Im Land Der Riesigen Zwerge Am Kommenden Wochenende Wählt Die CSU Einen Neuen Vorsitzenden
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FRANK MÄCHLER / DPA Landesvater Stoiber, Gast Putin*: Zwischen königlichen Traditionen und demokratischen Errungenschaften CSU Im Land der riesigen Zwerge Am kommenden Wochenende wählt die CSU einen neuen Vorsitzenden. Im Wahlkampf der letzten Monate wurde deutlich, welch eigenartige Politiker Bayern hervorbringt. Von Dirk Kurbjuweit und René Pfister dmund Stoiber zieht sich die Schuhe Nachricht an die Heimat durch. Sie mel- land die Gedanken der Nachrichtenchefs aus. Es ist Ende März, er besichtigt den, es könne sein, dass Stoiber doch in und Leitartikler. Sie sehen ihn ja nicht. Sie Eden Flughafen von Singapur und soll seinen Ämtern bleiben wolle. denken an den großen, unheimlichen Ed- sich in einen Sessel setzen, der die Füße Wenige Minuten zuvor hat die Delega- mund Stoiber, Ministerpräsident von Bay- massieren kann. Er lässt sich nieder und tion eine Nachricht aus der Heimat er- ern, Vorsitzender der CSU. Es gibt von schmiegt die Füße in die Massageappara- reicht. Günther Beckstein hatte gesagt, er solchen Menschen keine Vorstellung in tur, die bald darauf vibriert und surrt. Stoi- könne sich vorstellen, dass Stoiber mitt- Socken, und das ist ein Fehler, wie sich ber versucht, ein Genussgesicht zu ma- lerweile bereue, den Verzicht auf seine noch zeigen wird. chen, aber es klappt nicht so richtig. Er Ämter angekündigt zu haben. Von Stoiber Es war ein absurder Moment. Er sah so fragt, ob seine Füße riechen. gibt es dazu aus Singapur kein Dementi. klein aus in diesem Sessel, und zu Hause Die mitreisenden Journalisten hängen Er genießt in diesem Moment weniger machten sie ihn ganz groß. derweil an ihren Handys und geben eine die Fußmassage als das Gefühl, noch im Es war einer von vielen absurden Mo- Spiel zu sein. Während seine Füße durch- menten bei dieser Recherche, die sich über * Im bayerischen Aying am 11. Oktober 2006. gewalkt werden, beherrscht er in Deutsch- viele Monate gezogen hat. Es ging um 36 der spiegel 39/2007 Deutschland Schweinsbraten in Hanoi, um die Brüste ei- ner Landrätin und das Lachen von Unter- tanen. Es ging um einen Edmund Stoiber, der es genießt, mit einem König verglichen zu werden. Das eigentliche Thema war ein Wahl- kampf. Am kommenden Wochenende wird die CSU auf ihrem Parteitag in Mün- chen einen neuen Vorsitzenden wählen. Denn im Januar wurde Stoiber gezwun- gen, den Rücktritt von seinen Ämtern an- zukündigen. Neuer Ministerpräsident wird im Oktober der bisherige Innenminister Günther Beckstein. Für den Parteivorsitz gibt es drei Kandidaten, Gabriele Pauli, Erwin Huber und Horst Seehofer. So bunt wie in den Monaten zwischen Stoibers Rückzug und dem Parteitag ist es in der deutschen Politik noch nicht zuge- LANG / DDP OLIVER / DDP JOERG KOCH gangen. Eine Affäre wurde enthüllt und Stoiber-Weggefährten Huber (l.), Beckstein: Fast immer nur folgsam ein Baby geboren, Latexhandschuhe mach- ten Schlagzeilen, ein Gestürzter mobbte seine möglichen Nachfolger. DEUTSCH- Dieser Wahlkampf machte deutlich, was LAND für eigenartige Geschöpfe die Politik in 60,7 Schwarzer Bayern hervorbringt. Es sind Geschöpfe ei- nes Hofstaats, denn Bayern und die CSU Freistaat changieren noch immer zwischen könig- Ergebnis der lichen Traditionen und demokratischen Er- bayerischen rungenschaften. Und