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Sendung vom 18.04.2006, 20.15 Uhr

Erwin Huber Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-forum. Unser heutiger Gast ist Erwin Huber, Mitglied des Bayerischen Landtags und Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Ich freue mich, dass er hier ist, herzlich willkommen, Herr Staatsminister. Huber: Grüß Gott. Reuß: "Politik ist angewandte Liebe zur Welt." Dieser schöne Satz wird der philosophischen Gelehrten Hannah Arendt zugeschrieben. Sie sind seit fast 40 Jahren politisch tätig, seit über 30 Jahren im Kreistag -Landau in Niederbayern und seit fast 30 Jahren im Bayerischen Landtag. Seit über zehn Jahren sind Sie auch Mitglied der Bayerischen Staatsregierung: als Leiter der Staatskanzlei, als Finanzminister und jetzt als Wirtschaftsminister. Sie waren auch sechs Jahre CSU-Generalsekretär. Sie haben also eine Menge politische Erfahrung: Hat man da noch politische Visionen? Oder, anders gefragt, was ist Politik für Erwin Huber? Huber: Politik ist für mich die Gestaltung der Heimat. Ich bin zur Politik gekommen, weil ich etwas tun wollten für mein eigenes Land und für meine niederbayerische Heimat. Das hat sich ausgeweitet auf Bayern und ich konnte dann auch mitwirken bei vielen Entscheidungen auf der Bundesebene, bei Koalitionsverhandlungen usw. Das heißt, ich habe eine große Spannbreite ausfüllen dürfen, von der Lokal- und Kommunalpolitik bis zur Bundespolitik. Es gibt einem schon ein gutes Gefühl, etwas für die Menschen und für das Land tun zu können. Reuß: Die Politik hat sich in dieser Zeit sicherlich verändert. Was sich ganz sicher verändert hat, ist die Medienlandschaft: Es gibt heute so viele Medien wie nie zuvor, denn wir haben eine unglaublich hohe Mediendichte. Es gibt einen schönen Satz des ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführers Peter Glotz: "Der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Schauspieler ist heute graduell und nicht prinzipiell." Ist das so? Muss man als Politiker heute manchmal auch eine gewisse Rolle spielen? Huber: Für schlechte Politiker ist der Unterschied meiner Meinung nach nicht groß. Für den echten Politiker kommt es auf die Sache an, kommt es darauf an, Entscheidungen in der Sache für das Land, für die Zukunft herbeizuführen. Dass man dies auch entsprechend verkaufen darf und muss, das gehört in der Demokratie auch dazu: Man will ja Menschen überzeugen, man will Menschen gewinnen. Man muss ja auch Mitstreiter haben für eine politische Vision. Aber wenn das "Showgeschäft" zum Hauptinhalt würde und die Sache selbst mehr oder weniger zur Nebensache, dann wäre das Ganze falsch angelegt. Dass man in der heutigen Zeit und in der Demokratie überhaupt versuchen muss, Mehrheiten zu gewinnen und die Bürger von einer bestimmten politischen Auffassung zu überzeugen, ist klar. Man muss sie mitnehmen und auch offen sein für den Dialog. In der heutigen Zeit kann man ja Gott sei Dank durch die Nutzung dieser unterschiedlichen Medien – auch das Internet z. B. gehört hierher – mit vielen Bürgern in Dialog treten. Reuß: Man hat angesichts der vielen Medien manchmal den Eindruck, dass die Parteien ein bisschen auf die Medientauglichkeit ihrer Kandidaten achten – und vielleicht sogar darauf achten müssen. Erhard Eppler hat unlängst geschrieben: "Man darf fragen, ob die Gaben, die heute nötig sind, um Bundeskanzler zu werden, andere sind als jene, die man braucht, um Bundeskanzler zu sein." Diese Aussage gilt sicherlich nicht nur für das Amt des Bundeskanzlers, sondern für viele weitere politische Ämter. Ist es so, dass die Medientauglichkeit der Politiker heute eine größere Rolle spielt als früher? Huber: Das glaube ich schon. Die Wahlkämpfe werden ja auch sehr viel mehr über die Medien geführt. Vielleicht hätte es ein Mann wie Konrad Adenauer heute sehr viel schwerer als zu seiner Zeit. Aber man kann auf der anderen Seite auch sagen: Der "Medienkanzler" Gerhard Schröder hat die Wahl gegen Angela Merkel letztlich doch verloren, gegen eine Kandidatin also, der man nicht die gleiche Medienwirksamkeit zugeschrieben hat. Das heißt, nach einer gewissen Zeit kommt es doch mehr auf die Substanz an. Aber dass die Medien in der heutigen Zeit durchaus auch eine Verführung für die Politiker sind, das muss man einfach wissen: Hier sollte der Zuschauer auch entsprechend kritisch sein. Reuß: Nun wollen ja Politiker in der Regel wiedergewählt werden. Huber: Das ist ja auch legitim. Reuß: Ja, das ist legitim. Aber das föderale System in unserem Land bringt es mit sich, dass fast permanent irgendwo Wahlen stattfinden. Heute werden ja selbst Kommunalwahlen gelegentlich zu Bundestagswahlen hochstilisiert: Man schaut, wie die einzelnen Parteien abschneiden und was gewesen wäre, wenn es eine Bundestagswahl gegeben hätte. Man hat den Eindruck, dass manchmal wichtige Wahlen unbequeme aber notwendige Entscheidungen verhindern. Carl Friedrich von Weizsäcker hat das einmal auf den Punkt gebracht: "Wie kann eine Regierung das langfristig Notwendige entscheiden, wenn es kurzfristig unbeliebt ist und den Wahlerfolg bedroht"? Ist das eine Gefahr? Huber: Ja, natürlich ist das eine Gefahr. Der Unterschied zwischen dem Politiker und dem Staatsmann besteht ja vielleicht überhaupt in dem unterschiedlichen Zeithorizont, in dem da gedacht wird. Man sagt ja gelegentlich, der Politiker denkt an die nächste Wahl, der Staatsmann jedoch an die nächste Generation. Eine der Stärken der bayerischen Politik und vielleicht auch meiner Partei besteht darin, dass wir doch so gute Mehrheiten haben, dass wir in längeren Zeiträumen denken können. Manche Entwicklungen brauchen eben auch eine längere Zeit. Und wenn der Zeithorizont der Politik zu kurz angelegt ist, dann wird daraus Aktionismus. Das heißt, es stellt durchaus eine Gefahr dar, dass ständig Wahlen sind oder Plebiszite oder Umfragen. Aber genau da merkt man dann eben, ob bei einem Politiker oder in einer Partei Substanz vorhanden ist: Das ist dann der Fall, wenn er sich durch wechselnde Stimmungen nicht davon