, im Juni 2014

Aus der Geschichte des Hotel Bern

HundertVolkshaus und viele weitere 1914 Jahre 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1893

evor 1914 in der Berner Zeughausgas- Am 28. April 1893 jedenfalls kaufte der se das neue Volkshaus eröffnet wurde, linkspatriotische Grütliverein die Liegen- B Grosse Versammlung Das Volkshaus vor dem das heutige «Hotel Bern», war an dieser schaft an der Zeughausgasse Nr. 9, «Schatt- der Arbeiter-Union Bern in der Stelle – bereits ein anderes Volkshaus. Es seite im gelben Quartier der Stadt Bern», war das älteste in der Schweiz, viele Jahre Wohnhaus mit Laubenanbau und Stöckli Wirthschaft Mischler, lang geplant und 1893 verwirklicht, als samt Wirtschaft, um sie als Volkshaus zu Mattenhof Volkshaus Sonntag den 19. März 1876 man zum Beispiel in Zürich gerade erst benutzen. Vorbesitzer waren ein freisinni- Nachmittags 2 Uhr anfing, über ein eigenes Volkshaus nach- ger Nationalrat und dessen Schwester. Tagesordnung: zudenken. 1) Vortrag über Kranken­kassenwesen Seit 1876 hatte die Arbeiterunion Bern 2) Verschiedenes nach einem solchen Haus gesucht. In den Der Central-Ausschuss Jahren der Industrialisierung war die Ar-

beiterschaft stark gewachsen, doch ihre Versammlungsplakat von 1876: Politische Aktivitäten der Arbeiterschaft wurden politischen Aktivitäten wurden nicht von nicht von jedem Wirt geschätzt. jedem Wirt geschätzt, und man brauchte dringend Versammlungsräume.

1889 schlug Grossrat Nikolaus Wassilieff, ein russischer Emigrant, in Muri eingebür- gert und 1890 zum ersten Berner Arbeiter- sekretär gewählt, den lokalen Arbeiteror- ganisationen eine Geldsammlung für den Bau eines Vereinshauses vor. Wassilieffs Idee war folgende: «Gebäude mit Saal für 1’000 Personen im Minimum, Wirtschaft, Bibliothek, Lesezimmer, Klubzimmer, einfach und solid; Arbeitervereine sind Eigentümer; jeder Verein hat gleiche Rechte in bezug auf die Regelung aller Angelegenheiten des Ver- einshauses». Bild: Stadtarchiv Bern Bild: Stadtarchiv Robert Grimm, später ei- ner der Anführer im Ge- neralstreik und Regie- rungsrat, datiert die Volkshaus-Idee auf eine laue Sommernacht 1889, als drei Genossen nach einer Sitzung an der Aare standen und sich sagten: «Wir brauchen einen Zentralpunkt, von dem alle Kräfte ausströmen, wenn wir mit unserer Ar- beiterbewegung in Bern vorwärts kommen wollen.» Mit einer spontanen Kollekte, die Fr. 1.50 ergab, schreibt Grimm 1915, sei in jener Nacht der Grundstock für das Volks­ haus gelegt worden. Bild: Stadtarchiv Bern Bild: Stadtarchiv Projektarbeiten für das neue Volkshaus von 1914, vom Architekten Otto Ingold. Bild: Denkmalpflege der Stadt Bern Das erste Volkshaus in der Schweiz entstand an der Zeughausgasse 9 in Bern. 3 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1914