es sind die Geschöp- Landtagswahl Stimmenanteile fe eines Bundeslands, das ständig darum am 21. September der CSU NÜRNBERG ringt, politisch größer zu sein, als es ist. 2003 n 65% und mehr Das eigenartigste Geschöpf Bayerns ist n bis unter 65% Stoiber selbst. Es ist Anfang Juli, er ist zu n bis unter 60% Gast bei Präsident Wladimir Putin in Mos- 19,6 n AUGSBURG kau und sitzt auf einem Thron, einem bis unter 55% prächtigen Stuhl mit grünem Brokatüber- MÜNCHEN zug, seine Füße ruhen auf feinem Holz- 7,7 9,4 mosaik, hinter ihm ist ein Kamin aus Ma- 2,6 lachit, darauf eine wuchtige goldene Stand- CSU SPD GRÜNE FDP Sonstige uhr. Der Saal ist oval, es ist ein Saal für Zaren. Vier Statuen stehen hier, eine ver- körpert Katharina die Große. erniedrigt er sich. Stoiber glaubt, mit dem Stoiber leuchtet. Er sieht aus, als habe pompösen Empfang würde Putin sein Le- Putin eine Kerze in ihm angezündet. Er benswerk und Bayerns ewige Größe würdi- blenden. Im bayerischen Denken ist Hitler macht an diesem Sommertag keinen Be- gen. Aber er wird für ein machtpolitisches ein deutsches Phänomen, Bayern ist ir- such in Moskau, sondern einen Ausflug in Spielchen benutzt. Die Kanzlerin nervt gendwie sauber, obwohl München „Haupt- ein Märchenland. Putin empfängt ihn nicht Putin, weil sie immer über Menschenrechte stadt der Bewegung“ war. wie den Ministerpräsidenten eines Bun- reden muss. Da ist es ein amüsantes Spiel- Mit dieser Spaltung des eigenen Bewusst- deslandes, sondern wie den König eines chen, einen Regionalpolitiker und Rivalen seins lässt es sich prächtig Bayer sein. Deut- Weltreichs. Sie reden traut am Kamin, essen Merkels in die Willfährigkeit zu treiben. scher ist man ja nur nebenbei. ausgedehnt zu Mittag, machen einen klei- Politiker der CSU sind regelmäßig in sol- Bestärkt wird das Selbstvertrauen da- nen Verdauungsspaziergang, und dann che Fallen getappt. Sie sind gefährdet, weil durch, dass die Bayern sich in aller Welt lässt Putin die schneidige Militärkapelle sie immerzu beweisen wollen, dass Bayern selbst begegnen. Als Stoiber im März in des Kreml aufmarschieren. globale Bedeutung hat. So plagt sie ein stän- Hanoi war, aß er dort selbstverständlich Am Ende dieses Tages bestellt Stoiber diger Widerstreit von Hybris und Zweifel. in einem bayerischen Wirtshaus zu Mittag. Champagner. Er sitzt auf der Dachterrasse Die Hybris kommt aus dem Anspruch, Es gab Schweinsbraten und Weißbier, das des Hotels Ritz Carlton und feiert seine doch irgendwie ein Staat zu sein, und zwar im Wirtshaus von einem bayerischen Brau- und Bayerns Bedeutung in der Welt. Dann ein ganz besonders großartiger. Auch Stoi- meister gebraut wird. An der Wand war plaudert er und zahlt dabei den Preis für ber redet ständig davon, dass Bayern „auf ein riesiges Bild vom Einzug der Festwirte. die große Huldigung. 1500 Jahre Staatlichkeit“ zurückblicke. Es saßen viele Einheimische dort und ho- Ihm fällt nur Gutes ein über Putin und Daraus zieht er die Gewissheit, mehr an- ben die Humpen. Wir sind attraktiv, dieses Russland. Wer ihm so huldigt, kann zuführen als ein Bundesland. Gefühl nehmen die Bayern von solchen schließlich kein schlechter Mann sein. Ver- Wenn man länger mit bayerischen De- Örtlichkeiten mit. letzung der Menschenrechte? Man müsse legationen in der Welt unterwegs ist, fällt Da sie sich wirtschaftlich überdies präch- Russland so nehmen, wie es ist. einem vor allem der