ring Momente eines liturgi- schen Mysterientheaters umfasst, macht Wilsons Regie in der Nachfolge Wieland Wagners deutlich. Das neue Opernhaus in Valencia war der Schauplatz der spektaku- lären Inszenierung der katalanischen Gruppe , die mit Schauspielern und Akrobaten sowie spektakulärer Videotechnik auf acht Bildflächen Meta-Star-Wars-Effekte produzierte, bildgewordene Mythen der Moderne. Die Akrobaten sind einmal Szenerie, dann Akteure als Re- präsentanten der Figuren, dann Bühnenarbeiter, die immer wieder bewusst machen, dass es sich um künstlich erzeugte Bilder handelt. Diese sind oft atemberaubend, doch auch wieder post-modern beliebig, ebenso wie die Kostüme – Siegfried als Geschäftsmann in Anzug und Krawatte, so auch die Gibichungen. Bei aller Bewunderung für die Brillanz der Truppe bleibt doch ein großes Ungenügen an der (so gut wie inexistenten) Personenführung. Ebenfalls als eine nur »auf das Erzählen der Geschichte« konzen- trierte Inszenierung (und das Gegenbild zum in Amerika unbeliebten »euro-trash« der Deutungen) ist die von für die Metropoli- tan Opera in New York zu verstehen: Er hat eine Monstermaschine aus 24 beweglichen Streben bauen lassen, die sich in eine Wasseroberfläche, eine Regenbogenbrücke, den Walkürenfelsen und einiges mehr verwandeln lassen und, entsprechend angestrahlt, eindrucksvolle Effekte erzeugen. Das 45 Tonnen schwere Objekt funktioniert allerdings nicht perfekt, so- dass die intendierte Zauberwirkung schnell verblasst. Da so gut wie keine

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Wagner-Ring_Druck.indd 174 10.01.2013 11:53:32 Personenregie zu erleben ist und auch die musikalische Direktion () eher trocken und uninspiriert bleibt, wirkt das Spektakel schnell leer. Nach seinem Hightech-Ring in Los Angeles findet Achim Freyer in Mannheim surreale Bilderwelten von beträchtlicher Faszination in seiner mythisierenden Inszenierung; die Verweigerung von theatraler Unmittel- barkeit im Darstellerischen führt, ähnlich wie bei Wilson, zu einer ritual- haften Distanzhaltung. Andreas Kriegenburgs Konzeption (München 2011/2012) enthüllt sich erst am Schluss der Götterdämmerung (und im Programmheft): Die überlebenden »Männer und Frauen« vergegenwärtigen die Geschichte des Rings und spielen sie für sich und das Publikum. Auf positivere Resonanz in den Feuilletons stoßen die aktuellen psychologisierenden Deutungen. Diese Dimension ist für Kasper Holtens Inszenierung 2005 in Kopenhagen die wichtigste – nicht im Sinne von Ar- chetypen, sondern als individuelle Psychologie einer Figur: Brünnhildes. Der Ring ist als Erinnerungskonstruktion, als persönliche Mythologie die- ser Gestalt interpretiert. Zu den Klängen am Beginn des Rheingolds steigt sie nicht in den »Brunnen der Vergangenheit«, sondern auf den Dach- boden, wo sie dem Ursprung ihrer Geschichte auf die Spur zu kommen sucht. Diese ist von den Brüchen des 20. Jahrhunderts geprägt: Das Rhein- gold ist in die 1920er- und 1930er-Jahre versetzt, in denen sich die großen Ideologien herausbilden, die Walküre in die 1950er-Jahre, der Siegfried in die Nach-68er-Jahre mit dem Aufbegehren der Jugend, die Götterdämme- rung schließlich beschwört die Konflikte am Ausgang des Jahrhunderts. Brünnhilde begreift schließlich, dass männliche Machtgier ihr Leben zer- stört hat, und setzt den Palast ihres Vaters in Brand. Holten will mit die- ser Historisierung seine Heldin zum Prototypen des heutigen Menschen machen. Es gelingt ihm die (mitunter unnötig trivialisierten) Episoden in eine Geschichte einzubinden, die, indem sie als die einer Person erzählt wird, Einheitlichkeit und Überzeugungskraft besitzt. Personenführung ist die Stärke des Lübecker Kammerspiel-Rings 2007–2010 von Anthony Pilavachi. Die persönlichen Konflikte stehen im Zentrum, der Mythos ist konsequent ins Bürgerliche übersetzt, Bezüge zum Werk Thomas Manns (Buddenbrooks, Zauberberg) sind eher ein Augenzwinkern mit dem Lübe- cker Publikum, als dass sie zur Erhellung der Abläufe beitrügen. Die Zeit der politischen Ringe scheint aufs Erste vorüber, die mythi- sierenden tragen das Handicap der postmodernen Beliebigkeit ihrer Bild- sprache. Ein zwingendes Konzept funktioniert allenfalls dann, wenn der Ring in einer Gesellschaft produziert wird, die noch über ein einigerma- ßen intaktes mythisches Bezugssystem verfügt. Somtow Sucharitkul hat