abhalten lässt, das langfristig Richtige zu tun. Reuß: "Wir sind nicht in einer Schönwetterphase der Politik, wir sind in schweren Gewittern und da muss man mit Mut auch unpopuläre Dinge tun. Wer das nicht aushalten kann, ist fehl am Platz in der Politik." Dieser Satz stammt von Ihnen. Man braucht aber nun einmal, Sie haben es zu Beginn bereits gesagt, Mehrheiten, um seine politischen Ziele durchsetzen zu können: Mehrheiten in der Bevölkerung, Mehrheiten in der Partei, Mehrheiten in der Fraktion usw. Manchmal ist es auch auf Bundesebene notwendig, dafür eine Koalition einzugehen. Das kostet sicherlich alles sehr viel Kraft, denn man muss hier ja permanent Überzeugungsarbeit leisten. Dafür braucht man jedoch Geduld. Sind Sie ein geduldiger Mensch? Huber: Geduld gehört mit Sicherheit nicht zu meinen Stärken. Ein geduldiger Dulder bin ich sicher nicht, sondern eher jemand, der versucht etwas voranzubringen. Das hat mir auch schon einiges an Ärger und Kritik eingebracht, weil man den Eindruck hatte, ich würde zu sehr über Einwände oder Bedenken hinweggehen. Auf der anderen Seite ist es aber doch so: Deutschland ist eine langsame Republik. Wir sind der heutigen Dynamik in Europa und überhaupt in der Welt nicht mehr gewachsen. Wir haben auch ein sehr schwerfälliges politisches System. Das heißt, der Föderalismus ist ja nun einmal insgesamt schwerfälliger. Daher müssen wir auch einiges tun im Hinblick auf unsere Strukturen. Die Föderalismuskommission ist da ein guter Ansatz. Aber es müssen auch die Politiker bereit sein, den Bürgern zu vermitteln, dass wir die Dinge anpacken. Wir führen Lösungen herbei. Die Demokratie darf also nicht darin bestehen, dass man einander nur die Schuld zuschiebt: von der Kommune zum Land, vom Land zum Bund und vom Bund nach Europa. Denn die Bürger wenden sich dann auch ab und trauen uns Politikern überhaupt nicht mehr zu, Entscheidungen herbeizuführen. So ein Vertrauensverlust ist jedoch in einer Demokratie nicht ungefährlich. Das heißt, wir sind gefordert hier eine Balance zu finden zwischen der Aufnahme von verschiedenen Einwänden und Bedenken und der notwendigen Entscheidungsfähigkeit. Reuß: Sie sind heute Wirtschaftsminister. Es gibt ja den leicht bissigen Satz des Kabarettisten Dieter Hildebrandt: "Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt." Können Sie verstehen, dass manche Menschen den Eindruck haben, die Politik wäre manchmal hilflos – zumindest gegenüber international agierenden Unternehmen? Huber: Das kann ich nachempfinden und es ist ja auch in der Tat so, dass große Konzerne, die international tätig sind, auf nationale oder gar regionale Politik weniger Rücksicht nehmen müssen. Damit entsteht für viele Politiker ein Gefühl der Ohnmacht oder der Hilflosigkeit und bei manchen Menschen natürlich auch ein Gefühl des Zorns und der Abhängigkeit. Es gab da ja auch mal diesen Spruch: "Die etwas zu sagen haben, die können wir nicht wählen, und die wir wählen, haben nichts zu sagen." Ich glaube jedoch, dass das eine Überzeichnung ist. Wir leben aber in der heutigen Zeit nun einmal in Strukturen zusammen, die sich auf ganz Europa oder sogar die ganze Welt erstrecken. Dementsprechend relativiert sich auch der politische Einfluss und vielleicht auch die nationale Politik. Das macht das Ganze schwieriger: Da muss man Überzeugungsarbeit leisten, da muss man beispielsweise im Bereich der Wirtschaft den Wettbewerb aufnehmen. Es wird niemand in Bayern investieren, weil es hier bei uns so schön ist oder weil bei uns die Luft so sauber ist oder weil wir so schöne Seen und hohe Berge haben. Stattdessen kommt man hierher zu uns, weil man hier wirtschaftliche Chancen sieht. Deshalb sind wir hier stärker gefordert, uns diesem Wettbewerb zu stellen; da hilft auch kein Jammern. Wir haben aber auch ganz gute Vorteile, die wir eben zur Geltung bringen müssen. Reuß: "Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu stehen." Das sagte einmal Franz Josef Strauß. Und Heinrich Lummer hat einmal ergänzt: "Konservativ sein heißt nicht, die Asche zu bewahren, sondern das Feuer." Würden Sie sagen, dass Sie ein konservativer Mensch sind? Wenn ja, wie würden Sie das für sich definieren? Huber: Ich habe die Diskussion um das Grundsatzprogramm der CSU seinerzeit ja schon mitgemacht. Damals waren es viele Junge, auch in meinem Alter, die gesagt haben: "Das Bekenntnis, dass die CSU auch eine konservative Partei ist, wollen wir nicht ins Programm hineinschreiben!" Franz Josef Strauß hat dann aber in einem sehr feurigen und engagierten Diskussionsbeitrag dafür geworben, das dennoch so hineinzuschreiben. Und da war eben auch der Satz mit dabei: "Konservativ sein heißt, sich an die Spitze des Fortschritts setzen." Man muss dafür halt wissen, was man bewahren möchte. Strukturen und überkommene Einrichtungen zu bewahren, macht schon einen Sinn. Bayern ist ja gerade deshalb auch schön, weil wir uns zu Brauchtum, Tradition und Geschichte bekennen. Aber manches ist eben nicht überlebensfähig und deshalb ist es das Entscheidende zu sagen: "Wir müssen Werte bewahren!" Natürlich geht es dabei um die Würde des Menschen, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben ist. Aber für mich geht es da eben auch um das christliche Menschenbild, um solche Begriffe wie Solidarität, Selbstverantwortung, Eigenverantwortung bis hin zu den so genannten Sekundärtugenden wie Verlässlichkeit, Sauberkeit, Pünktlichkeit usw. All das zusammen ergibt meiner Meinung nach ein Bild, sodass man sagen kann: "Wir können nicht jeden Tag die Welt neu erfinden, wir brauchen stabile Positionen und auch Werte!" Eine konservative Partei muss hier die richtige Balance finden: Sie muss das bewahren, was erhaltenswert ist, und sie muss offen sein für das Neue. Nur dann wird man, glaube ich, dem Lebensgefühl der Menschen gerecht. Reuß: Ich würde hier gerne eine kleine Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Erwin Huber näher vorstellen. Sie sind am 26. Juli 1946 geboren und in Reisbach, einer kleinen Gemeinde in Niederbayern mit heute etwa 7500 