FRANK MÄCHLER / DPA Landesvater Stoiber, Gast Putin*: Zwischen königlichen Traditionen und demokratischen Errungenschaften

CSU Im Land der riesigen Zwerge Am kommenden Wochenende wählt die CSU einen neuen Vorsitzenden. Im Wahlkampf der letzten Monate wurde deutlich, welch eigenartige Politiker Bayern hervorbringt. Von Dirk Kurbjuweit und René Pfister

dmund Stoiber zieht sich die Schuhe Nachricht an die Heimat durch. Sie mel- land die Gedanken der Nachrichtenchefs aus. Es ist Ende März, er besichtigt den, es könne sein, dass Stoiber doch in und Leitartikler. Sie sehen ihn ja nicht. Sie Eden Flughafen von Singapur und soll seinen Ämtern bleiben wolle. denken an den großen, unheimlichen Ed- sich in einen Sessel setzen, der die Füße Wenige Minuten zuvor hat die Delega- mund Stoiber, Ministerpräsident von Bay- massieren kann. Er lässt sich nieder und tion eine Nachricht aus der Heimat er- ern, Vorsitzender der CSU. Es gibt von schmiegt die Füße in die Massageappara- reicht. Günther Beckstein hatte gesagt, er solchen Menschen keine Vorstellung in tur, die bald darauf vibriert und surrt. Stoi- könne sich vorstellen, dass Stoiber mitt- Socken, und das ist ein Fehler, wie sich ber versucht, ein Genussgesicht zu ma- lerweile bereue, den Verzicht auf seine noch zeigen wird. chen, aber es klappt nicht so richtig. Er Ämter angekündigt zu haben. Von Stoiber Es war ein absurder Moment. Er sah so fragt, ob seine Füße riechen. gibt es dazu aus Singapur kein Dementi. klein aus in diesem Sessel, und zu Hause Die mitreisenden Journalisten hängen Er genießt in diesem Moment weniger machten sie ihn ganz groß. derweil an ihren Handys und geben eine die Fußmassage als das Gefühl, noch im Es war einer von vielen absurden Mo- Spiel zu sein. Während seine Füße durch- menten bei dieser Recherche, die sich über * Im bayerischen Aying am 11. Oktober 2006. gewalkt werden, beherrscht er in Deutsch- viele Monate gezogen hat. Es ging um

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Schweinsbraten in Hanoi, um die Brüste ei- ner Landrätin und das Lachen von Unter- tanen. Es ging um einen , der es genießt, mit einem König verglichen zu werden. Das eigentliche Thema war ein Wahl- kampf. Am kommenden Wochenende wird die CSU auf ihrem Parteitag in Mün- chen einen neuen Vorsitzenden wählen. Denn im Januar wurde Stoiber gezwun- gen, den Rücktritt von seinen Ämtern an- zukündigen. Neuer Ministerpräsident wird im Oktober der bisherige Innenminister Günther Beckstein. Für den Parteivorsitz gibt es drei Kandidaten, Gabriele Pauli, Erwin Huber und . So bunt wie in den Monaten zwischen Stoibers Rückzug und dem Parteitag ist es

in der deutschen Politik noch nicht zuge- LANG / DDP OLIVER / DDP JOERG KOCH gangen. Eine Affäre wurde enthüllt und Stoiber-Weggefährten Huber (l.), Beckstein: Fast immer nur folgsam ein Baby geboren, Latexhandschuhe mach- ten Schlagzeilen, ein Gestürzter mobbte seine möglichen Nachfolger. DEUTSCH- Dieser Wahlkampf machte deutlich, was LAND für eigenartige Geschöpfe die Politik in 60,7 Schwarzer Bayern hervorbringt. Es sind Geschöpfe ei- nes Hofstaats, denn Bayern und die CSU Freistaat changieren noch immer zwischen könig- Ergebnis der lichen Traditionen und demokratischen Er- bayerischen rungenschaften. Und es sind die Geschöp- Landtagswahl Stimmenanteile fe eines Bundeslands, das ständig darum am 21. September der CSU NÜRNBERG ringt, politisch größer zu sein, als es ist. 2003 n 65% und mehr Das eigenartigste Geschöpf Bayerns ist n bis unter 