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Wagner-Ring_Druck.indd 175 10.01.2013 11:53:32 »Panzerkreuzer Walküre« Dass prominente Filmregisseure Wagner inszenieren, ist keine neue Idee – Stalin hatte sie 1939. Er beauftragte den international renommierten Sergei Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin) mit Regie und Ausstattung einer Aufführung zur Feier des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes. Die Walküre sollte im Bolschoi-Theater gespielt werden. Eisenstein hatte kaum Erfahrung als Theater- und gar keine als Opernregisseur. Wie nicht wenige seiner späteren Kollegen misstraute er der Macht der Musik und setzte vornehmlich auf die Kraft der Bilder. Das Resultat war ein visuel- ler Overkill. Die narrativen Momente des 1. Aufzugs (wie die Erzählungen Sieglindes und Siegmunds) wurden durch einen »mimetischen Chor« dar- gestellt. Farbige Lichteffekte bezogen die Zuschauer mit ein wie in der Liebesszene zwischen Siegmund und Sieglinde, die, von Blättern züchtig verhüllt, im Geäst der riesigen Esche (Weltesche) stattfand, aus der gol- denes Licht ins Publikum strahlte. Im 3. Aufzug begleiteten die Walküren (Solistinnen und mimetischer Chor) Wotan als Verkörperung seines wahren Gefühls, sie geleiteten Brünnhilde mit einem Trauerkondukt zum Felsen. Die Bühnenräume und Dekorationen waren mobil, so wurde die schlafende Walküre emporgehoben in einen riesigen Ring, eine sich in den Schwanz beißende Schlange, die schon am Anfang als mythisches Symbol (Uro- boros) die Bühne beherrscht hatte. Die Bühnentechnik (Pjotr Williams) konnte nicht alle Vorstellungen Eisensteins verwirklichen, mit denen er die Grenzen zwischen Bühne und Kino aufheben wollte. Die Walküre wurde bald nach der Premiere am 21. November 1940 abgesetzt. Wotan, der sei- nen eigenen Untergang herbeiwünschte, mag der sowjetischen Staats- und Parteiführung unheimlich geworden sein.

in Bangkok Rheingold und Walküre mit thailändischen Kostümen und Re- ferenzen auf buddhistische Ikonografie inszeniert: Die Rheintöchter sind Tempeltänzerinnen, die Götter, die zunächst in Pavillons sitzen, legen ihre traditionelle Kleidung ab und tauschen sie gegen westliche Freizeitmode, Walhall ist eine asiatische Megacity. »Der Ring handelt vom Untergang der Götter«, sagt der Regisseur, »das passt genau hierher«. Kaum eine Bühne zwischen Freiburg und Dessau, die heute nicht den Ring spielt. »Jedem seinen eigenen Ring«, scheint das Motto für den Beginn des 21. Jahrhunderts. Wagner ließ auf den Grundstein des Fest- spielhauses schreiben: »Hier schließ ich ein Geheimnis ein…«. Bisher scheint er recht zu behalten.

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