Einwohnern, aufgewachsen. Sie sind, wie ich im Gemeindebrief nachgelesen habe, heute in dieser Gemeinde auch Ehrenbürger. Sie sind vaterlos und mit zwei Brüdern aufgewachsen. Ihre Mutter war Näherin. Wie war Ihre Kindheit? Wie würden Sie das beschreiben? Huber: Die muss man natürlich in ihre Zeit hineinsetzen, also in die vierziger und fünfziger Jahre. Ich bin nach dem Krieg geboren, aber ich habe die Folgen des Krieges, die Armut der Menschen, die Not, durchaus noch kennen gelernt. Ich möchte nicht kokettieren damit, aber es ist eben so: Ich bin in kleinen, eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen – was für einen Menschen jedoch kein Nachteil sein muss. Ich hatte die Liebe meiner Mutter, die mir sehr viel bedeutet hat. Und ich hatte damals in diesem ländlichen Raum Entwicklungschancen, die man dort davor nicht gekannt hat. Das heißt, ich bin auch in der Geborgenheit eines überschaubaren ländlichen Raumes aufgewachsen, was mir für mein Leben sehr viel mitgegeben hat. Reuß: Sie sind Ihrer Heimat treu geblieben, denn Sie leben bis heute in Reisbach. Gab es nicht auch mal den Wunsch zu sagen: "Jetzt will ich doch noch woanders hin, will etwas anderes machen"? Denn nach den Koalitionsverhandlungen hätten Sie ja z. B. auch Kanzleramtsminister werden können. Huber: Zunächst einmal: Ich bin mit Leib und Seele Politiker. Ich strebe also keine andere Tätigkeit z. B. in der Wirtschaft an, weil mir dort dieses Gefühl, für die Heimat und für das Land da zu sein, nicht in gleichem Maße möglich wäre. Aber ich hatte schon auch das Glück, dass ich nach meiner schulischen Ausbildung im Jahr 1968 nach München gekommen bin. So gesehen lebe ich heute eigentlich in zwei Welten: Ich lebe in einem überschaubaren, ja fast schon idyllischen Raum, der allerdings auch eine gute wirtschaftliche Entwicklung genommen hat, weil dort in Reisbach in der Nähe von Dingolfing eben auch weltberühmte Autos gebaut werden und Wohlstand in diesen ländlichen Raum gekommen ist. Ich bin eben seit 1968 in München beruflich tätig gewesen. Ich habe hier in München das Abendgymnasium besucht und bin seit dieser Zeit, also seit mehr als 30 Jahren, sowohl im ländlichen Raum wie auch in der Weltstadt zu Hause. Die Kombination dieser beiden Welten hat natürlich schon ihren besonderen Reiz. München ist eine wunderbare Stadt und München bietet einem eben auch den Blick in die große, weite Welt, in die moderne Technologie, in die Wissenschaft und Kultur. Zu Hause in Reisbach habe ich diesen eher beschaulichen ländlichen Raum. In der Kombination ergibt das schon fast ideale Lebensbedingungen. Reuß: Ich darf noch einmal zu Ihrer Biographie zurückkommen. Sie haben die Herzog-Tassilo-Realschule in Dingolfing besucht und sie, wenn ich das richtig weiß, als Klassenbester mit der Mittleren Reife abgeschlossen. Sie selbst haben Ihren Werdegang einmal ironisch beschrieben: "Ministrant, Oberministrant, Abgeordneter, Minister: eine typisch bayerische Karriere!" Sie sind Minister in einer Regierung, die ihrerseits von einer Partei getragen wird, die sich klar zum Christentum bekennt, die auch das "C" im Namen trägt. Sie selbst haben einmal gesagt: "Der richtige Kompass für mich ist das christliche Menschenbild." Wie wichtig ist Ihnen dabei Ihr Glaube und spielt er auch eine Rolle in der täglichen politischen Arbeit? Huber: Ich bin in einem katholischen Milieu aufgewachsen. Mit neun oder zehn Jahren bin ich dann Ministrant geworden und war das dann auch ziemlich lange, nämlich zehn Jahre lang. Wenn man so will, bestand mein erstes öffentliches Auftreten im Ministrieren. Gelegentlich sage ich das in der Tat: "Meine Laufbahn war Ministrant, Oberministrant, Minister". Das klingt witzig, aber es ist eben auch ein sehr wahrer Kern in dieser Aussage. Der Wortstamm in allen drei Wörtern bedeutet ja "Diener". Ich glaube, dass die Minister wirklich gut daran tun, sich in besonderer Weise auch als Diener zu sehen – und nicht als Herrscher. Natürlich hat mich das geprägt. Religion und Glaube sind für mich auch heute noch etwas sehr Wichtiges. Der Mensch braucht Orientierung im Leben und jeder hat die Freiheit, sich die Orientierung zu suchen, die er für richtig hält. Für mich ist das der christliche Glaube. Natürlich ist es so, dass man dann als Mensch auch aus diesen Grundsätzen heraus lebt: in der ganzen Unvollkommenheit und Sündigkeit des Menschen. Wir in der CSU nehmen mit unserem Bekenntnis zum "C" ja nicht in Anspruch, die besseren Christen zu sein. Stattdessen sagen wir: "Das ist unser Kompass!" Man ist ja nicht hier Politiker und dort Mensch; vielmehr geht das eigene grundsätzliche Denken in die politische Arbeit ein. Damit meine ich die Orientierung auf den Menschen hin oder auch die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, zur persönlichen Glaubwürdigkeit als wichtigem Gut. Das sind Dinge, bei denen man sich allerdings immer wieder selbst überprüfen muss: Hier kann keiner von sich sagen, er hätte bereits den Zustand der Vollkommenheit erreicht. So etwas gibt es nämlich gar nicht. Man muss also immer wieder Gewissenserforschung betreiben und sich fragen, ob man in bestimmten Aussagen und Handlungen auch wirklich richtig gelegen hat oder nicht. Reuß: Sie sind auch noch Mitglied im Sportverein in Reisbach. Ich habe nachgelesen, dass Sie in Ihrer Jugend Fußball gespielt haben. "Bestimmt, aber fair", so hat einmal der Bürgermeister Ihrer Heimatgemeinde, Sepp Steinberger, Ihre Art Fußball zu spielen charakterisiert. Wie lange haben Sie gespielt und welche Position haben Sie gespielt? Huber: Ich habe nur zwei Jahre gespielt. Im Training war ich natürlich öfter, aber wirklich in der Mannschaft gespielt bei den Punktspielen habe ich nur ein Jahr in der Jugend und dann ein Jahr in der Seniorenmannschaft. Seinerzeit gab es ja noch eine andere Aufstellung der Spieler innerhalb der Mannschaft. Damals gab es noch nicht solche Spielsysteme wie 4-2-4 usw. Ich habe, und das wird Sie vielleicht wundern, linker Läufer gespielt: Ich spielte auf der linken Seite im Mittelfeld, obwohl ich eigentlich ein