65% Stoiber selbst. Es ist Anfang Juli, er ist zu n bis unter 60% Gast bei Präsident Wladimir Putin in Mos- 19,6 n AUGSBURG kau und sitzt auf einem Thron, einem bis unter 55% prächtigen Stuhl mit grünem Brokatüber- MÜNCHEN zug, seine Füße ruhen auf feinem Holz- 7,7 9,4 mosaik, hinter ihm ist ein Kamin aus Ma- 2,6 lachit, darauf eine wuchtige goldene Stand- CSU SPD GRÜNE FDP Sonstige uhr. Der Saal ist oval, es ist ein Saal für Zaren. Vier Statuen stehen hier, eine ver- körpert Katharina die Große. erniedrigt er sich. Stoiber glaubt, mit dem Stoiber leuchtet. Er sieht aus, als habe pompösen Empfang würde Putin sein Le- Putin eine Kerze in ihm angezündet. Er benswerk und Bayerns ewige Größe würdi- blenden. Im bayerischen Denken ist Hitler macht an diesem Sommertag keinen Be- gen. Aber er wird für ein machtpolitisches ein deutsches Phänomen, Bayern ist ir- such in Moskau, sondern einen Ausflug in Spielchen benutzt. Die Kanzlerin nervt gendwie sauber, obwohl München „Haupt- ein Märchenland. Putin empfängt ihn nicht Putin, weil sie immer über Menschenrechte stadt der Bewegung“ war. wie den Ministerpräsidenten eines Bun- reden muss. Da ist es ein amüsantes Spiel- Mit dieser Spaltung des eigenen Bewusst- deslandes, sondern wie den König eines chen, einen Regionalpolitiker und Rivalen seins lässt es sich prächtig Bayer sein. Deut- Weltreichs. Sie reden traut am Kamin, essen Merkels in die Willfährigkeit zu treiben. scher ist man ja nur nebenbei. ausgedehnt zu Mittag, machen einen klei- Politiker der CSU sind regelmäßig in sol- Bestärkt wird das Selbstvertrauen da- nen Verdauungsspaziergang, und dann che Fallen getappt. Sie sind gefährdet, weil durch, dass die Bayern sich in aller Welt lässt Putin die schneidige Militärkapelle sie immerzu beweisen wollen, dass Bayern selbst begegnen. Als Stoiber im März in des Kreml aufmarschieren. globale Bedeutung hat. So plagt sie ein stän- Hanoi war, aß er dort selbstverständlich Am Ende dieses Tages bestellt Stoiber diger Widerstreit von Hybris und Zweifel. in einem bayerischen Wirtshaus zu Mittag. Champagner. Er sitzt auf der Dachterrasse Die Hybris kommt aus dem Anspruch, Es gab Schweinsbraten und Weißbier, das des Hotels Ritz Carlton und feiert seine doch irgendwie ein Staat zu sein, und zwar im Wirtshaus von einem bayerischen Brau- und Bayerns Bedeutung in der Welt. Dann ein ganz besonders großartiger. Auch Stoi- meister gebraut wird. An der Wand war plaudert er und zahlt dabei den Preis für ber redet ständig davon, dass Bayern „auf ein riesiges Bild vom Einzug der Festwirte. die große Huldigung. 1500 Jahre Staatlichkeit“ zurückblicke. Es saßen viele Einheimische dort und ho- Ihm fällt nur Gutes ein über Putin und Daraus zieht er die Gewissheit, mehr an- ben die Humpen. Wir sind attraktiv, dieses Russland. Wer ihm so huldigt, kann zuführen als ein Bundesland. Gefühl nehmen die Bayern von solchen schließlich kein schlechter Mann sein. Ver- Wenn man länger mit bayerischen De- Örtlichkeiten mit. letzung der Menschenrechte? Man müsse legationen in der Welt unterwegs ist, fällt Da sie sich wirtschaftlich überdies präch- Russland so nehmen, wie es ist. einem vor allem der ungebrochene Hei- tig entwickelt haben und in Deutschland an Er ist wieder bei seinem Thema, groß matstolz auf. Sie sind so fröhlich bayerisch der Spitze stehen, haben sie einigen Grund, und klein. Mit seiner Abschiedsreise nach wie kaum einer deutsch sein kann. Sie sich groß zu fühlen. Aber ein souveräner Moskau wollte er sich erhöhen, in Wahrheit können das, weil sie die Nazi-Jahre aus- Staat ist Bayern eben doch nicht, sondern