Stunde, die Arbeiterunion Bern hatte Palast aus Dreck und Eisen 7’500 Mitglieder. Speziell war auch die Architektur. In den m alten Volkshaus haben viele Leute vorangehenden Jahrzehnten hatte man Iverkehrt. Obwohl es dort keinen Saal in der Berner Innenstadt vorzugsweise für tausend Leute gab, wie ihn Wassilieff mit Sandstein gebaut und selbst moder- sich vorgestellt hatte. Die Zahl der Arbei- ne Bürogebäude im heimatlichen Stil terinnen und Arbeiter in Bern wuchs alter Patrizierhäuser errichtet. Die Arbei- weiterhin stürmisch, und nach ersten ter bauten ihr Haus nun aus Beton, aus Krisen begann das Haus auch finanziell «Dreck und Eisen», wie es hiess, und in zu prosperieren. Schon bald dachte man einem Stil, der zumindest von den Urhe- über einen Neubau nach: 1906 sicherte bern als absolut modern und passend sich die von Grütliverein und Arbeiter- empfunden wurde. union gemeinsam kontrollierte Volks- Höhlenartige Treppenhäuser und gewölbte Gänge führten in den 1. und 2. Stock. haus AG ein erstes Vorkaufsrecht für eine Der Schriftsteller Jakob Bührer schreibt anstossende Liegenschaft. Nach mehre- 1915: «Wenn es wahr ist, dass die Architek- ren Anläufen erhielt sie inzwischen auch tur die treueste Kulturgeschichtsschreiberin städtische Unterstützung. Als 1911 die ist, so eröffnet das neue Volkshaus­ in Bern bürgerliche Kursaalgesellschaft einen von Architekt Otto Ingold ein neues Kapitel grossen Kredit von der Gemeinde ver- in der Geschichte der kulturellen Entwick- langte, machte die Berner Linke ihre Zu- lung der Bundesstadt.» stimmung von einem ähnlichen Kredit für ein neues Volkshaus abhängig. Robert Grimm, Nationalrat und Redak- tor der Berner «Tagwacht» schreibt 1915: Am 23. April 1911 akzeptierten die «Die Architektur (…) lässt den Zweck des Stimmbürger beide Projekte. Das alte Baues schon von weitem erkennen und ver- Volkshaus sowie die drei Liegenschaften leiht ihm monumentalen Charakter, der Nr. 11, Nr. 13 und Nr. 15 bis hinüber zum Kraft und Stärke der Arbeiterbewegung stim- traditionsreichen Haus «Zum äusseren mungsvoll versinnbildlicht.» Stand» wurden erworben und abgebro- chen. Das Schützengässchen wurde neu Wie es im Inneren ausgesehen hat, wis- Unionssaal mit dem Wandblid «der Redner». Zu sehen im neuen Restaurant Volkshaus 1914. überbaut und unterkellert, es kam fast sen wir nur von Fotografien. Höhlen­ mitten ins Gebäude zu liegen. Der Berner artige Treppenhäuser und gewölbte Gän- Volkshausbau war für seine Initianten ge führten zu einem hellen Saal für 800 ein gigantisches Werk: von sozialdemo- Leute, der mit einigen Handgriffen auf kratischen Finanzierungskünstlern aus- 1’400 Plätze erweitert werden konnte. gedacht, unter Beteiligung verschiedener Genug Raum jetzt für grosse Kongresse Genossenschaften und Vereine, mit Dar- der internationalen Arbeiterschaft. lehen der Aktienbrauerei zum Gurten und der Gemeinde, mit hoher Verschul- dung bei Finanzinstituten. Als die ge- planten Baukosten überschritten waren, sammelte man Geld in einer öffent­ lichen Lotterie. Das Volkshaus kostete 2,5 Millionen Franken, ein qualifizierter Schweizer Arbeiter verdiente damals zwi- Bild: Ringier Zofingen, Schweizer Illustrierte 1919 Bern Bilder: Volkshaus Das im Oktober 1914 eröffnete neue Volkshaus. schen fünfzig und neunzig Rappen pro Theatersaal mit angrenzendem Esssaal, konnte von 800 auf 1’400 Plätze erweitert werden.

4 5 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1915 1941 Die Weltgeschichte zu Besuch Vom Generalstreik zur

as neue Berner Volkshaus wird im alistische Frauenkonferenz statt, präsidiert Zum dritten Mal in diesem ersten Betriebs- Nachlassstundung DOktober 1914 eingeweiht. Doch seit von der deutschen Revolutionärin Clara jahr kehrt die Weltgeschichte am 5. Sep- Baubeginn haben sich die politischen Ver- Zetkin. Als Mann kann Lenin nicht gut tember 1915 im Volkshaus ein: Wieder hältnisse völlig verändert. Der Erste Welt- teilnehmen, so sitzt er im Volkshaus-Res- versammeln sich Sozialistinnen und Sozi- krieg ist ausgebrochen. Die Arbeiterschaft taurant und lässt sich von den Frauen sei- alisten der miteinander Krieg führenden der Nachbarländer steht an der Front und ner Gruppe ständig über den Verlauf un- Länder an der Zeughausgasse. Mit Fuhr- stirbt zu Hunderttausenden in den Schüt- terrichten. Im Café entwirft er sogar eine werken und als ornithologischer Verein zengräben. Die Familien zuhause hun- Schlussresolution, die aber keine Mehr- getarnt, werden sie aus der Stadt hinaus gern. Die Schweizer Arbeiter sind im Ak- heit findet. Aufsehenerregend an der Kon- ins Bauerndorf Zimmerwald gefahren. tivdienst und bewachen die Grenze, auch ferenz ist, dass sie von Frauen aus verfein- Wieder ist Lenin dabei, auch Leo Trotzki in hiesigen Arbeiterhaushalten bricht Not deten Ländern besucht wird und ein kommt nach Bern, deutsche, italienische, aus, während die Männer im Militär, oft Manifest mit dem Titel «Krieg dem Krieg» französische, holländische, polnische, von Herrensöhnchen kommandiert, das verabschiedet. skandinavische, russische Kriegsgegner Gehorchen üben. sitzen in den Kutschen, eingeladen von Ähnliches passiert an der Internationalen «Tagwacht»-Redaktor Robert Grimm. In Für europäische Kriegsgegner ist die sozialistischen Jugendkonferenz, die im Zimmerwald verabschieden sie ein Mani- Schweiz immerhin ein verhältnismässig April 1915 im Volkshaus tagt. Auch hier fest und fordern die Proletarier der Welt freier Ort. In Bern tummeln sich Exilanten setzt sich der schon 45jährige Lenin ins auf, für den Frieden zu kämpfen, denn der