Rechtsfuß bin. Was war damals möglicherweise das Prägende für mich? Ich bin einer, der sich wirklich in eine Sache hineinkniet. Man könnte auch sagen, ich bin eher ein Kämpfertyp, der auf ein Ziel, das er sich gesetzt hat, mit Beharrlichkeit und gelegentlich auch mit Sturheit hinsteuert und der weiß: Sowohl im Sport wie auch im Leben wie auch in der Politik wird einem in der Regel nichts geschenkt. Gerade die Dinge, die schwierig sind, die muss man sich oft erst hart erkämpfen. Ich glaube daher in der Tat, dass der Sport, dass eine sportliche Tätigkeit den jungen Leuten heute sehr viel geben kann, u. a. das Gefühl, dass man ausdauernd sein muss, dass man bereit sein muss, auch Schweiß zu vergießen und die Kräfte, die man hat, wirklich einzubringen. Und man muss auch fähig sein, Niederlagen zu bewältigen, ohne dass man das gleich als das absolute Elend empfindet. Mit Siegen muss man allerdings auch vernünftig umgehen können. Der Sport kann einem also viel bedeuten. Im Moment treibe ich aber eigentlich nur noch einen Sport: Radfahren. Ich fahre im Sommer gerne mit dem Rennrad durch meine schöne niederbayerische Hügellandschaft. Aber auch da muss man gelegentlich schwitzen. Ich bin beim Rennradfahren jedenfalls im Einklang mit der Natur und diese körperliche Beanspruchung gibt mir auch die Gelegenheit, geistig zu regenerieren. Reuß: Sie waren auch in der Kolpingjugend aktiv. Hier muss ich vielleicht ein wenig ausholen, denn das Kolpingwerk kennt zwar jeder, aber wenn man dann nachfragt, stellt man fest, dass viele Menschen nicht so genau wissen, was dort gemacht wird. Adolph Kolping war selbst in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und zunächst Schuster, bevor er sich entschloss, Priester zu werden. Er hat dann, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, 1849 die ersten Gesellenvereine gegründet. Sein Ziel bestand darin, den wandernden Handwerksgesellen in ihrer wirtschaftlichen Not zu helfen, ihnen eine familiäre Gemeinschaft, eine Heimat zu bieten. Er selbst hat einmal gesagt: "Der Mensch ist der Schöpfer seines Glücks und die Wurzel der Menschheit ist die Familie." Heute ist das Kolpingwerk einer der führenden katholischen Sozialverbände mit knapp 300000 Mitgliedern. Sie waren, wie gesagt, in der Kolpingjugend aktiv und haben später auch eine Kolpingfamilie geführt. Hat diese Arbeit für Sie eine gewisse soziale Prägung bedeutet? Huber: Ja, und das zunächst einmal in ganz praktischer Hinsicht, indem man lernt, mit Gruppen umzugehen, indem man bereits mit 15, 16 Jahren Verantwortung für Gleichaltrige übertragen bekommt. Das prägt einen für sein Leben. Die Philosophie von Adolph Kolping ist einfach und lebensnah. Kolping war ja kein großer Theologe und Gelehrter, sondern einer, der die Aufgaben vom praktischen Leben her definiert hat. Ja, das hat mich schon geprägt. Kolping sagte, jeder Mensch müsse eigentlich in vier Verantwortungsbereichen tätig sein: Das ist der Bereich der Familie, der des Berufes, das ist die Kirche und das ist das öffentliche Leben. Das sind ja auch in der Tat die Räume, in denen man als Mensch tätig ist. Er sagte auch, dass man zwar nicht überall Meister sein kann, aber dass man sich anstrengen muss und der Verantwortung in allen diesen vier Bereichen gerecht werden muss. Das ist also eine ganz praktische Hilfestellung, die man durch Kolping und sein Werk bekommen kann. Reuß: Mit Blick auf die Uhr raffe ich jetzt ein bisschen Ihre Biographie: Sie haben dann eine Ausbildung als Steuerinspektor gemacht. Ich glaube, auch dort waren Sie damals Jahrgangsbester in ganz Bayern. Sie waren dann eine Zeit lang im Finanzministerium tätig, und zwar u. a. in der Pressestelle, und Sie haben dann, wie gesagt, das Abendgymnasium besucht und Ihr Abitur gemacht. Anschließend haben Sie Volkswirtschaft studiert. 1978 sind Sie dann mit 32 Jahren zum ersten Mal in den Landtag gewählt worden. Wie haben die älteren Abgeordneten auf Sie reagiert? Wie ist es, wenn man als junger Mensch in dieses große, ehrenwerte Haus kommt? Huber: Zunächst einmal doch noch ein paar Worte zu meinem Werdegang. Ich habe in einer meiner ersten Stunden im Fach Englisch an der Realschule den ganz simplen Spruch gelernt: "Good, better, best – let us never rest 'till our good is better and our better best." Daran kann man sich im Leben schon gelegentlich aufrichten. Reuß: Darf ich hier nachhaken? Ist das ein Leitspruch, der Sie begleitet hat? Huber: Als Leitspruch wäre er mir zu simpel, aber die dahinterstehende Lebensphilosophie habe ich durchaus. Ich glaube, man muss all seine Talente, die man bekommen hat, auch einsetzen. Denn sonst würde man sich Chancen verbauen, würde man vorhandene Chancen nicht wahrnehmen. Darum habe ich mich jedenfalls immer bemüht, wie ich sagen darf. Zur Politik bin ich über die Kolpingjugend und die Junge Union gekommen. Und dann gab es eben 1978 die Chance, in den Landtag gewählt zu werden. Wir hatten damals ein sehr gutes Wahlergebnis in ganz Bayern und so bin ich über die Liste in den Landtag hineingekommen, obwohl ich damals noch sehr jung gewesen bin. Seinerzeit war es etwas härter für die Jüngeren, denn es gab stärkere Hierarchien als heute. Man musste damals als Junger seinen Tatendrang gelegentlich auch mal etwas bremsen, um nicht gleich als altklug oder als frech eingeordnet zu werden. Das heißt, man hat dann eben seine Ideen dosiert eingebracht, aber durch Arbeit, durch Fleiß, durch Einsatz, durch Ideen kommt man eben auch im Bereich der Politik voran. Viele Menschen können sich das ja nicht vorstellen und meinen, dass in der Politik gerade diejenigen vorwärts kämen, die die flottesten Sprüche drauf hätten. Je weiter es in der Politik nach oben geht, umso härter wird natürlich die Auslese. Das ist schon auch richtig so, weil man dabei ja auch in immer größere Verantwortungsbereiche hineinkommt. Da muss man dann eben auch beweisen, dass man schwierige Situationen meistern kann. Ich hatte z. B. damals an der Seite von Alois Glück diese schwierigen Diskussionen im Zusammenhang mit dem Reaktorunglück in