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ge fangen an zu singen: „Wir woll’n die Titten sehen.“ Andere rufen: „Ausziehen, ausziehen.“ Vorn bei der Blaskapelle steht ein Mann, der den Frühschoppen mode- rieren soll. Er hat für diesen Anlass ein T-Shirt gewählt mit der Aufschrift: „Kerwa, Bier und geile Weiber sind die schönsten Zeitvertreiber.“ Bayern an einem Montagmorgen, elf Uhr. Es gibt das überall, aber nirgends wird es so kultiviert wie hier. Das Bierland Bayern vergibt vor allem an seine männliche Be- völkerung schon zur Geburt verschiedene Lizenzen, zum Saufen, zur Derbheit, zum Ressentiment. In Lederhosen ist das alles scheinbar gemütlich. In Bayern ist das Volk mehr als anders- wo eine Gemeinschaft, die auf dieser spe- ziellen Form von Gemütlichkeit beruht. Das heißt auch, dass genau unterschieden wird, wer dazugehört und wer nicht. Die CSU ist die Partei dieser Gemeinschaft. Sie achtet sehr genau darauf, wer dazu- gehören darf und wer nicht, zum Beispiel

OLIVER LANG / DDP OLIVER mit einer rigiden Ausländerpolitik. CSU-Politiker Seehofer: In der Nische des populistischen Hallodris Stoiber und Pauli haben beide erfahren müssen, wie wankelmütig und brutal die- nur eines von 16 Bundesländern. Und das chen und Berlin. Der Parteichef soll in der se Gemeinschaft über Zugehörigkeit ent- quält Politiker wie Edmund Stoiber. Des- Hauptstadt zu den Wichtigen gehören, scheidet. Stoiber galt zuletzt als entrückt, halb müssen sie ständig beweisen, dass Bay- aber wenn er das tut, gilt er als abgehoben. als Großkopferte, der das transatlantische ern nahezu ein Staat ist, dass Bayern so Stoiber zog es 2005 erst in Angela Mer- Verhältnis reparieren und die „Globalisie- prima ist, dass es gar nicht ins Gewicht fällt, kels Kabinett, weil er den bundespoliti- rung“ gestalten will. Er wurde mehr als dass Tonga von der Uno als Staat anerkannt schen Anspruch der CSU unterstreichen Berliner denn als Münchner wahrgenom- wird, nicht aber Bayern. So wird ein Wirts- wollte. Dann wollte er aber doch nicht die men, er war zu groß geworden für die Pro- haus in Hanoi zum weiteren Indiz für geliebte Region Bayern aufgeben. Er zog bleme im Kleinen, den Autobahnanschluss Großartigkeit, und so ist ein Politiker wie seine Zusage zurück und blieb, hatte in für Passau oder die Milchquote. Damit war Stoiber oft nahe dran, albern zu wirken. diesem Verwirrspiel aber an Autorität ver- er draußen, reif für einen Rebellen. Denn in einem Zwerg, der sich zum Rie- loren. So stürzte er irgendwo auf dem Weg Der Rebell kommt immer von innen, er sen aufpumpt, bleibt der Zwerg sichtbar, er zwischen München und Berlin. Ein pas- gehört dazu, aber nicht so ganz. Gabriele hat aber seine Zwergenwürde verloren. senderes Ende gibt es nicht für einen Vor- Pauli hatte mit der Rolle der „schönen Niemand in Deutschland macht krampf- sitzenden der CSU. Landrätin“ das Dach ihrer Karriere er- hafter Politik als die CSU, die immer etwas Es fand sich auch die passende Königs- reicht. Aber ihr Ehrgeiz geht weiter, und so beweisen muss. Es geht nie allein um die mörderin, Gabriele Pauli, Landrätin in machte sie sich zur Stimme der Kleinen Sache, es geht immer auch um den Status Fürth. gegen den Großen. Als er es ablehnte, sei- der Regionalpartei „mit bundespolitischem Sie steht vor dem Gasthaus Schmotzer ne lauteste Kritikerin zu empfangen, wur- Anspruch“. Mit anderen Worten: Die