„Jenseits Unseres Milieus“ SPIEGEL-Gespräch Katrin Göring-Eckardt, 50, Und Cem Özdemir, 51, Möchten Die Grünen Zu Einer Neuen Volkspartei Formen
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Spitzenduo Özdemir, Göring-Eckardt L E G E I P S R E D / L E Z N E D O C S E J „Jenseits unseres Milieus“ SPIEGEL-Gespräch Katrin Göring-Eckardt, 50, und Cem Özdemir, 51, möchten die Grünen zu einer neuen Volkspartei formen. Sie wollen weniger moralisieren und sich auch um die Industrie kümmern. SPIEGEL: Frau Göring-Eckardt, Herr Özde - und Leuten in der Berliner Blase, uns Grüne schiedene Wurzeln: die Ökobewegung, die mir, mit Ihrem Sieg bei der Urwahl führen in bestimmte Schubladen stecken zu wollen. Frauenbewegung, die Pazifisten, die Bür - jetzt zwei Realos die Grünen in die Bun - Da draußen interessiert es kein Schwein, ob gerrechtler … destagswahl. Wie wollen Sie den Eindruck ein Grüner ein Linker ist oder ein Realo. SPIEGEL: … die sich fast alle als linke Be - verhindern, die Grünen seien nun eine Art Die Leute wollen viel lieber wissen, welche wegungen verstanden haben. CDU mit Krötenschutzprogramm? Angebote sie von uns bekommen. Göring-Eckardt: Nicht alle. Ich komme aus Göring-Eckardt: Sehr originell! Man kann SPIEGEL: Wir dachten, die Grünen seien im der Bürgerbewegung in der DDR, und das am Ergebnis der Urwahl gut sehen, dass Kern eine linke Partei. hat nichts mit links oder nicht links zu tun. die Partei längst nicht mehr in alten Scha - Göring-Eckardt: Wenn Sie uns als Partei mit Die Grünen sind etwas Eigenes. blonen von links oder nicht links denkt. einer klaren Gerechtigkeitsagenda ver - Özdemir: Als ich 2003 ein Jahr in den USA Das ist sehr erfreulich. orten, liegen Sie richtig. Dafür stehe ich. war, habe ich dort immer gesagt, die Grü - Özdemir: Also, erst einmal gibt es nichts Aber ich sage, wir passen nicht in Schub - nen seien eine „progressive party“. Das gegen Krötenschutzprogramme zu sagen. laden: Wir sind Grüne. Und bereits die kann man mit links übersetzen, muss man Aber es ist so ein Unfug von Journalisten Grünen in Westdeutschland hatten ver - aber nicht. Ich hoffe außerdem, dass der 36 DER SPIEGEL / ! Deutschland Einsatz für Klima und Natur nicht ein ex - genkandidaten, aber völlig unbekannte, auf das legt, was schiefgegangen ist. Oder klusiv linkes Thema ist. die nicht mal einen Hauch einer Chance ob man nicht lieber erst einmal sagt: Es ist SPIEGEL: Winfried Kretschmann hat es in hatten. Diese Art von Chauvinismus nervt gut, dass sich die Ereignisse der Silvester - Baden-Württemberg geschafft, die Grünen mich. nacht 2015 nicht wiederholt haben. Das zu einer Volkspartei zu machen. Kann das SPIEGEL: Aber Trittin hatte Gegenkandida - war unser Punkt. auch bundesweit gelingen? ten, im Gegensatz zu Ihnen. Das hat nichts SPIEGEL: Wie wollen Sie es im Wahlkampf Göring-Eckardt: Übrigens auch nicht nur mit mit Chauvinismus zu tun. schaffen, dass sich auch der linke Flügel einem Krötenschutzprogramm. Ja, wir Göring-Eckardt: Auch bei Ihren Kollegen galt der Grünen eingebunden fühlt? wollen Menschen erreichen, die sich jen - damals der männliche Kandidat als gesetzt, Göring-Eckardt: Wir werden diesen Wahl - seits unseres klassischen Milieus bewegen. was eine Selbstverständlichkeit war. Es ist kampf gemeinsam führen. Toni Hofreiter Nur dann können wir wachsen und wieder doch albern, sich nach einem guten Ergeb - ist Fraktionschef, er hat bei der Urwahl in die Regierung einziehen. nis dafür rechtfertigen zu müssen, dass