Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte

Herausgegeben von Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner

Florian Huber: Re-education durch Rundfunk Die Umerziehungspolitik der britischen Besatzungsmacht am Beispiel des NWDR 1945-1948

Sonderheft Florian Huber: Re-education durch Rundfunk. Die Umerziehungspolitik der britischen Besatzungs- macht in Deutschland am Beispiel des NWDR 1945-1948 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rund- funkgeschichte; Sonderheft)

Peter von Rüden, Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.): Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut

Erscheinungsdatum: September 2006 ISSN 1612-5304

Impressum Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland Universität Hamburg Department Sprache Literatur Medien Von-Melle-Park 6 20146 Hamburg

Telefon: (+49 40) 428 38 - 32 02 Fax: (+49 40) 428 38 - 35 53 E-Mail: [email protected] Homepage: www.nwdr-geschichte.de

Redaktion: Mark Lührs, Peter von Rüden Layout: Mark Lührs

Druck: Norddeutscher Rundfunk Rothenbaumchaussee 132-134 20149 Hamburg

Titelblatt: Britische Mitarbeiter des NWDR vor dem Hamburger Funkhaus (1945) Staatsarchiv Hamburg, Bestand Conti-Press

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 5

I) Einleitung...... 7 1. Fragestellung...... 8 2. Struktur und Methodik ...... 8 3. Forschungsstand und Quellen ...... 9

II) Vorgeschichte...... 12 1. Politische Bildung und Erziehung unter den NWDR-Vorläufern ...... 12 1.1. Die Norag: Bildungsanspruch und politische Neutralität...... 12 1.2. Der Reichssender Hamburg: Rundfunk als Propagandainstrument ...... 14 2. Planungen für die Nachkriegszeit...... 17 2.1. Deutschlandpolitik ...... 17 2.1.1. Kriegsziele der Alliierten...... 17 2.1.2. Britische Deutschlandpolitik ...... 19 2.2. Rundfunkpolitik ...... 22 2.2.1. Institutionen und Kompetenzen...... 22 2.2.2. Der Versuch einer gemeinsamen Medienpolitik der vier Mächte...... 27 2.2.3. Das rundfunkpolitische Konzept der Briten ...... 29

III) Demokratisierung und Re-education: Der Weg zur politischen Umerziehung...... 33 1. Erziehung zum Politischen – die politisch-kulturellen Traditionen in Großbritannien ...... 33 1.1. Die britische Tradition im Erziehungswesen ...... 33 1.2. Die britische Tradition der politischen Philosophie...... 34 2. Die Debatte um den Umgang mit den Deutschen...... 34 2.1. Der deutsche Nationalcharakter – die Lehren des Ersten Weltkriegs ...... 34 2.2. Appeasement, Aggression, Propaganda – vom Dogmenstreit zur Konsensformel...... 36 3. Das Konzept der Re-education ...... 39 3.1. Legitimationsstrategien ...... 39 3.2. Ziele...... 43 3.3. Methoden...... 45 3.4. Mittel ...... 47

IV) Der NWDR als Instrument zur Umerziehung...... 51 1. Besetzung...... 51 1.1. Die Lage in Nordwestdeutschland 1945...... 51 1.2. Die politische Einstellung der Deutschen...... 52 1.3. Aufgaben und Einstellung der Besatzungskräfte ...... 53 1.4. Besetzung des Reichssenders Hamburg...... 59 2. Strukturpolitik...... 60 2.1. Die Rolle der BBC ...... 60 2.2. Das Ziel: Unabhängigkeit ...... 62 2.3. Abgrenzung und Aufgaben...... 62 2.4. Das Statut des NWDR...... 64

3. Personalpolitik ...... 66 3.1. Das britische Kontrollpersonal ...... 67 3.1.1. Auswahlkriterien ...... 67 3.1.2. Die Krise vom Sommer 1945 ...... 68 3.1.3. Aufgaben ...... 69 3.1.3.1. Rekrutierung deutscher Mitarbeiter...... 69 3.1.3.2. Inhaltliche Führungsaufgaben...... 70 3.1.4. Persönlichkeitsstrukturen und biografische Skizzen...... 70 3.2. Das deutsche Rundfunkpersonal ...... 73 3.2.1. Auswahlkriterien ...... 73 3.2.1.1. Die Rolle der Emigranten und Remigranten ...... 74 3.2.1.2. Die Rolle der Kriegsgefangenen ...... 75 3.2.1.3. Das Problem der Entnazifizierung...... 76 3.2.1.4. Das Problem des Antikommunismus ...... 79 3.2.2. Die Rundfunkschule des NWDR ...... 81 3.2.3. Persönlichkeitsstrukturen und biografische Skizzen...... 83 4. Programmpolitik ...... 88 4.1. Journalistische Grundsätze...... 89 4.2. Genres und Gattungen...... 90 4.2.1. Nachrichten ...... 91 4.2.2. Bericht ...... 92 4.2.3. Kommentar...... 93 4.2.4. Reportage...... 93 4.2.5. Neue Formen: Feature, Hörspiel, Diskussion ...... 94 4.2.6. Externer Vortrag und Talk ...... 95 4.2.7. Schulfunk...... 96 4.3. Themen ...... 98 4.4. Zensur und Kontrolle ...... 102

V) Wirkungen und Reaktionen: Der NWDR in der Öffentlichkeit ...... 107 1. Reaktionen der Hörer ...... 107 2. Reaktionen von Behörden, Parteien und Interessengruppen...... 110

VI) Die Übergabe des NWDR an die Deutschen ...... 114 1. Abwicklung der Kontrollfunktionen ...... 114 2. Rollenwechsel bei den Kontrollorganen...... 116 3. Krise des NWDR und letzte Steuerungsversuche ...... 117

VII) Re-education durch Rundfunk? Ein Fazit...... 122

Abkürzungsverzeichnis ...... 125

Personenverzeichnis ...... 126

Quellenverzeichnis ...... 128

Literaturverzeichnis ...... 131

Lebenslauf Florian Huber ...... 137

Vorwort

Florian Huber liefert mit dieser Arbeit, die als Dissertation im Fachbereich Sprach- und Literatur- wissenschaft der Universität Osnabrück angenommen wurde, eine ambitionierte und detaillierte Analyse der politischen, organisatorischen und programmlichen Entwicklung für den Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in (Nord)Deutschland in den Jahren 1945 bis 1948 – be- trachtet unter dem Stichwort Re-education. Den Autor interessiert in seiner Forschungsarbeit vor allem die Funktion, die der Rundfunk, und damit eine der Institutionen des Journalismus, in diesem gesellschaftlichen Prozess der Re-education innehatte.

Generell ist unter Re-education in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein Bündel von Maßnah- men zu verstehen, dieses „Umlernen“ in der deutschen Bevölkerung einzuleiten und zu einem sta- bilen Ende zu führen, nämlich der dauerhaften Befriedung und Demokratisierung. Praktisch ge- schah dies zunächst durch Verbot und Zerschlagung aller nationalsozialistisch geprägten Organisationen, also auch kultureller Strukturen (Rundfunk, Film, Theater usw.) und Materialien (Filme, Tonträger usw.).

Überblickt man die Forschung zu diesem Themenbereich, so wird deutlich, dass sich der Großteil der wissenschaftlichen Literatur über Re-education, einem dem psychiatrischen Vokabular ent- nommenen Diktum, mit ihrer amerikanischen Variante befasst. Es ist der Eindruck entstanden, als handele es sich bei Re-education um ein spezifisch amerikanisches Phänomen. Im Bereich des Rundfunks trifft dies in keiner Weise zu, hier war Re-education nach 1945 von Anfang an eine Do- mäne der Briten. Sie erkannten früh, dass der Rundfunk ein Garant für eine stabile Demokratisie- rung in Deutschland sein konnte, weshalb den Strukturen, Personen und Programmen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

So wurden Radio Hamburg und später der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im politischen Selbstverständnis der britischen Besatzungsmacht neu aufgebaut. Im Gegensatz zu anderen Kul- tur- und Bildungseinrichtungen – etwa dem Schul- und Hochschulsystem – orientierten sich die Briten nicht an Strukturen der Weimarer Republik, sondern an eigenen Rundfunk-Konzepten, allen voran der BBC als politisch unabhängigen Akteur. Doch darüber hinaus gab es weder ein in sich geschlossenes Konzept noch konkret umsetzbare Handlungsstrategien. Vielmehr galt es das, was als medienpolitisches „Programm“ in Form von Planungs- und Arbeitspapieren vorhanden war, jeweils situationsbedingt vor Ort umzusetzen.

Die deutschen Rundfunkmitarbeiter bei Radio Hamburg und dem NWDR hatten nicht nur den Krieg überlebt, sondern schnell gelernt, ihren Alltag, auch den Berufsalltag selbst zu organisieren – Hu- ber spricht von Ambivalenz in der Re-education. Neben diesem wiedererwachten Selbstbewusst- sein blieb für alliierte, auch britische Re-education-Politik beim Rundfunk letztlich nur begrenzter Raum. Zwar gehört die Behauptung, die Re-education-Politik sei im Rundfunk gescheitert, zu den ebenso beliebten wie unberechtigten Mythen. Sie schließt jedoch an ein Gefühl der emotionalen Abwehr an, das spätestens im Jahre 1946 einsetzte: Die Deutschen wollten nicht „umerzogen“

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werden. Re-education war durchaus negativ belegt und wurde als Einmischung von außen, als Versuch der Bevormundung bewertet, beinhaltet Re-education doch Elemente von Herrschaft und Macht auf der einen sowie wahrgenommene Unmündigkeit auf der anderen Seite – weshalb es folgerichtig zu Konflikten auch im Hamburger Funkhaus kam.

In der Rückschau lässt sich bezweifeln, ob die Art und Weise, wie Re-education seitens der Briten beim Aufbau des Rundfunks in Norddeutschland betrieben wurde, immer geschickt und stringent war. Die Geschichte der Re-education liest sich gerade in Bezug auf Radio Hamburg und den Nordwestdeutschen Rundfunk voller Brüche und Widersprüche. Dennoch hatte – so Florian Huber – „die politische Re-education (am Aufbau des demokratischen Staates) unzweifelhaft ihren Anteil, und die Entwicklung des Rundfunks in Norddeutschland vom Verlautbarungsorgan der britischen Militärregierung zum selbstbewussten journalistischen Rundfunk (ist) … dafür ein Beweis“.

Ein besonderer Dank gilt der Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland, die dieses Projekt begleitet und unterstützt hat. Ich freue mich über die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe „Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte“, die von Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner herausgegeben wird. Denn zum einen ist der Aspekt der Re-education ein Arbeitsschwerpunkt der Hamburger Forschungsstelle, zum anderen knüpft die Schriftenreihe an die Arbeit von Peter von Zahn und Axel Eggebrecht an, die als Mitglieder der „NWDR- Gründergeneration“, wie Florian Huber schreibt, selbst Objekt und Subjekt der Re-education wa- ren.

Ein weiterer Dank gilt dem Norddeutschen Rundfunk für die Unterstützung bei der Herstellung ei- ner begrenzten Druckauflage dieser Publikation.

Wolfgang Becker Osnabrück, Juni 2006

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I) Einleitung

Im November 1944 – die Alliierten hatten wenige Jahrhunderte mit allen Facetten von Submission, Wochen zuvor die Grenze zum Deutschen Reich Administration und Delegation fremder Völker überschritten – wurde an die vorrückenden briti- auseinandergesetzt. schen Soldaten ein eigentümliches Büchlein ver- Ein strategischer Brückenkopf bei der Besetzung teilt. Unter dem lakonischen Titel „Germany“ Deutschlands waren die publizistischen Medien, sollte es die Truppen darauf einstimmen, mit wem die, parallel zum Aufbau demokratischer politi- sie es jetzt zu tun bekamen: „All that matters at scher Institutionen, das wichtigste Mittel zur present is that you are about to meet a strange Beeinflussung der politischen Mentalität der 1 people in a strange, enemy country.“ In kurzen, Deutschen waren. Die nationalsozialistische Pro- prägnanten Formeln belehrte der Taschenführer paganda war ein beeindruckendes, wiewohl ab- über Geschichte, Charakter, Essgewohnheiten, schreckendes Beispiel dafür gewesen, wie tief Sprache der Deutschen, und darüber, wie diesen eine konzeptionell durchorganisierte Medienma- zu begegnen war: „Be fair and just, but don’t be schinerie das kollektive Bewusstsein eines ganzen 2 soft“ . Im Anhang fanden die Soldaten eine Liste Volkes durchdringen konnte. Nun planten zwar der wichtigsten Ge- und Verbote. Misstrauen, weder die Briten noch die anderen Alliierten eine Unsicherheit und Geringschätzung gegenüber politische Gehirnwäsche, doch der Stellenwert der diesem fremden Volk in einem fremden, feindli- Massenmedien bei der politischen Umorientie- chen Land hielten sich die Waage, und die Auto- rung der Deutschen war unbestritten. ren ließen keinen Zweifel daran, dass die Deut- Eine besondere Rolle fiel dabei dem Rundfunk schen so, wie sie waren, nicht bleiben durften: zu, mit dem es gerade im verwüsteten Deutsch- „The Germans have much to unlearn.“3 land kein anderes Medium an Reichweite und Diese drei Zitate charakterisieren sowohl die Schnelligkeit aufnehmen konnte. Die Briten hat- niedrigen Erwartungen als auch die hohen An- ten aufgrund ihrer positiven Erfahrungen mit dem sprüche, mit denen die Briten ihre Besatzungszeit eigenen BBC-System in Kriegszeiten den Rund- im besiegten Deutschland antraten. Nach einem funk als krisenerprobtes Informationsinstrument halben Jahrhundert Feindschaft und zwei monst- schätzen gelernt, weswegen sie in ihren Diskussi- rösen Kriegen hatten sie gelernt, im deutschen onen und Planungen für die Nachkriegszeit die Volk einen permanenten Unruheherd auf dem künftige Gestalt der Radiolandschaft im Besat- europäischen Kontinent zu sehen. Da es nun dar- zungsgebiet mit einschlossen. Klar war dabei, um ging, diesen Feind nicht nur kompromisslos dass es mit dem Ziel einer politischen Umorien- niederzuwerfen, sondern im Anschluss daran zu tierung der deutschen Bevölkerung weder ein verwalten, musste diese Aufgabe mit größtmögli- Anknüpfen an die Weimarer Rundfunktradition cher Distanz angegangen werden: streng, doch noch an das nationalsozialistische Propagandara- gerecht. Und schließlich sahen sich die Briten mit dio geben konnte. den anderen Alliierten um ihrer eigenen Sicher- Das Problem von politischer Umgestaltung in heit willen vor der historisch einmaligen Aufgabe, einem Besetzungsgebiet ist ein wiederkehrendes eine moderne Industrienation mit 74 Millionen historisches Topos des 20. Jahrhunderts, das im Menschen von ihren fatalen Denkstrukturen zu beginnenden 21. seine Fortführung findet. Jeder befreien und für ein europäisches Zusammenleben Besatzungsmacht stellt sich die Frage, wie nach zukunftsfähig zu machen. Das war in vereinfach- dem gewaltsam erzwungenen Regimewechsel an ten Worten das Programm der Re-education, der der Spitze des feindlichen Landes der nachhaltige politischen Umerziehung und Demokratisierung. Wandel in der politischen Kultur der Breite nach- Jede der vier Siegermächte hatte sich diesem Ziel folgen soll. Wirkungsvolle Besatzungspolitik verschrieben, und jede von ihnen schlug dahin kann sich nicht beschränken auf das Auswechseln ihren eigenen Weg ein. Die britische Besatzungs- politischer Eliten und Institutionen, vielmehr politik war dadurch gekennzeichnet, dass sie auf muss es ihr langfristig gelingen, eine stabile Mas- Erfahrungen aus ihrer Kolonialgeschichte zurück- senbasis für die eigene politische Vision zu greifen konnte. Das British Empire hatte sich über errichten.

1 Germany. o.O. 1944, S. 5. 2 Ebd. 3 Ebd., S. 2.

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1. Fragestellung ten, und wie sie deren Wirkung am Ende beurteil- ten. War die Re-education im NWDR ein Erfolg Der Versuch der britischen Besatzer, im Rahmen oder ist sie gescheitert? ihrer Besatzungspolitik mit dem Denkmodell der Re-education durch den Nordwestdeutschen Rundfunk eine Massenbasis in der deutschen 2. Struktur und Methodik Bevölkerung zu erreichen, ist Gegenstand dieser Zur eigentlichen Thematik hin führen zwei Kapi- Arbeit. Der für diese engere Umerziehungspolitik tel zur Vorgeschichte, wovon das eine die Ent- zu betrachtende Zeitraum gliedert sich in drei wicklung des Rundfunks als politisches Medium Teile: eine Vor- oder Planungsphase während des im Norden Deutschlands bis 1945 skizziert. Darin Krieges zwischen 1942 und 1945, eine Hauptpha- wird der Kontext zum Verständnis der kompro- se der Umsetzung nach dem Sieg zwischen 1945 misslosen Ablehnung aller deutschen Rundfunk- und 1948, schließlich eine Übergabe- und Aus- Vorgängerinstitutionen durch die Briten geliefert. laufphase 1949 bis 1950. Damit spannt sich der Das andere analysiert die Planungen der Alliierten Bogen von den ersten theoretischen Überlegungen mit Blick auf ein Deutschland nach dem Krieg in den Planungsbüros des Londoner Foreign Of- und die daraus sich entwickelnde britische Rund- fice über die konkrete Realisierung ihrer Re- funkpolitik bis 1945. Die beiden Teile bilden den education-Strategie im NWDR bis zu den Beur- notwendigen Rahmen für die Ausgestaltung der teilungen ihre Wirksamkeit nach der Übernahme Umerziehungspolitik im späteren NWDR. der Verantwortung durch die Deutschen. Daran schließt sich ein Teil zur Genese und Aus- 1. Auf welcher Legitimationsgrundlage glaubten formung des britischen Re-education-Konzepts die Briten, ein ganzes Volk zu ihrem Wertesystem an, das sowohl die zugrundeliegenden Denkströ- umerziehen zu können? Eng damit verbunden ist mungen aus der britischen Erziehung und politi- die Frage nach der Dynamik der britischen schen Philosophie berücksichtigt wie auch die seit Deutschlandplanungen im komplizierten Gefüge dem Ersten Weltkrieg virulente Deutschland- der Anti-Hitler-Koalition, sowie die, welche insti- Debatte in Großbritannien. Auf dieser Basis folgt tutionellen und politischen Gruppierungen sich die Darlegung der argumentativen Absicherung damit befassten. Aus dieser Betrachtung lässt sich sowie der Mittel- und Zieldefinition des britischen die Frage beantworten, welche Ziele die Briten Re-education-Begriffs. mit ihrer Besatzungspolitik in Deutschland an- Der folgende Hauptteil zur Umerziehung im und strebten. War die Re-education ein Euphemismus durch den NWDR geht aus von den materiellen der Besatzer für ihre eigene Planlosigkeit ange- und mentalen Gegebenheiten, denen sich die sichts der Besatzungsprobleme (eine in den Quel- britischen Besatzer 1945 in ihrer Zone gegenüber len mitunter anzutreffende Behauptung)? Oder sahen. In diesem Umfeld vollzogen sie die Um- entwickelte die Besatzungsmacht darin einen setzung ihres Umerziehungsprogramms im Rund- Masterplan für die Rekonstruktion des politischen funk. Dies betraf zunächst die organisatorische Bewusstseins in Deutschland? Ebene des NWDR mit seiner Struktur und Verfas- 2. Wie realisierten die Briten ihr Konzept der sung, sodann sein britisches und deutsches Perso- Umerziehung im neugegründeten Nordwestdeut- nal und nicht zuletzt das Programm. Für alle Be- schen Rundfunk? Wie stark und auf welchen reiche zeigt das Kapitel die unmittelbaren Gebieten beeinflusste das Gedankengut der Re- Auswirkungen des Re-education-Konzepts auf. education Aufbau, Organisation und Abläufe im Ein weiteres Kapitel untersucht die Wirkungen NWDR? Auf welche Weise versuchten die Briten, des NWDR und des britischen Umerziehungspro- politische Umorientierung zu initiieren und zu gramms in der Phase von 1945 bis 1948 auf die steuern? Wer führte sie durch, welches waren die Öffentlichkeit und auf verschiedene Interessen- Kontrollorgane? Was waren die Sanktionsmög- gruppen, darunter insbesondere die politischen lichkeiten bei Verstößen? Wie schlug sich die Re- Parteien, in der britischen Zone. Dem folgt ein education im Programm des NWDR nieder? abschließendes Kapitel über den Prozess der Ü- 3. Welches waren die Erfolgskontrollen, mit de- bergabe des Senders an die Deutschen und die nen die Briten die Wirkung ihres Umerziehungs- Versuche der Besatzer, das Programm der politi- instruments überprüften? Dazu gehört die Wir- schen Umerziehung nach dem Wegfall der Be- kung des neuen Senders auf die Zuhörer in der stimmungshoheit für die Zukunft abzusichern. britischen Zone ebenso wie auf Behörden, Institu- Im Fazit am Schluss der Arbeit werden Erfolg tionen und politische Parteien des neu entstehen- und Wirksamkeit des Umerziehungsinstruments den Staatsgebildes. Schließlich ist zu untersuchen, NWDR anhand der Zielvorstellungen der Briten wie die Briten nach der plangemäßen Übergabe und der weiteren geschichtlichen Entwicklung in des NWDR in deutsche Hände die Fortführung Deutschland nach sechs Jahrzehnten bewertet. der politischen Umerziehung gewährleisten woll-

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3. Forschungsstand und Quellen ten zum Aufbau der deutschen Presse- und Medienlandschaft vorgelegt hat.8 Der Rahmen der alliierten Deutschlandpolitik vor und nach der Kapitulation steht in der Forschung Zum Komplex Re-education bzw. politische schon länger durch die Arbeiten von Wolfgang Umerziehung sind in den 80er Jahren eine Reihe Benz, Josef Foschepoth und Hermann Graml auf von Arbeiten veröffentlicht worden. Sie befassen einem differenzierten Fundament.4 Speziell zur sich in der Regel mit Entstehung, britischen Deutschlandpolitik ist in erster Linie Grundkonzeption und Zielrichtung der Re- Lothar Kettenacker zu nennen, außerdem Claus education, weniger mit der Umerziehung an Scharf und Hans-Jürgen Schröder sowie der einzelnen Beispielen. Die Bände von Manfred Sammelband von Josef Foschepoth und Rolf Heinemann, Nicholas Pronay und Keith Wilson Steininger.5 Zum Thema staatliche Rekonstrukti- sowie der von Ian Turner versammeln einige der 9 on und gesellschaftlicher Wiederaufbau in der wichtigsten Aufsätze zu dem Thema. Kurt „Stunde Null“ hat Christoph Kleßmann ein wich- Jürgensen und nochmals Lothar Kettenacker tiges Buch vorgelegt.6 haben sich darüber hinaus eingehend mit der Re- education in der britischen Zone beschäftigt.10 Im Bereich der britischen Kultur- und Medienpo- litik in Deutschland nach 1945 definieren die Die historische Literatur zum Nordwestdeutschen Analysen von Gabriele Clemens den Stand der Rundfunk ist überschaubar. Den Stand der For- Forschung,7 während Kurt Koszyk einige Arbei- schung reflektiert der vor kurzem erschienene Band „Die Geschichte des Nordwestdeutschen

4 Wolfgang Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur 8 Kurt Koszyk: Kontinuität oder Neubeginn? Massen- Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946- kommunikation in Deutschland 1945-1949. Siegen 1949. Frankfurt am Main 1984; Josef Foschepoth 1981 (Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunk- (Hrsg.): Kalter Krieg und Deutsche Frage. Deutschland tes Massenmedien und Kommunikation, Bd. 12); Ders.: im Widerstreit der Mächte 1945 – 1952. Göttingen und Presse unter alliierter Besatzung. In: Wilke, Jürgen Zürich 1985 (Veröffentlichungen des Deutschen Histo- (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik rischen Instituts London, Bd. 16); Hermann Graml: Die Deutschland. Bonn 1999 (Schriftenreihe der Bundes- Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und zentrale für politische Bildung, Bd. 361), S. 31-58; Entscheidungen 1941-1948. Frankfurt am Main 1985. Ders.: The Press in the British Zone of Germany. In: 5 Lothar Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung. Die Pronay, Nicholas/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Deutschlandplanung der britischen Regierung während Re-Education of Germany and her Allies. London und des Zweiten Weltkrieges. Göttingen und Zürich 1989 Sidney 1985, S. 107-138. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Insti- 9 Manfred Heinemann (Hrsg.): Umerziehung und Auf- tuts London, Bd. 22); Ders./Manfred Schlenke/Hellmut bau. Die Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Seier (Hrsg.): Studien zur Geschichte Englands und der Deutschland und Österreich. Stuttgart 1981 (Veröffent- deutsch-britischen Beziehungen. Festschrift für Paul lichungen der Historischen Kommission der Deutschen Kluke. München 1981; Ders.: Germany since 1945. Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 5); Ni- Oxford und New York 1997; Claus Scharf/Hans-Jürgen cholas Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Re- Schröder: Die Deutschlandpolitik Grossbritanniens und Education of Germany and her Allies. London und die Britische Zone 1945-1949. Wiesbaden 1979 (Veröf- Sidney 1985; Ian Turner (Hrsg.): Reconstruction in fentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Post-War Germany. British Occupation Policy and the Mainz, Beiheft 6); Josef Foschepoth/Rolf Steininger Western Zones 1945-55. Oxford, New York und Mu- (Hrsg.): Die britische Deutschland- und Besatzungspo- nich 1989. litik 1945-1949. Paderborn 1985. 10 Kurt Jürgensen: Kulturpolitik und Politik der Re- 6 Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. education in der britischen Zone. In: Becker, Winfried Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn, 5. überarb. u. (Hrsg.): Die Kapitulation von 1945 und der Neubeginn erw. Aufl. 1991 (Studien zur Geschichte und Politik, in Deutschland. Köln und Wien 1987 (Passauer His- Bd. 298). torische Forschungen, Bd. 5), S. 127-139; Ders.: The 7 Gabriele Clemens: Britische Kulturpolitik in Deutsch- Concept and Practice of ‚Re-Education‛ in Germany land 1945-1949. Literatur, Film, Musik und Theater. 1945-1950. In: Pronay, Nicholas/Keith Wilson (Hrsg.): Stuttgart 1997 (Historische Mitteilungen, Beiheft 24).; The Political Re-Education of Germany and her Allies. Dies.: Die britische Kulturpolitik in Deutschland: Mu- London und Sidney 1985, S. 83-96; Lothar Kette- sik, Theater, Film und Literatur. In: Clemens, Gabriele nacker: The Planning of „Re-Education“ During the (Hrsg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945- Second World War. In: Pronay, Nicholas/Keith Wilson 1949. Stuttgart 1994 (Historische Mitteilungen, Beiheft (Hrsg.): The Political Re-Education of Germany and 10), S. 200-218. her Allies. London und Sidney 1985, S. 59-81.

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Rundfunks“.11 In einem etwas älteren Sammel- betrifft sowohl die einschlägigen Sparten und band zur Geschichte des NDR befasst sich Arnulf Sendereihen als auch die zugehörigen Redaktio- Kutschs Aufsatz mit der britischen Kontrollphase nen und Kontrollorgane, er zieht sich durch sämt- zwischen 1945 und 1948.12 In chronologischem liche Aspekte der Programmstrategie, der Pro- Ablauf beleuchtet er überwiegend institutionenge- grammwirkung sowie ihrer quantitativen und schichtlich die Entstehung der Rundfunkanstalt qualitativen Bewertung. So konnte der pro- NWDR unter dem Einfluss der Briten. Joachim grammgeschichtliche Teil dieser Arbeit (Kap. Görgen und Thomas Rölle haben Dissertationen IV.4.) von keinem wissenschaftlich fundierten über den britischen Einfluss beim Aufbau des State of the Art ausgehen, sondern lediglich den Rundfunks verfasst, die jedoch den Aspekt der punktuell vorhandenen Primärquellen und Sekun- Re-education eher kursorisch behandeln.13 Dierk däranalysen folgen. Aus diesem Grund muss sich Ludwig Schaafs Dissertation untersucht den As- die Darstellung der frühen Sendeformate des pekt der Einflussnahme der deutschen Politik in NWDR auf bestimmte, vergleichsweise gut do- den Aufbaujahren des Senders.14 Einer älteren kumentierte Sendungen (z.B. „Echo des Tages“) Veröffentlichung von Heinz-Günter Deiters ist die konzentrieren, um daraus Schlüsse über die Effek- autobiografische und mitunter verklärende Sicht- te der Re-education-Politik zu abzuleiten. Eine weise anzumerken.15 Von Christof Schneider ist erschöpfende Analyse sämtlicher Programmfor- die bislang einzige quantitative Analyse zum mate ist in diesem Rahmen nicht zu leisten, für Programm des NWDR erschienen, mit dem den Forschungsgegenstand aber auch nicht zwin- Schwerpunkt auf der Behandlung von NS- gend erforderlich. 16 Themen. Der wichtigste Quellenfundus steht im Public Darüber hinaus liegt bislang keine ergiebige Dar- Record Office in London zur Verfügung. Natur- stellung zur Programmgeschichte des NWDR gemäß dominieren zu diesem Thema die Akten unter britischer Kontrolle vor. Dieser Mangel aus dem Foreign Office, dem sowohl die wich- tigsten Planungsbehörden für die Deutschlandpo- litik wie auch die Kontrollbehörden für die briti- 11 Peter von Rüden/Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.): Die sche Zone unterstanden. Einige grundsätzliche Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks. Ham- Dokumente zur Re-education liegen zudem in den burg 2005. Darin beschäftigt sich speziell mit der briti- Akten des War Cabinet sowie zu Kontrollfragen schen Phase der Beitrag von Hans-Ulrich Wagner: Das im besetzten Deutschland im War Office. Obwohl Ringen um einen neuen Rundfunk: Der NWDR unter die Briten nur einen kleinen Bruchteil ihres in der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht, S. 13- ihrer Zone angefallenen Schriftgutes zur Archi- 84. vierung aufbewahrten, ist der Quellenbestand zum 12 Wolfram Köhler (Hrsg.): Der NDR zwischen Pro- Thema Re-education umfangreich. Gleiches gilt gramm und Politik. Beiträge zu seiner Geschichte. für die Medienkontrollbehörde PR/ISC (später Hannover 1991; Arnulf Kutsch: Unter britischer Kon- ISD), in deren Zuständigkeitsbereich der NWDR trolle. Der Zonensender 1945-1948. In: Köhler, Wolf- fiel. Auch dazu sind die Aktenbestände reichlich, ram (Hrsg.): Der NDR zwischen Programm und Politik. was z.T. der peniblen bürokratischen Tradition Beiträge zu seiner Geschichte. Hannover 1991, S. 83- des britischen Apparates zu danken ist. Anderer- 148. seits folgte die Ablage dieser Schriftstücke im 13 Joachim Görgen: Der britische Einfluß auf den deut- Bereich Medien und Rundfunk in Deutschland schen Rundfunk 1945 bis 1948 (Dissertation). Berlin keiner erkennbaren Systematik. An dieser Stelle 1983; Thomas Rölle: Der britische Einfluß auf den war mir das 11-bändige Sachinventar von Adolf Aufbau des Nordwestdeutschen Rundfunks von 1945 Birke ein wertvolles Hilfsmittel, das bei vielen bis 1948 (Dissertation). Kiel 1990; ähnlich mit Blick Fragestellungen über den Suchkatalog des Public 17 auf den späteren WDR die Arbeit von Eva-Maria Frei- Record Office hinausgeht. burg: Die Geschichte des Rundfunks in Nordrhein- Die Ergänzung zu den britischen Dokumenten Westfalen 1945-1955. Vom NWDR-Köln zum WDR findet sich auf deutscher Seite im Hamburger (Dissertation). Hannover 1974. Staatsarchiv, in das vor kurzem die Akten aus den 14 Dierk Ludwig Schaaf: Politik und Proporz. Rund- Kellern des Norddeutschen Rundfunks überführt funkpolitik in Nord- und Westdeutschland 1945-1955 worden sind. Die Sichtung und Ordnung des im (Dissertation). Hamburg 1971. NDR weitgehend nach Chaosprinzip abgelegten 15 Heinz-Günter Deiters: Fenster zur Welt. 50 Jahre Materials ist inzwischen erfolgt und in einem Rundfunk in Norddeutschland. Hamburg 1973. 16 Christof Schneider: Nationalsozialismus als Thema im Programm des Nordwestdeutschen Rund-funks 17 Adolf M. Birke: Akten der Britischen Militärregie- (1945-1948). Potsdam 1999 (Veröffentlichungen des rung in Deutschland: Sachinventar 1945-1955. Mün- Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 23). chen 1993.

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vorläufigen Verzeichnis niedergelegt.18 Damit ist bei letzteren macht sich allerdings ein deutlicher dieser disparate, aber umfangreiche Aktenbestand Hang zu Nostalgie und Mythisierung (Deiters, erstmals für die Forschung archivarisch aufberei- von Zahn) oder im Gegenteil zur Verdammung tet. Ohne diese Zugangsmöglichkeit hätte diese (von Schnitzler) jener Frühzeit des Nachkriegs- Arbeit in weiten Teilen unfertig bleiben müssen. rundfunks bemerkbar, die der Erkenntnis tatsäch- Zum Zeitraum zwischen 1945 und 1950 sind im licher Sachverhalte eher im Weg steht. Staatsarchiv rund 40 Aktenzeichen erfasst. Ihr In die Kategorie persönlicher Erinnerungsdoku- Umfang und Inhalt lässt darauf schließen, dass es mente gehören die verschriftlichten Interviews, zu jener Zeit keine systematische Aktenarchivie- die Peter von Rüden in der Forschungsstelle „Ge- rung gegeben hat, sodass die vorliegenden Akten schichte des Rundfunks in Norddeutschland“ der dem geschichtlichen Bewusstsein Einzelner, dem Universität Hamburg mit zahlreichen Pionieren bürokratischen Stil bestimmter Hierarchen oder des Rundfunks geführt hat (z.B. Gerd Ruge, Jür- schlicht dem Zufall geschuldet sind. Bestimmte gen Roland, Julia Dingwort-Nusseck u.a.). Sie Teile der Bestände wurden offenbar gezielt ver- lieferten jenseits von anekdotischem Kolorit 19 nichtet, andere sind aufgrund jahrelanger Fehl- wichtige Aussagen zum Umgang der britischen lagerung im fortgerückten Verfallsstadium. Den- Kontrolloffiziere mit dem deutschen Personal, zur noch bilden die Dokumente im Hamburger Handhabung der Zensur und zu den Gestaltungs- Staatsarchiv das Rückgrat für die Beschäftigung spielräumen im politischen Programm des mit dem deutschen NWDR-Personal, mit dem NWDR. frühen NWDR-Programm, den Hörerreaktionen Weitere Quellen sind die Film- und Tondokumen- und der Übergangsphase vom britischen zum te aus dem Fernseh- und Wortarchiv des NDR. deutschen Sender. Auffällig ist in diesem Zu- Hier konnten diverse Gesprächssendungen und sammenhang, wie wenig die Papierkreisläufe der Radioansprachen ausgewertet werden. britischen Verwaltung einerseits und der deut- schen Belegschaft andererseits vernetzt waren: Einige der maßgeblichen politischen Dokumente Das Staatsarchiv in Hamburg bewahrt so gut wie aus jener Zeit wie z.B. das Abkommen von Pots- keine britischen Schriftstücke, das Londoner dam oder die Verordnung Nr. 118 stehen in den Public Record Office praktisch keine deutschen. einschlägigen Dokumentensammlungen zur Ver- fügung.21 Die Auseinandersetzung mit dem NWDR profi- tiert außerdem von der Memoirenfreudigkeit mancher Protagonisten. So liegen zum einen Erinnerungen britischer Kontrolloffiziere und Entscheidungsträger vor (Michael Balfour, Mi- chael Thomas, Hugh Carleton Greene, Robert Birley), zum anderen die Autobiografien mancher deutschen „Männer der ersten Stunde“ (Peter von Zahn, Eduard von Schnitzler, Axel Eggebrecht, Peter Bamm, Heinz-Günter Deiters).20 Besonders

18 Norddeutscher Rundfunk: Vorläufiges Verzeichnis mit vorläufigem Vorwort, Staatsarchiv. Hamburg o.J., Bestandsnummer 621-1. 1991; Karl Eduard von Schnitzler: Meine Schlösser 19 „Besonders beklagenswert ist, dass sämtliche Perso- oder Wie ich mein Vaterland fand. Berlin 1989; Axel nalakten – offenbar auf Beschluss der Leitungsorgane – Eggebrecht: Der halbe Weg: Zwischenbilanz einer vernichtet wurden. Das gilt offenbar auch für die Epoche. Hamburg 1975. (streng) vertraulichen Dokumente der Führungskräfte.“, 21 Z.B. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. ebd., Vorwort S. IV. Britische Zone. 1945-1949; Ernst Deuerlein: Die Ein- 20 Michael Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle in Deutsch- heit Deutschlands. Ihre Erörterung und Behandlung auf land 1945-1946. Düsseldorf 1959; Michael Thomas: den Kriegs- und Nachkriegskonferenzen 1941-1949. Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besat- Darstellung und Dokumentation. Frankfurt am Main zungsoffizier. Berlin 1984; Hugh Carleton Greene: 1957; Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Entscheidung und Verantwortung. Perspektiven des Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961. Rundfunks. Hamburg 1970; Robert Birley: British Hauptband I (zusammengestellt von Heinrich von Policy in Retrospect. In: Hearnden, Arthur (Hrsg.): The Siegler), Bonn, Wien und Zürich, 2. ergänzte und er- British in Germany. Educational Reconstruction after weiterte Aufl. 1970; Beate Ruhm von Oppen (Hrsg.): 1945. London 1978, S. 46-63; Peter von Zahn: Stimme Documents on Germany under Occupation 1945-1949. der ersten Stunde. Erinnerungen 1913-1951. Stuttgart London, New York und Toronto 1955.

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II) Vorgeschichte

Um die geistige, moralische und politische Lage Pionierleistung. Diese Aufbruchstimmung spiegelte der Deutschen nach der Kapitulation zu charakteri- sich trotz schwieriger Produktionsbedingungen sieren, hat sich das Bild der „Stunde Null“ etabliert. noch Jahre später in den Rundfunkoden der für den Es hat seine Berechtigung in Hinblick auf die Tiefe Sender arbeitenden Dichter: „Rundfunk, junger der Zäsur von 1945. Irreführend dagegen ist jener Riese du / zwischen Unruh hin und Ruh – Heia! Beiklang von „Stunde Null“, der einen von allem hohen Zielen zu / heb’ dich, Recke, heia!!“24 Das Vergangenen losgelösten Neubeginn suggeriert. Themenpotpourri der Eröffnungswoche vom Mai Das gilt auch für den Rundfunk in Norddeutsch- 1924 war zugleich die Blaupause für das künftige land, der auf eine mehr als zwanzigjährige Ge- Norag-Programm bis 1933. schichte zurückblicken konnte. Daneben gab es Diesem Aufbruch waren zähe behördliche Vorbe- lange vor Kriegsende auf alliierter Seite Vorarbei- reitungen vorausgegangen, um das neue Medium ten zur künftigen Gestaltung des Rundfunks im Rundfunk zu etablieren.25 Die Reichspost sah im besiegten Deutschland. Beides ist für das Verständ- Rundfunk eine Einnahmequelle für den Staat, doch nis der „Stunde Null“ des Nordwestdeutschen für die Errichtung der sendetechnischen Anlagen Rundfunks unerlässlich. fehlte das Investitionskapital. Daher fiel die Ent- scheidung für ein dezentrales Rundfunksystem mit 1. Politische Bildung und Erziehung unter privatwirtschaftlichen Rundfunkgesellschaften. Für den NWDR-Vorläufern Hamburg und den norddeutschen Sendebezirk übernahm diese Rolle die Nordische Rundfunk AG Die beiden Vorläufer des Nordwestdeutschen (Norag).26 Die Frage, wer die Rundfunkgesellschaf- Rundfunks besetzen in ihrem Umgang mit dem ten beaufsichtigen sollte, führte zu einem Konflikt Thema politische Erziehung zwei diametral entge- zwischen dem Reichspostministerium und dem gengesetzte Pole. Während die Norag sich mindes- Reichsinnenministerium. Schließlich sollte die tens bis 1932 politische Abstinenz verordnet hatte, „Deutsche Stunde“, dem Postministerium naheste- bediente der Reichssender Hamburg die ganze hend, für alle unterhaltenden Programmteile zu- Klaviatur politischer Beeinflussung. ständig sein, während die dem Innenministerium verpflichtete Drahtlose Dienst AG (Dradag) die 1.1. Die Norag: Bildungsanspruch und Überwachung von Nachrichten und politischer politische Neutralität Berichterstattung übernahm. Den Betrieb des Rundfunks in Norddeutschland Der Leiter der Funkabteilung im Reichsinnenminis- eröffnete am 02.05.1924 eine Begrüßung durch den terium Hans Bredow war überzeugt davon, dass Redaktionsleiter Hans Bodenstedt.22 Die anschlie- „politische Betätigung den Untergang des Rund- ßende „Festwoche“ bestand aus Thementagen von je sechs bis acht Stunden Schwerpunktprogramm: der „Tag der Künste“, der „Tag des Sports und der

Jugend“, der „Niederdeutsche Tag“, der „Tag der 24 Schiffahrt und des Handels“ sowie zum Schluss der Hermann Claudius: Dem Rundfunk!. In: Norag. Das „Fröhliche Tag“.23 Der Norag gelang damit eine Fünfte Jahre, S. 40. 25 Diesen Prozess beschreibt Winfried B. Lerg: Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland. Herkunft und 22 Vgl. Adolf Wasmus: 765 Kilo Hertz. Ernste und heite- Entwicklung eines publizistischen Mittels. Frankfurt am re Tagebuchblätter aus der Lausbubenzeit des Norddeut- Main 1965 (Beiträge zur Geschichte des deutschen Rund- schen Rundfunks. Hamburg 1949, S. 5. Vgl. auch Heinz- funks Bd. 1). Näheres auch bei Heinz Pohle: Der Rund- Günter Deiters: Fenster zur Welt. 50 Jahre Rundfunk in funk als Instrument der Politik. Organisation und politi- Norddeutschland. Hamburg 1973, S. 11. sche Programmgestaltung des deutschen Rundfunks von 23 Norag. Das Fünfte Jahr. Hamburg 1929, S. 12. Dazu seiner Gründung bis zum Beginn des Großdeutschen Deiters: Fenster zur Welt, S. 12 f. Vgl. das euphorische Rundfunks (Dissertation). Hamburg 1953 (Wissenschaft- Grußwort von Hans Bredow an die Norag: „Es werden liche Schriftenreihe für Rundfunk und Fernsehen, Bd. 1). besonders die Stimmen der Norag sein, die Deutschlands 26 Vgl. Henri Hofmann: Je näher, je lieber? Zur Entwick- Willkommen entbieten. Rundfunk voraus! Das ist die lung des regionalen Rundfunks in Norddeutschland. In: Losung, der sie mit allen anderen deutschen Rundfunk- Brigitte Wetzel: Einschalten – Ausschalten. Aspekte des sendern gemeinsam folgen.“. In: Norag Jahrbuch 1926. Hörfunks in Norddeutschland seit 1923. Schleswig 1989, Hamburg 1926, S. 2. S. 7; Lerg: Entstehung des Rundfunks, S. 208 ff.

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funks bedeutet“.27 Sein Ideal war ein politisch un- Programminhalte dieser frühen Jahre des Rund- parteiischer, ja abstinenter Rundfunk, und nichts funks in Norddeutschland belegen diesen An- schreckte ihn mehr als die Vorstellung, der Rund- spruch. Die Programmstatistik von 1930 weist aus: funk könnte von den Parteien instrumentalisiert Nachrichten: 9.894 Sendungen werden. Daher war ihm daran gelegen, die Kon- Musik: 2.625 Sendungen trollkompetenz in seinem eigenen Ministeriums zu Vortragswesen: 1.422 Sendungen 28 halten. Politische Inhalte seien nicht Sache des Hans-Bredow-Schule: 680 Sendungen Rundfunks: Schulfunk: 607 Sendungen „Der Rundfunk [...] soll Weltanschauungsfra- Aktuelles / Sonder- gen, sozialpolitische und wirtschaftspolitische programme: 441 Sendungen Betrachtungen zur Schonung von Empfindlich- Literarisches: 439 Programme34 keiten mit großer Vorsicht anfassen. Ja, er muß Hinter der Zahl an Nachrichtenangeboten verbarg sie manchmal sogar farblos gestalten und par- sich ein zielgruppenorientierter Programmservice, teipolitische Fragen natürlich ängstlich mei- von Wetterberichten über Schifffahrtsfunk bis zu den.“29 landwirtschaftlichen Meldungen. Der Schwerpunkt Diese Parole der politischen Zurückhaltung, die der des Norag-Programms lag bei Bildungssendungen 30 „Vater des deutschen Rundfunks“ ausgegeben sowie dem Schulfunk mit der Hans-Bredow- hatte, übernahmen die Gründer der Nordischen Schule, einer Art Radio-Volkshochschule.35 Beson- Rundfunk AG ins Handelsregister vom 29.01.1924: deres Augenmerk galt der Heimatkunde. Im Mai „Gegenstand des Unternehmens ist die Veran- 1924 empfand man es als staltung und drahtlose Verbreitung von Vorträ- „Notwendigkeit, daß bereits im Eröffnungspro- gen, Nachrichten und Darbietungen, künstleri- gramm der Norag-Sender ein niederdeutscher schen, belehrenden, unterhaltenden sowie sonst Tag den Willen betonte, bodenständig zu weitere Kreise der Bevölkerung interessieren- sein.“36 den Inhalts in Hamburg und weiterem Um- kreis“.31 Die Informationssendungen der Norag waren unpo- litisch, ebenso Vorträge und Reportagen. Von den Nach dieser Maxime leiteten die Norag-Gründer leidenschaftlichen politischen Konfrontationen ihren Sender mit einem künstlerisch-bildenden jener Zeit wollte man sich fernhalten: „Die ge- Auftrag, der niemand ausschließen sollte, „ein genströmigen Bewegungen um uns herum [...] sind großzügiger, ein findiger Anschauungsunterricht an 32 nie nach drinnen gekommen. Wir waren insofern Alle“. Ein pädagogischer Ansatz, der Rundfunk 37 eine Insel.“ Während die Parteien sich im als „ein Hörsaal, ins Unendliche projiziert.“33 Die Reichstag befehdeten, während Notverordnungen das parlamentarische System aushöhlten und der Terror von rechts und links das Land an den Rand 27 Hans Bredow: Vorgeschichte des Rundfunks (Akten- des Bürgerkriegs brachte,38 sendete die Norag Bei- vortrag). In: Lerg: Entstehung des Rundfunks, S. 145. 28 Zur Haltung Bredows gegenüber politischen Pro- gramminhalten vgl. Pohle: Rundfunk als Instrument der 34 Vgl. Norag-Geschäftsbericht für das Jahr 1930. Ham- Politik, 60 ff. burg 1930, S. 29. Im Lauf der Jahre nahm der Anteil der 29 Hans Bredow: Vortragsabend der Reichs-Rundfunk- Musiksendungen überproportional zu, vgl. Heitger: Auf Gesellschaft am 6. Februar 1928, gedrucktes Manuskript. der Suche, S. 35. o.O. 1928, S. 4. 35 Diese Bildungsbeflissenheit trieb kuriose Blüten wie 30 So bezeichneten ihn laut Bredow selbst viele „wohl- z.B. 1928 eine Sendung zum Thema „Sind Tiere musika- meinende Mitarbeiter“, vgl. Hans Bredow: Mein Weg lisch?“, vgl. Norag. Das Fünfte Jahr, S. 12. Im Jahr 1930 zum Rundfunk. Ein Lebensrückblick. Wiesbaden 1949, sah der Sender sich gezwungen, seinen Hörern „auf dem S. 3. Gebiet der Sammlerinteressen und Liebhabereien, wie 31 Eintrag Nr. 125 im Hamburger Notariats-Register für Schach und Philatelie“ Einschränkungen zuzumuten, 1924, zitiert nach Ulrich Heitger: Auf der Suche nach Norag-Geschäftsbericht 1930, S. 39. einem Programm. Die Nordische Rundfunk AG 1924- 36 Ebd., S. 31. 1932. In: Wolfram Köhler (Hrsg.): Der NDR zwischen 37 Der damalige Hauptfunkleiter Kurt Stapelfeldt in: Ein Programm und Politik. Beiträge zu seiner Geschichte. Rundfunkpionier erinnert sich. Norag-Sendeleiter Dr. Hannover 1991, S. 17. Kurt Stapelfeldt im Gespräch mit NDR-Intendant Fried- 32 „Zeittheater des Rundfunks“ in: Norag. Das Sechste rich-Wilhelm Räuker: N3-Sendung vom 02.05.1984, Jahr. Hamburg 1930, S. 13. Näheres zur Ideengeschichte NDR-Fernseharchiv 1041093. bei Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und 38 Zu den Verfallserscheinungen der Weimarer Republik Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt am vgl. Manfred Funke: Republik im Untergang. Die Zerstö- Main und Leipzig 1994. rung des Parlamentarismus als Vorbereitung der Diktatur. 33 Kurt Stapelfeldt in: Norag. Das Fünfte Jahr, S. 62. In: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf

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träge wie „Was tanzten unsere Urväter?“.39 Den- Parteien und Verbände die Relevanz des Mediums noch erwies sich die Vorstellung, dass politische noch nicht erfasst – ein Umstand, der sich mit den Einflüsse vom Rundfunkgeschehen fernzuhalten Nationalsozialisten ändern sollte. Die apolitische seien, als Illusion. Das Kabinett von Papen setzte Haltung der frühen Rundfunkmacher wurde ihnen dem Inseldasein des Rundfunks ein Ende. Ein Er- später zum Vorwurf gemacht, als ein Ausweichen lass vom 11.06.1932 verfügte die Einrichtung einer vor den Konflikten der Zeit und mangelndes Be- „Stunde der Reichsregierung“, in der über alle kenntnis zur Weimarer Republik. 42 Die Norag als deutschen Rundfunksender ohne redaktionelle „fruchtbringende Insel“, die dem Volk das gab, Mitbestimmung politische Verlautbarungen ver- „was es sich wünschte“,43 hatte die Vision, durch breitet werden konnten. Die im Juli 1932 verab- Ablenkung die Volksmoral zu heben. Dank derlei schiedete Neuorganisation des Rundfunks in Eskapismus war die Norag publizistisch nie auf der Deutschland verschärfte die staatliche Kontrolle Höhe der Zeit. Die politischen Auseinandersetzun- und machte die Sender als konservative Sprachroh- gen dieser Jahre44 fanden nicht Eingang in das re gefügig: Programm der Norag, die publizistische Ausrich- „Der Rundfunk stellt die Hörer in sachlicher tung kam über ein provinzielles Niveau nicht hin- Weise vor die politische Wirklichkeit und sucht aus. Die Chance, in einem „demokratischen Staat ihnen aus der Fülle der Spannungen in unserem ohne gesichertes Staatsbewusstsein“45 einen Beitrag Volke das Große und Einigende deutlich zu zur Stabilisierung zu leisten, wurde von der Norag machen.“40 als neues Massenmedium nicht wahrgenommen, Die Umsetzung dieser Leitsätze bedeutete, dass die obwohl sie in den 20er Jahren einen rasch wach- Ära des schöngeistigen Kulturradios in Nord- senden Verbreitungsgrad bei der Bevölkerung ver- 46 deutschland beendet war. zeichnen konnte. Obwohl sich die Norag in den knapp zehn Jahren ihres Bestehens für die gesellschaftliche Bildung 1.2. Der Reichssender Hamburg: Rundfunk engagiert hatte, blieb die politische Bildung ausge- als Propagandainstrument blendet. Den Gründervätern des Rundfunks galt das Die „nationale Erhebung“, zu der die Nationalsozi- Prinzip der politischen Abstinenz als Bedingung für alisten die Berufung Hitlers zum Reichskanzler die Entwicklung des Mediums. Den wichtigsten stilisierten, sollte den Weimarer „Systemrundfunk“ Befürworter dieses Prinzips Hans Bredow beschli- abschütteln. So kam es, dass am 30.01.1933 der chen allerdings bald Zweifel:

„Sollte nicht auch der Deutsche fähig sein, sich 42 andere politische Anschauungen anzuhören, So z.B. der spätere NDR-Intendant Räuker gegenüber ohne dadurch verärgert zu werden, und wenn er Kurt Stapelfeldt in: Ein Rundfunkpionier erinnert sich, heute noch nicht dazu fähig ist, könnte es nicht N3-Sendung 02.05.1984; kritisch auch Deiters: Fenster eine lohnende Aufgabe werden, ihn daran zu zur Welt, S. 49. Bredow nimmt in seinen Memoiren gewöhnen?“41 Stellung zu diesem Vorwurf, vgl. Hans Bredow: Im Das Norag-Programm gab den Kontrollinstanzen Banne der Ätherwellen, Bd. II: Funk im Ersten Weltkrie- kaum Anlass zu ernsthafter Zensur. Auch hatten ge, Entstehung des Rundfunks. Stuttgart 1956, S. 289 ff. 43 Kurt Stapelfeldt in: Ein Rundfunkpionier erinnert sich, N3-Sendung 02.05.1984. Jacobsen (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918-1933. 44 Vgl. Kurt Sontheimer: Die politische Kultur der Wei- Politik – Wirtschaft – Gesellschaft. Bonn, 2. durchges. marer Republik. In: Bracher/Funke/Jacobsen (Hrsg.): Die Aufl. 1988 (Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 251), Weimarer Republik, S. 454-464; zur Streitkultur der S. 505-531; Heinrich August Winkler: Weimar 1918 – Links- und Rechtsintellektuellen vgl. Walter Laqueur: 1933: die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Weimar. Die Kultur der Republik. Frankfurt am Main München , durchges. Aufl. 1988; Ders.: Der lange Weg und Berlin 1976, S. 62 ff.; zu den politischen Positionen nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des verschiedener Publizisten vgl. Walter Müller-Seidel: Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Repu- Literarische Moderne und Weimarer Republik. In: Bra- blik. München 2000. cher/Funke/Jacobsen (Hrsg.): Die Weimarer Republik, 39 Vgl. die Themenübersicht „Im Jahre 1930 von Ham- S. 429-453. burg gesendete Programme“ in: Norag-Geschäftsbericht 45 Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der 1930, S. 73 ff. In der Rubrik „Aktuelle Vorträge“ hatten Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen im ersten Halbjahr 1930 vier von dreißig Sendungen Idealismus zwischen 1918 und 1933. München 1962, innenpolitischen Inhalt, vgl. Norag-Geschäftsbericht S. 19. 1930, S. 77. 46 Vgl. Axel Schildt: Moderne Zeiten. Freizeit, Massen- 40 Ebd., S. 79. medien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er 41 Hans Bredow: Der Mann des Aufbaus spricht durchs Jahre. Hamburg 1995 (Hamburger Beiträge zur Sozial- Mikrophon. In: Norag. Das Fünfte Jahr, S. 15. und Zeitgeschichte, Bd. 31), S. 209 f.

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spätere Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky ins Doch die Gleichschaltung aller Rundfunksender Berliner Funkhaus eindrang und eine Reportage zum Propagandawerkzeug ließ sich nur durch län- vom Triumphzug des neuen Reichskanzlers er- gere Umbaumaßnahmen bewerkstelligen. zwang. Von der NS-Propaganda wurde dies zur Die Regierung von Papen hatte 1932 die Verstaatli- „Rundfunkrevolution“ verklärt: chung eingeleitet. Das neue Reichministerium für „Jetzt, noch in dieser Stunde der Machtergrei- Volksaufklärung und Propaganda mit der Abteilung fung, mußte dieser Rundfunk nationalsozialis- „Rundfunk“ sollte die staatliche Kontrolle vervoll- tisch werden und das Fanal der Revolution für ständigen. Den Ministerien für Post und Inneres 47 das ganze deutsche Volk sein.“ wurden alle Zuständigkeiten genommen, sodass Das Potenzial des Rundfunks für politische Zwecke Goebbels am Ende die Zügel für die Steuerung des hatte das neue Regime in der Person von Joseph Rundfunks im Deutschen Reich in seiner Hand Goebbels längst erkannt. Er benutzte ihn seit der hielt. Widerstände von Ministerien und Ländern späten Weimarer Republik als Propagandainstru- verzögerten diese Zentralisierung allerdings bis ment.48 Zu gleicher Zeit ließ er an einer künftigen 1934.50 Rundfunkreform arbeiten, da die NSDAP nicht In der Phase der Kompetenzkämpfe von Anfang daran dachte, mit dem alten System weiterzuarbei- 1933 bis Mai 1934 lavierte der Nachfolgesender ten: der Norag – ab 01.04.1934 unter dem Namen „Deshalb ist die vollständige Zertrümmerung Reichssender Hamburg – im Provisorischen. Grund des heutigen Rundfunksystems als eines Teils war die rigorose Personalpolitik der neuen Macht- des Novembersystems die erste Voraussetzung haber, die ihre Absichten unverhohlen verkündet zu einer über das Formale herausgehenden hatten: 49 Neugestaltung.“ „Hier kann ein nationalsozialistischer Aufbau immer nur von Nationalsozialisten durchgeführt werden [...]. Alle Artfremden und alle Artent-

fremdeten oder gar Artfeindlichen haben aus 47 Eugen Hadamovsky: Dein Rundfunk. Das Rundfunk- den deutschen Sendehäusern zu verschwin- buch für alle Volksgenossen. München 1934, S. 9. Zu den!“51 Hadamovskys tenedenziöser Darstellung dieses Vor- Im Februar 1933 begannen im Hamburger Funk- gangs äußern sich Pohle: Rundfunk als Instrument der haus die Gesinnungsprüfungen. Doch das Vorhaben Politik, S. 154 ff., Deiters: Fenster zur Welt, S. 90 f.; Zur scheiterte daran, dass sich aufrechte NS-Gesinnung „Legende von der nationalsozialistischen Machtergrei- kaum anders als durch Parteimitgliedschaft nach- fung des Rundfunks“ vgl. Lilian-Dorette Rimmele: Der weisen ließ, die Zahl der Rundfunkfachleute mit Rundfunk in Norddeutschland 1933-1945. Ein Beitrag Parteibuch aber weit unter Soll lag. Zudem erwie- zur nationalsozialistischen Organisations-, Personal- und sen sich Parteimitglieder als fachlich inkompetent, Kulturpolitik (Dissertation). Hamburg 1977 (Geistes- und wie das Beispiel des Hamburger Sendeleiters Wil- sozialwissenschaftliche Dissertationen 41), S. 48 ff. helm Hartseil zeigt. Der frühere Gaufunkwart von Allgemein zum Reichssender Hamburg auch Hermann Pommern musste nach nur einem Jahr entlassen Korte: Landschaft und Sender. Eine Untersuchung der werden.52 Daher sah man sich gezwungen, auf das Beziehung zwischen Rundfunksender und seiner Land- alte Personal zurückzugreifen. Bei seinem Besuch schaft unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnis- des Hamburger Funkhauses erläuterte Goebbels se beim Reichssender Hamburg (Dissertation). Hamburg dies mit untypischer Toleranz: 1940. 48 Goebbels datierte seine erste Rundfunkrede auf den „Wenn er [der Mitarbeiter, FH] nicht dazu ge- hört, wenn er aber mit Ernst und mit Sachlich- 18.07.1932, vgl. Joseph Goebbels: Tagebücher 1924- keit dieser Bewegung zuschaut, [...] wenn er 1945, Bd. 2: 1930-1934. München, 2. Aufl. 1992, S. 673; darüber hinaus aber den großen staatspoliti- eine Dokumentensammlung findet sich bei Joseph Wulf schen Aufgaben, die wir dem deutschen Volk (Hrsg.): Presse und Funk im Dritten Reich. Eine Doku- mentation. Gütersloh 1964. Zur Instrumentalisierung des Mediums im Sinne der „Volksgemeinschaft“ vgl. Inge 50 Vgl. Stefanie Burandt: Propaganda und Gleichschal- Marßoleck: „Aus dem Volke für das Volk.“ Die Inszenie- tung, Der Reichssender Hamburg 1933-1945. In: Wolf- rung der „Volksgemeinschaft“ im und durch das Radio. ram Köhler (Hrsg.): Der NDR zwischen Programm und In: Dies./Adelheid von Saldern (Hrsg.): Radiozeiten. Politik. Beiträge zu seiner Geschichte. Hannover 1991, Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924-1960). Potsdam S. 46. Zum Zentralisierungsprozess und der Rolle des 1999 (Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkar- RMVP vgl. Horst J.P. Bergmeier/Rainer E. Lotz: Hitler’s chivs, Bd. 25), S. 121-135. Airwaves. The Inside Story of Nazi 49 Wulf Bley: Deutsche Nationalerziehung und Rund- and Propaganda Swing. Guildford 1997, S. 1 ff. funk-Neubau. Was wollen die Nationalsozialisten im 51 Wulf Bley: Deutsche Nationalerziehung, S. 21 f. Rundfunk? Berlin 1932, S. 9. 52 Vgl. Burandt: Propaganda und Gleichschaltung, S. 49.

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gestellt haben, zu dienen entschlossen ist, ist er Muse. Der Anteil an Musik war in 1933/34 sogar mir auch willkommen.“53 von 57,3% auf 60% angestiegen.58 Dennoch gab es in der Leitungsebene für die No- Die neue Programmfarbe des NS-Rundfunks war rag-Männer keine Zukunft, politisch wichtigen also den Inhalten der Norag nicht entgegengesetzt. Stellen wurden für gesinnungsfeste Parteigenossen Mit einer Ausnahme: Der Sender sollte ausdrück- freigeräumt.54 lich politisches Programm ausstrahlen. Dabei hatten Der Prozess der Gleichschaltung schlug sich im die NS-Rundfunkplaner konkrete Vorstellungen. Programm des Senders nieder. Der Erfolg der nati- Ihnen ging es nicht um die Darstellung von ver- onalsozialistischen Bewegung speiste sich aus schiedenen Positionen, sondern jede Sendung sollte einem weitverbreiteten Protestpotenzial gegen das eindeutig nationalsozialistisches Gedankengut Weimarer System.55 Die Abgrenzung vom Vorhan- vermitteln. Dazu eingespannt wurden sämtliche denen war ein Baustein des neuen Rundfunks: Rundfunkgattungen, angefangen bei Kurzberichten über das Hörspiel und das Musikprogramm bis zum „Nachdem wir den Parlamentarismus in der Po- 59 litik überwunden haben, denken wir nicht daran, Bildungs- und Jugendfunk. Darüber hinaus dik- uns künstlerisch und geistig auf seinem Boden tierten Propagandaministerium und Reichssendelei- zu verankern. Wir haben keine Lust, als Aasgei- tung häufig in die Programme hinein. Fast täglich er auf Leichnamen zu leben.“56 unterbrachen politischen Reichs- und Auflagensen- dungen den geplanten Ablauf wie eine HJ-Maifeier Stattdessen sollte das norddeutsche Radiopro- auf dem Brocken oder die Weihnachtsansprache gramm auf den dortigen Menschenschlag, den von Rudolf Heß.60 „Hansadeutschen“, zugeschnitten sein: „Der Nordfunk gestaltet ein Programm für Der unpolitische Sender Norag war als Nordfunk Menschen, deren Natur zwischen Berg und bzw. Reichssender Hamburg zum Propagandaorgan Meer liegt, die in allen ihren letzten Empfin- der Partei geworden. Doch die Flut an Politagitati- dungen, auch in ihren Fehlern gründlich und on stieß in der Hörerschaft auf wenig Gegenliebe. 61 klar überschaubar sind wie die Heide und das Als sich die Kritik aus Hörerbriefen und Presse Meer.“57 nicht mehr ignorieren ließ, sah sich das Propagan- daministerium zur Kurskorrektur gezwungen. Solche Blut-und-Boden-Lyrik war nicht unähnlich Goebbels verlangte, die politische Dauerberiese- dem niederdeutschen Programm der Norag. Der lung einzudämmen und das ablenkende Moment zu Reichssender Hamburg folgte bei der Verbreitung stärken: von „Kulturgut“ dem in der Norag praktizierten Mix von klassischer Musik, Literatur und leichterer „Auf besonderen Wunsch des Herrn Reichs- kanzlers ist ab 2. Mai 1933 das Rundfunkpro-

gramm bei allen Sendern inhaltlich zu lockern 53 Joseph Goebbels in seiner Rede im Hamburger Funk- und der Unterhaltungsteil bevorzugt zu pfle- haus vor dem Personal am 16.06.1933, zitiert nach Rim- gen.“62 mele: Rundfunk in Norddeutschland 1933-1945, S. 104. Einschneidende Veränderung im Programm gab es 54 Der stellvertretende Direktor Stapelfeldt erfuhr von mit Kriegsbeginn 1939. Die Sender des Reiches seiner Kündigung im Februar 1933 aus der Zeitung, vgl. wurden öfter zusammengeschaltet, aus Sparmaß- Kurt Stapelfeldt in: Ein Rundfunkpionier erinnert sich, nahmen und zur zentralen Kriegsberichterstattung. N3-Sendung 02.05.1984. Wenig später folgte die Entlas- Die propagandistischen Anteile wurden massiv sung von Intendant Hans Bodenstedt. aufgestockt. Spätestens ab 1941 – der Ost-Feldzug 55 Vgl. Albrecht Tyrell: Voraussetzungen und Struktur- hatte gerade begonnen – bekam das Unterhaltungs- elemente des nationalsozialistischen Herr-schaftssystems. programm einen gezielt ablenkenden Charakter, um In: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf die Heimatfront bei Laune zu halten. Heikle The- Jacobsen (Hrsg.): National-sozialistische Diktatur 1933- men durften nicht mehr auftauchen: kein U-Boot- 1945. Eine Bilanz. Bonn 1986 (Studien zur Geschichte und Politik, Bd.192), S. 39 f. 56 Eugen Hadamovsky: Einführung. In: Reichs- 58 Statistisches Jahrbuch für die Freie und Hansestadt Rundfunk. Entwicklung, Aufbau und Bedeutung, hrsg. v. Hamburg. Hamburg 1934/35, S. 238. Nicht mehr gedul- d. RRG, 10. Jg., Bd. 57, 1934, S. 8. Die Polemik gegen det waren „Quietsch- und Quäkmusik“ oder „Nigger- den Weimarer Rundfunk reichte von „zeitfremd“ bis zu songs“, vgl. Deiters: Fenster zur Welt, S. 107; dazu auch „jüdisch-marxistischen Weltanschauungsprogrammen“, Bergmeier/Lotz: Hitler’s Airwaves, S. 136 ff. vgl. Rimmele: Rundfunk in Norddeutschland 1933-1945, 59 Vgl. Rimmele: Rundfunk in Norddeutschland 1933- S. 150. 1945, S. 156 ff. 57 Der Reichssender Hamburg. Die Grundlage eines 60 Vgl. ebd., S. 156. Norddeutschen Rundfunkprogramms. In: Reichs- 61 Vgl. Burandt: Propaganda und Gleichschaltung, S. 57. Rundfunk. Entwicklung, Aufbau und Bedeutung, hrsg. v. 62 Rundschreiben an die Landesstellen des RMVP, zitiert d. RRG, 10. Jg., Bd. 57, 1934, S. 67. nach Burandt: Propaganda und Gleichschaltung, S. 57.

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Lied wegen der Verluste der U-Boote, keine Jäger- machte den Reichssender Hamburg zur NS- Lieder, denn die Bevölkerung hatte kein Verständ- Propaganda-Abspielstation. nis mehr für den Jagdsport in Kriegszeiten.63 Der Reichssender Hamburg stellte am 03.05.1945 2. Planungen für die Nachkriegszeit seinen Betrieb ein. Wenige Tage vorher hatte er Der Wiederaufbau des Rundfunkwesens gehörte zu noch den Tod des Führers verbreitet.64 Von der der Frage, wie mit dem öffentlichen Leben in Außenstelle Flensburg wurden unter Hitlers Nach- Deutschland nach der militärischen Niederlage zu folger Dönitz die letzten Wehrmachtsberichte bis verfahren war. Es gab auf britischer Seite bereits zum 09.05.1945 gesendet. Der Rundfunk hatte das Jahre vor Kriegsende Initiativen zur deutschen nationalsozialistische Regime vom Tag der Macht- Nachkriegspublizistik. Stets waren diese Überle- ergreifung bis zur Kapitulationsmeldung aus der gungen der grundsätzlicheren Frage zum Umgang Trümmerwüste des Deutschen Reiches begleitete. mit dem deutschen Volk nachgeordnet. Zunächst Seine Funktion für die Breitenpropaganda sowie sind daher die Kriegsziele der Alliierten zu betrach- die technische Entwicklung machten aus ihm ein ten und ihre Folgen für die britische Besatzungspo- populäres Massenmedium. 65 Die Frage, ob politi- litik in Bezug auf Demokratisierung und Re- sche Erziehung Thema des Rundfunks sein könnte, education. Diese deutschlandpolitischen Planungen beantworteten die NS-Rundfunkstrategen eindeu- waren der Rahmen für die medienpolitischen Wei- tig: chenstellungen der britischen Besatzungszone. „Wenn man immer mit kläglichen ästhetischen Bedenken Kulturarbeit des Rundfunks und poli- tische Arbeit als wesensverschieden hinzustel- 2.1. Deutschlandpolitik len bemüht ist, so muß ich dagegen erklären: Seit sich 1941 Großbritannien, USA und die Ein solcher Versuch entspringt [...] wirklich- UdSSR zur alliierten Koalition vereinigt hatten, 66 keitsfremden Köpfen.“ mussten alle Pläne für die Zeit nach der Niederrin- Der Verbreitung der NS-Ideologie war alles andere gung Deutschlands auf die Interessen dieser Drei- untergeordnet. „Politische Erziehung“ als Propa- Mächte-Konstellation abgestimmt werden. Die ganda diente dazu, das Volk am Denkmuster der Frage zum Umgang mit den Deutschen entwickelte Ideologie auszurichten und Widerspruchspotenziale dadurch eine komplizierte Eigendynamik, auf die auszuräumen. Die Führungsebene des Reichssen- hier insoweit einzugehen ist, als dadurch der Hand- ders war dem Propagandaministerium unterworfen. lungsspielraum der Briten im Bereich der Rund- Somit war ein streng hierarchisches System von funkpolitik definiert wurde. Zensur und Kontrolle in der Struktur des NS- Staatsfunks vorgegeben. Die Führung machte sich 2.1.1. Kriegsziele der Alliierten den Rundfunk zu eigen, in Friedenszeiten als Sprachrohr der Partei, in Kriegszeiten für Frontbe- Die Konstellation der drei Mächte, die über das richte und Unterhaltung der Heimatfront. Die mas- geschlagene Deutschland zu befinden hatten, sive Politisierung, die als Gegensatz zur apoliti- durchlief bis zur Erstarrung im Kalten Krieg drei schen Idyllik der Norag krasser nicht sein konnte, Phasen. Der Anfang stand im Zeichen der anglo- amerikanisch-sowjetischen Kooperation, im späte- ren Kriegsverlauf geriet die Koalition in die Krise, und am Ende trat an die Stelle der Koalition der 67 63 Vgl. Walter Klingler: Nationalsozialistische Rund- Ost-West-Konflikt. funkpolitik 1942-1945. Organisation, Programm und die Im November 1942 begann sich die deutsche Nie- Hörer (Dissertation). Mannheim 1981, S. 140. derlage abzuzeichnen. Von da an überlegten die 64 Meldung über Adolf Hitlers Tod und Ansprache von Alliierten, wie mit einem besiegten Deutschland Groß-Admiral Karl Dönitz: 30.04.1945, NDR- umzugehen sei. Am 24.01.1943 erklärte US- Wortarchiv WR18825. Präsident Franklin D. Roosevelt auf der Konferenz 65 Die Einführung des Volksempfängers führte zu einem von Casablanca die bedingungslose Kapitulation erheblichen Anstieg der Hörerzahlen, sodass im August Deutschlands zum obersten Kriegsziel. Er und der 1934 für den Bereich Hamburg eine Hörerdichte von britische Premier Winston Churchill „were deter- 45,9% festzustellen war, vgl. Burandt: Propaganda und mined to accept nothing less than the unconditional Gleichschaltung, S. 71; zum Volksempfänger vgl. Sieg- fried Hermann/Wolf Kahle/Joachim Kniestedt: Der deutsche Rundfunk. Faszination einer technischen Ent- wicklung. Heidelberg 1994, S. 67; zur Ausbreitung des Rundfunks im Deutschen Reich in den 30er und 40er 67 Vgl. Hermann Graml: Die Alliierten und die Teilung Jahren vgl. Schildt: Moderne Zeiten, S. 210 f. Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948. 66 Hadamovsky: Einführung. In: Reichs-Rundfunk, S. 8. Frankfurt am Main 1985, S. 9.