CSU und will den Männerfrühschoppen von de das als Zeichen totaler Entrückung ge- ist zu groß für Bayern und zu klein für Puschendorf besuchen, einem Örtchen bei wertet. Nun war es für Erwin Huber und Deutschland. Sie treibt ihre Vorsitzenden Nürnberg. Im Saal sitzen 200 Männer vor Günther Beckstein ein Leichtes, ihn aus in einen ständigen Spagat zwischen Mün- ihren Maßkrügen. Pauli kommt rein, eini- seinen Ämtern zu drängen. Pauli wird auch für das Amt des CSU- UMFRAGE: CSU-VORSITZ Vorsitzenden kandidieren, aber sie hat keine Chance. Der Rebell ist meistens ein „Ende des Monats tritt der „Wen würden Sie am liebsten schwieriger Charakter. Er braucht Eigen- an der Spitze der CSU sehen?“ schaften, die ihn von der Gemeinschaft bayerische Ministerpräsident entfernen, vor allem Eitelkeit. Er muss den und CSU-Vorsitzende Edmund Mut haben, Tabus zu brechen, sich über Stoiber von seinen Ämtern ErErwinwin Huber 19% Regeln hinwegzusetzen, ein „eigenes zurück. Sollte er trotzdem Ding“ zu machen. Das „Ich“ muss größer weiterhin eine wichtige Rolle in sein als das „Wir“. der Politik spielen?“ Gabriele Pauli 27% Dafür wird man nicht geliebt. Als Pauli ihre Rolle für die Gemeinschaft der CSU erfüllt hatte, wurde sie verstoßen. Da waren JA 31% Horst Seehofer 30% die Fotos, die sie mit Latexhandschuhen in erotischer Pose zeigten, ein willkommener NEIN spontan: „andere Person“, Anlass. Sie war wieder draußen, freigege- 63% 7% „keine der genannten Personen“ ben für das Ressentiment. Sie ist jetzt Hexe und Lustobjekt. Mit ihrem Vorschlag, Ehen TNS Forschung für den SPIEGEL vom 18. und 19. September; An 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/ 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/keine Angabe spontan:„interessiert mich nicht, ist mir egal“ auf sieben Jahre zu begrenzen, hat sie alle Ressentiments bestätigt. Es braucht schon

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gen, weil sie offiziell weiter Parteifreunde bleiben. Die Kämpfe müssen mit versteck- ten Angriffen und verdeckten Vergel- tungsaktionen geführt werden. Erwin Huber kennt das. Er hat erlebt, wie Stoiber alles dafür getan hat, ihn mög- lichst klein erscheinen zu lassen. Mitte Juli zum Beispiel gab Stoiber seine letzte Re- gierungserklärung im bayerischen Landtag ab, es wäre die Gelegenheit gewesen, Frie- den zu schließen mit seinen Nachfolgern. Nichts lag Stoiber ferner. Er pumpte sich auf zu einem Riesen, in dessen Schatten Beckstein und Huber verschwinden. Mehr als eine Stunde redete er von seinen Er- folgen, höchstes Wachstum, herausragende Universitäten, ausgeglichener Haushalt. Stoiber wuchs in dieser Rede in Höhen hinein, die für seine Nachfolger uner- reichbar sind. Ohnehin hinterlässt er ihnen kaum Spiel- raum für Politik, weil er noch ein Zukunfts- programm „Bayern 2020“ gestartet hat. Es

THOMAS LOHNES / DDP LOHNES THOMAS ist sein Vermächtnis und zugleich ein Kor- CSU-Kandidatin Pauli*: Freigegeben für das Ressentiment sett für die Nachfolger. Es geht um Hun- derte Millionen für den Umbau des bayeri- Verstiegenheit, wenn nicht eine Prise Irr- in den Urlaub. Irgendwann aber muss das schen Schulwesens und die Förderung der sinn, um der CSU einen solchen Vorschlag Familienoberhaupt aus dem Weg geräumt Universitäten, es ist ein Auftrag, an dem zu machen. werden, und zwar von den eigenen Leu- sich die CSU jahrelang abmühen soll. Beckstein und Huber kommt das alles ten. Das ist das Drama der CSU.