Wagner) Vortrag Am 21

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Wagner) Vortrag Am 21 Miriam Drewes Die Bühne als Ort der Utopie (Wagner) Vortrag am 21. August 2013 im Rahmen der „Festspiel-Dialoge“ der Salzburger Festspiele 2013 Anlässlich des 200. Geburtstags von Richard Wagner schreibt Christine Lemke-Matwey in „Der Zeit“: „Keine deutsche Geistesgröße ist so gründlich auserzählt worden, politisch, ästhetisch, in Büchern und auf der Bühne wie der kleine Sachse mit dem Samtbarrett. Und bei keiner fällt es so schwer, es zu lassen.“1 Allein zum 200. Geburtstag sind an die 3500 gedruckte Seiten Neuinterpretation zu Wagners Werk und Person entstanden. Ihre Bandbreite reicht vom Bericht biographischer Neuentdeckungen, über psychologische Interpretationen bis hin zur Wiederauflage längst überholter Aspekte in Werk und Wirkung. Inzwischen hat die Publizistik eine Stufe erreicht, die sich von Wagner entfernend vor allen Dingen auf die Rezeption von Werk und Schöpfer richtet und dabei mit durchaus ambivalenten Lesarten aufwartet. Begegnet man, wie der Musikwissenschaftler Wolfgang Rathert konzediert, Person und Werk naiv, begibt man sich alsbald auf vermintes ideologisches Terrain,2 auch wenn die Polemiken von Wagnerianern und Anti-Wagnerianern inzwischen nicht mehr gar so vehement und emphatisch ausfallen wie noch vor 100 oder 50 Jahren. Selbst die akademische Forschung hat hier, Rathert zufolge, nur wenig ausrichten können. Immerhin aber zeigt sie eines: die Beschäftigung mit Wagner ist nicht obsolet, im Gegenteil, die bis ins Ideologische reichende Rezeption führe uns die Ursache einer heute noch ausgesprochenen Produktivität vor Augen – sowohl diskursiv als auch auf die Bühne bezogen. Ich möchte mich in diesem Vortrag weniger auf diese neuesten Ergebnisse oder Pseudoergebnisse konzentrieren, als vielmehr darauf, in wieweit der Gedanke des Utopischen, der Richard Wagners theoretische Konzeption wie seine Opernkompositionen durchdringt, konturiert ist. Als untrennbar damit verbunden erweist sich die Konzeption eines Festspiels. 1 Lemke-Mattwey, Christine: Ekstasen mit viel Rosenwasser, in: Die Zeit online vom 13.12.2012 http://www.zeit.de/2012/41/Richard-Wagner-200-Geburtstag-Literatur, letzter Zugriff am 18.08.2013. 2 Vgl. Rathert, Wolfgang: Wagner heute? Das Werk Wagners fungiert heute als Katalysator für die unterschiedlichsten Weltentwürfe, in: Neue Zeitschrift für Musik, 01/2013, S. 18-23. Was diese Herangehensweise meines Erachtens so interessant macht, ist zudem der ideelle Grundimpetus, der Bayreuth und die Salzburger Festspiele, 1920 durch Max Reinhardt gegründet, miteinander verbindet. Der Aspekt des Utopischen im Fest oder genauer, im Festspiel, ist hier der Anlass, um über den konkreten Utopie-Gedanken bei Wagners Fest hinaus, über dessen Umsetzung für die Bühne zu sprechen. Im folgenden möchte ich Ihnen deshalb weniger einen biographisch-anekdotischen Zugang zum Thema bieten, sondern mich über historische und insbesondere ideengeschichtliche Ansätze dem Gegenstand nähern. Dabei möchte ich meinen Vortrag in folgende drei Teile gliedern: Im ersten Teil soll der Gedanke des Utopischen in Wagners theoretischen Schriften herauspräpiert und auf dessen ideengeschichtlichen diskursiven Kontext bezogen werden.3 Im zweiten Teil möchte ich kurz Entwicklung und Entstehung von Wagners Festspielgedanken erläutern. In einem dritten Teil schließlich, soll auf die Realisierung des Utopischen in ausgewählten Opernkompositionen eingegangen werden und ferner darauf, ob die Idee eines utopischen Kunstideals in zeitgenössischen bzw. gegenwärtigen Inszenierungen noch identifizierbar bzw. überhaupt sinnvoll ist. Zu Punkt eins: Bereits vor Wagners theatertheoretischen Schriften, auf die ich im weiteren Verlauf näher eingehen werde, erlangte die Musik in Verbindung mit einer ausgeprägten Festkultur und im Rahmen eines neu erwachenden Nationalbewusstseins erhebliche Bedeutung. Neben einer politischen Ausrichtung und einem hohen ästhetischen Anspruch verband die Musikfeste des Vormärz ein ambitioniertes Bildungsziel. Ernst Lichtenhahn, der zahlreiche historische Quellen auswertete, fand etliche Kommentare mit ähnlicher Beschwerde: die Musik habe ihre gesellschaftliche Bedeutung eingebüßt, sei inhaltsleer geworden und zur reinen Unterhaltung depraviert.4 Dieser offenbar damals wie heute vertraut klingenden Klage wollten die Initiatoren der Musikfeste im frühen 19. Jahrhundert entgegenwirken. Durch die Präsentation anspruchsvoller Komponisten wie Haydn, Händel oder Beethoven sowie die Förderung junger Talente sollten, zumindest mittelbar, auch politisch gesellschaftliche Ziele gefördert werden. Es ging, so Ernst Lichtenhahn, auch darum, die Kunst an die patriotische Vision einer Nation anzubinden.5 3 Drewes, Miriam: Die Bühne als Ort der Utopie. Zur Ästhetik von Ereignis und Präsenz, Bielefeld: transcript 2010, S. 177-187. 