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surrender of Germany, Japan and Italy.“68 Das lantik-Charta vom 14.08.1941 abzulesen.73 Doch Hauptmotiv hinter der Forderung war das Bedürfnis die Vorstellungen in der Anti-Hitler-Koalition über nach Sicherheit: ein neues demokratisches Deutschland klafften „It is our inflexible purpose to destroy German auseinander. 1943 hatten sich die „Großen Drei“ militarism and Nazism and to ensure that Ger- auf einige Grundzüge der Deutschlandpolitik geei- many will never again be able to disturb the nigt, darunter Entmilitarisierung, Entnazifizierung peace of the world.“69 und Demokratisierung.74 Die European Advisory Commission (EAC) sollte diese Ansätze ausarbei- Daraus folgte der Wille zur vollständigen Kontrolle 75 des besiegten Landes. Dazu kam das Verlangen ten und in ein Regelwerk umsetzen. In der EAC nach Bestrafung sowie die Forderung nach Wieder- legten die Vertreter der Großmächte zwar die gutmachung.70 Die unbeschränkte Verfügungsge- Grobstruktur der Verwaltung Deutschlands fest, walt im Rahmen des „unconditional surrender“ war allerdings gab es keine konkreten Hinweise zum politisch-wirtschaftlichen Wiederaufbau. Diese dafür die Grundlage. Dieser Formel schloss sich der 76 sowjetische Führer Stalin an, womit der kleinste „policy of ambivalence“ gab den Raum gab für gemeinsame Nenner der alliierten Koalition formu- den „Morgenthau-Plan“ vom August 1944, in dem liert war. So groß die Entschlossenheit war, US-Finanzminister Henry Morgenthau die Entin- dustrialisierung Deutschlands postulierte: „Germa- Deutschland militärisch in die Knie zu zwingen, so 77 gering war andererseits die Neigung, sich über das ny’s road to peace leads to the farm.“ Dass dieser künftige Geschick des Feindes zu verständigen, Plan von Roosevelt und Churchill akzeptiert und was zu einer Vermeidungs- und Verschiebungsstra- dann wieder fallengelassen wurde, weist sowohl tegie („policy of postponement“) führte.71 Beson- auf Interessenskonflikte in der US-Administration wie auf die Uneinigkeit der alliierten Deutschland- ders Roosevelt und Churchill wollten sich nicht 78 dazu hinreißen lassen, „Pläne für ein Land zu politik allgemein hin. schmieden, das wir noch nicht besetzt haben.“72 Bis zur Konferenz von Jalta im Februar 1945 war Dabei lagen Ansätze zu einer konstruktiven der Krieg militärisch entschieden, und die Gegen- Deutschlandpolitik vor. Der Wunsch nach einer sätze der Alliierten trafen nun offen aufeinander. Demokratisierung der Welt war schon aus der Während die Sowjets eine expansive Osteuropapo- Atlantik-Charta vom 14.08.1941 abzulesen.73 Doch

73 Wörtlich proklamierten Roosevelt und Churchill darin „das Recht aller Völker, die Regierungsform zu wählen, 68 Zitiert nach Robert E. Sherwood: Roosevelt and Hop- unter der sie leben wollen“. In: Ernst Deuerlein: Die kins. New York 1950, S. 693 f. Einheit Deutschlands. Ihre Erörterung und Behandlung 69 Erklärung der Alliierten nach der Jalta-Konferenz in: auf den Kriegs- und Nachkriegskonferenzen 1941-1949. James K. Pollock/James H. Meisel: Germany under Darstellung und Dokumentation. Frankfurt am Main Occupation. Illustrative Materials and Documents. Ann 1957, S. 213; vgl. Karl-Ernst Bungenstab: Umerziehung Arbor 1947, S. 2. zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen 70 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 28; der US-Zone 1945-1949. Düsseldorf 1970, S. 32 f.; Graml: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands, Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 19 ff. S. 11 f.; zum Thema Wiedergutmachung in der sowjeti- 74 Vgl. Lothar Kettenacker: Preußen in der alliierten schen Besatzungszone vgl. Jan Philipp Spannuth: Rück- Kriegszielplanung, 1939-1947. In: Lothar Ketten- erstattung Ost: der Umgang der DDR mit dem ‚arisier- acker/Manfred Schlenke/Hellmut Seier (Hrsg.): Studien ten‛ und enteigneten jüdischen Eigentum und die zur Geschichte Englands und der deutsch-britischen Gestaltung der Rückerstattung im wiedervereinigten Beziehungen. Festschrift für Paul Kluke. München 1981, Deutschland (Dissertation). Freiburg 2001, S. 58 ff. S. 324 f. 71 Vgl. Barbara Marshall: The Origins of Post-War Ger- 75 Die wörtliche Verlautbarung der Moskauer Konferenz man Politics. London, New York und Sidney 1988, in: Deuerlein: Die Einheit Deutschlands, S. 215 ff.; vgl. S. 1 ff.; Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgrün- Wolfgang Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur Bun- dung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn, 5. überarb. desrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946-1949. u. erw. Aufl. 1991 (Studien zur Geschichte und Politik, Frankfurt am Main 1984, S. 20 f. Bd. 298), S. 19 ff. Zur Konferenz von Casablanca und 76 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 19. ihrer Bedeutung für die Nachkriegsplanung Anne Arm- 77 Henry Morgenthau Jr.: Germany is our Problem. New strong: Unconditional Surrender. The Impact of the York und London 1945, S. 147; der Morgenthau-Plan Casablance Policy upon World War II. New Brunswick übersetzt und im Wortlaut bei Deuerlein: Die Einheit 1961. Deutschlands, S. 223 ff. 72 F.D. Roosevelt zitiert nach Michael Balfour: Vier- 78 Zum Morgenthau-Plan vgl. Kettenacker: Krieg zur Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945-1946. Düsseldorf Friedenssicherung, S. 17; Benz: Von der Besatzungsherr- 1959, S. 51. schaft zur Bundesrepublik, S. 22.

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litik verfolgten, drängten die Briten auf die Rück- die Möglichkeit geben, sich darauf vorzuberei- kehr zur „balance of power“. Die Amerikaner ten, sein Leben auf einer demokratischen und streiften ihren Fatalismus ab und schlossen sich der friedlichen Grundlage von neuem wiederaufzu- 86 britischen Position an, wobei sie ihre eigene Rolle bauen.“ akzentuierten.79 So kam es bezüglich Nachkriegs- Der Alliierte Kontrollrat war nominell die höchste deutschland im Jalta-Abkommen vom 12.02.1945 Instanz und verkörperte die Idee der gemeinsamen zu einem Arrangement aus Kooperation und Kon- Abstimmung über Deutschlands Zukunft. Die defi- frontation. 80 Das Kommuniqué sah u.a. vor, nitive Entscheidungskompetenz lag aber beim O- „alle nationalsozialistischen und militärischen berbefehlshaber der jeweiligen Zone. Dies war die Einflüsse aus den öffentlichen Dienststellen staatsrechtliche Grundlage des Besatzungsre- sowie dem kulturellen und wirtschaftlichen Le- gimes.87 Entsprechend unterschiedlich fiel die Um- ben des deutschen Volkes auszuschalten.“81 setzung der politischen Bestimmungen der Potsda- Entnazifizierung und Entmilitarisierung wurden als mer Übereinkunft aus, wie z.B. die Rede- und 88 Bedingung für die Wiederaufnahme in die interna- Pressefreiheit. tionale Gemeinschaft definiert: „Nur dann, wenn der Nationalsozialismus und 2.1.2. Britische Deutschlandpolitik Militarismus ausgerottet sind, wird für die Zu unterschiedlich waren die Interessen, als dass Deutschen Hoffnung auf ein würdiges Leben die Waffenbrüder der Anti-Hitler-Koalition eine und einen Platz in der Völkergemeinschaft be- konstruktive Friedensallianz hätten schmieden stehen.“82 können. Die britische Diplomatie hielt dennoch Das klang zwar versöhnlich, aber dennoch gab auch zunächst an einer Friedensordnung im Zeichen der Jalta keinen Hinweis auf ein positives politisches Kooperation fest.89 Damit stand die Deutschland- Konzept. planung der Briten der endgültigen Zonenauftei- So mussten die Siegermächten die offenen Proble- lung ziemlich unvorbereitet gegenüber. me auf der Konferenz von Potsdam (17.07. bis Dabei hatte bereits im Jahr 1941 im Auftrag des 83 02.08.1945) angehen. Inzwischen war das Miss- Foreign Office Wissenschaftler des Londoner Roy- trauen untereinander derart gewachsen, dass die al Institute of International Affairs (Chatham Hou- Partner für ihren jeweiligen Machtbereich um se) die Neuordnung des besiegten Deutschland in 84 größtmögliche Unabhängigkeit rangen. So kam Angriff genommen.90 Von da an sollte bis Kriegs- es, dass in Potsdam wieder die Sprache der Ambi- ende ein unüberschaubares Netz von Institutionen, valenz vorherrschte. Als Grundsätze der Deutsch- Komitees, und Planungsstäben eine ebenso wenig landpolitik wurde der bekannte Kanon formuliert: überschaubare Zahl von Memoranden und Studien Die Deutschen sollten nach Entmilitarisierung und zur Deutschlandpolitik produzieren.91 Dies ent- Entnazifizierung, nach wirtschaftlicher Umgestal- tung und Wiedergutmachung ein friedliches 86 Jalta – Potsdam und die Dokumente zur Zerstörung Deutschland aufbauen.85 Die Verantwortung der Europas. Tübingen 1985 (Beihefte zu Deutschland in Deutschen für ihr Schicksal war darin festgehalten Geschichte und Gegenwart, Bd. 13), S. 59. ebenso wie ihre Chance zum demokratischen Neu- 87 Vgl. Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur Bundes- beginn: republik, S. 25. „Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das 88 Vgl. Hacker: Die Nachkriegsordnung für Deutschland, deutsche Volk zu vernichten oder zu verskla- S. 23.; dazu das bemerkenswerte Zitat von Josef Stalin ven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk vom Frühjahr 1945: „Wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System 79 Vgl. Graml: Die Alliierten und die Teilung Deutsch- auf“, zitiert nach Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur lands, S. 32 ff. Bundesrepublik, S. 25. 80 Vgl. die „Amtliche Verlautbarung über die Konferenz 89 Vgl. Lothar Kettenacker: Die anglo-amerikanischen von Yalta vom 3.-11. Februar 1945“ in: Deuerlein: Die Planungen für die Kontrolle Deutschlands. In: Josef Einheit Deutschlands, S. 229 ff. Foschepoth (Hrsg.), Kalter Krieg und Deutsche Frage. 81 Ebd., S. 230. Deutschland im Widerstreit der Mächte 1945 – 1952. 82 Ebd. Göttingen und Zürich 1985 (Veröffentlichungen des 83 Vgl. Jens Hacker: Die Nachkriegsordnung für Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 16), Deutschland auf den Konferenzen von Jalta und Pots- S. 66 f. dam. In: Winfried Becker (Hrsg.): Die Kapitulation von 90 Vg. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 523. 1945 und der Neubeginn in Deutschland. Köln und Wien 91 Dazu auch Albrecht Tyrell: Grossbritannien und die 1987 (Passauer Historische Forschungen, Bd. 5), S. 13. Deutschlandplanung der Alliierten 1941-1945. Frankfurt 84 Vgl. ebd., S. 33 ff. am Main 1987 (Dokumente zur Deutschlandpolitik, 85 Vgl. ebd., S. 18. Beihefte Bd. 2).

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sprach dem traditionellen englischen Entschei- rismus sind die beiden Hauptelemente deutschen dungsverfahren mittels Committee-System.92 Im Lebens, die restlos ausgetilgt werden müssen.“97 Vergleich zum Kompetenzchaos innerhalb der NS- Im Windschatten Churchills befasste sich die briti- Exekutive, aber auch zum personalisierten US- sche Planungsbürokratie mit der Frage, was mit Präsidialsystem während des Krieges, hielten die Deutschland nach dem Krieg geschehen sollte. So Briten an einem repräsentativen und bürokratischen kam den Technokraten in London der Hauptanteil Verfahren fest. Zum anderen suchte die britische am britischen Rahmenplan für eine Friedensord- Führung die sich abzeichnende machtpolitische nung in Deutschland zu.98 Die wichtigste Institution Deklassierung Großbritanniens durch Festlegung war das Foreign Office, in dem die Fäden der Aus- der Nachkriegsverhältnisse aufzuhalten. schüsse, Stäbe und Komitees zusammenliefen. Die Impulse für die deutschlandpolitischen Planun- Unter diesen behauptete das Royal Institute of gen gingen nicht von Winston Churchill aus.93 Sein International Affairs „Chatham House“ eine Son- Einsatz war für die Kriegsführung Großbritanniens derstellung. Während im Foreign Office die Per- von hoher Bedeutung, doch er wollte keine Gedan- spektive kaum über das Kriegsende hinausreichte, ken an ein Nachkriegs-Deutschland verschwenden: bemühte sich im Chatham House ein Stab von 99 „In solchen weltgestaltenden Angelegenheiten Intellektuellen um die Langzeitplanung. Die bei- ist es uns nicht mehr gestattet, als Schritt um den Hauptmotive der britischen Außenpolitik, Si- Schritt zu führen und bestenfalls einen oder cherheit und Machterhalt, beschleunigten den zwei Schritte voraus.“94 Drang zu einer Friedensordnung.100 Von den militärischen Fragen absorbiert, überließ Die Haltung der Planer gegenüber den Deutschen Churchill das Feld der Nachkriegsplanung seinen war bemerkenswert pragmatisch. Zwar gab es im Beamten.95 Die einzige Konstante, der Churchill britischen Lager von Anfang an konkurrierende alle Planspiele unterordnete, war die bedingungslo- Pläne. Weit verbreitet war die Angst vor dem unbe- se Kapitulation Deutschlands.96 Sie war für ihn das rechenbaren deutschen Volkscharakter, der die Schlüsselmoment, um die deutsche Gefahr zu be- Ordnung Europas immer wieder gestört hatte. Die seitigen: „Nazi-Tyrannei und preußischer Milita- Gruppe um Robert Vansittart vertrat die Auffas- sung, dass die Deutschen unverbesserliche Kriegs- treiber waren, denen mit aller Härte begegnet wer- den musste.101 Auch Feldmarschall Montgomery und sein Chefberater William Strang vertraten ein unversöhnliches Deutschlandbild: 92 Ein Beispiel für diesen Instanzenweg: Ein Thema wie die Behandlung Nachkriegsdeutschlands wurde zunächst von Planungsstäben vorbereitet wie dem Post-Hostilities Planning Sub-Committee (PHP) oder dem Economic and 97 Winston Churchill in einer Unterhaus-Debatte am Industrial Planning Staff (EIPS), nicht ohne Forschungs- 21.09.1943, zitiert nach Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, ergebnisse z.B. des Foreign Office Research Departments S. 55. (FORD) zu berücksichtigen. Die Ergebnisse wurden den 98 Vgl. Lothar Kettenacker: Großbritannien und die Chiefs of Staff (COS) und dem Armistice and Civil zukünftige Kontrolle Deutschlands. In: Josef Fosche- Affairs Committee (ACAO) vorgelegt. Von dort ging es poth/Rolf Steininger (Hrsg.): Die britische Deutschland- zur Beschlussfassung durch die Minister im Armistice und Besatzungspolitik 1945-1949. Paderborn 1985, and Post-War Committee (APW). Erst dann wurde das S. 27 ff. Problem den Alliierten vorgelegt, und zwar in der Regel 99 Dazu sehr detailliert das Kapitel „Der institutionelle in der European Advisory Commission (EAC). Vgl. Rahmen der Entscheidungsprozesse“ in: Kettenacker: Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 160. Krieg zur Friedenssicherung, S. 147-161. 93 Dazu der Exkurs „Die Rolle Churchills“ in: Ketten- 100 Vgl. Kettenacker: Die anglo-amerikanischen Planun- acker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 537-542. gen, S. 72. 94 Winston Churchill: Der Zweite Weltkrieg, Band 6: 101 Vgl. dazu dessen programmatische Schriften: Robert Triumph und Tragödie. Stuttgart 1954, S. 306. Vansittart: The Nature of the Beast, PRO, FO 371, 95 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 53. Churchills 24389; Ders.: Black Record. Germans Past and Present. Leibarzt schrieb: „Militärische Details haben ihn stets London 1941. Zur Debatte über die Deutschen auch Jörg fasziniert, wohingegen ihn die Probleme, mit denen sich Später: Britische Debatten über Deutsche und Nazis die Friedenskonferenz zu beschäftigen haben würde, 1902-1945. Göttingen 2003; Ian Turner: The British einfach langweilten. ‚Dafür wird noch genug Zeit sein, Occupation and its Impact on Germany. In: Ian Turner wenn wir den Krieg gewonnen haben‛, pflegte er zu (Hrsg.), Reconstruction in Post-War Germany. British sagen.“, Lord Moran: Churchill. Der Kampf ums Überle- Occupation Policy and the Western Zones 1945-55. ben 1940-1965. Gütersloh 1967, S. 206. Oxford, New York und 1989, S. 4 f.; Balfour: 96 Vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 180. Vier-Mächte-Kontrolle, S. 47.

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„The German people as a whole fully deserve Dass der Frieden im Zeichen der Mäßigung – nicht all that they are now suffering and have it in der Nachgiebigkeit – stehen sollte, hatte weniger them to be a menace to us again in the future ei- philanthropische als pragmatische Beweggründe. 102 ther alone or in combination with others.“ Wenn die Deutschen durch Reparationen ausgeblu- Einigkeit herrschte, dass nach dem diskreditierten tet würden, drohte wie nach Versailles ein Rück- Appeasement-Kurs der 30er Jahre den Deutschen stoß-Effekt. Die Briten sahen ihre Aufgabe darin, nur mit Gewalt beizukommen war. Doch wie wenig zunächst den Deutschen die Folgen ihrer Niederla- rachsüchtig die Stimmung insgesamt war, zeigte ge vor Augen zu führen. Dann aber musste es dar- die Zurückweisung des Morgenthau-Plans durch um gehen, sie an ihre Rolle als demokratisches das Kabinett. Churchill erklärte in einer Rede vor Mitglied Europas heranzuführen. Festigkeit mit dem Unterhaus zu den Ergebnissen der Jalta- Milde – in diesem Geist begannen die Beamten in Konferenz: London die Besatzung Deutschlands zu planen.107 „Unsere Politik besteht nicht darin, Rache zu Im Januar 1945 kursierte im britischen Kabinett ein nehmen, sondern die notwendigen Maßnahmen Papier, das Deutschland in Europa eine Rolle jen- zu treffen, um in Zukunft den Frieden und die seits vom Machtstaat zudachte: Sicherheit der Welt zu schützen. Eines Tages „Germany must be encouraged to aim at being a wird auch für die Deutschen wieder ein Platz in 103 super-Sweden, better planned and healthier than der Gemeinschaft der Völker sein.“ any State ever was before, with better social, Ähnlich äußerten sich andere Persönlichkeiten des medical and educational services and a higher öffentlichen Lebens. Eine bloße Strafpolitik galt standard of living than any State ever had.“108 nicht nur als moralisch unvertretbar, sie würde auch Diese Äußerung illustriert zum einen die Absicht den jüngeren Deutschen die Selbstachtung und der Briten, aus dem Kriegsgegner langfristig ein Motivation nehmen, sich in ein neues Europa zu vollwertiges Mitglied, wenn nicht Musterland der 104 integrieren. Das Royal Institute of International europäischen Ordnung zu machen. Andererseits Affairs forderte 1943, dass der Reinigungsprozess lässt sich an der Vision eines Deutschland nach Hand in Hand mit einem Mindestmaß an Koopera- schwedischem Modell ablesen, wie dominant das tion gehen sollte: Motiv der Sicherheit vor deutscher Aggression für „Das bedeutet, dass auf der höchsten politischen alle britischen Planungen war. „Schweden“ war in Ebene Deutschland keine Gleichheit zugestan- dem Zusammenhang die Metapher für ein pazifisti- den wird [...]. Eine Kooperation unterhalb die- sches Staatswesen, das den Bürger jedes Expansi- ser Ebene [...] sollte aufrichtig und ohne Ein- onsdranges beraubt. Pazifizierung und Machtbe- schränkungen, Verzögerungen oder Nadelstiche schneidung Deutschlands standen im Zentrum des 105 sein.“ britischen Interesses. Der Gedanke der Atlantik- Die Vorliebe für den Kompromiss war kennzeich- Charta, jedes Volk solle die ihm gemäße Regie- nend für die Haltung der britischen Planungsbüro- rungsform wählen,109 galt unverändert. Missionari- kratie wie auch für die gesamte öffentliche Mei- scher Ehrgeiz, den Deutschen den „British Way of nung: „No nazis and no arms, but for the rest co- Life“ beizubringen, war in Großbritannien (im operation.“106 Gegensatz zu den USA) nicht verbreitet.110 Während die Beamten und Wissenschaftler in den britischen Planungsstäben noch der Vision des 102 William Strang in einem Telegramm vom Oktober 1946, zitiert nach Jochen Thies: What is going on in Germany? Britische Militärverwaltung in Deutschland 107 Zur britischen Haltung gegenüber den Deutschen 1945/46. In: Claus Scharf/Hans-Jürgen Schröder: Die allgemein vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, Deutschlandpolitik Grossbritanniens und die Britische S. 154 f., S. 524 f.; Ullrich Schneider: Nach dem Sieg: Zone 1945-1949. Wiesbaden 1979 (Veröffentlichungen Besatzungspolitik und Militärregierung 1945. In: Fo- des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft schepoth/Steininger (Hrsg.), Britische Deutschland- und 6), S. 35. Besatzungspolitik, S. 49; Tyrell: Grossbritannien und die 103 Winston S. Churchill: Reden. 1945 – Endsieg. Zürich Deutschlandplanung, S. 156. 1950, S. 92. 108 Kabinettspapier vom 10.01.1945, zitiert nach Ketten- 104 In diesem Sinne z.B. Edward H. Carr: Conditions of acker: Germany since 1945, S. 5. Peace. London, Repr. 1943. S. 24. 109 Vgl. Deuerlein: Die Einheit Deutschlands, S. 213. 105 Royal Institute of International Affairs 1943, zitiert 110 Eine hier umso wichtigere Ausnahme war freilich das nach Balfour, Vier-Mächte-Kontrolle, S. 47 f. öffentliche Rundfunksystem, das der BBC nachgestaltet 106 So der anonyme Bericht „The Problem of Germany“ werden sollte. Dazu näheres in Kapitel IV.2.; vgl. Turner: einer Chatham House Study Group vom Juni 1943, zitiert The British Occupation, S. 10 f.; Kettenacker: Krieg zur nach Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 154. Friedenssicherung, S. 536.

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„Vier-Mächte-Plans“111 anhingen, hatten sie schon gegen die deutsche Bevölkerung stand den Erfor- konkrete Vorstellungen zur politischen Gestaltung dernissen der indirekten Herrschaftsausübung im des besetzten Deutschland. Nach der Beseitigung Wege. Zwar erging im Sommer 1945 an die deut- des NS-Regimes sollte eine Dezentralisierung der schen Behörden der Auftrag zur personellen Machtstrukturen mit einer föderalistischen Neu- „Selbstreinigung“. Doch es zeigte sich, wie kontra- gliederung des Landes einhergehen.112 Inwieweit produktiv die Entnazifizierung auf der Ebene deut- die Deutschen an solchen politischen Entschei- scher Selbstverwaltung war: „We will immediately dungsprozessen beteiligt sein sollten, rührte an eine run the risk of eliminating those elements that could Maxime der britischen Besatzungspolitik: die „indi- be of greatest help for us.“ 116 rect rule“. Die Methode der indirekten Herrschafts- Es war unumgänglich, die Deutschen in den Auf- ausübung hatte sich in den Kolonien des Empire bauprozess zu integrieren. Dies geschah mit einem bewährt und genoss in Großbritannien den Status technokratischen Ansatz: Den administrativen 113 eines Dogmas. Auch Deutschland sei unter In- Wiederaufbau besorgte eine handverlesene deut- dienstnahme örtlicher Beamter zu verwalten: „The sche Elite, die bereits Verwaltungserfahrung aus Allies cannot hope to govern Germany unless they der Weimarer oder der NS-Zeit mitbrachte. Ein make the fullest possible use of the existing Ger- personelles Revirement fand außer in den Spitzen- 114 man administrative machine.“ Eine Bevormun- positionen nicht statt, mit den Verwaltungen über- dung des Verlierers widersprach nicht nur kolonia- lebten entsprechende Strukturen und Traditionen.117 len Erfahrungen, sondern konnte zudem den Dennoch blieb die britische Besatzungspolitik dem Nationalismus der Deutschen aufs neue anheizen. Kontrollprinzip verhaftet. Die indirekte Herrschaft Die Frage einer deutschen Übergangsregierung war gab den britischen Besatzungsoffizieren zwar eher vom Tisch, doch es war klar, dass die Ebene der Aufsichts- statt Exekutivfunktion. Dennoch wurden mittleren Regionalverwaltung in Funktion bleiben sie bald im eigenen Land wegen ihrer allzu kleinli- sollte. Das hieß, den Deutschen Befehle zu geben, chen Aufpasserei kritisiert.118 sich in deren Ausführung aber nicht einzumischen. Der Versuch der Planungsbürokratie, die Zukunft Mit der Lockerung der Fraternisierungs- Deutschlands als Ergebnis rationaler Planung vor- Bestimmungen entkrampfte sich zudem das Ver- zuformen, war zum Scheitern verurteilt. Die politi- hältnis zwischen deutschen Beamten und engli- sche Realität erwies sich als unkontrollierbar und schen Offizieren, die im Sinne der „indirect rule“ planungsresistent. Nach der Potsdamer Konferenz aufeinander angewiesen waren. Dieser Vorgang verabschiedete sich die britische Führungselite von offenbarte allerdings eine Planungsschwäche auf der Idee der Vier-Mächte-Harmonie und verlegte britischer Seite: Auf wen sollten die Besatzer zu- sich auf eine eigenständige Besatzungspolitik. rückgreifen, um die deutschen Verwaltungen auf- rechtzuerhalten? Im Unterschied zu den Sowjets, 2.2. Rundfunkpolitik die mit der Exil-KPD um Walter Ulbricht in Mos- kau die künftige deutsche Volksfrontregierung in petto hielten, machten sich die Briten weder auf die 2.2.1. Institutionen und Kompetenzen Suche nach adäquaten Exilpolitikern noch nach Der Aktivismus der britischen Ministerialbürokratie Kandidaten im Land selbst.115 Das tiefe Misstrauen in bezug auf Nachkriegsdeutschland schlug auf die rundfunkpolitischen Planungen durch. So wurden 111 bis Kriegsende eine Reihe von damit befassten Der „Four Power Plan“ des Foreign Office wurde im Institutionen ins Leben gerufen (vgl. Schaubilder 1 Herbst 1942 vom außenpolitischen Berater Gladwyn und 2 auf Seite 25f.). Jebb konzipiert und sollte die Grundlage der Zusammen- arbeit der Siegermächte in der Deutschlandfrage abge- ben, vgl. Kettenacker: Großbritannien und die zukünftige 116 Memorandum der Deutschland-Abteilung des Foreign Kontrolle Deutschlands, S. 30 ff. Office vom 21.05.1945, zitiert nach Schneider: Nach 112 Vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, dem Sieg, S. 62. S. 524. 117 Bei der „purge of administration“ in der britischen 113 Vgl. ebd., S. 526; D. Cameron Watt: Großbritannien, Zone war der Anteil der Entlassungen gegenüber den die Vereinigten Staaten und Deutschland. In: Fosche- Weiterbeschäftigungen in den Verwaltungen gering, vgl. poth/Steininger (Hrsg.): Britische Deutschland- und Schneider: Nach dem Sieg, S. 60 ff. In allen Teilen Besatzungspolitik, S. 20 f. Deutschlands war schon 1947 wieder eine deutsche 114 So die Einschätzung des Post-Hostilities Planning Verwaltungsbehörde an seiner Spitze, vgl. Watt: Staff vom 31.03.1944, zitiert nach Kettenacker: Krieg zur Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Friedenssicherung, S. 316 f. Deutschland, S. 22. 115 Vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, 118 Vgl. Thies: What is going on in Germany?, S. 41; S. 303. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 186.

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PWE Dieses Gremium setzte sich zusammen aus Vertre- tern der PWE und der BBC sowie bei Bedarf des Die Battle of Britain war von entscheidender Be- MoI. Dass von Seiten der BBC u.a. Hugh Carleton deutung für die britische Kriegspsychologie. Die Greene (der spätere Generaldirektor des NWDR) bis dahin defensiv ausgerichtete psychologische Mitglied dieses Komitees war und die Planungen Kriegsführung ging nun in die Offensive. Dies bezüglich Zensur, Neuaufbau und Kontrolle beein- äußerte sich in einer organisatorischen Straffung. flusste, war für die Entwicklung des NWDR von Seit Herbst 1941 wechselte die Leitung der psycho- großer Bedeutung. Die Aufgabe des Sub- logischen Kriegsführung in die Kompetenz der Committee war es, mit Empfehlungen zur Kontrol- Political Warfare Executive (PWE), die der Ver- le von Presse und Rundfunk den Übergang vorzu- antwortung des Außenministers, des Informations- bereiten. Dabei sollte sich das German Sub- ministers sowie des Ministers für Wirtschaftliche Committee an den Richtlinien des „Manual of Civil Kriegsführung unterstand.119 In diesem Komitee Affairs“ (Sektion 16: „News, Information and Cen- tauchten Anfang 1943 die ersten Pläne über Rund- sorship“) orientieren und die Umsetzbarkeit prüfen. funk und Presse nach dem Krieg auf.120 Für die Besatzungsoffiziere entwickelte das Ger- man Sub-Committee Vorbereitungskurse.123 Joint Committee Trotz dieser Aktivitäten blieben die Ergebnisse für eine künftige Informationspolitik dürftig: Aufgrund von Forderungen nach Mitsprache aus dem Informationsministerium (Ministry of Infor- „It is important that plans in the whole field of mation, MoI) und der British Broadcasting Compa- propaganda control should proceed both rapidly ny (BBC) wurde wenig später das PWE/MoI/BBC and concretely, and I feel we might help P.W.E. to speed things up a little bit. The Committee I Joint Reoccupation Commitee als Kontrollinstanz have been describing talks a great deal – up to für die Informationsdienste der künftigen Besat- six hours every week – but things don’t seem to zungszonen installiert. Hier sollten alle Kompeten- have moved very far at the end of it all.“124 zen zusammenlaufen und die politischen Richtli- nien für die Medien entstehen, mit einem eigenen Die Ursache lag darin, dass kein politischer Rah- Unterkomittee für den Rundfunk.121 Aus dem Joint menplan für die Behandlung Deutschlands nach der Committee kam im Herbst 1943 ein 3-Stufen-Plan Kapitulation vorlag. Solange sich die Alliierten auf zum Neuaufbau der deutschen Medien122 – als den höchsten politischen Ebenen nicht einigten, Teilkapitel des „Manual of Civil Affairs“, in dem herrschte Orientierungslosigkeit – “the absence of 125 das War Office die Richtlinien der zivilen Verwal- guidance on fundamental policy questions“. tung festlegte. Damit erschöpfte sich die Gremienarbeit im Nie- mandsland theoretischer Planspiele. German Sub-Committee PWD Den Bereich „Information Services“ (Neuaufbau der Medien) übernahm im September 1943 das Seit 1944 erfolgte eine Zusammenarbeit zwischen German Sub-Committe als Unterabteilung des Amerikanern und Briten im gemeinsamen Pla- PWE/MoI/BBC Joint Reoccupation Commitee. nungsstab SHAEF (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force). Zuständig für die Informati- onspolitik im besetzten Deutschland war nun die 119 Vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, gemeinsame Psychological Warfare Division S. 193. (PWD). So wechselten mehrere Mitarbeiter der 126 120 Vgl. Arnulf Kutsch: Unter britischer Kontrolle. Der PWE über zur PWD/SHAEF, und regelmäßige Zonensender 1945-1948. In: Köhler, Wolfram (Hrsg.): Treffen zwischen beiden Organisationen sowie dem Der NDR zwischen Programm und Politik. Beiträge zu OWI (Office of War Information, das US- seiner Geschichte. Hannover 1991, S. 85. Ein Abriss über Gegenstück zur britischen PWE) sollten Transpa- die institutionellen Grundlagen der britischen Kultur- und renz gewährleisten. In der Folge erarbeitete die Medienpolitik findet sich bei Gabriele Clemens: Remig- PWD/SHAEF gemeinsame Positionspapiere wie ranten in der Kultur- und Medienpolitik der Britischen Zone. In: Claus-Dieter Krohn/Axel Schildt (Hrsg.): Zwi- schen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der 123 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit. S. 61 f. Hamburg 2002 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und 124 Con O’Neill: Schreiben vom 12.11.1943, PRO, FO Zeitgeschichte, Bd. 39), S. 50 f. 371, 34461. 121 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, 125 PRO, FO 371, 34462, 06.12.1943, zitiert nach Cle- S. 59 f. mens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 63. 122 Vgl. Rölle: Der britische Einfluß, S. 53. 126 Ebd., S. 64.

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das „Eclipse“-Memorandum vom Dezember 1944 G (Information Control) über die künftige Kontrolle der deutschen Publizis- Branch der 21. Armeegruppe tik127 und im April 1945 das „Manual for the Control of German Information Services“128 (als Das Gebiet der Britischen Zone war von der 21. Handlungsgrundlage die Informationsdienste in der Armeegruppe unter Feldmarschall Montgomery Britischen und Amerikanischen Zone). Dieses besetzt worden. Damit war dies die neue deutsche bildete den Abschluss der anglo-amerikanischen Regierung, ehe anschließend die Control Commis- Planungen, in denen zum einen der Drei-Phasen- sion for Germany/British Element als Teil des ge- Plan zum Wiederaufbau der deutschen Medien meinsamen Alliierten Kontrollapparats diese Funk- formuliert wurde. Zum anderen folgte daraus, dass tion übernahm. Auch die Informationskontrolle war nach Ablauf der dritten Phase des Übergangs zu in den ersten Besatzungsmonaten in der Verantwor- deutschen Medien die Kontrollzuständigkeit in die tung von Montgomerys 21. Armeegruppe, und zwar Hände der jeweiligen Zonenmacht zurückfiel. in Gestalt der G (Information Control) Branch. In Abstimmung mit dem Londoner Political Intelli- PID gence Department (PID) formulierte die G (Infor- mation Control) Branch der 21. Armeegruppe die Mit Kriegsende und Auflösung des SHAEF Anordnungen für Rundfunk, Presse und andere (19.07.1945) ging die Zuständigkeit für die Infor- Medien. mationsdienste auf britischer Seite auf das Political Intelligence Department (PID) über, die frühere ICU/BCU PWE. Das PID legte von London aus die Grundzü- ge der Informationspolitik fest, die an die ausfüh- Die Umsetzung dieser Anordnungen besorgten die renden Organe in der Besatzungszone weitergelei- Information Control Units (ICUs). Entsprechend tet wurden. Darunter fielen die Kriterien für die dem Gliederungsschema der Britischen Zone gab es Belieferung des deutschen Rundfunks mit Informa- in jedem Corps District der Zone eine ICU, die in tionen.129 Einzelabteilungen für bestimmte Medien aufgespal- ten war. Für den Rundfunk waren die Broadcasting COGA – ISD/PRD Control Units (BCUs) in Hamburg und Köln zu- ständig. Die Aufgaben des PID gingen im April 1946 über auf das Control Office for Germany and Austria PR/ISC (COGA). In das General Department – eine der vier Abteilungen des Control Office – fiel die vom PID Am 03.09.1945 übernahm die Kontrollkommission übernommene Verantwortung für die Informations- die Regierungsverantwortung von Montgomerys dienste. Das dafür neugebildete Gremium hieß 21. Armeegruppe.131 Schon im Juli 1945 trat die Information Services Directorate (ISD) oder Public Public Relations/Information Services Control Relations Directorate (PRD). Die Aufgabe des ISD Branch der Control Commission for Germa- bestand darin, die öffentliche Meinung in Deutsch- ny/British Element (CCG/BE) an die Stelle der G land im Sinne der Besatzungsmacht zu beeinflussen (Information Control) Branch der 21. Armeegrup- und die britische Presse mit Informationen über pe. Die ICUs wurden der Kompetenz der Kom- Deutschland zu versorgen. Der Wandel in der briti- mandeure der Corps Districts entzogen und der schen Besatzungspolitik brachte in den folgenden PR/ISC unterstellt. Zur gleichen Zeit löste sich das Jahren weitere organisatorische Veränderungen des gemeinsame Oberkommando der westalliierten Besatzungsapparates mit sich. Doch behielt die ISD Streitkräfte SHAEF auf. Damit war die PR/ISC als bis zur Übergabe des NWDR im November 1948 alleinzuständige Medienkontrollbehörde für die die Kompetenzen im Bereich der Londoner Infor- Britische Zone etabliert. Sie blieb für die restliche mations- und Rundfunkpolitik.130 Zeit, in der der NWDR unter britischer Verwaltung stand, das maßgebliche Kontroll- und Steuerungs- organ für den Rundfunk. Der Chef der PR/ISC, General Major Alexander (Alec) Bishop, spielte eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der britischen Medienpolitik.132

127 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, S. 94 f. 131 Zum Übergang der Kompetenzen in der britischen 128 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, Militärverwaltung vgl. Schneider: Nach dem Sieg, S. 64. S. 49 ff.; Thies: What is going on in Germany?, S. 37 ff. 129 Vgl. ebd., S. 82. 132 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, 130 Vgl. ebd., S. 85. S. 91 ff.; Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945, S. 47.

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Schaubild 1: Institutionelle Kompetenzen in England 1941 bis 1950

Okt. 1941 bis Juli 1945

FO = Foreign Office Grundzüge der bri- MoI = Ministry of Information tischen Informations- MoEW = Ministry of Economic Warfare politik

PWD = Political Anglo-amerik. PWE = Political Psychologische Warfare Division Informationspolitik Warfare Executive Kriegsführung

Joint Committee = Richtlinien für Infor- PWE/ MoI/ BBC mationsdienste

German Sub- Neuaufbau der Comittee deutschen. Medien

Juli 1945 bis April 1946

Grundzüge der briti- FO = Foreign Office schen Deutschland- politik

PID = Political Intelligence Department Kontrolle der Informa- (German and Austrian Division) tionsdienste

April 1946 bis April 1947

Grundzüge der briti- FO = Foreign Office schen Deutschland- politik

Koordinierung der COGA = Control Office for Germany and Austria britischen Verwaltung in Deutschland

Besatzungspolitik, G. Dept. = General Department Informationasdienste

Beeinflussung der ISD = Information öffentlichen Meinung Services Directorate in Deutschland

April 1947 bis 1950

Grundzüge der briti- FO = Foreign Office schen Außenpolitik

Besatzungspolitik in German Section Deutschland

German Education / Kultur-, Bildungs-, Information Department Informationspolitik

ISD = Information Nachrichten- und Services Directorate Informationsmedien

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Schaubild 2: Institutionelle Kompetenzen in der britischen Zone 1945 bis 1950

Mai 1945 bis Juli 1945

Verwaltung der briti- Mil. Gov. = Military Government schen Zone

Kontrolle der Infor- G (Infm Control) = Information Control Branch der 21. Armeegruppe mationsdienste

Kontrolle des Rund- BCU = Broadcasting Control Unit in Köln bzw. funks Hamburg

Juli 1945 bis Mai 1948

Verwaltung der briti- Mil. Gov. = Military Government schen Zone

Hauptverwaltung des CCG (BE) = Control Commission for Germany, British Element britischen Militärs

Kontrolle der Infor- PR/ISC = Public Relations/Information Services mationsdienste Control Group

ISC = Information Kontrolle der deut- Darstellung der CCG PR = Public Relations Services Control schen Medien (BE) Branch Branch

B Group = Press, Kontrolle der journalis- Periodicals, Broadcast- tischen Medien ing

BCU = Broadcasting Kontrolle des Rund- Control Unit Köln / funks Hamburg

Mai 1948 bis 1950

Verwaltung der briti- Mil. Gov. = Military Government schen Zone

Hauptverwaltung des CCG (BE) = Control Commission for Germany, British Element britischen Militärs

Kontrolle/Beratung von Informations- ISD = Information Services Division diensten

Kontrolle/Beratung des Kontrolle/Beratung der Broadcasting Branch Press Branch deutschen Rundfunks deutschen Presse

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2.2.2. Der Versuch einer gemeinsamen „Bis zur Herbeiführung einer Aufsicht über alle Medienpolitik der vier Mächte Nachrichtenverkehrsmittel durch die Alliierten Vertreter hören alle von Deutschland beherrsch- Die Deutschlandpolitik der Alliierten gab den Kurs ten Funk- und Fernnachrichtenverkehrseinrich- im Umgang mit den deutschen Medien nach tungen und sonstigen Draht- und drahtlosen Kriegsende vor. Früh war den Verantwortlichen Nachrichtenmittel auf dem Land oder auf dem klar, welch wichtige Rolle diese beim demokrati- Wasser zu senden auf.“138 schen Neuaufbau spielen würden. Bereits in den Mit der zweiten Phase des provisorischen Aufbaus Jahren 1942 und 1943 intensivierten sich die anglo- unter alliierter Kontrolle ging es in eine prekärere amerikanischen Planungen für das nachkriegsdeut- Runde. Nun galt es, eine neue deutsche Medien- sche Zivilleben und die Kontrolle über die Me- ordnung auf den Weg zu bringen. Auf das gemein- dien.133 same Ziel konnte man sich noch verständigen. Alle Das Alliierte Oberkommando SHAEF ließ vor Siegermächte erklärten, ein freiheitliches, demokra- Kriegsende einen 3-Phasen-Plan für den Aufbau tisches Mediensystem errichten zu wollen. Im einer neuen Medienlandschaft in Deutschland ent- Kommuniqué der Potsdamer Konferenz vom Au- wickeln. Dieser sah als erstes die Eliminierung des gust 1945 wird von den Besatzungsmächten „die NS-Propagandasystems vor. In einer zweiten Phase Freiheit der Rede, der Presse und der Religion sollten Rundfunk und Presse als Provisorien unter gewährleistet.“139 Aufgabe der Medien war es, die direkter alliierter Kontrolle eingerichtet werden, Wertvorstellungen der Besatzer zu verbreiten und währenddessen man nach geeigneten, politisch den Boden für ein demokratisches Staatswesen zu unbelasteten deutschen Kräften suchen wollte. In bereiten.140 Mit der Nachrichtenkontrollvorschrift der dritten Phase sollten die Medienorgane in deut- Nr. 1 wurde die Kontrolle der Alliierten festge- 134 sche Hände übergehen. schrieben: In der ersten Phase ging es also darum, was Presse „Nur auf Grund einer schriftlichen Zulassung und Rundfunk nicht mehr zu sein hatten. Da die der Militärregierung [...] wird zugelassen: [...] deutschen Sender Eigentum der Reichspost waren, der Betrieb von Nachrichtendiensten, Nachrich- verfügten am 08.05.1945 die Gesetze Nr. 52 und ten- oder Bildagenturen, Rundfunk- oder Fern- Nr. 76135 die Beschlagnahme des Reichsvermögens sehstationen“.141 sowie die Stilllegung des Rundfunknetzes der Deutschen Reichspost. Mit dem Ende des Postmo- nopols ging die Rundfunkhoheit in Deutschland auf die alliierten Siegermächte über.136 Wenige Tage später verbot das Gesetz Nr. 191 (geänderte Fas- 138 137 „Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutsch- sung) den Deutschen jegliche Tätigkeit im Me- lands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt dienbereich. Recherche, Produktion und Verbrei- hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des tung von Informationen war ihnen pauschal Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von untersagt. Für den Rundfunk stellte die „Berliner Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet- Erklärung“ der Siegermächte vom 05.06.1945 klar: Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik“, abgedr. in: Deuerlein: Die 133 Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 57 ff. Einheit Deutschlands, S. 244. 134 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 110 und 139 Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945, abgedr. in: 320 ff.; Barbara Mettler: Demokratisierung und Kalter Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik- Krieg. Zur amerikanischen Informations- und Rundfunk- Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961. Hauptband I politik in Westdeutschland 1945-1949. Berlin 1975 (zusammengestellt von Heinrich von Siegler). Bonn, (Rundfunkforschung, Bd. 2), S. 48 f. Wien und Zürich, 2. ergänzte und erweiterte Aufl. 1970, 135 Gesetzliche Vorschriften der amerikanischen Militär- S. 34. An anderer Stelle äußerte US-Präsident Truman: regierung in Deutschland. Ausgabe A, S. 24, abgedr. in: „There is one thing that Americans value even more than Archiv für das Post- und Fernmeldewesen 1, 1949, peace. It is freedom: freedom of worship – freedom of S. 65 ff. speech – and freedom of enterprise. It must be true that 136 Vgl. Walter J. Schütz (Hrsg.): Medienpolitik. Doku- the first two of these freedoms are related to the third.“, mentation der Kommunikationspolitik in der Bundesre- zit .n. Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 33. publik Deutschland von 1945 bis 1990. Hannover 1999 140 Vgl. Schütz: Medienpolitik, S. 31 f. (Schriften der Deutschen Gesellschaft für COMNET, Bd. 141 Nachrichtenkontroll-Vorschrift Nr. 1 vom 8), S. 31 ff.; Hans Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945. 12.05.1945, abgedr. in: Reinhard Greuner: Lizenz-presse. Erster Teil: 1945-1962. München 1980 (Rundfunk in Auftrag und Ende. Der Einfluß der anglo-amerikanischen Deutschland, Bd. 3), S. 17. Besatzungspolitik auf die Wieder-errichtung eines impe- 137 Gesetzliche Vorschriften der amerikanischen Militär- rialistischen Pressewesens in Westdeutschland. Berlin regierung in Deutschland, S. 309. 1962, S. 266-268.

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Die Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats sich der Plan einer Vierer-Rundfunk-Station als sah die „Aufstellung [...] einer Zensur“ vor und illusorisch, weil die Sowjets (die den Deutschland- hielt die deutschen Behörden an, sender als ihren Zonensender beanspruchten) und „alle Anweisungen der Alliierten Vertreter zu die Franzosen eine Vier-Mächte-Anstalt katego- 147 befolgen, betreffend Gebrauch, Kontrolle und risch blockierten. Das Projekt einer gemeinsa- Zensur aller Mittel zur Beeinflussung von Mei- men Verwaltung des deutschen Rundfunkwesens nungsäußerungen und Ansichten, einschließlich war gescheitert. Radiosendungen, Presse und Veröffentlichun- Schnell drifteten nun die Besatzungsmächte bei der 142 gen.“ Gestaltung ihrer Medienpolitik auseinander. In der Zu diesen ordnungspolitischen Verfügungen erlie- sowjetischen Zone gingen die Behörden zügig an ßen die Alliierten später eine gemeinsame inhaltli- die Verstaatlichung aller Medien.148 Die Franzosen che Richtlinie für die deutschen Medien. Sie kam gestatteten sich einen eigenwilligen Kurs, und dadurch zustande, dass mit der Verschlechterung selbst die kooperierenden Briten und Amerikaner der Ost-West-Beziehungen die deutschen Presse- kamen zu unterschiedlichen Konzepten. Der zentra- kommentare zum Gebaren der Besatzungsmächte len Rundunkanstalt in der britischen Zone stand ein zusehends respektloser wurden.143 Solcherlei Inter- regionales Netz in der amerikanischen Zone gegen- pretation der Pressefreiheit seitens der Verlierer über.149 Trotz dieser Abweichungen lässt sich für wollten die Militärkommandanten nicht tolerieren: die drei westlichen Besatzungszonen eine einheitli- „Es wäre bedauerlich, wenn wir deutschen Zei- che Grundsatzentscheidung bezüglich der Medien- tungen gestatteten, an jeder der alliierten Mäch- ordnung festhalten: Um das übergeordnete Ziel der te Kritik zu üben. Andererseits [...] ist die ame- Staatsferne zu erreichen, etablierten die Besatzer rikanische Vertretung keineswegs bereit, sich eine privatwirtschaftlich organisierte Presse und mit Dreck bewerfen zu lassen, ohne selbst dann einen öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunk. 144 entsprechend zu reagieren.“ Mit dem Modell des Deutschlandsenders scheiterte Der Kontrollrat quittierte diese Polemik mit der die gemeinsame Medienpolitik und damit eine Direktive Nr. 40, die die Freiheiten der deutschen abgestimmte dritte Phase der Übergabe der Medien Medien definierte.145 Als es daran ging, ein Rund- in deutsche Hände. Die Briten übergaben ohne funksystem im Sinne aller Sieger zu errichten, Absprache ihren Zonensender am 15.11.1948 an zeigten sich Risse in der alliierten Koalition. In der die Deutschen. Die Amerikaner folgten mit ihren 4 Political Warfare Division (PWD), dem anglo- Sendern im Laufe des Jahres 1949. Die Übergabe amerikanischen Planungsstab, wurde im März 1944 der französischen Sendeanstalt erfolgte offiziell am ein „Radio Plan“ vorgestellt, der eine Koordinie- 30.10.1948, doch durch einen bis 1952 gültigen rung aller Besatzungsmächte vorsah. Die gemein- Autonomievorbehalt blieb der Sender im Kontroll- same Aufgabe, den Deutschen die Demokratie bereich des französischen Oberkommandos.150 Viel beizubringen, sei nur zu bewältigen, wenn die Alli- früher schon, Ende 1945, hatten die Sowjets in ihrer ierten mit einer Stimme sprechen würden.146 Das Zone den Schritt zur Übergabe des Rundfunks in Alliierte Oberkommando fasste in der Tat den Plan, eine gemeinsame Rundfunkorganisation aufzubau- 147 en. Der frühere Deutschlandsender in Königswust- Vgl. Christof Schneider: Nationalsozialismus als erhausen sollte ein vereintes Programm aller vier Thema im Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks Besatzungsmächte ausstrahlen. Bald aber erwies (1945-1948). Potsdam 1999 (Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 23), S. 35 f.; Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945, S. 15 f. 142 Alliierter Kontrollrat in Deutschland/Proklamation 148 Maßgeblich dafür waren im Oktober 1945 die Befehle Nr. 2: Zusätzliche an Deutschland gestellte Forderungen, Nr. 22, Nr. 124 und Nr. 126 der Sowjetischen Militärad- abgedr. in: Deuerlein: Die Einheit Deutschlands, S. 260. ministration (SMAD) zum Umgang mit Informationsma- 143 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 328. terial unter Aufsicht des Militärkommandanten und zur 144 So die Reaktion des amerikanischen Befehlshabers Enteignung von Druckereien, vgl. Kurt Koszyk: Kontinu- Clay auf einen „niederträchtigen Angriff“ im „Neuen ität oder Neubeginn? Massenkommunikation in Deutsch- Deutschland“ vom 18.09.1946, vgl. Lucius D. Clay: land 1945-1949. Siegen 1981 (Veröffentlichungen des Entscheidung in Deutschland. Frankfurt am Main 1950, Forschungsschwerpunktes Massenmedien und Kommu- S. 157. Weitere Beispiele vgl. Balfour: Vier-Mächte- nikation, Bd. 12), S. 10 f. Kontrolle, S. 328 f. 149 Vgl. Schütz: Medienpolitik, S. 31 f. 145 Kontrollratdirektive Nr. 40 vom 12.10.1946, abgedr. 150 Vgl. Arnulf Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besat- in: Greuner: Lizenzpresse, S. 279-280. zung. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Medien-geschichte der 146 Vgl. Joachim Görgen: Der britische Einfluß auf den Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1999 (Schriftenreihe deutschen Rundfunk 1945 bis 1948 (Dissertation). Berlin der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 361), 1983, S. 99 ff. S. 77 ff.

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deutsche Verantwortung vollzogen.151 Damit hin- Propagandaobjekt, sondern ein neu zu gestaltender terließen die Siegermächte den Deutschen zwei Faktor der europäischen Zivilgesellschaft. gegensätzliche Rundfunkordnungen und insgesamt Dennoch taten sich die Briten mit der Entwicklung sieben verschiedene Rundfunkgebilde in vier Zo- einer Rundfunkpolitik für Deutschland schwer. Es nen. Medien- und Rundfunkpolitik hatten die Ent- fehlte nicht an Gremien und Komitees, ebenso wicklungen der partikularisierten Deutschlandpoli- wenig an engagierten Fachleuten. Diese sahen sich tik nachvollzogen. aber von der politischen Führung mit verschleppten Grundsatzbeschlüssen für den Umgang mit den 2.2.3. Das rundfunkpolitische Konzept der Deutschen allein gelassen.155 Lange Zeit war die Briten einzige Grundsatzentscheidung der Alliierten die, Deutschland als Verfügungsobjekt zu behandeln. Ziel der psychologischen Kriegsführung war die Das Ziel lautete, alle Lebensbereiche lückenlos zu Verkürzung der Kriegsdauer mittels Aufklärung kontrollieren, ohne Mitsprache der Bevölkerung. bzw. Demoralisierung des Gegners. Eines der wich- Ein ambitioniertes und zugleich reduziertes Pro- tigsten Instrumente von Information und Desinfor- gramm, für das alles Überkommene rigoros aus- mation war der Rundfunk. So wurde der Deutsche schied. Damit war nicht nur der den Briten zutiefst Dienst der BBC während des Krieges darauf ausge- verhasste Propagandafunk Goebbelsscher Prägung richtet, der deutschen Zuhörerschaft die Hoffnungs- gemeint. Auch der Weimarer Rundfunk galt als losigkeit ihrer Lage als Parteigänger der Nazis kompromittiert, allerdings nicht wegen seiner poli- einzuschärfen.152 Die überraschende Kehrtwende tikfernen Bildungsbeflissenheit, sondern wegen des Stalins, der den Deutschen – nicht den Nazis – seit Verdachts der Desinformation und Nachrichtenma- 1942 wohlwollende Botschaften sandte, stellte die nipulation: britische Negativpsychologie ins Abseits.153 Nichts fürchtete man mehr, als den jetzigen Feind (die „Ein gefährlicher Irrtum ist es, wenn man an- Deutschen) dem künftigen (den Sowjets) durch nimmt, dass die Nazidiktatur die einzige Ursa- Abschreckung in die Arme zu treiben. Die Strate- che der falschen Information war. Das stimmt gar nicht, es war schon so, ehe die Nazis an die gen der psychologischen Kriegsführung in der Macht kamen. [...] Es gab in Deutschland vor PWE reagierten darauf mit einem modifizierten dem Nationalsozialismus ein System, bei dem Leitmotiv, einem Mix von „hope and intimidation“. die Nachrichten zurechtgemacht und verbogen Die Hoffnung auf eine bessere Zeit nach Hitler trat wurden, damit [...] der Mann auf der Straße, im ergänzend zur gewohnten Härte: Dunkeln tappen sollte über das, was in seinem „We are going to draw your claws, but we do eigenen Land oder in der Welt tatsächlich vor- not intend to then starve and beat you, so long ging.“156 as you rid yourself of the bandits. But you had Wenn auch die Siegermächte unterschiedliche better be quick about it or our intentions may Mediensysteme in ihren Zonen installierten, so change.“154 waren sie sich alle einig, dabei an keinerlei deut- Diese Ausdifferenzierung bedeutete den ersten sche Traditionen anknüpfen zu wollen.157 Schritt von der reinen Kriegspsychologie und – Seit dem Frühjahr 1943 produzierten PWE und das propaganda hin zu einer konstruktiven Medienpoli- Joint Committee die ersten Entwürfe für den deut- tik. Deutschland war nicht mehr ausschließlich schen Rundfunk nach Kriegsende.158 Ein 4-Phasen- Modell sah vor, dass es zunächst gar kein Rund-

151 Ein Befehl vom 21.12.1945 übertrug das Rundfunk- wesen auf die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbil- 155 Schon Ende 1943 wurden die ersten Klagen laut. So dung (DVV). Gleichwohl unterlag die DVV wie die beschwerte sich Con O’Neill, der Vertreter des Foreign anderen Zentralverwaltungen der SBZ den Weisungen Office im Joint Reoccupation Commitee, dass die Pla- der SMAD, vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besat- nungen dieses Gremiums auf der Stelle traten wegen des zung, S. 70 ff. Fehlens allgemeiner politischer Richtlinien, vgl. PRO, 152 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 75 ff.; Ket- FO 371, 34461. tenacker: Krieg zur Friedenssicherung, S. 193. 156 A. L. Pope, der Direktor der Informationsabteilung 153 Stalin lehnte es nicht nur ab, das deutsche Volk mit der britischen Militärregierung. In: Die Deutsche Zei- den Nazis gleichzusetzen, er machte sogar den deutschen tung, 9/1949, S. 4. Militärs Zukunftshoffnungen, sollten diese sich von 157 Vgl. Koszyk: Kontinuität oder Neubeginn?, S. 41. Hitler abwenden; vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssi- 158 Koszyk vermutet hinter diesem Aktivismus die briti- cherung, S. 200 ff. sche Strategie, durch das rasche Auflegen von Direktiven 154 So Alexander Cardogan vom Foreign Office: Auf- und Handbüchern die eigene Position leichter durchset- zeichnung vom 08.01.1942, Anlage zum Schreiben von zen zu können; vgl. Koszyk: Kontinuität oder Neube- Bruce Lockhart vom 03.01.1942, PRO, FO 371, 30928. ginn?, S. 5.

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funkprogramm in Deutschland geben sollte; dann Hauptversorger Radio Luxemburg unter Führung ein von London aus gesteuertes Programm; an- der Amerikaner treten. Um die Informationsvertei- schließend Sendungen von Deutschen unter briti- lung sollten sich „external stations“ kümmern.162 scher Kontrolle; und endlich einen deutschen Rund- Deren Funktion wurde zu keinem Zeitpunkt defi- funk unter indirekter Kontrolle der Besatzer. Die niert. Der BBC war in diesem Modell die Rolle aus der Weimarer Zeit vorhandene dezentrale eines Zusatzpools in zweiter Reihe zugedacht. Rundfunktopographie sollte dabei keine Rolle spie- Die Planungsbürokratie in London sah sich um die len. Vielmehr setzte man eine zentralistische Struk- Früchte ihrer mühevollen Arbeit gebracht. Dies tur voraus: Der Deutschlandsender in Berlin sollte umso mehr noch in der Frage der künftigen Kon- Kopf eines nationalen Radiodienstes sein. Die bis- trollzuständigkeit. Der zentrale Sender für das gan- herigen Reichssender Hamburg oder Köln waren zu ze Deutschland sollte einer Drei-Mächte-Kontrolle technischen Abspielstationen degradiert. Eine pub- in Gestalt der „Tripartite Propaganda Control“ lizistische Funktion sollte ihnen nicht mehr zu- unterliegen. Diesem recht vagen gesamtalliierten kommen. Die Versorgung mit Inhalten sollte ihre Konzept gaben die Londoner Planer mit wenig Sache nicht sein, jedoch auch nicht die des Berliner Begeisterung nach und stellten daraufhin ihre Pla- Zentralsenders. Die Planer in den Londoner Stäben nungen weitgehend ein. Kurz nach Kriegsende aber glaubten vielmehr, dass der Deutsche Dienst der war die koordinierte Drei-Mächte-Politik geschei- BBC dafür am besten geeignet war. Diese erste tert.163 Planungsphase der britischen Rundfunkpolitik fand Im April 1945 erschien das „Manual for the Control 1944 ein Ende mit der Einrichtung der PWD als of German Information Services“ der PWD, das die gemeinsamer anglo-amerikanischer Stabszelle. Die Grundlagen einer alliierten Informationskontrolle Erkenntnis hatte sich durchgesetzt, dass eine iso- formulierte.164 Mit diesen Richtlinien endeten die lierte Rundfunkpolitik ohne Abstimmung mit den gemeinsamen Anstrengungen um eine alliierte alliierten Partnern sinnlos war. Medienpolitik. Die PWD wurde aufgelöst, SHAEF Die Abstimmung der Westalliierten im Rahmen des beendete seine Tätigkeit wenig später. Die briti- gemeinsamen Planungsstabes SHAEF markierte schen Rundfunkexperten waren auf diese Situation einen Wendepunkt. Mit der Vision einer gemein- nicht vorbereitet. Bis zum Schluss hatten sie am samen Besatzung wurde im Rahmen der psycholo- Glauben an ein konzertiertes Medienkonzept der gischen Kriegsführung die Rundfunkpolitik von Alliierten festgehalten und darüber die rasante 159 SHAEF vereinnahmt. Als das anglo- Gegenentwicklung aus den Augen verloren. 165 Als amerikanische PWD Anfang 1944 die Arbeit auf- Generalmajor Alexander Bishop am 25.06.1945 nahm, fand der papierintensive Alleingang der seinen Plan zur Informationskontrolle in der Briti- Briten vorerst ein Ende. Zwar kämpften die Vertre- schen Zone vorlegte, ging er noch immer von einer ter des britischen PWE weiter um ihre bis dato gemeinsamen Entscheidung der vier Mächte zur 160 entwickelten Positionen. Und tatsächlich fand Informationspolitik aus – weshalb sich sein Plan sich im „Eclipse Memorandum“ des PWD von entsprechend provisorisch ausnahm.166 Erschwe- 04.12.1944 sowohl die Idee der überregionalen rend kam hinzu, dass die 21. Armeegruppe unter Rundfunkversorgung durch den Berliner Deutsch- Feldmarschall Montgomery dem Alliierten Ober- landsender wieder als auch ein vertraut erscheinen- kommando voller Argwohn gegenüberstanden. des Drei-Phasen-Modell: vom „Blackout“ über Dieser für Montgomery notorische Eigensinn führte Versorgung durch alliierte Informationsdienste zum dazu, dass die PWD in der britischen Zone prak- 161 kontrollierten Übergang auf deutsche Dienste. tisch boykottiert wurde, ohne dass eine Alternative Ziel war also ein zentraler nationaler Rundfunk- vorlag. So mehrten sich bald nach Übernahme des dienst in Berlin. Ausschlaggebend war die Ausrich- Hamburger Funkhauses an der Rothenbaumchaus- tung an der avisierten Drei-Mächte-Politik. see Stimmen, die den Neuaufbau des Rundfunks in Unabhängig davon war von der ursprünglichen britischen Rundfunkpolitik im neuen Modell nicht 162 viel übrig. So würde nun nicht mehr die BBC mit Vgl. Ders.: Unter britischer Kontrolle, S. 90. 163 ihrem Deutschen Dienst den Hauptteil der Sendun- Vgl. ebd., S. 96. 164 gen für Deutschland liefern. An ihre Stelle sollte als Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 64. 165 Dabei war die Missachtung von Medienfragen bei den 159 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 319. politischen Entscheidungsträgern unübersehbar, was sich 160 Die Angst vor dem Verlust von Einfluss führte zu durch Nichtbehandlung in den entscheidenden Dokumen- anhaltenden Konflikten zwischen PWE und PWD, vgl. ten jener Phase niederschlug, etwa der Berliner Erklärung Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 65. oder dem Potsdamer Abkommen. 161 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, 166 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 61. S. 92.

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der britischen Zone gefährdet sahen.167 Mangel an auszubauen. Daran anknüpfend erschien ein Memo- Personal, Mangel an Logistik, Mangel an Hand- randum des PID, das am 04.08.1945 als medienpo- lungsanweisungen – die Rundfunkpolitik dieser litisches Grundsatzpapier in Kraft trat. Darin wurde Phase blieb weitgehend passiv. Im Vergleich zur der längst fällige radikale rundfunkpolitische amerikanischen und sowjetischen Zone war sie in Kurswechsel beschlossen. Damit war der Plan, die einen gravierenden Planungsrückstand geraten.168 früheren Sender in Hamburg und Köln zu Relais- Für die Organe der Rundfunkpolitik, die britischen stationen bzw. technischen Verteilern zu minimie- Rundfunkoffiziere, eine prekäre Situation. Außer ren, kassiert. Statt dessen erfuhr der Zonenrundfunk dem bloßen Einsatzbefehl konnten sie sich auf in Gestalt von „Radio Hamburg“ die Klassifizie- keinerlei Vorgaben stützen: rung als „Inlanddienst“ („home service“). Dies „Wir waren auf uns selbst gestellt; zunächst wa- bedeutete eine Aufwertung von beachtlicher Trag- ren wir drei britische Offiziere, die einen Sender weite. Der Weg des Hamburger Besatzungssenders betrieben und taten, was sie für richtig hiel- zum publizistischen Organ war frei. Zugleich spie- ten.“169 gelt sich darin die Einschätzung der Besatzer, dass Für richtig hielten sie, die einzige Anordnung, die das deutsche Programm der BBC die Versorgung ihnen mitgegeben war, zu ignorieren: Statt wie von der Zone mit Rundfunkinformationen nicht leisten der PWD gefordert, Nachrichten der SHAEF aus- konnte. Wichtiger noch war die Einsicht, die deut- zustrahlen, sendeten sie den Deutschen Dienst der sche Bevölkerung auf Dauer nur mit einem deut- BBC.170 Dieses Beispiel illustriert, dass die Ent- schen Zonenprogramm erreichen zu können. wicklung des Rundfunks in den Besatzungszonen Unterstützung fand die neue Linie indirekt durch im Nachkriegschaos weniger den Schreibtischvor- einen Sinneswandel Montgomerys. Dieser hatte bis lagen der Planungsbeamten als vielmehr dem dahin nicht nur die Kooperation mit dem Alliierten Pragmatismus der Besatzungskräfte vor Ort folgte. Oberkommando torpediert, sondern auch die Prob- Diese legten ihren Auftrag weiter aus, als ihr Man- leme der Informationspolitik mit Desinteresse ab- dat es vorsah.171 getan: „Bullets not bumph“.173 Doch die raschen Im Juli 1945 stellte „Radio Luxemburg“ seine Zu- Fortschritte in der sowjetischen und der amerikani- lieferungen ein. Das Scheitern eines überregionalen schen Zone, die Sorge vor Unruhen in der Bevölke- deutschen Gesamtrundfunks war endgültig und eine rung, die wachsende Kritik an der Untätigkeit auf Neudefinition der britischen Rundfunkpolitik nicht dem Gebiet der Medien sowie das steigende Infor- länger aufzuschieben.172 Der Augenblick war güns- mationsbedürfnis der Deutschen bewogen Mont- tig, denn im gleichen Monat übernahm die neue gomery dazu, den Aufbau der Informationsdienste Medienkontrollbehörde PR/ISC von der – im zu forcieren: „The point to realise is that something must be done quickly; if we wait till the ideal con- Kleinkrieg mit SHAEF verstrickten – 21. Armee- 174 gruppe die Informationspolitik. Von hier kam der ditions are ready we may well lose the battle.“ Vorschlag, schnellstmöglich „Radio Hamburg“ (so Die Einschätzung, dass die Deutschen sich unter der Name des zu dieser Zeit von britischen Offizie- der Besatzung hinter Feindseligkeit und Apathie verschanzen würden, ließ sich Ende Juli 1945 nicht ren geleiteten früheren Reichssenders) zu einer 175 eigenständigen Radiostation für die britische Zone mehr halten. Positive Signale sollten jetzt an die Stelle von Härte und Einschüchterung treten. Nichts hatten wie Besatzer weniger im Sinn, als aus 167 Vgl. Kutsch: Unter britischer Kontrolle, S. 97. den Deutschen eine unpolitische und apathische 176 168 So waren die Amerikaner im Juni 1945 mit einem Masse zu machen. Stab von 1.700 Mitarbeitern allein für die Informations- kontrolle vor Ort präsent. Demgegenüber hatten die Briten 80 Mitarbeiter; vgl. Clemens: Britische 173 Ritchie Calder: Observations on Information Services Kulturpolitik 1945-1949, S. 93. Wie sehr die Amerikaner in Germany, 23.08.1945, PRO, FO 898, 401. in der Rundfunkpolitik auf Eigenregie setzten vgl. 174 Field-Marshal Bernard L. Montgomery: Not on Our Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 49. Policy. Paper for Information Services in Germany, 169 Paul Findlay in: Michael Tracey: Das unerreichbare 07.07.1945, PRO, FO 1056, 25. Wunschbild. Ein Versuch über Hugh Greene und die 175 Ein Bericht der Information Services Control Branch Neugründung des Rundfunks in Westdeutschland nach stellte fest, dass die deutsche Bevölkerung geradezu 1945. Köln, Stuttgart, Berlin und Mainz 1982 (Annalen begierig auf Information und Unterhaltung sei. Vgl. des Westdeutschen Rundfunks, Bd. 5), S. 20. PRO, FO 1056, 70, PR/ISC Progress Report for the 170 Ebd. Period 30.06.-31.07.1945. Vgl. Clemens: Britische Kul- 171 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, turpolitik 1945-1949, S. 94. S. 64. 176 Vgl. Thomas Rölle: Der britische Einfluß auf den 172 Vgl. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, Aufbau des Nordwestdeutschen Rundfunks von 1945 bis S. 36. 1948 (Dissertation). Kiel 1990, S. 49.

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Ohne Widerstände vollzog die britische Rundfunk- zieren begannen. Die Entwicklung eines eigenen politik im Sommer 1945 ihre Kehrtwende, die Wort- und Musikprogramms machte Fortschritte, zugleich Weichenstellung für die Jahre bis zur wobei die starke Ausdifferenzierung der Pro- Übergabe des Senders in deutsche Hände war. grammtätigkeit bewusst mit Hilfe deutscher Mitar- Damit wurde eine Realität sanktioniert, die die beiter durchgeführt wurde.177 Das gemeinsame britischen Rundfunkoffiziere mit ihren deutschen anglo-amerikanische Konzept der PWD war längst Mitarbeitern schon in den ersten Wochen zu prakti- Makulatur.

177 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, S. 65 f. und 72 ff.

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III) Demokratisierung und Re-education: Der Weg zur politischen Umerziehung

Bei Vertretern der Re-education in der britischen 1.1. Die britische Tradition im Besatzungsmacht begegnet man mitunter der Auf- Erziehungswesen fassung, Re-education sei ein Sammelsurium von Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert zwang Ad-Hoc-Maßnahmen ohne inneren Zusammenhang die Gesellschaften Europas zum Aufbrechen ihrer gewesen. Der vage Begriff der Re-education hätte jahrhundertealten aristokratischen Sozialverfassun- ihnen nur als alleserklärende Legitimation gedient, gen. Der Weg in den modernen Massenstaat forder- von Tag zu Tag auf die Herausforderungen einer te die Mobilisierung der unteren und mittleren solchen Aufgabe zu reagieren.178 Schichten, die bislang von politischen und ökono- Ein Blick auf die britische kulturelle Tradition, die mischen Machtressourcen ausgeschlossen waren. in England geführten Umerziehungdebatten und die Hatte Frankreich diesen Weg durch die Revolution Umsetzung der Re-education zeigt, dass dies kei- beschritten, so waren in anderen sich industrialisie- neswegs der Fall war. Vielmehr stellt es sich so dar, renden Ländern Europas ähnliche Bewegungen dass schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Großbri- entweder gescheitert wie 1848 in Deutschland oder tannien ein langer Diskurs zum Umgang mit den gar nicht wesentlich in Gang gekommen. Letzteres Deutschen bestanden hatte, der mit der deutschen war in Großbritannien der Fall. Niederlage eine neue Qualität annahm. Dieser Dis- Dort vollzog sich gleichwohl ein Transformations- kurs war zum einen von den markanten Brüchen im prozess im Bildungswesen, der dieses revolutionäre britisch-deutschen Verhältnis und zum anderen von Defizit langfristig aufzufangen vermochte. Das der politischen Philosophie und der Kultur des Aufkommen des Public School Movement im spä- Erziehungswesens in England inspiriert. Mit den teren 19. Jahrhundert sowie die Entwicklung an den Deutschen hatte man schon lange ein Problem, und Universitäten ermöglichten den unteren Schichten das Reden darüber war in der britischen Öffentlich- Zugang zur höheren Bildung und damit zu den keit ein Dauerbrenner. Die Frage, wie man die herrschenden Eliten.179 Dies war nur möglich mit deutsche Provokation langfristig befrieden sollte, der mehrheitlich getragenen Auffassung, dass mit beschäftigte die Vordenker der wichtigsten politi- der richtigen Erziehung auch Personen von niede- schen Flügel von den Fundamentalisten bis zu den rem Stand ein vollwertiges Mitglied der Elite des Pragmatikern. Vor diesem Hintergrund war das Landes werden konnte. Jedes Individuum galt Konzept der Re-education die Konsequenz aus demnach als imstande, seine Persönlichkeit gemäß einer vielschichtigen und fundierten Diskussion dem Ideal des Gemeinwesens zu entfalten. Voraus- und zugleich ein wichtiger Baustein im Masterplan setzung dafür war ein den Ansprüchen dieses Ideals der britischen Besatzungspolitik. entsprechendes Erziehungssystem. Dieser spezi- fisch britische Glaube an die prägende Kraft der 1. Erziehung zum Politischen – die Erziehung unterschied sich grundlegend von der politisch-kulturellen Traditionen in kontinentalen Bildungsphilosophie, insbesondere Großbritannien von der deutschen. Dieser ging es um die Bereit- Verschiedene, teils weit in die britische Geschichte stellung technischen, juristischen oder militärischen zurückreichende Traditionsstränge bilden die Mat- Fachwissens, das der moderne Staat zur Bewälti- rix, vor der sich die Kontroverse um das Verhältnis gung der industriellen Herausforderung benötigte. zu Deutschland entfaltete. Die meisten Entschei- Das britische Ideal einer charakterbildenden, wer- dungsträger in den britischen Behörden und die vor tevermittelnden Erziehung stand in Kontrast zu 180 Ort mit der Re-education der Deutschen befassten einer technokratischen Ausbildung, die eher Besatzungsoffiziere agierten innerhalb dieses philo- wissenschaftliche Zwecke verfolgte. Bei der Annä- sophisch-kulturellen Bezugsrahmens. herung an den Begriff der Re-education ist dieser umfassende Begriff von „education“ im Sinne der britischen Tradition dazuzudenken: als Förderung

178 So äußert sich z.B. Michael Balfour: In Retrospect: 179 Vgl. Nicholas Pronay: ‚To Stamp out the Whole Britain’s Policy of ‚Re-education‛. In: Nicholas Tradition‛. In: Ders./Keith Wilson (Hrsg.): The Political Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Re-Education Re-Education of Germany and her Allies. London und of Germany and her Allies. London und Sidney 1985, Sidney 1985, S. 8 f. S. 140 f. 180 Vgl. ebd., S. 8.