“ Huber ist ein Geschöpf der Stoiberschen ganz gelegen. Pauli soll als Einzeltäterin Es mag merkwürdig klingen, aber Wahl- Herrschaft, ein Hofstaatsmensch, und das dastehen, als alleinige Mörderin Stoibers. niederlagen haben für die meisten Par- soll er bleiben, auch über Stoibers Herr- Nach dem Termin in Puschendorf, wo teien etwas Befriedendes. Die CDU musste schaft hinaus. Wenn einer sich so groß sie sich mit Freibier und Schnupftabak Zu- nicht lange darüber nachdenken, wie sie macht wie Stoiber, bleibt für die anderen neigung erkauft hat, blickt Gabriele Pauli Helmut Kohl in den Ruhestand schickt, sie nur das Kleine. Aber reicht das, wenn sie aus dem Fenster ihres Autos und sagt: „Die bestritt mit ihm 1998 einfach noch mal selbst Herrscher werden? beiden wollen sich reinwaschen.“ einen aussichtslosen Wahlkampf. Als die Ein Sommerabend in Oberbayern, Hu- Beckstein hat sich lange Zeit gern mit Wahl verlorenging, war der Alte weg. bers silberner BMW stoppt in Irschenberg. Pauli fotografieren lassen, es gibt Bilder Aber die CSU verliert nicht. Seit 45 Jah- Auf der Festwiese des Ortes ist ein Bierzelt vom fränkischen Fasching, wie Pauli, ver- ren regiert sie in Bayern mit absoluter aufgebaut, groß wie eine Fabrikhalle. Hu- kleidet als weißer Unschuldsengel, neben Mehrheit. Wenn die Partei jemanden los- ber wuchtet sich aus dem Fond, ruckelt dem wackeren Ritter Beckstein steht. Die werden will, muss sie selbst zum Messer sich die Hose zurecht und blinzelt in die beiden duzen sich seit Jahren. Heute ver- greifen. Das ist der Fluch ihres Erfolges. Abendsonne. Aber da ist nur Jakob Kreidl, sichert Beckstein, dass die Karriere der Es ist ein archaischer, ein brutaler Vor- der örtliche Landtagsabgeordnete. Er sieht Landrätin selbstverständlich am Ende sei. gang, vor allem in einer so überschaubaren aus, als würde er gleich sein Todesurteil in „Frau Pauli hat sich parteiintern äußerst Partei wie der CSU. Menschen, die über Empfang nehmen. illoyal verhalten.“ Jahrzehnte miteinander gearbeitet haben, „Wir haben ordentlich die Werbetrom- Dieser ganze Prozess um Stoibers Ablö- die voneinander jede Schwäche kennen mel gerührt“, stammelt er. Hinter ihm gäh- sung hat etwas Schmutziges. Dem Grund und jede Leidenschaft, werden plötzlich nen leere Bankreihen, ein paar Schnauz- kommt man näher, wenn man den Begriff zu Feinden. Sie dürfen das aber nicht sa- bärte sitzen da, sie tragen Lederhosen und der Gemeinschaft präzisiert. haben Gesichter, die rot glühen. „Wos is Das kann Andreas Kießling, er denn hier los?“, seufzt Huber. In einer ist Wissenschaftler bei der Ber- Ecke summt ein Großraumspüler. telsmann-Stiftung und hat vor In den nächsten Tagen machen die Bil- drei Jahren ein Standardwerk der von Huber vor dem leeren Bierzelt die über die CSU geschrieben. Runde in der CSU. Er war mal wieder zu Kießling hat versucht, die Par- klein, zu klein für ein großes Zelt. tei mit den Analyserastern der Erwin Huber war immer die kleine politischen Wissenschaft aus- CSU. Wenn Stoiber nach Berlin reiste, um einanderzunehmen, aber dabei die Republik zu retten, hatte Huber in stieß er an Grenzen. München das Sagen, er entschied, wer eine „Die CSU“, sagt er, „ist ja Umgehungsstraße bekommt oder einen nicht nur eine Partei, sie ist auch Zuschuss für ein neues Feuerwehrauto. eine Familie. Die meisten Leute „Besprich das mit dem Erwin“, sagte Stoi- kennen sich seit Jahrzehnten, sie ber, wenn Landtagsabgeordnete ihn mit duzen sich, sie fahren zusammen ihren lokalen Sorgen behelligten. Huber regelte die Sache.