aller Art. Einer von ihnen heisst Wladimir Café und versucht von dort aus, Einfluss Krieg sei nur eine Folge der kapitalisti- www.wikipedia.org Bild: Swiss Federal Archives, Illjitsch Uljanow und nennt sich Lenin. Er auf den Saal zu nehmen. Unter den Dele- schen Profitgier. Meldungen über die Kon- Truppen auf dem Waisenhausplatz während des Landesstreiks. versucht von hier aus, seine Genossen auf gierten aus ganz Europa, die wiederum ferenz von Zimmerwald gehen jetzt um Linie zu bringen. Im Februar 1915 versam- eine Resolution gegen den Weltkrieg ver- die Welt. Eine Nachfolgekonferenz be- icht nur für die sozialistische Inter- wahlsystem, die beide 1919 durchgesetzt melt Lenin im neuerbauten Volkshaus die abschieden, macht sich Willi Münzenberg ginnt im April 1916 ebenfalls im Volks- Nnationale, die 1919 im Volkshaus als werden können, die Alters- und Hinter­ Delegierten der bolschewistischen Aus- besonders bemerkbar, ein junger deut- haus, bevor sie in Kiental fortgesetzt wird. «Berner Internationale» wiederbelebt wer- lassenenversicherung sowie das Frauen- landsgruppen – jene Leute, die zweiein- scher Emigrant, der zum Sekretär der in- Ihr Manifest heisst: «An die Völker Europas, den soll, nicht nur für Gewerkschaftsdele- stimmrecht, bis zu deren Verwirklichung halb Jahre später in Russland die Macht ternationalen Jugendbewegung gewählt die man zugrunde richtet und tötet.» gierte vieler Länder, die sich ebenfalls noch viele Jahrzehnte vergehen. übernehmen werden. Im März 1915 fin- wird und später in der Weimarer Republik 1919 im Volkshaus zur Versöhnung tref- det im Volkshaus eine internationale sozi- ein linkes Presseimperium aufbaut. fen – auch für die Schweizer Linke ist das Von Beginn an hat die Arbeiterbewegung grosse Gebäude schnell ein wichtiges Zen- auch ihre Büros im Volkshaus, die Metall- trum für Sitzungen, Konferenzen, Kampa- arbeiter, die Gipser und Maler, die Holz­ gnen und Mobilisationen geworden. Am arbeiter, der Grütliverein, die Arbeiteruni- 7. November 1918 ruft das «Oltener Akti- on und der Internationale Arbeiterverein onskomitee», das im Volkshaus tagt, ei- logieren im dritten Stock über dem gros- nen Proteststreik aus, der schliesslich zum sen Saal und unter den Hotelzimmern. Im Der markante Eingang zum Restaurant für 300 Personen. landesweiten Generalstreik führt, dem ersten Stock gibt es eine Bibliothek mit ersten und einzigen dieser Art in der Leseraum, der zweistöckige Theater- und Schweizer Geschichte: Der Bundesrat Kongresssaal ist auch als «Volkskino» ein- schlägt ihn mit Militäreinsätzen nieder, gerichtet, das Anfang 1919 mit Stummfil- wobei sich die Truppen in Bern dezenter men seinen Betrieb aufnimmt und später verhalten als etwa in Zürich oder Gren- an eine private Gesellschaft verpachtet chen und hier keine Erschossenen liegen wird. Eine öffentliche Badanstalt für Män- bleiben. Zu den Forderungen des Landes- ner und Frauen, mit je gegen 20 Wannen

streiks 1918 gehören unter anderem oder Duschen, befindet sich im Parterre Bern Bilder: Volkshaus Bild: Ringier Zofingen, Schweizer Illustrierte 1919 Die Hotelzimmer über den Büros der Februar 1919: Kongress der «Berner Internationalen» im Volkshaus. die 48-Stundenwoche und das Proporz- (Männer) und im zweiten Stock (Frauen), Arbeiterbewegung, um 1945.