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zur positiven Entwicklung eines Menschen – oder zwangsverordnete Zustimmung war diesem Kon- eines ganzen Volkes. zept wesensfremd, ebenso wie eine starke Regle- mentierung der Medien. Letztere hätte im Wider- 1.2. Die britische Tradition der politischen spruch gestanden zum britischen Politik- und Philosophie Kulturverständnis, das die Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen für Presse und Kultur vor- Das seit dem 17. Jahrhundert mit John Locke, A- aussetzte.184 dam Smith oder John Stuart Mill im politischen Denken der Briten verankerte liberale Fundament 2. Die Debatte um den Umgang mit den hinderte sie daran, an ein Funktionieren oktroyier- Deutschen ter Systeme zu glauben. Praktischer Beleg dafür waren die Erfahrungen aus dem Kolonialreich. Ab 1890 begann das Deutsche Reich, sich aggres- Anstelle einer stark obrigkeitsstaatlich strukturier- siv in den Wettlauf um Weltmacht und Kolonien ten und militärisch kontrollierten Verwaltung han- einzuschalten. Der forcierte Ausbau der deutschen delten die britischen Kolonialbehörden eher nach Flotte musste die Seegroßmacht Großbritannien in einem indirekten Ordnungsprinzip. Indem sie den Alarmbereitschaft versetzen. Von da an galt kolonialisierten Völkern den Zugang zu klassisch Deutschland als unberechenbares Sicherheitsrisiko. britischen Ressourcen – Ausbildung, Rechtssystem, Der unverhohlene, großmannssüchtige Expansio- bis hin zu sportlichen Veranstaltungen – ermöglich- nismus des wilhelminischen Reiches war der Grund ten, brachten sie ihnen britische Werte näher und für das politische Negativimage der Deutschen. Zu befreiten sich selbst großteils vom Aufwand einer gleicher Zeit stand dem auf kultureller Ebene ein totalitären Kolonialdiktatur.181 Diese indirekte positives Deutschlandbild gegenüber. Die Leistun- Methode hatte nicht nur den Vorteil, effizienter und gen der Deutschen in Musik, Dichtung und Philo- kostensparender zu sein. Sie brachte darüber hinaus sophie hatten den Engländern seit Jahrhunderten moralische Legitimität, indem sie den Ideen der Respekt abgenötigt. An dieser Hochschätzung liberal-demokratischen Philosophie entgegenkam. konnten weder Wilhelm II. noch später Hitler Dass diese Haltung in der Praxis nicht selten in grundlegend etwas ändern.185 Beides zusammen, arrogante Schulmeisterei mündete, bedarf hier das negative wie das positive Deutschlandbild, keiner Diskussion.182 Besatzung hieß dennoch im begründete die ambivalente Faszination, die die wesentlichen nicht Unterdrückung oder missionari- kontroverse Haltung zu den Deutschen charakteri- sche Bekehrung, sondern Heranführung des unter- sierte. worfenen Volkes an die eigenen Werte und das politische System, an den „British Way“. Dieser 2.1. Der deutsche Nationalcharakter – die Ansatz war bei der Gestaltung von Nachkriegs- Lehren des Ersten Weltkriegs deutschland eminent wichtig. Die Katastrophe des „Great War“ löste in Großbri- Die Abneigung gegen Bevormundung gründete tannien eine Flutwelle anti-deutscher Stimmung noch auf einem anderen Grundpfeiler der politisch- aus, die über die militärische Gegnerschaft hinaus kulturellen Tradition: der öffentlichen Meinung. zu einer Abrechnung mit dem deutschen National- Einem weiteren, auf John Locke zurückgehenden charakter wurde.186 Dabei glaubte man sich mit liberalen Glaubenssatz entsprechend war es Aufga- dem Rest der Welt in Einklang. Im Mai 1918 be der öffentlichen Diskussion, den gesellschaftli- chen Konsens für notwendige politische Verände- 183 rungen herbeizuführen. Eine verantwortliche 184 Vgl. Clemens: Die britische Kulturpolitik in Deutsch- Presse hatte dem Publikum, den Gebildeten und land, S. 206 ff. Meinungsführern, die nötigen Informationen vorzu- 185 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, legen. Im Wettstreit der Meinungen würde sich der S. 51 ff. Zu den deutsch-britischen Auseinandersetzun- Mehrheitswille von selbst durchsetzen. Eine gen mit den Entwicklungen des jeweils anderen Landes vgl. Frank Otto/Thilo Schulz: Einleitung: Michel meets 181 Vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, John Bull – Aspekte deutsch-britischer Begegnungen im S. 526; Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, 19. und 20. Jahrhundert. In: Dies. (Hrsg.): Großbritan- S. 8. nien und Deutschland. Gesellschaftliche, kulturelle und 182 David Welch: Priming the Pump of German Democ- politische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert; racy. British „Re-Education“ Policy in Germany after the Festschrift für Bernd-Jürgen Wendt. Rheinfelden 1999 Second World War. In: Ian Turner (Hrsg.): Reconstruc- (Historische Forschungen 44), S. 1-12. tion in Post-War Germany. British Occupation Policy 186 Vgl. Keith Wilson: Great War Prologue. In: Nicholas and the Western Zones 1945-55. Oxford, New York und Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Re-Education Munich 1989, S. 237. of Germany and her Allies. London und Sidney 1985, 183 Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, S. 9. S. 37 ff.

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äußerte das britische Außenministerium: „The Die Überzeugung, dass man es mit einem gewaltbe- longer the struggle lasts the deeper will become the reiten und in die Völkergemeinschaft nicht integ- hatred of everything German in the non-German rierbaren Nationalcharakter zu tun hatte, rief Stim- world.“187 Mit ihrem preußischen Kriegsfuror, “the men auf den Plan, die jenseits der militärischen brutal covetousness of Prussian militarism“188, Unterwerfung eine erzieherische Disziplinierung stellten sich die Deutschen in Gegensatz zur zivili- des Feindes forderten: sierten Welt. Chiffren dafür waren der Aufmarsch „The education of the enemy to a knowledge of ins neutrale Belgien, der Diktatfriede von Brest- what kind of world the allies mean to create, Litowsk oder das Eingreifen deutscher Truppen in and of the place reserved in it for enemy peo- der Ukraine. Den Alliierten, wollten sie sich diese ples according as they assist in, or continue to Bedrohung nicht nur vorübergehend vom Hals resist, its creation.“191 schaffen, musste es um mehr gehen als den militä- Die Idee, dem Gegner durch Erziehung das eigene rischen Sieg: (bessere) Wertesystem nahe- und ihn von seinen „The changing of Germany becomes a primary Machtphantasien abzubringen, nahm einen festen war aim, the primary war aim for the Allies. [...] Platz in der Frage um den Umgang mit Deutschland Change there must be in Germany; in the spirit ein. So empfahl der britische Geheimdienst in einer in which the Government is conducted, in the Denkschrift unter dem Stichwort „Education“ eine persons who exercise the control, and in the Neuausrichtung des deutschen Bildungswesens: relative influence of different classes in the „The national ideal in education needs a com- country.“189 plete revision in view of the facts, and the Je näher das Kriegsende rückte, desto deutlicher change in outlook. This is also a matter of very verlagerte sich die Diskussion auf das Wesen der fundamental importance in view of the immense Deutschen – auf ihren Geist, ihren Charakter, ihre influence which public education has played in Seele. Die deutsche Regierung, so despotisch sie German national life since the days of Stein, scheinen mochte, galt dabei nicht als Verführer Fichte and Humboldt, and of the great resis- einer irregeleiteten Nation, sondern als deren legi- tance from the reactionary and conservative ele- timer Willensagent. Wenn das Kriegsziel lautete, ments, especially the Church, with which new Deutschland dauerhaft zu verändern, so war es theories must meet.“192 nicht damit getan, bei der Regierung oder der Ver- Doch so sehr man sich über den verwerflichen fassung den Hebel anzusetzen, wie ein Memoran- Charakter der Deutschen einig war – der Ansatz, dum des Political Intelligence Department wenige sie zu Demokratie und internationaler Kooperation Tage vor dem Waffenstillstand herausstrich: „Even zu erziehen, stieß auf scharfen Widerspruch. So as regards Germany, it is not so much the forms of sagte Außenminister A.J. Balfour im Juli 1917 zum the constitution as the spirit of the nation with Ruf nach einer Demokratisierung Deutschlands: 190 which we are at issue.“ „That does not mean that anybody is fool enough to suppose that he can impose upon Germany a constitution made outside Germany. Germany must work out her own salvation.“193 187 Report on the work of the Department of Propaganda Einem anderen Land die eigene Staatsform zu dik- in Enemy Countries, zitiert nach Wilson: Great War tieren galt vielen weder als klug noch als machbar. Prologue, S. 37. 188 Es entsprach nicht der Idee vom dem Selbstbe- So die Formel in einer offiziellen Note der Entente- stimmungsrecht der Völker: Mächte vom 10.01.1917, zitiert nach James Brown Scott: Official Statements of War Aims and Peace Proposals. December 1916 to November 1918. Washington 1921, S. 19. Diesem um die Jahrhundertwende sich durchset- 191 So Campbell Stuart, Deputy Chairman der British zenden pejorativen Begriff des „Prussianism“ war aller- War Mission, am 04.10.1918 bei einem Treffen der dings eine lange Phase der Preußen-Sympathie auf engli- Vertreter verschiedener mit Propaganda befassten Abtei- scher Seite vorangegangen. Erst mit dem Ersten lungen. In: Campbell Stuart: The Secrets of Crewe Weltkrieg wurde „Prussianism“ zum Synonym für den House: The Story of a Famous Campaign. London 1920, militärisch dominierten Obrigkeitsstaat, vgl. Otto/Schulz: S. 58. Michel meets John Bull, S. 5 ff. 192 „Some fundamental Problems Presented by the Ger- 189 Report on the work of the Department of Propaganda man Revolution“, Memorandum des MI6b vom in Enemy Countries, zitiert nach Wilson: Great War 22.01.1919, zitiert nach Wilson: Great War Prologue, Prologue, S. 37. S. 40. 190 PID, The Situation in Germany and Peace Overtures, 193 A.J. Balfour am 30.07.1917 im House of Commons. 03.10.1918, zitiert nach Wilson: Great War Prologue, In: Scott: Official Statements of War Aims and Peace S. 50. Proposals, S. 127.

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„We recognise fully that each nation should be gleichzeitig der Zweifel an einer oktroyierten De- allowed to make for itself the government mokratie, am Überstülpen der eigenen Traditionen. which suits its history, its character, its ide- Der nationale Charakter der Deutschen als die 194 als.“ Wurzel allen Übels – zugleich der Glaube, dass nur Jahre zuvor war in der englischen Außenpolitik das eine Erziehung zur Selbsterziehung dieser Wurzel Paradigma der Nicht-Einmischung in die inneren das Gift entziehen könne. All diese Argumente Angelegenheiten eines Landes formuliert wor- lagen bereits vor, als der Zweite Weltkrieg den den.195 Diskurs zum Umgang mit dem deutschen Volk neu Diese Haltung setzte sich schließlich durch gegen entfachte. Demnach mussten die mit dem Thema die Idee des erzieherischen Einwirkens. Deutsch- befassten Beamten und Offiziere keineswegs im- lands „Erziehung“ beschränkte sich auf die militäri- provisieren. Sie konnten an den vor mehr als zwan- schen Niederlage und die bittere „Strafe“ des Ver- zig Jahren gesponnenen Faden anknüpfen. sailler Friedensvertrages. Mit einem gewissen Dabei standen die britischen Besatzer 1945 vor Fatalismus betrachtete man die Deutschen weiter einer anderen Situation als die Sieger von 1918. als unverbesserliche Kriegstreiber mit Rachegelüs- Trotz der Niederlage war das Deutsche Reich nach ten: „If the Germans were to be given an army dem Ersten Weltkrieg ein souveräner Staat geblie- tomorrow, [...] they would immediately begin a war ben. Die deutsche Bevölkerung zu einer demokrati- of revenge.“196 Das Bedürfnis nach langfristiger schen Gesinnung erziehen zu wollen war gegens- Sicherheit vom deutschen Aggressor war durch den tandslose Gedankenspielerei geblieben. Ganz diplomatischen Abschluss des Ersten Weltkriegs in anders war die Lage 1945, wo die Alliierten die Versailles nicht befriedigt. Es war offenkundig, bedingungslose Kapitulation erzwungen hatten. Die dass die Chance nicht genutzt worden war, die Staatsgewalt, die Medien und das Erziehungswe- Deutschen von ihrem fatalen Sonderweg abzubrin- sen, alle gesellschaftlich relevanten Einrichtungen gen. Ein Versäumnis, das manchen in England mit waren auf die Besatzer übergegangen. Der Ausgang düsteren Vorahnungen erfüllte: des Zweiten Weltkriegs sollte dem Umerziehungs- „I am steadily coming to the conviction that the gedanken jene Entfaltungsfreiheit eröffnen, die whole Treaty and the whole spirit in which it nach dem Ersten Weltkrieg in weiter Ferne gelegen was conceived was one vast error. If our policy hatte. was to reform Germany and to mould it in to our own views, we ought to have struck while 2.2. Appeasement, Aggression, the iron was hot – i.e. at the moment of the Propaganda – vom Dogmenstreit zur 197 Armistice.“ Konsensformel Seit Versailles waren die Fronten so verhärtet, dass Ambivalenz und Misstrauen waren die Hauptwe- der Gedanke einer Umerziehung der deutschen senszüge des britischen Deutschlandbildes während Bevölkerung in weite Ferne gerückt war. Bis zum der Weimarer Republik. Zwar war mit der territori- nächsten Krieg sollten sich die britisch-deutschen alen, militärischen und wirtschaftlichen Beschnei- Beziehungen zwischen den Koordinaten von dung durch die Siegermächte das Deutsche Reich Kriegsschuldfrage und Versöhnung, von Aufrüs- nach 1918 erst einmal seines Drohpotenzials be- tung und Appeasement bewegen. Doch auch wenn raubt. Zudem hatte die Ablösung der wilhelmini- die Überlegungen zum deutschen Nationalgeist schen Elite eine parlamentarisch legitimierte Regie- eher eine Fußnote des Ersten Weltkriegs darstellen, rung an die Macht gebracht. Jedoch blieben Zweifel so ist es doch frappierend, in welcher Klarheit zahl- an der Durchsetzungsfähigkeit der Weimarer Ord- reiche Argumente der späteren Re-education- nung gegenüber den restaurativen Gegenkräften aus Debatte durchformuliert waren. Die unverbesserli- dem alten preußisch-deutschen Lager.198 Mit der chen Deutschen mit ihrem Hang zu Militarismus Machtergreifung Hitlers sahen sich die Zweifler und Obrigkeitsglaube – demgegenüber das ausge- bestätigt, die Weimarer Republik war endgültig prägte britische Sicherheitsbedürfnis. Die Forde- diskreditiert. rung nach einer Demokratisierung Deutschlands –

194 A.J. Balfour in: The Times, 17.11.1917. 198 Vgl. Marie-Luise Recker: Demokratische Neuord- 195 Vgl. Wilson: Great War Prologue, S. 45 ff. nung oder „Prussianism“ im neuen Gewand? Großbritan- 196 A.J. Balfour in einer Kabinettssitzung vom nien und die Weimarer Republik. In: Adolf M. Bir- 01.06.1919, zitiert nach Wilson: Great War Prologue, ke/Marie-Luise Recker (Hrsg.): Das gestörte S. 51. Gleichgewicht. Deutschland als Problem britischer Si- 197 George Saunders, Korrespondent der Times, 1920 in cherheit im 19. und 20. Jahrhundert. München, London, einem Brief an seinen Herausgeber, zitiert nach Wilson: New York und Paris 1990 (Prinz-Albert-Studien, Bd. 8), Great War Prologue, S. 53. S. 97 ff.

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Das schwindelerregende Tempo, mit dem Hitler einem Betriebsunfall der Geschichte auszugehen – nach 1933 Deutschland gleichschaltete, remilitari- Vansittart charakterisierte dies als „theory of acci- sierte und fanatisierte, weckte in der britischen dent“, die der „doctrine of appeasement“ zugrunde- Öffentlichkeit Ahnungen von einer Wiederkehr des lag202 – ignoriere glattweg die historische Tatsache, deutschen Alptraums. Die Stimmung in Großbri- dass die Deutschen seit Generationen unter wech- tannien steigerte sich in den dreißiger Jahren von selnden Führern mit allen Mitteln ihren Weltmacht- einem unbehaglichen Déjà-Vu zur offenen Alar- fantasien nachjagten: miertheit. Die Politik reagierte mit einer inkonse- „Let us make no further mistake about it, we are quenten Mischung aus Aufrüstung und Beschwich- fighting the German Army, and the German tigung (Appeasement),199 letztere gipfelnd im people on whom the Army is based. We are Münchner Abkommen (30.09.1938). Bald aber fighting the real and not the ‚accidental‘ Ger- schlug das Pendel um. Die Garantieerklärung zu- many. That the real Germany contains many gunsten der polnischen Regierung (31.03.1939), die good individual Germans is, of course, incon- Kriegserklärung (03.09.1939) und die Ablösung testable. The trouble is that they are never there des Premiers Chamberlain durch den Hardliner on The Day.“203 Churchill (10.05.1940) zementierten eine kompro- Im Kriegsverlauf sah sich Vansittart in seinen The- misslose Haltung gegenüber dem alten und neuen sen keineswegs widerlegt. „The Nature of the Be- Feind. In diesem Geist verhandelte Churchill auf ast“ hieß eine seiner Propagandaschriften für das den Konferenzen von Casablanca, Teheran und Foreign Office, wo er, wieder historisch argumen- Jalta, in diesem Geist beharrte er auf der Formel tierend, die mentale Dimension des Kampfes klar- des „unconditional surrender“. stellte: „We are fighting the character of the Ger- Parallel zur Eskalation auf der politisch- man people.“204 Die Deutschen waren für ihn militärischen Ebene entbrannte in Großbritannien verbohrte Nationalisten und notorische Kriegstrei- der alte Streit um das Wesen der Deutschen, und ber qua natura. „The vicious and guilty German wie ihnen am besten beizukommen sei. Am einen race“.205 Für solche Vulgärpolemiken handelte sich Ende der Debatte standen die Fundamentalisten200 Vansittart bei seinen Gegnern den Vorwurf des um ihre Gallionsfigur, den wortgewaltigen Chief Rassismus ein. Dagegen ist einzuwenden, dass er Diplomatic Adviser aus dem Foreign Office, Ro- weder systematisch die Überlegenheit der „briti- bert Vansittart.201 Seine Auffassungen waren prä- schen Rasse“ postulierte noch dieser ein Unterwer- gend für eine ganze Generation von Mitarbeitern fungsrecht den Deutschen gegenüber anmaßte. des Außenministeriums und über seine Demission Ebenso wenig hielt Vansittart den deutschen Natio- 1937 hinaus blieb er in der britischen Außenpolitik nalcharakter für unveränderbar. In seinem „Black außerordentlich einflussreich. Für die lavierende Record“, einer reißerischen Rundfunk- Differenzierungsrethorik der Appeasement- Propagandasendung während der Battle of Britain, Fraktion hatte er nur Verachtung übrig. Die Unter- fehlte nicht der Hinweis: „Without a fundamental scheidung zwischen der verbrecherischen Hitler- change of soul no other cure, no mere administrati- Clique und einem schuldlosen deutschen Volk ve or technical tinkering can be permanent.“206 Mit stand in krassem Gegensatz zu seiner Überzeugung, seinen verbalen Attacken ging es Vansittart darum dass Hitler als übelste Ausgeburt aus der Mitte zu verhindern, dass mit Deutschland ein lauer eines zutiefst verdorbenen Volkes von Größen- Kompromissfriede geschlossen wurde, der eine wahnsinnigen hervorgegangen war. Von Hitler als Entmilitarisierung und den „change of soul“ aufs neue unmöglich machen würde.207 Obwohl den Beamten im Foreign Office seine 199 Vgl. Birke/Recker: Das gestörte Gleichgewicht, S. 9.; rhetorischen Volten mitunter peinlich waren, teilten Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, S. 49. 200 Den Begriff verwendet Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, S. 12. 202 So die Wortwahl in seinem Memorandum „The Ori- 201 Vgl. Später: Britische Debatten über Deutsche und gins of Germany’s Fifth War“ vom 08.11.1939, PRO, FO Nazis. Zu Vansittarts Rolle in der Re-education- 371, 22986. Diskussion vgl. Lothar Kettenacker: The Planning of 203 Ebd. „Re-Education“ During the Second World War. In: 204 Robert Vansittart: The Nature of the Beast, PRO, FO Nicholas Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Re- 371, 24389. Education of Germany and her Allies. London und Sid- 205 So Vansittart bei einer Debatte im englischen Ober- ney 1985, S. 60 ff.; Barbara Marshall: British Democrati- haus im Mai 1942, zitiert nach Welch: Priming the Pump, sation Policy in Germany. In: Ian Turner (Hrsg.): Recon- S. 216. struction in Post-War Germany. British Occupation 206 Vansittart: Black Record, S. 54. Policy and the Western Zones 1945-55. Oxford, New 207 Vgl. Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, York und Munich 1989, S. 189 ff. S. 62.

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sie Vansittarts Frontstellung gegen den deutschen Von seiner Herkunft her war dieser der alten dip- Volkscharakter: lomatischen Schule verbunden, und er hielt nichts „The German people have a very definitive vice von vulgärpsychologischen Pauschalismen über die of choosing vicious leaders and of following Seele eines Volkes. Er war überzeugt, Hitler am them both willingly and blindly. It is really im- Verhandlungstisch zum Einlenken zu bringen, und possible to maintain that the German people are so präsentierte er das Münchner Abkommen vom being governed by a small minority against September 1939 der britischen Öffentlichkeit tri- their will.“208 umphierend als Beweis. Zwei Jahre zuvor hatte Ebenso unterstützten sie den Kreuzzug gegen die Chamberlain dem Querschießen aus dem Foreign Appeasement-Strategie in der Überzeugung, dass Office einen Riegel vorzuschieben versucht, indem nur eine totale Niederlage die Deutschen von ihren er Vansittart als Unterstaatssekretär ersetzt und pathologischen Traditionen befreien konnte: einige seiner Anhänger („Van’s Boys“) kaltstellen ließ.211 Als jedoch im Laufe des Jahres 1939 Hitler “The first essential ingredient is a complete de- feat of Germany, or a complete collapse, which immer rücksichtsloser agierte, wechselte der Pre- may bring home to yet one more generation of mier den Kurs und erklärte Deutschland nach dem Germans that Prussianism or Hitlerism organis- Überfall auf Polen den Krieg. Gleichzeitig aber ing for periodical war is neither a pleasant nor a machte er klar, dass es ein Krieg gegen Hitler und profitable system.“209 seine Nazi-Kamarilla war, nicht jedoch gegen das deutsche Volk: „We have no quarrel with the Ger- So radikal diese Auffassungen für britische Ver- man people except that they allow themselves to be hältnisse schienen, fanden sie doch in der britischen governed by a Nazi government.“212 Chamberlain Öffentlichkeit und der Regierung Widerhall. Der distanzierte sich von einer pauschalisierenden Ver- Vansittartismus legitimierte einen aggressiven urteilung der Deutschen. In der Anfangszeit des Propagandastil, der nicht zwischen deutschem Volk Krieges, als man sich über die Beschaulichkeit und Naziführung differenzierte, wie ein Mitarbeiter eines Sitzkrieges, des „phoney war“, wunderte und des Foreign Office 1943 ausführte: auf einen Staatsstreich des als reformoffen gelten- „Any discussion of it would arouse the wrath of den Göring hoffen wollte, waren solche Auffassun- Lord Vansittart and his followers and the suspi- gen in linksliberalen Kreisen verbreitet. So kam auf cion of our European Allies. [...] In the past we Chamberlains Rede aus dem Labour-Lager Zu- have for this reason avoided making any clear- stimmung: „We shall enter this struggle without cut distinctions.“210 passion against people.“213 Der Kampf um die öf- Zudem diente die These von den kriegsbesessenen fentliche Meinung und um die Haltung gegenüber Deutschen dem Ziel der bedingungslosen Kapitula- den deutschen Gegnern war noch offen. Als aller- tion. Schließlich gab das Erklärungsmodell des dings die Wehrmacht in Europa ein Land nach dem deformierten deutschen Nationalcharakters eine anderen niederrollte, als man sich in Großbritan- Vorlage für das Programm der späteren Besat- nien bedrohlich der deutschen Kriegsmaschine zungspolitik – die Notwendigkeit eines, in Vansit- ausgeliefert sah, fielen die Einfühlungspostulate der tarts Worten, „fundamental change of soul“, einer Appeasement-Fraktion in sich zusammen. Der Neuausrichtung der deutschen Seele, letzten Endes: Feind, das waren die Deutschen, mit einem gefähr- der Umerziehung. lichen Hitler als Führer eines gefährlichen Volkes. Auf der anderen Seite des Spektrums standen Van- Mit Churchill und der Battle of Britain von 1940 sittarts natürliche Feinde, die Appeasement- hatte der Glaube an das gute Deutschland ausge- Politiker um Premierminister Neville Chamberlain. spielt. Chamberlains Bestreben, die Außenpolitik an den klassischen Paradigmen der Diplomatie 208 Orme Sargent (Foreign Office, London) zu einem auszurichten, war gescheitert. Statt dessen hatte Berichtentwurf über eine diplomatische Mission nach eine neue Denkschule Fuß gefasst, die in den Kate- Berlin 1939, PRO, FO 371, 22984. gorien von Propaganda und psychologischer 209 Vansittarts Kollege Cardogan, PRO, FO 371, 22986, Kriegsführung argumentierte, die über Konferenz- zitiert nach Kettenacker: The Planning of „Re- räume und Verhandlungstische hinausdachte und Education“, S. 61. den ganzen Charakter einer Nation infrage stellte. 210 PRO, FO 371, 30958, zitiert nach Günter Pakschies: Re-education und die Vorbereitung der britischen Bil- dungspolitik während des Zweiten Weltkriegs. In: Man- 211 Zu den Machtkämpfen zwischen Regierung und fred Heinemann (Hrsg.): Umerziehung und Aufbau. Die Foreign Office in der Zwischenkriegszeit vgl. Pronay: Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Deutschland ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, S. 15 ff. und Österreich. Stuttgart 1981 (Veröffentlichungen der 212 Neville Chamberlain am 01.09.1939, zitiert nach Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, S. 3. Erziehungswissenschaft, Bd. 5), S. 105. 213 Ebd., S. 77.

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Doch als der Kriegsverlauf die Diskussion über 1944: „To give up control of Political Warfare eine praktikable Nachkriegspolitik gegenüber would mean to cease being Foreign Secretary.“217 Deutschland nahe legte, verlor Vansittart mit seinen Auch Churchill war ein Anhänger des Propaganda- Tiraden an Einfluss.214 Eine dritte Lesart des „deut- Krieges. Es konnte also keinen günstigeren Zeit- schen Problems“ trat auf den Plan. punkt geben, um die Kompetenz für die Nach- Beide Pole des Paradigmenstreits – der soziokultu- kriegsplanung für die PWE zu reklamieren und die relle Fatalismus Vansittarts und der Verhandlungs- Veränderung der deutschen Volksseele als wich- optimismus der Appeaser – waren zwanzig Jahre tigstes Projekt auf die Agenda zu heben. zuvor bereits weitgehend ausformuliert. Schon Damit schloss sich der Kreis, den die Diskussion damals war im Foreign Office der Vorschlag aufge- über das deutsche Volk seit dem Ersten Weltkrieg taucht, Deutschland von innen her zu demokratisie- beschrieben hatte. War schon 1918 das Unbehagen ren. Die Idee kam aus dem Political Intelligence am deutschen Wesen formuliert worden, so fehlte Department, zuständig für Propaganda und Kriegs- zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien der Wille, diplomatie. Dieses war die Keimzelle für die Füh- daraus ein außenpolitisches Programm zu machen. rungselite im Foreign Office zwanzig Jahre später, Als Deutschland im Zweiten Weltkrieg zum Wie- da das Personal und die Auffassungen der jugendli- derholungstäter wurde und sich die Appeasement- chen Mitglieder des damaligen PID in die neue Diplomatie erschöpft hatte, gab es keine Bedenken Political Warfare Executive (PWE) überging.215 mehr. Die psychologische Kriegsführung hatte sich Einer von denen, die das Foreign Office verließen im Kampf mit Goebbels’ Propaganda-Maschine und gleichwohl ihren Einfluss in der Diskussion bewährt, sodass ihr Ausgreifen auf die Planung für geltend machten, war Edward H. Carr. Er wusste Nachkriegsdeutschland auf keine Einwände stieß. um die Versäumnisse nach dem Ersten Weltkrieg, Die Denktradition Vansittarts und die progressive und er war der Überzeugung, dass man sich einen Schule der Propagandisten konvergierten in der solchen Fehler nicht noch einmal gestatten durfte: Ausarbeitung der britische Besatzungspolitik. Der „The next peace conference if it is not to repeat Weg war frei für die Re-education. the fiasco of the last will have to concern itself with issues more fundamental than the drawing 3. Das Konzept der Re-education of frontiers.“216 Obwohl der Plan, die Deutschen umzuerziehen, bis Carr war den Ansichten Vansittarts nicht abgeneigt. Kriegsende in der britischen Öffentlichkeit salonfä- Was ihn unterschied, war die Schlussfolgerung aus hig geworden war und von vielen Politikern im dem pessimistischen Deutschlandbild. Es ging ihm Mund geführt wurde, blieb er ein interpretierbares nicht darum, neue Grenzen zu ziehen, den Deut- Konstrukt. Das lag zum einen daran, dass nicht eine schen Repressalien aufzuerlegen, sie militärisch Institution zentralistisch damit befasst war, sondern und materiell zu kastrieren oder ihnen die Mitspra- eine Vielzahl an Gremien, Behörden und Abteilun- che an ihrem eigenen Schicksal zu verweigern. Das gen daran arbeiteten. Zum anderen war die Politik Ziel war radikaler: die Deutschen in ihrem Inneren der britischen Besatzung durch externe Faktoren in zu verändern, auf ihre mentale Grundverfassung Deutschland mitbestimmt, die permanent zu An- einzuwirken und ihnen mit psychologischen Mit- passungen Anlass gaben. Ein Beharren auf den teln den zerstörerischen Impetus auszutreiben. Zur Buchstaben von Verordnungen oder Memoranden Speerspitze dafür machte sich die Abteilung für wäre kontraproduktiv gewesen und entsprach nicht psychologische Kriegsführung (PWE), was kein der Mentalität der Briten. Trotz alledem lassen sich Zufall war, da diese sich auf die Beeinflussung der einige Rahmenaspekte erkennen, innerhalb derer gegnerischen Psyche spezialisiert hatte. „The chan- das Konzept der Re-education umgesetzt wurde. ging of Germany“ war bereits 1918 ein Anliegen der Vorläuferinstitution des Political Intelligence Department gewesen. 3.1. Legitimationsstrategien Zu diesem Zeitpunkt hatte in Großbritannien der Der Plan, das deutsche Volk in seinem Grundcha- Glaube an Propaganda und psychologische Kriegs- rakter zu ändern und zu einem neuen Gemeinwesen führung einen Höhepunkt erreicht. So erklärte Au- zu erziehen, war ohne Beispiel. Wie konnte sich ßenminister Anthony Eden, ursprünglich ein Ver- eine Siegermacht anmaßen, den Verlierer nicht nur treter klassischer Protestnoten-Diplomatie, im Juni maßregeln, sondern zum Parteigänger der eigenen Werte machen zu wollen? Woher nahm die Besat- zungsmacht das Selbstverständnis, die westliche 214 Vgl. Welch: Priming the Pump, S. 216 f. 215 Zu dieser „continuity in personnel and views“ vgl. Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, S. 16. 217 Zitiert nach Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradi- 216 Edward H. Carr: The Twenty Years Crisis. London tion‛, S. 22. Die Briten meinten mit „political warfare“ 1939, S. 9. die psychologische Kriegsführung.

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Demokratie gegenüber einer andersartigen politi- forth such powerful reactions, as this word ‚re- schen Kultur so zu überhöhen, dass als Lösung nur education‘.“221 die Bekehrung der Unterlegenen blieb? Wie konnte Die Reaktionen der Deutschen auf das mit Ent- ein Land mit einem liberalen Kulturbegriff wie mündigung konnotierte Wort reichten bis zur offe- Großbritannien dem deutschen Volk ein Konzept nen Verweigerung. Diesen Trotzmechanismus auf verordnen, dass Züge von Kulturimperialismus Seiten der Bevölkerung erläuterte im April 1947 trug? Das Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945 der Autor Georg Alexander: erklärte zwar: „Umerziehung – das hat den üblen Beige- „Das Erziehungswesen in Deutschland muß so schmack von Schulmeisterei, und dies hat zur überwacht werden, daß die nazistischen und mi- Folge, dass das pädagogische Objekt sich von litaristischen Lehren völlig entfernt werden und vornherein dem Nachdenken darüber ver- eine erfolgreiche Entwicklung der demokrati- schließt, ob und wieweit die Absicht dem eige- schen Ideen möglich gemacht wird.“218 nen Nutzen entspricht [...]. Es ist dahin gekom- Dies war eine erste Grundlage, aber noch kein men, dass die deutsche Fragestellung nicht Konzept (das auf gesamtalliierter Ebene niemals mehr lautet: Was haben wir im eigenen nationa- nachgereicht wurde). So blieb der Weg zur „Ent- len Interesse zu tun? Sondern: mit welchem wicklung der demokratischen Ideen“ offen, und die Recht maßen sich die Alliierten eine Umerzie- Besatzungsmächte beschritten ihn in unterschiedli- hung an? Da diese Frage nach der Legitimation che Richtungen. des pädagogischen Auftrags aus mannigfachen Gründen verneint wird, sind gleichzeitig die Die Briten hatten sich für Re-education entschie- Quellen, aus denen die Kräfte zu einer geistigen den. Wie schwer sie sich mit den darin angelegten und sittlichen Regeneration unseres Volkes Paradoxien tat, zeigt die Kontroverse um den Beg- fließen könnten, verschüttet.“222 riff, der seit Ende 1942 in offiziellen britischen Für die britischen Besatzungskräfte in Deutschland Dokumenten geläufig wurde.219 Nicht selten tauch- war dies ein fataler Umstand, waren sie doch mit te er auf in Zusammenhang mit Grundparadigmen Blick auf die „indirect rule“ auf eine kooperations- der Nachkriegspolitik wie der Entnazifizierung und bereite Bevölkerung angewiesen: Entmilitarisierung. Dadurch war der Begriff zu- nächst negativ besetzt, da er als Prämisse die totale „No nation with any self-respect will willingly Niederlage als erste Erziehungslektion voraussetz- accept the word of an Occupying Power, par- 220 ticularly when this Power is concerned not only te. Größere Probleme mit dem Wort Re- with teaching a new way of life, but also with education entwickelten später die Mitglieder der condemning much that forms part of the indi- Control Commission – genauer gesagt: der Educa- vidual German’s heritage.“223 tion Branch – in der britischen Zone. An der Ziel- setzung einer erzieherischen Heranführung der Ein Begleitmakel der Besatzungszeit schlug mehr Deutschen an die Demokratie gab es zwar keinen und mehr durch: die Kluft zwischen den Schreib- Dissens. Doch ihre tägliche Arbeit am deutschen tischplanungen der Londoner Behörden und den Bildungswesen konfrontierte sie mit der Problema- divergierenden Wirklichkeiten, mit denen die aus- tik des Re-education-Begriffs: führenden Stellen in der Besatzungszone zu kämp- fen hatten. Im Foreign Office galt noch im April „We are all agreed that re-education is one of 1948 der undifferenzierte Sprachgebrauch: „The re- the chief objects of our occupation. It must be education of the Germans – this task remains of the remembered however, that there is no word the 224 Germans, even the most friendly Germans, de- utmost importance.“ In der Sache gab es darüber test so much and none which is liable to call

221 M. Crawford (Head of German Education Depart- ment): Juli 1948, PRO, FO 371, 70713. 222 Georg Alexander: Re-education. In: Denkendes Volk. 218 Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945, III.A.7, Blätter für Selbstbesinnung. Organ der Volkshochschul- abgedr. in: Dokumentation zur Deutschland-frage, S. 38. bewegung (hrsg. v. Adolf Grimme), Jg. 1947, S. 131 f. 219 Ob der Begriff erstmals von Vansittart oder einem Vgl. Rolf Lutzebäck: Die Bildungspolitik der Britischen seiner Leute verwendet wurde, wie Balfour vermutet (In Militärregierung im Spannungsfeld zwischen „education“ Retrospect, S. 140), ist allerdings fraglich. In der öffent- und „reeducation“ in ihrer Besatzungszone, insbesondere lichen Diskussion tauchte Re-education sowohl in den in Schleswig-Holstein und Hamburg in den Jahren 1945- USA als auch in Großbritannien bereits 1940 auf, vgl. 47. Frankfurt am Main 1991 (Europäische Hochschul- Pakschies: Re-education und die Vorbereitung der briti- schriften, Reihe 11), S. 20 f. schen Bildungspolitik, S. 103. 223 So eine Note der PR/ISC, PRO, FO 1056, 93. 220 Vgl. Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, 224 Schreiben des Chancellor of the Duchy of Lancaster, S. 63. Lord Pakenham, 06.04.1948, PRO, FO 371, 70704.

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keinen Dissens, doch die Education Branch sah tigsten Posten im Kultur- und Erziehungsbereich durch solche Äußerungen nicht nur ihre Arbeit der Control Commission – und gebrauchte von da gefährdet, sondern auch ihr Selbstverständnis infra- ab den Begriff Re-education überhaupt nicht mehr. ge gestellt: Im Rückblick ließ er an seiner Haltung keinen “We detest the word re-education as much as Zweifel: „There was coined this horrible word ‚re- 230 the Germans. This is an Education Branch, not a education‘ to express our policy in Germany.“ ‚Re-education Branch‘, and that word has never Schnell war ihm der innere Widerspruch darin klar been used in our directives.“225 geworden, die Menschen per Dekret und Schul- Exemplarisch für das wachsende Unbehagen am buchlektionen zur Ausübung freien demokratischen Re-education-Begriff steht Robert Birley, seit April Willens anzuhalten: „It was quite clear that to force educational changes on the German people would 1947 Educational Advisor des Militärgouverneurs 231 Brian Robertson. In der Euphorie des VE-Day be wholly contradictory to that aim.“ Der Hal- („Victory in Europe“) am 08.05.1945 erschien in tungswandel Birleys charakterisiert die schwinden- der „Times“ ein von pädagogischem Sendungsbe- de Bereitschaft der britischen Besatzer, sich mit dem zunehmend als Reizwort empfundenen Begriff wusstsein durchdrungener Leserbrief des damaligen 232 Londoner Headmaster of Charterhouse. Unter dem Re-education zu identifizieren. Titel „Re-educating Germany“ postulierte Birley Dennoch blieb das Motto der politischen Umerzie- die Umerziehung der Deutschen nicht nur als das hung der Deutschen in der britischen Öffentlichkeit Recht der Alliierten, sondern als ihre Pflicht. Auf- populär. Für Michael Balfour, eine der einfluss- gabe der Re-education sei es, der deutschen Bevöl- reichsten Gestalten der britischen Nachkriegspolitik kerung Sinn für politische Verantwortung beizu- in Deutschland u.a. als Direktor der Information bringen, auf der Grundlage ihrer eigenen liberalen Services, hatte das seine Berechtigung: „I cannot Traditionen. Außerdem hätten sie zu lernen „to think of any other phrase which so aptly described accept the Czechs and Poles as peoples with cul- what the public wanted.“233 Die britische Öffent- tures and traditions of their own.“226 Nachdem er lichkeit wollte vor allem eines: keinen weiteren im Herbst 1946 die britische Besatzungszone be- Krieg mit Deutschland. Und das Konzept der Re- reist und dort ein Bild der Schwierigkeiten bekom- education vermochte die Mehrheit des britischen men hatte, die ein pauschalisierendes Umerzie- Volkes hinter sich zu sammeln. Die Ambivalenz, hungsdiktat Besetzten wie Besatzern auferlegte, sah die dem Begriff innewohnte, hielt Balfour für seine er sich zu einer Differenzierung seines pädagogi- Stärke: schen Eifers genötigt. Statt abstoßender deutscher „I suggest its ambiguity was a considerable ad- Hybris dominierte der Eindruck mentaler Verwüs- vantage. It was acceptable to the British hawks tung: „The general picture one obtains of the Brit- even if not to the lunatic fringe. Nobody knew ish Zone today is of a country intellectually and precisely what it meant or how it was to be car- culturally starved.“227 Die Notwendigkeit einer ried out. […] In the meantime it provided cover grundlegenden Umerziehung sah er nur noch bei behind which those who recognised its short- den unverbesserlichen Nazis: comings could get ahead with operational plan- 234 „Informal Education [...] might become a means ning.“ of doing something to re-educate the many Diese Dehnbarkeit erlaubte es den Planern in Lon- thousands deeply tainted with Nazi ideol- don wie den Besatzern in der Zone, in ihrer Besat- ogy.“228 zungspolitik immer wieder Kurskorrekturen vorzu- Im März 1947 ging Birley für mehr als zwei Jahre nehmen, ohne jedes Mal die Legitimationsfrage in die britische Zone, wo sich dieser Eindruck ver- abarbeiten zu müssen. In einer chaotischen Situati- festigte: „I think we realised that not all Germans on wie 1945 erwies sich solches für die britische had been Nazis, but only a minority of them.“229 Besatzungspolitik als Vorteil. Es lag in der proble- Als Educational Advisor bekleidete er den wich- matischen Natur des Sieger-Verlierer-Verhältnis- ses, dass der operative Nutzen auf der britischen Seite einen psychologischen Affront auf der deut- 225 Memorandum der Education Branch, H. Walker, schen Seite nach sich zog: August 1948, PRO, FO 371, 70713. 226 Robert Birley: Re-educating Germany. Letter to the Editor in: The Times, 08.05.1945, Letter to the Editor. 227 Ders.: Memorandum 20.12.1946, PRO, FO 371, 230 Ebd., S. 46. 64386. 231 Ebd., S. 52. 228 Ebd. 232 Vgl. Jürgensen: Elemente britischer Deutschlandpoli- 229 Ders.: British Policy in Retrospect. In: Arthur tik, S. 126 f. Hearnden (Hrsg.): The British in Germany. Educational 233 Balfour: In Retrospect, S. 141. Reconstruction after 1945. London 1978, S. 55. 234 Ebd., S. 140 f.

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„Public attitudes in Britain made the use of fluch der kollektiven Schuld an schwersten Völker- some such phrase indispensable: public atti- verbrechen zu verhängen – ein Widerspruch, der tudes in Germany meant that its use was bound selbst die „noble and inspiring Germans“239 zu ver- 235 to give offence.“ prellen drohte, die für den Wiederaufbau gebraucht Tatsächlich vollzog sich unter dem Dachbegriff der wurden. Da schien es zweckmäßig, mit einer se- Re-education ein Wandel in der Einstellung zu den mantischen Verschiebung den Akzent von der kol- Deutschen. Bereits während des Krieges verwischte lektiven Schuld weg auf eine konstruktivere kollek- sich die Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und tive Verantwortung hin zu lenken. Die Folgen von „Nazis“: Versailles hatten gezeigt, welche negativen Kräfte „At present, events show that the German peo- eine auftrumpfende Siegermoral freisetzen konnte: ple is in fact indentifying itself with its Gov- „It will remain (in German eyes) merely the kind ernment and it is therefore useless to try to of settlement which the victorious side imposes make a non-existent distinction.“236 by force of arms at the end of the war.“240 Zunehmend folgte die offizielle britische Politik – Als die Public Relations and Information Services geprägt von den Thesen Vansittarts, schockiert von Control (PR/ISC) ihre Arbeit aufnahm, hatte in den Meldungen über den KZ-Komplex – einer ihrer ersten Direktive die Sprachregelung bezüglich harten Linie, die von der Kollektivschuld aller der Nazi-Verbrechen schon den Begriff der Ver- Deutschen ausging. Eine differenzierende Ausei- antwortung verankert: “The moral responsibility for nandersetzung fand nicht mehr statt, wie Richard these crimes must be laid wholly and solely on the Crossman, der Chef der Psychological Warfare German nation.“241 Der Wechsel von Schuld zur Division (PWD), bemerkte: Verantwortung verlief im Einklang mit der auf die „We should seek to destroy National Socialism, Kooperation mit den Deutschen angewiesenen but we would assume that the mass of the peo- Strategie der Re-education. ple would be glad to be rid of it. […] Now all Bevor die Zonenverwaltung in Kraft trat, herrschte Germans are to be regarded as potentially dan- die Vorstellung, in Deutschland von einer mentalen 237 gerous, as sharing in guilt, as a people apart.“ Stunde Null auszugehen. Der Krieg hatte den phy- Die Mobilisierung der Schuldfrage schien der sischen Teil erledigt, nun ging es darum, die Köpfe Schlüssel, um das Konzept der Re-education im der Deutschen leerzuräumen, um darin die Keime Rahmen der Besatzungspolitik zu sanktionieren. der Demokratie einzupflanzen. Die Kollektiv- Wenn alle Deutschen die Schuld des Nationalsozia- schuldthese legitimierte die Re-education dazu, den lismus teilten, so mussten eben alle erzieherisch Ballast der deutschen Tradition über Bord zu wer- behandelt werden. Doch bald stellten sich Zweifel fen: „What we are going to do is to stamp out the über die Kollektivschuldthese ein. Sie kamen vor whole tradition on which the German nation has allem von der britischen Linken, in deren Theorie been built.“242 Diese radikale Forderung kollidierte des „anderen Deutschland“ eine schweigende Min- mit der Hochachtung, die in Großbritannien den derheit den militaristischen Kräften der Nazis aus- deutschen Kulturleistungen entgegengebracht wur- geliefert waren. Darin sah z.B. der Labour-Politiker de. So nannte Robert Birley den Deutschen Wil- Victor Gollancz keine deutsche Schuld, wohl aber helm von Humboldt eine Verantwortung für das eigene Schicksal: „the greatest figure in the history of modern „Unless the German people themselves over- Education. To him more than to anyone else, is throw their militarists, junkers and industrialists due belief in the world of our time that Educati- by means of a democratic [...] revolution, the on is one of the great forces of human socie- terrible lesson of the past will be repeated.“238 ty.“243 Zum Dilemma wurde das Schuldargument nach der Umerziehung in einem Land, das auf einer jahr- Kapitulation in der britischen Zone. Weder den hundertealten kulturellen, christlich-humanistischen eigenen Truppen noch den Deutschen war es ver- mittelbar, einerseits Kooperation im Sinne der „indirect rule“ anzustreben, andererseits den Bann- 239 Der Begriff stammt aus einem PWD-Papier vom 21.04.1945, PRO, FO 371, 46894. 235 Ebd., S. 141. 240 So Michael Balfour in dem Papier „German guilt – to 236 Wellington to Nichols, BBC Archives, zitiert nach plug or not to plug“, PRO, FO 1056, 22. Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, S. 62. 241 Direktive 12.05.1945, PRO, FO 1005, 739 237 Richard Crossman in einer Note vom 20.12.1944, 242 So J.M Troutbeck, der aus der Zwischenkriegsära des PRO, FO 371, 46729. Foreign Office und dem Vansittart-Umfeld kam und 238 Victor Gollancz: Shall Our Children Live or Die? A später den Vorsitz des Joint Committee innehatte, PRO, Reply to Lord Vansittart on the German Problem. Lon- FO 371, 39093. don, 4. Impr. 1942, S. 33. 243 Robert Birley, 13.09.1948, PRO, FO 371, 70714.

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Tradition fußte – dieses Paradox suchten die Besat- die Welt vor Deutschland sicher sein: „By the grace zer aufzulösen, indem sie den Rückgriff auf diese of God and for the salvation of man, we shall res- Tradition zum Bestandteil der Re-education dekla- cue the world from Germany, and Germany from rierten. herself.“246 Nach dem Krieg den Frieden in Europa Auffällig ist, dass bei der Problematik des Re- dauerhaft gewinnen, dies war über alle Diskussio- education-Konzepts ein naheliegendes Argument nen hinweg das Leitmotiv der britischen Besat- niemals ins Feld geführt worden ist: das Argument zungspolitik. Das Verlangen nach Vergeltung und der Humanität. Nichts wäre leichter gewesen, als Bestrafung, wie es sich auf amerikanischer Seite im die Umerziehung als die menschenfreundlichste Morgenthau-Plan, auf sowjetischer in der Praxis Lösung des deutschen Problems darzustellen. Die der De-Industrialisierung niederschlug, war auch in Alternativen lauteten De-Industrialisierung, Agrari- Großbritannien angesichts von mehr als 320.000 sierung, Deportation, Vernichtung der staatlichen militärischen und 40.000 zivilen Kriegstoten ein Existenz – und demgegenüber Re-education als das machtvoller Impuls. Dagegen überwog jedoch die Heranführen an Demokratie und die Wiederein- Befürchtung, den Versailles-Effekt zu reproduzie- gliederung in die europäische Völkerfamilie! Doch ren und erneut die eigene Sicherheit aufs Spiel zu dies entsprach nicht der Motivlage der Briten. Für setzen. Die Kosten der Rache hatten sich als zu sie war Re-education kein Wohlfahrtsprogramm, hoch erwiesen, sodass Anfang 1945 das Foreign sondern ein Konzept zur Lösung der deutschen Office die Empfehlung aussprach: Frage. Der Angriff auf das politische Denken, auf „We should concentrate on what is necessary die Geistesstruktur der Deutschen schien ihnen for our own security remembering that the pur- langfristig effektiver als physische Strafen, als pose of peace, as of the war, is not to punish the Demontagen oder Dezimierung. Nächstenliebe Germans but to secure our own safety and 247 hatte in diesem rationalen Kalkül wenig Stellen- advantage.“ wert. William Strang, der politische Berater der Diesem elementaren Sicherheitsbedürfnis waren Militärregierung, äußerte gegenüber dem Bürger- Teilziele untergeordnet, die zusammen ein tragfä- meister des verwüsteten Hamburg: higes Fundament für die Nachkriegsordnung in „We were determined that there should be no Deutschland bilden sollten. repetition of the two world wars brought by Eines dieser Ziele war die Rückführung Deutsch- Germany [...]. The primary purpose of the oc- lands in die europäische Staatengemeinschaft.248 So cupation was to disarm and to demilitarise wurde von den britischen Besatzern Re-education Germany and uproot the Nazi party, not to pro- u.a. verstanden als Aufgabe, die Deutschen an- mote Anglo-German friendship […]. There was schlussfähig zu machen für die europäische Integra- no reason why the German people should not in tion: future take a worthy place among the peoples of Europe, but it would be for the Germans to de- „What re-education really involved was rebuild- serve such a place, perhaps by long apprentice- ing the cultural links between Germany and the ship.“244

3.2. Ziele Das Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland war ziehung und Lizenzpresse im Nachkriegsdeutschland. das übergeordnete Motiv für die Strategie der Bri- München 1991. 246 Vansittart: Black Record, S. 13. ten.245 Ein für allemal sollte Großbritannien, sollte 247 WP (45) 18, 10.01.45, PRO, FO 371, 46791, zitiert nach Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, 244 William Strang: Home and Abroad. London 1956, S. 76. S. 234 f. 248 Vgl. Kurt Jürgensen: The Concept and Practice of 245 Zum Ziel- und Mittelsystem der Briten in Kurzform ‚Re-Education‛ in Germany 1945-1950. In: Nicholas vgl. Clemens: Remigranten, S. 51 f. Literatur zur Re- Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political Re-Education education speziell in der amerikanischen Zone (den of Germany and her Allies. London und Sidney 1985, umfassenderen Titeln zum Trotz): Karl-Heinz Füssl: Die S. 86 ff.; Kurt Jürgensen: Elemente britischer Deutsch- Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter landpolitik: Political Re-education, Responsible Go- den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945-1955. vernment, Federation of Germany. In: Claus Paderborn, München, Wien und Zürich 1994 (Sammlung Scharf/Hans-Jürgen Schröder: Die Deutschlandpolitik Schöningh zur Geschichte und Gegenwart); Otto Schlan- Grossbritanniens und die Britische Zone 1945-1949. der: Reeducation – ein politisch-pädagogisches Prinzip Wiesbaden 1979 (Veröffentlichungen des Instituts für im Widerstreit der Gruppen. Bern und Frankfurt am Main Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 6), S. 104 ff.; 1975 (Studien zur Erziehungs- und Bildungswissen- Clemens: Die britische Kulturpolitik in Deutschland, schaft, Bd. 1); Helmuth Mosberg: Reeducation – Umer- S. 203 f.

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Western world which the Nazis had been so demokratische Führungsschicht im vornationalso- concerned to destroy.“249 zialistischen Deutschland hatte sich nie vom Milita- Daraus sprach zum einen der Wunsch nach Wie- rismus emanzipiert und galt den Alliierten auf der derherstellung des europäischen Mächtegleichge- Moskauer Außenministerkonferenz 1943 nicht wichts, zum anderen die Vision eines neuen Europa mehr als potenzielle Nachkriegselite: der Partner: „In the absence of potential democratic leaders „I believe indeed that that is the task to which after ten years of Nazi repression any such we must set ourselves – to make Germans real Government could probably only be representa- Europeans, make them co-operators in the tive of the old Germany and might well ensure building up of the new society.“250 the survival of those very elements of milita- rism which it is our fundamental aim to de- Diese Aufgabe schien umso dringlicher, je mehr stroy.“253 der sowjetische Expansionismus zutage trat, denn ein Niemandsland im Herzen Europas hätte diesem Das Weimarer Experiment war auch an der demo- nichts entgegenzusetzen gehabt. Ein Repräsentant kratieaversen deutschen Bevölkerung gescheitert. der Idee, Deutschland als Vorposten der westlich- Dennoch sollte Weimar nicht als deterministisches demokratischen Welt gegen die kommunistische Menetekel stehen: Bedrohung aufzubauen und dabei gleichzeitig von „There is nothing in the history of the years seinem Sonderweg abzuschneiden, war Churchill. 1918-1933 which compels us to believe that So sehr er die Grundreinigung Deutschlands von Germans are permanently incapable of self- 254 allen Nazi-Einflüssen vorantrieb, so wenig sah er government.“ einen Sinn in dauerhafter Schuldknechtschaft: Dieser optimistische Ansatz war die Prämisse für „Es gibt keine Wiedererweckung Europas ohne das zweite große Ziel der Re-education: die Demo- [...] ein geistig großes Deutschland. Der Bau der kratisierung der Deutschen. Um sie nicht erneut in Vereinigten Staaten von Europa, solide errich- eine Demokratie ohne Demokraten zu entlassen, tet, wird die Frage der materiellen Macht des mussten sie die Spielregeln lernen. Ein politischer einzelnen Staates weniger wichtig werden las- Mentalitätswechsel von unten also, der in den Köp- sen. Die früheren Staaten Deutschlands, in ei- fen der Menschen anstelle von Obrigkeitsdenken, nem föderativen System frei zur gemeinsamen Herrenmenschenallüren und Kriegsbesessenheit die Wohlfahrt miteinander vereinigt, könnten ihren Werte der politischen Mitverantwortung und Ge- individuellen Platz in den Vereinigten Staaten waltenteilung und der Dialogfähigkeit gegenüber 251 von Europa einnehmen.“ Andersdenkenden einpflanzen sollte. Das Ziel Um die Deutschen als Bundesgenossen zu gewin- lautete, dem deutschen Volk eine neue Staatsbür- nen, war es notwendig, das nationalsozialistische germoral anzuerziehen. Da die Besatzungsmacht Gedankengut auszulöschen. Zugleich musste an sich bei dieser Aufgabe nicht auf die kompromit- dessen Stelle die Anbindung an die westeuropäi- tierten Weimarer Demokraten stützen wollte, muss- sche politische Kultur gelingen. Die Umorientie- te es ein radikaler Neubeginn werden. rung der Deutschen auf den westlich- Demokratisierung war in diesem Sinne eine dop- demokratischen Wertekanon war eine Vorbedin- pelgleisige Strategie der Re-education-Politik. Zum gung für die Errichtung einer neuen europäischen einen bestand sie darin, den Deutschen die NS- Ordnung. Ideologie auszutreiben. Das Programm der Entnazi- Aus dem Schicksal der Weimarer Republik hatten fizierung und Entmilitarisierung hatten die Alliier- die Briten den Schluss gezogen, dass ein Austausch ten auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 der politischen Klasse allein keinen fundamentalen verabschiedet. Die Briten interpretierten dies nun Wandel der politischen Kultur nach sich zog.252 Die eher in einer geistig-psychologischen und weniger in einer materiellen Lesart. Industrieanlagen abzu- bauen und Waffen einzuschmelzen war eine Sache; 249 Balfour: In Retrospect, S. 148. sie musste ohne den Begleitschutz von neuen poli- 250 So eine Äußerung Nathans im House of Lords vom tischen und philosophischen Ideen ineffektiv blei- 21.05.42, zitiert nach Jürgensen: The Concept and Prac- ben. Rechtsstaat statt Realpolitik, Pragmatismus tice of ‚Re-Education‛, S. 86. statt Idealismus, Konstitutionalismus statt Etatis- 251 Churchill in seiner „Zürcher Rede“ vom September 1946. In: Europa-Archiv: Zeitgeschichte, Zeitkritik, Verwaltung, Wirtschaftsaufbau; Halbmonatsschrift der 253 WP (43) 421, 27.09.1943, PRO, FO 371, 344460, Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Okt./Nov. zitiert nach Kettenacker: Großbritannien und die zukünf- 1946, S. 179. tige Kontrolle Deutschlands, S. 39. 252 Vgl. Jürgensen: Elemente britischer Deutschlandpoli- 254 So urteilte Professor E. R. Dodds vom Foreign Office tik, S. 108; Marshall: British Democratisation Policy, Research Department in einer Studie über die Weimarer S. 190 f.; Welch: Priming the Pump, S. 218. Demokratie, Feb. 1945, PRO, FO 371, 46880.

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mus:255 In solchen Kategorien sollten die Deut- Diese Auffassung mag vor dem Hintergrund des schen zu denken lernen. Auf dieser weltanschauli- vansittartistisch geprägten Deutschlandbildes über- chen Folie konnten sie politische Verantwortung zu raschen. Doch neben diesem war in Großbritannien tragen beginnen: das Bild des anderen Deutschland lebendig geblie- „The long-term objective is to awaken in Ger- ben, das die kulturellen Leistungen der Deutschen 261 many individually and collectively a sense of in den Mittelpunkt stellte. responsibility, an interest in the ideas of repre- 256 sentative and responsible government!“ 3.3. Methoden Schließlich war es ja der Mangel an Verantwor- Die Herangehensweise an die politische Umerzie- tungsbereitschaft, der den Deutschen unter dem hung der Deutschen war geprägt von dem Versuch, Nazi-Regime am Ende zum Verhängnis geworden den inneren Widerspruch des Grundsatzes „Beleh- war: „What was really needed was the development 257 rung zur Selbstverantwortung“ aufzulösen. Das of a sense of personal responsibility in politics.“ Potsdamer Rahmenprogramm mit seinen vier D- Erst wenn jeder einzelne sich seiner politischen Prinzipien (De-militarisation, De-Nazification, Rechte und Pflichten bewusst wäre, könnte das Deindustrialisation, Democratisation) ließ sich von Land im Sinne eines „responsible government“ den Besatzungsmächten als mehr oder minder ver- regiert werden. Zugleich lag darin der Schlüssel bindlicher Schlagwortkatalog lesen. Nähere Festle- zum Wandel Deutschlands vom zentralistischen gungen über die Umsetzung gab es nicht, sodass Führerstaat zum dezentralisierten Bundesstaat, wie die britische Deutschlandpolitik dafür Gestaltungs- er in den Beschlüssen von Potsdam im August spielraum hatte. Diesen sollte jedoch eine Macht 1945 festgelegt war. In einem föderalen System ausfüllen, die selbst vom Krieg erschöpft war, die war das Verständnis für Selbstverwaltung und ihren Rang gegenüber den zwei größeren Sieger- Selbstverantwortung eine notwendige Bedin- 258 mächten kaum zu behaupten vermochte und die gung. Die Aufgabe der Re-education war es, 22 vollauf in ihre eigene Neupositionierung im Sinne Millionen Menschen einen Kurs in Basisdemokra- 262 259 der Machtersatzpolitik verstrickt war. Dem frü- tie zu verabreichen. heren Mitarbeiter des Foreign Office Carr dämmer- Die politische Umerziehung sollte nicht losgelöst te dies, als er 1942 in seinem Buch „Conditions of von den geistigen Traditionen Deutschlands operie- Peace“ auf die Rolle Großbritanniens gegenüber ren. Schließlich waren im deutschen Geistesleben Deutschland im Zuge dieser eigenen Verunsiche- von den Humanisten bis zu Goethe und Humboldt rung hinwies: vorbildhafte liberale und demokratische Traditions- „It will be necessary to give the German people, linien auszumachen. Diese Tradition sollte der not only a common interest in the building of Bevölkerung die Identifikation mit ihrem neuen the new Europe, but also the sense of a common Staatswesen erleichtern. Auch war es also Ziel der moral purpose; and before we can hope to in- Re-education, den Deutschen ihre eigene vernach- spire this sense, we must first acquire it our- lässigte Tradition nahezubringen: selves. […] We can ‚re-educate‘ the Germans „Every means should be taken to persuade the only if we are prepared, in the course of the Germans that they themselves have such a lib- same process, to re-educate ourselves.“263 eral tradition, however completely forgotten Da zu einer solchen Selbstfindung weder vor noch 260 [...]. Germany was a land of liberal thinkers.“ nach der Kapitulation Deutschlands Zeit war, machte sich die britische Politik erst einmal die im 255 wesentlichen negative Ausrichtung der alliierten Vgl. Pronay: ‚To Stamp out the Whole Tradition‛, Nachkriegsvision zu eigen: vollständige Niederla- S. 1. 256 ge, Entmilitarisierung, Entnazifizierung. Der sozia- Vortrag von M. Walker am 19.03.1947 auf einer britischen Erzieher-Tagung über die Erfahrungen mit der Umerziehung in Deutschland, zitiert nach Jürgensen: britischen Zone. In: Winfried Becker (Hrsg.): Die Kapi- Zum Problem der „Political Re-education“, S. 118. tulation von 1945 und der Neubeginn in Deutschland. 257 So urteilte Robert Birley am 24.04.1963, zitiert nach Köln und Wien 1987 (Passauer Historische Forschungen, Jürgensen: Zum Problem der „Political Re-education“, Bd. 5), S. 133. S. 118. 261 Vgl. Clemens: Britische Kulturpolitik 1945-1949, 258 Vgl. Jürgensen: Zum Problem der „Political Re- S. 50 f. education“, S. 119 ff. 262 Mit diesem Begriff charakterisiert Lothar Kettenacker 259 Vgl. Marshall: British Democratisation Policy, S. 193. den Kampf der britischen Nachkriegspolitik um bleiben- 260 Robert Birley: The German Problem and the Respon- den Einfluss angesichts des bröckelnden Empires. Vgl. sibility of Britain. The Burge Memorial Lecture Kettenacker: Die anglo-amerikanischen Planungen, 03.12.1947. London 1947, S. 30, zitiert nach Kurt Jür- S. 66 ff. gensen: Kulturpolitik und Politik der Re-education in der 263 Carr: Conditions of Peace, S. 233.

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le und politische Wiederaufbau sollte im wesentli- auf. So erhielt im Januar 1944 das War Cabinet chen Aufgabe der Deutschen bleiben, in die sich vom Post-Hostilities Planning Committee, einem die Besatzer nur distanziert einmischen sollten: Gremium des Foreign Office, ein Geheimpapier mit „We cannot re-educate Germany [...]. The Ger- dem Titel „The Re-education of Germany“. Darin mans have their own problems to solve, born of wird das Credo der Re-education-Politiker zitiert: their own historic experience. We have ours; „Germans alone can re-educate their fellow coun- they are different and we cannot claim we know trymen.“266 the solutions. Still less we can know how to Diesem Gedanken spielte neben den Argumenten solve Germany’s problems […]. The Western der Kooperationsbereitschaft der Deutschen und democracies can contribute much to the re- der Vereinbarkeit mit der demokratischen Selbstbe- education of Germany in social and political stimmungsidee noch ein ökonomischer Aspekt in morality, but they cannot shape its social and die Hände. Je mehr man den Deutschen zumutete, political structure.“264 desto weniger aufgebläht der britische Verwal- Aufschlussreich ist die letzte Bemerkung insofern, tungsapparat, desto weniger Personal zu Überwa- als sie ein methodisches Merkmal der Re-education chungszwecken. Es war das Konzept der „indirect vorwegnahm. Denn mit dem Übergang zu einer rule“, der in langen Kolonialjahrzehnten erprobten aktiveren Demokratisierungspolitik verabschiedete Verwaltungspraxis, die den Prinzipien der liberalen man sich zwar von der Haltung der konsequenten Demokratie ebenso entgegenkam wie der Heraus- Nicht-Einmischung. Doch der Weg zu einer Demo- forderung der Fremdsteuerung eines großen Flä- kratisierung Deutschlands führte für die Besat- chenlandes. Im Geheimpapier von Januar 1944 zungspolitiker über die Köpfe der Menschen, über gelang dem Verfasser eine auf Deutschland ge- ihre politische Moral vielmehr als über ihre politi- münzte, fast axiomatische Beschreibung des Kon- schen Institutionen. Aussehen und Funktionsweisen zepts der indirekten Kontrolle: ihrer Demokratie mussten die Deutschen für sich „In order to achieve our object, control of Ger- selbst erfinden. man education should aim, on the whole, at be- Die Vorstellung, dass Re-education nur in einer ing as indirect, invisible and remote as is com- Hilfestellung zur Selbsthilfe bestehen sollte, begann patible with its being effective. We should sich schon 1943 in Großbritannien durchzusetzen. appear to guide rather than lead, to influence Der wichtigste Impuls kam aus dem Foreign Office. rather than to initiate.“267 Die Hinwendung zur psychologischen Kriegsfüh- Ein solches Konzept verzichtet auf missionarischen rung hatte bei den Beamten die Überzeugung ge- Zwang, es postuliert kein Management der tausend nährt, dass Strafe und Zwangsbelehrung ein Volk Gebote und Ziele, sondern ein reduziertes der Feh- nicht zum rechten Glauben zu bringen vermochten. lervermeidung und –korrektur: Im August 1943 erschien ein Kabinettspapier des „To insist that certain things shall not be done, Foreign Office in Zusammenarbeit mit Oxforder rather than that other things shall be, i.e. lay Wissenschaftlern unter dem Titel „The Future of down what the Germans must not do, but oth- Germany“. Zur Re-education heißt es dort: erwise leave them to do what they like.“268 „The days of St. Boniface are passed and any Ganz so liberal wollten die Briten allerdings die hortatory efforts from without to ‚convert‘ the Gestaltungsfreiheit der Deutschen nicht halten. Das Germans will merely harden their unrepentant Konzept der indirect rule ging nicht so weit, dass hearts. Germans alone can re-educate their fel- sie auf die mentalen Selbstheilungskräfte des jahr- low countrymen, and Germans will make the at- zehntelang als kriegstreiberisch erlebten Volkes tempt only if they themselves are convinced vertrauen mochten. Um ein Volk zur Demokratie that the future of their country lies in co- operation with their neighbours.“265 zu bekehren, musste es zunächst die demokrati- schen Werte kennenlernen und verinnerlichen. Es Überzeugung als Vehikel zur Umerziehung – damit bedurfte einer gezielten geistigen Anregung, wie war die Handlungsmaxime vorgegeben, und sie taucht von da an in den Dokumenten immer wieder

264 T.H. Marshall: What to do with Germany?, 266 Con O’Neill (Secretary of the Subcommittee of the 09.07.1942, PRO, FO 371, 31500. Dieser offizielle Kon- Post Hostilities Planning Committee): Memorandum sens von 1943 trägt die Spuren der Non-Interference- „The Re-education of Germany“, 27.01.1944, PRO, FO Tradition, die in der britischen Außenpolitik eine große 371, 39093. Rolle gespielt hatte, vgl. Kettenacker: The Planning of 267 Ebd. Zum Prinzip der „indirect rule“ in der britischen „Re-Education“, S. 63. Bildungspolitik vgl. Lutzebäck: Die Bildungspolitik der 265 Cabinet Paper „The Future of Germany“: 08.08.1943, britischen Militärregierung, S. 97 f. PRO, FO 371, 34459. 268 Ebd.

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Robert Birley es einmal nannte: „What is needed is attempts should be made in the German way to ram the stimulus of mind on mind.“269 the conquerer’s culture down the conquered’s 273 Bezüglich der eigenen politischen Tradition man- throat.“ Die Reaktion der Besiegten auf eine gelte es in Großbritannien nicht an Selbstvertrauen. Bevormundung und Bekehrung im Zeichen einer Da die Außenpolitik im Zeichen des schwindenden Siegerkultur wurden als hochsensibel eingestuft, internationalen Gewichts auf Machterhalt und Au- was sich im späteren Verlauf als zutreffend erwies. ßenwirkung bedacht war, lag es nahe, diese Stimu- Keineswegs empfand sich die deutsche Bevölke- lanz aus den eigenen, britischen Ideen und dem rung mit der Kapitulation in erster Linie von einem britischen System zu ziehen. Die „Projection of Übel befreit und stand nun in hoffnungsvoller Er- Britain“, die Vermittlung britischer Werte, war wartung der Alliierten. Ein Volk, dass physisch und 1942 von der Political Warfare Executive zum psychisch am Boden lag, war zunächst mehr mit Kampfziel erklärt worden: Fragen des Überlebens und der materiellen Exis- tenz beschäftigt als mit Fragen politischer Moral. „Our propaganda has now the important task of convincing our European audience that in the Daher musste der Versuch, ihm Werte wie Verant- organisation of the post-war world Britain has a wortung und Toleranz nahezubringen, möglichst big part to play and that the ideas and experi- subtil vonstatten gehen, „so that they may uncons- ence Britain has to offer are of great value for ciously become more accessible to the ideas and 274 Europe.“270 standards for which Britain stands.“ Mentale Infiltration, unbewusste Lenkung, Anreiz zur eige- “Projection of Britain“, die Selbstdarstellung Groß- nen Umsetzung – Re-education erscheint hier als britanniens, wurde ein integraler Bestandteil briti- die Fortführung der psychologischen Kriegsführung scher Nachkriegspolitik.271 Der Anspruch, dass mit besatzungstechnischen Mitteln. Die Methode Großbritannien seine globale Machtposition auf- der politischen Umerziehung beinhaltete, ein Rol- recht erhielte, fügte sich zusammen mit dem An- lenmodell zur Verfügung zu stellen, das sich die spruch, die europäische Nachkriegsordnung mitzu- Deutschen nach erfolgreicher psychologischer gestalten. Im Rahmen der Re-education war dies Überzeugungsarbeit durch die Besatzungskräfte aus der fehlende konstruktive Baustein, mittels dessen freien Stücken aneignen würden. So sollte der Weg die bislang leere Formel der politischen Umerzie- aussehen zum angestrebten „change of heart“, zum hung der Deutschen mit konkreten Erfahrungen – Gesinnungswandel eines pervertierten Nationalcha- nämlich den eigenen – erfüllt werden konnte. Die rakters. erzieherische Bedeutung des Vorbildes hatte schon Carr 1942 aufgeworfen: 3.4. Mittel „The problem is sometimes described as that of the ‚re-education‘ of Germany: and the descrip- Um eine Bevölkerung von 22 Millionen Menschen tion is not a bad one if we realise the impor- politisch umzupolen, bedurfte es der multiplikatori- tance of applying the results of modern psycho- schen Vermittlung. Die britische Besatzungspolitik logical science, which shows that neither stützte sich wesentlich auf zwei Instanzen, die die penalty nor precept, but example and confi- angestrebte Wirkung auf das deutsche Bewusstsein dence are the most potent instruments of educa- 272 sowohl in der Breite als auch in der Tiefe erzielen tion.“ konnten: Erziehungswesen und Massenmedien. Beispiel und Vorbild waren ein Weg, den Deut- Die Nachkriegsplanung befasste sich seit 1942 mit schen eine bessere Alternative zu ihren Verfehlun- dem Problem der künftigen Gestalt des deutschen gen anzubieten. Britische Werte auf Deutschland zu Bildungswesens.275 Der Rat von Seiten deutscher projizieren hieß jedoch nicht, den Deutschen das Emigranten war dabei nicht gefragt. Diese standen britische Modell als ganzes überzustülpen. „Projec- für das Weimarer Bildungssystem, das in den Au- tion of Britain“ zielte nicht auf eine Transplantati- gen der Briten nichts Konstruktives geleistet hatte. on, sondern auf Stimulierung. Vor kulturellem Statt dessen wandte sich das Foreign Office um Imperialismus wurde eindringlich gewarnt: „No eine Einschätzung an Wissenschaftler aus dem eigenen Lager. Besonderes Gewicht hatte die Ger- 269 Robert Birley in seinem Vortrag „The German Prob- lem and the Responsibility of Britain“ vom 03.12.1947, 273 Con O’Neill: „Lines for Emergency Plan; Propaganda zitiert nach Jürgensen: Elemente britischer Deutschland- to Germany after her Defeat“, 06.07.1943, PRO, FO 898, politik, S. 115. 370. 270 PWE-Papier „The Projection of Britain“ vom 274 Papier aus dem Foreign Office: 29.05.1945, PRO, FO 21.12.1942: PRO, FO 898, 413. 898, 401. 271 Ausführlich dazu Clemens: Britische Kulturpolitik 275 Allgemein zur Re-education in der britischen Bil- 1945-1949, S. 20 ff. dungspolitik Lutzebäck: Die Bildungspolitik der Briti- 272 Carr: Conditions of Peace, S. 233. schen Militärregierung.