* Bei einer Karnevalsveranstaltung am H. DARCHINGER J. Keiner kennt sich so gut aus in der 9. Februar in Veitshöchheim. CSU-Granden Stoiber, Strauß (1987): „Bierzelttauglich“ bayerischen Landespolitik wie er, ständig

42 der spiegel 39/2007 Deutschland ist er mit seinem wasserstoffbetriebe- trug. „Erwin ist mein Alter Ego“, hat Stoi- nen Dienstwagen im Freistaat unterwegs, ber damals gesagt. Es hat ihm geschmei- vor seinem Amtszimmer stehen sechs chelt. schwarze Aktenkoffer, sie werden von sei- Huber glaubte ziemlich lange, dass er ner Sekretärin ständig gefüllt, damit bei Stoibers Kronprinz sei, aber in den ver- jeder Fahrt die Versorgung mit Minister- gangenen Jahren wurde ihm immer kla- vorlagen gewährleistet ist. Das ist jetzt sein rer, dass Stoiber in erster Linie Eigennutz Trumpf und sein Makel. antreibt. Stoiber habe ihn vor allem geför- Huber ist ein Mann mit nüchternem Ver- dert, um sich selbst zu entlasten. Huber stand, er redet offen über die Gefahren, die klingt nicht enttäuscht, als er das erzählt. ihm als CSU-Vorsitzender bevorstehen. Er Eher ernüchtert, dass er sein halbes Leben sitzt in seinem Büro und hat sein Jackett einem Selbstbetrug aufgesessen ist. abgelegt, hinter ihm prangt, wie zur Mah- Ein guter Diener wird irgendwann Herr, nung, der in Bronze gegossene wuchtige das war wohl Hubers Kalkül. Er funktio- Schädel von Franz Josef Strauß. Der Über- nierte all die Jahre, als Generalsekretär, vater der CSU ist zur Messlatte geworden als Staatskanzleichef, als Finanzminister. für alle Nachfolger. Jetzt muss er feststellen, dass seine Zeit Es ist eines jener seltenen Gespräche, als Stoibers Sancho Pansa wie eine Hypo- bei dem man von einem Politiker nicht ein thek auf seiner Zukunft lastet. Schon jetzt witzeln Angela Merkels Leute über die „beiden Kurzen“, die demnächst die CSU übernehmen werden. Aus einem Alter Ego muss ein Ego wer- den, das ist das Problem, wenn eine lange bayerische Herrschaft zu Ende geht. Es fehlt an starken Figuren, weil fast alle im- mer nur folgsam waren. Für Beckstein gilt das wie für Huber. Für Hubers Rivalen um den Parteivor- sitz, Horst Seehofer, gilt das so nicht. Er hat im bayerischen Hofstaat die Nische des populistischen Hallodris besetzt. Er ist nicht allein von Stoiber abhängig, weil er einen starken Verbündeten hat: das Volk. Es ist Abend, Seehofer zu Gast beim Volk, den Bauern vom Landkreis Gar- misch-Partenkirchen. Es ist nicht ganz leicht, dieser Veranstaltung zu folgen, weil die Bauern so derbe Bayerisch reden, dass man fast nichts versteht. Aber es wird klar, dass sie zornig sind. Es geht unter ande- rem um eine „Kälberstrickverordnung“, die ihre Existenz zu bedrohen scheint. Sie

AKG machen Seehofer verantwortlich. Er ist der Bayerischer König Ludwig II. Landwirtschaftsminister. Eine Linie bis zu Strauß und Stoiber Es ist erstaunlich, wie er mit diesem Zorn umgeht. Er schmiegt sich geradezu hinein, eisernes Ich präsentiert bekommt. Huber wird selbst ein Zorniger gegen alles, was erzählt von seiner Zeit mit Stoiber, die bei- schlecht für die Bauern ist, und macht mit den kennen sich seit über 30 Jahren, und warmer Stimme aus dem Saal eine kleine während er redet, kann man einen Men- Gemeinschaft, zu der selbstverständlich er schen beobachten, der im Alter von 61 Jah- selbst gehört. Am Ende sind alle einver- ren versucht, einen ehrlichen Blick auf sei- standen mit diesem Mann, der sie so sanft ne Biografie zu erkämpfen. in die Behaglichkeit des Ungefähren ent- Huber, so viel kann man