6 7 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1944 denn die Arbeiterwohnungen sind zu die- ser Zeit noch selten mit Bädern ausge­ Blut- und Leberwürste, stattet. Zwei Restaurants im Parterre, das kleinere ist alkoholfrei, ein Express-Café, dazu ein Coiffeurgeschäft und jenseits des Schildkrötensuppe Schützengässchens ein Schuhladen der Konsumgenossenschaft: So präsentiert sich die Anlage bei der Eröffnung. Das Volkshaus war ein Arbeiterlokal. Schlecht verdienende Leute wie der Dich- Für die verschuldete AG werfen einige der ter Robert Walser verkehrten hier in den Betriebe allerdings zu wenig Geld ab. Die 1920er Jahren zum Speisen. Allerdings Mieten der Gewerkschaftsbüros decken in wird dem Volkshaus bald auch vorgewor- der kriegsbedingten Teuerung nicht ein- fen, es sei zu teuer und ein Gasthaus nur mal die Nebenkosten, das Kino läuft uner- für die besser Situierten. «Volkshäuser müs- wartet schlecht, auch die Saalvermietung sen Volkspreise besitzen. Volkshäuser sollen gelingt nicht im erwünschten Masse, es dem einfachen Bürger ein schmackhaftes gibt Defizite und einen steigenden Ver- Essen, ein angenehmes, mit dem notwendigen lustvortrag, der höhere Zinsen zur Folge Komfort ausgestattetes Hotelzimmer zu be- hat. Auf eine Reihe schlimmer Jahre folgt scheidenen Preisen zur Verfügung stellen», nach dem Krieg zwar ein Aufschwung, heisst es im Jahresbericht 1947. Aus der doch nur bis zur grossen Wirtschaftskrise, Kriegszeit ist das Menubuch eines Kü- und – so heisst es 1964 in einer offiziellen chenchefs erhalten geblieben, abgefasst in Geschichte des Volkshauses: «Von 1936 an Französisch, der Sprache der ambitionier- ging es bergab.» ten Köche. So empfiehlt der Küchenchef seinen Gästen am 1. Mai 1944: 1940 beantragt die Volkshaus AG ein Mittagessen I – Fr. 4.80, ohne Suppe 4 Fr. Nachlassverfahren, die Gläubiger setzen – Gebundene Ochsenschwanzsuppe oder Das Küchenpersonal im Volkshaus um 1920. eine Sanierungskommission ein, gleich- Walliser Spargeln, Mayonnaise-Sauce – zeitig akzeptieren sie ein mehrjähriges Kalbssteak «Prince Orloff», Kartoffeln, Jeden Tag wird die Speisekarte neu formu- Der Zugang durchs Schützengässchen zum Volks­ Stillhalteabkommen. Hart am Konkurs haus, den Restaurants, Bädern den Läden und Püreespinat – Bordure Richelieu. liert: Sautierte Froschschenkel am 2. Mai, Montag, 1. Mai 1944 dem Kino. vorbei wird das Kapital auf Null abge- Seeforellen und Hasenpfeffer, dazu unter Ier Diner à 4.80 frs schrieben und eine neue AG gegründet, in Als zweites Menu gibt es am Maifeiertag dem Titel «Volksgerichte» beispielsweise sans potage 4 frs die Anfang 1945 mehr als ein Dutzend 1944 paniertes Schweinsschnitzel, Kartof- Kuttelsuppe und Kalbsnieren. Kabeljau- Oxtail lié ou Asperges du Berner Gewerkschaften – von den Bau- felstock mit Rahm, Rüebli und Erbsli und Tranchen, Seehecht nach Grenobler Art Valais, sauce mayonnaise und Holzarbeitern über die Buchbinder ein Dessert. Ausserdem Tagesplatten mit am 3. Mai 1944, indische Reisplatte, Blut- steak de veau «Prince bis zu den Typographen –, die linke Uni- Poulet, Gitzi, Crevetten nach Pariser Art, und Leberwürste. Orloff», Pommes chez soi, Epinard crème onsdruckerei und die Einwohnergemein- Forelle, Kalbsleber und so weiter. Als de neues Kapital in der Höhe von 214’000 Tagesteller­ Bauernschinken und Kartoffel- Im vierten Jahr des Zweiten Weltkrieges Bordure Richelieu Franken einzahlen. Mit der Sanierung ver- salat, Bratwurst mit Zwiebeln und Teig­ und der eidgenössischen Lebensmittelra- er bunden sind massive Schuldverzichte und waren Napoli. tionierung tafelt man keineswegs armselig I Souper einige Umbauten, zum Beispiel wird das Nachtessen I: Gemüsesuppe oder Hors­ an diesem Ort. Sogar echte Schildkröten- Potage parisienne ou Assiette d’hors d’œuvre Männerbad mit dem Frauenbad zusam- d’œuv­ re-Teller­ – Verschiedene frittierte suppe ist im Angebot. mengelegt, alle Zimmer erhalten Telefon, Fische nach Mailänder Art – Kräuter­ Fritto misto milanaise, pommes gourmets, petite auch die Heizung wird erneuert. Und tat- kartoffeln – Feine Erbsli mit Butter. pois fines fleurs au beurre sächlich: Kaum geht der Zweite Weltkrieg Parfait à l’orange zu Ende, beginnt schon alles zu bessern. Oder wahlweise Kalbskopf an Kartoffeln Die neue Volkshaus AG weist steigende und Bohnen. Ambitionierte Küchenchefs formulierten damals