Tschernobyl zu führen: Das waren wirklich harte Auseinandersetzungen, denen wir uns da stellen mussten. Reuß: Sie waren damals der Vorsitzende des Umweltausschusses. Huber: Ja, das war ich dann auch. Wenn man sich in einem Saal mit 500 Kernenergiegegnern befindet und der einzige Befürworter der Kernenergie ist, dann muss man tatsächlich Standfestigkeit zeigen. Und man muss natürlich auch ein Gefühl für die jeweilige Situation haben, um die Menschen nicht zu überfordern. Als junger Politiker hätte ich gesagt: "In einer Zeit, in der sich alles so schnell ändert, ist die Lebenserfahrung nicht mehr so bedeutsam." Heute, als Älterer, würde ich sagen: "Ein Stück Lebenserfahrung gehört eben doch mit dazu, um schwierige Situationen meistern zu können!" In meinem Alter, in meiner Position muss man sich vor allem die Offenheit für die Zukunft bewahren, die Fähigkeit Widerspruch ertragen und aufnehmen und über den Tag hinaus denken zu können. Ich glaube, die sehr guten Politiker unterscheiden sich von den guten dadurch, dass sie in der Lage sind, auch einmal die Perspektive der nächsten fünf, sechs, zehn Jahre aufmachen und entsprechend vorausdenken zu können, wenn sie dort einen Fixpunkt nehmen und sich dann überlegen, wie man von heute aus dorthin kommen kann und sich eben nicht vollkommen vom Trott des Alltags und der Alltagskleinarbeit vereinnahmen lassen. Und sie unterscheiden sich dadurch, dass sie Aktionismus nicht für Politik halten. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen und bei denen wir öfter auch mal unsere eigene Arbeit überprüfen müssen: Sind wir diesen Zielen, diesen Herausforderungen noch gewachsen? Wenn man das mit ja beantworten kann, dann ist man in persönlicher Hinsicht vielleicht auch fähig, größere Verantwortung zu tragen. Wenn man jedoch diese Fähigkeit, über den Tag hinaus zu denken, nicht mehr hat, wenn man nicht mehr offen ist für neue Ideen, dann wäre es gut, an den Ruhestand zu denken. Aber das tue ich jetzt noch nicht. Reuß: Sie sind persönlich auch tatsächlich in immer größere Verantwortung hineingewachsen. 1987 wurden Sie zunächst stellvertretender Generalsekretär der CSU und 1988 dann in der Nachfolge von Gerold Tandler unter Franz Josef Strauß Generalsekretär. Sein Nachfolger hat die Eigenschaften eines CSU-Generalsekretärs einmal so beschrieben: "Er braucht Mut und Durchsetzungsvermögen, Erfahrung im Management und ein Gespür für den sozialen Wandel." Zudem sei der CSU-Generalsekretär so etwas wie der Minenhund der CSU, der dem Parteivorsitzenden den Rücken frei halten muss. Theo Waigel meinte außerdem, der Generalsekretär dürfe bei aller Sensibilität nicht zu zart besaitet sein. Sie waren sechs Jahre lang Generalsekretär: Hat Theo Waigel dieses Amt richtig beschrieben? Huber: Er hat es ziemlich gut beschrieben. Aber das ist natürlich auch eine Idealbeschreibung, der man normalerweise nicht gerecht werden kann. Die Öffentlichkeit nimmt einen Generalsekretär allerdings nicht in der Breite seiner ganzen Arbeit wahr. Stattdessen sieht sie ihn eher permanent im Kampfgetümmel. Und es stimmt schon, als Generalsekretär steht man nun einmal an der vordersten Front der Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Man hat ja auch die Aufgabe, vor allem die Gegensätze zu den anderen Parteien herauszustellen und deshalb wird die eigene Persönlichkeit durch diese politische Aufgabe eher in den Hintergrund gedrängt. So entsteht bei vielen Menschen wohl ein falsches Bild des Generalsekretärs. Mit diesem Klischee muss man gerade als Generalsekretär nun einmal leben. Man braucht dann hinterher auch ein bisschen länger, bis man dieses öffentliche Bild wieder korrigieren kann. Und man muss natürlich schon auch aufpassen, dass man sich nicht selbst verbiegt. Aber auf der anderen Seite bietet einem das Amt des Generalsekretärs der CSU auch die Möglichkeit, reichhaltige und breite Erfahrungen zu machen. Die CSU ist eine große Volkspartei mit vielen interessanten Menschen: Hier schöpft man aus einem Erfahrungsschatz, der in einem anderen Amt kaum zu gewinnen ist. Aber ich gebe zu, dass das auch eine recht schwierige Zeit gewesen ist damals. In diese Zeit fiel ja auch der Tod von Franz Josef Strauß. Seine Nachfolge als Parteichef trat dann Theo Waigel an und in der weiteren Folge ging es dann auch noch um die Nachfolge von als Ministerpräsident. Die Republikaner waren damals sehr stark: Sie erreichten in Bayern bis zu 15 Prozent. Die CSU hatte die vielleicht größte Gefährdung der gesamten letzten 50 Jahre zu bestehen. 1993/94 war die Frage, ob die CSU die Mehrheit in Bayern behalten kann. Das heißt, das war eine sehr kritische und schwierige Phase für uns. Tja, und da habe ich eben versucht, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Reuß: Auch die deutsche Einheit fiel in Ihre Zeit als Generalsekretär. Damals kam auch die spannende Frage auf: Soll die CSU bundesweit antreten, soll sie zumindest auch in den neuen Bundesländern antreten? Man hat sich dann dafür entschieden, die DSU, die Deutsche Soziale Union, zu unterstützen bei deren Gründung. Es gab dann eine enge Partnerschaft zwischen CSU und DSU. War es denn eine richtige Entscheidung damals, nicht bundesweit anzutreten? Oder würden Sie mit dem Wissen von heute eine andere Entscheidung treffen? Huber: Nein, ich war immer der Überzeugung, dass es besser ist, wenn wir in den bayerischen Stammlanden bleiben. Bayern und die CSU, das ist eine sehr starke Symbiose, ohne dass wir als Bayern-Partei agierten oder auf Bayern alleine begrenzt wären. Stattdessen sind wir halt nur in Bayern wählbar: Das ist mehr oder weniger unser Standbein. Aber wir bekennen uns eben auch zu unserer bundespolitischen und europäischen Verantwortung. Die CSU hätte einen Teil ihres Charakters verloren, wenn wir seinerzeit selbst in die neuen Länder gegangen wären. Möglicherweise wäre die CSU dann eine Partei geworden, die sich von ihrer Basis, von ihrem bayerischen Boden zu weit entfernt hätte und dann neben der CDU an den rechten Rand gedrängt worden wäre. Das heißt, es wäre zu