sagen, hat im- führt hat. Irgendwie wird schon alles gut mer mit Bewunderung auf Stoiber geblickt, werden für die Bauern. Großer Applaus. auf dessen Aggressivität und Durchset- Mit einem Volk im Rücken, das wachs- zungskraft. Es hat ihm Respekt abgenötigt, weich wird unter seinen Worten, ist See- mit welcher Härte Stoiber erst hofer zu einer gewissen Größe gewachsen. den Posten des Ministerpräsidenten nahm Anders als bei Huber wird bei ihm nicht und dann den Parteivorsitz angezweifelt, dass er in Berlin „auf Augen- entriss. Huber ordnete sich dem neuen höhe“ mitreden könne. Leitwolf unter. „Für uns war Stoiber im- Seehofers Nachteil ist das Hallodrihafte. mer der Spielertrainer und wir das Team.“ Während ein Hofstaatsmensch wie Huber Eine Weile dachte Huber, es gäbe so et- unbedingt geradlinig sein muss, weil er was wie Freundschaft zwischen ihm und sonst verloren wäre, verliert sich ein See- Stoiber, Ende der neunziger Jahre war das, hofer gern in den Wonnen seiner Berliner als sie praktisch täglich miteinander redeten Freiheiten. Aber der Unabhängige in ei- und Stoiber ihm immer mehr Macht über- nem streng regierten Reich kann nie ganz

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freudige Überraschung für sie sein, und sie lachen freudig. Er kennt das nicht anders. In diesem La- chen der Untertanen geht ein Mensch ver- loren und wird der Politikerwahnsinn ge- boren. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man einen Witz zum hundertsten Mal erzählt, und immer noch wird gelacht? Was macht das mit einem Menschen? Als Stoiber wirklich jede Leistung ge- rühmt hat, zählt er noch auf, dass Putin fünf Stunden Zeit für ihn hatte, der Präsident der Ukraine, Wiktor Juschtschenko, vier Stunden, und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy selbstverständlich alle Termine nach hinten geschoben hat, als Stoiber eine halbe Stunde verspätet war. Keine Minute dürfe ihm mit dem bayerischen Minister- präsidenten verlorengehen. Keine Minute, wiederholt Stoiber. Die Stoppuhr als letztes Maß für Bedeutung. So kann man sich im Wunsch nach Größe kleinreden. Das Gespräch ist zu Ende. Beim Ab- schied sagt Stoiber einen seltsamen Satz: Sie sehen mich wahrscheinlich gar nicht als Mensch. Was meint er damit? Man geht leicht beklommen. Bayern, in

PETER KNEFFEL / DPA seinem ewigen Widerstreit von Selbst- Ehrendoktor Stoiber*: Widerstreit zwischen Hybris und Zweifel zweifeln und Größenwahn, hat zweimal Politiker hervorgebracht, die vollkommen unabhängig sein. Er braucht den König, Es gibt in diesen anderthalb Stunden nur die Bodenhaftung verloren haben: Strauß den er herausfordert. Hin-und-her-Geris- ein „Ich“, nie ein „Wir“. Seine Sätze be- und Stoiber, der eine im großen Stil, der senheit wird zu seiner Natur. Seehofer hat ginnen so: „Also, die Hochschulreform, die andere im kleinen. Insofern stehen sie Stoiber schon zur Weißglut getrieben, um ich durchgeführt habe …“ Oder so: „Ich tatsächlich in einer Linie mit dem Mär- dann wieder sein engster Verbündeter habe Museen gebaut, und es ist mir gelun- chenkönig Ludwig II. zu sein. Ihm ist so ziemlich jede politi- gen …“ Dieses „Ich“ wird im Laufe des Bayern ist eine Demokratie, die im Kern sche Position zuzutrauen, die meisten hat Gesprächs immer größer, fetter, königli- ein Königtum geblieben ist. er schon eingenommen und wieder ver- cher, bis er erzählt, dass er schon mit einem Stoibers Asienreise, der letzte Abend, worfen. König verglichen wurde. Seit Ludwig II., Bangalore in