Gewinne aus. Bern Bilder: Volkshaus ihre Menus in Französisch.

8 9 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1981 Auskernung und Neubau

1981: Hinter der Monumentalfassade entsteht ein komplett neues Gebäude.

n seinem fünfzigsten Geburtstag schafter; mancher linke National- oder wünscht, einer Schwulengruppe wird der A1964 ist das Volkshaus wirtschaftlich Ständerat logiert während der Session im Raum verweigert, Organisationen links konsolidiert. Die Umsätze sind in der althergebrachten Hotel und sitzt abends der SP werden eine Zeit lang abgewiesen. Hochkonjunktur gewaltig angestiegen, in einer der sieben, nach Handwerksberu- Im vermieteten Kino laufen hingegen der Gewinn liegt weit über einer Million. fen benannten Restaurantsstuben mit Pornofilme. Doch das Haus hat nun auch ein anderes Kollegen beim sozialdemokratischen Jass. Gesicht, die meisten Gewerkschaften sind Die Tanzabende und Freinächte der Arbei- Eines der grossen Probleme des Unterneh- ausgezogen, im geschichtsträchtigen The- terkulturvereine im grossen Theatersaal, mens ist in der Hochkonjunktur die Per- atersaal wurde die Bühne abgebaut und die regelmässig nach Kinoschluss stattfan- sonalknappheit. Auch deshalb wird stän-

durch einen zusätzlichen Speisesaal er- den, hat man schon in den vierziger Jah- dig modernisiert und rationalisiert. 1972 Bern Bilder: Volkshaus setzt. Weiterhin tagen hier – neben vielen ren unterbunden. In den siebziger Jahren wird der Bäderbetrieb eingestellt. 1974, Aus dem Volkshaus wird das Hotel Bern, das 1983 feierlich eröffnet wird. anderen – Sozialdemokraten und Gewerk- sind noch weitere Veranstaltungen uner- nach Einbruch einer Wirtschaftskrise, tektur stammt von Hans und Gret Rein- Dreissig Jahre vergehen, bis man 2013 – übernimmt die Volkshaus AG das benach- hard sowie Reinhard und Stephan Jaggi, beim Restaurant – wieder zum Namen barte «Hotel Continental» in Pacht, um und zum neuen Bau gehört auch neue «Volkshaus» zurückkehrt. endlich Zimmer mit eigenem Bad oder Kunst: Das Volkshaus von 1914 schmück- Dusche anbieten zu können. Der Mietver- ten Werke von Eduard Boss und Etienne trag bleibt bis 2006 bestehen. Perincoli, 1983 werden die neuen Konfe- renzräume der Kongressetage mit Wand- Ende der siebziger Jahre, die Umsätze ge- teppichen von Hans Erni verziert. hen jetzt zurück, wagt man einen kom- pletten Neuanfang. Das Volkshaus von Am 3. April 1981 beschliesst die General- 1914 wird abgerissen. Ausser der Monu- versammlung der Volkshaus AG mit 85,6 mentalfassade zur Zeughausgasse und Prozent der Stimmen, das neue Gebäude dem Erkerbau über dem Schützengäss- nicht mehr Volkshaus, sondern «Hotel chen, der bisher als Treppenhaus diente, Bern» zu nennen und es auf den Standard bleibt nichts mehr übrig. Hinter der Fassa- eines Viersterne-Hotels auszubauen. Im Wandteppiche von Hans Erni dekorieren die Die nach Handwerksberufen benannten sieben Restaurantsstuben. de entsteht ein anderes Haus. Die Archi- März 1983 wird es feierlich eröffnet. Kongressetage.