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man Section of the Foreign Research an Press Ser- POWs, so fand PWE heraus, waren nach wie vor vice (FRPS).276 An sie ging die Frage, die Lord glühende Nazis, ein Drittel waren Mitläufer, nur ein Halifax, als britischer Botschafter auf die US- kleiner Rest war als Nazi-Gegner zu erkennen.282 amerikanische Aktivitäten im Erziehungssektor Die Behörden folgerten daraus eine Trennung in aufmerksam geworden, grundsätzlich formulierte: drei Gruppen: „The screening and segregation in „Could any international action be taken in connec- Black, Grey and White.“283 Die „Schwarzen“ Nati- tion with education in the technical sense?“277 Nun onalsozialisten sollten mit ihrem negativen Einfluss fiel die Bilanz der deutschen Bildungstradition vor nicht die Umerziehung der gleichgültigen „Grauen“ Hitler reichlich negativ aus: keine demokratische behindern, während die „Weißen“ dieser Umerzie- Neuorientierung nach dem Ersten Weltkrieg, über- hung nicht mehr bedurften. In diese vorbereitende kommene Klassen-Strukturen, kein Zugang der Phase lief parallel die Ausbildung der für den Auf- unteren Schichten zur höheren Bildung, insgesamt bau des Erziehungswesens ausgesuchten britischen stark dem 19. Jahrhundert verhaftet.278 Gleichwohl Offiziere in Lehrgängen.284 zweifelten die Planer, ob eine fremdbestimmte Nach diesem Erfahrungsmodell verfuhren die Be- Bildungsreform in Deutschland Fuß fassen konnte: satzer später in allen gesellschaftlichen Bereichen „It must be understood that any scheme for the Deutschlands, auch im Bildungswesen: Der eigent- re-education of Germans, young or old, by lichen Aufbauarbeit wurde eine Phase der „destruc- means of text-books, teachers, censors or advis- tion“, der Entnazifizierung und Säuberung vorge- ers supplied by the United Nations may be ruled schaltet. Dem wurden sämtliche Lehrer und 279 out as futile." Dozenten in Grund- und Mittelschulen, in Gymna- Statt dessen überwog die Einschätzung, dass die sien und Hochschulen unterzogen. Gleichzeitig demokratischen Werte nur dann überzeugen wür- begannen die Behörden mit der Überprüfung und den, wenn die Deutschen eine Verbesserung ihrer Aussonderung von Lehrplänen und Schulbüchern, materiellen Existenz darauf zurückführen konnten. die vor den Ansprüchen der Re-education-Politik So blieb das deutsche Bildungswesen in der Nach- durchfielen. Da ab Sommer 1945 der Schul- und kriegsplanung der britischen Außenpolitik zwar ein Universitätsbetrieb wiederaufgenommen wurde, Aspekt der Debatte, ohne jedoch ein Stadium der standen materielle Fragen des Wiederingangsetzens konkreten Maßnahmen zu erreichen. Dahingehende im Vordergrund, die die Kontrollorgane vollauf Versuche, neue Schulbücher, Lehrpläne und Unter- beanspruchten.285 Anstelle der ausgesonderten NS- richtsmethoden für die Besatzungszone vorzuberei- Schulbücher arbeiteten die Schüler, wenn über- ten, stießen auf offizielles Desinteresse und verlie- haupt, mit Nachdrucken älterer Werke von vor fen im Nichts.280 1933. Zwar lagen Handlungsanweisungen für die Dessen ungeachtet erhob die britische Besatzungs- Besatzungsoffiziere in Form von „Educational politik den Anspruch, in ihrer Zone eine Neugestal- Instructions to German Authorities“ oder dem „E- tung des deutschen Bildungswesens – eine „educa- ducational Technical Manual“ vor, doch die briti- tional reconstruction“ – durchzuführen.281 Im sche Bildungspolitik beschränkte sich für die politi- Spätsommer 1944 begann in England eine planmä- sche Umerziehung auf die Eliminierung der Nazi- ßige Phase der Vorbereitung. In den Kriegsgefan- Relikte. Institutionelle Eingriffe oder gar eine Än- genenlagern experimentierte die Political Warfare derung des deutschen Bildungssystems nach dem Executive (PWE) mit der politischen Umerziehung britischen Modell wurden nicht vorgenommen. deutscher Gefangener und kam zu dem Schluss, Diese mitunter als konzeptionslos interpretierte 286 dass die nationalistische Gesinnung nicht ohne Haltung stand im Einklang mit dem Grundge- weiteres zu beseitigen war. Gut die Hälfte der danken der Re-education, der Hilfe zu Selbsthilfe. Ein hoher Beamter für den Bereich Erziehungswe- sen im Foreign Office formulierte dies 1948: 276 Zunächst am Balliol College in Oxford eingerichtet, „We must avoid anything which suggests that wurde das Institut später als Foreign Office Research we think the Germans unready to set up an in- Department (FORD) ins Foreign Office integriert. dependent democratic government and we must 277 Diskussionsbericht einer Konferenz vom 13.07.1942 am Balliol College, Oxford, PRO, FO 371, 31500, zitiert nach Kettenacker: The Planning of „Re-Education“, 282 Vgl. ebd., S. 109. S. 64. 283 Bericht der PWE: PRO, FO 371, 55689. 278 Vgl. ebd., S. 63 ff. 284 Vgl. Jürgensen: Elemente britischer Deutschlandpoli- 279 Cabinet Paper „The Future of Germany“: 08.08.1943, tik, S. 110 f. PRO, FO 371, 34459. 285 Vgl. Jürgensen: The Concept and Practice of ‚Re- 280 Vgl. ebd. Education‛, S. 90. 281 Vgl. Jürgensen: Elemente britischer Deutschlandpoli- 286 Darauf auch ein Hinweis bei Jürgensen: Kulturpolitik, tik, S. 106 ff. S. 137.

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make it clear that our aim is to help them to do Presse und Rundfunk, die den Briten prädestiniert so. Therefore, in all discussions and lectures schienen, Meinungs- und Willensbildung, politi- […] we should not probe for the weak points in sche Einstellungen und Werte zu beeinflussen. German history or in the German character, but Ausschlaggebend für diese Einschätzung war die for the strong points. The aim should be to en- publizistische Tradition, die für die britische Ge- courage the Germans to build on the good ele- sellschaft als Machtkorrektiv und Informationsquel- ments in themselves and in the country as a le eine konstituierende Bedeutung hatte. Zum ande- whole and to develop a well founded self- ren hatten in den Kriegsjahren die Briten gesehen, confidence in their ability to conduct a democ- was der Rundfunk auf beiden Seiten in den Köpfen ratic state.“287 der Menschen zu leisten imstande war, sei es durch Bereits zum 01.01.1947 gab die britische Militärre- Propaganda, durch Information oder Desinformati- gierung mit der Verordnung 57 die Kulturhoheit on, durch Appelle oder Ablenkung. So sah es die und damit die Zuständigkeit für das Bildungswesen für die künftigen deutschen Nachrichtenorgane in die Hände der neuen deutschen Länder (Nord- zuständige ISC (Information Services Control) in rhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, einer Direktive vom 20.06.1945 als Aufgabe der Schleswig-Holstein). Wenig später kam der Educa- Medien, bei den Deutschen den Sinn für individuel- tional Adviser Robert Birley nach Deutschland, der le Verantwortung zu wecken.292 die Maßnahmen für das deutsche Erziehungswesen Für die Besatzungsoffiziere, die in Deutschland den koordinierte und dazu erklärte: „It is no use suppo- Re-education-Auftrag umzusetzen hatten, war die sing that British institutions can be transplanted to 288 Reihenfolge der Mittel eindeutig: „Of the media, German soil.“ the press and radio were by a long way the most Mit der Verordnung 57 verlagerte sich die Ein- important.“293 Film, Literatur, bildende und darstel- flussnahme der Briten auf den von Birley geforder- lende Künste galten den Behörden als sekundär, in ten „stimulus of mind on mind“, auf persönliche erster Linie wegen der fehlenden Massenbasis.294 Kontakte zwischen britischen Besatzern und deut- Dabei stand der Re-education-Grundsatz im Vor- schen Erziehern. Gelegenheiten dazu waren erzie- dergrund, die Medien nicht als Proklamationsorga- herische Fachkonferenzen, Austauschprogramme, ne für demokratische Basislektionen einzusetzen. Gastprofessuren, die Einrichtung des Informations- Sie sollten vielmehr die Deutschen zur aktiven centers „Die Brücke“ und schließlich die „Wilton Diskussion ermutigen, ihnen bisher nicht bekannte Park Lectures“, die aus den ursprünglichen Kriegs- Gestaltungsräume ermöglichen und so zur Mei- 289 gefangenen-Lehrgängen hervorgegangen waren. nungsäußerung im demokratischen Sinne beitragen: Robert Birley reduzierte in dieser Phase die Re- „The changes we made in the media were of course education auf das Rollenmodell der britischen De- designed to ensure free discussion and the free flow mokratie: of information.“295 „We can offer the strength of our own tradition Das „Manual for the Control of German Informati- to Germany [...]. By visits to this country we on Services“ vom 16.04.1945 hatte ein Drei- can show young Germans and especially the Phasen-Modell zum Wiederaufbau der deutschen educators of the next generation a living democ- 290 Medienlandschaft entworfen. Die erste Phase war ratic tradition.“ die des „Blackout“, in der alle deutschen Zeitungs- Die zweite Säule, auf die sich die Re-education- häuser und Rundfunksender ausgeschaltet werden Politik stützen sollte, waren die Massenmedien. sollten, denn sie galten als Seit Sommer 1943 wurde deren Rolle diskutiert, „so rotten in its structure, so thoroughly im- zunächst in den Fachgremien, wenig später auf pregnated with Nazism, and so completely sub- 291 Kabinettsebene. Besonderes Gewicht lag auf servient to the Propaganda Ministry, that it had

287 M. Crawford: 20.07.1948, PRO, FO 371, 70704. 288 Birley: The German Problem, S. 27. 289 Vgl. Jürgensen: Kulturpolitik, S. 137.; Ders.: Zum Problem der „Political Re-education“, S. 125 ff. nister den vom Foreign Office verfassten „guidelines on 290 Birley: The German Problem, S. 28. re-education“ zu, die auf die Rolle speziell des Rund- 291 Als erster befasste sich damit Con O’Neill von PWE funks abhoben, vgl. Kettenacker: The Planning of „Re- in seinem Papier „Lines for Emergency Plan; Propaganda Education“, S. 68 f. to Germany after her defeat“: PRO, FO 898, 370, vgl. 292 Information Control Directive No 5: PRO, FO 1005, Kurt Koszyk: The Press in the British Zone of Germany. 739. In: Nicholas Pronay/Keith Wilson (Hrsg.): The Political 293 Balfour: In Retrospect, S. 147. Re-Education of Germany and her Allies. London und 294 Vgl. Welch: Priming the Pump, S. 225. Sidney 1985, S. 108. Am 24.02.1944 stimmten die Mi- 295 Balfour: In Retrospect, S. 146.

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to be rooted out, and re-created from the bottom Werten nur die muffige alte Scheindemokratie up.“296 verkörperten.301 Die zweite Phase war die des Neuaufbaus der deut- Für den Bereich des Rundfunks operierte die Re- schen Medien unter kompletter Kontrolle der Be- education-Politik mit einer zweigleisigen Strategie. satzer, genauer der Informations Services Control: Es war zu erwarten, dass BBC German Service, der „All media by which information is conveyed to the im Krieg für die in deutscher Sprache ausgestrahlte Germans.“297 Die dritte Phase sah einen kontrollier- Propaganda zuständig gewesen war, bei der Bevöl- ten Übergang in deutsche Hände vor. Dies stand kerung als Verlautbarungsorgan der Besatzungs- insofern in engem Zusammenhang mit dem Re- macht angesehen würde. Daher war es konsequent, education-Konzept als damit die Basis für einen dass dieser Sender eine offizielle Linie verfolgte Neubeginn gelegt werden sollte. Der Blackout war und politische Umerziehung in seinem Programm gedacht als kompromisslose Zäsur, als Basis für die offen und direkt behandelte. Parallel zu dieser di- Neuformatierung des deutschen Mediensystems, rekten Re-education durch BBC German Service „so that they may unconsciously become more sollte die indirekte Variante der deutsche Heimat- accessible to the ideas and standards for which sender übernehmen. Hier basierte die Methode der Britain stands.“298 Damit waren neben demokrati- Umerziehung auf den Gedanken von Selbsthilfe, schen Werten auch die journalistischen Standards indirekter Einflussnahme und Überzeugung statt gemeint, die in der angelsächsischen Publizistik auf Belehrung. Vor allem sollte dieser Sender von eine große Tradition blickten.299 Deren oberster Deutschen betrieben werden, da dies die Voraus- Wert waren Objektivität und unparteiische Bericht- setzung für seine Glaubwürdigkeit bei der Bevölke- erstattung – ein Ideal, das mit pro-britischer Propa- rung war. Nur so war das Kriterium zu erfüllen, ganda nicht eben deckungsgleich war. Man dass die Deutschen ihre Landsleute selbst politisch behauptete daher, beide Fliegen seien mit einer erzögen: „Germans would speak to Germans and Klappe erschlagen – eine ratlose Schlussfolgerung, take their full share in the re-education of their own die sich in geschraubter Formulierung äußerte: people.“302 Diese Aufgabe sollte der NWDR über- „If we succeed in giving the German reader this nehmen. impression [of impartiality, FH] it will be all the Eine Sonderrolle in der Re-education-Politik war easier for us to introduce those items which are dem Schulfunk zugedacht. Die im Juli 1944 vom intended to influence him into identifying his Armistice and Civil Affairs Committee (ACAO) interests with those of this country without his 300 formulierte Re-education-Direktive regte eine Pro- resenting them as propaganda.“ duktion von Schulfunkprogrammen für den deut- Wie das Bildungswesen sollten auch die Medien schen Unterricht an. Diese sollten von alliierten einer personellen Überprüfung unterzogen werden, Stationen hergestellt und in Deutschland ausge- um kompromittierte Figuren zu entfernen und strahlt werden.303 Dem lag das Kalkül zugrunde, durch zuverlässiges Personal zu ersetzen. Tatsäch- dass Heranwachsende besonders empfänglich für lich wurde das Personaldefizit zu einem Engpass- die Botschaften der Re-education waren – so wie faktor ersten Ranges. Der notorische Vorbehalt der sie empfänglich für die NS-Propaganda gewesen Briten gegenüber deutschen Emigranten schlug waren. Außerdem genoss der Bildungsfunk in auch hier zu Buche. Die Befürchtung war, Reprä- Großbritannien hohen Stellenwert, sodass man sentanten des ruhmlos gescheiterten Weimarer durch ihn sogar den Mangel an Lehrbüchern aus- Systems zu installieren, die statt der gewünschten zugleichen hoffte.304 Umorientierung der Deutschen zu demokratischen

296 Manual for the Control of German Information Ser- vices: 16.04.1945, PRO, FO 1056, 195. 297 PRO/FO 936/14, zitiert nach Welch: Priming the 301 Vgl. Koszyk: The Press in the British Zone, S. 113. Pump, S. 224. 302 Parlamentsarchiv Bonn, zitiert nach Welch: Priming 298 Methods and Functions of the British Information the Pump, S. 228. Services for Germany: 29.05.1945, PRO, FO 898, 401. 303 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, 299 Vgl. Koszyk: The Press in the British Zone, S. 114. S. 90. 300 Foreign Office Paper: 14.07.1945, PRO, FO 945, 848. 304 Vgl. Ders.: S. 91.

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IV) Der NWDR als Instrument zur Umerziehung

1. Besetzung gungen des Wohnraums, verschärft durch den Flüchtlingsstrom seit 1944. Über die Ruinenbe- Am 03.05.1945 kapitulierte Hamburg vor der briti- wohner berichtete Isaac Deutscher: schen Armee. Die Niederlage war total, die Kapitu- lation entsprach dem alliierten „unconditional sur- „Man kann sich schwer vorstellen, wie die Kel- render“. Bei der Besetzung Nordwestdeutschlands ler die ganze städtische Menschenmenge auf- waren die verbliebenen deutschen Staatsreste ohne nehmen können, wenn sie kurz vor der Sperr- stunde von den Straßen verschwindet.“307 Bedeutung. Am Beginn stand die Konfrontation mit dem Chaos der Zusammenbruchgesellschaft, die als Die deutschen Städte waren ein Konglomerat von materielles und geistiges Umfeld den Aufbau des Provisorien in Ruinen. Viele Funktionen eines neuen Rundfunksenders mitbestimmte.305 städtischen Raums standen nicht zur Verfügung. In der britischen Zone war das Straßennetz auf einen Torso reduziert: Im Mai 1945 waren von 13.000 1.1. Die Lage in Nordwestdeutschland 1945 Streckenkilometern noch 1.000 befahrbar.308 Die Alliierten besetzten im Mai 1945 ein über weite Der Untergang hatte eine großräumige Bevölke- Teile zerstörtes Deutschland. Besonders betroffen rungsverschiebung in Deutschland in Gang gesetzt. waren die städtischen Zentren wie Hamburg, Köln Die britische Zone hatte in den Küstenstädten und und Berlin. Insgesamt blieb kaum eine Stadt ohne der Rhein-Ruhr-Schiene die größten Kriegsschäden Schäden. Der Bodenkampf und Hitlers Nero-Befehl erlitten, hier war die Zahl der Evakuierten am größ- zur Verwüstung trugen dazu bei. In einzelnen Städ- ten. Bei einer Zählung zwei Jahre nach Kriegsende ten Nordwestdeutschlands waren über die Hälfte waren 1.108 Millionen Menschen von ihren Wohn- der Wohnungen zerstört, so in Düren 99 Prozent, in orten umgesiedelt.309 Noch größere Ausmaße hatten Köln 70 Prozent, in Kiel 58 Prozent, in Hamburg 306 Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten ange- 53 Prozent. Dies erzwang vielfache Überbele- nommen. Ein beachtlicher Teil dieser Massenwan- derung fiel auf die britische Besatzungszone, im 305 April 1947 wurden hier 3,193 Millionen „aus dem „Die gängige Chiffre für das Kriegsende hieß ‚Zu- Ausland und den Ostgebieten Vertriebene“ ge- sammenbruch‘ – ein vieldeutiges Wort, der kleinste zählt.310 Dazu kamen als dritte große Gruppe die gemeinsame Nenner für die Niederlage. Er spiegelte Zwangsarbeiter und politische Flüchtlinge fremder wider, was die meisten empfanden: Die Stunde Null war Nationalität. Noch im Frühjahr 1947 befand sich der Absturz ins Nichts, materiell und psychisch.“, Hein- über eine halbe Million „Displaced Persons“ in der rich Jaenecke: Die Stunde Null. In: GEO Epoche. Das britischen Zone.311 Magazin für Geschichte, Nr. 9: Deutschland nach dem Krieg 1945-1955. Hamburg 2002, S. 29; zum Begriff Der Zustrom führte zu einem sprunghaften Anstieg „Zusammenbruchgesellschaft“ Kleßmann: Die doppelte der Bevölkerung. Die Einwohnerzahl war nach dem Staatsgründung, S. 39; zum Kriegsende speziell in Ham- Krieg um 3,67 Millionen auf 22,3 Millionen ange- burg Frank Bajohr: Hamburg – Der Zerfall der „Volks- wachsen. Damit einher ging eine Verzerrung der gemeinschaft“. In: Ulrich Herbert/Axel Schildt (Hrsg.): altersmäßigen, geschlechtlichen und geographi- Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen schen Verteilung. Der Anteil der Altersgruppe Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsord- nung 1944-1948. Essen 1998, S. 318-336; Axel Schildt: Hamburg und Schleswig-Holstein (hrsg. v. Norddeut- Das „Hamburg Project“: Eine kritische Phase der briti- schen Verleger- und Buchhändler-Verband e.V.). Ham- schen Besatzungspolitik in Hamburg. In: Otto, burg 1985, S. 90. Frank/Schulz (Hrsg.): Großbritannien und Deutschland, 307 Isaac Deutscher: The Observer 22.07.1945. In: Repor- S. 132 ff.; Ursula Büttner/Bend Nellessen (Hrsg.): Die tagen aus Nachkriegsdeutschland. Hamburg 1980, S. 42. zweite Chance. Der Übergang von der Diktatur zur De- 308 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 45; mokratie in Hamburg 1945-1949. Hamburg 1997 (Publi- zum Leben in der Trümmergesellschaft vgl. Bajohr: kationen der Katholischen Akademie Hamburg, Bd. 16). Hamburg, S. 333. 306 Vgl. Alexander von Plato/Almut Leh: „Ein unglaubli- 309 Ebd., S. 355.; zum Problem der Evakuierten vgl. cher Frühling“. Erfahrene Geschichte im Nachkriegs- Dokumente deutscher Kriegsschäden (hrsg. v. Bundes- deutschland 1945-1948. Bonn 1997, S. 43. Vgl. Hermann minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschä- Clausen: Der Aufbau der Demokratie in der Stadt digte), Bd. 1. Bonn 1958, S. 69 ff. Schleswig nach den zwei Weltkriegen, zitiert nach Als 310 Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 355. der Krieg zu Ende war. Ein Lesebuch vom Neubeginn in 311 Ders.: S. 43.

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zwischen 25 und 40 Jahren in der britisch- 1.2. Die politische Einstellung der amerikanischen Zone sank von 26,7% (1939) auf Deutschen 20,5% (1946). Im gesamten Besatzungsgebiet ka- Im Deutschland der Nachkriegszeit entwickelte men auf 29,316 Millionen Männer 36,595 Millio- sich ein widersprüchliches politisches Stimmungs- nen Frauen, also 100 Männer auf 125 Frauen.312 bild. Der verlorene Krieg und dadurch bedingte Insgesamt führten diese Bewegungen, die sich in Schockzustand bewegte einen Großteil der Bevöl- den Dimensionen einer Völkerwanderung abspiel- kerung zu einer Abkehr von jeder politischen Teil- ten, zu Engpässen in allen Lebensbereichen: nahme. Der ideologischen Vereinnahmung durch „Der Krieg hat hier gewaltige Massen von die Nationalsozialisten folgte die verordnete Menschen mit Spitzruten und Peitschen zu- Kehrtwende durch die Besatzungsmächte und im sammengetrieben und sie wie in einer großen Zuge dessen die Entwertung der eigenen Vergan- Tonne durchgeschüttelt.“313 genheit. Es war die Traumatisierung eines ganzen Der Besatzungsmacht offenbarte sich das Ausmaß Volkes: dieser Probleme erst nach und nach: „Deutschland durchleidet die schwerste geistige „Rückblickend meine ich, daß wir unsere Auf- Krise, die einem Volk widerfahren kann. Zy- gabe sicher als hoffnungslos angesehen hätten, nismus, Ernüchterung, ein unsteter Idealismus, wenn wir damals das chaotische Durcheinander Selbsterniedrigung und Selbstrechtfertigung voll überblickt hätten.“314 stoßen auf unverständliche Weise im Denken Die deutsche Wirtschaft war nach sechs Jahren der Deutschen aufeinander und rufen die größte 317 Krieg extrem geschwächt. Mit der Kapitulation Verwirrung hervor.“ fielen die letzten Notstrukturen der NS- Die Befreiung vom Nationalsozialismus war zu- Kriegswirtschaft auseinander. Die Ernährungslage nächst belegt mit Negativvokabeln wie Demontage, wurde katastrophal, der Hunger zum Charakteristi- Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Rückerzie- kum der Nachkriegszeit. Die für einen Menschen hung. Für viele Deutsche bedeutete die „Stunde notwendige tägliche Menge von 2.000 Kalorien Null“ der Rückzug auf den Mikrokosmos des per- wurde bei weitem nicht erreicht. Mitte 1946 kam sönlichen Umfelds. Die schlechten Lebensbedin- die britische Zone mit 1.050 Kalorien gerade auf gungen banden die Energien im täglichen Existenz- die Hälfte.315 Der für das Bezugsscheinmodell für kampf. Die Frage nach der Kohlenzuteilung hatte Lebensmittel erforderliche Behördenapparat fußte größere Brisanz als der Aufbau von kommunalen auf den Strukturen der NS-Vorgängerinstitution, Verwaltungen: dem Zentralamt für Ernährung und Landwirtschaft „Das zarte Pflänzchen Demokratie hatte es (ZEL). In der britische Zone geriet so der Versor- schwer, Wurzeln zu schlagen. Eine tiefe politi- gungsapparat in Misskredit, auch wegen der mise- sche Apathie lag über dem Land. Nach zwölf rablen Effizienz dieses Systems.316 Eine Verbesse- Jahren Totalitarismus und sechs Jahren Krieg rung der Ernährungslage ließ sich in Deutschland hatte man ‚die Schnauze voll‘.“318 nicht vor 1948/49 feststellen. Von vielen wurde die Misere den neuen politischen Verhältnissen angelastet. So meldete im Dezember 312 Zu diesen Zahlen vgl. von Plato/Leh: „Ein unglaubli- 1945 eine Denkschrift im Auftrag der britischen cher Frühling“, S. 24 f. und Kleßmann: Die doppelte Militärregierung das sinkende „Stimmungsbarome- Staatsgründung, S. 355. ter“ der Bevölkerung, in der die schlechte Versor- 313 gungslage als größtes Hemmnis für die demokrati- Deutscher: Nowa Polska, Dezember 1945. In: Repor- 319 tagen, S. 64 ff. sche Idee aufgeführt wird. Das Fehlen der 314 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frank- persönlichen Sicherheit trat zu der Ungewissheit furt am Main 1950, S. 31. über das Schicksal Deutschlands, denn jede der 315 Zum Vergleich: in der amerikanischen Zone waren es Besatzungsmächte verfolgte in ihrer Zone ihren 1.330 Kalorien, in der sowjetischen 1.083, in der franzö- eigenen Kurs. Wenn daraus auch kein Volkszorn sischen 900; vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgrün- erwuchs, so wendeten sich doch viele Menschen in der „charakteristischen Atmosphäre einer stumpfen dung, S. 40.; genaueres zur Ernährungssituation vgl. 320 Michael Wildt: Der Traum vom Sattwerden. Hunger und Apathie“ angeekelt von der Politik ab. So fand Protest, Schwarzmarkt und Selbsthilfe. Hamburg 1986; sich, wer sich politisch engagieren wollte, ent- Ders.: Hunger, Schwarzmarkt und Rationen – der heimli- che Lehrplan der Nachkriegszeit. In: Peukert (Hrsg.): 317 Deutscher: The Observer 09.09.1945. In: Reportagen, Improvisierter Neubeginn, S. 46-55; Kurt Grob- S. 106. ecker/Hans-Dieter Loose/Erik Verg (Hrsg.): ... mehr als 318 Jaenecke: Die Stunde Null, S. 29. ein Haufen Steine. Hamburg 1945-1949. Hamburg 1981, 319 Vgl. ebd., S. 54. S. 73 ff. 320 Deutscher: The Observer 19.08.1945. In: Reportagen, 316 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 49. S. 51.

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täuscht vom Ausbleiben neuer Perspektiven. Ihren Aufgabe, die Deutschen zu politischer Mitverant- Ankündigungen nach einer demokratischen Ord- wortung zu erziehen, war dadurch komplizierter als nung ließen die Besatzer wenig erkennbare Taten wenn sie sich mehrheitlich als dogmatische Nazis folgen. Sie schienen mit der Organisation des Not- erwiesen hätten. Die Besatzer begriffen, dass sich wendigsten überfordert: die politische Mentalität nicht losgelöst von den „Es erwies sich in der Praxis, daß die Englän- äußeren Lebensbedingungen erneuern ließ. Ebenso der, aber auch die anderen Besatzungsmächte, mussten sie erfahren, dass ihr eigenes Verhalten den außerordentlichen Aufgaben, die die Ver- Einfluss auf die Überzeugungen der Besiegten waltung unseres zerstörten Landes mit sich hatte: 321 brachte, nicht gewachsen waren.“ „Was not tut, ist ein offener und ehrlicher Mei- So wendete sich der Unmut der Bevölkerung gegen nungsaustausch über Vergangenheit und Ge- die Politik der Alliierten, die als selbstgerechte genwart. [...] Das kann für die Deutschen nur Besserwisser erlebt wurden.322 von Deutschen selbst geleistet werden. Die geistige Krise Deutschlands mit der Presse der Der Rigorismus, mit dem die Besatzer die Entmili- Militärregierung zu behandeln, heißt Kopf- tarisierung und Entnazifizierung durchsetzten, schmerztabletten gegen Krebs zu verschrei- machte ihr Projekt der Demokratisierung unbe- ben.“326 liebt.323 So erklärt sich u.a., dass die Einstellung der Menschen zum Nationalsozialismus über Jahre Die Wirkung der in den britischen Behörden erson- positiv blieb. Aus Umfragen lässt sich die Tendenz nenen Re-education war also von einer großen Zahl ablesen, den Nationalsozialismus als gute Idee von externen Faktoren abhängig. anzusehen – allerdings vom Regime mangelhaft umgesetzt.324 Dazu kam in den Westzonen eine 1.3. Aufgaben und Einstellung der wachsende Sympathie gegenüber der Sowjetmacht. Besatzungskräfte Diese schien eine effizientere Aufbauarbeit in ihrer Auf der Potsdamer Konferenz hatten die Alliierten Zone zu betreiben. Dagegen würden in den Augen sich auf besatzungstechnische Zonengrenzen geei- der Bevölkerung nigt. Unmittelbar vor und nach dem Kriegsende „die angelsächsischen Nationen sich wie nach war die britische Besatzungspolitik von einer ab- 1918 faktisch und ideologisch, aus Furcht vor wartenden Haltung mit Blick auf die Vier-Mächte- unangenehmen Verantwortungen, aber vor al- Kooperation geprägt. Das Ende dieses „Interreg- lem auch organisatorisch [...] zurückziehen, was nums“327 kam im Herbst 1945, was eine Verengung sich jetzt schon in ihrer geringen politischen 325 der Deutschlandpolitik auf eine reine Zonenpolitik und organisatorischen Aktivität zeige.“ bewirkte. Die provisorische Aufteilung Deutsch- Insgesamt trafen die Besatzungstruppen auf eine lands entwickelte sich zu einer politischen Grenz- diffuse Gemengelage an politischen Einstellungen, ziehung. renitenten Verhaltensmustern und Lethargie. Die Die britische Zone war mit 22,3 Millionen Einwoh- nern die bevölkerungsreichste und dabei kaum 321 Adenauer: Erinnerungen, S. 58. kleiner als die sowjetische oder die amerikanische 322 In Hamburg führte das zeitweilige Vorhaben der Militärregierung, ein zentrales Hauptquartier in Hamburg auf Kosten von zehntausenden zu evakuierenden Ham- 326 Deutscher: The Observer 09.09.1945. In: Reportagen, burgern einzurichten, zu heftigen Protesten der Bevölke- S. 106 f. rung und einer gravierenden Krise der Besatzungsmacht, 327 Den Begriff verwendete Ivor Pink von der britischen vgl. Schildt: Das „Hamburg Project“, S. 137 ff. Kontrollkommission in einem Schreiben an das Foreign 323 Vgl. Ursula Büttner: Zur Einführung. In: Dies./ Nelle- Office, worin er die hinhaltende Deutschlandpolitik der sen (Hrsg.): Die zweite Chance, S. 11. Regierung kritisiert, PRO, FO 371, 46867. Die derzeit 324 Deutscher. In: Reportagen, S. 181. immer noch einzige umfassende Studie über die britische 325 Denkschrift-Entwurf des führenden SPD-Politikers Besatzungsmacht in Hamburg (mit Schwerpunkt auf der Carlo Schmid vom 19.07.1945 in: Johannes Volker wirtschaftlichen, politischen und konstitutionellen Re- Wagner: Deutschland nach dem Krieg: Kapitulation, konstruktion) ist von Hilary Ann Balshaw: The British Neubeginn, Teilung. Eine illustrierte Dokumentation, Occupation in Germany, 1945-1949, with Special Refe- Bochum 1975, S. 141. Ähnlich Margret Boveri: „Zwar rence to Hamburg, Oxford 1972. Zum Land Niedersach- bin ich immer weiter überzeugt, dass die Zukunft bei den sen vgl. Ullrich Schneider: Britische Besatzungspolitik Russen liegt, weil sie eine Politik haben und wissen, was 1945. Besatzungsmacht, deutsche Exekutive und die sie wollen, während die Westmächte keine konstruktive Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit dargestellt Politik haben und nur wissen, was sie nicht wollen.“. In: am Beispiel des späteren Landes Niedersachsen von Tage des Überlebens. Berlin 1945. München, neu durch- April bis Oktober 1945 (Dissertation). Hannover 1980, ges. Aufl. 1970, S. 139. S. 4.

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Zone.328 Sie erstreckte sich von der Eifel bis zur folgende Provinzial- bzw. Ländergliederung er- dänischen Grenze, vom Harz bis zu den Niederlan- gab:332 den, mit Zugang zu Nord- und Ostsee. Innerhalb - Provinzialmilitärregierung Kiel: Provinz Schles- dieser Grenzen fanden die Briten ein heterogenes wig-Holstein, Hansestadt Hamburg Nebeneinander von Ballungszentren und Flächen- - Provinzialmilitärregierung Hannover: Provinz land. Da war auf der einen Seite die norddeutsche Hannover, Länder Braunschweig und Oldenburg Tiefebene mit den Provinzen Schleswig-Holstein und Hannover sowie den kleinen Ländern Braun- - Provinzialmilitärregierung Münster: Provinz schweig, Oldenburg, Lippe-Detmold und Schaum- Westfalen, Länder Lippe-Detmold und Schaum- burg-Lippe, mitten darin waren die Hafenstädte burg-Lippe Hamburg, Kiel und Wilhelmshaven. Von ganz - Provinzialmilitärregierung Düsseldorf: Provinz anderem Charakter waren die Provinzen Westfalen Nordrhein und die Rheinprovinz, mit der Rhein-Ruhr-Schiene Diese Aufteilung blieb in Kraft bis zum als industriellem Herz Deutschlands. Wegen der 23.04.1946, als die Briten die Länder Schleswig- Ruhrkohle spielte diese Region eine Sonderrolle. Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein- In Potsdam hatten sich die Großen Drei darauf Westfalen bildeten. Unterhalb der vier Militärregie- geeinigt, keine Zentralregierung für Deutschland zu rungen der Provinzen (= (P) Mil Gov Det) gab es etablieren. Zwar proklamierte der Alliierte Kon- die Militärregierung der Länder oder Regierungs- trollrat für sich selbst „die oberste Machtgewalt in bezirke (= (L/R) Mil Gov Det), darunter die Mili- Angelegenheiten, die Deutschland als ganzes ange- tärregierung der Stadtkreise (= (S/K) Mil Gov Det) hen.“329 Darauf bezog sich Winston Churchill eini- bzw. der Landkreise (= (L/K) Mil Gov Det). ge Tage nach Kriegsende: Als übergeordnete Instanz fungierte die Control „Ganz allgemein geht unser Streben dahin, die Commission of Germany/British Element Deutschen ihr Land gemäß den alliierten Richt- (CCG/BE). Sie war aufgeteilt in 12, später 15 Ab- linien verwalten zu lassen. Wir haben nicht die teilungen, wovon die Loslösung der Abteilung Absicht, die Last einer Verwaltung Deutsch- „Public Relations and Information Services“ aus 330 lands auf uns zu nehmen.“ der Political Division in eine eigenständige Abtei- Doch zu diesem Zeitpunkt ruhte diese Last schon lung hervorzuheben ist. Allerdings hatten sich die auf den Schultern der Besatzungstruppen. Denn Pläne des Foreign Office zerschlagen, die Verant- zum einen schrumpfte der gemeinsame Nenner im wortung bei einer interalliierten Zentrale in Berlin Zuge des Kalten Krieges auf ein Minimum. Und nahe dem Kontrollrat anzusiedeln. Somit verlagerte zum anderen lag de facto die Exekutive von Beginn sich der Schwerpunkt der Exekutivgewalt auf das an beim Oberbefehlshaber der jeweiligen Zone. Zonal Executive Office der 21. Armeegruppe im Jeder war der Herr in seinem eigenen Haus.331 Raum Bad Oeynhausen/Minden. Im September Für die Verwaltung der Zone wurden bereits vor 1945 wurden die Stäbe der 21. Armeegruppe und 333 dem D-Day von den Briten vier Military Govern- die der CCG/BE vereinigt. Sie bildeten die zent- ment Detachments aufgestellt, die die spätere Mili- rale Militärregierung für die britische Zone. Unter- tärregierung darstellten. Sie folgten den kämpfen- halb dieser Ebene agierten die genannten örtlichen den Truppen im Abstand von wenigen Tagen nach Länder-, Kreis- und Stadt-Militärregierungen. Seit und besetzten vier Militärverwaltungsbezirke, was Ende 1945 begann die Schaffung von Institutionen in deutscher Hand, die für die Verwaltung nach neuen demokratischen Leitlinien vorgesehen war. Zunächst waren dies die Zonen-Zentralämter als Beratungsorgane, die im Laufe der Zeit exekutive Befugnisse erhielten. Sie entsprachen den briti- schen Fachabteilungen für Wirtschaft, Landwirt- 328 Zum Vergleich: Die Sowjet-Zone hatte 17,3 Millio- schaft usw. Dazu stellte sich später die Konferenz nen, die US-Zone 17,2 Millionen, die französische 5,9 der Länder- und Provinzchefs sowie der übergeord- Millionen Einwohner, vgl. Thies: What is going on in nete Zonenbeirat. War auch die formale Kompetenz Germany?, S. 30; Kleßmann: Die doppelte Staatsgrün- dieser Organe eingeschränkt, so spielten sie eine dung, S. 67. 329 Proklamation Nr. 1 des Alliierten Kontrollrats: 30.08.1945, abgedruckt in: Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 38. 332 Vgl. „Handbook Governing policy and procedure for 330 Churchill: Reden 1945, S. 262. Military Occupation of Germany“: PRO, FO 371, 46730; 331 Dies geschah auf Betreiben der Sowjets, da diese im Schneider: Nach dem Sieg, S. 55. Kontrollrat einem Übergewicht der Westmächte gegenü- 333 Vgl. Schneider: Britische Besatzungspolitik, S. 26, berstanden, vgl. Kettenacker: Germany since 1945, S. 11. 62 ff.; Thies: What is going on in Germany?, S. 37 ff.

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starke Rolle, da sich die Militärregierung oft an ihre Neben der stabilisierenden Funktion war es die Empfehlungen hielt.334 Aufgabe des Besatzungspersonals, in der britischen Der Umfang des Zonenkontrollpersonals rief in der Zone nahezu alle Ebenen des gesellschaftlichen britischen Öffentlichkeit Kritiker auf den Plan. Den Lebens umzugestalten. Montgomery nannte Presse- 26.000 Briten standen in der amerikanischen Zone freiheit, Bildung von Gewerkschaften und Parteien, 12.000 und in der französischen 11.000 Personen von Selbstverwaltungen, Umbau des Rechtswesens, 338 gegenüber.335 Im Oktober 1946 kam es im Unter- des Erziehungswesens. Das Ziel, „etwas Ord- 339 haus bei einer Generaldebatte zu dem Vorwurf, die nung aus dem Chaos zu schaffen“, umfasste auch Koordinierung der vielen Abteilungen sei aus dem die Neuorganisation von Gesundheits- und Ver- Ruder gelaufen, und die Verwaltung hätte sich nur kehrswesen und Polizei, die Trümmerräumung, die mit einer Multiplikation des Personalbestandes zu Versorgung der Flüchtlinge, die Lebensmittel- und helfen gewusst. Dagegen wurde die Vorkriegsver- Brennstoffversorgung und die Wiederbelebung von 340 waltung im kolonialen Indien angeführt, denn dort Kultur und Unterhaltung. Im Oktober 1946 zähl- hatte man 300 Millionen Menschen zu administrie- te Außenminister Bevin in einer Grundsatzerklä- ren gehabt und war mit 1.500 Beamten ausgekom- rung zur Regierungspolitik in Deutschland auf: men.336 Nachdem der Krieg die Britischen Inseln „We wish to see established, first, political con- außerordentlich beansprucht hatte, mochte man sich ditions which will secure the world against any keinen Behördenpopanz im Ausland leisten. Der German reversion to dictatorship or any revival Vorwurf, dass die britischen Zone überbesetzt war, of German aggressive policy; second, economic ließ sich niemals vollständig entkräften. conditions which will enable Germans and the world outside Germany to benefit in conditions Unter dem Leitmotiv der Sicherheit Großbritan- of peace from German industry and resources; niens vor der deutschen Gefahr war der Zielkatalog third, constitutional machinery in Germany for der Besatzungsmacht niedergelegt worden: Entmili- these ends which is acceptable to the German tarisierung und Entnazifizierung, Neustrukturierung people, and is thus likely to be more perma- des politischen Systems, Umerziehung der Deut- nent.“341 schen zur demokratiefähigen Gesellschaft, Einbin- Reformen in allen Bereichen bei gleichzeitiger dung in das westliche Staatenbündnis. Dafür muss- Konsolidierung der materiellen Lebensverhältnisse ten zuerst die chaotischen Verhältnisse konsolidiert – die Militärregierung hatte die Aufgabe, ein neues werden. Die Besatzer hatten dafür zu sorgen, dass Land zu gründen. Das Bild der zu klein geratenen Ruhe und Ordnung herrschten, dass Hunger und Schlange, die an ihrer riesigen „Beute“ Deutsch- Seuchen nicht überhand nahmen, dass die deutsche land schier erstickte, mag vor dem Hintergrund Bevölkerung nicht in gesellschaftliche Anarchie dieses Aufgabenspektrums gewisse Anschaulich- abrutschte. keit haben. Abwegig ist es jedoch, daraus auf Kon- Dies war die ordnungspolitische Voraussetzung, zeptionslosigkeit und planlose Flickschusterei der auf der die Neuorientierung der deutschen Gesell- britischen Deutschlandpolitik abzuheben.342 Pro- schaft fußen sollte. In einer Botschaft an die Deut- grammatische Deklamationen wie die von Mont- schen verkündete Oberbefehlshaber Montgomery: gomery, Barker und Bevin belegen, dass die Briten „Es ist meine Absicht, dass Sie [...] die Freiheit mit spiegelstrichhaften Aufgabenkatalogen das haben sollen, Ihr Leben auf Ihre eigene Art zu gestalten, soweit es die Maßnahmen der militä- 338 Vgl. ebd. rischen Sicherheit und Notwendigkeit irgendwie 339 So Generalleutnant Evelyn Barker, Kommandierender gestatten. Ich will Ihnen helfen, Untätigkeit, Langeweile und Angst vor der Zukunft zu ü- General des 8. britischen Armeekorps, „Über den Wie- berwinden. Dafür möchte ich Ihnen ein Ziel ge- deraufbau in Hamburg und Schleswig-Holstein“. In: ben und Hoffnung auf die Zukunft.“337 Kieler Kurier, Ausg. Nr. 2, 28.07.1945, S. 1 f. 340 Vgl. Rolf Steininger: Deutsche Geschichte seit 1945. Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Band 1: 1945-1947. Frankfurt am Main 1996, S. 73; Wolfgang 334 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, Benz: Deutschland 1945 – 1949. Besatzungszeit und S. 76 f.; zur eher pragmatischen Kooperation der briti- Staatengründung. Bonn 1998 (Informationen zur politi- schen Militärregierung mit den alten Funktionseliten in schen Bildung, Heft 259). Hamburg vgl. Schildt: Das „Hamburg Project“, S. 135. 341 Ernest Bevin: Extract from a statement concerning the 335 Vgl. ebd., S. 68. British Government’s policy on Germany. In: Beate 336 Parliamentary Debates 426, zitiert nach Thies: What Ruhm von Oppen (Hrsg.): Documents on Germany under is going on in Germany?, S. 41. Occupation 1945-1949. London, New York und Toronto 337 Bernard Law Montgomery: Persönliche Botschaft an 1955, S. 181. die deutsche Bevölkerung. In: Kieler Kurier, Ausg. Nr. 5, 342 So z.B. die Hauptthese von Thies: What is going on in 08.08.1945, S. 1. Germany?, S. 29 f.

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„Problem Deutschland“ abzuarbeiten gedachten. into hiding with the object of carrying on the Die Konflikte erwuchsen eher aus der Unmöglich- fight.“345 keit dieses planerischen All-Anspruchs, der deut- Es ging darum, den Heimatboden eines Jahrhun- schen Wirklichkeit gerecht zu werden. Dies grün- dertfeindes zu betreten und seine unberechenbare dete in der beharrlichen Fehleinschätzung des Bevölkerung zu regieren. Diesem Auftrag näherten deutschen Nationalcharakters sowie der daraus sich die Besatzer mit einer Mischung aus Härte, resultierenden Fehlbehandlung der Besiegten in Distanz und Herablassung. Für die Unterscheidung Deutschland. zwischen bösen Nazis und guten Deutschen war in Als die Briten Nordwestdeutschland besetzten, der ersten Zeit kein Raum: führten sie ein über Jahrzehnte gewachsenes Feind- „Die Engländer betrachteten sich nicht selbst als bild mit sich. Besonders in den letzten Kriegsmona- Befreier, sondern als Sieger, die die unmittelba- ten, unter dem Eindruck der V-Waffen-Angriffe auf re praktische Aufgabe zu meistern hatten, die England und der Augenzeugenberichte über die Ordnung in einem Lande wiederherzustellen, Konzentrationslager, machte sich eine regelrechte wo die Regierungsgewalt zusammengebrochen Kriegspsychose breit: war und wo chaosähnliche Zustände herrsch- 346 „Man brachte lange Berichte in Zeitung und ten.“ Radio. Die sehr natürliche Folge war, daß die Der einfache Soldat, der deutschen Boden betrat, Leute sich fragten: Was ist das für eine Nation, wurde auf die harte Haltung gegenüber der Bevöl- die derartige Dinge tun oder dulden kann?“343 kerung eingeschworen: Eine Frage, die sich auch die Besatzungsoffiziere „There will be no brutality about a British oc- stellten. So beschreibt Michael Balfour, britisches cupation, but neither will there be softness or Mitglied der Kontrollkommission, in einem mehr- sentimentality. [...] For, taken as a whole, the seitigen Charakterkatalog das Wesen des Deut- German is brutal when he is winning, and is schen als ambivalente Mischung aus Obrigkeits- sorry for himself and whines for sympathy glauben, Geltungsdrang und Passivität. Der when he is beaten. So be on your guard against ‚propaganda‘ in the form of hard-luck stories. „Arroganz und Aggressivität der Deutschen“ stellt 347 er ihre „Unterwürfigkeit in der Niederlage“ gegen- Be fair and just, but don’t be soft.“ über. Sie verfielen „sehr leicht einer exzessiven Das Bewusstsein des Siegers äußerte sich in der Sentimentalität“ und hätten sich zugleich „unemp- Formel der „Umerziehung“ als das des Lehrmeis- findlich gezeigt gegenüber Gewalttätigkeit“. Der ters, der einem verwahrlosten Schüler mit Unnach- „Mangel an innerem Selbstvertrauen“ sei bei den giebigkeit gegenübertrat. Wenn Deutschland jemals Deutschen Grund für ihre „Unfähigkeit, Kritik zu wieder in die Gemeinschaft der Völker integriert ertragen oder Fehler zuzugeben.“344 Der durch- werden sollte, dann sei es sicher, schnittliche Besatzungsoffizier erwartete, dass die „daß wir zuerst und vor allem streng sein müs- deutsche Bevölkerung ihm mit Gleichgültigkeit, sen. Wie ein Kind, das von seinen Eltern üble schlimmstenfalls mit offenem Widerstand und Neigungen geerbt oder sie aus seiner Umwelt Sabotage begegnen würde: aufgenommen hat, so besitzt die deutsche Nati- „I am not quite sure what I had expected to find on einige sehr schlechte Qualitäten. [...] Wir on first setting foot in defeated Germany – arro- müssen daran gehen, die deutsche Gesinnung 348 gant, hostile faces certainly, angry mobs and umzuschulen.“ even perhaps to be attacked or shot at. In the

British Press there had been lurid stories about 345 ‚werewolves‘, guerilla fighters who had gone Georgiana Melrose: A Strange Occupation. o.O. 1983, S. 13; Melrose kam Anfang 1946 als Warrant Officer nach Deutschland. 346 Greene: Über die Deutschen, S. 373. Dies war die 343 Hugh Carleton Greene: Über die Deutschen. In: von gemeinsame Haltung der Anglo-Amerikaner, auf die man Plato/Leh: „Ein unglaublicher Frühling“, S. 373. sich vor Kriegsende verständigt hatte und die sich in der 344 Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 83 ff. Obwohl US-Direktive 1067 niederschlug: „Deutschland wird Balfours Buch keineswegs in einem antideutschen nicht besetzt werden zum Zweck der Befreiung, sondern Grundtenor geschrieben ist, hielt er noch Jahre nach als eine besiegte Feindnation.“. In: Direktive JCS 1067. Kriegsende an dieser Charakterisierung des deutschen Weisung der Vereinigten Stabschefs an den Oberkom- Nationalcharakters fest: „Es erscheint wichtig, selbst auf mandierenden der amerikanischen Besatzungsstreitkräfte die Gefahr hin, vergangene Kontroversen aufzurühren, in Deutschland – Amtlicher Text, abgedruckt in: Jalta – diese Charakteristika zu detaillieren; denn für die Zu- Potsdam, S. 81. kunft hängt sehr viel davon ab, wie weit es den gegen- 347 Germany: o.O. 1944, S. 4 f. wärtig in Deutschland Regierenden gelingt, ihr Volk zu 348 Britisch Zone Review, 27.10.1945, zitiert nach Tra- veranlassen, diese Schwächen abzulegen.“, ebd., S. 83. cey: Wunschbild, S. 30.

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In den Führungsebenen der britische Besatzungs- Das Fraternisierungsverbot war von einem klaren armee war die strenge Haltung gegenüber den Erziehungsmoment motiviert. Die Ablehnung ele- Deutschen Konsens. William Strang, seit mentarer Höflichkeitsgesten wie Händeschütteln 05.06.1945 politischer Chefberater Montgomerys, kam einer sozialen Ächtung gleich, die den Deut- sah bis zu seiner Abberufung Ende 1947 selbst schen Belehrung und Schuldzuweisung sein sollte: angesichts der materiellen Notlage keinen Grund, „Non-fraternisation to us implies no revenge; davon abzugehen: we have no theory of master races. But a guilty „The German people as a whole fully deserve nation must not only be convicted: it must real- all that they are now suffering and have it in ise its guilt. Only then can the first steps be them to be a menace to us again in the future ei- taken to re-educate it, and bring it back into the ther alone or in combination with others. It is society of decent humanity. Be just; be firm; be not for their sakes that we are paying.“349 correct; give orders, and don’t argue.“353 Ebensowenig sah sich Außenminister Bevin im Wenn auch das offizielle Fraternisierungsverbot Herbst 1946 veranlasst, den strengen Austeritäts- nicht lange Bestand hatte, so hatten derlei Weisun- Kurs aufzuweichen – u.a. aus pädagogischen Grün- gen bei der Truppe nachhaltige Wirkung: den: „The majority of officers and civilians of officer „We must behave like decent and sensible hu- status, or so I should judge, have practically no man beings and not like Nazis, but I appeal to dealings at all with German males […]. The the country not to allow itself to be indulging in general attitude varies from a disgusting offen- sloppy sentiment. It will not do the Germans siveness, through indifference often identifiable any good, and it will only result in misleading with oblivion, to that humane and almost un- them. Having regard to the fact that we had to consciously superior paternalism which is char- fight two wars, with all their sacrifices, we must acteristic of the ‚white‘ attitude to ‚natives‘ at now secure a just settlement without fear or fa- its best.“354 vour. It is extremely distasteful to see victorious Diese Grundhaltung lebte Montgomery in seinem nations courting a defeated enemy for ideologi- von Stacheldraht umgegebenen Hauptquartier in 350 cal reasons.“ Bad Oeynhausen vor, und sie wurde vom Besat- Bereits im April 1944 hatten sich Amerikaner und zungspersonal übernommen. Man schottete sich ab Briten darauf geeinigt, ihren Truppen jegliche Ver- in Offiziersmessen und Wohnquartieren.355 brüderung mit dem Feind zu untersagen. An den Die Gründe für das distanzierte Verhalten der An- Oberkommandierenden Eisenhower erging in der fangszeit lagen nicht nur im Fraternisierungsverbot, amerikanischen Direktive 1067 die Weisung: sondern auch im Kriegstrauma und der Abneigung „In der Durchführung Ihrer Besetzung und gegenüber den Aggressoren. Dennoch zeigten sich Verwaltung sollen Sie gerecht, aber fest und bald die negativen Folgen dieser Politik, die den distanziert sein. Sie werden jede Fraternisierung Aufbau- und Umerziehungszielen der Alliierten mit den deutschen Beamten und der deutschen kontraproduktiv entgegenwirkten. Die rigorose 351 Bevölkerung unterbinden.“ Symbolik der Ächtung führte nicht zur Läuterung, Auf britischer Seite kam der „Letter on Non- sondern brachte selbst nachdenkliche deutschen Fraternisation“ von Montgomery an die Truppen. Zivilisten gegen die Besatzer auf: Darin legte er mit Blick auf die Fehler nach dem „Auf dem Fraternisieren stehen Freiheitsstrafen Ersten Weltkrieg die Verhaltensrichtlinien dar: von 6 Monaten. Sie dürfen uns nicht die Hand „In streets, houses, cafes, cinemas, etc, you geben, keine Geschenke machen, sollen uns be- must keep clear of Germans – man, woman and handeln wie ein Kolonialvolk. Nun, das Frater- child – unless you meet them in the course of nisieren hat zwei Seiten, und ich habe beschlos- duty. You must not walk out with them, or sen, nichts anzunehmen, wenn mir einmal etwas shake hands, or visit their homes.“352 geboten würde.“356

349 William Strang: Telegramm vom 20.10.1946, PRO, FO 371, 55578. Darin berichtet die Autorin von einem „leaflet“ vom 350 Ernest Bevin: Extract from a statement concerning the September 1944, in dem „Non-Fraternization“ definiert British Government’s policy on Germany. In: Ruhm von wird als „the avoidance of mingling with Germans upon Oppen (Hrsg.): Documents on Germany, S. 186. terms of friendliness, familiarity or intimacy.“ 351 Direktive JCS 1067. In: Jalta – Potsdam, S. 81. 353 Montgomery: Letter on Non-Fraternisation, o.S. 352 Bernard Law Montgomery: Letter on Non- 354 Victor Gollancz: In Darkest Germany, London 1947, Fraternisation. In: Bolton Evening News – Internet- S. 94 f. Version, Looking Back: Monty’s warning to his troops. 355 Vgl. Balfour: Vier-Mächte-Kontrolle, S. 170. o.J., o.S.; vgl. Melrose: A Strange Occupation, S. 33. 356 Boveri: Tage des Überlebens, S. 174.

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Bei den Deutschen, die die Besatzung als Befreiung „It is said that the ban has hurt the Germans vom Krieg auffassten, führte die Haltung der neuen more than anything, because in their view they Herren schnell zur Ernüchterung. So bemerkte der are a nation without honour, and without honour 360 spätere Hamburger Bürgermeister Sieveking, they cannot survive.“ „daß das Klima zwischen der Bevölkerung und Parallel dazu nahmen sich nun Journalisten des der Besatzungsmacht, das zu Beginn freundlich Themas an. Die Administration in Deutschland gewesen war, weil man die Engländer als Be- geriere sich zu kleinkariert und aufpasserisch. Das freier begrüßt hatte, sich verschlechterte. ‚Too Verschanzen hinter den Mauern der Bürokratie little and too late‘ war die Kritik an der Besat- würde nicht nur die Effizienz schmälern, sondern zungsverwaltung.“357 auch den Deutschen die Bereitschaft zur Zusam- Die formalistische Auslegung der Besatzungsstatu- menarbeit nehmen: te machte den deutschen Verwaltungen das Leben „The Germans exaggerate when they say that a schwer. Einerseits mussten sie dies gegenüber der job which under the Control Commission takes Bevölkerung vertreten, andererseits gerieten sie 15 months could be done by them in three, but darüber mit den Besatzungsoffizieren in Streit. So the masses of paper on every desk in every Brit- geschah es Konrad Adenauer, der noch von den ish office one visits leaves one with the impres- Amerikanern als Oberbürgermeister von Köln ein- sion of harrassed officials unable to reach reali- 361 gesetzt worden war: ties through a wall of files.“ „Mein Verhältnis zu den amerikanischen Besat- Die vielbeachteten Artikel des Deutschlandreisen- zungsoffizieren war [...] sehr gut. Die Dinge än- den Victor Gollancz sparten nicht mit Polemik derten sich, als die Amerikaner nach einiger gegenüber den britischen Behörden. Er warf ihnen Zeit – und zwar am 21. Juni 1945 – Köln ver- regelrecht Nazi-Methoden vor: ließen und britische Truppen an ihre Stelle tra- „I wonder still, whether the best way to ‚re- ten. Mit den maßgeblichen britischen Offizieren educate‘ people cursed by a Herrenvolk tradi- geriet ich bald in Konflikt. Die Bevölkerung tion is to behave like Herrenvolk – if in the wurde nach meiner Meinung von den Englän- main very kind and decent Herrenvolk – your- 358 dern schlecht behandelt.“ selves. […] We are trying to impose a formalis- So stellte sich in der deutschen Bevölkerung nach tic democracy by totalitarian methods.“362 einer anfänglichen Sympathiewelle schnell resig- Es war weniger die Sorge um das deutsche Selbst- nierte Ablehnung ein. Die Perspektiven waren nicht wertgefühl als das Bewusstsein, dass weder “indi- besser als in den letzten Kriegsmonaten, die Mili- rect rule“ noch “re-education“ ohne eine kooperati- 359 tärregierung galt als arrogant und überfordert. onswillige Bevölkerung funktionieren würden, das Das Absacken der Stimmungskurve blieb den Be- die Briten am 14.07.1945 zu einer Aufhebung des satzern nicht verborgen. Im Juni 1945 meldete der Fraternisierungsverbot veranlasste. In einer „per- Chef der Militärregierung in Niedersachsen nach sönlichen Botschaft“ teilte Montgomery den Deut- London: schen mit: „Ich habe die Bestimmungen des Umgangsver- 357 bots gelockert. Angehörigen der britischen Kurt Sieveking: Hamburgs erstes Jahr unter der briti- Truppenteile ist es jetzt gestattet, sich auf Stra- schen Militärregierung (1945/46). In: Miterlebtes. Be- ßen und in der Öffentlichkeit mit der deutschen richte aus fünf Jahrzehnten hamburgischer Geschichte. Bevölkerung zu unterhalten. Das wird uns die Hamburg 1979 (Vorträge und Aufsätze herausgegeben Möglichkeit geben, Fühlung mit Ihnen aufzu- vom Verein für Hamburgische Geschichte, Heft 22), nehmen und Ihre Probleme leichter zu verste- S. 37. Zur Wahrnehmung Hamburgs durch führende hen.“363 britische Besatzungsoffiziere vgl. Michael Ahrens: Ham- Die passive bis kritische Haltung der Bevölkerung burg aus britischer Sicht (1945-1949), Unveröff. Magis- führten nicht zu einer weiteren Verhärtung der terarbeit an der Universität Hamburg. Hamburg 1999. 358 Fronten, sondern zu einem Umdenken auf seiten Adenauer: Erinnerungen, S. 22. der Besatzer. Dem lag ein rationales Kalkül 359 „Es erwies sich in der Praxis, daß die Engländer [...] den außerordentlichen Aufgaben, die die Verwaltung unseres zerstörten Landes mit sich brachte, nicht ge- 360 Wochenbericht der Provinzialmilitärregierung Han- wachsen waren.“, ebd., S. 58.; zum entsprechenden nover: PRO, WO 171, 7955; über die kontrover-sen Stimmungsabfall in Hamburg zwischen Herbst 1945 und Diskussionen in London vgl. Schneider: Nach dem Sieg, Juli 1946 vgl. Ahrens: Hamburg aus britischer Sicht, S. 57 f. S. 38 ff. Der Trend hielt an: Bei einer Umfrage des Spie- 361 The Times, 15.10.1946. gel nach den größten Staatsmännern Anfang 1949 erhielt 362 Gollancz: In Darkest Germany, S. 98 f. der amtierende britische Premier Attlee eine einzige 363 Montgomery: Persönliche Botschaft. In: Kieler Ku- Stimme, Der Spiegel, 07.03.1945. rier, S. 1.

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zugrunde: Wollte man sich nicht auf ewig mit ei- waren im wesentlichen verschont geblieben, so nem renitenten Besatzungsvolk herumschlagen, so auch das Rundfunkgebäude an der Rothenbaum- musste man sich dessen Kooperation versichern. chaussee. Hugh Carleton Greene, der 1939 aus Deutschland Noch am Abend des 03.05.1945 marschierte die ausgewiesen worden war, wurde ein Protagonist britische Armee im Funkhaus ein, darunter die dieser Haltung: Offiziere Colonel Paul Lieven (militärischer Leiter „Ich glaube, daß seit dem Herbst eine bemer- der Operation), Major Paul Findlay (Ingenieur und kenswerte Änderung in der britischen Haltung technischer Leiter), Captain Walter Everitt (journa- gegenüber Deutschland und den Deutschen ein- listischer Leiter) und Geoffrey Perry (Rundfunk- getreten ist. Zum ersten Mal betrachtet man das techniker). Vom deutschen Führungs- und Redakti- deutsche Problem in England vor allem als ein onspersonal war zu diesem Zeitpunkt keiner mehr 364 Problem der leidenden Menschheit.“ anwesend, nur einige Rundfunktechniker, aus deren Viele Besatzungsoffiziere gingen zu einem konzili- Sicht nach Axel Eggebrechts Hörspiel „Sieben anteren Verhalten über, sobald sie den Realitäten Tage im Mai“ sich die Besetzung so abspielte: der Nachkriegszeit gegenüber standen und die eher „Die meisten von uns wurden heimgeschickt. kooperationswillige denn widerständige Haltung Nur zehn oder zwölf Techniker mussten dablei- der Bevölkerung wahrnahmen: ben. Wir schliefen in unseren Arbeitsräumen, „Most of the Germans appeared to be ready to nebenan die Engländer. Tja – und das blieb respect us. They were doing their best to adapt dann so, ungefähr zehn Tage lang. Der grosse to what must have been for them a humiliating Sendesaal sah aus wie ein Heerlager. In allen situation, and they were willing to co-operate in Gängen patrouillierten Posten mit Maschinen- the remaking of their lives, but they needed all pistolen. – 1. Sprecher: Zu tun gab es wohl the help they could get.“365 nicht viel? – Techniker: Im Gegenteil! Gleich am nächsten Morgen, also am 4. Mai, wurden Es war diese pragmatische Grundeinstellung, die es alle Anlagen gründlich geprüft. Nachmittags den Briten ermöglichte, ihre theoretische Blaupause machte der leitende britische Techniker, ein für die Umerziehung der Deutschen angesichts Major, eine erste Probe.“367 abweichender Wirklichkeiten zu modifizieren. Für die Gestaltung des Rundfunks in der britischen Die Schilderung legt nahe, dass die Übernahme der Zone sollten diese Erfahrungen der ersten Besat- Radiohoheit in Norddeutschland nicht planlos vor zungsmonate prägende Relevanz gewinnen. sich ging, und in der Tat waren die britischen Offi- ziere vorbereitet worden.368 Prompt gingen sie daran, mit Hilfe des deutschen Technikpersonals 1.4. Besetzung des Reichssenders den Sender wieder in Betrieb zu nehmen, was ihnen Hamburg am Abend des 04.05.1945 gelang, weniger als 24 Britisch-kanadische Truppen der 21. Armeegruppe Stunden nach der letzten Ausstrahlung des Reichs- besetzten am 03.05.1945 Hamburg. Wenige Stun- senders. Die erste Ansage machte die neuen Herr- den zuvor hatte Gauleiter Karl Kaufmann über den schaftsverhältnisse klar: „This is Radio Hamburg, a „Reichssender Hamburg“ verkündet, die Stadt station of the Allied Military Government. Hier kampflos zu übergeben.366 Damit blieb den Be- spricht, Hamburg, ein Sender der Alliierten Militär- wohnern die Agonie der Straßenschlachten im regierung.“369 Berliner Stil erspart. Allerdings waren im Bomben- krieg längst die Arbeiterviertel im Osten sowie die Gegend um Hafen und Hauptbahnhof verwüstet worden. Die Straßenzüge westlich der Außenalster 367 Axel Eggebrecht: Sieben Tage im Mai. Zweiter Teil: Vier Jahre NWDR, Manuskript des Hörspiels vom 01.05.1949, StA HH, NDR 621-1, 1166. 364 Greene: Über die Deutschen, S. 374. 368 Kutsch nennt Kurse in deutscher Sprache, Geschichte 365 Melrose: A Strange Occupation, S. 33. sowie Psychologie, vgl. Rundfunk unter alliierter Besat- 366 „Das Schicksal dieses Krieges kann nicht mehr ge- zung, S. 84.; vgl. auch Görgen: Der britische Einfluß, wendet werden. Der Kampf aber in der Stadt bedeutet S. 109. ihre sinnlose und restlose Vernichtung. Mir gebietet Herz 369 Besetzung des Reichssenders Hamburg „Germany und Gewissen, in klarer Erkenntnis der Verhältnisse und Calling“, 04.05.1945, NDR-Wortarchiv WR23494. Die im Bewusstsein meiner Verantwortung, unser Hamburg, Übernahme des Senders Hamburg führte zu der kuriosen seine Frauen und Kinder vor sinn- und verantwortungslo- Situation, dass über den Nebensender Flensburg die ser Vernichtung zu bewahren.“ Gauleiter Karl Kaufmann deutsche Admiralität um Großadmiral Dönitz parallel spricht zum letzten Mal vor der britischen Besetzung: dazu Wehrmachtsberichte und Soldatenlieder sendete. So 03.05.1945, NDR-Wortarchiv F825074. Zum „Surrender stammt die letzte Luftlagemeldung von Bomberverbän- of Hamburg“ vgl. Balshaw: British Occupation, S. 16 ff. den im NDR-Wortarchiv vom 08.05.1945 (F810891).

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Nach der reibungslosen Übernahme beschränkte Zur gleichen Zeit beschwor Militärgouverneur sich Radio Hamburg auf ein minimalistisches Montgomery die Dringlichkeit der Lage. Er war Rumpfprogramm. Der Sendeablauf vom nicht einer blinden Sympathie für die deutsche 09.05.1945 verzeichnet von 16:30 bis 22:30 Uhr Bevölkerung verdächtig, doch nun sah er sie am Musik, mehrsprachige Nachrichten sowie Aufrufe Rande eines geistigen Vakuums: („Announcements“) der Militärregierung an die “They are hungry for information; we must give 370 Bevölkerung. Auf diesem Niveau stagnierte das it to them, mixed with good and officially in- Programm viele Wochen. Die Befindlichkeit des spired propaganda. By means of Hamburg radio britischen Militärgouverneurs Montgomery gegen- and other stations, by newspapers, and by cine- über dem Alliierten Oberkommando SHAEF, das mas, we must get propaganda and information Festhalten an der unrealistischen Strategie eines across to people. […] The vital point is that we zentralen Deutschlandsenders sowie die Entschei- must get this started at once; very energetic ac- dungsträgheit im Londoner Foreign Office führten tion is required, and must be forthcoming.“373 zu einem Erlahmen des ersten Schwungs. Mit Ner- Tatsächlich fiel zu dieser Zeit in London die Ent- vosität sahen sich die britischen Besatzungsoffizie- scheidung, den Hamburger Sender als zentrales re diesem Stillstand ausgesetzt: Rundfunkmedium für die britische Zone aufzubau- “I am in some difficulty because I do not know en. Der Weg zu einem deutschen Radiosender war to whom I am to look for policy directives. […] beschritten – im Einklang mit dem Re-education- Though, admittedly, I cannot do much more Ziel der britischen Informationspolitik. than I am doing at present until a staff and oper- ating personnel are allowed, my future plans 2. Strukturpolitik would be clarified if I could be informed au- thoritatively what policy I am to follow.“371 In den Nachkriegsplanungen der britischen Behör- Allmählich drangen die beunruhigende Berichte zu den stand der Rundfunk als tragendes Element der Demokratisierungs- und Umerziehungspolitik den zuständigen Stellen durch. So berichtete Willi- 374 am Strang nach einer Rundreise durch die britische fest. Dabei war es unstrittig, dass das NS- Zone nach London: Rundfunksystem ausgedient hatte. Andererseits sahen die Briten auch im Weimarer Rundfunk kei- “Our German service from Hamburg is very ne bewährte Tradition, auf die es sich zurückzugrei- limited. Hamburg Radio is at present limited to originating a programme which totals 1,5 hours fen lohnte. Der Wiederaufbau des Rundfunks muss- per day, including one news bulletin a day of te ein radikaler Neubeginn sein. one quarter of an hour. The remainder of the programme is relayed from Luxembourg, and it 2.1. Die Rolle der BBC would appear that much current criticism of the Wenn sie sich auch von allen deutschen Traditio- amateurish presentation of our programmes is in fact directed against Luxembourg.“372 nen im Rundfunk absetzen wollten, so entwarfen die Briten doch nicht ein völlig neues Modell. Sie griffen vielmehr auf ihre eigenen Traditionen zu- rück. Dies hatte besatzungspolitisch Methode, da

mit der „indirect rule“ ein bewährtes Paradigma aus Am gleichen Tag verkündete Dönitz über diesen Sender der britischen Kolonialtradition herangezogen war. die deutsche Kapitulation (F805164). 370 Nichts lag in dieser Situation näher, als auf die Radio Hamburg, Programme Summary for Wednes- Erfahrungen und das Know-How der British day 9 May 45, StA HH, NDR 621-1, 1126; vgl. Egge- Broadcasting Corporation aufzubauen. Die BBC brecht: Sieben Tage im Mai, StA HH, NDR 621-1, 1166: war 1922 als staatliche Rundfunkanstalt gegründet „Na – Programm ist ein bisschen übertrieben. Nehmen und 1927 in ein öffentlich-rechtliches Unternehmen wir als Beispiel den 12. Mai: Sendezeit – fünf Stunden, umgewandelt worden. Das neue Medium Rundfunk von 17.00 bis 22.00. Nachrichten in englischer, französi- sollte als Baustein der britischen Demokratie fun- scher, polnischer, russischer, holländischer, tschechischer gieren, ungehindert von Partikularkräften und letzt- und italienischer Sprache. Einige Mitteilungen in deut- lich im Dienste nur eines Souveräns: des britischen scher Sprache, nämlich: Anordnungen der Militärregie- rung über das abendliche Ausgehverbot, den ‚curfew‘, Aufrufe an Elektroarbeiter, Bäckereien und Schlächterei- 373 Field Marshal Montgomery: C in C’s Memo, en. Erlaubnis lebenswichtiger Autofahrten. Und: Ende 06.07.1945, PRO, FO 1056, 25. der Verdunkelung!“ 374 Zur Umsetzung der britischen Informationspolitik in 371 Brigadier Alfred Geoffrey Neville (Chief Information den Zeitungen vgl. Peter Rzeznitzeck: Von der Rigorosi- Control Branch) an Christopher E. Steel (Political Advi- tät in den Pragmatismus. Aspekte britischer Presse- und sor 21 Army Group), 16.06.1945, PRO, FO 1056, 25. Informationspolitik im Nachkriegs-Deutschland 1945- 372 13.7.45, PRO, FO 898, 401. 1949 (Dissertation). Düsseldorf 1989.