ungebrochene Hei- tig entwickelt haben und in Deutschland an Er ist wieder bei seinem Thema, groß matstolz auf. Sie sind so fröhlich bayerisch der Spitze stehen, haben sie einigen Grund, und klein. Mit seiner Abschiedsreise nach wie kaum einer deutsch sein kann. Sie sich groß zu fühlen. Aber ein souveräner Moskau wollte er sich erhöhen, in Wahrheit können das, weil sie die Nazi-Jahre aus- Staat ist Bayern eben doch nicht, sondern der spiegel 39/2007 37 Deutschland ge fangen an zu singen: „Wir woll’n die Titten sehen.“ Andere rufen: „Ausziehen, ausziehen.“ Vorn bei der Blaskapelle steht ein Mann, der den Frühschoppen mode- rieren soll. Er hat für diesen Anlass ein T-Shirt gewählt mit der Aufschrift: „Kerwa, Bier und geile Weiber sind die schönsten Zeitvertreiber.“ Bayern an einem Montagmorgen, elf Uhr. Es gibt das überall, aber nirgends wird es so kultiviert wie hier. Das Bierland Bayern vergibt vor allem an seine männliche Be- völkerung schon zur Geburt verschiedene Lizenzen, zum Saufen, zur Derbheit, zum Ressentiment. In Lederhosen ist das alles scheinbar gemütlich. In Bayern ist das Volk mehr als anders- wo eine Gemeinschaft, die auf dieser spe- ziellen Form von Gemütlichkeit beruht. Das heißt auch, dass genau unterschieden wird, wer dazugehört und wer nicht. Die CSU ist die Partei dieser Gemeinschaft. Sie achtet sehr genau darauf, wer dazu- gehören darf und wer nicht, zum Beispiel OLIVER LANG / DDP OLIVER mit einer rigiden Ausländerpolitik. CSU-Politiker Seehofer: In der Nische des populistischen Hallodris Stoiber und Pauli haben beide erfahren müssen, wie wankelmütig und brutal die- nur eines von 16 Bundesländern. Und das chen und Berlin. Der Parteichef soll in der se Gemeinschaft über Zugehörigkeit ent- quält Politiker wie Edmund Stoiber. Des- Hauptstadt zu den Wichtigen gehören, scheidet. Stoiber galt zuletzt als entrückt, halb müssen sie ständig beweisen, dass Bay- aber wenn er das tut, gilt er als abgehoben. als Großkopferte, der das transatlantische ern nahezu ein Staat ist, dass Bayern so Stoiber zog es 2005 erst in Angela Mer- Verhältnis reparieren und die „Globalisie- prima ist, dass es gar nicht ins Gewicht fällt, kels Kabinett, weil er den bundespoliti- rung“ gestalten will. Er wurde mehr als dass Tonga von der Uno als Staat anerkannt schen Anspruch der CSU unterstreichen Berliner denn als Münchner wahrgenom- wird, nicht aber Bayern. So wird ein Wirts- wollte. Dann wollte er aber doch nicht die men, er war zu groß geworden für die Pro- haus in Hanoi zum weiteren Indiz für geliebte Region Bayern aufgeben. Er zog bleme im Kleinen, den Autobahnanschluss Großartigkeit, und so ist ein Politiker wie seine Zusage zurück und blieb, hatte in für Passau oder die Milchquote. Damit war Stoiber oft nahe dran, albern zu wirken. diesem Verwirrspiel aber an Autorität ver- er draußen, reif für einen Rebellen. Denn in einem Zwerg, der sich zum Rie- loren. So stürzte er irgendwo auf dem Weg Der Rebell kommt immer von innen, er sen aufpumpt, bleibt der Zwerg sichtbar, er zwischen München und Berlin. Ein pas- gehört dazu, aber nicht so ganz. Gabriele hat aber seine Zwergenwürde verloren. senderes Ende gibt es nicht für einen Vor- Pauli hatte mit der Rolle der „schönen Niemand in Deutschland macht krampf- sitzenden der CSU. Landrätin“ das Dach ihrer Karriere er- hafter Politik als die CSU, die immer etwas Es fand sich auch die passende Königs- reicht.