10 11 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1872 – 2014 Volkshäuser als Tradition Volkshaus La Chaux-de-Fonds, 1924

as erste bekannte Volkshaus wurde Gewerkschaftsbüros, Versammlungsräu- 3’000 Leute und zahlreichen Nebensälen 1893 eröffnete alte Berner Volkshaus mit D1872 in Belgien errichtet, südlich me, Festsäle und eine solidarische Parallel- enthielt er unter anderem eine Turn- und seiner Geschichte stärker in der belgi- von Brüssel im Bergarbeiterstädtchen Joli- wirtschaft für arme Leute unter dem glei- Sporthalle, ein Hallenbad, einen Winter- schen Tradition. mont. Die Gründer waren Arbeiter aus der chen Dach. Legendär ist etwa das 1881 garten, eine Bibliothek, ein Kunstatelier Eisenindustrie, die sich zur Ersten Interna- gegründete Maison du peuple in Brüssel, und eine Schule. Weitere Volkshäuser – nach dem einen tionalen zählten und einen Treffpunkt das 1899 einen avantgardistischen Art- oder anderen Modell – entstanden in brauchten, 1886 nahm auch eine Koope- nouveau-Bau bezog. Er galt als Meister- Der Londoner Volkspalast bestand bis Europa und in der Schweiz zahlreich: rative namens Le Progrès im Maison du werk des Architekten Victor Horta und 1954. Er ist Vorbild des Zürcher Volkshau- St. Gallen 1899, 1900, Solo- peuple von Jolimont ihre Tätigkeit auf. Sie wurde 1965 abgerissen. ses, das ebenfalls nicht von der Arbeiter- thurn 1905, Luzern 1913, La Chaux-de- bot Brot, Fleisch, Schuhe und Kleider zu schaft, sondern von philanthropischen Fonds 1924, 1925, Biel 1932, Winter- günstigen Preisen an und betrieb sogar 1887 eröffnete die britische Königin Vic- Bürgern und Bürgerinnen sowie von der thur 1938. Es gab Volkshäuser in Arbon, eine Apotheke. toria an der Mile End Road im Londoner öffentlichen Hand verwirklicht wurde; Brig, Bellinzona, Chur, Fribourg, Lugano, East End eine andere Art von Volkshaus, die Arbeiterbewegung hat in Zürich nach Olten, Reinach, Wädenswil und an vielen Selbstverwaltete Konsumgenossenschaf- einen «People‘s Palace», der nicht von der der Eröffnung 1910 jedoch schnell die anderen Orten. Wenige davon gibt es heu- ten entstanden in jenen Jahren an vielen Arbeiterschaft selber, sondern von reichen praktische Kontrolle übernommen. Ob- te noch. Orten. In Belgien und Frankreich hat man Spendern und wohltätigen Stiftern finan- wohl als Aktiengesellschaft und nicht als sie häufig mit Volkshäusern kombiniert: ziert worden war. Neben einem Saal für Genossenschaft organisiert, stand das

Volkshaus Grenchen, 1932 Bilder: Archiv Stefan Keller und Sammlung Kultur-Historisches Museum Grenchen Bilder: Archiv