kei - ein ordentliches Ergebnis geholt. Und er Özdemir: Natürlich kann man die Situation ne Frau gegen mich angetreten ist. Andere wird immer dabei sein, wenn wir pro - in Baden-Württemberg nicht eins zu eins Parteien bestimmen ihre Spitzenkandida - grammatische Beschlüsse fassen. auf den Bund übertragen. Aber klar ist ten in Hinterzimmern. SPIEGEL: Gerade der linke Flügel wünscht auch: Wenn es bei uns im Südwesten ge - SPIEGEL: Winfried Kretschmann hat vor sich, dass die Grünen zusammen mit SPD lungen ist, die Grünen von knapp über Kurzem in einem Aufsatz geschrieben, und Linkspartei Angela Merkel ablösen. 5 Prozent in den Achtzigerjahren auf jetzt dass die Grünen künftig vom Moralisieren Sie auch? über 30 Prozent zu führen, dann ist im die Finger lassen sollten. Waren die Grü - Özdemir: Natürlich ist Rot-Rot-Grün eine Bund ein deutlich zweistelliges Ergebnis nen in der Vergangenheit zu gouvernan - Option. Katrin war daran beteiligt, dass möglich. Das wollen wir erreichen. tenhaft? in Thüringen ein erfolgreich arbeitendes SPIEGEL: Bei der letzten Bundestagswahl Özdemir: Wir haben eine klare Haltung: Wir rot-rot-grünes Bündnis zustande gekom - holten die Grünen 8,4 Prozent, was in der wollen die Schöpfung bewahren, wir sind men ist … Partei als Schlappe galt. Was lief damals für eine offene, tolerante Gesellschaft. SPIEGEL: … nur ist es ein Unterschied, ob schief? man mit dem Pragmatiker Bodo Ramelow Özdemir: Das war ein Mix aus Gründen: Zu „Unsere Weltsicht ist regiert oder mit Sahra Wagenknecht, die viel bei der Steuerpolitik, zu forsch beim die Nato abschaffen will, wie sie gerade Fleischkonsum und dann noch die Debatte nicht, dass wir alle erst wieder erklärt hat. zur Parteigeschichte. Da gab es viel aufzu - Göring-Eckardt: Sie sagen es. Mit Frau Wa - anderen aus Prinzip arbeiten. Und die Ökologie ist auch zu genknecht muss sich die Linkspartei erst kurz gekommen. kritisieren müssen.“ einmal intern beschäftigen. Es ist schon er - Göring-Eckardt: Dazu kam, dass wir uns sehr staunlich, dass sie sich so feindlich gegen früh auf einen Koalitionspartner, die SPD, Aber wir wollen den Menschen nicht vor - Flüchtlinge äußern kann und tagelang nie - festgelegt haben. Das war ein riesiger Feh - schreiben, wie sie zu leben haben. Selbst mand widerspricht. Nur: Bei der CSU ist ler. Die SPD lag weit hinten, und dadurch wenn man an einem Tag in der Woche das kaum anders. Und was die Freund - war bald klar, dass es keine Machtoption kein Fleisch isst, ändert das ja nichts an schaft zu Putin angeht, lässt sich Horst See - gibt. Wir haben uns viel zu stark inhaltlich den Haltungsbedingungen der Nutztiere, hofer von Wagenknecht kaum übertreffen. festgelegt und geglaubt, wir wüssten, was zumal in einer Situation, in der die Deut - SPIEGEL: Sie beide waren in den vergange - die Menschen zu interessieren hat. Das schen von sich aus immer weniger Fleisch nen Jahren die Vordenker für ein schwarz- wird uns nicht noch einmal passieren. essen. Das eigentliche Problem sind die grünes Bündnis im Bund. Wenn Sie nun SPIEGEL: Sie, Frau Göring-Eckardt, waren Strukturen in der industriellen Landwirt - so tun, als könnten Sie sich ein Bündnis 2013 zusammen mit Jürgen Trittin Spitzen - schaft. mit Wagenknecht vorstellen, dann ist das kandidatin und insofern auch mitver - SPIEGEL: Aber ist es nicht auch etwas ver - so realistisch, als würde der Papst sagen, antwortlich für das damalige Ergebnis. Ist zagt, wenn sich nicht einmal mehr die Grü - dass er