einer existenzgefährdenden Situation für die CSU gekommen. Ich bin also auch im Nachhinein der Überzeugung, dass es richtig gewesen ist, in Bayern zu bleiben. Dass die DSU dann leider diesen Weg in die Bedeutungslosigkeit genommen hat, hat auch mich sehr stark strapaziert. Ich war nämlich seinerzeit selbst sehr, sehr oft in den neuen Bundesländern und habe bis heute ganz unauslöschliche Erinnerungen daran. Ich konnte als Generalsekretär der CSU noch im Dezember 1989 nur mit Visa in die DDR einreisen. Ich habe seinerzeit auch bereits bei der Ost-CDU auf einem Parteitag gesprochen und bin auch beim Demokratischen Aufbruch gewesen. Ich habe es dann erlebt, dass Einzelne, die mir als sehr vertrauenswürdig erschienen sind, als Stasi-Spitzel entlarvt worden sind. Und ich habe es erlebt, dass man zunächst noch, wie im Dezember 1989, sehr streng kontrolliert worden ist, wenn man in die DDR gefahren ist. Aber als ich dann im März noch vor der deutschen Einheit wieder über die Grenze gefahren bin, gab es bereits Vopos, die gesagt haben: "Guten Abend, Herr Huber, kommen Sie wieder einmal zu uns?" Man hat also innerhalb von Wochen und Monaten dieses Zusammenwachsen gespürt. Ich war als Patriot natürlich immer ein Anhänger der deutschen Einheit und deswegen gehört es zu den großen Glücksmomenten in meinem Leben, dass ich diese Wiedervereinigung erleben durfte. Reuß: Sie haben sich einmal als Mitglied des "Vereins für deutliche Aussprache" bezeichnet. Als Generalsekretär haben Sie es auch in Kauf genommen, sich durch pointiertes Auftreten unbeliebt zu machen und Kritik auf sich zu ziehen. Sie haben gesagt: "Wer jedermanns Liebling sein will, wird nur jedermanns Depp werden." Von Ihnen stammt außerdem der Satz: "Ich bin ein Allwetterpolitiker, der auch einmal durch Hagelschlag gehen kann." Nun gibt es natürlich auch harte Kritik an der Form der politischen Auseinandersetzung in unserem Land. Franz Maget, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, hat über Sie einmal gesagt: "Er geht auf den Platz, um absichtlich foul zu spielen, und manchmal verhält er sich bewusst pöbelhaft." Prallt solche Kritik an Ihnen ab? Wie können Sie mit einer solchen Kritik umgehen? Wo ist für Sie die Schmerzgrenze? Huber: Wenn das abprallen würde, dann hätte man ja keine menschlichen Gefühle mehr. Man muss das alles halt richtig einordnen können. Es ist ja nicht so, dass der Kollege Maget da ein Totalurteil über mich fällen würde. Er hat sich vielleicht einmal geärgert über mich, weil ich ihm vermutlich auf die Zehen getreten war – was ich jedoch nicht bedaure, denn das ist in der Politik notwendig, damit die Bürger die Unterschiede erkennen. Es geht ja nicht darum, dass ich einen anderen beleidigen oder herabsetzen möchte: Das ist nicht mein Stil. Es kann natürlich schon sein, dass es im Eifer der politischen Auseinandersetzung auch einmal dazu kommt. Politik kann man nur mit Leidenschaft machen, indem man voll und mit seiner ganzen Persönlichkeit mit dabei ist, indem man kämpferisch ist. Aber man muss schon auch sehen, dass es da bestimmte Grenzen gibt. Für mich ist der politische Gegner kein Feind. Und der Sozialdemokrat ist auch einer, der wie ich versucht, das Beste für das Land zu erreichen. Er hat einfach nur ein anderes Werturteil. Mein Schwiegervater war ja lange Zeit auch Bürgermeister für die SPD: So etwas beeinflusst einen natürlich schon auch. Das heißt, man hat dann ein Bild vom politischen Gegner, das kein Feindbild darstellt. Reuß: Darf ich hier noch einmal nachfragen, weil Sie soeben erwähnten, dass Ihr Schwiegervater für die SPD Bürgermeister in der Nachbargemeinde gewesen ist. Ich weiß nicht ob, das stimmt, aber man konnte in dem Zusammenhang lesen, dass es bei Ihnen zu Hause auch öfter mal heftige politische Diskussionen gegeben hat. Und dann sollen, so stand es zumindest in einem großen Nachrichtenmagazin, die beiden Frauen, also Ihre Ehefrau und Ihre Schwiegermutter, gesagt haben: "Schluss mit lustig, zu Hause wird nicht mehr über Politik diskutiert!" Stimmt das? Huber: Ja, das ist im Prinzip tatsächlich so. Als ich zu Beginn der siebziger Jahre meine Frau kennen gelernt habe, gab es wegen der Ostpolitik eine starke Polarisierung in der Bevölkerung und auch in der Politik. Wenn ich z. B. nach einer Wahlkampfveranstaltung noch meine spätere Frau besucht habe, dann gab es durchaus sehr hitzige Diskussionen. Aber irgendwann ist das dann ja auch fruchtlos und belastet nur noch die Atmosphäre, sodass dann in der Tat meine Schwiegermutter und meine Frau gesagt haben: "Zu Hause ist jetzt Ruhe mit dem Kämpfen! Vertragt euch!" Und wir haben uns dann im Wesentlichen auch daran gehalten. Für mich ergab sich dabei jedenfalls die wichtige Erfahrung, dass man selbst über solche Auseinandersetzungen hinweg die Gemeinsamkeit der Demokraten spüren und erleben kann. Trotzdem ist es wichtig, dass der Bürger die unterschiedlichen Positionen zwischen den einzelnen Parteien sehen und erkennen kann. Das heißt, wenn ich z. B. die SPD oder die Grünen angreife oder die Unterschiede herausstelle, dann will ich damit ja nicht dem anderen Menschen schaden. Ich glaube jedoch, dass es für den Bürger, für den Wähler wichtig ist, dass er die Unterschiede sieht. Die sieht er jedoch nicht, wenn alle die gleiche verschwommene Sprache haben. Wir sprechen ja ohnehin viel zu kompliziert für die Leute. Wenn sich alles irgendwie gleich anhört, dann verwirrt man den Bürger sogar eher. Es gibt nämlich in der Tat Unterschiede zwischen den politischen Parteien. Die Politik ist ja immer auch eine Frage von Werturteilen. Ich habe jedenfalls meine Aufgabe als Generalsekretär darin gesehen und sehe sie auch jetzt noch darin, diese Unterschiede deutlich zu machen. Denn ich glaube, damit ermögliche ich dem Bürger das Auswählen. Wenn alles die gleiche Soße ist, dann kann man nichts mehr unterscheiden. Ich halte also selbst die zuweilen harte politische Auseinandersetzung für einen demokratischen Dienst. Dass ich in der Glut, in der Leidenschaft, die der Niederbayer so an sich hat, auch manchmal