Volkshaus Zürich, 1910

Volkshaus Biel, 1931

12 13 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 2014

Sucht man im Jubiläumsjahr 2014 im phase mit vielen geladenen Gästen am Das Volkshaus Bern Internet unter dem Begriff «Volkshaus 23. August 2013 das Restaurant Volkshaus Bern», erscheint als erstes ein Wikipedia- 1914 Restaurant|Bar. Der neugewählte Eintrag mit folgendem Wortlaut: Name ist nicht die Erfindung der heutigen im Jubiläumsjahr «Das ehemalige Volkshaus Bern ist als Hotel Generation, sondern darf auf eine 100-jäh- Bern ein Business- und Seminarhotel­ in der rige geschichtsträchtige Vergangenheit Schweizer Hauptstadt Bern. Kennzeichnend zurück blicken. ist die sehr gut erhaltene Jugendstilfassade.»­ Die beiden Architekten Ruedi Suppiger Waren vor 50 Jahren noch Bäder und und Jörg Grunder haben es geschafft, Kinos gefragt, stehen im modernen Bern Tradition und Modernität zu einem gelun- andere Bedürfnisse im Vordergrund. Bern genen Gesamtprodukt zu vereinen. Der ist einerseits als Sitz des Bundes, des Jugendstil der Fassade wurde in einer zeit- Kantons und der Stadtregierung eine Ver- genössischen Form im Innern des Restau- waltungsstadt, wie aber auch eine Wirt- rants wieder gegeben, der Raum mit inte- schaftsstadt mit zahlreichen kleinen, grierter Bar wird als offen und hell mittleren und grossen Unternehmen. Die- empfunden. Als besonderes Bijoux darf sem Umstand ist es zu verdanken, dass die Seit 100 Jahren unverändert, die markante das von Eduard Boss gemalte und für das Jugendstil-Fassade. heutige Positionierung als 4-Sterne-Busi- Jubiläumsjahr renovierte Bild «der Red- ness- und Seminarhotel mit 100 Zimmern Wurde der Name Volkshaus im Jahr 1981 ner» bezeichnet werden. Es ist das einzige und über 800 m2 Tagungsfläche, aber auch in Hotel Bern umgenannt, besinnt man Bild, dass den 100. Geburtstag des Volks- einem regional bekannten Restaurant, ein sich heute wieder auf seine Wurzeln und hauses erleben darf, ein stummer Zeuge nachhaltiges Erfolgsrezept ist. eröffnete nach einer 53-tägigen Umbau- einer bewegten Zeit. Bilder: Volkshaus Bern Bilder: Volkshaus Verwaltungsrat 2014. Von Links: Philipp Näpflin, Direktor; Marc Haubensak; Aroldo Cambi; Corrado Pardini; Werner Bernet; Christoph Rohn; Hansueli von Allmen. Unten: Margrith Beyeler-Graf; Sandra Rupp, Sekretärin des Verwaltungsrats.

14 15 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern

Und was isst man im Volkshaus Bern: Die Mit 150 Betten in 100 Zimmern ist das kulinarische Schweiz ist bekanntlich ein Hotel Bern eines der grossen 4-Sterne- Schlaraffenland, das von Ort zu Ort, von Häuser auf dem Platz Bern. Region zu Region neu entdeckt werden will. Neben einigen bekannten nationa- Die Zimmer sind modern ausgestattet und len Gerichten stehen vor allem die Regio- entsprechen den heutigen Bedürfnissen nalprodukte im Vordergrund. So auch im unserer nationalen und internationalen Volkshaus 1914. Denn schon seit den An- Kundschaft. Im Jubiläumsjahr verzeich- fängen war eine der zentralen Aufgaben net das Hotel Bern gegen 35’000 Logier- eines Volkshauses, den Gästen eine nächte mit Gästen aus über 90 Nationen, schmackhafte und zahlbare Mahlzeit, zu- wobei der Schweizer Kunde mit über 50% bereitet aus frischen und gesunden Zuta- der Logiernächte klar auf dem ersten Platz ten zu bieten. Qualitativ hochstehende rangiert. Dies bedeutet aber auch, dass Produkte, welche in unserer Region pro- über 15’000 Gäste aus anderen Ländern duziert und verarbeitet werden. Die kommen, wobei das angrenzende Aus- Zubereitung erfolgt typisch Schweize- land, allen voran Deutschland, den risch, bestehend aus einem schmackhaf- Hauptteil ausmacht. Damit die Wachs- ten Kompromiss, denn unsere Küche ist tumsmärkte in Asien, Südamerika, den mannigfaltig, verbindet sie doch Einflüsse Golfstaaten und Russland erfolgreich be- aus der französischen, norditalienischen arbeitet werden können, wurde im Jahr und nicht zuletzt auch aus der deutschen 2013 eine Kooperation mit der weltweit Küche. tätigen Hotel-Marketingvereinigung Best Western eingegangen. Ruedi Marti schreibt in einem Artikel über das neue Restaurant Volkshaus: «Das ist Ganz im Sinn und Geist der Gründerväter der lange Weg, den das Berner Volkshaus zu- ist damals wie heute das Bereitstellen rückgelegt hat. Nun besinnen sich die Ur-Ur- von Tagungs- und Versammlungsräumen Enkel der Erbauer auf seine Wurzeln – eigent- eines der Kerngeschäfte unseres Hauses. lich schön.» Wenn das Haus eine Seele hat, Auf über 800 m2 bietet unser Haus acht lebt ein Teil dieser Seele im neuen Restau- helle und klimatisierte Tagungsräume an. rant Volkshaus 1914 weiter. Die Räume sind modern ausgestattet und erfreuen sich einer grossen Beliebtheit. So werden pro Jahr über 3’000 kleinere und grössere Veranstaltungen mit schätzungs- weise über 100’000 Personen geplant und durchgeführt. Ein Grossteil der Kunden sind heute noch Gewerkschaften oder na- hestehende Organisationen. Diese Treue stärkt unser Haus und ist einer der Erfolgs- garanten. Bilder: Volkshaus Bern Bilder: Volkshaus