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Volks. Das Prinzip der Gebührenfinanzierung ent- Dauerfeuers der NS-Propaganda eine glaubwürdige zog die BBC dem Zugriff privatwirtschaftlicher Position einzunehmen – keine einfache Aufgabe, Interessen, ein auf unabhängigen Gremien („Board zumal das Berliner Propaganda-Ministerium erbit- of Governors“) basierendes Aufsichtssystem ver- terte Gegenpropaganda auffuhr und drakonische hinderte die Gängelung durch den Staat ebenso wie Strafen für Abhören des „Feindsenders“ verhängte. die Instrumentalisierung durch gesellschaftliche In dieser Situation definierten die Briten wahrheits- Interessengruppen oder Parteien. Diese Konstrukti- gemäße Berichterstattung als die Waffe, mit der sie on hatte sich als tragfähig erwiesen. In den wenigen sich von der deutschen Gegenseite absetzen konn- Jahren ihrer Existenz war die BBC zu einem voll- ten. Im Oktober 1940 trat Hugh Carleton Greene, wertigen Glied der britischen Gesellschaft gewor- ein ehemaliger Deutschland-Korrespondent, seine den. Nicht zuletzt profitierte sie dabei vom engli- Stelle als Leiter der Rundfunksendungen für schen Zeitungswesen, das auf eine Tradition mit Deutschland an: hohem journalistischem Standard zurückblicken „Auch konnte es keine großen Zweifel über die konnte. Wie kläglich nahm sich dagegen in der anzuwendenden Methoden geben: in den Gren- Wahrnehmung der Briten das Schicksal der Ham- zen der uns zur Verfügung stehenden Informa- burger NORAG aus: Nahezu zeitgleich zur BBC im tionen unentwegt und offen die Wahrheit zu sa- Januar 1924 gegründet, verlor sich der Sender in- gen. Dieses bedeutete, daß man entschlossen haltlich in betulichem Feuilletonismus und ließ sich sein mußte, eine Katastrophe niemals zu vertu- später politisch zum Spielball der Interessen ma- schen. [...] Einer deutschen Hörerschaft gegen- chen – das Radio als Sprachrohr staatlicher über, die aus ihrer eigenen Presse und ihrem Propaganda. Rundfunk an völlig skrupellose Lügen gewöhnt war, mußten wir uns als merkwürdige Geschöp- Dagegen blickten die Briten nicht ohne Stolz auf fe hinstellen, die tatsächlich an der Wahrheit in- ihre BBC, die sie für das beste Rundfunksystem teressiert waren.“376 überhaupt hielten. Sie war nicht nur demokratisch legitimiert, sondern hatte auch im Krieg ihren An- Mit dieser Taktik etablierte sich die BBC in teil am demokratischen Abwehrkampf geleistet. In Deutschland als vertrauenswürdige Informations- England war das Radio zur wichtigen Informati- quelle. Im eigenen Selbstverständnis sah sich der onsquelle über die militärischen und politischen Deutsche Dienst als Nachrichtendienst, nicht als Ereignisse geworden, viel schneller als die Print- Propagandadienst. Gleichwohl war die zweite gro- medien war es in der Lage, die Bevölkerung zeit- ße Säule der Berichterstattung der Kommentar und gleich zu informieren und ggf. Warnungen (etwa damit die Vermittlung des britischen Standpunktes: bei Bombenangriffen) auszurufen. Allein die Über- „24 Stunden täglich bemühten wir uns, der Welt tragung von Churchills Reden hatte einen Motivati- mitzuteilen, was in Grossbritannien vor sich onseffekt, wie ihn keine gedruckte Version haben geht und was man hier denkt. Es ist besonders konnte. wichtig, dass wir das deutsche Volk informie- ren, denn das deutsche Volk ist nun seit Jahren In den dreißiger Jahren hatte die BBC ihre ersten von allen verlässlichen Nachrichten jenseits Auslandsdienste auf Sendung geschickt, zunächst seiner Grenzen abgeschlossen.“377 in englischer Sprache. Dazu kamen bald fremd- sprachige Ausstrahlungen, vor allem in Reaktion Doch der Einfluss der BBC beschränkte sich nicht auf die aggressive Propaganda der faschistischen auf die psychologische Kriegsführung. Auch in die Regierungen in Deutschland und Italien, die auf Planungen der Londoner Behörden über den Neu- Kurzwelle ins Ausland sendeten. Die erste deutsche aufbau des Rundfunks im besetzten Deutschland Sendung der BBC war die Übersetzung einer Rede waren die Fachleute der BBC eingebunden. Im des Premiers Neville Chamberlain am 27.09.1938 Joint PWE/MoI/BBC Reoccupation Committee (ab anlässlich der Sudetenkrise mit Akzent auf den März 1943) waren Mitglieder des Deutschen Diens- britischen Friedensbemühungen. Damit begann die tes der BBC ebenso vertreten wie in dessen German Ära der europäischen Dienste der BBC.375 Sub-Committee (ab September 1943), das sich mit den Plänen für Medien- und Rundfunkkontrolle Während des Krieges verfolgte der Deutsche Dienst nach Kriegsende befasste. Einer von ihnen war der BBC im Rahmen der psychologischen Kriegs- Hugh Carleton Greene, der Leiter des Deutschen führung das Ziel, die Kriegsmoral der deutschen Dienstes. Diese Verflechtungen ließen früh darauf Bevölkerung zu untergraben und sie auf die Zeit nach dem Nationalsozialismus vorzubereiten. Not- wendige Voraussetzung dafür war es, inmitten des 376 Hugh Carleton Greene: Entscheidung und Verantwor- tung. Perspektiven des Rundfunks. Hamburg 1970, S. 20. 375 Vgl. Karen Gehrke: Der Deutsche Dienst der BBC 377 Lindlay Fraser, ab Februar 1940 politischer Kommen- 1945 – 1949, unveröff. Magisterarbeit. Universität Lüne- tator beim Deutschen Dienst der BBC, zitiert nach Gehr- burg 2000. ke: Der Deutsche Dienst der BBC, S. 20.

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schließen, welche bestimmende Rolle dem Modell tischen Erziehung nur dann gewinnen konnte, wenn der BBC für den Neuanfang des deutschen Rund- es ein deutsches Gesicht haben würde. Den briti- funks in der britischen Zone zugedacht war. Mit der schen Medienkontrolleuren kam dabei eine Ge- BBC hatte man ein Reservoir an erfahrenen Radio- burtshelferrolle zu: Experten zur Verfügung und in Gestalt des Deut- “The basic policy of British-controlled radio in- schen Dienstes ein Reservoir an Deutschland- side Germany is to train up a generation of suit- Experten. Umgekehrt waren die Deutschen zu gro- able Germans and to establish a tradition of ßen Teilen über die Sendungen des Deutschen broadcasting in accordance with British policy, Dienstes mit der BBC vertraut.378 so that at some future date the period of German apprenticeship may end and a measure of inde- 2.2. Das Ziel: Unabhängigkeit pendence be given to a German Home Service in the British Zone.“381 Nach der Besetzung des Hamburger Funkhauses im Die Unabhängigkeit des indigenen deutschen Mai 1945 hatten sich die Anfangswochen des neu- Dienstes war in der Konstruktion des Vorgänger- en Senders zäh und richtungslos gestaltet, was in senders (Reichssender Hamburg) nicht gegeben, Anbetracht der jahrelangen Vorplanungen des Lon- sodass der NWDR strukturell aus bislang geltenden doner Behördenapparats enttäuschend war. Doch Rechtsbezügen herausgelöst werden musste. Der nach dem Scheitern des 3-Mächte-Modells für den entscheidende Schritt hierzu war seine Entlassung Rundfunk hatte die Neuorientierung in der briti- aus der Kompetenz der Reichspost. Im Oktober schen Medienpolitik auf sich warten lassen. Zum 1945 informierte die britische Militärbehörde den erhofften Aufbruchsignal konnte sich das Political Hamburger Bürgermeister über die neuen Zustän- Intelligence Department erst im Juli durchringen. digkeiten: Es formulierte einen Ablaufplan für die Lizenzpres- se sowie den Aufgabenkatalog für den Rundfunk: “The Nordwest Deutscher Rundfunk, which is in process of formation, will commence forth- „The essential task is to provide news, talks and with to take the place of the former Reichs features of the type which serve the ends of Rundfunk Gesellschaft mbH throughout the British reconstruction and education policy, at British Zone. [...] This will be done under the first under close control and later through Ger- supervision of the Broadcasting Control Unit, mans working under more general supervision. Hamburg.“382 Radio Hamburg will be the first training ground for a German Home Service, where the news Damit war der Schritt getan, den German Home writers, entertainment producers, speakers and Service aus binnenpolitischen Abhängigkeiten zu talks editors of the future will be tested.“379 lösen. Auf der Ebene des Programms war diese Klarheit im Herbst 1945 nicht erreicht, sodass die Von da ab gewann der Neustrukturierungsprozess Schärfung eines eigenen „nordwestdeutschen“ an Fahrt, sodass im September nach der Auswei- inhaltlichen Profils nun zur Priorität wurde. tung der Ausstrahlungen auf den Kölner Raum der Sender von „Radio Hamburg“ umbenannt wurde in „Nordwestdeutscher Rundfunk“.380 Die Wahl des 2.3. Abgrenzung und Aufgaben Namens machte die Absicht der Briten klar. Von Wenn es gelingen sollte, den jungen deutschen Anfang an wollten sie einen einheitlichen Sender Sender auf eigene Beine zu stellen, musste der für ihre Zone aufbauen, und dieser sollte an das geplante Übergang von der Abspielstation vorge- Identifikationsgefühl appellieren: ein deutscher fertigter Sendungen aus dem Ausland (BBC, Radio Sender für deutsche Hörer. Zu diesem Zeitpunkt Luxemburg) zu eigenproduzierten deutschen Bei- stand für die Besatzer fest, dass das Radio die nöti- trägen ins Werk gesetzt werden. Nach der anfängli- ge Überzeugungskraft als Speerspitze der demokra- chen „Black-Out-Phase“ und einer anschließenden Notversorgung von außen stand der NWDR im 378 Im August 1994 schätzte die BBC die Zahl der deut- Herbst 1945 an der Schwelle zur programmlichen schen Hörer auf täglich 10-15 Millionen, vgl. Gehrke: Selbständigkeit: Der Deutsche Dienst der BBC, S. 22. “We learn from Radio Hamburg that they ex- 379 PID-Memorandum: Information Control in the British pect shortly to be able to produce their own Occupied Zone of Germany, 18.06.1945, PRO, FO 898, 401. 380 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Political 381 Major-General K. Strong (PID): Memorandum by the Division: Conduct of Broadcasting in Germany, Political Intelligence Department, 03.10.1945, PRO, FO 17.09.1945, PRO, FO 1049, 204; die erste Ansage „Hier 371, 46702. ist der Nordwestdeutsche Rundfunk“ erfolgte am 382 Commander 609 (L/R, Det Mil Gov Col) an Burgo- 22.09.1945, vgl. Ha-Dienst Meldung Nr. 5, 20.09.1945, master [!]: Hansestadt Hamburg, 16.10.1945, StA HH, StA HH, NDR 621-1, 1126. NDR 621-1, 1126.

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news bulletins (at present they relay those of the aber intensiven Papierkriegs mit der „Definition of B.B.C.), and to cease relaying shortly the politi- functions of BBC German Service and Nordwest- cal and cultural programmes of the B.B.C. They deutscher Rundfunk“ eine klare Aufgabenbeschrei- further expect sufficient native talent and mate- bung der beiden Sender zur Verfügung. Die Unter- rial to be available and organized within the scheidung war weniger eine technische oder next two or three weeks to make them inde- 383 thematische, sondern eine der Perspektive: Der pendent of London in this respect.“ britische Sender BBC sollte eine erkennbar engli- Wollten die Briten im NWDR eine Sendeanstalt sche (oder auch internationale) Haltung zu politi- nach Muster der BBC aufbauen, so mussten sie schen Themen einnehmen, der deutsche NWDR zwar die Übernahmen von Sendungen des BBC eine erkennbar deutsche. Während der BBC Ger- German Home Service einstellen, gleichzeitig aber man Service deutschsprachige Hörer jedweden waren sie auf das BBC-Fachwissen und -Personal Standorts ansprechen konnte, wandte sich der angewiesen, um im NWDR eine journalistische NWDR an die Hörerschaft in der Britischen Zone: Plattform nach angelsächsischem Muster bereitzu- “The function of Nordwestdeutscher Rundfunk stellen. Dazu bedurfte es einer klaren Abgrenzung. ist to provide for the British Zone of Germany a Dem Chef der Medienkontrollbehörde Alexander ‚Home Service‘ on the lines of the B.B.C. Bishop erschien die Parallelbespielung durch BBC Home Service. Its programmes may be heard by und NWDR als „dangerous situation“, wie er im listeners in other zones, but it is no part of its November 1945 schrieb: function to cater for those listeners. The Ger- „I am anxious to clear up together with you in man Service from London is part of the B.B.C. the near future the problem of the relation be- European Services and speaks with a British tween the BBC German Service and the voice. Its transmissions, introduced with the NWDR. […] At present the BBC German Ser- words ‚Here is England‘ are adressed to an au- vice gives great deal of news about German in- dience all over Germany, and it is heard also by ternal affairs, and a number of talks on them, German speaking listeners over the greater part 385 derived from various sources, controlled and of Europe.“ uncontrolled, and subject to a broad policy con- Für die inhaltliche Ausrichtung beider Sender war trol by PID, which inevitably cannot extend to die Maßgabe der Re-education-Politik die Grundla- every news item and point of detail. As regards ge. Sollte sich der NWDR als demokratisches Ele- NWDR, it is and will for some time be our pol- ment in der deutschen Medienlandschaft etablieren, icy to maintain close control over the sources, so musste der Eindruck vermieden werden, es presentation and communication of internal 384 handle sich um einen Propagandasender von briti- German news to the public in our zone.“ schen Gnaden. Keinesfalls durfte die Erziehungs- Bishops Brief trat eine umfangreiche Korrespon- wirkung durch offene und penetrante Belehrungen denz los, mit einer Vielzahl an Entwürfen, Überar- diskreditiert werden: beitungen und Inkenntnissetzungen, die um die „To retain its audience and to build effectively a Frage kreisten, nach welchem Selbstverständnis new tradition in German broadcasting, Nord- und mit welchen Kontrollauflagen sich BBC Ger- westdeutscher Rundfunk must not be too obvi- man Service und NWDR zueinander stellen sollten. ously concerned with the re-education of the Es handelte sich um eine grundsätzliche Weichen- audience, or even with any obvious attempt to stellung, deren Bedeutung in der Frage lag, ob die raise its cultural standards. Entertainment will Besatzungsmacht gewillt war, den Deutschen die not be too obviously ‚edifying‘, and information Deutungshoheit über ihre eigenen Angelegenheiten not too obviously ‚instructional‘. Excessive (Bishops „German internal affairs“) zuzubilligen. attention by Nordwestdeutscher Rundfunk to Diese an den NWDR zu übergeben, war eine Wette the political and historical re-education of the 386 auf die Zukunft mit ungewissem Ausgang – unge- Germans will destroy its credibility.“ wisser in jedem Fall, als eine Nachrichtenversor- BBC German Service hingegen war gehalten, die gung durch den deutschen Dienst der BBC es ge- offensiven Elemente der Re-education sowie die wesen wäre. Umgekehrt hätte ein Festhalten am Modell-Funktion des britischen Lifestyle („Projec- BBC-Programm in Widerspruch gestanden zu den tion of Britain“) zu behandeln. Als britischer Sen- definierten Zielen der Re-education mittels indirek- der war er in diesem Sinne glaubwürdig, und es ter Kontrolle. Daher stand am Ende eines kurzen, bestand keine Gefahr, ein orientierungssuchendes

383 Major-General K. Strong (PID): Memorandum by the 385 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Director- Political Intelligence Department, 03.10.1945, PRO, FO General PID: Respective functions of BBC German 371, 46702. Service and Nordwestdeutscher Rundfunk, 15.12.1945, 384 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Director- PRO, FO 1049, 204. General PID: 16.11.1945, PRO, FO 1056, 26. 386 Ebd.

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Publikum zu verschrecken – wer einen britischen 2.4. Das Statut des NWDR Sender hörte, war ohnehin auf eine britische Dar- Die Besatzer hatten nicht vor, für immer in stellung der Dinge gefasst: Deutschland die Geschäfte des publizistischen “The re-education of the German people is the Lebens zu führen. Dies verbot sich schon aus fi- direct, though by no means exclusive, concern nanziellen Gründen, doch auch innenpolitisch war of the B.B.C. German Service. The projection dem britischen Wahlvolk die englischen Angele- of Britain, in the widest sense of the term, must genheiten näher als die deutschen. Mit der BBC lag be one of the main tasks of any B.B.C. service ein Rollenmodell vor, das die Leitlinien für einen to Europe, and will contribute directly to the unabhängigen deutschen Sender lieferte. Dies wur- end of re-education.“387 de in der britischen Öffentlichkeit wahrgenommen: Diese Arbeitsteilung zwischen BBC und NWDR „Der ‚Manchester Guardian‘ veröffentlichte war mehr als ein formelles Papierabkommen. We- kürzlich eine längere Betrachtung über den nige Monate nach seinem Zustandekommen kam es Rundfunk in der britisch besetzten Zone. [...] bei der BBC German Service zu Engpässen, die die Der ‚Nordwestdeutsche Rundfunk wird bald Erfüllung einer „Projection of Britain“ infrage nach einem Statut ähnlich dem der BBC arbei- stellten. Doch diese Funktion wieder dem NWDR ten. Seine Programme dienen der Unterhaltung, zu übertragen, war für die Kontrolloffiziere in die- Belehrung, Umerziehung und besonders auch sem Stadium nicht mehr akzeptabel: der Information, da die Zeitungen noch knapp „We have developed NWDR as the equivalent sind.‘“390 of a German ‚Home Service‘ and left the ‚pro- Tatsächlich arbeiteten die zuständigen Offiziere der jection of Britain‘ to the BBC. I appreciate that Broadcasting Control Unit seit Herbst 1945 an the BBC is now meeting considerable difficul- einem Fahrplan für die Übergabe des NWDR an die ties in continuing its service, and that there will Deutschen. Als Hugh Carleton Greene im Oktober now be an urge to substitute the NWDR for it. 1946 zum Controller und Director General des […] I am […] absolutely and inflexibly op- NWDR ernannt wurde, begriff er seine Aufgabe posed to any attempt to use NWDR in this way. darin, sich mittelfristig überflüssig zu machen: The maximum concession I would be prepared to consider is to allow broadcasts on e.g. British „Ich sah meine Aufgabe darin, dem NWDR ei- and German housing problems, musical stan- nen legalen Status zu geben, ihn mit dem politi- dards, educational structure etc, by Germans schen Leben im Nachkriegs-Deutschland zu who had been enabled recently to visit Britain, verflechten und die bereits geschaffene Traditi- and see and report themselves. […] Any broad- on der Freiheit und Unabhängigkeit zu vertiefen 391 casts based on material supplied by us and pro- und weiter zu fördern.“ duced second-hand on NWDR would be worse Wenige Wochen nach der Ankunft Greenes lag ein 388 than useless – they would be harmful.“ weiteres Grundsatzpapier von PR/ISC vor, das sich Das Papier über die Aufgabendifferenzierung zwi- mit der Zukunft des Rundfunks auseinander setzte. schen BBC und NWDR umfasste schließlich eine Zuvor hatte lange die Idee eines deutschlandweiten Auflistung der künftigen Programmaktivitäten, die Zentralradios geherrscht. Das neue Strategiepapier für den NWDR von Nachrichten über Talks und trug dagegen dem alliierten Partikularismus Rech- Features bis zu Unterhaltungs- und Schulfunksen- nung, indem es abweichend vom nationalen BBC- dungen reicht.389 Damit war klar, dass es sich beim Modell den Zentralismus auf das Gebiet der briti- NWDR um ein Vollprogramm mit zentralem Stel- schen Zone reduzierte. Für die Briten war dies die lenwert in der britischen Rundunkpolitik handelte. kleinstmögliche Einheit: “In planning subsequent devolution to the Ger- mans it is technically impossible to use the Land units as a basis for the broadcasting or- 387 Ebd. ganisation since, even if the frequencies were 388 available the Land unit is too small a basis. On Brigadier W.L. Gibson (Deputy Chief PR/ISC) an the other hand there is an obvious danger in put- Major-General W.H.A. Bishop (Chief PR/ISC): ting broadcasting in the hands of a national gov- 21.05.1946, PRO, FO 1056, 23; Bishop vertrat diese ernment. The middle course of organizing Position wenige Tage später ebenso dezidiert in einem Telegramm an den Director of Information Services: 25.05.1946, PRO, FO 946, 59. 389 Programme Contents of Nordwestdeutscher Rundfunk and the B.B.C. German Service, Annex I to Appendix 390 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen ‚A‘, Respective functions of BBC German Service and Rundfunk: NWDR im englischen Spiegel, 14.12.46, S. 3, Nordwestdeutscher Rundfunk, 15.12.1945, PRO, FO StA HH, NDR 621-1, 1026. 1049, 204. 391 Greene: Entscheidung und Verantwortung, S. 46 f.

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broadcasting on a zonal basis is proposed in the tragfähiges Rundfunksystem zu installieren. Der following paper.“392 stufenweise Abbau von Kontrollen und Zensurin- Neben technischen Fragen gab den Impuls dazu das stanzen war weniger ein Ausdruck liberaler Groß- Misstrauen gegenüber einer künftigen deutschen mütigkeit, sondern von stringentem Kalkül. Wenn Regierung, die einen Deutschlandsender leichter zu der Zonensender als Instrument der Umerziehung Propagandazwecken missbrauchen könnte als un- und des demokratischen Gegengewichts fungieren abhängige Zonenanstalten. Eine Abstimmung mit sollte, konnte er dies nur aus eigener Kraft. Ab den Radioplänen der übrigen Alliierten stand nicht Oktober 1948 sollte die deutsche Belegschaft die mehr zur Debatte. Im Herbst 1946 hatten die Auto- Geschäft führen – bis dahin mussten sie fähig sein, ren keine Illusion mehr darüber, dass sich die eigenverantwortlich zu handeln. Für die Offiziere Rundfunktopografie in den anderen Zonen sehr von PR/ISC schien ein solcher Zeitplan machbar, unterschiedlich und in viel kleineren Einheiten da sie für den NWDR kein ganz neues Modells entwickeln würde, und dass somit die künftige ausbrüten, sondern das der BBC anpassen mussten: deutsche Zentralregierung versucht wäre, diesen “It is proposed during 1947 to give NWDR le- Pluralismus zugunsten einer politisch steuerbaren gal status and a charter as a public corporation Einheitslösung aufzugeben. Der Zonensender along the line of the B.B.C. The Director Gen- NWDR war daher keine Ideallösung, eher ein se- eral of NWDR will then be responsible to a cond-best-Kompromiss: board of seven or eight Governors, whose duty „Nevertheless it is submitted that the advan- it would be to safeguard the political independ- tages of the proposed organisation outweigh its ence of NWDR and to take an active interest in the programme, financial and staff policy of disadvantages and that no better solution can be 395 found.“393 NWDR.“ Aus den Verschleppungen des Interregnums im Ein Generaldirektor, der mit einem unabhängigen Sommer 1945 hatten die Autoren des Papiers ge- Board of Governors die Geschicke des Senders lernt, dass im alliierten Wettlauf um die Gestaltung nach öffentlichem Recht leitet – deutlich zeigte sich von Deutschland nicht mit unverbindlichen Visio- hier das BBC-Model, das die Briten auf den nen, sondern mit der Macht der vollendeten Tatsa- NWDR anwenden wollten. Ziel war die publizisti- chen gekämpft wurde. Die Sowjets exerzierten dies sche Unabhängigkeit, die sich im demokratischen in ihrer Zone vor, was die Strategen der PR/ISC in Gefüge Großbritanniens bewährt hatte: ihrem Berliner Hauptquartier miterleben konnten – „The paper emphasized the importance of giv- weit entfernt von den Planern des Londoner Fo- ing the broadcasting organisation in the British Zone independence of any future national gov- reign Office. Waren die Papiere der Oxford- 396 Experten eher von formaler Eleganz geprägt, so ernment and of the political parties.“ scheuten sich die Kontrollbehörden vor Ort im Dieses Papier teilte nicht das Schicksal der vielen November 1946 nicht, Fahrpläne mit präzisen Ter- britischen Denkschriften, die den Weg in die unbe- minen aufzustellen: arbeitete Ablage nahmen. Die Medienkontrolleure “It is planned to remove all control over Music, besaßen damit eine Aufgabenstellung, die sie bis Entertainment and Cultural Output by 30th June, zur Übergabe weitgehend buchstabengetreu abar- 1947. So far as News, Talks and Features of a beiteten. Als Hugh Carleton Greene im Herbst 1946 political character are concerned it should be als erster Generaldirektor die Geschäfte übernahm, possible to do away with the present system of hatte er sich das Leitmotiv längst zu eigen gemacht: pre-censorship by the Spring of 1948 replacing „Ich wollte ein Rundfunksystem, das völlig unab- it by a looser form of post-censorship. The con- hängig vom Staat und parteipolitischen Einflüssen trol of broadcasting, apart from the retention of sein würde.“397 certain powers to intervene if politically unde- sirable matter is broadcast of if the development of NWDR seems to be taking undesirable 395 Ebd. forms, should be entirely in German hands by 396 R. Gauntlett (PR/ISC, Berlin) an Chief of Staff st 394 October 1 , 1948.“ (PR/ISC): Establishment of the North West German Ein so getakteter Stufenplan setzte die Kontrolloffi- Radio as an Institution of Public Law, 18.11.1947, PRO, ziere unter Druck, bis zur Übergabe ein langfristig FO 1049, 791. 397 Hugh Carleton Greene in: Bausteine der Demokratie: „...wir konnten so herrlich experimentieren“, Teil 1: Die 392 The Future of Broadcasting in the British Zone: Medien zur Stunde Null, N3-Sendung vom 27.04.1986, 06.12.1946, Bl. 1, StA HH, NDR 621-1, 662; PRO, FO NDR-Fernseharchiv 1043418; der damalige Besatzungs- 1049, 791. offizier Michael Thomas schreibt in seinen Memoiren: 393 Ebd. „Greenes Konzeption für den NWDR folgte dem Modell 394 Ebd. der BBC, war aber angepasst an deutsche Verhältnisse.

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Das NWDR-Statut, das in diesem Zeitraum entwi- Um es schließlich in der Satzung des NWDR ckelt wurde, sollte in erster Linie die Unabhängig- nochmals festzuhalten: „Der Rundfunk wird in keit des Senders festschreiben. Als es am voller Unabhängigkeit von Einflüssen des Staates 01.01.1948 im Zusammenhang mit der Verordnung und parteipolitischen Richtungen betrieben.“401 Nr. 118 veröffentlicht wurde, lagen eine lange Um den Geist dieses Statuts einzuüben und um die Reihe Entwürfe und Diskussionen mit dem deut- Arbeitsweise des „administrative boards“ (Verwal- schen Zonenbeirat zurück, die dem Zweck gegolten tungsrat) zu überwachen, verblieb die Kontroll- und hatten, das Erfolgsmodell der BBC auf die deut- Lenkungsfunktion noch fast ein Jahr beim briti- schen Verhältnisse zu übertragen. Das Ziel der schen Kontrollpersonal, und zwar v.a. in Gestalt Unabhängigkeit, so der Tenor der Äußerungen, des BBC-erfahrenen Interims-Generaldirektors sollte unabänderlich in Paragrafen gegossen wer- (und zugleich Controllers der Broadcasting Unit) den. Mit der offiziellen Übergabe des von den Bri- Greene.402 ten erarbeiteten NWDR-Statuts an die deutschen Als am 15.11.1948 die Übergabe des Senders in die Verantwortlichen wurde das nochmals deutlich: Hände der Deutschen erfolgte, war die strukturpoli- „The main effect of this Ordinance and Charter tische Aufgabe der britischen Kontrolloffiziere für will be, while mainting British control of broad- den NWDR beendet. Der Versuch, dem NWDR ein casting, to give the Northwest German Radio Grundgesetz der Unabhängigkeit von staatlichen the proposed status of independence vis a vis und politischen Einflüssen zu geben, war dem the State and Political Parties. A Board of Gov- Wunsch entsprungen, in ihm ein Werkzeug zur ernors appointed, with the approval of Military Demokratisierung und politischen Re-education der Government, by a Principal Committee includ- ing the Prime Ministers of the Länder in the Bevölkerung in der britischen Zone zu haben. Wie British Zone and representatives of educational, stark sich dieser Wunsch an den politischen Ver- cultural and economic interests, will be respon- hältnissen im Nachkriegsdeutschland reiben sollte, sible under British supervision for laying down wurde den Besatzern bald klar. the general lines of broadcasting policy and maintaining this position of independence.“398 3. Personalpolitik Bis dahin hatten die britischen Radiokontrolleure Die personalpolitische Dimension war der schwie- über viele Monate versucht, ihren deutschen Mitar- rigste und am wenigsten planbare Aspekt der Re- beitern im Sender das Unabhängigkeits-Postulat education-Strategie im Rundfunk. Die Debatten einzuprägen. Die Verordnung Nr. 118 der Militär- während der Kriegsjahre waren in dem Ergebnis regierung, die das Statut und die Satzung des gemündet, dass nur die Deutschen selbst ihre NWDR enthielt, wies einleitend auf das Hauptziel Landsleute zum Besseren erziehen konnten. Die hin, Besatzer mussten daher einen funktionierenden „den Nordwestdeutschen Rundfunk als eine un- Kontrollapparat auf die Beine stellen, der der Auf- abhängige Anstalt zur Verbreitung von Nach- gabe einer politischen Erziehungsmission gewach- richten und Darbietungen unterhaltender, bil- sen war; dann auf deutscher Seite einen funktionie- 399 dender und belehrender Art zu errichten.“ renden Rundfunkapparat, der politisch korrekt und Dies wird in Artikel 2 „Aufsicht“ bekräftigt: zugleich demokratisch mündig sein sollte: „Eine Beaufsichtigung ihrer Tätigkeit [der Or- “Granted that the Germans are to teach them- gane des NWDR, FH] nach den Vorschriften, selves, we have first to teach the teachers – or betreffend die Aufsicht über öffentlich rechtli- rather the editors, journalists, broadcasters, au- che Körperschaften durch Organe der Behörden thors and script writers. What we want to teach des Staates, der Länder oder anderer Körper- them is a different way (and by that we really schaften, findet nicht statt.“400 mean the British way) of looking at human so- ciety, in the past, in the present and in the fu- ture.“403 Beides musste parallel erfolgen, um die politische [...] Zweieinhalb Jahre hat Greene mit Ausdauer und List Orientierungslosigkeit der deutschen Bevölkerung für dieses Konzept gekämpft.“, Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besatzungsoffizier. Berlin 1984, S. 241. 401 Ebd., S. 8. 398 R. Gauntlett (PR/ISC) an Chiefs of Staff: Establish- 402 Vgl. Major-General N.C.D. Brownjohn, Control ment of the North West German Radio as an Institution Commission for Germany (Berlin), an President of the of Public Law, 18.11.1947, PRO, FO 1049, 791. Central Legal Office (Hamburg): 4.12.1947, PRO, FO 399 Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britische 1049, 791. Zone. 06.08.1949. Nr. 30, Teil 10 B, S. 7. 403 Michael Balfour: A Plan for Re-education: Skeleton, 400 Ebd. 11.02.1946, S. 2, PRO, FO 1056, 25.

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nach dem Zusammenbruch nicht in geistige Anar- die demokratischen Ideale einzuschwören, die chie verwildern zu lassen. Für beides musste das ihnen selbst fremd waren. geeignete Personal gefunden werden: die britischen Kontrolloffiziere aus dem Heer der Besatzungsar- 3.1. Das britische Kontrollpersonal mee, die deutschen Radiomitarbeiter aus dem Heer des geschlagenen Volkes. Wie nach Beendigung der Kämpfe die Rekrutierung und Einweisung von 3.1.1. Auswahlkriterien sich gehen sollte, dafür gab es keine konkrete Pla- In den Reihen der für psychologische Kriegsfüh- nung. rung und die entsprechenden Nachkriegsplanungen Einziger Anhaltspunkt war das Paradigma der „in- zuständigen Political Warfare Executive (PWE) direct rule“, das dem traditionellen „British Way“ wurden seit 1943 die personalpolitische Debatten in entstammte und der Idee der Demokratisierung Bezug auf die künftige Medienlandschaft im be- entsprach. Sie war einer der Bezugsrahmen der setzten Deutschland geführt. Es war unstrittig, dass britischen Besatzungspolitik: ein politisch sensibler Bereich wie die Medien nur “The British policy in German is one of indirect von besonders zuverlässigem Personal aufgebaut rule, that is, rule through the indigenous au- werden konnte. In einem PWE-Grundsatzpapier thorities. The machinery of indirect rule may wurde im Sommer 1943 auf die Dringlichkeit hin- vary from direct instructions which are given to gewiesen, dieses Problem gezielt anzugehen: the indigenous authority, to general directions “With regard to British and other non-German which allow so much latitude that they are little personnel for employment in this work either in more than advice, which may or may not be Germany or at home, the most urgent need is taken; but as long as it remains rule those who for early recruitment or earmarking of suitable exercise it must in the last decree be responsi- persons and for the putting of all who are im- 404 ble.“ mediately available through a carefully planned 407 Indem die Bandbreite der indirekten Hoheitsaus- training course.“ übung – von der Anweisung bis zum unverbindli- Weniger klar formulierte das Papier die Auswahl- chen Ratschlag – zur Auslegungssache erklärt wur- kriterien. Die Funktionäre scheinen diesen Punkt de, wuchsen die Anforderungen an das bewusst weich gespielt zu haben, da sie es nicht für Kontrollpersonal, das von Fall zu Fall über das realistisch hielten, ein Anforderungsprofil sowohl Ausmaß der Delegierung entscheiden musste. Da mit Landes- und Sprachkenntnissen als auch mit bei einem Scheitern die Verantwortung bei ihnen technischem, journalistischem, politischen und lag,405 kam der vorbeugenden Kontrolle hohe Be- obendrein administrativen Know-how zu überfrach- deutung zu. Dieser Widerspruch sollte die britische ten: Besatzungszeit prägen: “With regard to Germany, we shall also have to „[Die Engländer hingen, FH] aufgrund ihrer ko- contend with the familiar difficulty that techni- lonialen Erfahrungen dem Konzept der ‚indirect cal knowledge and knowledge of the country rule‘ an. Aber ihre Manie, alles bis ins kleinste will rarely be found in the same person. […] Detail zu kontrollieren, führte zwangsläufig zu We may not have such abundance of personnel einer immer direkteren Herrschaft. So hatten sie that we shall be in a position to eliminate all 1946 25813 Kontrollbeamte in Deutschland, persons not adapted both to field work and to während die Amerikaner mit 7600 auska- work at home.“408 406 men.“ Die größere Dringlichkeit sah PWE zu diesem Zugleich stellte dieses Prinzip hohe Anforderungen Zeitpunkt ohnedies bei den Printmedien. Für den an das deutsche Personal, das – befehlsgewohnt Rundfunk stellte sich das Problem zunächst gar und obrigkeitshörig – auf einmal Verantwortung nicht, da die Planer bei der Radiokontrolle von übernehmen sollte, um die eigene Bevölkerung auf einem ferngesteuerten Übernahmeprogramm, sei es von BBC German Service oder von Radio Luxem- burg, ausgingen:

404 “In many ways this represents the simplest W.H. Ingrams (Chairman Adm and Local Govern- problem in that, at first it can be completely re- ment Branch, CCG): Appendix D: The Problem of Indi- mote. At an intermediate stage, when German rect Rule, 17.08.1945, S. 2, PRO, FO 1050, 806. 405 „While preserving the ultimate control ourselves, we aim to give the Germans as much responsibility as possi- 407 Political Warfare Executive: P. and P. Paper No. 22: ble. But it is humbug to say that we hold the Germans Control of Propaganda and Publicity in Germany after responsible for any failure that may occur, if in fact that the Cessation of Hostilities and During a Period of Occu- failure is due to the ultimate controlling power.“, ebd. pation, 01.06.1943, PRO, FO 1049, 29. 406 Thomas: Deutschland, England über alles, S. 120. 408 Ebd.

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transmitters are in operation once again, they pared to submerge themselves in Germany for a can be ‚hooked up‘ to our own (or others under year, without any hope of family life or stable our control) and need not put out independent prospects. Only those who feel themselves re- programmes; they should not be utilised for lo- dundant or misfits in their civil occupation cally created programmes in which Reichs would contemplate risking their future and of Germans participate until we are ready with all seeing peacetime occupations to which they possible local precautions and arrangements.“409 might aspire.“412 Eine Suche nach Spezialisten fand dann zwar in der Unter diesen Bedingungen sah der Autor skizzierten Weise statt („earmarking of suitable “little prospect of the Control Commission ful- persons“, „carefully planned training course“), filling its great task of reorientating the Ger- doch die ausgewählten Personen verfügten zu- mans and the German way of life if the present nächst allenfalls über rudimentäre Deutschkennt- tendencies continue.“413 410 nisse. Zur gleichen Zeit zeichnete sich für den Hamburger Rundfunk der Ausweg aus dem Dilemma ab. Im 3.1.2. Die Krise vom Sommer 1945 Juli hatte das Political Intelligence Departement in einem Memorandum den Aufbau eines deutschen Trotz des von PWE beschriebenen Personalbedarfs Senders verkündet und damit die Ungewissheit blieb nach der Besetzung Deutschlands in den ent- beseitigt, auf welches Ziel das britische Personal scheidenden Stellen der Medienkontrolle die Zahl hinarbeiten sollte. Damit war klargestellt, dass die der Offiziere dramatisch unter Soll, was im Juli operativ-journalistische Arbeit vom deutschen 1945 sogar Militärgouverneur Montgomery mit 411 Personal für deutsche Hörer erledigt werden sollte. einer Dienstanweisung auf den Plan rief. Jetzt Das Augenmerk der britischen Kontrolloffiziere rächte es sich, dass seit den Planungen am grünen konnte sich auf die Kontrolle sowie die Vorberei- Tisch der PWE nur einige Militärs mit Fachkennt- tung zur Übergabe fokussieren. Dies bedeutete die nis zu den Aufgaben der Medienkontrolle herange- Rückkehr zur „task of reorientating the Germans“, zogen worden waren, zugleich aber nichts für eine die als die wichtigste politische Kontrollaufgabe Rekrutierung von Zivilpersonal in England getan gesehen worden war. worden war. Im späten Sommer 1945, als der per- sonelle Engpass bei Radio Hamburg spürbar wurde, Mit dieser richtungsweisenden Vorgabe wurde analysierte ein Bericht über das Besatzungsregime erstmals die Frage nach den Auswahlkriterien be- die Krisenerscheinungen als ein Versagen der Per- antwortet. Von nun an gingen die Impulse nicht sonalpolitik. Die Fundamente der Besatzungspolitik mehr nur von London aus, sondern auch von den fußten auf „shifting sands“, da es nicht gelungen Besatzungsbehörden in Deutschland. Als in einer sei, neben den militärischen Kadern, die keine Parlamentsdebatte eine Anfrage nach Bezahlung Sachkenntnis hatten, professionellen zivilen Mitar- des ISC-Personals in Anlehnung an die Journalis- beitern eine Perspektive im besetzten Deutschland tentarife von Fleet Street zur Sprache kam, stellte zu bieten: der Chef der britischen Kontrollbehörde für “The conditions of service are not as such as Deutschland und Österreich COGA John Hynd das will attract enterprising and younger personnel. Anforderungsprofil der Offiziere klar: Unless one has a sense of mission (which the “This is not ordinary journalistic work. This is present Control Commission certainly does not the control of the information services, which inspire) few people of real ability will be pre- goes far beyond the supervision of German ed- ited news services, and includes films and

books, and it is necessary that the men who do 409 Ebd. that work should have wide experience.“414 410 Walter Everitt, der am 03.05.1945 das Hamburger Duncan Wilson, zu dieser Zeit an verantwortlicher Funkhaus mitbesetzte, bemerkte später: „Natürlich dass Stelle von PR/ISC in Deutschland, bemerkte dazu ich deutsch sprechen konnte war der Hauptgesichtspunkt. handschriftlich: „They need people with German, Und dass ich eine einigermaßen anständige Erziehung political sense and journalistic experience – first hatte, in Oxford studiert hatte, hat darin sicher auch eine two attributes being more important than the Rolle gespielt. Aber sonst war nicht klar, warum man last.“415 Die politische Funktion des Personals stand eigentlich dazu kam.“. In: Wiedersehen am Rothenbaum - Die Befreiung des Reichsenders Hamburg, N3-Sendung vom 09.04.1996, NDR-Fernseharchiv 1068020. 412 Ritchie Calder: The Present Control of Germany, 411 Allerdings wurde dieser Engpass in den eigenen 31.08.1945, PRO, FO 898, 401. Reihen Montgomerys Antagonismus mit den alliierten 413 Ebd. Befehlshabern und seiner Fehleinschätzung der Situation 414 Parliamentary Debate: Questions Mr. Stokes to Mr. angelastet, vgl. Oliver Harvey (PID): Memo vom Hynd, 22.06.1946, PRO, FO 371, 55513. 09.07.1945, PRO, FO 898, 401. 415 Ebd.

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zu diesem Zeitpunkt schon im Mittelpunkt – sie arbeitern der ersten Stunde galt nur Axel Egge- entsprach dem Re-education-Auftrag, den die Bri- brecht als nachweisbar vertrauenswürdig.417 So ten ihrem Besatzungskorps mit auf den Weg gege- führten die Briten ihre Einstellungsgespräche zwar ben hatte. in Gegenwart eines Sicherheitsoffiziers, doch ver- liefen sie improvisiert, was Hugh Greene später 418 3.1.3. Aufgaben nicht wesentlich anders handhabte. Dennoch stand fest, dass die Briten die unbedingte Oberho- In einem späteren Briefwechsel über die Aufgaben heit über die Personalpolitik für sich beanspruch- der Kontrolloffiziere beim Rundfunk gab der frühe- ten. Das stellte der Chef von PR/ISC, Generalmajor re Controller Hugh Carleton Greene die Auskunft: Bishop, vor der Gründung des NWDR im Septem- „Sie fragen: welche Befugnisse und Aufgaben die ber 1945 klar: Britischen Kontrolloffiziere damals hatten. Ant- 416 “The control of the corporation would be vested wort: zu kontrollieren.“ So sibyllinisch sie auf in selected German personnel who would in fact den ersten Blick anmutet, ist diese Aussage wört- be nominees of a British Broadcasting Control lich zu verstehen. Die Kontrolloffiziere sollten Unit, and who would act in every way under the weder das journalistische Handwerk ausüben noch orders of such unit. Thus the existing measure seine Verwaltung abwickeln. Die Abgrenzung ihrer of control would not be diminished.“419 Kontrollfunktion vom operativ-inhaltlichen Ge- Tatsächlich bestand die Kontrollaufgabe des briti- schäft war konsequent, mit Ausnahme der später zu schen Personals während der britischen Aufbau- behandelnden Zensuraufgaben. phase des Senders großteils in personalpolitischen Fragen, über die sie die Zusammensetzung der 3.1.3.1. Rekrutierung deutscher Mitarbeiter Belegschaft und seine politische Ausrichtung steu- Die Einstellung von deutschen Mitarbeitern, die mit erten. Bis 1949 finden sich Belege für eine solche der Entscheidung, Radio Hamburg in einen German Steuerung, aber auch für eine permanente Informa- Home Service umzuwandeln, systematischer be- tionspflicht der Deutschen über Personalvorgän- 420 trieben werden musste, konnte nur von den briti- ge. Im Lauf der Zeit wurden die Personalent- schen Besatzungsoffizieren vor Ort geleistet wer- scheidungen zunehmend bürokratischer: den. Vom Londoner Foreign Office war ihnen als „Mit dem Tage dieser Bekanntmachung dürfen Maßgabe die Prüfung der politischen Vorbelastung Neueinstellungen von Festangestellten beim mitgegeben. Aus den Besatzungszielen Entnazifi- NWDR nur vorgenommen werden, wenn fest- zierung, Re-education, Demokratisierung ließ sich gestellt wird, dass die Arbeit des Betreffenden ableiten, dass das deutsche Personal frei sein muss- fuer den NWDR erforderlich ist. Dementspre- te von jedem Nazi-Verdacht (und später vom chend ist ueber jede Neueinstellung eine be- Kommunismus-Verdacht). Dies war bei einer Be- gründete Rechtfertigung entweder dem Deputy völkerung von über 20 Millionen Nazis und Mitläu- Controller (Programmes), oder dem Deputy fern – wie es von vielen Briten gesehen wurde – Controller (Engineering) oder dem Deputy Controller (Administration) zur endgültigen eine problematische Forderung. Die Auswahl und Genehmigung vorzulegen.“421 politische Überwachung der deutschen Mitarbeiter war bis zur Übergabe des NWDR an die Deutschen höchste Priorität der Besatzungsorgane.

Kurz nach der Besetzung des Hamburger Funkhau- 417 ses hatte die Einstellungsprozedur noch informellen Vgl. Thomas: Deutschland, England über alles, Charakter. Die Offiziere um Walter Everitt standen S. 120; Peter von Zahn: Stimme der ersten Stunde. Erin- nerungen 1913-1951. Stuttgart 1991, S. 253. vor der Aufgabe, eine politisch zuverlässige deut- 418 sche Redaktion aufzubauen. In den Berichten der Das berichtet z.B. Heinz-Werner Hübner in: Peter von NWDR-Gründergeneration um Eggebrecht, Bamm Rüden/Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.), Vom NWDR zum und von Zahn lässt sich erkennen, dass die Frage WDR. Gespräche zur Programmgeschichte. Hamburg nach der politischen Einstellung des Anwärters für 2005 (Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte, Heft 3), S. 40. die britischen Offiziere zwar hohen Stellenwert 419 hatte, sie diese aber in erster Linie nach dem Au- Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC, Bünde) an genschein beantworteten. Zwar hatte der englische Political Division: Conduct of Broadcasting in Germany, 17.09.1945, PRO, FO 1049, 204. Geheimdienst eine Kartei mit einer Liste unbelaste- 420 ter Deutscher vorbereitet, doch diese erwies sich als Vgl. z.B. die Unterlagen des Programmleiters von weitgehend unbrauchbar: Von den deutschen Mit- Radio Hamburg über Personalien 1945-46. In: StA HH, NDR 621-1, 1015; Rundschreiben/Berichte fürs Füh- rungspersonal 1946-49. In: StA HH, NDR, 621-1, 1387. 416 Hugh Carleton Greene an Helmut Graf: 09.04.1971, 421 Smith (kein Vorname, Head of Administration StA HH, NDR 621-1, 1258. Control Sub-Section Broadcasting Section ISC Branch)

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Erst im Zuge der Übergabevorbereitungen vom (a) To explain to them why we are in Germany britischen Kontrollpersonal auf die deutsche Admi- and what we are trying to do. nistration lässt sich eine Entspannung erkennen, (b) To explain how our various measures fit wobei die Briten über diesen Punkt hinaus mittels into the general pattern. eines Vetorechts ihren Einfluss geltend zu machen (c) To brief them how to answer the various arguments which the Germans are likely to versuchten: „Die politische Überwachung bei der 425 Einstellung von Personal wird letzten Endes eine direct towards them.“ britische Verantwortlichkeit bleiben.“422 Die Ein- Das Ziel dieses Papiers war es, die Umerziehungs- stellungspolitik war der Hebel, den man mit Blick politik besser zu koordinieren. In der Tat scheint auf Demokratisierung und Re-education nicht aus Balfours Eindruck nicht verfehlt, dass die Zielstel- der Hand geben wollte. lung der Re-education zwar seit langem ausformu- liert war, nicht aber dass die Besatzungskräfte vor Ort für ihre Umsetzung umfassend gebrieft worden 3.1.3.2. Inhaltliche Führungsaufgaben waren. Damit stellte das Papier die bisherige Politik Die Zensur war das Mittel, mit dem die Kontroll- infrage, die zwar stark auf die Kontrolle des deut- macht die Beiträge der deutschen Rundfunkbeleg- schen Personals abhob, aber weniger die aktive schaft kontrollieren und politisch korrigieren konn- inhaltliche Diskussion forderte. In einer Reaktion te. Darüber hinaus findet sich in den Quellen auf Balfours Papier bezweifelte der verantwortliche wenig, was auf eine systematische Handlungsan- Offizier den Erfolg eines „deliberate campaigning“: weisung der britischen Offiziere in Bezug auf Pro- „It is extremely difficult to define sufficiently con- gramminhalte hinweist. Einzig Michael Balfours sisely and concretely any new general themes vielbeschworener „Skeleton-Plan for Re-education“ which will change the German heart.“426 Eine Neu- vom Februar 1946, der die Umerziehungsziele für Orientierung des Kontrollpersonals im Sinne Bal- das Jahr 1946 festschreiben sollte, führt hierzu fours fand soweit erkennbar nicht statt. einiges auf. Zwar rekurriert Balfour auf die Politik der „indirect rule“, doch befürchtet er darin eine 3.1.4. Persönlichkeitsstrukturen und Rechfertigungstendenz der Besatzungsoffiziere, die biografische Skizzen die Auseinandersetzung mit den deutschen Mitar- beitern zu minimieren suchten: Mit der 4. Information-Control Unit der 21. Ar- meegruppe besetzte am 03.05.1945 eine zehnköpfi- “It is not accurate to say without qualification ge Spezialeinheit den Reichssender Hamburg. Un- that Germans will disregard anything said by an Englishman on the ground that it is propaganda. ter dem Kommando von Colonel Paul Lieven The evidence on the contrary suggests that standen Männer mit rundfunktechnischem Hinter- Germans are most anxious to know what the grund wie der Ingenieur Paul A. Findlay oder der views of Englishmen are.“423 Rundfunktechniker Geoffrey Perry. Ihr Auftrag war es, die deutschen Sendeanlagen unbeschädigt in Balfours Befürchtung einer zu passiven Kontrolle ihre Gewalt zu bekommen und den Sendebetrieb setzte er sein Modell des „Teach the Teacher“ ent- wiederaufzunehmen. Dies gelang mit Hilfe einiger gegen, mit dem die Umerziehung des deutschen deutscher Techniker innerhalb von wenigen Stun- Personals nicht im luftleeren Raum bliebe: den. Anschließend verliert sich die Spur dieser „The best way to re-educate Germans will be by ersten Generation von Rundfunkbesatzern. Sie personal contact and influence and the Eng- hatten ihre Aufgabe erledigt, für den anstehenden lishmen and women with the greatest opportuni- Aufbau des deutschen Radios zum politischen ties for this will be those in the British occupa- Umerziehungsinstrument fehlten den Mitgliedern tion and control forces.“424 dieser Task Force die notwendigen Sprach- und Diese Feststellung verband er mit dem Appell, die Landeskenntnisse.427 Besatzungskräfte für die inhaltliche Auseinander- Eine Ausnahme war Captain Walter Everitt. Er setzung mit den Deutschen zu schulen: entstammte der Hamburger Bankiersfamilie Eber- „It is an urgent necessity:- stadt, war aufgrund seiner jüdischen Herkunft mit seinen Eltern aus Deutschland emigriert und in England naturalisiert worden, hatte in Oxford stu- an alle Abteilungsleiter: 12.03.47, StA HH, NDR, 621-1, 1387. 422 So Hugh Carleton Greene in einem Brief an Adolf 425 Ebd. Grimme über die anstehenden Veränderungen im NWDR 426 Controller „B“ Group (ISC Branch) an Major-General mit dessen Amtsantritt, 12.10.1948, PRO, FO 1056, 275. W.H.A. Bishop (PR/ISC), Comments on ‚Skeleton Plan 423 Michael Balfour: A Plan for Re-education: Skeleton, for Re-education‘, 20.02.1946, PRO, FO 1056, 25. 11.02.1946, S. 3, PRO, FO 1056, 25. 427 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, 424 Ebd. S. 84.

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diert und war bei Kriegsbeginn ins Pionier-Korps Krieg, den ihr angezettelt habt. Der war nicht der britischen Armee eingetreten.428 In der Phase unselig!‘“431 des „earmarking“ von geeignetem Personal wurde Wie Everitt fand sich im NWDR und bei den Be- Everitt 1944 für die Information Control ausge- satzungsbehörden in den Folgemonaten eine Reihe wählt: von deutschstämmigen britischen Offizieren ein.432 „Ich war verwundet und sie suchten Leute für Dazu gehörte Rolf E. James, der im NWDR als die Besatzungsarmee. Da hat mich irgendje- Assistant Controller die Abteilung „Talks and Fea- mand interviewt und gefragt, ob ich in diese so- tures“ beaufsichtigte. James hieß ursprünglich Rolf genannte Information Control hinein möchte. E. Jessen und war Sohn eines Siemens-Vorstands. Das hat mich riesig interessiert, und da haben Als Rhodes-Stipendiat war er in den dreißiger Jah- wir angefangen beim luxemburgischen Sender. ren nach England gekommen und hatte sich auf- Das war angloamerikanisches Oberkommando, grund der Entwicklungen im nationalsozialistischen von da aus sind wir dann überallhin verschickt Deutschland entschlossen, nicht mehr in sein Mut- worden. Es war reiner Zufall, dass ich zu einer terland zurückzukehren.433 Dies tat er, wie viele Einheit kam, die diese Art Arbeit in Hamburg 429 Emigranten, jetzt als Besatzungsoffizier. Ähnliches verrichtete.“ galt für Alexander Maass, der als Kommunist Kein Zufall war es, dass Everitt bis zum Sommer Deutschland 1933 verlassen musste. Auf dem Um- 1946 als Controller des Wortprogramms eine weg über Mexiko, Kanada und dem britischen Schlüsselfigur im NWDR war, ehe er nach England Soldatensender „Calais“ wurde Maass der Informa- zurückkehrte. Sein politisch unzweifelhafter Hin- tion Control Unit No. 8 in Hamburg zugeteilt. Dort tergrund, seine Beherrschung der deutschen Spra- bekam er 1945 den Posten des „Production Chief“ che, seine mit Oxford-Diplom besiegelte Absorpti- für den NWDR, der der Stelle des Sendeleiters on des „British Way“ machte ihn für die Re- entsprach. Vom 01.01.1947 an leitete er mehrere education-Aufgabe zum Idealkandidaten. Dass der Jahre die neugegründete NWDR-Rundfunkschule neue Stil, mit dem die Briten den Bruch mit der als Assistant Controller/Training School.434 In bei- NS-Tradition anstrebten, auch eine Frage von den Positionen hatte er Personalverantwortung.435 Sprachmustern war, war Everitt bewusst. Diese Maas gehörte zu der Gruppe von linken NS- aufzubrechen verstand er als eine seiner Hauptauf- Gegnern, die wegen ihrer eindeutigen politischen gaben: Haltung während des Dritten Reiches für die Auf- „Sein Widerwille gegen pompöse Worte und gaben der politischen Umerziehung zunächst ohne bombastische Phrasen war bemerkenswert. Sein weitere Prüfung herangezogen wurden. Deutsch war so gut wie sein Englisch; das setzte Später gerieten die emigrierten Linksintellektuellen ihn in den Stand, in politischen Kommentaren wegen dieser Positionierung stark unter Druck. Zu Nuancen zu erkennen und manchmal zu bean- 430 dieser Gruppe gehörten auch Albin Stuebs, der standen, die andere übersahen.“ stellvertretende Leiter der Rundfunkschule, sowie Wie tief die Begrifflichkeit der Propaganda, der Eberhard Schütz, der erste Programmdirektor des Abwehrreflex gegen Schuld und Verantwortung NWDR (1947-49) und spätere Intendant des Funk- und ein apologetischer Fatalismus das Vokabular hauses in Hamburg. Walter D. Schultz wurde nach der deutschen Mitarbeiter durchwirkte, machte seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil 1948 zum Everitt immer wieder zum Thema: Leiter des Außenreferats des NWDR (und später „Dann kamen manchmal Formulierungen, die in NDR). Unter den Kontrolloffizieren, die nach der der Nazizeit durchaus üblich gewesen waren. Übergabe des NWDR in deutsche Hände auf Seiten Die mussten eliminiert werden. Es waren so der ISD zu den wichtigsten Verbindungsoffizieren Dinge wie ‚der unselige Krieg‘. Dann wurde er ganz rot im Gesicht und sagte: ‚Das war der 431 Ders.: unveröff. NDR-Interview, November 2000, NDR-Fernseharchiv. 432 Zu den deutschen Besatzungsoffizieren und Remig- ranten in den Reihen des NWDR vgl. Clemens: Remig- ranten: S. 60 f. 428 Zu seiner Familien- und Weggeschichte vgl. seine 433 Vgl. Thomas: Deutschland, England über alles, Memoiren: Walter Albert Eberstadt: Whence we came, S. 125; Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, where we went. From the Rhine to the Main to the Elbe, S. 105. from the Thames to the Hudson. A Family History. New 434 Controller NWDR: Duties of British Controll Staff York 2002. with NWDR: Reorganisation, o.J. (ca. Ende 1946), StA 429 Walter Everitt in: Wiedersehen am Rothenbaum, N3- HH, NDR, 621-1, 1126. Sendung vom 09.04.1996, NDR-Fernseharchiv 1068020. 435 Maass spielte eine Rolle bei der Anstellung Peter von 430 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 264 f. Zahns, vgl. von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 247.

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zählten, war Michael Thomas, der in den dreißiger has given no indication of administrative abil- Jahren emigriert und mit der Besatzungsarmee ity, or of political appreciation, and still less of zurückgekehrt war. the vision which would make NWDR some- thing more than an organisation which attracted Die Kohorte der Remigranten, die als britische the best-known names to its programmes, by as- Soldaten zurückkehrten und den Aufbau des Zo- suming the moral and intellectual leadership in nensenders mitgestalteten, war von starkem Ein- a shattered country of key international impor- fluss bei der Durchführung der Re-education. Ent- tance.“438 scheidendes Argument war für die Briten die Kenntnis deutscher Sprache und Mentalität.436 Eine Angesichts der politischen Tragweite sah Bishop Überprüfung der politischen Verlässlichkeit dieser einen weiteren Wechsel an der Senderspitze für Männer unterblieb, was umso erstaunlicher ist, als zwingend. Seine Anfrage richtete er an die BBC in die Briten ansonsten mit dem Einsatz deutscher Person des Generaldirektors William Haley. Doch Emigranten zurückhaltend waren. Das Misstrauen nicht die Rundfunkerfahrung, über die Palmer ja gegenüber der Weimarer Elite war unüberwindlich. verfügte, definierte Bishop als die Hauptkompetenz Doch war die englische Uniform der glaubwürdigs- eines künftigen Controllers. Wichtiger war ihm ein te Loyalitätsbeweis, der die Emigranten als nach- umfassendes politisches Verständnis von Deutsch- weisbar naturalisiert gelten ließ. land: „What we need is an expert in Germany ra- ther than an expert in broadcasting.“439 Bishops Von entscheidender Bedeutung war die Besetzung Hilferuf an die höchste Ebene der BBC zeigt die der Führungsspitze des NWDR. Der erste Leiter Dringlichkeit, mit der das Radioproblem mittler- von Radio Hamburg war Colonel Paul Lieven, der weile behandelt wurde. Das Ziel war noch immer, die Sondereinheit am 03.05.1945 angeführt hatte. einen unabhängigen deutschen Sender aufzustellen: Er war Brite baltischer Abstimmung und eigens auf diese Aufgabe vorbereitet gewesen, doch Lieven „As I have already told you, it is our intention to put NWDR under German control the mo- blieb nur wenige Wochen. Im Juli 1945 übernahm ment we are satisfied we have found Germans der Fachmann für Werberundfunk Keith Thompson capable of operating it on a basis satisfatory to die Leitung, ging aber bald danach als Kontrolloffi- us. Hitherto the search for such Germans has zier nach Köln. Sein Nachfolger wurde Ralph had dissappointing results and it seems that a Poston, im Zivilberuf Geistlicher und mit Rundfun- training period must be contemplated.“440 kerfahrung bei der BBC, der bis Frühsommer 1946 im Amt blieb, ehe er nach England zurückkehrte. Im August 1946 kam die BBC der Aufforderung Ihm folgte ein weiterer altgedienter BBC- nach und ernannte Hugh Carleton Greene für die Mitarbeiter nach, Rex Palmer, der nach einer Um- Stelle des künftigen NWDR-Controllers. Greene organisation von PR/ISC zugleich Chief-Controller hatte im Dritten Reich von 1933 bis 1939 als Zei- des Rundfunks in der britischen Zone war.437 Keine tungskorrespondent gearbeitet, bis er vom Reichs- dieser Besetzungen war mehr als eine Übergangslö- propagandaministerium ausgewiesen wurde. Später sung, typisch für das chronische Personalproblem wurde er Leiter des BBC German Service, der in im Bereich politisch relevanter Führungsaufgaben. der Kriegszeit mit den Kampfbegriffen der psycho- logischen Kriegsführung agierte. Damit erfüllte Die Wahl von Rex Palmer für einen der wichtigsten Greene die wichtigste Anforderung aus Generalma- Posten in der publizistischen Landschaft der briti- jor Bishops Stellenprofil: ein Mann mit perfekten schen Zone erwies sich als Fehlgriff. Nach wenigen Deutschkenntnissen und tiefem Verständnis deut- Wochen seiner Amtsführung bemerkte der Chef der scher Geschichte und Mentalität. Und er hatte eine Medienkontrollbehörde Bishop, wie wenig Palmer eminent politische Auffassung seiner Rolle, unab- den politischen Aufgaben gewachsen war: dingbar für die Aufgabe der britischen Besat- „He possesses undoubted qualities of keenness zungsmacht, aus Deutschland eine demokratische and showmanship. But I need not tell you that Nation zu machen.441 Greene trat am 01.10.1946 the leadership of a large broadcasting organisa- sein Amt als Chief-Controller des NWDR in Ham- tion requires considerably greater qualities. He burg an. Seine Berufsauffassung entsprach der

436 Englischkenntnisse wurden niedriger angesiedelt, etwa bei Alexander Maass: „Er trug zwar eine englische 438 Major-General W.H.A.Bishop (Chief PR/ISC, Berlin) Uniform, sprach aber nur das notdürftigste Englisch. an William Haley (Director General BBC, London): Sollten doch die britischen Offiziere Deutsch lernen, 11.07.1946, PRO, FO 1056, 16. wenn sie sich mit ihm unterhalten wollten!“, von Zahn: 439 Ebd. Stimme der ersten Stunde, S. 248. 440 Ebd. 437 Zu den Wechseln an der Spitze des NWDR vor Hugh 441 Bishop war über diese Wahl erleichtert, vgl. sein Carleton Greene vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Schreiben an William Haley (Director General BBC, Besatzung, S. 10f f., 119. London): 28.08.1946, PRO, FO 1056, 16.

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Linie, die in den Grundsatzpapieren zur politischen news from all parts of the British Zone in Ger- Umerziehung formuliert worden war: many are a matter of the highest priority.“446 „Meine Aufgabe war, diese Tradition der Frei- Die Autonomie der Kontrollbehörden war indes so heit und Unabhängigkeit zu vertiefen und zu groß, dass die Offiziere im Sender ohne Direktiven festigen, dem NWDR einen legalen Status im an die Rekrutierung eines deutschen Personal- öffentlichen Leben zu geben und die neue Insti- stamms herangingen. Sie taten dies nicht – wie es tution gegen Kräfte zu verteidigen, die die re- manche Memoiren verklärend darstellen – in toll- daktionelle und politische Unabhängigkeit un- kühner Eigenregie, sondern in Übereinstimmung 442 terminieren wollten.“ mit der Strategie der „indirect rule“, wie sie Bishop im Sommer 1945 bei einer Grundsatzrede vor der 3.2. Das deutsche Rundfunkpersonal internationalen Presse in Berlin unterstrich. Erst- mals sprach er vom vorrangigen Besatzungsziel der „spiritual reeducation and reorientation of the Ger- 3.2.1. Auswahlkriterien man people.“447 Die Notwendigkeit, inhaltliche Bei der Rekrutierung von deutschem Personal kol- Verantwortung auf deutsche Mitarbeiter zu delegie- lidierte das theoretische Konzept der indirekten ren, stand außer Frage: Kontrolle mit dem über Jahrzehnte genährten Miss- “We are convinced that what one learns by trauen gegen die Deutschen. Die „indirect rule“ one’s own initiative practice makes a far deeper beruhte auf dem Gedanken, den Deutschen selbst impression than that which one is ordered to die Erziehung ihrer Landsleute zum demokrati- learn by heart. What one teaches oneself is more schen Wertekanon zu überlassen, was ökonomisch useful than that which others may try to teach und philosophisch schlüssig war. Dies setzte jedoch one. We are not trying to create a New Ministry ein Mindestmaß an Vertrauen in eine deutsche of Propaganda, which instils prescribed ideas Führungselite voraus, der man im Sinne von Bal- into the Germans, but we want, as far as possi- fours „Teach the Teacher“443 ausreichenden Hand- ble, to give Germans the chance to express their lungsspielraum zugestehen musste. Die Bereit- own ideas and to run their own news ser- 448 schaft dazu war mit jedem Kriegstag geschrumpft. vice.“ Das Strategiepapier der PWE vom Sommer 1943 Es war die Handschrift der Re-education-Politiker, ist ein Dokument des Misstrauens gegen alle Deut- die aus diesem Grundsatzmanifest zu lesen war, schen. Ob es nun die „‚willing collaborators‘ inside und zu deren Anhänger sich Bishop erklärte. Germany“, die „German exiles and emigres“ oder Gleichzeitig betonte er Vorsicht und Kontrolle bei die „Reichs Germans of consistent anti-Nazi ten- der Auswahl der deutschen Mitarbeiter insbesonde- dencies“ waren – kaum einem von ihnen wollte re im Rundfunk: man über den Weg trauen: „It will not be possible “In the present phase the responsibility of han- to take for granted the sincerity of the motives of dling a publicity medium of such far-reaching many of these.“444 Die Experten in der Planungsbe- influence cannot be handed over to any Ger- hörde rieten zu einem geringstmöglichen Einsatz man. But under British supervision Germans deutscher Mitarbeiter in den Medien („the mini- will be given more opportunity to arrange pro- mum possible personnel“445) unter strengsten Vor- grammes, to give talks and to discuss German sichtsmaßnahmen. problems.“449 Die Stagnation nach der Übernahme des Reichs- senders im Sommer 1945 war eine Folge dieses restriktiven Personalkonzepts, was die Medienkon- trollbehörden beklagten: 446 B.G.S. (Infm Control) an CA (Mil Gv): Directives for Information Control, 19.07.1945, PRO, FO 1056, 25. „Communications and the recruitment of per- 447 sonnel necessary for ensuring an interchange of Major-General Alec Bishop: British Control Policy for Newspapers, Books, Radio and Entertainments. Statement made in Berlin to the international press on 442 Hugh Carleton Greene in: Greene’s Germany – Ge- August 10th, 13.08.1945, PRO, FO 371, 46702. schichten aus einem anderen Land, Film von Heinrich 448 Ebd. Breloer, N3-Sendung vom 25.02.1987, NDR- 449 Ebd.; vgl. Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC Fernseharchiv 1045050. Group) an Political Division: Conduct of Broadcasting in 443 Michael Balfour: A Plan for Re-education: Skeleton, Germany, 17.09.1945, PRO, FO 1049, 204: „The control 11.02.1946, S. 3, PRO, FO 1056, 25. of the corporation would be vested in selected German 444 PWE: P. and P. Paper No. 22, 01.06.1943, PRO, FO personnel who would in fact be nominees of a British 1049, 29. Broadcasting Control Unit, and who would act in every 445 Ebd. Beim Rundfunk glaubte man, sogar bis zu ein way under the orders of such unit. Thus the existing Jahr lang ganz ohne Deutsche auszukommen. measure of control would not be diminished.“

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Trotz des Bekenntnisses zur Zusammenarbeit mit they have been during the war), but they will den Deutschen blieb die Personalfrage der Engpass- require the most careful sifting, and continuous 453 faktor beim Aufbau des NWDR. Klagen über den supervision even while employed by us.“ Mangel an geeigneten Deutschen begleiteten die Perfekte Sprachkenntnisse, Erfahrung mit deutscher ganze britische Phase des Senders450. Politik und Gesellschaft, berufliche Nähe und Ab- Der Grund lag nicht in der mangelnden Bereitschaft lehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts der Deutschen, unter den Besatzern zu arbeiten (in reichten nicht aus, um die Emigranten in den Au- den NWDR-Akten finden sich zahllose Initiativbe- gen der Briten zur Besetzung verantwortungsvoller werbungen zwischen 1945 und 1948). Ebenso we- Aufbauposten in den Medien zu prädestinieren. nig war dies eine Ressourcenknappheit im qualita- Weit schwerer wog dagegen eine ganze Reihe von tiven Sinne, da selbst im Dritten Reich nicht alle Bedenken: erstens die Annahme, dass sie rück- Deutschen zu minderbemittelten Analphabeten wärtsgewandte Vertreter des vornationalsozialisti- geworden waren. Das Hauptproblem bei der Aus- schen Deutschland waren und so dem demokrati- wahl der deutschen Mitarbeiter war die politische schen Neuaufbau eher im Wege stünden. Der Zuverlässigkeit. In der Logik der Umerziehung gewünschte Bruch mit der (staatsgläubigen) deut- hatte das deutsche Personal die eminent politische schen Tradition v.a. im Rundfunk war von ihnen Aufgabe, den Hörern die Fehler der Vergangenheit nicht ohne weiteres zu erwarten.454 Zweitens gab es sowie die Vorzüge der Demokratie zu vermitteln. die Befürchtung, dass die Bevölkerung in Deutsch- Für diese heikle Mission stellten die Briten eine land nicht bereit war, sich von Männern umerzie- Reihe von strengen Ausschlusskriterien zusammen. hen zu lassen, die die kritischen Jahre nicht am eigenen Leib erlebt hatten.455 Drittens befürchteten 3.2.1.1. Die Rolle der Emigranten und die Briten, sich mit den Rückkehrern eine auf- Remigranten trumpfende Siegerkaste ins Boot zu holen, die zu steuern es permanenter Kontrolle („continuous Die Planungen der britischen Besatzungspolitik in supervision“) bedurfte. Viertens waren für die anvi- Bezug auf deutsche Schlüsselpositionen vollzogen sierte Vermittlung der britischen Werte – die „Pro- sich weitgehend ohne Einbeziehung von Emigran- jection of Britain“ – Personen mit deutscher Sozia- ten.451 Im Laufe der NS-Herrschaft waren mehr als lisation nicht besonders vertrauenserweckende 2.000 Journalisten aus Deutschland emigriert, viele Gewährsleute.456 Aus diesen Vorbehalten zogen die von ihnen nach Großbritannien.452 Obwohl einige Besatzer die Folgerung, dass die Umerziehung der dort beruflich Anschluss fanden – und nicht selten Deutschen durch Deutsche nicht den Emigranten im Rundfunk –, wurden sie nicht als Personalreser- anvertraut werden konnte: voir für die Besetzung in Deutschland eingestuft. In „They should not, other than in the most excep- den Planungspapieren der Behörden wurden Emig- tional circumstances, be cognisant of our confi- ranten zwar berücksichtigt, allerdings mit warnen- dential plans (apart from the details directly den Ausrufezeichen: concerning their work) for the control and re- “A considerable number of German exiles and moulding of the German mind after the war.“457 emigres will, of course, be of great use to us (as Beim NWDR wurde diese Linie ziemlich konse- quent verfolgt. Hugh Carleton Greene, wichtigster Controller des NWDR, war ein erklärter Vertreter 450 So z.B. Duncan Wilson (ISCB, Pol. Division, Bünde) an D. McLachlan (PID Deputy Controller, London): 25.09.1945, PRO, FO 1056, 25; Brigadier W.L. Gibson 453 PWE: P. and P. Paper No. 22, 01.06.1943, PRO, FO (ISC Branch) an Broadcasting Control Units (Ham- 1049, 29. burg/Cologne): 15.01.1946, PRO, FO 1056, 26. 454 Vgl. Clemens: Remigranten, S. 53. 451 Vgl. Clemens: Remigranten, S. 53. Ähnlich in den 455 Hans Bredow äußerte kurz nach dem Krieg die Auf- anderen westlichen Besatzungszonen, nicht aber in der fassung, „dass es wirksamer sein würde, wenn das deut- Sowjetzone, vgl. Marita Biller: Der Einfluß des Exils auf sche Volk die Wahrheit über die letzten zwölf Jahre den Nachkriegsrundfunk. In: Mitteilungen des Studien- durch Deutsche erfahren würde, die alles unmittelbar kreises Rundfunk und Geschichte 21 (1995) Nr. 4, erlebt hatten. Was und andere Emigranten S. 210-223; speziell zu den London-Remigranten vgl. dazu zu sagen hätten, würde wenig Eindruck machen.“, Hans-Ulrich Wagner: Über alle Hindernisse hinweg: zitiert nach Rüdiger Bolz: Rundfunk und Literatur unter London-Remigranten in der westdeutschen Rundfunkge- amerikanischer Kontrolle. Das Programmangebot von schichte. In: The Yearbook of the Research Centre for Radio München 1945-1949. Wiesbaden 1991, S. 42; vgl. German and Austrian Exile Studies Bd. 5. Amsterdam Clemens: Remigranten, S. 54. 2003, S. 139-157; allgemeiner zum Thema der Sammel- 456 Vgl. ebd. band von Crohn/Schildt (Hrsg.): Zwischen den Stühlen? 457 PWE: P. and P. Paper No. 22, 01.06.1943, PRO, FO 452 Vgl. Biller: Der Einfluß des Exils, S. 213. 1049, 29.