Indien. Es ist spät, ein Teil der Dieses ewig Unentschiedene, Zwielich- dem Erbauer von Schloss Neuschwanstein, Delegation sitzt am Pool, Journalisten tige zeigte sich auch im Umgang mit seiner habe niemand so viel für die Kultur getan meist, Stoiber ist nicht mehr da. Die Leu- Affäre. Er brauchte sehr lange, um zu ent- wie er. te sind vergnügt. scheiden, ob er bei seiner Ehefrau bleibt Er schaut einen nicht an, während er Plötzlich spricht Stoiber. Er hält seine oder zu der Geliebten geht, Mutter seines spricht, höchstens aus den Augenwinkeln. verquaste Rede über den Transrapid, bei vierten Kindes. Das hat seiner Kandidatur Der Blick soll frei sein, meist geht er nach der er sich so oft verheddert und ver- geschadet. Seine einzige Chance auf dem oben, wo hinter Decke und Dach der Him- spricht, dass sie längst Kult ist. Es gibt meh- Parteitag ist seine Redekraft, sein Bedie- mel liegt. Seine Beine sind übereinander- rere solcher Reden von ihm. nungstalent gegenüber Versammlungen. geschlagen, und die Füße sind ständig in Seine Stimme schallt über den Pool in Aber Huber ist Favorit. Bewegung, als würde er noch im Sitzen Bangalore, es ist eine warme Nacht, der Ärgert das Stoiber? Weil Huber daran laufen, rennen. Aber wohin? Oder weg von Himmel ist klar. Die Stimme kommt aus beteiligt war, ihn zu stürzen, Seehofer was, von wem? einem Handy, das einer aus der Delega- nicht? Das wäre so eine Frage, auf die man Wenn er nicht von sich redet, redet er tion auf den Tisch gelegt hat. Er hat sich gern eine Antwort von ihm hätte. von Franz Josef Strauß. Er rühmt ihn als alle missratenen Reden Stoibers auf sein Es war leider nicht möglich, sie zu be- den Größten, bis er erzählt, wie er von Handy geladen. Sie laufen nacheinander, kommen. Es gab zwar vorletzte Woche ein Strauß gerühmt wurde: „Du bist bierzelt- Transrapid, Problembär. längeres Gespräch mit Stoiber. Aber Fra- tauglich“, habe Strauß gesagt. „Er hat es Selten wurde wahrscheinlich so lange so gen hat er praktisch nicht beantwortet. Er mir zugetraut.“ Der große Strauß und der laut am Pool von Bangalore gelacht, man hatte etwas eigenes im Sinn mit diesem kleine Stoiber, aber der war – man hat es krümmt sich, Tränen fließen. Es ist ein an- Gespräch. sich gedacht – gar nicht so klein, sondern deres Lachen, als das in der Landesvertre- Es beginnt wie immer, er kommt herein hat Strauß zum Kanzlerkandidaten ausge- tung in Berlin. Es drückt nicht Zustimmung mit diesem herausgesungenen „Sooo“. Was rufen, ohne zu wissen, ob der einverstan- aus, sondern Belustigung. Aber auch dies dann folgt, ist ein schneidiger Marsch den war. So erzählt Stoiber das. Eine Hel- ist ein Untertanenlachen, weil es nur ge- durch das Museum der eigenen Erfolge. dentat mehr. wagt wird, solange der König nicht da ist. Stoiber erzählt anderthalb Stunden lang, Und dann muss er noch unbedingt Für die, die demnächst gewählt werden, wie großartig er ist und was er alles ge- Strauß mit dem Satz zitieren, dass die CSU wäre es wohl nicht schlecht, sie würden schaffen hat. für die Leberkäs-Etage und die Kaviar- hin und wieder ein ehrliches Lachen Etage zuständig sei, jenes tausendmal ge- hören. Es gehört einfach zu einer Demo- * Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Sogang- sagte Bonmot, und er guckt seine beiden kratie, weil es dafür sorgt, dass Politiker Universität in Seoul am 26. März mit seiner Frau Karin. Presseleute an, als könne dieser Satz eine Menschen bleiben. ™

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