übers Ziel hinausschieße, wird man mir hoffentlich verzeihen. Reuß: Sie wurden dann 1994 unter Ministerpräsident Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. Zwischendrin waren Sie auch einmal Finanzminister – Ihr Traumjob, wie Sie einmal sagten. Nach der Landtagswahl 1998 wurden Sie dann erneut Leiter der Staatskanzlei. Und dann kam etwas, bei dem es mich interessieren würde, wie denn da der Mensch Erwin Huber reagiert hat: Es gab 2002 die Bundestagswahl und Ministerpräsident Stoiber war Kanzlerkandidat von CDU und CSU. Für einige Stunden sah es so aus, als ob die Wahl für eine schwarz-gelbe Koalition gewonnen wäre. Edmund Stoiber war quasi bereits für einige Stunden Bundeskanzler. Damals war zumindest in der veröffentlichten Meinung klar, dass Sie womöglich der Nachfolger von Edmund Stoiber als Ministerpräsident werden würden. Wie erlebt man denn einen so dramatischen und spannenden Wahlabend? Diese Stunden müssen ja nervenzerreißend gewesen sein. Huber: Es war schon so ähnlich. Natürlich haben Sie da soeben nur einen hypothetischen Verlauf beschrieben. Ob es so gekommen wäre, weiß man natürlich nicht genau. Aber es wäre jedenfalls möglich gewesen – sogar mit einer hohen Wahrscheinlichkeit. Wenn man Politik als Gestaltungsaufgabe sieht und nicht einfach als eine Frage von Karriere oder Ämtern, dann ist es natürlich ungeheuer reizvoll, wenn man die Chance bekommt, noch etwas mehr gestalten zu können. Auf der anderen Seite bin ich aber auch jemand, der der Vergangenheit nicht nachtrauert. Ich bin niemand, der lange an der Vergangenheit hängen würde. Wer nämlich den Blick zu sehr nach hinten richtet, der ist unfähig für die Zukunft. Ich habe also weder 2002 noch 2005 große Probleme gehabt, das persönlich zu bewältigen. Dies war vor allem auch deshalb so, weil ich ja weitere interessante politische Aufgaben bekommen habe. Nach der Landtagswahl 2003, also ein Jahr nach dieser Bundestagswahl, von der Sie soeben gesprochen haben, hat Edmund Stoiber meine Position in der Staatskanzlei mit noch mehr Aufgaben versehen: Ich wurde Minister für Bundesangelegenheiten und für die Verwaltungsreform, was wirklich eine schwierige Aufgabe darstellte. Heute bin ich Wirtschaftsminister: Das heißt, ich hatte immer Gestaltungsaufgaben, die einen fesseln, die einen mitnehmen, in die man Ideen einbringen kann. Deshalb bin ich da nie ins Grübeln gekommen. Das entspricht auch einfach nicht meiner Mentalität: Ich bin eher jemand, der auf Tätigkeit hin orientiert ist, als kontemplativ und grüblerisch die Welt zu betrachten. Reuß: Sie haben die Landtagswahl 2003 bereits erwähnt. Sie endete mit einem geradezu phantastischen Ergebnis für die CSU: Sie erreichte mit fast 61 Prozent der Stimmen eine satte Zweidrittelmehrheit im Parlament. Sie waren dann in der Staatskanzlei auch noch zuständig für die Verwaltungsreform. "Verwaltung 21" hieß das Projekt: Das war Ihren Angaben nach eine der umfassendsten Strukturreformen der bayerischen Verwaltung in den letzten Jahrzehnten. Es sollte rund ein Drittel aller Verwaltungsvorschriften gestrichen werden; rund 11000 Stellen mit einem Volumen von 550 Millionen Euro hätten langfristig eingespart werden können; das Oberste Bayerische Landesgericht wurde in der Zwischenzeit tatsächlich abgeschafft; es gab in der Forstwirtschaft eine große Reform. Und es gab natürlich auch Wut und Widerstand und Grummeln gegen diese Reform. Ihnen wird in diesem Zusammenhang ein Satz zugeschrieben, der Ihnen vermutlich lange Zeit anhängen wird, weil man ihn wirklich überall lesen kann, wenn man über Sie recherchiert. Sie haben gesagt: "Wer einen Teich trockenlegen will, der darf vorher nicht die Frösche fragen." Hätte man nicht vielleicht doch mehr diskutieren müssen? Oder kam da, wie Sie eingangs sagten, ein Stück weit Ihre Ungeduld zum Tragen? Huber: Nun, wir sind die ganze Sache schon ziemlich forsch angegangen. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass wir die Möglichkeiten zu informieren durch die heutige Technologie wie z. B. das Internet usw. in einem Ausmaß eingesetzt haben wie nie zuvor. Dennoch muss man wissen: Bei allen Entscheidungen, die anstehen, kommt nach langen und intensiven Diskussionen irgendwann der Punkt, an dem man entscheiden muss. Ab einem bestimmen Zeitpunkt dreht sich die Diskussion auch nur noch im Kreis, weil bereits alles gesagt worden ist. Ja, dieser missverständliche Satz hängt mir nach und damit der Hinweis, ich wäre nicht fähig, auf andere Argumente zu hören – was jedoch nicht zutrifft. Aber letztlich muss man sehen, dass es legitime Einzelinteressen gibt, die die einzelnen Menschen vertreten. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes ist es nicht verwehrt zu sagen: "Ich bin jetzt an diesem Ort, habe mich hier eingerichtet und jetzt kommt da jemand, der sagt, dass ich 30 Kilometer weiter weg meine Arbeit verrichten muss. Dagegen wehre ich mich!" Da muss man eben abwägen, was wichtiger ist: das Gemeinwohl oder das Einzelinteresse? Da wird man trotz aller Bemühungen nicht immer einen Konsens erreichen können. Wenn ich also sage, dass jemand legitimerweise seine Interessen vertreten darf, dann gibt es eben einen Interessenkonflikt, den man lösen muss. Da wird der Politiker nicht darum herum kommen, auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Wer da als Politiker vor jedem Widerstand in die Knie geht, ist nicht geeignet, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Tja, ich habe allerdings so manches Beharrungsvermögen unterschätzt. In den eingefahrenen Gleisen zu bleiben, ist bequemer als Neuland zu betreten. Zu sagen: "Das hat sich doch bewährt", ist selbstverständlich oft richtig, aber gelegentlich steckt dahinter auch nur die Unfähigkeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Wenn die Politik es aber nicht mehr schafft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, dann wird sie ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht. Gelegentlich wird man dann als Politiker auch zum Buhmann gemacht. Aber auch das muss man aushalten