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dieser Haltung.458 Die Behörden machten kein März 1945 kursierte in den Reihen der Political Geheimnis aus ihrem Misstrauen gegenüber den Warfare Division ein Papier zu Rekrutierungskrite- Emigranten: rien für Medienjobs in den Kriegsgefangenenla- „Die britische Militärregierung war [...] gegen gern, deren einziges das politische Kriterium war: die Besetzung wichtiger Posten im Funk mit „The candidate must be politically suitable deutschen Emigranten. Sie wollte Personal, das which implies suitability in terms of current lo- sich Vertrauen bei der Bevölkerung verschaffte cal conditions and political atmosphere as well und zugleich Verständnis für die Bedürfnisse as in terms of the general guidance provided be- der britischen Politik hatte.“459 low. […] An overall judgment on a candidate’s Zwar zogen die Briten also beim Aufbaupersonal suitability should rest on a consideration from des NWDR generell in der Heimat gebliebene, three points of view: politisch mehr oder weniger unbelastete Deutsche His former political and organisational affilia- vor. Jedoch standen in den Reihen der Kontrollbe- tions. […] Record under the Hitler regime. […] hörden gerade im Bereich des Rundfunks auffällig 461 viele deutsche Emigranten in verantwortlichen Genuine Current Political Convictions.“ Positionen (Everitt, Schütz, Stuebs, Maass, Schultz Es lag auf der Hand, dass man bei Soldaten, die für u.a.). Wer als Deutscher die britische Armeeuni- das Dritte Reich gekämpft hatten, nicht ohne weite- form trug, hatte meist im Propagandakrieg mitge- res demokratische Einstellungen voraussetzen wirkt und galt demnach als loyal dem „British konnte. Andererseits mochte es Unterschiede geben Way“ gegenüber und nicht verdächtig, sich eine zwischen brennenden Nazis, willigen Mitläufern, illegitime Siegerrolle anzumaßen.460 Außerdem gleichgültigen Duldern und heimlichen Dissiden- verlieh ebendiese Uniform die notwendige Autori- ten. Das PWD-Papier unternahm den Versuch, über tät vor der Bevölkerung und den deutschen Mitar- ein standardisiertes Rasterverfahren (Fragebogen beitern. Ein Interessenskonflikt war hier nicht zu mit 29 Fragen zu Einstellung, Verhalten, Wider- erwarten. Nicht wenige von diesen Remigranten stand etc.) sowohl den typischen Nazi zu erken- gelang es in der Folge, den Status des Kontrolloffi- nen,462 als auch zu einer Klassifizierung der POWs ziers einzutauschen gegen einen leitenden Posten zu gelangen: im neugegründeten NWDR, so z.B. Eberhard „Most Germans will combine elements in these Schütz als Programmdirektor, Alexander Maass als representative types discussed below. They are Leiter der Rundfunkschule oder Walter Schultz als divided into three main groups: Suspects, or Leiter des Außenreferats. ‚Bad Bets‘, Non-politicals, or ‚Dark Horses‘, and finally Useful Contacts and Potential Ap- 3.2.1.2. Die Rolle der Kriegsgefangenen pointees, who may be desribed as ‚Good Bets‘.“463 Während in den Planungen vor 1945 die Kriegsge- Fragebogenverfahren wie dieses wurden in den fangenen für die Besetzung wichtiger Medienpos- britischen POW-Camps eingeführt. Ähnlich wie ten keine Rolle spielten, änderte sich dies nach dem das Entnazifizierungsverfahren warf diese Prozedur D-Day mit der Erkenntnis, in welch umfassendem in den Kriegsgefangenenlagern praktische Proble- Maß die deutsche Gesellschaft militarisiert war. me auf. Im Fall des NWDR deutet nichts darauf Die Wahrscheinlichkeit, ausreichend gebildete hin, dass dadurch politisch akzeptable Mitarbeiter Personen ohne Wehrmachtspass zu finden, nahm ausfindig gemacht wurden. angesichts der anschwellenden Ströme deutscher Kriegsgefangener ab. Bald war den Londoner Me- Doch hatten die Briten nach Ende der Kampfhand- dienstrategen klar, dass ohne POWs (Prisoners of lungen keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen die War) keine neue Medienelite zu machen war. Im Übernahme deutscher Kriegsgefangener. Einer von ihnen war Peter von Zahn, der in einem POW-

Lager in Schleswig-Holstein von den Briten als 458 „Die Briten haben in ihren Rundfunkvorbereitungen englischsprachiger Dolmetscher engagiert wurde. schon während des Krieges einen viel größeren Wert auf Als Kriegsberichterstatter in einer Propaganda- deutsch-sprechende Engländer als auf deutsche Emigran- Kompanie der Wehrmacht hatte er zudem journalis- ten und Kriegsgefangene gelegt. Dies, meiner Meinung nach, aus vernünftigen politischen Gründen.“, Hugh Carleton Greene: Anmerkung zu: Horst O. Halefeldt, Die 461 Political Warfare Division: Manual of the Control of Knolle allen Übels. Manuskript o.J. (später veröffentlicht German Information Services, März 1945, S. 1, PRO, FO in: Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Ge- 939, 438. schichte 3 (1977) Nr.2, S. 6-9), S. 9, StA HH, NDR, 621- 462 „Guidance on How to Recognise a Nazi. There are 1, 1126. three general types: the fanatic, the undercover man, the 459 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 252. gangster.“, ebd., S. 2. 460 Vgl. Clemens: Remigranten, S. 55 f. 463 Ebd., S. 4.

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tische Berufserfahrung – was nicht als politisch gierte vor allen Ausbildungs- und Befähigungs- problematisch eingeschätzt wurde. Allerdings wur- nachweisen. Das sollte wie überall in der deutschen de von Zahn nicht im standardisierten Fragebogen- Gesellschaft auch im NWDR Probleme aufwerfen. Verfahren rekrutiert: Die britische Entnazifizierungspolitik beruhte auf „[Zu Radio Hamburg, FH] kam ich hin, weil ich keiner eigenständigen Konzeption (im Gegensatz Dolmetscher in einem großen Gefangenenlager zu vielen anderen Bereichen hatten sich die Londo- in Schleswig-Holstein war. Und die wollten ner Planungsbehörden bei diesem Aspekt zurück- gerne mal eine Sendung machen, damit sie Na- gehalten), sie lehnte sich vielmehr an die Richtli- men von Gefangenen einschleusen konnten. Es nien der Amerikaner und später des Alliierten gab ja keine Post, die Familien wussten ja über- Kontrollrates an.466 Dies hatte zur Folge, dass die haupt nichts. Ich war gebeten worden, mit den Briten ihre Entnazifizierung ohne missionarischen englischen Offizieren zu verhandeln. Die sag- Eifer betrieben und dem Funktionieren von Abläu- ten, das kommt gar nicht infrage. Aber bleiben fen den Vorrang gegenüber bedingungsloser Para- Sie mal gleich hier! Und so haben sie mich ein- graphentreue gaben. Diese pragmatische Einstel- kassiert.“464 lung erleichterte die Praxis der „indirect rule“. Undogmatisch verfuhren die Briten bei etlichen Andererseits führte das häufige Durchbrechen der weiteren Einzelfällen. So suchte sich Peter von Säuberungen aufgrund von Einzelfallerwägungen Zahn, nachdem ein englischer Offizier ihn für den zum Anschein von Chaos, Widersprüchlichkeit und Aufbau der Abteilung Wort angeheuert hatte, eine Willkür, was bei der Bevölkerung nachhaltig zu Mannschaft aus den POW-Camps zusammen: Abwehrreaktionen führte.467 „Wir mußten also nun in unseren Köpfen her- Im NWDR gestaltete sich der Anfang der Entnazif- umsuchen: Wer wohnt hier in Hamburg? Könn- zierung improvisiert. Dennoch war die Frage des te der vielleicht da sein? Ist der im Krieg? An politischen Vorlebens aller deutschen Bewerber ein wen erinnerst du dich aus der Gefangenschaft, entscheidendes Thema. Nach der Besetzung des den gesehen zu haben? Und so holten wir uns Funkhauses wurde kein deutscher Redakteur aus langsam einen Redaktionsstab. Das ging eigent- der alten Belegschaft übernommen. Die Zugehörig- lich ein halbes Jahr lang, daß man immerzu keit zum Reichssender Hamburg galt als politisch Leute ausfragte und dann, wenn sie einem eini- germaßen passabel erschienen, zu den Englän- kompromittierend und kam einem Berufsverbot dern schickte, damit sie dort noch mal ausge- gleich: fragt wurden.“465 „Für kleinere, sogar ganz kleine Rollen können Sie Frau Trude Meinz von Fall zu Fall beschäf- tigen. [...] Die Betonung liegt aber klar auf klei- 3.2.1.3. Das Problem der Entnazifizierung ne Rollen und auch nur von Fall zu Fall. Zu Ih- Aus den Konferenzen der Alliierten in Moskau, rer Erklärung: Frau Meinz war 14 Jahre hier am Teheran, Jalta und Potsdam war die Forderung nach Sender beschäftigt und wurde aus eben diesem Entnazifizierung, nach Reinigung der deutschen Grunde vor einiger Zeit entlassen.“468 Gesellschaft von allen Einflüssen der nationalsozia- Bis ins folgende Jahr prüften die Kontrolloffiziere listischen Ideologie als eine der wenigen Schnitt- im Sender die deutschen Aspiranten überwiegend mengen hervorgegangen. Auch nach dem Zerbrö- informell. Die Frage der politischen Einstellung ckeln der Anti-Hitler-Koalition in die Lager West wurde vom Kontrolloffizier mündlich abgehandelt: und Ost änderte sich daran nichts, selbst wenn die „Das war damals ein Major Rasmussen, und der Entnazifizierung in den Zonen mit unterschiedli- war glänzend über mich informiert. ‚Roter Sa- cher Intensität betrieben wurde. Damit war festge- tan‘ – ich weiß nicht woher sie das hatten. Es legt, dass die Aufbaugeneration des neuen Deutsch- gab also schon bereits einen Record über mich, land vor allem anderen negativ gefiltert wurde. Das

Kriterium der politischen Kompromittierung ran- 466 Vgl. Clemens Vollnhals: Britische Besatzungszone. In: Ders. (Hrsg.), Entnazifzierung. Politische Säuberung 464 Peter von Zahn in: Bausteine der Demokratie, N3- und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945- Sendung vom 27.04.1986, NDR-Fernseharchiv 1043418. 1949. München 1991, S. 24-34; Ian Turner: Denazifica- 465 Ders.: „Um Gottes willen, der spricht ja nicht wie ein tion in the British Zone. In: Ders. (Hrsg.): Reconstruction Deutscher“. In: von Plato/Leh: „Ein unglaublicher Früh- in Post-War Germany. British Occupation Policy and the ling“, S. 318. Analog soll Hans Schmidt-Isserstedt im Western Zones 1945-55. Oxford, New York und Munich Juni 1945 sein fast 100-köpfiges NWDR-Orchester nach 1989, S. 239-267. einer Rundreise durch die Gefangenenlager zusammen- 467 Vgl. Vollnhals: Britische Besatzungszone, S. 24 ff. gestellt haben, vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter 468 Alexander Maass (Programmleiter Radio Hamburg) Besatzung, S. 107 f. Diese Version lässt sich allerdings an Sendespielleiter Kurth: 8.10.45, StA HH, NDR, 621-1, nicht belegen. 1015.

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und der wusste meine militärische Vergangen- Rundfunkbetrieb durchbrochen. Es wird des- heit. Dass ich Bataillonskommandeur zum halb mit allem Nachdruck erneut darauf hinge- Schluss gewesen war, schwer verwundet, und wiesen, dass in jedem Falle die Voraussetzung ziemlich hoch dekoriert, das fragte er ab. Ich für eine Beschäftigung im Hause bei Sendungen sagte ihm, dass ich das bin, und dann sagte er, oder Proben oder Zusicherung einer solchen, sei das ist o.k. Sie sind angestellt.“469 es gegen Entgelt oder unentgeltlich, die durch den G.P.O. erteilte Genehmigung ist und Karrieren bei der Wehrmacht, in Propagandakom- 473 panien wie im Falle von Zahn oder Roland, wurden bleibt.“ von den britischen Kontrolleuren nicht als politi- Die Fragebogen-Praxis wurde im NWDR wie über- sches Ausschlusskriterium angesehen.470 all 1946 eingeführt. Ebenfalls wie überall hemmte In der Zeit nach der Besetzung und vor der Frage- die Forderung nach politischer Verlässlichkeit den bogenpraxis verließ man sich auf die Empfehlun- Personalaufbau des Senders, was in der englischen gen deutscher Mitarbeiter wie Eggebrecht oder von Presse kommentiert wurde: Zahn oder auf offizielle Institutionen: „Der Rundfunk muss das Misstrauen zerstreuen, “Herr Eggebrecht nannte mir den Namen Wer- das ihm aus der Vergangenheit noch anhängt. ner Stelly, im Augenblick Regierungsrat bei der [...] Besonders schwer ist es, gute Mitarbeiter zu Stadtverwaltung Hamburg, in Harburg. Stelly finden, die politisch unbelastet sind; die weni- wird von Eggebrecht als ein Mann mit wirklich gen, die geeignet waren, müssen oft schwere Beschimpfungen und Drohungen über sich er- antifaschistischer Gesinnung geschildert, der 474 auch wohl politisch einwandfrei wäre, da er ja gehen lassen.“ in einer deutschen Verwaltung in offizieller Der Vorwurf der Kollaboration, auf den dieses Zitat Stellung arbeitet.“471 anspielt, wurde den NWDR-Mitarbeitern aus den Der Einsatz der deutschen Emigranten beim briti- Reihen der Hörer, aber auch von Politikern ge- 475 schen Kontrollpersonal trug dazu bei, dass die macht. Es war eine Folge der anhaltenden Entna- politische Überprüfung stark von persönlichen zifizierungskampagne, mittels derer die Bevölke- Eindrücken beeinflusst wurde. So engagierte sich rung politisch be- oder entlastet werden sollte. Das der Programmleiter von Radio Hamburg, Alexan- bürokratische Verfahren wurde dem komplexen der Maass, intensiv und bisweilen emotional bei Problemkreis von Schuld, Verstrickung und Dul- allen Personalvorgängen, häufig in Referenz auf dung niemals gerecht und führte nicht nur zu einer seine Kölner Rundfunkzeit vor dem Dritten Diskreditierung der Besatzungsmacht, sondern Reich.472 Trotzdem wurden Fälle bekannt, in denen auch zu einer Spaltung der deutschen Gesellschaft Deutsche ohne politische Prüfung im Sender arbei- in Belastete und Unbelastete. Im NWDR wurde das teten: Fragebogen-System von den Briten lange als lästige Formsache gehandhabt. Dies änderte sich, als 1946 „Es ist festgestellt worden, dass mehrfach Mit- die Amerikaner der britischen Militärregierung die arbeiter, ohne vorher den German Personnel Of- ficer zur Überprüfung vorgestellt worden zu NSDAP-Archive zur Einsicht öffneten – und damit sein, zu Sendungen und Proben herangezogen die Fragebogen der deutschen Mitarbeiter über- worden sind. Damit wurden die Maßnahmen prüfbar und, in vielen Fällen, angreifbar machten. zum Schutz gegen unerwünschte Einflüsse im Nun mussten die britischen Kontrolleure buch- stabengetreu vorgehen, was zu einer Entlassungs- welle führte: 469 Max Rehbein im Gespräch mit Peter von Rüden. In: „Mein Assistent Dr. Krollpfeiffer zum Beispiel Geschichte des NWDR - Zeugen der Rundfunk- und war als Student 1934 der Reiter-SS beigetreten Zeitgeschichte, 30.11.2000; vgl. den Bericht von Jürgen und bereits im folgenden Jahr wieder ausgetre- Roland im Gespräch mit Peter von Rüden. In: Geschichte ten. Aber er hatte diese Angabe bei der Anstel- des NWDR - Zeugen der Rundfunk- und Zeitgeschichte, lung unterlassen, und das war Fragebogen- 15.12.2000. Fälschung. Ich mußte Krollpfeiffer zur Kon- 470 Der Schriftsteller Peter Bamm, der im NWDR die „Streiflichter der Zeit“ leitete, war an der Ostfront im Sanitätsdienst gewesen, worüber er in einem autobiogra- 473 Rundschreiben an alle NWDR-Abteilungen vom fischen Werk Auskunft gab: Peter Bamm: Die unsichtba- 21.8.46: StA HH, NDR, 621-1, 1387. re Flagge. München 1952. 474 „Manchester Guardian“. In: Die Ansage – Mitteilun- 471 Assistant Controller Maass (Production) an Mr. Leiser gen des Nordwestdeutschen Rundfunk: 14.12.46, S. 3, (Sicherheitsoffizier): 26.08.46, StA HH, NDR, 621-1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. 1015. 475 „Wir galten natürlich in weiten Kreisen als Kollabora- 472 Z.B. Maass persönliche Empfehlung an Major Skillen teure. [...] Ich habe viele Briefe gesehen, in denen ich über die Beschäftigung des Sängers Willy Schneider: praktisch schon tot war.“ Peter von Zahn: unveröff. 09.05.45, StA HH, NDR, 621-1, 1015. NDR-Interview, November 2000, NDR-Fernseharchiv.

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frontation mit seiner Vergangenheit ins Zimmer we are chiefly concerned with security i.e. we des Controllers bitten.“476 wish the German administration and German Dies stellte eine nachhaltige Belastung des Klimas industry to be staffed with people who are not im NWDR durch das sich verselbständigende Ent- dangerous to the aims of the occupation. For the nazifizierungsverfahren dar, was seinem Ruf in der Germans however the question is largely one of justice and retribution.“481 Öffentlichkeit schadete. Einerseits sprach die Pres- se nun vom NWDR als „Nazi-Nest“477, andererseits Im Mai 1947 ging in Hamburg die Verantwortung verlor der Sender bei den Intellektuellen seinen für die Entnazifizierung an die deutsche Justiz über, Nimbus als Hort von Liberalität.478 Die rückwir- der Rest der britischen Zone folgte zum 01.10.1947 kenden Überprüfungen und Säuberungen anhand mit der Verordnung Nr. 110. Von der praktischen von Parteiunterlagen zogen sich bis zum Anfang Durchführung enthoben, beharrten die Offiziere des Jahres 1948. Dann meldete der NWDR in eige- gleichwohl auf politischer Kontrolle. Der Auss- ner Sache: chluss von Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit „Die Untersuchungen ueber die Parteibindun- blieb Chefsache: „Except in the case of very minor posts no former member of the NSDAP should be gen der Angestellten des Nordwestdeutschen 482 Rundfunks zur NSDAP sind nun abgeschlossen. engaged without previous reference to me.“ Von ueber 1500 Angestellten des NWDR in Bis zur Übergabe des Senders in deutsche Hände Hamburg, Koeln und Berlin sind 22 entlassen 1948 war die Frage der politischen Belastung das worden wegen unrichtiger oder unvollstaendi- entscheidende Kriterium bei Personalien. Dies war ger Angaben in ihren Fragebogen hinsichtlich konsistent mit dem Re-education-Ziel, dass politi- der Parteimitgliedschaft oder Angehoerigkeit zu sche Umerziehung durch unbelastete Deutsche zu 479 anderen Parteiorganisationen.“ erfolgen hatte. Dennoch blieben die Briten bei ihrer Inzwischen war es den britischen Medienkontroll- Haltung, dass Ausnahmen von der Regel möglich behörden nicht mehr ohne weiteres möglich, die waren: Regularien der Entnazifizierung zu umgehen oder „Obgleich ich weiss, dass Ausnahmen gemacht je nach Einzelfall zu ignorieren. Je schematischer, werden müssen, hoffe ich außerordentlich, dass je bürokratischer das Verfahren wurde, desto mehr es durch die Zusammenarbeit der Abteilungslei- drohte das Ziel aus dem Blickwinkel zu geraten, die ter gelingen wird, dieses Problem in positiver für den Prozess der Demokratisierung Deutschlands Weise anzugreifen und dass alle Anstrengungen erforderlichen Personen mit einem Mindestmaß an gemacht werden, um für den NWDR Personen politischer Glaubwürdigkeit zuzulassen. Im Lauf zu finden, die keine Beziehungen zur NSDAP 483 des Jahres geriet die Entnazifizierung auch in Eng- hatten.“ land in die Kritik.480 Das führte 1947 zu einem Zu Ausnahmen waren die Briten immer dann be- Kurswechsel, der weniger aus Rücksicht auf die reit, wenn sie die personelle Unverzichtbarkeit „indirect rule“ zustande kam als vielmehr aus Ü- gegeben sahen. Im Frühjahr 1948 diskutierte die berdruss gegenüber der Erfordernis der Entnazifi- Kontrollbehörde PR/ISC über die Person von Emil zierung: Es ging um die Übergabe der Durchfüh- Dovifat, der als Kandidat für den Verwaltungsrat rung in deutsche Hände. Als im März 1947 der des NWDR gehandelt wurde. Dovifat war nicht britische Militärgouverneur General Robertson ohne NS-Makel,484 doch schien er unter den gege- diese Lösung skizzierte, wies er auf die politische benen Umständen den Briten für die demokratische Zielsetzung seitens der Briten hin: Weiterentwicklung des NWDR unverzichtbar: „I think we have reached a point where a fun- damental change in our policy is required. Our interest in Denazification is quite different from 481 General Robertson (Allied Headquarters, Berlin) an that of the Germans. Apart from war criminals Mr. Jenkins (COGA, Lübbecke): Denazification, 07.03.1947, PRO, FO 371, 64352. 482 Hugh Carleton Greene an Colonel Smith, Mr. Porter, 476 Ders.: Stimme der ersten Stunde, S. 301. Major Henry, Herr Wirtz: 28.04.1947, StA HH, NDR, 477 Ebd. 621-1, 1387. 478 Vgl. den Brief von Ralf Dahrendorf an den NWDR, 483 Hugh Carleton Greene an Direktor Wirtz: 14.08.47, wo er die „‚Denazifizierung‛ junger Menschen durch StA HH, NDR, 621-1, 1387. Ihren Personalchef“ als „menschliche Verantwortungslo- 484 Zur Ambivalenz in Dovifats Laufbahn vgl. den Sam- sigkeit“ und demotivierendes Signal scharf kritisiert: melband von Bernd Sösemann (Hrsg.): Emil Dovifat. 10.12.1946, StA HH, NDR, 621-1, 1517. Studien und Dokumente zu Leben und Werk. Berlin und 479 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen New York 1998 (Beiträge zur Kommunikationsgeschich- Rundfunk: Nr. 3, 14.2.48, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, te, Bd. 8). Dovifats Rolle im NWDR wird darin - von 1026. einigen Dokumenten abgesehen - allerdings nicht thema- 480 Vgl. Vollnhals: Britische Besatzungszone, S. 31. tisiert.

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“All these officials are free from Nazi associa- wirken zu können.488 Karl-Eduard von Schnitzler, tions with the exception of Professor Dr. Dovi- ebenfalls erklärter Kommunist, war als Kriegsge- fat, who was a member of the National Socialist fangener nach England gekommen und im BBC Teachers Association from 1933 onwards. […] German Service tätig geworden. Schnitzler, der In the circumstances I do not think that we have nach seiner Rückkehr in Hamburg bei den deut- 485 any option but to agree to his serving.“ schen Angestellten des NWDR wenig willkommen Als im Sommer 1948 der Amtsantritt des ersten war,489 wurde von den Briten alsbald im Kölner deutschen Generaldirektors und das Ende der briti- NWDR-Funkhaus installiert: schen Ära bevorstand, sahen sich die Briten genö- „Die Briten wünschten meine – in Ascot be- tigt, die Weiterführung der politischen Überprüfung währte und gewachsene – Art zu schreiben und im NWDR anzumahnen. Die zurückhaltende For- zu reden, ein wenig ‚zu linke‘ antifaschistische mulierung, „dass möglichst nur Leute ohne Partei- Gesinnung und die damit verbundene Unbe- zugehörigkeit angenommen werden sollen“,486 zeigt flecktheit des 132-Seiten-Fragebogens.“490 jedoch, wie schwierig durchsetzbar sich das Dogma In Köln arbeiteten neben Schnitzler weitere Antifa- der Entnazifizierung im Deutschland des Wieder- schisten wie Karl Georg Egel, Karl Gass und Max aufbaus erwiesen hatte. Burghardt, der 1947 NWDR-Intendant in Köln wurde. Zu dieser Zeit begann sich jedoch eine 3.2.1.4. Das Problem des Wende in der britischen Personalpolitik abzuzeich- Antikommunismus nen, der eine Zuspitzung in der außenpolitischen wie auch in der innenpolitischen Gemengelage in Bei aller Gefahr, die in den Augen britischer Politi- Deutschland zugrunde lag. Nach den Konferenzen ker, allen voran Churchill, vom sowjetischen Ex- von Jalta und Potsdam hatten sich die Ost-West- pansionsstreben für Europa ausging, hatten die Gegensätze in der europäischen Nachkriegspolitik Besatzer zunächst keine Vorbehalte bei der Zu- verschärft, was sich auf der einen Seite in der Sow- sammenarbeit mit Linken oder Kommunisten. Die jetisierung Osteuropas, auf der anderen Seite in der meisten politischen Emigranten, die als Rundfunk- Schaffung der anglo-amerikanischen „Bizone“ in offiziere in die britische besetzte Zone zurückkehr- Deutschland zum 01.01.1947 und in der Truman- ten (Maass, Stuebs, Schulz u.a.), standen bekann- Doktrin vom März 1947 niederschlug. Innerhalb termaßen dem linken Spektrum nahe, sei es als Deutschlands erwuchsen zu gleicher Zeit in Gestalt überzeugte Sozialisten, sei es als regimekritische der Parteien den britischen Militärbehörden politi- Schriftsteller. Die Kontrollbehörden duldeten den sche Gegenspieler. Dies war eine gewollte Ent- Einfluss von linken Regimegegnern, die sie als wicklung, doch sie brachte unerwartete Herausfor- fortschrittlicher einschätzten als die restaurativ- derungen für die Besatzungsmacht. So geriet der nationalistisch eingestuften „Weimarer Demokra- linkstolerante Kurs der britischen Personalpolitik ten“.487 im NWDR unter Legitimationsdruck. Zur wichtigsten Figur der ersten deutschen Redak- Seit Sommer 1946 war die linke Kölner Zelle zur teursgeneration neben Peter von Zahn wurde Axel Zielscheibe für Angriffe von der rheinischen CDU Eggebrecht, ein bekennender NS-Gegner mit kom- unter ihrem Vorsitzenden Konrad Adenauer ge- munistischer Vergangenheit. Seine politischen worden.491 Intendant Burghardt überwarf sich mit Überzeugungen deckten sich zwar nicht gerade mit dem britischen Generaldirektor Greene und war denen der britischen Militärregierung und auch gezwungen, zum 01.03.1947 sein Amt niederzule- nicht mit denen des Controllers Hugh Greene. Den- gen. Ihm folgten weitere Kommunisten wie Egel noch beeindruckte er sie als Publizist genug, um jahrelang im NWDR stil- und meinungsbildend 488 Vgl. Thomas Berndt: Nur das Wort kann die Welt 485 Chief PR/ISC Group an Military Governor & Com- verändern. Der politische Journalist Axel Eggebrecht. mander in Chief (CCG, Berlin): N.W.D.R. Administra- Herzberg 1998 (Bibliothemata, Bd. 17). tive Board, 09.04.1948, PRO, FO 1056, 271. 489 Ein geheimer Bericht über die Ankunft von Schnitz- 486 Rundschreiben an alle Abteilungen von der NWDR- lers und einiger anderer in Hamburg vermerkt: „Our four Verwaltungsdirektion/Wirtz: 18.08.1948, StA HH, NDR, informants were clearly also distressed by what they 621-1, 1387. report as a not very encouraging reception at Radio 487 „We may be able to make some direct use of, or even Hamburg.“ D.M. Graham/Dr. Buxbaum (PR/ISC) an to employ, Reichs Germans of consistent anti-Nazi ten- G.S.D.: Incidents in demobilisation of Wehrmacht in dencies (e.g. Ministers of Religion and certain displaced Hamburg Area, 15.10.1945, PRO, FO 1056, 16. officials), but even these may hold certain German ‚na- 490 Karl Eduard von Schnitzler: Meine Schlösser oder tionalist‘ ideas which we should not desire to encourage.“ Wie ich mein Vaterland fand. Berlin 1989, S. 166. PWE: P. and P. Paper No. 22, 01.06.1943, PRO, FO 491 Vgl. Halefeldt: Die Knolle allen Übels, S. 7; Kutsch: 1049, 29. Rundfunk unter alliierter Besatzung, S. 123.

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und Gass aus der Kölner Abteilung Politik. Ihr Entscheidung Gelegenheit zu geben, der Mili- Leiter von Schnitzler wurde im Mai seines Postens tärregierung Vorschläge zu unterbreiten.“494 enthoben und als „Chefkommentator“ nach Ham- Der Antwort des britischen Controllers, an den die burg zurückgelobt, von wo aus er bald Burghardt in Eingabe weitergeleitet wurde, ist trotz diplomati- die SBZ nachfolgte. Der berühmte „Fall Schnitzler“ schem Duktus die Gereiztheit über diesen Vorstoß lag in der persönlichen Zuständigkeit von Greene, anzumerken: der Kontrollpolitik vorwiegend als Personalpolitik „Es wird Ihnen sicherlich bekannt sein, dass der interpretierte: Rundfunk nach der Verordnung No. 57 als ein „Ich habe Schnitzler gewarnt, dass er seine Stel- sogenanntes ‚reserved subject‘ gilt, und als Zo- lung nicht missbrauchen sollte für eine Art ge- nen Angelegenheit behandelt wird, die ausser- tarnter kommunistischer Propaganda. Aber es halb der Gesetzgebung der Laender steht.“495 ging so weiter und ich habe ihn und einige wei- Zeitgleich lancierte Adenauer als Mitglied des tere andere entlassen.“492 Zonenausschusses einen Rundumschlag gegen die In einem 14-seitigen Abrechnungsbrief warf pro-sozialistische Personalpolitik der Militärregie- Schnitzler Greene vor, mit seiner Personalpolitik rung, in dem er Eggebrecht und von Zahn in einem die Prinzipien der Demokratisierung und Umerzie- Atemzug mit Burghardt und Schnitzler nennt: hung zu verraten und den Sender zu „einer Bastion “The reproach is rightly made that the larger gegen den Osten“ zu instrumentalisieren: parts of the leading men of the Rundfunk is „Unsere Warnungen vor antidemokratischen taken from the parties of the Left or is con- Tendenzen und belasteten Mitarbeitern im Hau- nected with them and that they express their po- se verhallten ungehört, und die verhängnisvolle litical views openly in the emissions. […] Ac- Entwicklung brach nicht nur nicht ab, sondern cording to our informations [!] the personnel fand ihre Beschleunigung durch eine verhäng- policy of the Rundfunk is not decided by a nisvolle Personalpolitik. Die wirklichen Demo- German government office. Due to this person- kraten und Antifaschisten im Hause wurden im nel policy the general attitude of the Rundfunk steigenden Masse kaltgestellt, unter billigen is socialist.“496 Vorwänden oder auch ohne Begründung entlas- Die Reaktion von Militärgouverneur Robertson war sen oder zur Kündigung veranlasst.“493 ungehalten, doch sie verrät, wie sehr ihm die Trag- Der Konflikt um kommunistische Fraktionen im weite von Adenauers unbotmäßiger Attacke be- NWDR war für die Briten umso unangenehmer, als wusst war: er dem Trend Vorschub leistete, dass politische “Tell Adenauer that we are investigating his al- Gruppierungen auf die personelle Zusammenset- legations and as regards NWDR we shall take zung des Senders einwirkten. Nachdem im März any corrective action which may appear to be 1945 in Köln Intendant Burghardt das Handtuch called for. His action in exploiting this griev- geworfen hatte, meldete sich Nordrhein-Westfalens ance against Mil Gov for political ends in a Ministerpräsident Amelunxen bei der Militärregie- grossly offensive speech without loding any rung, um mit Vorschlägen zur Nachfolge aufzuwar- complaint with us amounts to deliberate bad ten: faith and an abuse of the tolerance we have long 497 „Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die dieser shown him.“ Frage zukommt, und geleitet von dem Bestre- Greene hat in einer späteren Stellungnahme den ben, zwischen dem Rundfunk als wichtigstem Fall Schnitzler als unbedeutende Episode charakte- Informationsmittel einerseits und der Bevölke- risiert.498 Tatsächlich war sie der Auftakt zu einem rung und den deutschen Behörden andererseits ein vertrauensvolles Verhältnis zu schaffen und auszubauen, bitte ich, mir vor der endgültigen 494 Dr. Amelunxen (Ministerpräsident Nordrhein- Westfalen) an Headquarters Militärregierung (Düssel- dorf): Intendanten-Posten beim Nordwestdeutschen Rundfunk Köln, 24.04.1947, PRO, FO 1013, 1906. 492 Hugh Carleton Greene in: Zeugen der Zeit – Ein 495 Hugh Carleton Greene (Chief Controller, NWDR) an Leben für den Rundfunk: Sir Hugh Greene, N3-Sendung Dr. Amelunxen (Ministerpräsident Nordrhein- vom 13.07.1979, NDR-Fernseharchiv. Dazu von Schnitz- Westfalen): 13.05.1947, PRO, FO 1013, 1906. lers eigene Schilderung: „Dann richtete Hugh Carleton 496 Konrad Adenauer (Zonenausschuss) an Mr. Asbury Greene aus Hamburg ein Fernschreiben nach Köln: (Zivilgouverneur, Düsseldorf): 05.05.1947, PRO, FO ‚Antifaschismus‘ sei ‚kommunistische Terminologie‘ 1013, 319. und folglich ‚ab sofort zu vermeiden‘. Gleiches gelte für 497 Telegramm von General Robertson (Berlin): ‚Reaktion‘.“ Von Schnitzler: Meine Schlösser, S. 204. 07.05.1947, PRO, FO 1013, 319. 493 Karl-Eduard von Schnitzler (Köln) an Hugh Carleton 498 Greene in: Anmerkung zu Horst O. Halefeldt: Die Greene (NDWR, Hamburg): o.J., PRO, FO 1056, 271. Knolle allen Übels, S. 9, StA HH, NDR, 621-1, 1126.

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personalpolitischen Kurswechsel und zu endlosen education 1946 gefordert hatte, wurde umgesetzt in Auseinandersetzungen mit den deutschen Parteien der NWDR-Rundfunkschule, die am 20.01.1947 an im immergleichen Tenor: Der „Rotfunk“ NWDR den Start ging. Wieder war es ein Modell der BBC, beschäftige Kommunisten, die eine objektive Be- das die Offiziere aus England mitbrachten. Seit richterstattung verhinderten. Solche Konflikte wur- 1936 entließ die Training School der BBC mit den auf höchster Ebene ausgetragen. So musste sich beachtlichem Erfolg jährlich Nachwuchsjournalis- im April 1948 der Stabschef der Medienkontrollbe- ten, worauf die Grundsatzerklärung der NWDR- hörden in Berlin rechtfertigen, weil sich NRW- Rundfunkschule verwies: Ministerpräsident Arnold gegenüber dem Regio- „Die Rundfunkschule des N.W.D.R. ist die erste nalkommissar über kommunistische Sympathisan- Rundfunkschule dieser Art in Deutschland. [...] ten im NWDR beschwert hatte: Wir wollen hoffen, dass auch die Rundfunk- „Though I think that rather less might have been schule des N.W.D.R. im Laufe der Zeit dem said about the KPD resolutions, I do not feel Nordwestdeutschen Rundfunk und dem deut- that there is any justification for thinking that schen Rundfunk im allgemeinen einen Stab von someone in the NWDR was deliberately ‚plug- guten Mitarbeitern stellen können [!].“501 ging‘ them. Furthermore, we have got to re- Der erste Leiter der Rundfunkschule war zugleich member that we are attempting to educate Ger- Kontrolloffizier in der Broadcasting Control Unit: mans into reporting news factually. So long as Alexander Maass, der als Emigrant in britischer we allow the KPD to operate in the British Uniform 1945 zu Radio Hamburg gekommen war. Zone, I do not think that we can refuse entirely 499 Die viermonatigen Kursprogramme waren ambitio- to report their doings on NWDR.“ niert und vielfältig: „Der Lehrplan umfasst die Die Briten sahen sich in einen Abwehrkampf ver- gesamte Arbeit eines Rundfunks vom Programm strickt, im Laufe dessen sie ihre wohlwollende bis zur Technik.“502 Nach einer Einführung in die Haltung gegenüber den Kommunisten aufgaben. Im Gebiete des Rundfunks bekamen die Schüler Unter- Frühjahr 1948 formulierte der Chef der Medienkon- richt mit praktischen Übungen (Ü-Wagen, Schnei- trollbehörde Bishop im Anschluss an eine anti- den, Nachrichten-Sendung erstellen), Vorträgen kommunistische Verlautbarung des Militärgouver- (Publizistik der Gegenwart, politische Parteien, neurs: „Braune Propaganda“, „Die Dolchstoßlegende“ “I also have in mind the fact that, in the past, u.ä.), Kursen zu englischer und russischer Ausspra- certain Communist infiltration into the German che, Sprechunterricht, Politische Geschichte, Wirt- staff of NWDR did, inadvertently, take place. I schaftsgeschichte usw.503 know that action was taken to put this right, and 500 Der Dozentenkorpus setzte sich zusammen aus I can only suppose that it was fully effective.“ NWDR-Journalisten, die über ihr Spezialgebiet Die Verunsicherung, die aus diesen Worten spricht, lehrten (Schnabel zum Hörspiel, Eggebrecht zu Stil übertrug sich auf die Position der linken Mitarbeiter und Glosse, Landrock und Rockmann zur Reporta- im NWDR. Aus Vertrauensträgern für die demo- ge, Schnitzler zu Diskussionssendungen, Heitmül- kratische Umerziehung war eine politische Risiko- ler und von Zahn zum politischen Kommentar). Da gruppe geworden. Am Ende der britischen Phase sie i.d.R. Autodidakten waren mit nicht mehr als 18 des Senders waren sie eine Minderheit ohne nen- Monaten Erfahrung im Sendebetrieb, war der Lehr- nenswerte Lobby. Das Ziel der Briten, einen poli- plan für deutsche Verhältnisse praxisnah und un- tisch unabhängigen NWDR in die deutsche Gesell- akademisch (ein Kurs vermittelte „Schlagfertigkeit schaft zu entlassen, hatte sich in der Frage der im Sendebetrieb“). Dagegen dozierten britische Personalpolitik nicht wie erhofft verwirklichen Kontrolloffiziere zu übergeordneten Themen wie lassen. „Nachrichten der BBC, des Radio Berlin und des NWDR im Vergleich“ (Owen), „Der Rundfunk in 3.2.2. Die Rundfunkschule des NWDR seinem Aufbau in anderen Ländern“ (Greene), „Die politische Verantwortung der Rundfunk- Die Idee des „Teach the Teacher“, die Michael Nachrichten“ (Greene), „Die Aufgaben des Rund- Balfour in seinem Skeleton-Manifest zur Re-

501 Alexander Maass: Schreiben an die Lehrer der Rund- 499 Major-General N.C.D. Brownjohn (Chief of Staff funkschule und die Abteilungsleiter des Nordwestdeut- PR/ISC, Berlin) an Regional Commissioner Land NRW schen Rundfunks, 17.01.1947, StA HH, NDR, 621-1, (Düsseldorf): 15.04.1948, PRO, FO 1013, 1906. 229. 500 Major-General W.H.A. Bishop (Chief PR/ISC) an 502 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen Major-General N.C.D. Brownjohn (Chief of Staff and Rundfunk: 28.12.46, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. Deputy Military Governor): 21.04.1948, PRO, FO 1013, 503 Vgl. Lehrpläne der Rundfunkschule des NWDR 1906. 20.01.1947 – 10.05.1947: StA HH, NDR, 621-1, 229.

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funks im kulturellen, politischen und wirtschaftli- “Ich bekam die Lebensläufe der von mir und chen Leben“ (Maass), „Englische Aussprache“ Peter v.Zahn herausgesuchten POW’s von Wil- (Buckland-Smith). Eine dritte Gruppe von Dozen- ton Park. Die Lebensläufe hatte ich angefordert, ten bestand aus externen Vortragenden, die histori- um noch ein abschliessendes Bild zu bekom- sche Stoffe („Verfassungsgeschichte“, „Dolchstoß- men. [...] Diese 3 Leute sind ausgezeichnetes Material und nach Abschluss eines Kursus sehr legende“) oder die neue Medienlandschaft (Axel 509 Springer zu „Verlagen“) behandelten.504 Als offene gut zu gebrauchen.“ Veranstaltungen wurden Freitag-Nachmittag- Die Kontrolloffiziere im NWDR nahmen starken Vorlesungen angeboten, häufig mit Persönlichkei- Einfluss auf die Rundfunkschule. Aus ihren Reihen ten aus England, „unter anderen Mr. Harding – kam ihr Leiter Alexander Maass sowie einige der Leiter der training school BBC London, Mr. Dun- Lehrenden, darunter NWDR-Chef Hugh Carleton can Wilson – Foreign Office, Mr. Koeppler – Rek- Greene. Dieser wurde permanent über die Bewer- tor von Wilton Park“.505 bungsverfahren informiert, in die er sich bisweilen Als Zugangstor zum Rundfunk war die Schule von persönlich einbrachte, wie im Fall des freien Mitar- Anfang an stark nachgefragt. Ein formalisiertes beiters Gerd Ruge nach einer Glosse: Bewerbungsverfahren mit Lebenslauf, Aussagen zu „Da war der direkt zuständige britische Control- politischem Vorleben („Der nationalsozialistischen ler etwas ungehalten und dann ließ mich Hugh Partei oder irgendeiner ihrer Gliederungen habe ich Carleton Greene kommen und sagte: ‚Das kann niemals angehört“506) und einem Formblatt „Re- man nicht machen.‘ So etwa in der Art ‚Kontra- quest for Interview“ wurde eingerichtet, das die Propaganda‘ betreiben. Aber andererseits: ‚Ist Rundfunkschule mit dem German Personnel Of- eigentlich ganz nett, schreiben Sie mal weiter.‘ ficer der Broadcasting Section abstimmte: [...] Und da hat er gesagt: ‚Gehen Sie doch auf die Rundfunkschule.‘ Und ich war zu jung, da „Herr Dietrich Lotichius is being considered for hat er gesagt: ‚Macht nichts.‘“510 employment as Schüler Rundfunkschule. May he/she please be seen by G.P.O. and this de- Für die Briten war die Rundfunkschule auch ein partment informs if he/she is suitable.“507 Vehikel, die Inhalte der Re-education an die nach- wachsenden Journalisten weiterzugeben. Neben der Nicht wenige Bewerber waren in Kriegsgefangen- praktischen Arbeit stand die politische Diskussi- schaft, was keinen Einfluss auf die Beurteilung onskultur im Vordergrund: hatte. Eine positive Bewertung konnte sogar zur Entlassung aus dem Camp führen: „Es war ein Teil der Ausbildung, der auf Dis- kussionen und auf Zeitgeschichte angelegt war. “The Staff Training School of Nordwest- Auch mit einigen Leuten, bei denen wir dann deutscher Rundfunk intends to take up as a stu- etwas beunruhigt waren. Wirklich Propagandis- dent for a 4 months course Johannes, Oskar, ten aus der NS-Zeit aus dem Goebbels- Dietrich Lotichius, born 7.1.24 at Ministerium, mit denen man sich eben auch Bautzen/Sachsen, POW-No. 138 220 after his auseinandersetzen musste.“511 arrival in Germany. The appropriate authorities are requested to deal with his release papers etc. Im Idealismus, mit dem diese demokratischen In- with some priority.“508 halte an die Schüler vermittelt wurden, übertrafen die deutschen Mitarbeiter ihre britischen Kontrol- Enge Kontakte pflegte die Rundfunkschule mit dem leure. Axel Eggebrecht, eine der prägenden Gestal- britischen Ausbildungslager Wilton Park, in dem ten der Schule, betrieb diese Arbeit mit pädagogi- deutsche Kriegsgefangene auf den Aufbau eines scher Verve: demokratischen Deutschland vorbereitet wurden. Von Wilton Park kamen immer wieder ausgewählte „Das war das wichtigste im Augenblick. Das Kandidaten nach Hamburg: war doch noch ganz neu, dass über das Gesche- hen der letzten zehn zwölf Jahre vollkommen

504 Ebd. 505 Alexander Maass: Schreiben an die Lehrer der Rund- funkschule und die Abteilungsleiter des Nordwestdeut- 509 Schreiben Ass. Controller Maas (Training School) an schen Rundfunks, 17.01.1947, StA HH, NDR, 621-1, Controller Greene (NWDR): 01.08.1947, StA HH, NDR, 229. 621-1, 191. Umgekehrt wurden auch junge Journalisten 506 Bewerbung Carl Hellmut Boehncke (Göttingen) zur des NWDR nach Wilton Park geschickt, wie z.B. Jürgen Rundfunkschule: 05.01.1948, StA HH, NDR, 621-1, 191. Schellack (später Roland), vgl. Director SC Branch an 507 Alexander Maass (Rundfunkschule) an German Per- Entries and Exits Branch (CCG/BE, Berlin): German sonnel Officer (Broadcasting Section ISC): Request for Journalists for Wilton Park, 29.01.1947, PRO, FO 1049, Interview, 19.04.1948, StA HH, NDR, 621-1, 191. 766. 508 Schreiben Ass. Controller Alexander Maass (Broad- 510 Gerd Ruge im Gespräch mit Peter von Rüden. casting Section ISC): o.J., StA HH, NDR, 621-1, 191. 511 Ebd.

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offen geredet werden konnte und nicht hinter re journalistischen Aktivitäten in der Nazizeit vorgehaltener Hand.“512 belastet waren. Wovon es ja übrigens auch im Am 01.05.1947 endete mit einer großen Abschluss- NWDR eine Reihe gab, bei denen sie im produktion der erste Kurs der Rundfunkschule. Es Fragebogen diese Aktivitäten nicht angegeben handelte sich um eine Potpourri-Sendung für hatten und dann hinausgeworfen wurden. [...] Wir waren eine Laienspielschar.“515 kriegsgefangene Deutsche, mit Hörspielen, Musik- strecken, Kulturreportagen und historischen Lehr- Die wichtigsten Figuren der Anfangszeit wie Axel stücken. Das Sendemanuskript ist getragen von Eggebrecht, Peter von Zahn, Peter Bamm oder aufklärerischem Impetus und politischem Sen- Ernst Schnabel waren in der Tat Autodidakten des dungsbewusstsein: Rundfunks. Von ihren Auffassungen mitunter „Wir sind eine in 4 Zonen aufgeteilte Nation, grundverschieden, ergänzten sie einander in we- die jetzt die furchtbaren Folgen des selbstver- sentlichen Grundfragen. Sie alle wollten ein neues, schuldeten Krieges zu tragen hat. Unsere Städte demokratisches Deutschland, sie alle wollten die sind zerstört. Die noch erhaltenen Fabriken ar- kritische Auseinandersetzung mit der NS- beiten kaum, unsere Kriegsgefangenen sind seit Vergangenheit, sie setzten auf Sachlichkeit und Jahren von uns getrennt. [...] Wir treten das Wahrhaftigkeit, auch wenn sie sich damit unpopu- furchtbare Erbe einer Polotik [!] an, die gerade lär machten. das Gegenteil, nämlich Völkerhass gepredigt Auf Eggebrecht, der sich den neuen Herren im und bis zur letzten Konsequenz durchgeführt Funkhaus regelrecht aufdrängte,516 waren die Briten 513 hat.“ schon während des Krieges als Regimegegner auf- merksam geworden waren: 3.2.3. Persönlichkeitsstrukturen und „Man hatte in London gehört, dass dieser ehe- biografische Skizzen malige Freikorps-Kämpfer, Kommunist und Als die Briten im Sommer 1945 begannen, eine Mitarbeiter der ‚Weltbühne‘ nach seiner Haft in den KZs des Dritten Reichs politisch sauber deutsche Belegschaft für Radio Hamburg zusam- geblieben war.“517 menzusuchen, mochte der Zufall eine Rolle gespielt haben, wie es die autobiografischen Schilderungen Walter Everitt, der britische Offizier, stellte Egge- der „Männer der ersten Stunde“ andeuten. Kein brecht als einen der ersten Journalisten ein, da er in Zufall waren das Persönlichkeitsspektrum und die ihm einen Vertreter für den demokratischen Neuan- politische Mentalität, die diese Mannschaft in der fang sah: britischen Phase des Senders repräsentierten. Auf- „Der kam ja mit solch einem Enthusiasmus und fällige Gemeinsamkeiten legen den Schluss nahe, einem solchen Arbeitseifer. Bei dem war ja so dass die Kontrollautoritäten eine klare Vorstellung viel aufgestaut durch die ganzen Jahre. Was er 518 vom Profil des deutschen Personals hatten, das den alles loswerden wollte!“ Sender zum Instrument der Re-education machen In seinem Selbstverständnis war Eggebrecht ein sollte. Überlebender mit Sendungsbewusstsein: Es wird immer wieder betont, dass die Briten den „Wir mussten schweigen. Nun endlich können Sender mit Laien starteten, die über keine Vor- wir reden. Ich jedenfalls möchte sprechen, zu kenntnis auf dem Gebiet des Rundfunks verfügten: meinesgleichen. Und, das ist wichtiger, zu den „Wir alle, die diesen Sender angefangen haben, waren Laien. Absolute Dilettanten. Wir haben erst in der Arbeit gelernt, was das ist.“514 Unkenntnis des Mediums war kein Nachteil, sondern regelrecht 515 Julia Dingwort-Nusseck im Gespräch mit Peter von Zugangsvoraussetzung: Rüden. In: Geschichte des NWDR - Zeugen der Rund- „Was natürlich auch daran lag, dass die ausge- funk- und Zeitgeschichte, 11.04.2001. bildeten Journalisten zum großen Teil durch ih- 516 Vgl. Axel Eggebrecht: Meine Umwege zum Rund- funk. Erfahrungen aus fünf Jahrzehnten. Sendemanu- skript vom 13. Oktober 1973, S. 48, StA HH, NDR, 621- 512 Axel Eggebrecht in: Das Beste am Norden - Die 1, 1257. Geschichte des NDR, Teil 1: Die Zeit von 1956 – 1966, 517 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 253. Egge- N3-Sendung vom 06.10.1996, NDR-Fernseharchiv brecht selbst notierte dazu in seiner Autobiografie: „Dort 1069666. war man verblüffend gut über mich im Bilde, den Grund 513 Sendemanuskript der Rundfunkschule (o.J.): Für habe ich erst viel später erfahren. Über Leute meiner Art Kriegsgefangenensendung 1. Mai, StA HH, NDR, 621-1, hatten emigrierte deutsche Schriftsteller Beurteilungen 229. geliefert.“. In: Der halbe Weg, S. 319. 514 Axel Eggebrecht in: Bausteine der Demokratie, NDR- 518 Walter Everitt in: Wiedersehen am Rothenbaum, N3- Fernseharchiv 1043418. Sendung vom 09.04.1996, NDR-Fernseharchiv 1068020.

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vielen, die meinen, die Welt sei zu Ende. Dabei Grundordnung und die schonungslose Auseinan- wird sie doch gerade neu geboren!“519 dersetzung mit dem Dritten Reich (auch von Zahn Das aufklärerische Programm, mit dem Eggebrecht berichtete 1946 von den NS- im NWDR antrat, trug Züge des bildungsbürgerli- Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg). Seinen chen Humanismus mit einem Hang zum Erziehen: Ansatz beschrieb er im Vergleich zu Eggebrecht: „Wir wollten aus einem politischen Bewusstsein „Eggebrechts Anliegen war nicht in erster Linie heraus auch belehren, bessern oder wie immer man das Berichten. Sondern in erster Linie das Ü- das nennen will.“520 Eggebrecht war der intellektu- berzeugen und Erziehen. Ich habe mich immer ell profilierteste Redakteur und einer der wichtigs- mehr als einen Transmissionsriemen betrachtet. ten politischen Kommentatoren des NWDR. Er Während Eggebrecht für sich in Anspruch produzierte viel, erfand neue Sendeformen wie die nahm, gewissermaßen der Elektromotor der 523 Diskussionssendung am Runden Tisch und enga- geistigen Auseinandersetzung zu sein.“ gierte sich in der Nachwuchsförderung des Senders. Wie Eggebrecht konnte und wollte von Zahn seine Eines seiner Hauptanliegen war die Aufarbeitung sächsische Herkunft niemals verbergen, was die der Vergangenheit, mit dem Höhepunkt seiner Briten als individuelle Eigentümlichkeit schätzten – Berichterstattung vom Kriegsverbrecherprozess um eine Abgrenzung vom Kasernenhofton des deut- das KZ Bergen-Belsen 1945. Für die britischen schen Reichsrundfunks.524 In seiner Arbeit scheute Controller war er die Idealbesetzung für die Aufga- sich von Zahn nicht, kontroverse Themen anzuge- be, den Deutschen den Spiegel vor Augen zu halten hen, was ihm wechselweise den Vorwurf von Kol- und ihnen die Gedanken der demokratischen Wer- laboration und Vaterlandsverrat oder aber von teordnung nahezubringen. Den Re-education- Nationalismus und Restauration einbrachte. Seine Auftrag empfand Eggebrecht zu keiner Zeit als Glosse „Umgang mit Siegern“ von 1946 setzte sich Zwangsdemokratisierung von außen: mit den Befindlichkeiten der britischen Besatzer „Alle, die im Sender Hamburg der Militärregie- auseinander. Schließlich geriet auch von Zahn in rung, später im Nordwestdeutschen Rundfunk Konflikte mit der britischen Personalpolitik, als er und noch später, von 1955 an, im Norddeut- das Entnazifizierungsverfahren kritisierte. Egge- schen Rundfunk saßen, wir hatten selbstver- brecht und von Zahn waren zwei Exponenten des ständlich den Vorgang nicht als eine importierte neuen Zonenrundfunks, der die Deutschen auf Demokratie empfunden, sondern wir wollten ihrem Weg in eine demokratische Zukunft erzie- was aufbauen.“521 hend begleiten sollte. Sie waren zwei Agenten für Seine linke Gesinnung, die er niemals verbarg, das Re-education-Konzept der „indirect rule“. Sie wurde ihm allerdings im Lauf der späten 40er Jahre nutzten die Freiräume, die wie im britischen Kolo- zum Problem,522 wenn auch die Briten ihn – im nialreich ein Mittel zum Zweck waren: Gegensatz zu anderen Kommunisten – niemals „Die Briten [...] erteilten auf diesem Gebiet so fallen ließen. gut wie keine Anweisungen. Sie schöpften aus Wenige Wochen nach Eggebrecht kam Peter von einer Tradition der Delegierung von Verantwor- Zahn zu Radio Hamburg. Als Leutnant einer Pro- tung. Ein riesiges Kolonialreich wurde mit de- paganda-Kompanie der Wehrmacht landete er zu- legierter Autorität gut gelenkt. Wir waren die Maharadschas des Radios.“525 nächst in einem schleswig-holsteinischen Kriegsge- fangenenlager, wo die Briten auf ihn aufmerksam Zeitenweise spielte Peter von Zahn die Rolle eines wurden, da er einer der wenigen Deutschen war, die informellen Personalakquisiteurs für die journalis- 526 Englisch sprachen. Trotz seines Einsatzes als tisch wichtigsten Posten im Sender. Zwar behiel- Kriegsberichterstatter galt er bei den Engländern als ten sich die englischen Kontrolloffiziere bei jeder unbelastet. Seine politische Einstellung war kon- servativer als die Eggebrechts, doch er teilte mit 523 ihm den Einsatz für eine neue demokratische Peter von Zahn in: Axel Eggebrecht - Optimistisch über die eigene Existenz hinaus, N3-Sendung vom 12.01.1999, NDR-Fernseharchiv 1077878. 519 Eggebrecht: Der halbe Weg, S. 320. Über diese Epi- 524 Die Debatte der Kontrolloffiziere Everitt und Maass sode hinaus schreibt Eggebrecht hier allerdings sehr um den stark sächselnden Probebericht endete mit seiner wenig über seine Zeit im NWDR. Ausstrahlung. Die „angstvolle Atemlosigkeit“ wurde von 520 Axel Eggebrecht in: Das Beste am Norden, NDR- Zahns Markenzeichen, vgl. von Zahn: Stimme der ersten Fernseharchiv 1069666. Stunde, S. 247. 521 Gespräch mit Axel Eggebrecht. In: Charles Schüdde- 525 Ebd., S. 263. kopf (Hrsg.): Vor den Toren der Wirklichkeit. Deutsch- 526 Er übte Einfluss u.a. auf die Anstellung von Peter land 1946-47 im Spiegel der Nordwestdeutschen Hefte. Bamm, Bruno E. Werner, Walther von Hollander, Jürgen Bonn 1980, S. 20. Roland sowie auf die Kandidatenauswahl für Wilton Park 522 Vgl. Halefeldt: Die Knolle allen Übels, S. 7. aus.

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Personalie das letzte Wort vor, doch gestanden sie rer Zeit favorisierten, entsprach nicht Bamms Vor- den deutschen Mitarbeitern ein offenes Vorschlags- stellung, wie aus dem „Trümmerhaufen eine neue recht zu. Von Zahn nutzte dies wie kaum ein ande- Welt“ errichtet werden konnte, da an eben solchen rer, um ein nach seinen Vorstellungen politisch restaurativen Vorbehalten das Weimarer System integres Netzwerk für den Aufbau des NWDR zu gescheitert war: knüpfen. Ausdrücklich stellte er dabei – wie die „Die Weimarer Republik belastete sich mit der britischen Kontrolleure auch – die Frage nach ein- Aufgabe, so viel des Alten zu retten, wie mög- schlägigen Radioerfahrungen an hinterste Stelle, lich war. Damit scheiterte sie. Demokratie be- wie z.B. beim Vorstellungsgespräch mit Peter darf zu ihrem Aufbau kühler Vernunft und Lie- Bamm: be zum eigenen Land. Aber die alte „Meinen Einwand, dass mir jede Rundfunker- Vaterlandsliebe, die so redliche gewesen war, 530 fahrung fehle, wischte er mit einer Handbewe- wurde aufgeputscht.“ gung weg. ‚Wir müssen jetzt zusehen, dass wir Bamm wollte den Neubeginn unbelastet von läh- die wichtigen Posten mit den richtigen Leuten menden Kontinuitäten und nationalistischen Res- besetzen, und deren gibt es nicht viele. Wenn sentiments. Im Rückblick bewertete er den totalen wir das nicht energisch in die Hand nehmen, Zusammenbruch von 1945 – ganz im Sinne der werden sich sehr bald wieder die Falschen in Alliierten und der Idee des „unconditional surren- die Schlüsselstellungen einnisten. Das hat sich der“ – als beste Voraussetzung für einen radikalen schon einmal ereignet, und das kann sich wie- Neustart: derholen.‘“527 „Das absolute Nichts nach der zweiten Katast- In der „Laienspielschar“ des frühen NWDR zählte rophe des Jahrhunderts war so ungünstig nicht. Peter Bamm zur Gruppe der unbelasteten Literaten, [...] Nur Narren noch halten an der Idee fest, aus mit denen die Briten den Sender aufbauten. Bamm der zusammengebrochenen Tyrannei irgend et- (eigentlich Curt Emmerich), ebenfalls in Sachsen was retten zu wollen.“531 aufgewachsen, war Arzt und Verfasser von Feuille- Beim NWDR leitete Bamm die aktuelle Sendung tons und Reiseberichten. Im Krieg war er Sanitäts- „Streiflichter der Zeit“, die täglich am frühen A- chirurg an der Ostfront, was er später erfolgreich bend mit fünf bis sechs kurzen, feuilletonistisch und ideologiefrei in einer NWDR-Sendereihe und geprägten Nachrichten-Stücken über die Ereignisse daraus hervorgehend in seinem Kriegstagebuch des Tages informierte. Dass ein Schriftsteller eine „Die unsichtbare Flagge“ verarbeitete. Er kam im so wichtige Nachrichtensendung betreute, hatte Herbst 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach auch mit der sprachlichen Dimension von Re- Hamburg, wo er sich bald bei Peter von Zahn vor- education zu tun, da die britische Zensur insbeson- stellte. Sein selbstbewusstes Auftreten als General- dere beim allgegenwärtigen NS-Jargon ansetzten. stabsoffizier der Wehrmacht – „er kam als Ober- Bamm hatte rasch die politische Notwendigkeit der stabsarzt klirrend und mit Orden bedeckt britischen Sprachkontrolle begriffen, die sich gegen unmittelbar aus dem Kriegsgefangenenlager in 528 die unreflektierte Verwendung propagandistischer mein Zimmer“ – war den Briten und insbesonde- oder apologetischer Schlagworte richtete. Diese u.a. re dem zuständigen Kontrolloffizier Everitt suspekt. von Everitt persönlich überwachte Begriffszensur Doch gerade Bamms Patriotismus und konservative fand Bamms Zustimmung: Prinzipientreue machten ihn in Everitts Augen für die Aufgaben beim Radio glaubwürdig.529 Denn „Ein Verdienst war es, dass auch ‚unselige Krieg‘ auf die Liste der unerlaubten seine Einstellung zum Neubeginn war zwar wert- Formulierungen gesetzt wurde. Es war ein konservativ, jedoch nicht rückwärtsgewandt. Die typisches Tarnwort für Verbrechen, an denen Restauration der Demokratie nach dem alten Mo- niemand schuld sein wollte.“532 dell, das viele Entscheidungsträger aus der Weima- Zwar ließ Bamm keinen Zweifel daran, dass er dem demokratischen Neuaufbau des Senders und des 527 Peter Bamm: Eines Menschen Zeit, Zürich 1972, Landes positiv gegenüberstand. Gleichzeitig erfass- S. 373. te er bald die grundlegenden Widersprüchlichkeiten 528 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 255. Analog im Re-education-Konzept der Briten: dazu Bamms eigene Schilderung seiner Ankunft beim NWDR in: Eines Menschen Zeit, S. 373 ff. 529 Nach Bamms Erinnerung stellte ihn Everitt mit den 530 Ebd., S. 379. Worten ein: „Hätten Sie als alter Militarist mit Ihren 531 Ebd. lächerlichen Orden meiner Attacke auf Ihre Generale [!] 532 Ebd., S. 389. Von den Schriftstellern und Journalis- zugestimmt, hätte ich Sie als widerwärtigen Opportunis- ten, die für seine Sendung arbeiteten, sagte Bamm: „Das ten gleich noch einmal verhaften lassen. Sie haben mir Deutsch, in dem sie schrieben, mußte fast immer einer widersprochen. Das hat mich überzeugt, daß Peter von kräftigen Überarbeitung unterzogen werden.“, ebd.; vgl. Zahn nicht so ganz unrecht haben konnte.“, ebd., S. 376. von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 256.

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„Unsere Zusammenarbeit mit den Engländern tungen zu einer zeithistorischen Collage verband.536 begann im ironischen Licht zahlreicher Parado- Zusammen mit Jürgen Schüddekopf, der aus Wei- xien. Sie waren unsere Befreier, zugleich aber mar kam, begründete Schnabel im NWDR das erste 533 auch Besatzungsmacht.“ deutsche Nachtprogramm, das sowohl von der Die Befreier vom NS-Zwangsregime leiteten die Sendezeit (an fünf Abenden pro Woche i.d.R. ge- neue demokratische Freiheit mit einem Kontroll- gen 22:00 Uhr und später) als auch von den Inhal- system ein, das im Gegensatz zur Idee von der ten ein elitäres Minderheitenprogramm war. Doch selbstbestimmten politischen Entwicklung stand. mit dem „Nachtprogramm“ wollten Schnabel und Die Paradoxie im Konzept der Re-education lag Schüddekopf bewusst keine Massenunterhaltung laut Bamm darin, dass es weniger beim umzuerzie- bieten, sondern einen Raum schaffen für den intel- henden deutschen Volk, sondern zunächst bei den lektuellen Diskurs in Deutschland, für geistige und als Umerziehern ausgesuchten NWDR-Mitarbeitern kulturelle Standortbestimmungen, wofür im laufen- ansetzte: den Tagesprogramm kein Platz war.537 Im Gegen- „Unsere Gentlemen hatten sich eine Aufgabe satz zu Schnabel produzierte Schüddekopf selbst gestellt, die sie ‚re-education‘ nannten. Ganz eher sporadisch und verstand sich in erster Linie als 538 klar ist nie gesagt worden, was eigentlich mit Ideengeber und Anreger. diesem Wort gemeint war. [...] Wir, die einzi- Die auffälligste Gemeinsamkeit dieser Gründerge- gen, auf die ‚re-education‘ je ernsthaft ange- neration des neuen Rundfunks unter britischer wendet wurde, waren auch die einzigen, die sie Besatzung – die sich selbst gerne als „die Männer 534 nicht nötig hatten.“ der ersten Stunde“ bezeichneten – war das lands- Zu den Schriftstellern, die die Gründungsphase des mannschaftliche Moment. Eggebrecht, von Zahn, Senders prägten, gehörte ferner Ernst Schnabel. Er Schnabel, Bamm waren alle sächsischer Herkunft, stammte aus dem sächsischen Zittau, war seit 1936 Schüddekopf kam aus dem benachbarten Thürin- Schriftsteller und Dramaturg und diente im Krieg gen. Zum großen Teil kannten sie sich untereinan- als Marineoffizier. Schnabel gestaltete von 1946 bis der schon aus Jugendzeiten, nach dem Krieg fanden 1949 als Chefdramaturg maßgeblich die Gattung sie bemerkenswert rasch bei Radio Hamburg zu- des Hörspiels. Er wurde später Leiter der Abteilung sammen. Es war offensichtlich, dass diese Männer Wort und, nach einem Intermezzo bei BBC Lon- das Informations- und Machtvakuum im fremdbe- don, von 1951 bis 1955 NWDR-Intendant. In sei- setzten Sender nutzten, um unter dem Schutz und nen ersten Jahren machte er den NWDR zum An- z.T. im Windschatten des britischen Besatzungsre- laufpunkt für viele weitere Schriftsteller, etwa gimes ihr eigenes Netzwerk von Gleichgesinnten zu Gregor von Rezzori, Siegfried Lenz oder Wolfgang etablieren. Zwar hat Ernst Schnabel später dieser Borchert, der sein berühmtes „Draußen vor der Vermutung widersprochen: Tür“ als Hörspiel für den Rundfunk schrieb, das am 13.02.1947 gesendet wurde.535 Mit seinen annä- hernd zwanzig großen, teils avantgardistischen Hörspiel- und Feature-Produktionen im NWDR 536 NDR-Wortarchiv: F834270. Der Erfolg dieser Sen- gelang es ihm außerdem, zwei für das deutsche dung vom 16.05.1947 regte Schnabel zu zwei ähnlichen Radioprogramm und –publikum neue Gattungen als Folgesendungen in den Jahren 1950 und 1977 an. feste Bestandteile zu verankern. Unter dem Titel 537 Zum Nachtprogramm vgl. die Studie von Monika „Nachkriegswinter – Der 29. Januar“ verfasste er Boll: Nachtprogramm. Intellektuelle Gründungsdebatten 1947 aus 35.000 eigens eingesandten Briefen seiner in der frühen Bundesrepublik, Münster 2004 (Kommuni- Hörer ein bis dahin einzigartiges Dokumentarhör- kationsgeschichte, Bd. 19); Axel Schildt: Elitäre Diskur- spiel, das authentische Einzelschicksale, aktuelle se zur Nachtzeit – „Zeitgeist“-Tendenzen im Nachtpro- Meldungen und scheinbar triviale Alltagsbeobach- gramm und im Dritten Programm des Nordwestdeutschen und Norddeutschen Rundfunks. In: Ders.: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre. München 1999, S. 83-110. Der Modellcharakter des NWDR- 533 Ebd., S. 387. Nachtprogramms schlug sich später in vergleichbaren 534 Ebd., S. 378 f. Später ging Bamm noch weiter: „Ich westdeutschen Programmangeboten wie „Abendstudio“ ging zu meinem Captain und erklärte ihm, dass wir nicht (Radio Frankfurt bzw. Hessischer Rundfunk) oder „Ra- immer nur Re-education senden könnten. Das gehe den dioessay“ (Süddeutscher Rundfunk) nieder. Hörern allmählich auf die Nerven.“, ebd., S. 406. 538 Siegfried Lenz, ein Kollege aus der gemeinsamen 535 Draussen vor der Tür (Ur-Fassung): 13.02.1947, Frühzeit des NWDR-Programms, schrieb über Schüdde- NDR-Wortarchiv WH10611. Zu Schnabels Aktivitäten kopf: „Er praktizierte die Ansicht, dass sich ein Publizist als Förderer und Anreger von Rundfunk-Literatur vgl. vornehmlich um den publizistischen Nachwuchs zu von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 257. kümmern habe.“. In: Die ZEIT, 10/1962.