an einen Übertritt zum Protestan - es nicht merkwürdig, dass Sie nun auf nen für einen Veggie-Day, also einen tismus denkt. der Liste für die Urwahl alternativlos wa - fleischlosen Tag pro Woche, einsetzen wol - Özdemir: Das ist doch Quatsch. Wenn Toni ren, weil es keine weibliche Gegenkandi - len? Hofreiter und Robert Habeck gewonnen datin gab? Göring-Eckardt: Das war einmal eine nette hätten, dann hätten sie sich auch nicht auf Göring-Eckardt: Erstens freue ich mich, dass Idee von vielen im Ökoteil des letzten Bun - eine Koalitionsoption festgelegt. über 70 Prozent für mich stimmten. Damit destagswahlprogramms. Der Vorschlag SPIEGEL: Die Grünen hätten um ein Haar habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. kam nicht gut an, daraus haben wir gelernt. zusammen mit Merkel die ehemalige Bür - Und zweitens hätte ich keine Konkurrenz Aber, wie Cem sagt: Eine industrielle Land - gerrechtlerin Marianne Birthler als Kandi - gescheut, konnte sie mir aber auch nicht wirtschaft, die auf Pestizide setzt und mit datin für das Bundespräsidentenamt nomi - herzaubern. Gülle unser Trinkwasser verdreckt, ist ein niert … SPIEGEL: Das heißt aber auch: Knapp ein Problem. Wir brauchen die Agrarwende. Göring-Eckardt: … schade, dass es nicht ge - Drittel hat sich bewusst gegen Sie ent - SPIEGEL: Kann es sein, dass sich die Grünen klappt hat. schieden. zu schnell in die Ecke treiben lassen? Als SPIEGEL: Die Wahl Birthlers wäre als klares Göring-Eckardt: Entschuldigen Sie, wenn ich die Grünen-Chefin Simone Peter nach der schwarz-grünes Signal verstanden worden. jetzt etwas schärfer werde. Aber: Würden Silvesternacht nur die Frage stellte, ob die Das zeigt doch, dass Sie eine Präferenz für Sie eine Debatte um Konkurrenz auch mit Kölner Polizei vielleicht gegen rechts - ein Bündnis mit der CDU haben. einem Mann führen? staatliche Prinzipien verstoßen habe, fiel Özdemir: Wir hätten SPD und Linken nicht SPIEGEL: Sicher. Aber es hat noch keinen nicht nur die Boulevardpresse über sie her; verboten, Marianne Birthler mitzuwählen. Mann ohne Gegenkandidaten in einer grü - auch die eigenen Leute distanzierten sich SPIEGEL: Die Grünen haben sich immer als nen Urwahl gegeben. von ihr. gesellschaftliche Avantgarde verstanden. Göring-Eckardt: Sorry, aber kein einziger Göring-Eckardt: Wir müssen kritisch nach - Welche Forderung wird sie in diesem Wahl - Journalist hat 2013 diese Fragen Jürgen fragen, und tun das auch weiterhin. Ent - kampf von den anderen Parteien unter - Trittin gestellt. Der hatte formal zwar Ge - scheidend war, ob man den Schwerpunkt scheiden? DER SPIEGEL / ! 37 IN DER SPIEGEL-APP U E R Özdemir: Avantgarde klingt überheblich. SPIEGEL: Das klingt, als hielten Sie den Par - B P P I Wir streiten um die besseren Ideen. teitagsbeschluss für zu ambitioniert. L I H P SPIEGEL: Sagen wir progressiv. Göring-Eckardt: Überhaupt nicht. Der Klima - Göring-Eckardt: Was uns ganz sicher unter - schutz ist so wichtig, dass wir die Wende scheidet, ist, dass wir die ökologische Frage im Verkehrsbereich schaffen müssen. Wir in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen un - wollen die Arbeitsplätze in der Autoindus - seren Kindern und Enkelkindern sagen trie retten. können: Wir haben alles dafür getan, dass SPIEGEL: Rührend, dass sich die Grünen nun auch ihr gut auf diesem Planeten leben auch um die deutschen Zulieferer sorgen. könnt. Wir werden die Weltoffenheit in Özdemir: Ja, natürlich wollen wir, dass un - S E G den Mittelpunkt stellen.