16 17 100 Jahre Volkshaus Bern 100 Jahre Volkshaus Bern 1914 – 2014 Einige Gäste im Volkshaus Bern Bild: DHM, F 52/2649 Bild: www.leksikon.org www.wikipedia.org Bild: Karl Barth Archiv, Bild: Keystone Bild: www.wikipedia.org Bild: www.wikipedia.org

Friedrich Adler (1879 – 1960) Angelica Balabanoff (1878 – 1965) Karl Barth (1886 – 1968) Micheline Calmy-Rey (geb. 1945) Kurt Eisner (1867 – 1919) Herman Greulich (1842 – 1925) Generalsekretär der Sozialistischen Sozialistin in Russland, in der Schweiz Schweizer Theologe, Sozialist Schweizer Bundesrätin, erster Ministerpräsident des Freistaates Gründerfigur der Schweizer Arbeiterinternationale und Italien und Vortragsredner Bundes­präsidentin 2007 Bayern Arbeiter­bewegung Bild: Robert Grimm Gesellschaft, www.robertgrimm.ch www.margarethe-hardegger.ch Bundesarchiv, Bild: Schw. www.sozialarchiv.ch Sozialarchiv, Bild: Schw. IISG Winter, Bild: www.wir-falken.de, Bild: www.amazon.de Bild: www.gdw-berlin.de Robert Grimm (1881 – 1958) Margarethe Hardegger (1882 – 1963) Konrad Ilg (1877 – 1954) Luise Kautsky (1864 – 1944) Anny Klawa-Morf (1894 – 1993) Willi Münzenberg (1889 – 1940) Journalist, Nationalrat, Regierungsrat, erste Arbeitersekretärin der Schweiz Zentralsekretär und Präsident des deutsche Sozialistin, Fabrikarbeiterin, Agitatorin, Fabrikarbeiter, Jugendsekretär, Schweizer Arbeiterführer Schweizerischen Metall- und Uhren­ Stadtverordnete in Berlin Gründerin der «Roten Falken» Politiker, Verleger arbeiterverbandes SMUV, Begründer des «Friedensabkommens» 1937 Bild: German Federal Archives, www.wikipedia.org Bild: German Federal Archives, Eidgenossenschaft, Bundeskanzlei, Bern Bild: Schw. Bild: Martin Rütschi/Keystone www.wikipedia.org Bild: German Federal Archives, www.memreg.ch Bild: Gassmann-Archiv, Bild: National Portrait Gallery, London, www.oxforddnb.com Bild: National Portrait Gallery, Wladimir Illjitsch Lenin (1879 – 1924) Ernst Nobs (1886 – 1957) Ethel Snowden (1881 – 1951) Otto Stich (1927 – 2012) Leo Trotzki (1879 – 1940) Robert Walser (1878 – 1956) russischer Revolutionär Schweizer Bundesrat, britische Sozialistin, Kämpferin für Schweizer Bundesrat, russischer Revolutionär Schweizer Schriftsteller, Büro-Commis Bundespräsident 1949 das Frauenwahlrecht Bundespräsident 1988 und 1994

Impressum Text und Redaktion: Stefan Keller, Zürich (historischer Teil), Philipp Näpflin, Bern (aktueller Teil). Gestaltung: VISCOM Kommunikation und Design, Bern.

Bild: www.rosalux.de Bild: www.wikipedia.org Druck: Bubenberg Druck und Verlags AG, Bern.

Gertrud Woker (1878 – 1968) Clara Zetkin (1857 – 1933) Titelbild Naturwissenschafterin, deutsche Politikerin, Sozialistin, Eröffnung der internationalen Sozialistenkonferenz in Bern. Friedensaktivistin Kommunistin, Frauenrechtlerin Links: Karl Hjalmar Branting, rechts: Dr. Kurt Eisner. Ringier Zofingen, Schweizer Illustrierte 1919.

18 19 Wenn das Haus eine Seele hat, lebt ein Teil dieser Seele im neuen Restaurant Volkshaus 1914 weiter.

Philipp Näpflin, Direktor

Restaurant Volkshaus 1914 | Zeughausgasse 9 | CH-3011 Bern Telefon +41 (0)31 329 22 33 | [email protected] | www.volkshausbern.ch