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„Das war überhaupt keine Frucht der Machen- stick to our principle of not interfering with the schaften von Peter von Zahn oder von uns. German choice more than necessary.“543 Sondern das war der Geschmack der Engländer. Die britische Toleranz bei diesem Vorgang ist um- [...] Warum sie so viele Schriftsteller erwischt so bemerkenswerter, als von Dovifat in dem Le- hatten, weiß ich nicht. Normalerweise hätten sie benslauf, der anlässlich seiner anstehenden Wahl nach ihrem eigenen englischen Geschmack eingegangen war, ein anderer Eindruck vermittelt wahrscheinlich mehr Journalisten genommen. worden war: Aber die aktiven Journalisten von 1945 hatten natürlich alle ihren Klotz am Bein aus den Jah- „Während des Hitlerregimes beteiligte er sich ren zuvor.“539 an der Führung des Widerstandes aus dem Raum des katholischen Lebens Berlins und ge- Doch das Zusammentreffen so vieler Sachsen im hörte nach dem Zusammenbruch zu den Mitbe- mehrere hundert Kilometer entfernten Hamburger gründern der ‚Christlich-Demokratischen Union Sender war ebenso wenig Zufall von deutscher Deutschlands.‘“544 Seite wie Willkür oder Geschmackssache von briti- Solch offenkundiger Widerspruch beeinträchtige scher. Die Genannten selbst bezeichneten den nicht die Einschätzung, dass Dovifat für den Ver- NWDR als „niedersächsischen Rundfunk in ober- 540 waltungsrat der richtige Mann war. Dafür sprach, sächsischer Besetzung“ , und sie pflegten ihre dass er sich zu Weimarer Zeiten als Medienexperte Herkunft bewusst und offensiv: „Manchmal hätte profiliert hatte, und dies nicht zuletzt mit dem Blick man glauben können, die Sendungen kämen aus 541 auf den Journalismus anglo-amerikanischer Prä- Dresden oder Leipzig.“ Im Kalkül der Kontroll- gung. Zwischen den Kriegen verfasste Dovifat ein behörden boten gerade von auswärts zugewanderte Standard-Lehrbuch über den US-Journalismus mit Deutsche die Gewähr, dass aus der Vergangenheit unvoreingenommenen Beobachtungen, die auf noch virulente Beziehungen und Abhängigkeiten in persönlicher Anschauung beruhten: Hamburg ebenso wenig eine Rolle spielten wie falsche Rücksichtnahme und schonende Berichter- „Auch ist das Nachrichtenwesen formal und stattung über die alte Heimatstadt. Es war ein ge- technisch bei uns nicht entfernt so durchgebildet wollter Effekt im Rahmen der Demokratisierung wie in den Vereinigten Staaten, wo der Reporter des Rundfunks, dass Zuhörer, Institutionen und der Leitartikler längst besiegt hat, und die Nach- Politiker mit landsmannschaftlich unabhängigen richt in all ihren sensationellen Arten geistig und geschäftlich der Angelpunkt des ganzen Journalisten konfrontiert wurden, die Unbequemes Zeitungswesens geworden ist.“545 umso unbefangener bearbeiteten.542 Wer in den 20er Jahren zu solchen Erkenntnissen Dass die Briten den Hebel für die Umsetzung des über das Pressewesen gekommen war, musste für Re-education-Programms in der Personalpolitik die Briten eine interessante Besetzung sein. Micha- sahen, zeigt sich auch am Beispiel des NWDR- el Thomas, seit Anfang 1948 britischer Verbin- Verwaltungsrates, der im Frühjahr 1948 der briti- dungsoffizier bei PR/ISC, kannte Dovifat als Hoch- schen Kontrollbehörde vorgeschlagen wurde. Unter schullehrer aus der Vorkriegszeit: den Kandidaten war neben Adolf Grimme und Heinrich Raskop u.a. Emil Dovifat, ein deutscher „Er hatte ein Holzbein, ging am Stock und hielt Zeitungswissenschaftler, der die Bedingungen des seine Kollegs im überfüllten Auditorium maxi- Entnazifzierungsverfahrens nicht lupenrein erfüllte: mum stehend. Sie waren nicht nur deshalb so überlaufen, weil er ein großartiger Redner war, “Professor Dr. Dovifat […] was a member of sondern auch, weil er – teils versteckte, teils of- the National Socialist Teachers Association fene – Kritik am Regime übte.“546 from 1933 onwards. […] In the circumstances I do not think that we have any option but to agree to his serving. I do not think that in fact the Social Democratic Press can afford an all 543 Chief PR/ISC Group an Military Governor & Com- out attack on him, since they are well repre- mander in Chief (CCG (BE), Berlin), N.W.D.R. Admin- sented on the Principal Committee, which made istrative Board: 09.04.1948, PRO, FO 1056, 271. the selection. I consider therefore, we should 544 Lebenslauf Prof. Emil Dovifat, Berlin 28.02.2948, Unterlagen des Sekretariats des Verwaltungsrats, StA 539 Geschichte des Fernsehens. Interview mit Ernst HH, NDR, 621-1, 937. Dem liegt als Anhang eine per- Schnabel, N3-Aufzeichnung vom 07.02.1975, NDR- sönliche Erklärung Dovifats bei: „Ich erkläre an ei- Fernseharchiv 1030250. desstatt, niemals Mitglied der NSDAP oder einer ihrer 540 Bamm: Eines Menschen Zeit, S. 391. Von den Eng- Gliederungen gewesen zu sein.“ ländern bekamen sie laut Bamm den Spitznamen 545 Emil Dovifat: Der amerikanische Journalismus. Mit „Mayflower Crew“, ebd., S. 390. einer Darstellung der journalistischen Berufsbildung, 541 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 257. Berlin und Leipzig 1927, S. 9. 542 Vgl. ebd: „In Hamburg machte uns das suspekt.“ 546 Thomas: Deutschland, England über alles, S. 190.

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Wie in anderen Fällen überwog beim Fall Dovifat Dennoch gab es weder in den Schreibtischen der im pragmatischen Kalkül der Kontrollbehörden der Planungsbehörden noch im Gepäck der Besat- Nutzen für die Besatzungsmacht gegenüber der zungsoffiziere eine Agenda für die programmliche Vorbelastung aus der NS-Zeit. Im Rahmen des Re- Ausrichtung von Radio Hamburg bzw. dem education-Vorhabens erwies sich diese Personalie NWDR. Dies war konsistent im Rahmen der „indi- allerdings eher als Fehlbesetzung, was programma- rect rule“, die inhaltlich auf Selbstbestimmung tische Äußerungen in den folgenden Jahren nahele- unter Kontrolle abzielte, gen. Schon bei der Frage nach parteipolitischen „being as indirect, invisible and remote as is Einflüssen im Rundfunk – beinahe das wichtigste compatible with its being effective. We should Anathema der britischen Gründerzeit – nahm Dovi- appear to guide rather than to lead, to influence fat einen modifizierten Standpunkt ein: rather than to initiate.“551 „Die Verfassungen der in deutsche Leitung ü- Nach wenigen Wochen Besatzung im Sommer bergegangenen Sender sind so gefaßt, dass sie 1945 meldeten sich aber in den Reihen der Me- an sich parteipolitische Einseitigkeit verhüten dienkontrollbehörden Stimmen, die für eine aktive- können, ohne selbstverständlich darum unpoli- re Programmpolitik plädierten: tisch zu sein. Alle im demokratischen Staat um “Although I agree with you that it is pointless to dessen Fortschritt ringenden Kräfte haben in ih- rub into the Germans by direct sermonising nen Ausdruck zu finden.“547 what shocking things they have done in Europe, Die Frage der publizistischen Freiheit des Rund- I think more than mere arrangements of factual funks beantwortete Dovifat in deutlichem Abstand news is required. […] Here we feel very zum Geist der britischen Gründungsprinzipien: strongly that we are putting out news and pic- „Vor allem gilt es, in Stunden größter politi- tures, very soon music and films but that there scher Spannung, diese Spannung der Lösung is no direction and the Germans are the first to und nicht fem Zerreißen zuzuführen. Es gibt ask for it. I agree that they must work out their auch gesamtdeutsche Probleme, die sehr heikel, own salvation but for Heaven’s sake let’s give wenn nicht gar unberührbar sind. [...] Notwen- them a push in the right direction.“552 dig ist den Sendern eine starke Selbstkontrolle, Die Unzufriedenheit spiegelte sich in Aufrufen auf wenn es sein muß unter Verzicht auf ein Star- höchster Ebene der Militärregierung, gegen Orien- system, das dem Betroffenen gefährlichste Po- tierungslosigkeit und Desinformation in der deut- pularität und damit einen Machtbesitz zuführt, 548 schen Bevölkerung mit neuen Konzepten anzuge- der Fehler zur Katastrophe werden läßt.“ hen.553 Inzwischen war den Verantwortlichen klar geworden, dass Freiheit der Rede und demokrati- 4. Programmpolitik sche Mitwirkung zwar nicht mit Vorschriften zu In den britischen Planungen des Zeitraums zwi- erzwingen waren, dass jedoch eine zielführende schen 1942 und 1945 für die Medienkontrolle in Informationspolitik nicht nur Grenzen im Sinne von Deutschland finden sich keine Überlegungen zu Zensur und Kontrolle, sondern auch thematische einer künftigen Programmpolitik. Dabei lag es auf Schwerpunkte bestimmen sollte: der Hand, dass die Ziele der Re-education eine “The essential task is to provide news, talks and inhaltliche Neuausrichtung mit sich bringen muss- features of the type which serve the ends of ten. Schließlich handelte es sich bei der politischen British reconstruction and education policy, at Umerziehung um „a permanent ‚change of heart‘ first under close control and later through Ger- and conversion to tolerable European behavi- mans working under more general supervision. 549 Radio Hamburg will be the first training ground our“ , einen Umwandlungsprozess, der auf Gene- for a German Home Service, where the news rationen hin anzulegen war.550

547 Emil Dovifat: Rundfunk. 9.Juni 1949, Dokument 33 in: Sösemann: Emil Dovifat, S. 604 f. 548 Ders.: Von der Freiheit des Rundfunks. Toleranz und Verantwortung – Selbstkontrolle notwendig. 2.Februar 551 War Cabinet: The Re-education of Germany, S. 3, 1951, Dokument 35 in: Sösemann: Emil Dovifat, S. 612. PRO/ CAB 87/84, ACA (44) 5. 549 War Cabinet (Ministerial Committee on Armistice 552 Paul Chennington (G Infm Control, HQ 8 Corps Terms and Civil Administration): Memorandum: The Re- District) an Duncan Wilson (G Infm Control, HQ 21 education of Germany, 27.01.1944, S. 2, PRO, CAB, Army Group): 04.07.1945, PRO, FO 1056, 25. 87/84, ACA (44) 5. 553 Vgl. Major-General Bishop: British Control Policy for 550 Vgl. J.M. Troutbeck (Adviser on Germany): Memo- Newspapers, Books, Radio and Entertainments. State- randum: Regeneration of Germany, 07.01.1944, PRO, ment made in Berlin to the international press on August FO 371, 39093. 10th, 13.08.1945, PRO, FO 371, 46702.

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writers, entertainment producers, speakers and ren, um rasch den Ruch der Propaganda loszuwer- talks editors of the future will be tested.“554 den, Es blieb die Überzeugung der Briten, dass der Qua- „to create in the minds of authors, journalists, litätsstandard des deutschen Personals für die in- broadcasting staff, actors and producers, stan- haltliche Beschaffenheit des Programms maßgeb- dards of thought and performance which are lich war und nicht umgekehrt. Vor diesem free from the taint of propaganda.“558 Hintergrund war die entscheidende Frage, welches Mit der Betonung der Tatsache als Kern journalisti- der ordnungspolitische Rahmen für die Entfaltung schen Berichtens ging eine Aufwertung der Nach- der neuen Belegschaft sein sollte. richt einher – im Gegensatz zu der in der deutschen Presse auch vor dem Dritten Reich üblichen Vermi- 4.1. Journalistische Grundsätze schung von Fakten und kommentierendem Bei- werk. Die angelsächsische Tradition fußte auf der Nach zwölf Jahren in Diensten einer manipulativer strikten Trennung von Nachricht und Meinung, mit Propaganda waren bei den publizistischen Medien dem Ziel, auf diese Weise dem Publikum die Mei- in Deutschland journalistische Standards nur noch nungsbildung im demokratischen Sinne zu ermög- in geringen Spurenelementen vorhanden. Die Bri- lichen. Darin bestand einer der Hauptsätze der Re- ten waren nicht gewillt, sich mit den vorgefundenen education, wie es der Chef der Medienkontrollbe- Gepflogenheiten zu arrangieren und bestanden hörde Bishop im Sommer 1945 ausführte: darauf, die überlieferten Strukturen auszulö- schen.555 Objektive Berichterstattung und Mei- „We are not trying to create a New Ministry of Propaganda, which instils prescribed ideas into nungsvielfalt, waren die Kategorien, die in den the Germans, but we want, as far as possible, to neuen deutschen Medien dominieren sollten. give Germans the chance to express their own Die Wertschätzung von Tatsachen stand an erster ideas.“559 Stelle. Während des Krieges erkannten die Strate- Die Trennung von Nachricht und Wertung wurde gen der Umerziehung, dass nur der korrekte Um- zu einem Erkennungsmerkmal des journalistischen gang mit Fakten den Boden einer neuen Glaubwür- Stils im NWDR. In keinem anderen Bereich übten digkeit der Medien bereiten konnte: die Briten ihre Kontrollfunktion ähnlich „To re-establish in German education the for- kompromisslos aus. mer standard of respect for objective facts and to extend this standard to fields in which it did Journalismus statt Propaganda – um sich von der not even formerly operate.“556 tendenziösen NS-Diktion zu lösen, mussten die Mitarbeiter des NWDR eine neue Sprache lernen. Die Auswüchse der Goebbels-Propaganda, die vor Nationalistischer Duktus war ebenso deplaziert wie offensichtlichen Lügen nicht zurückgeschreckt war, der altertümelnde Sprachgebrauch aus der Vor- hatten bei den Deutschen selbst das Vertrauen in kriegszeit. Die britischen Kontrolleure waren sich die journalistischen Medien erschüttert. In ihrer dessen bewusst, und sie wussten von der Schwie- psychologischen Kriegsführung hatten die Briten rigkeit für Fremdsprachler, semantische Nuancen stets darauf Wert gelegt, wahrheitsgetreu zu berich- 557 zu korrigieren. Umso wertvoller waren für diese ten. Die Praxis, auch schlechte Nachrichten nicht Aufgaben deutsche Emigranten, die wie Everitt zu verschweigen, hatte bei den Deutschen zu einem oder Maass über ausreichend Bildung verfügten, Vertrauensvorschuss für den englischen „Feindsen- um die sprachliche Dimension ihrer Kontrollaufga- der“ geführt. Dem zugrunde lag die angelsächsi- be leisten zu können. Die sprachliche Umcodierung sche Tradition des journalistischen Berichtens, die wurde zu einem der wichtigsten Grundsätze des von der Tatsache als solcher ausging. An diesem neuen Journalismus: Grundsatz sollten sich Presse und Radio orientie- „Die Zensur wurde nur lax gehandhabt. Doch waren unsere Zensoren empfindlich oder viel- leicht sogar ein wenig überempfindlich gegen 554 Political Intelligence Department: Information Con- alle ‚Nationalismen‘, wobei sie ‚national‘ nicht so recht von ‚nationalistisch‘ unterschieden. trol in the British Occupied Zone of Germany, Durch ein Rundschreiben wurde bestimmt, daß 18.06.1945, PRO, FO 898, 401. 555 Friedrich der Große aufgehört habe, ‚der Große‘ „What we are going to do is to stamp out the whole zu sein. Er sei, wenn er schon zitiert werden tradition“, J.M. Troutbeck: Regeneration of Germany, 07.01.1944, PRO, FO 371, 39093. 556 The War Office an Allied Commanders-in-Chief: 558 Political Intelligence Department: Information Con- Germany and Austria in the Post-Surrender Period. Di- trol in the British Occupied Zone of Germany, rective No. 8, Re-education in Germany, September 18.06.1945, PRO, FO 898, 401. 1944, PRO, FO 371, 39181. 559 Bishop: British Control Policy for Newspapers, 557 Vgl. Greene: Entscheidung und Verantwortung, S. 20. Books, Radio and Entertainments, PRO, FO 371, 46702.

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müsse, als Friedrich II. von Preußen zu be- 4.2. Genres und Gattungen zeichnen“.560 Schwerpunkt des NWDR-Programms war unter der Bei den Überlegungen zur Stellung des Senders im britischen Kontrolle das Informationsprogramm. gesellschaftlichen Gefüge hatte die Besatzungs- Der Anteil der Wortbeiträge nahm gegenüber dem macht daraufhin gearbeitet, dass der NWDR eine Musikprogramm die meiste Zeit über mehr als 50 politisch unabhängige Institution würde. Zu ge- % der Sendezeit ein.564 Mit Blick auf die politische währleisten war dies nur, wenn Personal und Pro- Erziehungsfunktion der Medien war es logisch, gramminhalte diesem Anspruch genügten. Ralph dass die Briten den Sender als Informationskanal Poston, der Vorgänger Hugh Carleton Greenes als konzipierten: „Our more precise object is to build Chefcontroller des NWDR, machte dies in einem up services which will command a large and wil- Rundschreiben an die Mitarbeiter 1945 klar: „Der ling public and inform them by a wide variety of Nordwestdeutsche Rundfunk muss dafür bekannt 565 561 facts.“ Die für ihre Zwecke relevanten Sendun- sein, dass er politisch unparteiisch ist.“ Dies gen waren die journalistischen Wortsendungen, an bedeutete, dass die Berichterstattung des NWDR in denen sie das stärkste Interesse als Kontrolleure Bezug auf politische Parteien ausgewogen sein hatten. Eine Stellungnahme von NWDR- musste – was von diesen immer wieder infrage Programmdirektor Schütz gegenüber einem Hörer gestellt wurde. Die Forderung nach politischer verdeutlicht, dass die NWDR-Verantwortlichen Unabhängigkeit wurde inhaltlich zur größten Belas- daraus bis 1948 eine eigene Philosophie entwickelt tungsprobe des NWDR. hatten: Kaum etwas war den Briten so wichtig wie das „Der Rundfunk hat nicht nur die Aufgabe, auf Prinzip der freien Meinungsäußerung: dem jeweiligen Niveau der Hörermasse zu un- „Damals wollte man [...] die freie Meinungsäu- terhalten, sondern auch den Geschmack und die ßerung fördern, besonders eine freie Meinungs- Ansprüche der Hörer zu heben. Wenn ich Ihren äußerung auf politischem Gebiet. Wahrheitsge- Brief recht verstehe, so erwarten Sie vom Rund- treue Nachrichtengebung und dies waren, funk eine pausenlose Unterhaltungsmusik, die glaube ich, die wichtigsten Sachen.“562 die häuslichen Beschäftigungen und Gespräche Das Recht auf freie Meinung wurde von den Mitar- nicht stört, sondern sie mit einer angenehmen Geräuschkulisse versieht. Dies scheint uns nicht beitern jener Zeit immer wieder hervorgehoben, 566 nicht selten mit dem Hinweis, dass darin die Kritik die Aufgabe des Rundfunks.“ an den Briten selbst inbegriffen war: Für die deutschen Journalisten im NWDR war die „Nach und nach aber begriff die Öffentlichkeit: am Wortanteil orientierte Programmpolitik der ‚Die am Radio‘ können ja ihre eigene Meinung Briten willkommen, da sie ihnen ausgedehnte Pro- sagen! Selbst wenn das Kritik an der Besat- grammflächen und Experimentierfelder zur Verfü- zungsmacht bedeutet!“563 gung stellte: Der Pluralismus der Meinungen, ein Wesensmerk- „Noch erdrosselte die Musik im Radio nicht das mal der demokratischen Gesellschaft, gehörte mit Mitteilungsbedürfnis. Das Wort herrschte fast Faktenorientierung, sprachlicher Erneuerung und unumschränkt. Es war kaum zu glauben, wie politischer Ungebundenheit zu den journalistischen viele Kommentare, Vorträge, Features, Hörspie- le, Lyrik und Glossen damals in vier Wochen Standards des neuen Rundfunksenders in der briti- gesprochen wurde.“567 schen Zone. Im Dezember 1945 war die Profilierung des NWDR so weit vorangeschritten, dass General Bishop für die Medienkontrollbehörden eine spezi- 560 Bamm: Eines Menschen Zeit, S. 388. Vgl. weitere fische Aufgabenbeschreibung des Senders vorlegte, Erfahrungsberichte der deutschen Mitarbeiter, z.B. Peter um eine unliebsame Konkurrenzsituation zum von Zahn: unveröff. NDR-Interview, November 2000, Deutschen Dienst der BBC zu vermeiden. Darin NDR-Fernseharchiv; Axel Eggebrecht an Programmdi- rektor Eberhard Schütz: 13.1.48, StA HH, NDR, 621-1, 562. 561 Ralph Posten (Programme Chief): Rundschreiben an 564 Eine quantitative Analyse des Programms von Radio alle Angestellten, 29.12.1945, StA HH, NDR, 621-1, Hamburg und NWDR zwischen 1945 und 1948 bietet 1387. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, S. 74 ff. 562 Hugh Carleton Greene in: Dr. Helmut Graf: Der 565 Duncan Wilson (Head „B“ Group) an DG/ISC: Anfang (Materialsammlung Radio Hamburg und die 14.11.1945, PRO, FO 1056, 26. Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks – NWDR), 566 Eberhard Schütz (Programmdirektor NWDR) an Willi 17.11.1977, S. 2, StA HH, NDR, 621-1, 1258. Severens (Wesendorf): 28.4.1948, StA HH, NDR, 621-1, 563 Eggebrecht: Meine Umwege zum Rundfunk, S. 49, 562. StA HH, NDR, 621-1, 1257. 567 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 283.

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erscheint eine klare Inhaltsdefinition mit den we- succesful establishment of Mil Gov in Ger- sentlichen Sendeformen für den NWDR: many.“570 „The main feature of NWDR programmes will Nachrichten waren nach der Übernahme des be:- Reichssenders Hamburg im Mai 1945 – neben a) News bulletins covering fully events in the Verlautbarungen der Militärregierung – die ersten British Zone of Germany and such events Wortsendungen, mit denen Radio Hamburg sein outside Germany and in other Zones as can neues Eigenleben begann.571 Nachrichten behielten be supposed to interest the listener in the in der Folge ihren Stellenwert, auch wenn mit Zu- British Zone. nahme anderer Wortsendungen wie Reportagen b) ‚Actuality‘ broadcasts of important events oder Kommentare der Anteil am Gesamtprogramm in the British Zone. zurückging.572 c) Talks and discussions giving the view of German commentators on world events and Da die Nachricht das Rückgrat der NWDR- on events within the British Zone. Berichterstattung sein sollte, überließen die Briten d) Serious and light entertainment pro- die Nachrichtensendungen weder dem Zufall noch grammes. den Deutschen. Der Programmbereich „News“ galt e) Relays of programmes originating in other als der am schärfsten kontrollierte, und an seinem Zones, or outside Germany. Leiter Alfred Fletcher – sein offizieller Titel war f) Daily broadcasts of school lessons (Mon- „Assistant Controller of News Programmes“ – kam day to Saturday inclusive), and special fea- niemand vorbei, der im Hamburger Funkhaus jour- tures for adult education.“568 nalistische Berichte machte. Fletcher war ein Prak- Diese Aufstellung beschreibt nicht nur die wich- tiker des Journalismus mit hervorragenden tigsten Sendeformate für das Programm der Umer- Deutschkenntnissen, der vor dem Krieg als Redak- ziehung, es beschreibt ebenfalls die zu dieser Zeit teur des „Daily Telegraph“ die britischen Presse- praktizierte Wirklichkeit des NWDR- grundsätze verinnerlicht und praktiziert hatte. Er Rundfunkprogramms. Nachrichten, Berichte, Dis- kontrollierte die Nachrichtenredaktion des NWDR kussionen und Vorträge (talks) bildeten den Haupt- mit puristischem Eifer, wobei er weniger als Kon- anteil im Programm gegenüber Unterhaltung und trolloffizier denn als Lehrmeister auftrat. Das For- Musik. Auch die Sendungen des Schulfunks und mulieren der werturteilsfreien Nachricht wurde der Funkhochschule hatten ihren festen Platz.569 zum obersten Glaubenssatz der Berichterstattung: „Das deutsche Erbübel, die Vermischung von 4.2.1. Nachrichten Nachricht und Meinung, bekämpfte er mit Klauen und Zähnen. Er wies seinen Schützlin- Für die Kontrollbehörden waren Nachrichten die gen nach, wieviel Meinung und Vorurteil hinter Kernzelle für die Genese eines Rundfunks mit einem harmlos klingenden Adjektiv stecken journalistischem Schwerpunkt. In keinem anderen kann und wieviel Emotion in der falschen Rich- Bereich sahen sie mehr Lern- und Betreuungsbe- tung durch eine süffisante Betonung ausgelöst darf bei ihren deutschen Mitarbeitern. Die Militär- wird.“573 regierung ließ kurz nach der Besetzung ein Papier Die redaktionellen Mitarbeiter durchliefen bei den kursieren, das den Umgang mit „news“ bei der Nachrichten eine Ausbildung „on the job“, in briti- deutschen Bevölkerung zum Inhalt hatte: schem Pragmatismus und ohne akademische Beleh- “It is imperative that Mil Gov shall supply rungen: G(Information Control), under whose auspices „Ich habe diese Meldung, glaube ich, vier- oder the papers and broadcasting programmes are fünfmal schreiben müssen. Das war der Beginn produced, with a great deal of material. The dis- meiner Ausbildung, wenn Sie so wollen. Flet- semination of suitable news to the German peo- cher war sehr streng, sehr diskussionsfreudig ple is a matter which is vitally important to the und man lernte eben die englische Art des

570 Major-General DCA/Mil Gov (Unleserlich) an HQ 1/8/30 Corps District: Dissemination of News to the German People, 19.06.1945, PRO, FO 1030, 379. 568 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Director- 571 Radio Hamburg: Programme Summary for Wednes- General PID: Annex I to Appendix ‚A‘: Programme day: 09.05.1945, StA HH, NDR, 621-1, 1126. Contents of Nordwestdeutscher Rundfunk and the B.B.C. 572 Zur prozentualen Entwicklung des Anteils der Nach- German Service, 15.12.1945, PRO, FO 1049, 204. richten von 1945 bis 1948 vgl. Schneider: Nationalsozia- 569 Vgl. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, lismus als Thema, S. 74 f. S. 87. 573 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 259.

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Nachrichtenjournalismus, in dem Fakten zu be- „Das ‚Echo des Tages‘ hatte eine ungeheure richten sind, ohne Meinung, ohne Adjektive.“574 Bedeutung damals. Die Zeitungen waren dünn, Die Souveränität der Nachricht bedurfte einer kriti- nur vier Seiten vielleicht, ja hatten manchmal schen Distanz gegenüber der Quelle, umso mehr gar keine Druckmöglichkeit. Da war der Rund- wenn es sich in politischen Belangen um interes- funk und besonders das ‚Echo des Tages‘ eine große und wichtige Informationsquelle für die sengeleitete Institutionen handelte. Diese Haltung Bevölkerung.“578 war im autoritätsgewohnten Deutschland neu und musste erst eingeübt werden: Die Berichte aus dem „Echo“ kamen der britischen Forderung nach „‚Actuality‘ broadcasts of impor- „Fletcher hat uns immer wieder eingetrichtert, 579 dass wir nicht das glauben sollen, was die Gro- tant events in the British Zone“ am nächsten. ßen sagen. Er sagte, dass man in der britischen Mehr als die reine politische Abendsendung um- Tradition des Journalismus den Mächtigen erst fasste es politische Vorgänge im In- und Ausland, mal überhaupt nicht glaubt. Zunächst sollten Berichte über die Besatzungsmacht, kulturelle wir lernen, die Tatsachen zu sehen und aufzu- Ereignisse und alltägliche Belange. Berichtet wurde schreiben, bevor wir zu kommentieren began- im jeweils passenden Genre: nen. Nachricht und Kommentar durften auf kei- „Man musste also mit dem Reporterwagen raus- nen Fall vermischt werden.“575 fahren und berichten. Ob das nun ausdrücklich Mit Hugh Carleton Greene kam im Oktober 1946 eine politische Veranstaltung war, vermag ich ein Mann nach Hamburg, der ebenfalls die Nach- nicht zu sagen. [...] Natürlich gab es auch Kul- richt als journalistische Grunddisziplin über alles tur, zum Beispiel Berichte über Theaterauffüh- rungen. Es war gewissermaßen eine Mischung stellte. Er hatte als Zeitungskorrespondent im Ber- 580 lin der 30er Jahre die Gleichschaltung der Presse zwischen Reportage und Kommentar.“ erlebt und im Deutschen Dienst der BBC gegen die In der Improvisation lag die Stärke dieser Sendung, Beugung von Tatsachen durch die NS-Propaganda die dadurch die Freiheit hatte, alle denkbaren The- angekämpft. Greene hatte nicht vor, die Herrschaft men anzugehen, wenn nötig kurzfristig und mitun- der Nachricht anzutasten, selbst wenn er sich damit ter journalistisch grenzwertig. So bedienten sich in gegen die Linie der Militärregierung stellte: Ermangelung ergiebiger Nachrichtenagenturen die „Er war ohnehin von einem Schlag, der sich Auslandsberichte des „Echo“ nicht immer der fak- auch über Beschränkungen hinwegsetzt. Durch tensichersten Methoden: und durch Rundfunkjournalist, war für ihn die „Manche haben wir ehrlich gesagt selbst ge- Nachricht alles, und er brachte sie, auch wenn macht und frei geklaut. Wir haben, glaube ich, das Hauptquartier Kopf stand.“576 sehr viel ‚Herald Tribune‘ ausgeschlachtet. Da waren farbigere Geschichten drin als in den 4.2.2. Bericht Nachrichtendiensten und die haben wir umge- schrieben.“581 Von den 13 Sendereihen des Programmbereiches Statt langfristiger Planung verließen sich die Re- Zeitfunk war die wichtigste und langlebigste das 577 dakteure auf die Eindrücke der Aktualität, wodurch „Echo des Tages“. Die Sendung beanspruchte, sie sich einen Glaubwürdigkeitsvorsprung ver- eine abendliche Zusammenfassung des Tages zu schafften: bieten. Sie war das Aushängeschild des NWDR, „Wir alle, von klein bis oben, waren das ja nicht und die Auswahl der Themen ließ die redaktionelle gewohnt, freies Wort in einem freien Land. Und Prioritätensetzung erkennen: das ‚Echo des Tages‘ machte sich also eben ganz schnell einen großen Namen mit dieser Art 574 Heinz-Werner Hübner in: von Rüden/Wagner (Hrsg.): von Berichterstattung.“582 Vom NWDR zum WDR, S. 42. 575 Die britischen Kontrolloffiziere und ihr Chef Hugh Claus-Hinrich Casdorff in: ebd., S. 11. Aus der Nach- Carleton Greene waren den Berichten im „Echo des richtenredaktion des NWDR Berlin berichtet ähnliches Tages“ wegen ihres aktuellen Anspruchs und we- Hans Scholz im Gespräch mit Peter von Rüden. In: Ge- schichte des NWDR - Zeugen der Rundfunk- und Zeitge- schichte, 14.06.2002. 578 Hermann Rockmann in: Bausteine der Demokratie, 576 Thomas: Deutschland, England über alles, S. 241. NDR-Fernseharchiv 1043418. 577 Die anderen Reihen waren „Berichte aus dem Aus- 579 Bishop an Director-General PID: Programme Con- land“, „Gedanken zur Zeit“, „Zum Tage“, „Blick auf die tents of Nordwestdeutscher Rundfunk and the B.B.C. Wirtschaft der Welt“, „Blick in die Welt“, „Streiflichter German Service, PRO, FO 1049, 204. der Zeit“, „Berlin am Mikrophon“, „Aus unserem west- 580 Heinz-Werner Hübner in: von Rüden/Wagner (Hrsg.): deutschen Tagebuch“, „Von Woche zu Woche“, „Rund Vom NWDR zum WDR, S. 44. um die Welt“, „Westdeutschland spricht“ und „Berliner 581 Gerd Ruge im Gespräch mit Peter von Rüden. Fenster“. 582 Jürgen Roland im Gespräch mit Peter von Rüden.

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gen ihrer kritischen Haltung gewogen. Es störte sie Bald erkannten die deutschen Mitarbeiter, dass ihre weniger, dass sie in der Ausführung nicht selten britischen Kontrolleure die Äußerung von Meinung hölzern und amateurhaft daherkamen. nicht nur duldeten, sondern erwarteten – selbst wenn die Fachkenntnis zum Thema nicht auf einem 4.2.3. Kommentar akademischen Studium beruhte: „Plötzlich sah ich mich zu Urteilen über Dinge Mit dem Stellenwert der Meinungsäußerung im gezwungen, von denen ich wenig verstand – demokratischen Wertesystem erfuhr auch der poli- mein Steckenpferd war Sektengeschichte zur tische Kommentar im NWDR eine deutliche Auf- 583 Zeit der Reformation gewesen und nicht die Be- wertung. Von Juli 1945 bis zum Ende der briti- strafung von Mitgliedern der Hitlerjugend oder sche Phase sendete der NWDR montags bis die vorteilhafteste Größe bäuerlicher Betriebe. samstags Kommentare, überwiegend aktuellen Was bei solch eminent praktischen Themen zu 584 Inhalts und im Anschluss an die Nachrichten. sagen notwendig war, mußte ich mir rasch anle- Auf der Liste der Kommentatoren standen neben sen oder mit eiserner Stirn erfinden.“587 von Zahn und Eggebrecht fast alle politischen Re- Der Mut, unliebsame Tatsachen auszusprechen und dakteure wie Karl Eduard von Schnitzler, Walter Urteile über lebende Personen zu fällen, gehörte Steigner, Walter Spengemann, Julia Dingwort- zum Repertoire und führte dazu, dass die Besat- Nusseck, Karl Georg Egel und viele mehr. Das zungsmacht selbst ins Visier kritischer Kommenta- Negativbeispiel der unpolitischen NORAG vor re geriet. Von Zahns „Umgang mit Siegern“ von Augen, förderten die Briten ein Programm mit 1946 war nicht der erste, wohl aber der direkteste politischen Akzenten. Auf das „Versagen“ der solcher besatzungskritischer Kommentare. Weimarer Rundfunkpioniere bezog sich z.B. von Schnitzler, als er das Selbstverständnis der NWDR- Kommentatoren beschrieb: „Wir sind nicht unpoli- 4.2.4. Reportage tisch, sondern bewusst politisch.“585 Die Reportage, eine klassische journalistische Gat- Der Pluralismus der Meinungen, der durch die tung, entsprach dem britischen Grundsatz, über Vielzahl der kommentierenden Journalisten bedingt Geschehnisse aus eigener Anschauung vor Ort zu war, sollte der Gefahr einseitiger Parteinahme und berichten. Die ersten Reportagen entstanden auf Linientreue vorbeugen. Anlässlich der Berichter- dem Papier und ohne Mikrofon, doch die Kontroll- stattung über die Nürnberger Prozesse 1946 schrieb offiziere gingen rasch dazu über, in einer Reporta- Peter von Zahn an einen Hörer: ge-Abteilung, dem „Outside Broadcasting Depart- 588 „Wir vertreten im Nordwestdeutschen Rund- ment“ , diese Sendeform professionell funk keine vorgeschriebene Meinung. Das kön- aufzubauen. Als der Sender Ende 1948 an die nen wir Ihnen nicht beweisen, es sei denn, Sie Deutschen übergeben wurde, war die Reportage ein sind guten Willens, es in einigen Jahren zu fester Bestandteil des Pogramms geworden, haupt- glauben, wenn Sie die Unterschiede zwischen sächlich für das „Echo des Tages“ und in der Sport- meiner Ansicht, der meiner Mitarbeiter und den Berichterstattung.589 Hier nutzten die Mitarbeiter englischen Ansichten besser erkennen kön- die Freiräume dieser ersten Jahre: 586 nen.“ „Von Anfang an wollte ich weg von der stereo- typen Art, Interviews zu machen. Mikrophon unter die Nase: ‚Sagen Sie, Herr Direktor, Sie wissen vielleicht am besten ...‘ Sondern ich ver- 583 suchte immer, schon in den 4- bis 5-Minuten- Dazu Wolfgang Jacobmeyer: Politischer Kommentar Reportagen, kleine dramaturgische Strukturen und Rundfunkpolitik, Zur Geschichte des Nordwestdeut- einzubauen, Minihörspiele zu machen.“590 schen Rundfunks, 1945-1951. In: Winfried B. Lerg/Rolf Steininger, Rundfunk und Politik 1923-1973. Berlin 1975 Von Reportagen erhoffte man sich eine erzieheri- (Rundfunkforschung Bd. 3), S. 311-339. sche Wirkung, bis hin zu den Sportreportagen: 584 Hinzu kam mit Rücksicht auf die Funkhäuser in Ber- lin und Köln ein „Berliner Kommentar“ und ein „West- deutscher Kommentar“, vgl. beispielhaft die Aufstellung der politischen Redaktion über politische Sendungen 587 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 273. vom 08.06.1947 bis 30.10.1948, StA HH, NDR, 621-1, 588 Jürgen Roland im Gespräch mit Peter von Rüden. 1488; Vgl. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, 589 Im Dezember 1948 produzierten acht Reporter aus der S. 76 f. Reportage-Abteilung 79 Aufnahmen, davon liefen 42 im 585 Karl Eduard von Schnitzler, zitiert nach Jacobmeyer: „Echo des Tages“, 15 beim Sport: Monatsbericht der Politischer Kommentar und Rundfunkpolitik, S. 312. Reportage-Abteilung für Dezember 1948, 19.01.49, StA 586 Peter von Zahn an Alfred Bartsch (Assessor, Ham- HH, NDR, 621-1, 537. burg): 04.10.1946, StA HH, NDR, 621-1, 1517. 590 Max Rehbein im Gespräch mit Peter von Rüden.

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„Ich bin der Auffassung, dass der Rundfunk Rundfunk. Diese nach allen Seiten offene seine erzieherische und ethische Mission im Kunstform war es, die alle reizte.“595 Sport bisher nicht wahrgenommen hat. Neben Das Jahr 1947 wurde auch zum großen Jahr der der aktuellen Berichterstattung, die als Konzes- Hörspiele, die von Mitarbeitern mit literarischem sion an die breite Sporthörerschaft eine Selbst- Hintergrund gepflegt wurden. An der Entwicklung verständlichkeit ist, müsste der Rundfunk sich der Gattung nahmen die britischen Offiziere starken noch andere, lohnendere Aufgaben stellen.“591 Anteil. Häufig waren es Themen der Vergangen- heitsbewältigung oder der demokratisch- 4.2.5. Neue Formen: Feature, Hörspiel, humanistischen Werteordnung. So produzierte Diskussion Walter Hilpert „Wert und Würde des Menschen – Die britische Gründerzeit des NWDR brachte Gen- Gedanken zum Nürnberger Ärzteprozess“ res hervor, die zuvor im deutschen Rundfunk nicht (22.04.1947), Axel Eggebrecht „Was wäre, bekannt waren. Die Vielfalt der Formate im Wort- wenn...“ (eine Vorausschau auf die folgenden hun- programm führte sogar zu Irritationen: dert Jahre), Ernst Schnabel „Nachkriegswinter – Der 29. Januar“ (16.05.1947).596 Der politische “Mein Ziel ist, nicht nur einen einheitlichen Stil Aufklärungscharakter des NWDR- im Hause durchzuführen, sondern auch die ge- samte Produktion zu einem grossen Ensemble Hörspielprogramms stand an erster Stelle, und damit zu einer Einheitlichkeit zusammen- „selbst auf die Gefahr hin, unpopulär zu sein. zuführen. Durch das dauernde ausser der Reihe Die Aufgabe, die der Funk hat, zur Aufklärung springen von Talks und Features, wird es jedoch beizutragen, wird vielleicht zu einem Teil durch 597 kaum möglich sein, das zu erreichen.“592 Hörspiele dieser Natur erfüllt.“ Einige Neuerungen kamen auf Anregung der Kon- Schriftsteller brachten im NWDR ihre Stücke als trolleure selbst zustande. Das Feature ging, wie der Hörspiel zur Sendung, darunter Zuckmayer den Begriff nahe legt, zurück auf die englischen Besat- „Hauptmann von Köpenick“ (01.09.1946) und zer,593 was programmatisch in der Umbenennung Borchert sein „Draußen vor der Tür“ (13.02.1947). der Abteilung Wort in „Talks und Features“ zum Mit solchen Beiträgen konnte sich der Sender in der Ausdruck kam: gesellschaftlichen Diskussion um den Wiederauf- „Ich war Leiter der Abteilung ‚Talks und Fea- bau positionieren: tures‘ und wußte anfangs noch nicht einmal, „Unvergesslich das oft gesendete Hörspiel was mit ‚Features‘ gemeint war. Für englische ‚Draußen vor der Tür‘ von Wolfgang Borchert. Journalisten ist das ein festumrissener Begriff. Das waren Erlebnisse ohne gleichen. [...] Ich Wir versuchten ihn mit ‚Hörfolge‘ zu überset- glaube, es war für viele Menschen das wichtigs- zen, gaben das aber auf, als wir merkten, dass te Medium aufgrund der Nachrichten, selbstver- Feature ein Korb ist, in den man alles packen ständlich aber auch der aufklärerischen Sendun- kann, was nicht gerade aktuelle Nachricht oder gen.“ 594 Kommentar ist.“ Ein drittes Format, das deutschen Hörern unbe- Allerdings dauerte es noch zwei Jahre, bis im kannt war, waren Live-Diskussionen. Aus Sicht der NWDR die deutschen Redakteure die ersten Fea- Kontrolloffiziere ein heikles Unterfangen, da eine tures produzierten, die sich in monothematischen Zensur bei Live-Bedingungen nicht durchführbar Beiträgen fast aller gängiger Genres bedienten: „1947 haben wir das Feature entdeckt. [...] Das 595 Von Zahn in: Bausteine der Demokratie, NDR- war sicher die Erfindung für Deutschland im Fernseharchiv 1043418. Vgl. auch Eggebrecht: Meine Umwege zum Rundfunk, S. 50, StA HH, NDR, 621-1, 1257. 596 Von 1946 bis 1948 strahlte der NWDR pro Woche regelmäßig zwischen einem und fünf Hörspielen aus, vgl. 591 Herbert Zimmermann: Betrachtungen zur Sportgestal- Schneider: Nationalsozialismus als Thema, S. 82. Allge- tung im Rundfunk, 28.12.1948, Bl. 2 f., StA HH, NDR, mein zur Entwicklung des Hörspiels in der Nachkriegs- 621-1, 537. zeit vgl. Hans-Ulrich Wagner: „Der gute Wille, etwas 592 Alexander Maass an Ralph Poston: 15.10.45, Blatt 2, Neues zu schaffen“: das Hörspielprogramm in Deutsch- StA HH, NDR, 621-1, 1015. land von 1945 bis 1949. Potsdam 1997 (Veröffentlichun- 593 „Keineswegs wurden alle journalistischen Kunststü- gen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 11). cke, auf die wir stolz waren, im Kreis der deutschen 597 Eberhard Schütz (Programmdirektor NWDR) an Mitarbeiter ausgebrütet. Vieles kam auf englische Anre- Wilhelm Wehmeyer (Teilnehmer eines Hörspiel- gung zustande.“ Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, Preisausschreibens „Die Versuchsstation“ über die NS- S. 264. Versuchsanstalt in einem KZ): 09.12.1947, StA HH, 594 Ebd., S. 261. NDR, 621-1, 562.

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war. Doch wichtiger war der Aufbau einer freien for instance, should be explained by Germans Diskussionskultur: [Unterstr. im Original, FH].“601 „Wir wurden von den Engländern zur Kühnheit Die Zahl direkter Interventionen im Programm ermuntert. Als kühn galt damals schon ein Ge- reduzierte sich auf wenige wichtige Gelegenheiten spräch, das nicht vorher geprobt, sondern ‚live‘ wie die Rede Montgomerys anlässlich seiner Ver- geführt wurde. [...] Es gab kein Manuskript und abschiedung602 oder die Rundfunkansprache Ro- keine Zensur.“598 bertsons zur Demontagefrage.603 Zur Erläuterung Die von Axel Eggebrecht geleiteten wöchentlichen der alltäglichen operativen Maßnahmen der Militär- Diskussionsrunden „Am runden Tisch“ behandelten regierung im Bereich von Lebensmittelversorgung, politische Themen, nicht selten zum Nationalsozia- Verkehrsregelung oder Wohnraumknappheit ver- lismus. Besondere Beachtung fand im September suchte man den militärischen Verlautbarungsduktus 1945 Eggebrechts Gespräch mit Mathias Wieman, zu mildern, indem man die Probleme in einer Fra- einem Repräsentanten darstellender Kunst im Drit- gesendung mit einem deutschsprachigen Vertreter ten Reich: der Militärregierung abhandelte: „Axel Eggelbrecht hat ihn nach dem Krieg be- „A weekly 20 minute period is set aside for the fragt: Herr Wieman, wie kommen Sie sich denn ‚Sprechstunde der Militaerregierung‘ (Voice of heute vor, wenn Sie da Jahrzehnte lang so was the Military Government) in which questions of gemacht haben, können Sie sich denn heute current interest are put by a German and an- überhaupt wieder öffentlich zeigen? Können Sie swered by a British Officer, on the basis of ma- heute wieder als Schauspieler tätig sein? Das terial supplied according to a fixed schedule by erste Bekenntnisgespräch eines nazibelasteten Divisions.“604 599 Künstlers über seine Einstellung nach ´45.“ Darüber hinaus legten die Kontrollbehörden Wert auf externe Vorträge von deutscher Persönlichkei- 4.2.6. Externer Vortrag und Talk ten aus Wissenschaft, Kultur und Politik. Da ja die Deutschen die Umerziehung ihrer Mitbürger vor- Neben den redaktionellen Sendungen reservierten nehmen sollten, war es naheliegend, Vertretern des die Briten Sendeplätze für Beiträge von externen Neuaufbaus im Rundfunk eine Plattform zu geben: Institutionen und Persönlichkeiten. An erster Stelle war dies die Militärregierung, die das Medium „Broadcast talks by German notabilities and Radio als Mittel zur Verbreitung ihrer Verlautba- lecturers on subjects of interest to the German public are regarded as most desirable and ar- rungen nutzte. In den ersten Sendewochen gab es rangements have been made for them to take dafür einen festen Sendeplatz („German Announ- place.“605 cements“).600 Doch den Verantwortlichen wurde schnell klar, dass eine direkte Ansprache durch die Auch sollten deutsche Amtsträger im Radio Gele- Besatzungsmacht kontraproduktiv zu den Bemü- genheit bekommen, die Probleme ihrer Bereiche hungen um eine indirekte Umerziehung durch deut- anzusprechen, wofür allerdings ein kompliziertes sche Landsleute wirken mussten: Genehmigungsverfahren durchlaufen werden muss- te: „To function efficiently even as an instrument of Military Government, and much more as a „In the inevitable time-lag between between a long-term means of influencing the German preparation of a script by a German official or mind, Nordwestdeutscher Rundfunk must not unduly increase the proportion of British offi- 601 Bishop an Director-General PID: Respective Func- cial announcements and relays from outside tions of Nordwestdeutscher Rundfunk and the B.B.C. Germany to programmes originated by Ger- German Service, PRO, FO 1049, 204. mans on the spot. Control Commission policy, 602 Rede von Bernhard Montgomery anlässlich seiner Verabschiedung als Kommandeur der britischen Rhein- armee: 03.05.1946, NDR-Wortarchiv WR25214. 603 Rundfunkansprache von Sir Brian Robertson über die Demontagevorhaben in der britischen und amerikani- 598 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 260. schen Zone Deutschlands: 14.10.1947, NDR-Wortarchiv 599 Manfred Jenke im Gespräch mit Peter von Rüden. In: Y095303. Geschichte des NWDR - Zeugen der Rundfunk- und 604 Brigadier Gibson (PR/ISC Group, Bünde): Informati- Zeitgeschichte, 15.02.2001. Vgl. den Radiobeitrag: Ma- on Services in Germany, 12.04.1946, PRO, FO 1056, 27. thias Wieman und Axel Eggebrecht sprechen über Segen Vgl. z.B. Der Hörer fragt – die Militärregierung antwor- und Unheil der deutschen Träumerei: 05.09.1945, NDR- tet. Öffentliche Fragestunde über die Ernährungslage: Wortarchiv F820918. 21.03.1948, NDR-Wortarchiv 0018242. 600 Radio Hamburg: Programme Summary for Wednes- 605 Major M.H. How, G(Infm Control): Broadcasting, day: 09.05.1945, StA HH, NDR, 621-1, 1126. 29.06.1945, PRO, FO 1030, 379.

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individual and the broadcasting of the talk over verseucht sahen. Schulfunksendungen boten so- Radio Hamburg, scripts should be such that wohl eine entsprechende Grundversorgung als auch they do not become out of date within one week eine zentrale Kontrollmöglichkeit für die Besat- 606 of their first being drafted.“ zungsbehörden: Bei externen Referenten bestimmten die Kontroll- „In addition to history books and German read- offiziere Regeln für einen formalen und inhaltli- ers we are going ahead with the preparation of chen Mindeststandard, um bei den Hörern keinen broadcasting to schools, for which we have col- demotivierenden Effekt hervorzurufen: lected a good amount of material. Provisions „Talks should contain as many concrete facts as have been made in the plan for broadcasting to possible, and should illustrate not only the prob- Germans after the armistice, to leave the most 611 lems facing German officials but also the steps suitable hours free for school broadcasts.“ taken toward their solution.“607 Doch obwohl in London zum Schulfunk ausführli- 612 Bald meldeten die politischen Parteien der Zone che Memoranden produziert wurden, fehlte es Ansprüche auf Sendezeit an – ein Anliegen, das im nach der Besetzung an der praktischen Umsetzung, Sinne der politischen Information nicht einfach von sodass Radio Hamburg im Frühjahr und Sommer der Hand zu weisen war: 1945 die erhoffte Schulfunk-Mission fürs erste 613 „The Parties [...] maintain that all means must nicht erfüllen konnte. Erst später besann man be used to overcome apathy and political indif- sich angesichts der Lehrmittelkrise in den deut- ference which they state exist in large parts of schen Schulen bei der Education Branch der Chan- the population.“608 cen, die der Schulfunk bot: Dennoch taten sich die Behörden damit schwer, da „In view of the subjects covered by existent eine solche Mitwirkung der politischen Parteien textbooks being limited to reading and arithme- tic, it would be desirable that broadcasts should kaum vereinbar war mit dem Ziel der Politikferne. include subjects not coming under these head- Die Parteien bekamen schließlich im NWDR Sen- ings.“614 dezeit unter der Rubrik „Die Parteien haben das Wort“ eingeräumt, die nach der Übergabe 1948 Solche Themen im Schulfunk sollten entweder weiter genutzt wurde.609 sachlich belehren („Nature study“, „How things are made“) oder den Horizont erweitern („Travel talks“, „Lives of children in other lands“). Bei 4.2.7. Schulfunk gewissen sensiblen Fächern war Vorsicht ange- Da die deutsche Bevölkerung nicht nur aus Solda- mahnt („Folk and Fairy Tales, very carefully se- ten und Müttern bestand, und darüber hinaus die lected“), was besonders für geschichtliche Themen Zukunft Deutschlands von der jüngeren Generation galt: „History should however be omitted for the gestaltet werden würde, betrachteten die Briten die present in view of its dangers.“615 deutsche Jugend als Schlüsselfaktor in ihrem Um- Die weiteren Beratungen für die Einführung ent- erziehungskonzept. In Großbritannien hatten sich sprechender Sendungen zogen sich in die Länge, seit den 20er Jahren Radioausstrahlungen als Teil was auf die unklare Kompetenzverteilung zurück- 610 des Schulunterrichts etabliert. Im Frühjahr 1944 ging. Bei Radio Hamburg bzw. dem NWDR fühlte rechneten die Londoner Planungsgremien mit Eng- sich weder das britische noch das deutsche Personal pässen an Lehrmaterial in den deutschen Schulen zuständig. Die Broadcasting Control Unit sah es als nach Kriegsende, weil sie Fächer wie Geschichte, Hoheitsgebiet der Education Branch. Letztere beriet Geographie oder deutsche Literatur als nazistisch

611 Mr. Koeffler (Political Intelligence Department, 606 Major-General Chief of Staff (HQ 21 Army Group) London) an Con O’Neill (Foreign Office, London): an HQ 1/8/30 Corps District: 05.07.1945, PRO, FO 1056, Broadcasting to Schools, 12.03.1944, S. 2, PRO, FO 371, 25. 39093. 607 Major-General (Unleserlich, Chief of Staff, HQ 21 612 Am 24.05.1944 erschien ein Memorandum des His- Army Group) an HQ 1/8/30 Corps District: Guidance torikers John A. Hawgood: Broadcasts to German Notes for the Preparation of Talks Given by Germans, Schools During an Emergency Period, PRO, FO 371, 05.07.1945, PRO, FO 1056, 25. 39094. Danach sollten bewährte BBC-Schulfunkreihen in 608 Colonel (unleserlich, Commander HQ Mil Gov Hans- Übersetzung in Deutschland ausgestrahlt werden. estadt Hamburg) an PR/ISC Group (Main HQ): Publicity 613 Vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, – Political Parties, 17.01.1946, PRO, FO 1056, 26. S. 92 ff. 609 Vgl. NWDR Winterprogrammablauf 1948/1949: StA 614 Major Strafford (Education Branch): Meeting to HH, NDR, 621-1, 929. Discuss School Broadcasts to Germany, 25.05.1945, 610 Vgl. Asa Briggs: The Golden Age of Wireless. Lon- PRO, FO 1050, 1272. don 1965, S. 185 ff. 615 Ebd.

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sich mit BBC-Redakteuren und rief ein „Hamburg of schools broadcasting programmes will be on Committee for School Broadcasts“ aus Hamburger the staff of NWDR.“619 Lehrern ins Leben, das jedoch planlos vor sich hin Auf britischer Seite wurde ein Mann der Education stümperte. Als ein Vertreter der Broadcasting Branch als Programmkontrolloffizier dem NWDR Control Unit im Herbst 1945 nach dem Rechten beigeordnet, womit die inhaltliche Verantwortlich- sah, wurde er enttäuscht: keit geklärt war: “The committee has not worked out any type of „The officer on the establishment of Education comprehensive plan. […] I was so depressed by Branch for the control of schools broadcasts this meeting that I arranged to see Senator Lan- will, when recruited, be attached to the Broad- dahl at noon yesterday to discuss the matter cast Control Unit, Hamburg for all disciplinary with him. […] I am not at all happy at the pro- and administrative purposes, and will work as a gress being made with the preparation of School normal programme control officer under the Broadcasts or with the frame of mind of those Programme Chief. […] Education Branch will 616 responsible for the preparations.“ be responsible for the content of the school pro- Erst die Intervention der Rundfunkkontrollbehörde grammes.“620 brachte die Angelegenheit ins Rollen, sodass am Es bedurfte dieser administrativen Klärung, damit 12.11.1945 der NWDR-Schulfunk ein tägliches der Schulfunk die didaktische Erziehungsfunktion Programm startete.617 Vormittags und nachmittags ausfüllte, die ihm seit 1944 avisiert war. Immerhin sendete er eigenproduzierte, je 20-minütige Beiträ- konnten so knapp zwei Monate nach Wiedereröff- ge in den Fächern Deutsch, Literatur, Heimatkunde, nung der Schulen in der britischen Zone am Geografie, Naturwissenschaft, Musik, Märchen und 06.09.1945 die ersten Lehrprogramme auf Sendung Geschichte. Ergänzend kamen Englischsendungen gehen. Ein Jahr später zählte der Schulfunk zum ins Programm, gesprochen von Mitgliedern der festen Programmbestandteil mit 170 Sendeminuten Militärregierung. Der deutsche Leiter des Schul- pro Tag.621 Die über 10.000 Schulen in der briti- funks war Franz Reinholz, ein ehemaliger Kriegs- schen Zone einschließlich Berlin wurden mit Sen- gefangener. deplänen zum Aushängen versorgt, auf denen die Als im Dezember 1945 die Funktionen des NWDR Schulfunksendungen des Schulhalbjahres aufgelis- von denen des Deutschen Dienstes der BBC abge- tet waren.622 Als Ende 1948 die Briten den NWDR grenzt wurden, wurden die Sendungen des Schul- verließen, war aus dem Schulfunk eine durchorga- funk – „Daily broadcasts of school lessons (Mon- nisierte Institution geworden, die die Schulkinder day to Saturday inclusive)“618 – als Domäne des vom 2. bis zum 12. Schuljahr mit zwei täglichen, je NWDR definiert. Wenig später verfügte PR/ISC, halbstündigen Sendereihen bedachte623. dass der Schulfunk ein integrativer Bestandteil des Das NWDR-Schulfunkprogramm war bis zur Bef- NWDR-Programms war: lissenheit darauf bedacht, die Schüler zu Toleranz „School broadcasting will, like any other cate-

gory of radio programme be the responsibility 619 of NWDR, under the control – through BCU – Brigadier W.L. Gibson (PR/ISC Group, Bünde) an of ISC Branch. All German personnel engaged I.A.&C. Division (Education Branch): Administration of permanently on the preparation and production School Broadcasting, 09.01.1946, PRO, FO 1050, 1314. 620 Ebd. Der Kontrolloffizier war Major Buckland-Smith, vgl. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, S. 110. 616 Broadcasting Control Unit Hamburg (o.Verf.) an Mr. 621 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen H. Walker (Education Branch, Lübbecke): School Rundfunk: Ein Jahr Nordwestdeutscher Schulfunk, Broadcasts, 26.09.1945, PRO, FO 1050, 1272. 16.11.46, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. 617 In der Außendarstellung des NWDR bekam diese 622 Vgl. Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeut- Entstehungsgeschichte eine andere, wenn auch nicht ganz schen Rundfunk: 15.11.47, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, falsche Note: „Nach einer Vorbereitung von nur einem 1026. Monat [hatten, FH] vier Hamburger Lehrer, ein Referent 623 Z.B. 2. Schuljahr: „Sing mit!“, 4.-8. Schuljahr: „Von des NWDR und der Offizier der zuständigen britischen großen und kleinen Tieren“, 7. Schuljahr: „Das Wagnis – Kontrollbehörde [...] in dieser Zeit fast aus dem Nichts Geographische Entdeckungen“, 7.-9. Schuljahr: „Der heraus ein Versuchsprogramm für sechs Wochen aufge- Arzt spricht“, 8.-10. Schuljahr: „Was willst du werden?“, stellt.“ Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeut- 10.-12. Schuljahr: „Lebendiges Wort“, Nordwestdeut- schen Rundfunk: Ein Jahr Nordwestdeutscher Schulfunk, scher Schulfunk. Sendeplan für die Zeit vom 08. Novem- 16.11.46, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. ber 1948 bis zum 19. März 1949, StA HH, NDR, 621-1, 618 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Director- 929. Zur praktischen Umsetzung des Schulfunks in den General PID: Annex I to Appendix ‚A‘: Programme Schulen in Schleswig-Holstein und Hamburg vgl. Lutze- Contents of Nordwestdeutscher Rundfunk and the B.B.C. bäck: Die Bildungspolitik der Britischen Militärregie- German Service, 15.12.1945, PRO, FO 1049, 204. rung, S. 333 ff.

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und Weltoffenheit zu erziehen. Schon im Englisch- „Die Mitwirkung im Schulfunk beruhte natür- unterricht, der durch „native speaker“ einen authen- lich noch auf einer anderen List. Es gab unend- tischen Praxisbezug hatte, wurde das verbindende lich viele Trittbrettfahrer unter der Hörerschaft mehr als das andersartige betont: zum Schulfunk. Es gab unendlich viele „At home with the Johnsons – Die Johnsons Hausfrauen, die beim Bügeln den Schulfunk hörten. Und da durfte man so belehrend auch sind Durchschnittsmenschen. [...] Sie haben die einmal sein, wie man sonst, ohne Hörer zu be- gleichen alltäglichen Sorgen wie wir. Vielleicht 628 können wir uns gerade darum mit ihnen an- leidigen, nicht sein durfte.“ freunden.“624 Für die mittleren Jahrgänge gab es die Sendung 4.3. Themen „Aus aller Welt“: Die Debatte um die „Projection of Britain“ gab „Damit der Gesichtskreis über die heimatlichen während der Kriegszeit Hinweise darüber, welche Grenzen hinaus erweitert wird, schildern wir Themen für die Nachkriegsordnung wegweisend bemerkenswerte Vorgänge in nahen und fernen sein konnten. In den Papieren finden sich Listen Ländern“.625 über Inhalte, die den Charakter schulischer Lehr- Die als heikel angesehenen Fächer wie Geschichte pläne haben. Zu dieser Zeit waren sie Orientie- waren nicht mehr ausgespart, sondern Aktivposten rungshilfen für die britische Propaganda ins europä- der demokratischen Wertevermittlung: ische Ausland, „Auf dem Wege zu Recht und Freiheit: Der „convincing our European audience that in the Kampf um persönliche Freiheit und Menschen- organisation of the post-war world Britain has a rechte ist ein wesentliches Kennzeichen der big part to play and that the ideas and experi- neueren Geschichte. Unsere Hörspiele schildern ence Britain has to offer are of real value for 629 bedeutsame Stufen dieser Entwicklung.“626 Europe.“ Dass die Briten bei der Gestaltung des Schulfunks War auch die Mehrzahl der Themen an britische starken Einfluss nahmen, zeigen die journalisti- Verhältnisse angelegt („British character“, „British schen Inhalte. So gab es eine Sendung „Nachrich- achievements“), so fanden einige politische ten für die Jugend“, die das Verständnis für die Grundwerte im Rahmen der Re-education später in Mediendemokratie den Schulkindern nahebringen der Besatzungszeit Anwendung. Dies war zum sollte: einen der Themenbereich Demokratie („democratic spirit“, „rule of law“, „legal system“, „civil liber- „Eine Fülle von Nachrichten strömt täglich auf 630 den Menschen ein. Der künftige Staatsbürger ties“), zum anderen die besatzungspolitische braucht die Fertigkeit, diese Fülle für sich aus- Strategie der Selbsterziehung („self-government“, zuwerten.“627 „Indianisation“, „British Colonial Policy“, „Indirect Rule“, „We anticipated the mandate system“).631 Dem Programm des NWDR-Schulfunks lag die britische Erziehungstradition zugrunde, das Ideal In den Wochen nach der deutschen Niederlage lag einer charakterbildenden, wertevermittelnden Er- der Akzent der Berichterstattung auf der Vermitt- ziehung, einer Förderung zur positiven Geisteshal- lung alliierter Besatzungspolitik. Demobilisierung, tung. Darin fügte sich der Gedanke der Re- Entwaffnung, Entnazifizierung, Dezentralisierung education ein, dass bereits die Jüngsten für die neue waren Maßnahmen mit hohem organisatorischen Werteordnung in Deutschland empfänglich ge- Aufwand. Die Informationsmittel waren nach dem macht werden mussten. Auf diesen Ansatz traf die Zusammenbruch begrenzt, sodass die wenigen traditionelle deutsche Erziehungsmethode einer funktionierenden Medien wie Radio Hamburg die streng belehrenden Wissensvermittlung. Beides Bevölkerung mit der Linie der britischen Militärpo- bildete im Schulfunk eine Legierung von journalis- litik vertraut machen sollten. Im September 1945 tisch-pragmatischer Form, die sich der neuen Gat- verteilte die Militärregierung an die Medienkon- tungen wie Hörspiel, Reportage und Interview trolloffiziere eine „Standing List of Publicity The- bediente sowie systematisch abgehandelter Inhalte mes“, an deren erster Stelle die „Fulfillment of auf Grundlage der deutschen Schulfächer. Es waren nicht selten die Journalisten des NWDR, die Sen- 628 Julia Dingwort-Nusseck im Gespräch mit Peter von dungen für den Schulfunk produzierten: Rüden. 629 Political Warfare Executive: The Projection of Brit- ain, 21.12.1942, PRO, FO 898, 413. Die Diskussion um die „Projection of Britain“ hatte Anfang 1942 begonnen 624 Ebd. und beschäftigte die Londoner Planungsbehörden über 625 Ebd. ein Jahr lang. 626 Ebd. 630 Ebd., Appendix A. 627 Ebd. 631 Ebd.

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Allied policy“ stand. Es folgten Wirtschaftsthemen bewegen, ein umfassender Aufklärungsfeldzug („Reactivation of Industry“, „Building up German anstand. Die Forderung nach Hintergrundberich- export trade“, „Rehabilitation of finance“), das ten635 und Verbreitung von Dokumenten zu NS- Flüchtlingsproblem („Re-storting of populations“) Verbrechen636 mündete in eine Grundsatzdebatte und die Darstellung der Besatzungsmächte („Evi- um die „German guilt“. Michael Balfour, der schon dence of Allied unity“, „Winning the peace“).632 in der Diskussion um die „Projection of Britain“ Mit der Besetzung Deutschlands wurde den Siegern eine Rolle gespielt hatte, sah in der Vergangen- ein Ausmaß von Terror und Menschenverachtung heitsbewältigung den Schlüssel zum Neubeginn in offenbar, das den Fokus der Re-education umlenk- Deutschland: te. Nun waren nicht mehr Bürgerrechte oder Wahl- „The question of guilt is fundamental to our fu- prozeduren die erste Lektion des Neubeginns. An ture relationship with the German people. Stelle davon fiel das Schlaglicht auf die Abgründe Unless their guilt (or responsibility) can be es- der Konzentrationslager und die Haltung der Deut- tablished, there can be no chance of establishing schen zur NS-Vergangenheit. Sie sollten sich ihrer the justice of the peace settlement which is be- 637 Verantwortung bewusst werden, ehe sie an den ing imposed on them.“ Neuaufbau gingen. Wenige Wochen nach der Kapi- Im Verlauf der Diskussion innerhalb der Besat- tulation tauchten die Themen Kriegsschuld und NS- zungsbehörde warf Balfour die Frage auf, ob es zu Gräuel in den Anweisungen der Medienkontrollbe- diesem Thema nicht besser eine planmäßig durch- hörden auf: strukturierte Informationskampagne geben sollte: „The long term themes, such as war guilt, „Unless such a planned scheme is undertaken, atrocities, etc. are the subject of special papers the whole subject should be avoided, since su- now in preparation. But it is recommended that perficial treatment of it (especially if conducted in current broadcasting output, treatment of in a tone of blame, as tends to occur) does harm those themes should be on an information ba- rather than good. [...] One of the chief concepts sis.“633 which must be planted in Germany if real de- Die wenig selbstkritische Haltung vieler Deutscher mocracy is to take root is the personal resonsi- führte zu der Überzeugung, dass das Thema deut- bility of the individual for the moral validity sche Schuld als langfristiger Programminhalt ange- and political structure within which he lives. This idea cannot be handled without reference legt werden musste: to the past.“638 „Information Sevices Control utilises every op- portunity of emphasizing German war guilt. In der Kontroverse um eine gezielte Medienkam- […] There have, therefore, been no concerted pagne zum Schuldthema überwogen die Gegner, campaigns. On the contrary, the Germans are die auf die Probleme der Gegenwart und die kont- continually reminded of this matter in a more subtle and discreet way, using newspaper and the radio as the two main media. Through these media, the policy followed by Information Ser- 635 „‚Behind-the-scenes‛ stories of the Nazi regime“, vices Control is directed to arousing in the Duncan Wilson (ISCB, Pol. Division, Bünde) an D. German people the full realisation that the McLachlan (PID Deputy Controller, London): crimes of their former Government are their 25.09.1945, PRO, FO 1056, 25. 634 moral responsibility.“ 636 „It is of great importance for the re-orientation of the Längst ging es den Besatzungsbehörden nicht mehr German mind to convince the German public by docu- nur um Nachrichten. Die desillusionierenden Erfah- mentary proof of the fundamentally aggressive and evil rungen der ersten Monate legten es nahe, dass, nature of the National Socialist regime“, Major-General wollte man die Deutschen zur Selbsterkenntnis Hennessey (Chief PR/ISC Group) an M.G.I. CCG (BE): Documentary Material, 12.10.1945, PRO, FO 1056, 27. 637 Michael Balfour (PR/ISC Group, Berlin) an Brigadier 632 Military Government HQ Staff, CCG (BE), Lüb- W.A.L. Gibson: German Guilt – to plug or not to plug, becke: A Standing List of Publicity Themes for CCG/Mil 23.01.1946, PRO, FO 1056, 25. Dem vorausgegangen Gov Publicity Officers, 15.09.1945, PRO, FO 1056, 25. war ein Papier des Chefs von PR/ISC Alexander Bishop: Dies war eine der wenigen Themenlisten, die vor oder „One problem which is today of particular interest and während der britischen Besatzung in Deutschland kur- complexity, is the manner in which the ‚war guilt‘ theme sierten. should be presented.“ W.H.A. Bishop: Can we Re- 633 ISC Branch (Pol.Division): Methods and Functions of educate Germany?, Nov. 1945, PRO, FO 1056, 21. the British Information Services for Germany, 638 Major-General Balfour (PR/ISC Group, Berlin) an 28.05.1945, PRO, FO 898, 401. Chief Political Division (Adv. HQ): Treatment of Ger- 634 Col. Edwards an Major-General Bishop (Chief man responsibility for Hitler etc. in publicity in the Brit- PR/ISC Group): 25.09.1945, PRO, FO 1056, 25. ish Zone, 04.02.1946, PRO, FO 1056, 25.

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raproduktive Wirkung einer solchen Attacke auf die Verstehen“),644 NS-Jargon („Braundeutsch“),645 bis Psyche der Besetzten hinwiesen: hin zur Umerziehung von NS-Eliten („Besuch bei 646 „If we can present our case over the next 20-50 internierten Nationalsozialisten“). Die Auseinan- years, that we can persuade thinking Germans dersetzung mit der Person Adolf Hitlers fand im to accept it and pass it on to the masses, then I NWDR breiten Raum (im Gegensatz zu anderen think we have a faint chance of causing a NS-Größen).647 change of heart: but a ‚campaign‘ is no good, Das mit Abstand größte Interesse galt den NS- certainly not one nearly nine months after the 639 Kriegsverbrecherprozessen, insbesondere Bergen- was has ended.“ Belsen 1945 und Nürnberg 1946. Beide Prozesse Obwohl es zu keiner organisierten Kampagne kam, wurden von Korrespondenten vor Ort (Axel Egge- schlug sich die Intensität, mit der die Kontrollbe- brecht in Bergen-Belsen, Peter von Zahn in Nürn- hörden über den Umgang mit der deutschen Ver- berg) begleitet, mit jeweils aktuellen Tagesberich- gangenheit diskutierten, nachhaltig im Programm ten. Zu beiden Prozessen gab es umfangreiche des NWDR nieder. Von 1945 bis 1948 war der Hintergrundberichte und Analysen (z.B. „Der Anteil der Berichterstattung über den Nationalsozi- Nürnberger Prozess in seiner völkerrechtlichen und alismus vergleichsweise hoch.640 Als mit den politischen Bedeutung“).648 Während diese Behand- „Nordwestdeutschen Heften“ von 1946 ausgewähl- lung der unmittelbaren Vergangenheit von der te Sendungen des NWDR-Programms gedruckt deutschen NWDR-Redaktion getragen wurde, wa- wurden, waren es Axel Eggebrechts „Rückblicke ren ursächlich dafür die Ziele der Briten: Selbster- ins Dritte Reich“,641 mit denen der erste Band auf- forschung und Erkenntnis der historischen Verant- gemacht wurde: wortung als Grundlage für den demokratischen „Das erste Heft ist ja insofern programmatisch, Neubeginn. Wenn auch die Themen nicht vorgege- als es gleich losgeht mit einer Sache über viele ben wurden, hatten die Briten durch ihre Personal- Seiten hinweg: Erinnerungen an das Alltagsle- politik dafür gesorgt, dass die Erziehung der Deut- ben im Dritten Reich.“642 schen durch Deutsche im Rundfunk einen Anfang Das Themenspektrum reichte von Kriegserlebnis- nahm. sen („Stalingrad – Erlebnis und Aufgabe“),643 Ent- Während die Auseinandersetzung mit Schuld und nazifizierung („Entnazifizierung – Notbrücken zum Schicksal Deutschlands höchsten Stellenwert be- kam, wurde das Konzept der „Projection of Britain“ für den NWDR deutlich reduziert. In den ersten Monaten von Radio Hamburg war der britischen

639 Brigadier W.L. Gibson (M.B.E. ISC Branch, Bünde) an Michael Balfour (PR/ISC Group, Berlin): Jan. 46, 644 Pro-/Contra-Gespräch mod. v. Dr. Hermann: Nord- PRO, FO 1056, 25. Vgl. Mr. Young (Political Division, westdeutsche Hefte 4, Jg.1, 1946, S. 12-14. Adv. HQ, Berlin) an PR/ISC Group (Adv. HQ): 645 Glossenreihe von Axel Eggebrecht: Nordwestdeut- 05.03.1946, PRO, FO 1056, 25: „Our main doubt about sche Hefte 6, Jg.1, 1946, S. 59-60. the usefulness of any such scheme at the present moment 646 Reportage von Karl-Georg Egel: Nordwestdeutsche is that with so many pressing material problems on hand Hefte 2, Jg. 2, 1947, S. 38-39. Im „Echo des Tages“ lief (the food situation, level of industry etc) we may be 1947 ein Interview mit einem ehemaligen Angehörigen compelled for the immediate future to direct our main der Waffen-SS unter dem Titel „Ich war interniert“: propaganda effort in other directions.“ Sendemanuskript in StA HH, NDR, 621-1, 562. 640 Der NWDR berichtete in diesem Zeitraum in insge- 647 Vgl. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, samt 623 Programmbeiträgen bzw. 9.552 Sendeminuten S. 127 ff. Beispiele sind „Der formlose Manitou“ von – durchschnittlich an jedem zweiten Tag - über NS- Herbert Blank: Nordwestdeutsche Hefte 6, Jg. 2, 1947, Themen, vgl. Schneider: Nationalsozialismus als Thema, S. 1-5; „Hitlers letzte Tage“, eine abschnittweise Über- S. 193. setzung von „The Last Days of Hitler“ des englischen 641 Nordwestdeutsche Hefte 1: Jg.1, 1946, S. 3-16. Egge- Historikers Hugh Trevor Roper, Nordwestdeutsche Hefte brecht war neben Peter von Zahn Herausgeber der Reihe. 9, Jg. 2, 1947, S. 1-24. Im Rückblick bewertete Axel Vorbild war wiederum die BBC, die im „Listener“ aus- Eggebrecht die „Nordwestdeutschen Hefte“ allerdings gewählte Beiträge in Zeitschriftform sammelte, vgl. kritisch: „Ich glaube, dass wir drei oder vier Jahre lang Schüddekopf (Hrsg.): Vor den Toren der Wirklichkeit, (wir heißt: alle, die das hätten machen können) eine S. 17 und 30. Chance versäumt haben, gar keine Frage. [...] Viel, viel 642 Ebd., S. 18. mehr Leute hätten viel, energischer und viel deutlicher 643 Erlebnisbericht „des grausigen Geschehens der aus- abrechnen können.“. In: Schüddekopf (Hrsg.): Vor den weglosen letzten Tage“ durch einen Wehrmacht- Toren der Wirklichkeit, S. 19. Divisionspfarrer, Nordwestdeutsche Hefte 1/2. Hamburg 648 Kommentar von Walter Hemming: Nordwestdeutsche 1947, S. 45-47; Hefte 2, Jg.1, 1946, S. 33 ff.