4 Vgl. Lichtenhahn, Ernst: Das bürgerliche Musikfest des 19. Jahrhunderts, in: Paul Hugger (Hg.): Stadt und Fest. Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Fesstkultur, Unterägeri: W&H Verlag 1987, S. 161-179, S. 163. 5 Vgl. ebd., S. 169f. Allein schon dieser Umstand lässt es wenig sinnvoll erscheinen bei Wagners Konzeption des Gesamtkunstwerks bzw. bei seiner Festspielkonzeption von einer eindeutigen Zäsur zu sprechen. Dagegen spricht auch die sich schon seit längerem formierende Kombination von Ästhetik und Politik in philosophisch-ästhetischen Schriften auf die ich im folgenden ebenfalls näher eingehen möchte. Zunächst aber scheint es sinnvoll, einige zentrale Aspekte von Wagners utopischen, dabei durchaus in sich widersprüchlichen Gedanken vorzustellen. Wichtig zu wissen ist, dass, wie die spezialisierte Wagner-Forschung inzwischen konzediert, die theoretischen Schriften, mit Richard Kleins Worten (Zitat) „keine ideologische Beigabe des künstlerischen dar[stellt], sondern [die] ästhetische, kompositorische und dramaturgische Sphäre in der Substanz mitbestimmt […].“6 (Zitat Ende) Bereits in seiner ersten Schrift „Die Kunst und die Revolution“ aus dem Jahr 1849 wird deutlich, wie sehr diese in die aktuellen politischen Debatten eingebunden ist. Einer Zeit, die bis in die Kleiderordnung und Grußformeln durchdrungen war von einem Bedürfnis nach Anbindung der praktischen Politik an ethische Prinzipien wie Freiheit und Gerechtigkeit, nach nationaler Selbstvergewisserung und einer freiheitlichen Bürgergesellschaft. Es ist bekannt, dass Wagner aufgrund seiner aktiven Beteiligung an den Aufständen zur Unterstützung einer Reichsverfassung 1849 ins Schweizer Exil musste. Doch auch die theoretische Schrift ist ganz von dem revolutionärem Pathos durchdrungen. Religiionskritik, Kunstkritik, Institutionenkritik und auch Kapitalismuskritik sind in der Schrift tonangebende Leitgedanken, wenngleich sich Wagner, keiner dieser programmatischen Aspekte wirklich eindeutig anschließen mag. Wagner bleibt, was Fragen der praktischen Umsetzung angeht, im Diffusen. Seine Schrift gibt keine Anleitung zu einer genauen Staatsverfassung, wie sie etwa bei historischen Utopien eines Thomas Morus mit dem Roman „Utopia“ von 16, oder eines Tommaso Campanella mit „Der Sonnenstaat“ von 1602 anzutreffen ist. Aus künstlerischer Perspektive erstaunt zunächst die Verve, mit der Wagner vor allem auch gegen die Kunst seiner Zeit polemisiert. In seinen Augen hat ausgerechnet die „höchste“ Kunstform, das Theater, einen Tiefpunkt erreicht. Wagner schreibt (Zitat): 6 Klein, Richard: Wagners plurale Moderne, in: Claus-Steffen Mahnkopf (Hg.): Richard Wagner. Konstrukteur der Moderne, Stuttgart: Klett Cotta 1999, S. 185-225, S. 190. „Unser Theater bietet bloß den bequemen Raum zur lockenden Schaustellung einzelner, kaum oberflächlich verbundener, künstlerischer oder besser kunstartiger Leistungen.“7 (Zitat Ende) In seinen Augen geht der Verfall der Theaterkultur aber nicht allein auf binnenkünstlerische Entwicklungen zurück, sondern ist Teil einer umfassenden Degeneration der Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Das zum bloßen Schaubetrieb verkommene Theater bedient ein Publikum, das seinerseits innerlich korrumpiert ist. Es stellt, wie Wagner weiter schreibt, (Zitat) „die Blüthe der Fäulniß einer hohlen, seelenlosen naturwidrigen Ordnung der menschlichen Dinge und Verhältnisse dar“.8 (Zitat Ende) Beleg für diese Naturwidrigkeit ist ihm – und das ist ein bis heute bekannter Topos – die Ausrichtung der Kunst am Ökonomischen, ihre Orientierung an, so Wagners Worte, an „Industrie“ und „Gelderwerb“. Wagners Gegenwartskritik, die zugleich Kulturkritik ist, bleibt allerdings nicht in der abstrakten Negation stecken. Er hat eine Idee, um nicht zu sagen, eine utopische Idee, die zur Heilung dieses jämmerlichen Zustands beitragen soll und auch kann. In programmatischem Rückbezug auf das Theater der Antike, insbesondere auf die Tragödien des Aischylos aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, sieht Wagner die Möglichkeit zur Wiedererlangung einer universalen Kunst, die die partikulare Existenz des Menschen in der Moderne aufhebt und ihn über die Kunst zum Teil eines sinnvollen politischen Ganzen werden lässt. Dieser Ansatz ist dabei alles andere als neu. Wagner ist längst nicht der erste, der solche Gedanken formuliert. Um die genaue Verfasstheit des Utopischen bei Wagner nachzuvollziehen, möchte ich daher ein wenig ausholen und auf Texte aus Wagners Vergangenheit zurückgreifen. Knapp 100 Jahre vor Wagner entwarf Jean-Jacques Rousseau eine durchaus seinerseits ambivalente Sozialutopie, unter besonderer Berücksichtigung, um nicht zu sagen, Negation des Theaters. Rousseau arbeitete rastlos an der Konzeption einer praktischen Politik zur Erreichung einer neuen republikanischen
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