können. Ich glaube, dass wir insgesamt ein vernünftiges Werk geschaffen haben mit der "Verwaltung 21". Das ist ein Werk, das für die nächsten Jahrzehnte die Strukturen eines effizienten und wirksam handelnden Staates ermöglicht. Und man muss eben auch sehen: Natürlich ist es nicht leicht, wenn Planstellen reduziert werden. Aber es verliert ja keiner der Betroffenen unmittelbar seinen Arbeitsplatz. Wir werden in den nächsten Jahren jedoch eine Menge bei den Personalkosten einsparen können. Dadurch werden wir andererseits mehr investieren können. Und genau darum dreht sich diese Abwägung. Ich bin jedenfalls stolz auf dieses Werk, ich glaube, dass es wichtig ist – auch wenn die Lorbeeren hier nicht allzu grün leuchten. Manches muss einfach gemacht werden, ohne dass man dabei andauernd Schulterklopfen erfährt. Auch das gehört für mich zum Bekenntnis einer politischen Verantwortung. Reuß: Ende November 2005 haben Sie dann das bayerische Wirtschaftsministerium übernommen. Sie waren, bis auf Ihre Zeit als Finanzminister, ja lange Zeit Generalist: als Generalsekretär und als Leiter der Staatskanzlei. Als Leiter der Staatskanzlei waren Sie, wenn ich das mal so salopp ausdrücken darf, quasi geschäftsführender Ministerpräsident. Heute sind Sie Wirtschaftsminister. Davor mussten Sie als Leiter der Staatskanzlei für Kürzungen werben, heute als Wirtschaftsminister müssen Sie jedoch Ihren eigenen Etat verteidigen. Mit dem Standort verändert sich der Standpunkt, sagt der Volksmund. War das auch für Sie so? Ist das Geschäft als Fachminister für Sie daher manchmal auch schwieriger? Huber: Dieser Satz, dass sich mit dem Standpunkt auch die Position verändert, wird gemeinhin wohl als negativ verstanden. Aber das ist eigentlich ganz logisch: Das ist einfach eine andere Aufgabe und in anderen Aufgaben muss man anderen Zielen gerecht werden, sonst wäre man ja erstarrt. Ich habe diese Aufgabe als Generalist, als Generalsekretär und als Leiter der Staatskanzlei, über viele Jahre als eine große Bereicherung für mich gesehen, weil ich damit nicht auf einen engen Sektor der Politik beschränkt, sondern an der Seite des Ministerpräsidenten für alles zuständig war. Meine Aufgabe war es daher, schon gelegentlich mal Krisenmanager zu sein oder vielleicht auch dabei zu helfen, drohende Krisen zu vermeiden. Das war ein großartiges Feld, weil ich damit sowohl auf der Landesebene, auf der Bundesebene und auch auf der europäischen Ebene wirken konnte. Heute habe ich eine spezielle Aufgabe. Ich glaube, dass es eigentlich ganz sinnvoll ist, wenn man nach einer Reihe von Jahren – ich war ja jetzt doch sieben Jahre in der Staatskanzlei – wieder eine andere Aufgabe übernimmt. Man geht damit in ein neues Feld hinein und bringt dabei seine eigenen Ideen mit; man lernt andere Strukturen kennen; man kann neue Menschen motivieren und kann eben auch auf diesem neuen Feld versuchen etwas voranzubringen. Gelegentlich sagt man ja auch, dass eine neue Aufgabe eine neue Herausforderung ist, einen neuen Reiz darstellt und so empfinde ich das auch. Ich bin dem Ministerpräsidenten also dankbar dafür, dass ich jetzt eine neue Aufgabe habe: nicht deswegen, weil mir die bisherige Aufgabe zu wenig bedeutet hätte, sondern weil ich glaube, dass damit auch persönlich ein Motivationsschub verbunden ist, wenn ich mich jetzt in eine neue Materie hineinknien muss. Nun, die allgemeine Wirtschaftspolitik habe ich schon gekannt, aber z. B. bestimmte Details der Verkehrspolitik waren mir nicht so geläufig. Ich gehe also jetzt ganz massiv diese neuen Fragen an hinsichtlich des Schienen- und Luftverkehrs, der Wasserstraßen, der Landesplanung, der Mittelstandspolitik usw. Das sind für mich neue Herausforderungen und ich glaube, dass es in meinem Alter wirklich schön ist, sich in neuen Herausforderungen bewähren zu wollen. Reuß: "Ich bin praktisch der erste Übeltäter der Familie, der aus einem anständigen Leben aussteigt in die Politik", haben Sie einmal recht flapsig gesagt. Haben Sie das je bereut? Huber: Nein! Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann muss ich sagen, dass ich sehr viel Glück gehabt habe, dass es der liebe Gott sehr gut mit mir gemeint hat. Jemandem, der in Niederbayern in einer Einöde aufwächst, ist es ja nun wirklich nicht in die Wiege gelegt, einmal ein Ministeramt auszufüllen. Dass ich diese Chance hatte, dass mir diese Möglichkeit gegeben worden ist, verdanke ich auch der Offenheit der Volkspartei CSU. Man sagt ja gelegentlich einer konservativen Partei nach, dass sie sich ihre Leute nach Stand und Vermögen aussuche. Die Offenheit der CSU jedoch hat es mir ermöglicht, in solche verantwortungsvolle Positionen zu kommen. Gerade die politische Arbeit ist nun einmal etwas, was mich wirklich begeistert. Und deswegen kann ich sagen: Ich habe großes Glück, einen solchen Beruf zu haben, dem ich mit Leidenschaft nachgehen kann. Reuß: Herr Staatsminister, ich darf mich ganz herzlich für das interessante Gespräch bedanken. Ich würde gerne mit zwei kurzen Zitaten enden, die versuchen Sie zu beschreiben. Das eine Zitat stammt vom CSU- Vorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Er nannte Sie einmal "einen der ganz großen Spitzenpolitiker der CSU". Und Roland Losch, der Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press, schrieb über Sie: "CSU-Abgeordnete und Mitarbeiter heben Hubers Fleiß, Durchsetzungsvermögen und Kommunikationstalent hervor. Den schweren Säbel beherrscht der ehemalige CSU-Generalsekretär ebenso wie das Florett. Im kleineren Kreis zeigt sich Huber oft als humorvoller, verschmitzter und auch nachdenklicher Politiker. Auch bayerische Oppositionspolitiker bescheinigen ihm Kompetenz und Offenheit." Und zuletzt noch ein Zitat von Ihnen selbst: "Man muss gelassen sehen, was der liebe Gott einem schenkt." Noch einmal ganz herzlichen Dank. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-forum, heute mit Erwin Huber, Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und fürs Zuschauen. Auf Wiedersehen.

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