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Medienkontrollbehörde bewusst geworden, dass ein 1946, in dem er für die deutschen Zuhörer die Be- deutscher Sender, der sich der Vermittlung briti- satzer als eine empfindliche Spezies glossierte: scher Themen verschreiben würde, in der Öffent- „Also: keine plötzlichen Bewegungen, kein un- lichkeit nicht glaubwürdig wäre. Ende 1945 legte erwartetes Gebrüll. Sanfte Laute wirken beruhi- PR/ISC in der Aufgabenbeschreibungen von gend. Der Sieger wird seinen Schrecken erst NWDR und Deutschem Dienst der BBC fest, dass verlieren, wenn er weiß, dass er sich von uns dies nicht die Aufgabe des NWDR sein dürfe: nichts Unerwartetes zu versehen hat.“652 „‚British‘ views of current and past events Solche Art von politischer Themenverarbeitung should be conveyed to the German public galt bei den NWDR-Controllern nicht als anstößig: mainly by other means. […] The projection of „Das hörte man gerne. Ich finde es gut, wenn Britain, in the widest sense of the term, must be man sich lustig macht über die Sieger. Sie hat- one of the main tasks of any B.B.C. service to ten auch ihre Fehler. Die Amerikaner aber wa- Europe, and will contribute directly to the end ren sehr dagegen und haben protestiert.“653 of re-education.“649 Die Gelegenheiten, bei denen die Briten sich inter- Ein Jahr nach Inbetriebnahme des Senders war mit ventionistisch ins Programm einschalteten, gingen den ersten Erfahrungswerten eine Rückkehr zum weniger auf Grundsatzfragen wie die „Projection of Konzept der „Projection of Britain“ vom Tisch: Britain“ oder „German guilt“ zurück, sondern in „We have brought the NWDR to a stage where der Regel auf den Druck der Lebensverhältnisse in it has a considerable audience, who have der Besatzungszone. So schickte Generalmajor learned to trust and believe it. […] I am there- Bishop vor dem anstehenden Winter 1945 eine fore absolutely and inflexibly opposed to any Themenliste an seine Medienkontrollorgane. Er- attempt to use NWDR in this way. The maxi- nährung, Kohleversorgung und Schwarzmarkt mum concession I would be prepared to con- hatten Priorität, politische Fragen waren von unter- sider is to allow broadcasts on e.g. British and geordneter Bedeutung.654 Berichte über Kohlenzüge German housing problems, musical standards, educational structure etc, by Germans who had been enabled recently to visit Britain, and see 652 650 Nordwestdeutsche Hefte 8, Jg.1, 1946, S. 1-13. In and report themselves.“ seinen Memoiren schrieb von Zahn dazu: „Mit Kritik an Tatsächlich beschränkte sich das Thema Großbri- den Maßnahmen der Besatzungsmächte hielten wir nicht tannien im NWDR auf Reisebeschreibungen oder hinterm Berg, wenn wir davon überzeugt waren, daß die Berichte von deutschen Mitarbeitern, die in Aus- Kritik hilfreich sein würde“, Stimme der ersten Stunde, tauschprogrammen oder auf Dienstreisen nach S. 259. Ähnlich notierte Eggebrecht: „Das Entscheidende 651 England kamen. aber war, daß wir unsere Meinung völlig ungehindert Britische Besatzungsmacht und Militärregierung, verbreiten konnten, auch dann, wenn wir Kritik an der die den Zuhörern näher waren als das ferne Eng- Besatzungsmacht übten.“. In: Der halbe Weg, S. 321. In land, waren dagegen häufiger Bestandteil des Pro- Bezug auf die Presse kommt Balshaw zu einem äh- gramms. Das geschah durch die Verlautbarungen nlichen Ergebnis: „In practice they enjoyed a consider- der Besatzer selbst sowie durch Berichterstattung able freedom of reporting and comment, operating only durch die deutsche Redaktion. Berühmt wurde under general directives which, while forbidding the Peter von Zahns „Umgang mit Siegern“ von Ende printing of anything designed to bring the allies into contempt or hinder the implementation of allied policy, did permit reasonal criticism of that policy.“, British Occupation, S. 180. 649 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC) an Director- 653 Hugh Carleton Greene in: Bausteine der Demokratie, General PID: Respective functions of BBC German NDR-Fernseharchiv 1043418. „Wir machten also aktuel- Service and Nordwestdeutscher Rundfunk, 15.12.1945, le Geschichten, aber machten auch ganz massive Glos- PRO, FO 1049, 204. sen, auf Kosten der Militärregierung und der Besat- 650 Brigadier W.L. Gibson (Deputy Chief PR/ISC, zungsmacht.“, Jürgen Roland im Gespräch mit Peter von Bünde) an Chief PR/ISC: 21.05.1946, PRO, FO 1056, Rüden. 23. 654 Major-General W.H.A. Bishop (Chief PR/ISC): Spe- 651 Z.B. Werner Burmester: Erwachsenenbildung in cial Publicity Campaigns, 18.11.1945, PRO, FO 1056, England, Nordwestdeutsche Hefte 6, Jg.1, 1946, S. 17- 497. Schon im September 1949 hatte die Militärregierung 19; Helga Prollius: Eine deutsche Frau sieht England eine Anti-Schwarzmarkt-Kampagne verordnet: Mil Gov 1947, Nordwestdeutsche Hefte 9, Jg.2, 1947, S. 32-35. HQ Staff (CCG (BE) Lübbecke): Outline Plan for Food Eine Ausnahme im Sinne der „Projection of Britain“ war Black-Market Publicity Campaign, 14.09.1945, PRO, FO der Beitrag des britischen Kontrolloffiziers R.H. Peck: 1056, 25. Radio Hamburg war darin eingebunden: Demokratie in England, Nordwestdeutsche Hefte 7, Jg.2, „Probably the best plan will be for the Mil Gov officer in 1947, S. 1-13. charge of the campaign to visit Radio Hamburg, and to

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und Torflager, die zu politischen Verwerfungen British reconstruction and education policy, at wechselweise mit deutschen Politikern und briti- first under close control and later through Ger- schen Militärbehörden führte, wurden von den mans working under more general supervi- 658 britischen Rundfunk-Controllern ebenfalls gedul- sion.“ det.655 Eine zu gleicher Zeit erlassene Direktive der Mili- tärregierung beschrieb einen hierarchischen Kon- 4.4. Zensur und Kontrolle trollmechanismus über mehrere militärbehördliche Instanzen bis zur Ausstrahlung von Rundfunknach- Bei den Planungen zum Umgang mit den deutschen richten.659 Zusätzlich unterlagen alle Programmin- Nachkriegsmedien hatte die Entscheidung zwischen halte von Radio Hamburg außer den Musikbeiträ- Vertrauen und Kontrolle nicht zur Debatte gestan- gen einer strengen Vorzensur durch einen den. Sicherheit war das Hauptmotiv der britischen Sicherheitsoffizier im Funkhaus: Besatzungspolitik, in der Kontrolle lag ihre Garan- “There is a censor at Hamburg studio to whom tieformel. Weder vor noch während des Dritten all material for broadcasting is submitted for Reiches hatte die deutsche Propaganda den Briten Security censorship. Censorship at the Studio Anlass zur Hoffnung auf ein kooperatives Mitein- does NOT absolve Mil Gov Commanders and ander gegeben. Daher waren die Pläne zur Neuges- staff officers from ensuring that any copy which taltung der deutschen Medienlandschaft von einer is handed in for broadcasting does not offend rigiden Kontrollmentalität geprägt. against security regulations or Mil Gov pol- Das War Cabinet verfasste im Sommer 1944 erste icy.“660 Zensurrichtlinien für die künftigen deutschen Me- Die Zensur der journalistischen Programme des dien, darunter den Rundfunk: NWDR blieb während der gesamten Phase der „Under the directive there will be absolute con- britischen Oberhoheit offiziell in Kraft. Im Zu- trol (both negative and positive) of all broad- sammenhang mit der Verordnung Nr. 118 vom casting from German stations during the imme- 01.01.1948, die den NWDR als unabhängige Sen- 656 diate post-surrender period.“ deanstalt öffentlichen Rechts konstituierte, stellte Die für eine spätere Phase „of broadcasts from der Vertreter der Kontrollkommission ausdrücklich German stations to German Nationals“657 vorgese- fest: henen Kontrollmethoden umfassten Verbote von „Broadcasting Section will continue to carry out Themenbereichen, das Einspeisen eigenen Nach- the existing over-riding control functions, in- richtenmaterials, regelmäßige Aktualisierung be- cluding the pre-censorship of news talk and stehender Vorschriften und Direktiven und genaues other programmes with a political content.“661 Briefing der Zensoren, und ggf. deren Auswechs- Es dauerte bis Ende 1948, ehe der scheidende briti- lung. sche Generaldirektor Greene erklärte: Nach der Besetzung des Hamburger Senders galt „Vom 15. November ab ist die Vorzensur für das Prinzip strengster Kontrolle: aktuelle Vorträge, Tagesnachrichten und für an- “The essential task is to provide news, talks and deres zur Sendung kommende Material aufge- features of the type which serve the ends of hoben.“662 Was jedoch auf dem Papier änderungsresistent erschien, warf in der täglichen Arbeit des Senders work out the detailed arrangements there“, ISC Radio von Beginn an Widersprüche auf. Waren bei Radio Section an Duncan Wilson: 14.09.1945, PRO, FO 1056, Hamburg die Kontrollverfahren für die eigenprodu- 25. 655 „Wir haben dabei geholfen, dass die Menschen Kohle aus den Zügen ‚gefringst‘ haben. Das Wort ist wahr- 658 Political Intelligence Department: Information Con- scheinlich aus dem deutschen Sprachschatz verschwun- trol in the British Occupied Zone of Germany, den. Aber der berühmte Kardinal Frings in Köln hat mal 18.06.1945, PRO, FO 898, 401. gesagt: Es ist keine Sünde, Kohlen zu stehlen.“, Hugh 659 Major-General (Unleserlich, DCA/Mil Gov) an HQ Carleton Greene in: Zeugen der Zeit – Ein Leben für den 1/8/30 Corps District: 19.06.1945, S. 3, PRO, FO 1030, Rundfunk, NDR-Fernseharchiv. Diese Darstellung bestä- 379. tigen zahlreiche NWDR-Mitarbeiter, z.B. von Schnitzler: 660 Ebd. Meine Schlösser, S. 182. 661 Major-General Brownjohn (Chief of Staff Headquar- 656 Report by the Chairman (War Cabinet, ACAO Com- ters, Control Commission for Germany, Berlin) an Presi- mittee): Draft Directive on the Control and Censorship of dent of the Central Legal Office (Hamburg): 4.12.1947, Public Information and Means of Intercommunications. PRO, FO 1049, 791. Section (4) C.-Broadcasting, 03.08.1944, PRO, CAB, 662 Rundschreiben des Generaldirektors Hugh Carleton 87/67 APW (44) 53. Greene an alle Abteilungen des NWDR: 16.11.1948, StA 657 Ebd. HH, NDR, 621-1, 1387.

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zierten nachrichtlichen Inhalte kompliziert, so wa- “It will be the responsbility of Radio Hamburg ren die Kontrollschleusen für Beiträge deutscher to clear all scripts from the factual and Mil Gov Provenienz – z.B. externe Vorträge von unbelaste- policy point of view […]. Within the terms im- ten Notablen – noch dichter gestaffelt: posed […] above, Radio Hamburg will be 666 „The following procedure will be adopted: authorised to pass scripts for broadcasting.“ (a) Script will be handed in to Mil Gov to- Vor die Wahl gestellt, das vom Misstrauen gegen- gether with brief details of the speaker (see über einem früheren Feindsender gespeiste Kon- para 6) trollsystem aufrechtzuerhalten oder dem gewünsch- (b) Mil Gov will pass up through own channels ten journalistischen Profil Entfaltungsräume zu to HQ 30 Corps Mil Gov. ermöglichen, entschieden die britischen Verant- (c) Mil Gov 30 Corps will:- wortlichen für die zweite Option. Ausschlaggebend (i) pass to G(Infm Control) who will censor dafür war ein Klärungsprozess über den Zweck der and arrange for a recording van to re- Medienkontrolle, der mit der Einsetzung der cord the talk. PR/ISC als Kontrollorgan für die Medien im Juli (ii) Check with GSI (b) that speaker is 663 1945 geführt wurde. In einem Grundsatzpapier acceptable.“ führte Behördenleiter Bishop gegenüber dem stell- Es lag auf der Hand, dass derart verschachtelte vertretenden Militärgouverneur aus: Vorzensurwege zu Verzögerungen im Sendebetrieb “Information services control has two main ob- führen mussten. Diesem Umstand mussten die jects, Autoren Rechnung tragen, indem sie aktuelle (i) to stimulate the German people to action zeitliche Bezüge vermieden: „Talks should be so helpful to themselves, to us and so to Europe designed that they do not date easily as there may in General be some delay before their inclusion in a pro- (ii) to help in the re-orientation of the German 664 gramme.“ Die Genehmigungsprozedur stieß bei mind.“667 Radio Hamburg und den Medienkontrolleuren Funktion und Ausübung von Kontrolle waren kein schnell an Grenzen. Der Vorzug des Mediums lag Selbstzweck, sondern standen in Abhängigkeit zum ja gerade darin, Nachrichten und Verlautbarungen Besatzungsziel der Re-education. Die deutsche unmittelbar an die Bevölkerung weitergeben zu Bevölkerung sollte sich selbst einem Mentalitäts- können. Dazu kam, dass mit dem Arbeitsantritt der wandel unterziehen, vom obrigkeitstreuen Diener ersten deutschen Mitarbeiter ab Juli 1945 die Pro- der Volksgemeinschaft zum mündigen homo politi- duktion eigener Texte an Umfang zunahm und cus. Die buchstabenfixierte Zensur hingegen somit das Ziel, in Radio Hamburg einen professio- schaffte Abhängigkeiten und machte die Besat- nellen journalistischen Sendebetrieb zu etablieren, zungsmacht zur neuen Obrigkeit. Im Ergebnis an Konturen gewann. Die bürokratische Zensurket- konnte eine Zensur nur wieder vorauseilenden te mit der Militärregierung als letzter Entschei- Gehorsam erzwingen. Freie Meinungsäußerung, dungsinstanz war nicht mehr zu halten: Toleranz gegenüber Andersdenkenden und die “The effect of this ruling is to make it impossi- Verbreitung bitterer Wahrheiten war davon nicht zu ble for Radio Hamburg either to broadcast talks erwarten. Die Aufgabe der Kontrolle musste darin of immediate topical interest or to plan its pro- bestehen, beim deutschen Rundfunkpersonal ein grammes ahead in time for regular weekly pub- Gefühl für Eigenverantwortung zu entwickeln, was lication. These hindrances to the normal opera- sowohl das Einstehen für Fehler wie auch den Frei- tion of a broadcasting station are felt more raum für neues Denken einschloss: acutely now that a new schedule has been intro- duced whereby Radio Hamburg itself originates the greater part of its output.“665

Um den reibungslosen Ablauf des neuen Sende- 666 Ebd. Kurz darauf erklärte Medienkontrollchef Bishop schemas zu gewährleisten, musste die Verantwor- vor der internationalen Presse: „As additional German tung für die Abnahme aller Manuskripte an die and British staff are engaged the Hamburg station will Kontrolloffizieren bei Radio Hamburg delegiert transmit more programme of its own. […] Under British werden: supervision Germans will be given more opportunity to arrange programmes, to give talks and to discuss German problems.“, British Control Policy for Newspapers, 663 Major M.H. How, G(Infm Control): Broadcasting, Books, Radio and Entertainments, 13.08.1945, PRO, FO 29.06.1945, PRO, FO 1030, 379. 371, 46702. 664 Ebd. 667 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC Group, 665 Brigadier W.L. Gibson (ISC Branch, Political Divi- Bünde) an Major-General G.W.R. Templer (DCOS, sion) an CA/Mil Gov (HQ 21 Army Group): Control of Lübbecke): Information Services Control Policy, Broadcast Talks, 07.08.1945, PRO, FO 1056, 25. 23.09.1945, PRO, FO 1056, 20.

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„If this work of reconstruction is to go forward, Sendetechnik zuerst ein Leutnant saß, und zwar each German must realise his personal respon- an einem großen Schalthebel. Wenn etwas ge- sibility for the future of his country, and must laufen wäre, was ihm nicht passte, hätte er den do his bit of working and thinking. It is no use großen Schalthebel runtergenommen, und die telling Germans to be and feel responsible Sender hätten stillgestanden. Zu meiner Zeit saß without giving them a chance of responsibility, da längst ein Sergeant. Bei taktvoller Annähe- in the field of Information Services among oth- rung stellten wir fest, dass er kein Wort Deutsch ers.“668 konnte.“672 Kontrolle ja – Zensur nur in Beiträgen, die den Der Umgang mit Nachrichtenquellen inoffizieller alliierten Besatzungsmächten explizit schadeten. Provenienz (wie die kommerziellen Nachrichten- Auf keinen Fall durfte dem Sender in der Öffent- agenturen) wurde in dieser Zeit erheblich erleich- lichkeit das Image vom verlängerten Arm der Mili- tert. Die zentralistische Vorzensur aller Nachrichten tärregierung anhaften: „It is considered essential durch die Militärregierung hatte sich als zu schwer- here that there should be no attempt to censor fällig erwiesen und drohte den NWDR als Kom- NWDR’s versions of important official state- munikationsmittel für die Besatzungspolitik zu ments.“669 desavouieren. Daher wurde Anfang 1946 die Prü- Als Generalmajor Bishop im Herbst 1945 diese fung von Nachrichtenquellen auf die Kontrolloffi- Interpretation von Kontrolle formulierte, hatte sich ziere im NWDR delegiert: im NWDR die Zensurpraxis bereits gelockert. Die “It is worth while to take certain risks in releas- Atmosphäre strengen Misstrauens, in dier die ersten ing news which has not been completely deutschen Programmredakteure begonnen hatten, checked. If mistakes are made on minor matters, hielt nicht lange an: they can be corrected without causing much „Am Anfang funktionierte die Zensur so wie harm. If on the other hand NWDR and DPD get the reputation of lagging too far behind, their man sich’s vorstellt. Da mussten wir also unse- reputation will suffer, and the Control Commis- ren Kommentar über den Gang zum Kontroller geben. Der las das durch und strich zwei Sätze sion will partially lose two important instru- ments of information.“673 raus oder auch nicht. Dann dauerte die Sache vielleicht ein halbes, dreiviertel Jahr, dann hat- Die Überwachung von Ansagetexten wurde sogar ten die Engländer so viel Vertrauen zu uns ge- auf das deutsche Personal delegiert. Im Dezember wonnen und wir so viel Vertrauen zu den Eng- 1945 schrieb der (britische) Production-Chief ländern, dass sich daraus eine Situation ergab, Maass an den (deutschen) Sendeleiter Ostermann: in der Zensur nicht mehr ausgeübt werden „Sie werden die Ansagen, die von den einzelnen 670 musste.“ Abteilungen eingereicht werden, auf ihre Mög- Von da ab erlebten die NWDR-Mitarbeiter eine lichkeit hin prüfen und während meiner Abwe- interventionistische Zensur nur noch im Ausnahme- senheit in Zweifelsfällen die Entscheidung von fall. Übereinstimmend sprechen die ersten Journa- Capt. Everitt herbeiführen. [...] Zum Wochen- listen vom Klima der Toleranz, mit denen die briti- ende werden Sie mir, oder in meiner Abwesen- schen Kontrolloffiziere ihre Aufgaben heit Capt. Everitt, einen Wochenbericht überge- 674 wahrnahmen.671 Dabei war offiziell die Vorzensur ben.“ nie abgeschafft worden, doch ihr Stellenwert im Die wachsende Verstimmung der deutschen Bevöl- operativen Sendebetrieb war eher ein nomineller: kerung über die Besatzungsmacht erzwang zudem „Als ich 1946 kam, gab’s nur noch die Nach- eine Öffnung der Berichterstattung über die Besat- zensur der Sendungen, eine milde Form der zungspolitik. Informationen darüber waren bis Zensur. In der Zwischenzeit hat es eine Sofort- dahin restriktiv und selektiv gehandhabt worden. zensur gegeben. Die bestand darin, dass in der Adäquate Vermittlung der britischen Ziele in ihrer Zone erforderte aber eine Lockerung der Selbstzen- sur: 668 Major-General W.H.A. Bishop (PR/ISC Group, Bünde): Can we Re-educate Germany?, Nov. 1945, S. 7 f., PRO, FO 1056, 21. 672 Interview mit Ernst Schnabel: N3-Aufzeichnung vom 669 W.H.A. Bishop (Chief PR/ISC Group) an Director- 07.02.1975, NDR-Fernseharchiv. Vgl. analog dazu die General PID (London): 16.11.1945, PRO, FO 1056, 26. Version von Bamm: Eines Menschen Zeit, S. 408. 670 Peter von Zahn in: Bausteine der Demokratie, NDR- 673 Office of the Deputy Military Governor (Main HQ, Fernseharchiv 1043418. Lübbecke, Unterschrift unleserlich) an All divisions: 671 So z.B. Hermann Rockmann in: Bausteine der Demo- Accelerated Clearing of News for Publication and Broad- kratie, NDR-Fernseharchiv 1043418; Heinz Riek im casting, 19.03.1946, PRO, FO 1056, 27. Gespräch mit Peter von Rüden; Julia Dingwort-Nusseck 674 Production-Chief (NWDR) an Herrn Ostermann: im Gespräch mit Peter von Rüden. 31.12.45, StA HH, NDR, 621-1, 1015.

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“German correspondents of the News Service, sind die aufgeführten Tatsachen korrekt, und the broadcasting organisation, and the German hier scheint mir einer der Fälle zu sein, bei de- newspapers published in the British Zone, nen der Rundfunk einen nützlichen Dienst er- should also be granted interviews, in order that weisen kann, indem er die Aufmerksamkeit des they may obtain adequate and suitable informa- Publikums auf öffentliche Angelegenheiten tion to enable the to carry out their task. No lenkt, die, wie Sie selbst es bezeichnen ‚kritik- press censorship is in operation, and any at- fähig‘ sind.“678 tempt to compel correspondents to submit their Im Sommer 1948 nahmen die Vorbereitungen zur script for approval will meet with strong oppo- 675 Übergabe des Senders an die Deutschen Gestalt an. sition and resentment.“ Greene, ein Freund klarer Verhältnisse und kein Auf Seiten der britischen Kontrolloffiziere, die die Freund von Pro-Forma-Regelungen, hielt den Au- deutschen Beiträge zu zensieren hatten, entwickelte genblick für gekommen, die von 1945 stammende sich das Rollenverständnis dahingehend, neue For- Vorzensur von Wortbeiträgen abzuschaffen. Ge- men und abweichende Ansichten prinzipiell zuzu- genüber seinen Vorgesetzten begründete er den lassen und Rückfälle in den Propagandajargon der Vorstoß mit der Verlässlichkeit des NWDR und Vergangenheit zu ahnden.676 In der Praxis reduzier- dem erzieherischen Wert einer solchen Maßnahme: te sich „pre-censorship“ auf gelegentliche Fälle von “The removal of pre-censorship would have a Beratungen der Redaktion mit den Kontrolloffizie- valuable educational effect. At present a com- 677 ren hinsichtlich sensibler Themen. Als Hugh mentator or news editor is likely to have the Greene im Herbst 1946 als Generaldirektor des feeling that even if he makes a mistake or an er- NWDR antrat, sah er keinen Anlass, die Zensurbe- ror of judgment, a British Control Officer is stimmungen zu ändern. Seine Aufgabe begriff er there as long-stop to save the ball from going weniger darin, zu zensieren als zu kontrollieren. for your byes. If there was no pre-censorship, Zensur in der Ära Greene bedeutete in aller Regel commentators and news editors would realise Nachzensur. Bei politischen Protesten gegen that they had to take full responsibility for what NWDR-Berichterstattung stellten sich die Kon- they wrote or said and an excuse for careless- trolloffiziere meist vor die Redaktion. Bei einer ness would be eliminated.“679 Kontroverse um die angeblich fehlerhaft recher- Obwohl sein Argument der Eigenverantwortlichkeit chierte Sendung „Kölner Klima ist besser“ wollte im Geist des politischen Demokratisierungsgebots der zuständige Kontrolloffizier der Besatzungsmacht stand und mit der Übernahme „nicht zustimmen, dass sie irgendetwas nicht des NWDR durch eine deutsche Verwaltung der Einwandfreies enthält. Wie Sie selber sagen, Fall der Zensur ohnehin bevorstand, stieß Greenes Ansinnen bei den britischen Behörden nicht auf 675 Major-General W.H.A. Bishop (Chief PR/ISC Group) Gegenliebe. Richtig war, dass die Zensurpraxis, an Deputy Military Governor (Adv. HQ CCG (BE), wie sie vor Jahren einmal entworfen wurde, de Berlin): The Communication of Information to the Press, facto ruhte. Dies jedoch offiziell zu sanktionieren, 27.04.1946, PRO, FO 1056, 27. 676 „Wirkliche Zensur wurde doch eigentlich nicht aus- 678 Zonal Executive Officer (Section ISC Branch) an geübt. Es gab Diskussionen gelegentlich, die Emphasis Erich Klabunde (SPD): 31.1.48, StA HH, NDR, 621-1, etwas zu verschieben“, Walter Everitt in: Wiedersehen 562. Eine Äußerung von NWDR-Programmdirektor am Rothenbaum, N3-Sendung vom 09.04.1996, NDR- Schütz in derselben Sache war dagegen konzilianter, Fernseharchiv 1068020. Dazu Peter von Zahn: „Es war Eberhard Schütz an H. Schulz-Bischof (Präsident des vollkommen dem Captain Everitt überlassen, wie er Hamburger Wohnungsamtes): 09.02.1948, StA HH, unsere Kommentare zu beurteilen hatte. Er konnte sie NDR, 621-1, 562. durchgehen lassen oder verändern. Die Macht war wohl 679 H.C. Greene (Controller Broadcasting Branch) an in seiner Hand, aber er übte sie nicht aus. Es sei denn, Deputy Chief ISD (HQ CCG (BE), Berlin): Censorship dass er hier und da mal eine Formulierung veränderte, die of broadcast news and talks, 03.06.1948, PRO, FO 1056, sehr nach Nazideutsch klang“, ebd. 271. Ähnliches war Monate zuvor in den Entwürfen zum 677 Etwa bei der Frage, ob kritische Berichterstattung Gründungsakt des NWDR offenbar ergebnislos erwogen über Währungs- und Finanzprobleme die Einführung der worden: „So far as News, Talks and Features of a politi- D-Mark gefährden könnte: Director General ISC Branch cal character are concerned it should be possible to do (Unleserlich) an alle Information Control Units: away with the present system of pre-censorship by the 29.04.1946, PRO, FO 1056, 27. Als Peter von Zahn im Spring of 1948 replacing it by a looser form of post- Sommer 1946 eine Reportage über ein Versorgungsthe- censorship.“, R. Gauntlett (PR/ISC Group, HQ Control ma produzieren wollte, ließ er das Manuskript vom Regi- Commission for Germany, Berlin) an Chief of Staff: onal Food Office gegenchecken: Peter von Zahn Establishment of the North West German Radio as an (NWDR) an Major Kirk (Regional Food Office, Ham- Institution of Public Law, 18.11.1947, PRO, FO 1049, burg): 28.7.46, StA HH, NDR, 621-1, 1516. 791.

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war gegenüber den anderen Besatzungsmächten zu I.S.D. considers that a suitable time to withdraw diesem Zeitpunkt nicht vertretbar. Im Gegensatz zu this pre-censorship would be when the new 680 jeder Lokalzeitung – wo in der Tat, wie Greene German Director-General is appointed.“ bemerkte, die Zensur längst außer Kraft war – han- Greene musste sich fügen, und so fiel die Zensur delte es sich beim NWDR um ein Medium mit offiziell erst mit dem Amtsantritt von Adolf Grim- zonaler, wenn nicht zonenübergreifender Bedeu- me. tung. Der Anspruch von Autorität, den die britische Als für den 15.11.1948 Greene in einem Rund- Besatzungsmacht nach außen geltend machen woll- schreiben den Wegfall der Vorzensur verkündete, te, vertrug sich kaum mit dem Eingeständnis, dass konnte er nur noch eine vollendete Tatsache besie- man zwecks politischer Umerziehung seit geraumer geln.681 Der erzieherische Effekt, mit dem er sich Zeit den deutschen Medien nicht mehr so genau auf gegenüber seinen Vorgesetzten für eine frühere die Finger sah. Der Verdacht auf Kumpanei mit den Abschaffung eingesetzt hatte, mochte seine Wir- Besiegten war im Sommer 1948 außenpolitisch zu kung zeigen: heikel, um mit einer offiziellen Verabschiedung „Die letzten Spuren der britischen Zensur fielen von der Zensur ohne Not einen Eklat zu riskieren: nun fort, ein jeder, der Kommentare sprach, „Whilst appreciating your arguments it is con- Sendungen produzierte und Redaktionen leitete, sidered that the present is not a suitable time to mußte sich auf ‚volle Verantwortung‘ umstellen withdraw the pre-censorship of news and talks und hatte Einsprüche zu erwarten, die er nicht over N.W.D.R. and further, the immediate fu- an englischen Kontrolloffizieren abprallen las- ture is also likely to be a difficult time. Chief, sen konnte.“682

680 Deputy Chief ISD (HQ CCG (BE), Berlin) an H.C. Greene (Controller Broadcasting Branch): Censorship of broadcast news and talks, 22.06.1948, PRO, FO 1056, 271. 681 „Mit der Amtsübernahme von Herrn Grimme wird jegliche Vorzensur von Vorträgen, Nachrichten und der anderen Sendungen des NWDR offiziell eingestellt. In der Praxis war die Vorzensur bereits seit vielen Monaten mehr und mehr zusammengeschrumpft“, Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen Rundfunk Nr. 49: Ansprache von Hugh C. Greene zur feierlichen Übergabe des Amtes des Generaldirektors des NWDR, 15.11.1948, S. 2, StA HH, NDR, 621-1, 1026. Vgl. auch Rundschrei- ben des Generaldirektors Hugh Carleton Greene an alle Abteilungen: 16.11.1948, StA HH, NDR, 621-1, 1387. 682 Von Zahn: Stimme der ersten Stunde, S. 348.

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V) Wirkungen und Reaktionen: Der NWDR in der Öffentlichkeit

Im Rahmen der britischen Re-education-Politik war eine Erhebung der britischen Medienbehörde, dass das NWDR-Personal das erste Objekt der Umerzie- weit über die Hälfte der Befragten ein eigenes hung gewesen. Während der Erfolg der Mitarbei- Empfangsgerät regelmäßig nutzten, mit starker tererziehung anhand der Programminhalte verhält- Präferenz für den NWDR.687 Der Sender war als nismäßig leicht überprüfbar war, war die Frage „German Home Service“ bei der Bevölkerung nach den Erziehungseffekten bei den Hörern etabliert: schwieriger zu beantworten. Woran war zu erken- „Enquiries into the listening habits and reac- nen, ob sie sich von der politischen Berichterstat- tions to radio programmes of Germans in the tung des NWDR inspirieren oder gar überzeugen British Zone indicate that Radio Hamburg is ließen? Wie sollte man ermessen, ob das Radiopro- popular. [...] Radio Hamburg’s programmes are gramm ein Transmissionsriemen für die Demokra- generally and sincerely welcomed as an im- tisierung der Gesellschaft wurde? provement, both in general interest and artistic level, on those heard during the last ten 688 1. Reaktionen der Hörer years.“ Eine systematische Erfolgskontrolle der Demokra- Die Bedeutung, die die Briten dem Rundfunk in tisierungs-Strategie war in den Nachkriegsjahren Zeiten von Papierknappheit, Transportengpässen aufgrund der primitiven technischen und organisa- und Verteilungschaos zumaßen, wurde in den ers- torischen Verhältnisse nicht einfach durchführbar. ten Erhebungen bestätigt. Der NWDR erreichte an Trotzdem versuchten die Briten, zu Schlüssen über Hörerzahlen ein vielfaches aller Zeitungsauflagen, die Wirkung ihres medienpolitischen Kurses zu und er konnte zwischen 1945 und 1948 ein stetiges kommen. Im September 1945 unternahm die In- Wachstum verzeichnen. Anfang 1946 lag die Zahl formation Services Control Branch erste Analysen der Rundfunk-Teilnehmer bei 2.523.412, am Ende der Hörerreaktionen auf das Programm des neuge- des Jahres bei 2.788.289.683 Im folgenden Jahr gründeten NWDR. Sie erschienen in den regelmä- durchbrach die Zahl die 3-Millionen-Grenze,684 und ßigen Stimmungsberichten aus der britischen Zone kurz vor Ende der britischen Verwaltungszeit wa- („Survey of German Public Opinion“, „Intelligence ren es offiziell 3.270.584 Hörer.685 Das Kalkül, Summary“, „Reaction Report“ oder „German Reac- dass der Rundfunk das am leichtesten zugängliche tion Report“). Als Generaldirektor Greene nach Massenmedium mit der größten Streuweite bis in seinem Amtsantritt die Meinungsforscher der ISC ländliche Flächen war, war aufgegangen. Das Ra- besuchte, forderte er intensivere Forschungen zur dio hatte sich als Leitmedium der unmittelbaren Programmwirkung: Nachkriegszeit etabliert und blieb bis weit in die 50er Jahre hinein das zentrale Informations- und 686 Unterhaltungsmittel. Im Dezember 1946 ergab Moderne Zeiten, S. 211 ff. In engem Zusammenhang damit steht der Erfolg der Rundfunkzeitschrift HÖR ZU!, 683 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen die im Dezember 1946 an den Start ging, vgl. Lu See- Rundfunk: Der NWDR hat die meisten Hörer, gers: Vermittlungsformen des Radios – Am Beispiel der 28.12.1946, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. Rundfunk- und Familienzeitschrift HÖR ZU! (1946- 684„Am 1. Juli wurden (nach einer Mitteilung der 1960). In: Inge Marßoleck/Adelheid von Saldern (Hrsg.): Reichspost-Oberdirektion, Gruppe Funk) in der britisch Radiozeiten. Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924- besetzten Zone Deutschlands 3 012 331 Rundfunkteil- 1960). Potsdam 1999 (Veröffentlichungen des Deutschen nehmer gemeldet.“, Die Ansage – Mitteilungen des Rundfunkarchivs, Bd. 25), S. 160-180; Dies.: HÖR ZU!: Nordwestdeutschen Rundfunk: 3 Millionen NWDR- Eduard Rhein und die Rundfunkprogrammzeitschriften Teilnehmer!, 02.08.1947, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, (1931-1965). Potsdam 2001 (Veröffentlichungen des 1026. Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 34). 685 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen 687 ISC Branch: Survey of German Public Opinion, Dec. Rundfunk: 15.04.1948, Nr. 16, S. 1, StA HH, NDR, 621- 1946, PRO, FO 1056, 93. Bei der Frage „What station do 1, 1026. you tune in for the news?“ antworteten 46,5% N.W.D.R., 686 Vgl. Axel Schildt: Hegemon der häuslichen Freizeit: 12,9% N.W.D.R. und andere, 5,1% andere Stationen. Rundfunk in den 50er Jahren. In: Ders./Arnold Sywottek 35,5% gaben keine Antwort. (Hrsg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeut- 688 Information Services Control Branch: Intelligence sche Gesellschaft der 50er Jahre. Bonn 1993 (Politik und Summary No. 5. For period ending 14 Nov. 45, S. 4, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 33), S. 458-476; Ders.: PRO, FO 1005, 1739.

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„It was decided that Head, Public Opinion Sub Schuld und Kriegsverbrecherprozessen unter den Section should visit Mr. Carleton-Greene or Mr. vorrangigen Befindlichkeiten der Hörer, auch wenn Peck in Hamburg once a month to find out what der Tenor nicht im Sinn der britischen Besatzungs- information was needed by the Broadcasting politik war: Section. It would be desirable, however, in the „By far the greater proportion of the letters pas- long run for N.W.D.R. to organise its own lis- 689 sionately rejected the thesis of ‚communal tener research organisation.“ guilt‘. This reflects the attitude of the general Wenige Monate später unternahm der NWDR seine population with the difference that in the latter erste eigene Fragebogenauswertung.690 case the thesis is not understood.“693 In ihren Berichten stützten sich die Medienbehör- Die Fragen von Kriegsverbrechen, persönlicher den auf Umfragen und Hörerbriefe. Ende 1945 Verstrickung und Umorientierung, die im NWDR- gingen im NWDR wöchentlich zwischen 700 und Programm präsent waren, fanden bei den Hörern 800 Briefe ein, wovon nur ein geringer Prozentsatz starken, oft emotionalen Widerhall. Neben der inhaltlich motiviert war.691 In Tonfall und Duktus Ablehnung der Kollektivschuldthese, die in Todes- dieser Hörerbriefe entdeckten die britischen Kon- drohungen an die Autoren gipfelte, fanden sich trolleure häufig Spuren jenes Nazi-Jargons, den sie nachdenkliche Stimmen, die die neue Offenheit bei den NWDR-Mitarbeitern drastisch bekämpften: gegenüber den aufgeladenen Themen begrüßten: „Varying amounts of Nazi indoctrination are re- „Einmal darum, weil Sie, indem Sie sich diesen flected in a high proportion of the letters, even Gegenstand nahmen, wirklich in das hineinge- some that come from anti-Nazis. Twelve years griffen haben, was die aus Konzentrationsla- of ignorance and exposure to Nazi propaganda gern, Schlachtfeldern und Bombenteppichen have left their trace.“692 übriggebliebenen geistigen Menschen Deutsch- Andererseits dokumentierten solche Briefe und lands, was aber vor allem unsere geistig wache 694 Umfragen ein spürbares Interesse an den Themen Jugend wahrhaft und in der Tiefe bewegt.“ der NS-Vergangenheit. In einer der ersten Analysen Zahlreiche Zuschriften erreichten den Sender aus rangierten Fragen zu NS-Verbrechen, nationaler Gebieten jenseits der Zonengrenzen. Als der NWDR im Herbst 1946 über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse berichtete, war er als 689 PR/ISC Regional Staff: Minutes of Meeting of eines der wenigen Rundfunkprogramme mit einem PR/ISC Regional Staff Officers, Held on 5th – 6th No- Korrespondenten während der ganzen Prozessdauer vember 1946 in Berlin, Nov. 1946, S. 3, PRO, FO 1010, vor Ort vertreten. Dadurch bediente er ein Thema, 47. das die Bewohner aller Zonen betraf. Dazu schrieb 690 „Zu Beginn dieses Jahres forderte der NWDR seine ein Hörer aus München: Hoerer auf, bei der neuen Programmgestaltung dadurch „Ganz Deutschland erwartete mit grösster behilflich zu sein, dass sie zu planmaessig vorgelegten Spannung die heutige Berichterstattung von der Fragen ihre Meinung aeusserten. Nicht weniger als Urteilsverkündung in Nürnberg. [...] Nicht nur 14000 Hoerer erklaerten sich dazu bereit.“, Die Ansage – ich, sondern auch fast alle meine Bekannten und Mitteilungen des Nordwestdeutschen Rundfunk: Freunde hörten Abend für Abend die Sendun- 20.12.1947, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. Im Herbst gen des ‚Nordwestdeutschen Rundfunks‘.“695 1948 experimentierte der Sender sogar mit einem eigens In der SBZ sahen viele Hörer über Jahre den entwickelten „Meinungsmesser“, vgl. Die Ansage – NWDR als Alternative zum Berliner Sender, insbe- Mitteilungen des Nordwestdeutschen Rundfunk: sondere weil er politisch heikle Fragen nicht aus- 01.09.1948, Nr. 35, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1026. sparte.696 691 „By far the greatest proportion of them are enquiries about missing persons, applications for employment and various irrelevant enquiries, ranging from dentists’ ad- 693 Ebd. dresses to enlistment in the British army. Only about one 694 Dr. Gerhard Nebel (Dahlhausen) an den NWDR: fifth of the total deals with radio programmes.“, ISC 25.09.1946, StA HH, NDR, 621-1, 1516. Branch: Intelligence Summary No. 5., S. 4, PRO, FO 695 H. Raydt (München) an Leitung NWDR: 01.10.1946, 1005, 1739. Im Februar 1947 gingen im NWDR nicht StA HH, NDR, 621-1, 1517. weniger als 20.544 Briefe ein, davon war die Mehrzahl 696 „Lieber NWDR, gestalte weiterhin Dein Programm Musikwünsche. Der Anteil an Briefen zu konkreten so, wie Du es in diesem Jahr begonnen hast. Sei ein Programmen war noch immer nicht mehr als ein Fünftel, Markstein zu einem neuen, e i n h e i t l i c h e n, demo- vgl. Rundschreiben der Hörerforschung: Hörerpost , kratischen, f r e i e n D e u t s c h l a n d [Hervorh. im Februar 1947, StA HH, NDR, 621-1, 1387. Original, FH] wie es unser aller Wunsch ist, dabei denke 692 Information Services Control Branch: Intelligence immer daran, dass hier in der Ostzone Deine Brüder und Summary No. 4. For period 14 Oct 45 to 28 Oct 45, S. 4, Schwestern mit bangem Herzen auf Dich schauen und PRO, FO 1005, 1739. sehnsüchtig auf eine Vereinigung mit den Westzonen

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Das Interesse vieler Hörer an den Beiträgen über Das Ringen um ein staatsfernes, politikunabhängi- den Nationalsozialismus machte sich an besonderen ges Statut des NWDR, das der Verordnung Nr. 118 Einzelsendungen fest. Peter von Zahns Reihe „Sind voranging, wurde in Teilen der Hörerschaft auf- wir auf dem richtigen Wege?“ fand in den briti- merksam verfolgt. Die Sorge, der neue Sender schen Analysen der Hörerresonanz immer wieder könne an die Politik verloren gehen, spiegelte sich Erwähnung.697 Wolfgang Borcherts „Draußen vor in zahlreichen Schreiben an den NWDR: der Tür“ wurde als Hörspiel im NWDR uraufge- „Wenn die Parteien Vertreter in den Hauptauss- führt und löste eine stürmische Kontroverse beim chuß senden werden, so werden diese ohne Publikum aus.698 Eine Serie zum Nationalsozialis- Zweifel zuerst die Anliegen ihrer Partei und erst mus wurde nach der Erstausstrahlung im Dezember in zweiter Linie sachliche Anliegen vertreten. 1948 auf Wunsch der Hörer im Nachtprogramm [...] Überparteilichkeit des Rundfunks ist ein wiederholt.699 unaufgebbares Gebot, wenn wir unser Volk in echtem demokratischem Sinne erziehen wol- Das Ansehen des NWDR als politisches Medium 702 war für die Briten von besonderem Interesse. Stets len.“ hatte die Befürchtung im Raum gestanden, dass der Insgesamt belegten die Reaktionen des Publikums Sender unter britischer Kontrolle mit dem Image ein breites Spektrum von dumpfer Resignation über eines Kollaborationsinstruments behaftet wäre. Die Ablehnung alles Ungewohnten bis zu euphorischer Glaubwürdigkeit als deutscher Zonensender war Begeisterung über neue Formen. Immer wieder Voraussetzung dafür, das politische Bewusstsein meldeten sich Hörer, die die Umerziehung als dop- der Bevölkerung beeinflussen zu können. Ende pelbödige Zwangsverordnung der Sieger empfan- 1945 stellten die ersten Stimmungsbarometer fest, den.703 In ihren Stimmungsberichten stellten die dass der NWDR als Nachrichtensender akzeptiert Briten mit wachsender Beunruhigung diese Wider- wurde – in den Augen der Briten die wichtigste sprüchlichkeit fest: journalistische Grundlage: „According to this sur- „It is extremely important to estimate the size vey the great majority of listeners consider radio and location of the ‚Hard Core of Resistance‘ to Hamburg a reliable source of news.“700 Gleichwohl democratic ideas which undoubtebly exists in zeichneten die Berichte ein widersprüchliches Bild Germany today. This ‚Hard Core‘ includes all vom Standing des NWDR bei den Hörern. Im those people who never have a good word to „German Reaction Report No. 12“ von 1947 stand say about the English, people who ostracise our die Frage im Zentrum, wie sehr der Sender unter emloyees, who scoff at our intentions and ob- britischer Kontrolle zu stehen schien: struct our efforts. […] Is there an embryo Nazi organisation, as yet fluid and unrelated, oppos- „The overwhelming majority of people believe ing democratic ideas?“704 that they detect the hand of Mil. Gov. in almost everything that NWDR puts out. They can give no reason for this belief, and it is certainly not based on knowledge. In all probability it arises 702 Studienrat Hans Brodersen an Hauptverwaltung from self-pity, dissatisfaction with life in gen- NWDR: 08.01.1948, StA HH, NDR, 621-1, 16. „Der eral and the fashionable antipathy to the occupa- Rundfunk soll neutral sein und bleiben. Ich denke noch 701 tion.“ mit Schrecken daran, wie sich die Tarteien [!] s.Zt. zum Programm geäussert haben.“, Oskar Bombitzki an Lei- tung NWDR: 05.01.1948, StA HH, NDR, 621-1, 16. warten.“, Richard Behrens an NWDR: 14.01.1948, StA Zum Vorbild des britischen Rundfunksystems: „Nur will HH, NDR, 621-1, 16. ich nicht begreifen, dass was für den Rundfunk in Eng- 697 „The programme ‚Sind wir auf dem richtigen Wege‘ land gut und möglich ist, nicht auch für uns von Nutzen is particularly liked by young people.“, Information sein kann. Wird der Rundfunk das Sprachrohr der Partei Services Control Branch: Intelligence Summary No. 10. dann, ja dann ist das gleiche wieder da, was wir kaum For period ending 06 Feb. 46., S. 3, PRO, FO 1005, überstanden haben.“, Paul Deutscher an Generaldirektor 1739. Vgl. auch ISC Branch: Intelligence Summary No. des Rundfunks Hamburg: 05.01.1948, StA HH, NDR, 5. S. 4, PRO, FO 1005, 1739. 621-1, 16. 698 Rundschreiben der Hörerforschung: Hörerpost, Feb- 703 „Wenn die Demokratie, die sie uns so schön predigen, ruar 1947, StA HH, NDR, 621-1, 1387. so aussieht, dass sie uns alles nimmt, dass wir überhaupt 699 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen kein Recht mehr haben und dabei uns noch hungern und Rundfunk: 01.12.1948, Nr. 51, S. 1, StA HH, NDR, 621- frieren lassen, dann wird eines guten Tages der Papier- 1, 1026. kragen platzen und die Bevölkerung, die zur Verzweif- 700 ISC Branch: Intelligence Summary No. 5., S. 4, PRO, lung getrieben ist, aufstehen.“, Anonymer Hörer an Peter FO 1005, 1739. von Zahn: StA HH, NDR, 621-1, 1516. 701 ISC Branch: German Reaction Report No. 12, 704 ISC Branch: Survey of German Public Opinion, Dec. 28.01.1947, S. 5, PRO, FO 1056, 93. 1946, PRO, FO 1056, 93.

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Nach dem strengen Winter 1946/47, der die Be- funk als Kommunikationsinstanz zum Objekt der wohner der britischen Zone an den Rand einer Begierde. Allmählich begriffen die Vertreter von Versorgungskatastrophe brachte, sahen sich die Parteien, Berufsständen und Konfessionen, dass Briten vor dem Scherbenhaufen ihrer Bemühungen eine Gesellschaft, die nach dem Prinzip pluralisti- um einen demokratischen Aufbruch: scher Willensbildung funktionierte, auf Informatio- „The mood of the German people can be de- nen angewiesen war. Wer sein Anliegen durchset- scribed as ‚querulous‘. They do not seem to re- zen wollte, musste beim Souverän, d.h. den alise that there has been a major war and that Bürgern, präsent sein. Der Rundfunk war dafür someone has to pay for it. […] To sum up the nach 1945 ein optimales Mittel. So blieb es nicht mood of the average German is completely self- aus, dass an den NWDR bald Anträge auf Mitarbeit centered and self-pitying. The catch-word of the von verschiedenen gesellschaftlichen Organisatio- day is ‚Poor Germany‘.“705 nen herangetragen wurden. Die politischen Parteien 708 In einer Umfrage, in der heimkehrende Kriegsge- nahmen dabei die Vorreiterrolle ein. fangene nach den Chancen der Demokratie in Im Januar 1946 erreichte die Militärregierung eine Deutschland befragt wurden, sah über die Hälfte Petition von SPD, KPD, CDP und PFD, die um der Befragten ein Scheitern voraus: Sendezeit im NWDR nachsuchten, „to talk in turn „The reasons most widely given for the disbe- on the aims and tasks of their Parties from Nord- lief in the possibility of teaching the German westdeutscher Rundfunk.“709 Diese Initiative rief people the ‚English‘ way of democracy are that Nachahmer auf den Plan, die ihren Wunsch nach the German national character is not suited to it Berücksichtigung im Programm äußerten. Die and that political institutions must grow slowly evangelische Kirche der Rheinprovinz stellte 1946 in the course of history and cannot forcibly be bei den Briten den Antrag „auf Mitwirkung des introduced from outside.“706 evangelischen Rheinlandes bei der Gestaltung des Das Jahr 1947 stellte nicht nur das Vertrauen der westdeutschen Rundfunkprogramms“, da der Ham- Bevölkerung gegenüber der Besatzungsmacht auf burger Sender „nur in einem höchst ungenügenden eine Probe, es unterhöhlte auch den Glauben der Maße eine Berücksichtigung der rheinische Belan- 710 Besatzer an die politische Reformierbarkeit der ge“ einräumte. Ähnliche Vorwürfe kamen von Deutschen. An die Hörer des NWDR richteten sich katholischer Seite, sodass der zuständige Kontroll- die Briten im Herbst 1947 mit einem offenen Ap- offizier „a definite campaign against certain de- pell: partments of this network, partly in order to for- 711 „Wenn Sie noch nicht abgedreht und mich als ward their own political aims“ vermutete. Im Propagandist verurteilt habe, möchte ich Sie bit- gleichen Jahr schrieb das „Komitee ehemaliger ten, Ihr Inneres aufrichtig zu fragen, ob Sie politischer Gefangener“, dass die „Viertelstunde nicht zuviel von uns erwartet haben. [...] Nie- mand verlangt von Ihnen, dass Sie mit D-Zugs- geschwindigkeit unsere demokratischen Ideen 708 Zum Wieder- bzw. Neubeginn der politischen Partei- annehmen, ohne zu fragen, ob diese auch den en in Hamburg vgl. Balshaw: British Occupation, deutschen Bedingungen angepasst werden S. 167 ff. könnten. Sie sollen jedoch versuchen, eine deut- 709 Colonel (unleserlich, Commander HQ Mil Gov Hans- sche demokratische Lebensform zu entwickeln, estadt Hamburg) an PR/ISC Group (Main HQ): Publicity die Ihnen helfen wird, mit sich selbst und mit – Political Parties, 17.01.1946, PRO, FO 1056, 26. 707 Ihren Nachbarn in Frieden zu leben.“ Grundsätzlich zur Rolle der deutschen Politik beim Auf- bau des NWDR vgl. Schaaf: Politik und Proporz. 2. Reaktionen von Behörden, Parteien und 710 Dr. Beckmann (Leitung der Evangelischen Kirche der Interessengruppen Rheinprovinz, Düsseldorf) an Englische Militärregierung (Düsseldorf): 06.04.1946, PRO, FO 1050, 528. Das Für die in der Nachkriegszeit sich formierenden Lamento um die mangelnde Berücksichtung der Interes- korporativen Interessengruppen wurde der Rund- sen des Rheinlands im NWDR war seit Kriegsende viru- lent und führte 1955 nach zahlreichen Auseinanderset- 705 ISC Branch an Public Order Sub-Committee: 13th zungen zur Aufspaltung des NWDR in WDR und NDR, draft report of German Public Opinion to be submitted to vgl. Rolf Geserick: Vom NWDR zum NDR. Der Hör- the Public Order Sub-Committee on 28th August Period funk und seine Programme 1948-1980. In: Köhler: Wolf- covered July 21 to August 25 1947, 28.08.1947, S. 3, ram (Hrsg.), Der NDR zwischen Programm und Politik. PRO, FO 1056, 93. Beiträge zu seiner Geschichte. Hannover 1991, S. 165 ff. 706 ISC Branch: Special Survey on the Reactions of 711 Major E.V. Henry (Assistant Controller Broadcasting German POWs on their Return to Germany, Aug. 1947, Section, Cologne): Letter from District Union of Catholic S. 14, PRO, FO 1056, 93. Workmen’s Associations, Recklinghausen, 13.06.1947, 707 Rundfunkmanuskript, Okt. 1947, PRO, FO 1049, 791. PRO, FO 1013, 1906.

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des Juristen“ aufgrund der undankbaren Sendezeit sich mit der Auffassung aller deutschen Parteien nicht dem Zweck gerecht wurde, decken.“715 „dass endlich die von den Nazis gegen ihre In der Wahlberichterstattung des NWDR fanden die deutschen Mitbürger begangenen Untaten, ins- Parteien immer wieder Anlass zu Protesten. Dass besondere die Denunziationen ihre gerichtliche sich die Redaktion bei der aktuellen Berichterstat- Sühne finden.“712 tung auf Prognosen von Nachrichtenagenturen Es war eine Frage der Zeit, bis Parteien und Inte- stützte und damit über vorläufige Entwicklungen ressengruppen an der offensiven Berichterstattung informierte, wurde als tendenziöse Stellungnahme des NWDR Anstoß nehmen mussten. Die Glück- ausgelegt: wünsche eines früheren Senators zu von Zahns „In der Zwischenzeit wird der NWDR sich da- „Umgang mit Siegern“ war auch darin begründet, von überzeugt haben, dass das Ergebnis ganz dass darin der Gegner – die Besatzungsmacht – anders ausgefallen ist als seine Prognose laute- angegriffen wurde.713 Da sich der Sender als aktiver te, denn die CDU ist nach wie vor die stärkste Teilnehmer im politischen Diskurs verhielt und Partei geblieben. Auf jeden Fall protestiere ich laufend politische Beiträge produzierte, geriet sein erneut gegen dieses Verlassen der parteipoliti- 716 Wortprogramm von beiden Seiten des politischen schen Neutralität.“ Spektrums unter Beschuss. Auf der Rechten Den Vorwurf der politischen Irreführung der Hörer herrschte der Generalverdacht, der NWDR ließe nahmen Parteivertreter zur Grundlage für Versuche, sich zum prokommunistischen Sprachrohr instru- die Programmfreiheit des NWDR infrage zu stellen mentalisieren: und politische Berichte zu manipulieren. Dabei „The reproach is rightly made that the larger gingen sie bizarre Wege: Anlässlich der Berichter- parts of the leading men of the Rundfunk is stattung über den Volkskongress Anfang 1948 taken from the parties of the Left or is con- forderte ein SPD-Vertreter den NWDR- nected with them and that they express their po- Programmdirektor auf, den proportionalen Anteil litical views openly in the emissions.“714 des Themas Volkskongress am gesamten Nachrich- 717 Von der Linken kam das Argument, der Sender tenvolumen zu errechnen. verstoße gegen demokratische Grundsätze, entwe- Den Anspruch auf Repräsentation im Rundfunk- der mit zuviel Meinungsfreiheit – oder mit zu programm und in den Gremien teilten die Parteien strenger Zensur. Im Dezember 1947 warf der Ver- mit den Lobbyisten zahlreicher Interessengruppen, treter der SPD im Rundfunkbeirat Erich Klabunde die sich in der Phase der Besatzung für das künftige den britischen Controllern Programmverhinderung Gesellschaftsleben des Landes positionieren woll- vor: „Ihm sei ein Bericht zugegangen, wonach ein Manuskript über Entnazifzierung zur Sendung 715 im NWDR nicht zugelassen worden sei. [...] Bericht des Rundfunkbeirates (NWDR), Dez. 1947, Die Zulassung sei vom englischen Controller S. 27, StA HH, NDR, 621-1, 662. An gleicher Stelle ist verweigert worden. Nach seiner Auffassung vermerkt, es sei von der SPD „darauf aufmerksam ge- müsste sich die im Rundfunkstatut enthaltene macht worden, dass in den kabarettistischen Darbietun- Zensurbefugnis des englischen Controllers auf gen des NWDR fast immer die Demokratie lächerlich die Beanstandung individueller Abweichungen gemacht werde. Der Beirat erwarte, dass diese Kritik bei von den demokratischen Grundsätzen beschrän- der Programmgestaltung des NWDR in Zukunft beachtet ken, nicht aber Äusserungen ausschliessen, die werde.“, ebd., S. 28. 716 Carl Schroeter (Landesvorsitzender CDU, Kiel) an Eberhard Schütz (Programmdirektor NWDR): 12.12.1947, StA HH, NDR, 621-1, 562. Der NWDR hatte in der ersten Sendung über die Gemeindewahlen in Baden-Württemberg die Demokratische Volkspartei als 712 Komitee ehemaliger politischer Gefangener an Peter mutmaßlichen Gewinner dargestellt. Ähnliche Proteste von Zahn (NWDR): 15.09.1946, StA HH, NDR, 621-1, gab es wiederholt, zu den niedersächsischen Kommunal- 1516. wahlen im November 1948 vgl. Generalsekretär der 713 „Meines Erachtens können nicht genug Artikel und CDU (Landesverband Hannover) an Verwaltungsrat Sendungen in dieser Tonart gebracht werden, um eine NWDR: 02.12.1948, StA HH, NDR, 621-1, 16. restlose Verständigung zu erzielen.“, Franz Heitgres 717 Die Reaktion des Programmdirektors war eindeutig: (Senator a.D.) an Peter von Zahn (NWDR, Hamburg): „Es gelingt mir nicht, auch nach längerer angestrengter 26.11.1946, StA HH, NDR, 621-1, 1517. Überlegung in Ihrem Ersuchen einen sinnvollen Zweck 714 Konrad Adenauer (Zonenausschuss) an Asbury (Zi- zu entdecken.“, Eberhard Schütz (Programmdirektor vilgouverneur Düsseldorf): 05.05.1947, PRO, FO 1013, NWDR) an Dr. Guntram Prüfer (SPD-Parteivorstand): 319. 03.02.1948, StA HH, NDR, 621-1, 562.

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ten.718 Während es den Verantwortlichen des abandon its predilection for ‚parish pump‘ jour- NWDR in Übereinstimmung mit ihren britischen nalism.“721 Kontrolleuren verhältnismäßig leicht fiel, die Ver- Der Druck der politischen Ebene auf den NWDR bände, Kirchen und sonstigen gesellschaftlichen nahm von Jahr zu Jahr zu. Die Attacken galten dem 719 Gruppierungen auf Distanz zu halten, war der Programm, dem Personal und der Kontrolle durch Abwehrkampf gegen die Parteien ungleich schwe- die Briten. Mitte 1947 schaltete sich Militärgouver- rer. Deren Argument nach Mitsprache war im Sinne neur Robertson persönlich nach einem Generalan- der demokratischen Erziehung nicht völlig von der griff von Konrad Adenauer ein: Hand zu weisen, auch wenn die Einräumung von „His action in exploiting this grievance against Sendezeit einen Domino-Effekt nach sich ziehen Mil Gov for political ends in a grossly offensive konnte: speech without loding any complaint with us „The Parties realise the Zonal basis of Nord- amounts to deliberate bad faith and an abuse of westdeutscher Rundfunk and that parties in the tolerance we have long shown him.“722 other large towns in the Zone would, if facilities Doch solche Interventionen brachten einen Mann were granted to Hamburg Parties, require simi- wie Adenauer nicht zum Verstummen. Er blieb ein lar facilities but they maintain that all means scharfer Kritiker des NWDR und versuchte stets must be used to overcome apathy and political aufs neue, die politische Linie im Sinne seiner indifference which they state exist in large parts Partei zu korrigieren. Eine Beschwerde über die of the population.“720 Missachtung der CDU im NWDR rief 1948 Ale- Mit diesem Anliegen konnten sich die Parteien xander Bishop, den Chef der Medienbehörde auf durchsetzen. In der Sendung „Die Parteien haben den Plan: das Wort“ sprachen sie jahrelang im Wechsel über „I have also given careful consideration to the ihre politische Programmatik. Als Hamburgs Bür- representation which you made to the effect that germeister versuchte, die Berufsverbände (auch die the Nordwestdeutscher Rundfunk do not give der Journalisten) unter Länderaufsicht und damit in fair coverage to the views and activities of the den Einflussbereich der Regionalpolitik zu stellen, CDU. I can assure you that everything possible war die Reaktion der Briten scharf ablehnend: is done to ensure that the fairest possible treat- „This is contrary to democratic procedure and, ment is given to the views and activities of all as far as the press and radio are concerned, per- the recognised political parties.“723 petuates the de facto existence of the (what was Im Zentrum des Konfliktes mit den Parteien stand imagined up till now to be) defunct Propaganda von 1946 bis zu seinem Ausscheiden 1948 NWDR- Ministry. It decentralises such professional as- Generaldirektor Hugh Carleton Greene. Politische sociations to the provincial level. This is con- Unabhängigkeit war in seinen Augen conditio sine trary to this Group’s press practice, which has qua non für einen journalistisch unanfechtbaren aimed at encouraging the German press to Rundfunksender im demokratischen Gefüge. Der

Rundfunk der Weimarer Zeit war in exemplarischer 718 Als Beispiele: Vertreter der Landwirtschaft und ehe- Weise gescheitert: maligen Frontsoldaten aus Achterwehr: Schreiben vom „Die schwere Hand parteipolitischer Kontrolle Jan. 1948, StA HH, NDR, 621-1, 16; Freireligiöse Ge- hatte zu farbloser Berichterstattung, zum Man- meinde Hamburg: Schreiben an W. Kiesselbach (Präs. gel an Aktualität und zu einer unnatürlichen Hauptausschuss NWDR), 13.01.48, StA HH, NDR, 621- Neutralität gegenüber den Tagesereignissen ge- 1, 16; Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bauernverbän- führt.“724 de: Schreiben an Vors. des Verwaltungsrates (NWDR), 29.01.1948, StA HH, NDR, 621-1, 16. 719 Meist mit ausweichend-unverbindlichen Antworten wie dieser: „NWDR is fully aware of the importance of 721 Duncan Wilson (Controller „B“ Group, Bünde) an providing for the needs of the mining population and I „A“ Group: 29.04.1946, PRO, FO 1056, 27. suggest that the writer of the letter should be asked to 722 Telegramm General Brian Robertson (Berlin): Letter send in programme proposals which she may have to the dated 5 May from Adenauer, 07.05.1947, PRO, FO 1013, Intendant of the Cologne station who would give them 319. every consideration.“, Hugh Carleton Greene, Controller 723 Major-General W.H.A. Bishop an Konrad Adenauer NWDR (Broadcasting Section ISC Branch, Hamburg), (Rhoendorf): 08.05.1948, PRO, FO 1013, 1906. Nur an Senior PR/ISC Officer Land North Rhine /Westphalia: wenige Wochen zuvor hatte sich NRW-Ministerpräsident Proposal for Miners’ broadcasting station in Dortmund, Arnold bei der Militärregierung über „certain pro- 17.12.1947, PRO, FO 1013, 1906. communist broadcasts on NWDR“ beschwert, vgl. Regi- 720 Colonel (unleserlich, Commander HQ Mil Gov Hans- onal Commissioner NRW (Düsseldorf) an Chief of Staff estadt Hamburg) an PR/ISC Group (Main HQ): Publicity (PR/ISC): 13.04.1948, PRO, FO 1013, 1906. – Political Parties, 17.01.1946, PRO, FO 1056, 26. 724 Greene: Entscheidung und Verantwortung, S. 53.

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Dem setzte er das Modell eines Radiosenders ent- Forderung, hier sei über ständische Stellung das gegen, der im politischen Leben Nachkriegs- Parlament und die Parteien ganz ausgeschaltet. Deutschlands für Meinungsfreiheit, Pluralismus Wer ein bisschen spitze Ohren hatte, wusste na- und Mitsprache stehen sollte. Bei den politischen türlich, wohin das ganze laufen würde in dem Parteien in der britischen Zone geriet er damit nach Augenblick, wo die Engländer sich zurückzie- seinem Amtsantritt 1946 in Misskredit: hen würden. Greene war es völlig klar, dass die- ses englische Gesetz sehr schnell in eine deut- „Wir stießen in jenem Winter wegen der Frei- sche Verkehrsregel umgebaut würde.“727 heit unserer Berichterstattung auf viele Schwie- rigkeiten, nicht bei der britischen Militärregie- Für Greene wurde der Kampf mit den Parteien zum rung – die im allgemeinen verstand, worauf wir traumatischen Erlebnis. Seine wiederholten War- abzielten und uns in bemerkenswerter Weise nungen vor ihrem zerstörerischen Einfluss sah er unterstützte – sondern auf Schwierigkeiten mit ungehört verhallen.728 Er begriff sich in diesem den Hamburger Stadtvätern und den im Entste- Konflikt als tragische Figur, dessen Werk nach hen begriffenen deutschen politischen Partei- seinem Fortgang sich zur Verfügungsmasse redu- en.“725 zierte. Nahezu alle seine späteren Äußerungen über Die NWDR-Redakteure nutzten ihre Freiräume und den NWDR mündeten in der Klage, dass er im reizten mit Sendungen über Kohlenzüge, Versor- Ringen um die politische Unabhängigkeit unterle- gungsprobleme wie den „Torf-Skandal“ und mit gen war: satirischen Kommentaren Parteien und Behörden „Nach meiner Abschiedsrede am 15. November immer wieder zu scharfen Protestnoten. Greene 1948 – ich sprach über die Notwendigkeit, den verteidigte das Programm, da es die von den Briten Einfluss der politischen Parteien auszuschalten definierte Aufgabe demokratischer Kritik erfüllte: –, als ich vom Pult heruntergekommen bin, sag- „Ich bin heute wie damals fest davon überzeugt, te mir der damalige Bürgermeister von Ham- dass es für Politiker gut ist, wenn man sich über burg, Herr Brauer, mit dem ich eigentlich sehr sie lustig macht – gleichgültig, ob sie es mögen befreundet war: ‚Es wird Ihnen nicht gelingen, oder nicht.“726 Mr. Greene! Es wird Ihnen nicht gelingen.‘ Und leider hatte er recht gehabt.“729 Im Laufe dieser Auseinandersetzungen musste Greene aber feststellen, dass die Parteien es nicht In ihrer Vision eines unabhängigen Rundfunkmedi- beim Polemisieren belassen würden. Als im Früh- ums hatten die Briten die Traditionen deutscher jahr 1948 von den Briten das NWDR-Statut ver- Parteipolitik und ihre Widerstandskraft unter- kündet und die Übergabe an die Deutschen einge- schätzt, obwohl sie in der Verordnung Nr. 118 leitet wurde, standen die Parteien in den versucht hatten, ihrem Einfluss vorzubeugen. Den- Startlöchern für ihre post-britische Offensive: noch hatte sich der NWDR unter der britischen Kontrolle im Sinne der Re-education-Strategie als „Der Rechtsanwalt Klabunde hat in dieser Pres- Faktor im politischen Meinungsbildungsprozess sekonferenz eine außerordentlich scharfe Pole- etabliert. mik gegen das neue Statut gerichtet mit der

727 Interview mit Ernst Schnabel, N3-Aufzeichnung vom 07.02.1975, NDR-Fernseharchiv. 728 So warnte er 1948 in einer Radiorede, „dass wenn alle Sendungen die mit Politik zu tun haben, von den Vertre- tern aller Parteien gutgeheißen werden müssen, die Pro- gramme des NWDR derart farblos werden, dass sich die Hörer in ihrer Verzweiflung anderen Stationen zuwenden würden.“. In: Greene’s Germany – Geschichten aus einem anderen Land, N3-Sendung vom 25.02.1987, NDR-Fernseharchiv 1045050. 729 Hugh Carleton Greene in: Interview mit Hermann Rockmann, NDR II Kurier am Morgen, Sendemanu- skript, 07.12.77, S. 1, StA HH, NDR, 621-1, 1258. Eine 725 Ebd., S. 47. der vielen Versionen dieser Geschichte in: Greene: Ent- 726 Ebd., S. 48. scheidung und Verantwortung, S. 44.

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VI) Die Übergabe des NWDR an die Deutschen

1. Abwicklung der Kontrollfunktionen Übergabeschreiben an seinen Nachfolger Grimme, in dem er auf die künftigen Aufgaben des britischen Das hohe Tempo, mit dem die britischen Besat- Personals abhob. Die Programmkontrolle erklärte zungsbehörden den Aufbau eines am demokrati- er für beendet, ein letztes „Interventions- und Veto- schen Gesellschaftssystem orientierten Rundfunks recht“733 sowie eine Prüfung der Manuskripte nach betrieben hatten, behielten sie bis zu ihrem Ab- der Sendung beschrieb er als theoretische Formali- schied bei. Mit der Verordnung Nr. 118 vom täten. Um alle Zweifel an der Souveränität Grim- 01.01.1948 gaben sie dem NWDR eine Betriebs- mes auszuräumen, sollte dieser mit einem „flying verfassung und legten sich auf einen Übergabeter- start“734 in sein Amt eingeführt werden: min im gleichen Jahr fest.730 Der Übergabeakt am 15.11.1948 war der Schlusspunkt der strukturpoliti- „Um Ihren Auftritt besonders zu markieren, schen Anstrengungen um ein stabiles, politisch wird die Vor-Zensur aller Programme, ein- unabhängiges und staatsfernes Radio. Die Briten schliesslich der Nachrichten, aufgehoben. Die- ses wird öffentlich bekanntgegeben.“735 hofften damit Tatsachen zu schaffen, die in der demokratischen Entwicklung Deutschlands Vor- Lediglich in der Personalpolitik des NWDR, die die bildcharakter haben sollten. Längst war klar, dass Briten als wichtigstes Lenkungsinstrument betrach- man sich mit den anderen Besatzungsmächten in tet hatten, behielten sie sich ein aktives Kontroll- einem Wettlauf befand, sodass ein Festhalten an mandat vor: „Die politische Überwachung bei der überkommenen Kontrollmechanismen den Demo- Einstellung von Personal wird letzten Endes eine 736 kratisierungsprozess nach britischer Gangart ins britische Verantwortlichkeit bleiben.“ Tatsäch- Stocken bringen konnte. In der Diskussion um die lich blieb die politische Einstellung und Vorbelas- Abschaffung der Vorzensur verlieh ISD-Chef tung der deutschen NWDR-Mitarbeiter ein sensib- Gauntlett gegenüber dem Militärgouverneur diesem ler Punkt, an dem die Besatzer den demokratischen Gedanken Nachdruck: Kurs des Senders am ehesten gefährdet sahen. „When the Law establishing the Bavarian Radio Weiterhin oblag die Überprüfung von Bewerbern as a German organisation comes into effect on dem Kontrolloffizier des Funkhauses. Wiederholt 1st October, U.S. Military Government will kam es in den Monaten nach der Übergabe zu per- 737 abandon all pre-broadcast censorship […]. So sonaltaktischen Interventionen und zu Ermah- far we have always been ahead of the Ameri- nungen an die neue deutsche Verwaltung, keine cans in abandoning such controls.“731

An der Spitze der Militärregierung verfehlte diese ment of the second sentence in a tactful amendment to Argumentation nicht ihre Wirkung. Ein halbes Jahr your draft letter to Herr Grimme.“, G.R. Gauntlett (Chief zuvor war die Initiative des NWDR- ISD) an Hugh Carleton Greene (Broadcasting Branch): Generaldirektors Greene zum Verzicht auf die 02.10.1948, PRO, FO 1056, 275. Vorzensur aus besatzungspolitischen Motiven er- 733 Hugh Carleton Greene (Director Broadcasting Branch stickt worden – nun wurde er, wieder aus besat- Hamburg) an Adolf Grimme (Kultusministerium Han- zungspolitischen Motiven, genau dazu aufgefor- nover): 12.10.1948, PRO, FO 1056, 275. dert.732 Mitte Oktober 1948 verfasste Greene ein 734 G.R. Gauntlett (Chief ISD) an Military Governor: 18.09.1948, PRO, FO 1056, 275. 730 PR/ISC hatte als Übergabetermin den 01.10.1948 735 Greene an Grimme: 12.10.1948, PRO, FO 1056, 275. anvisiert, der nur um wenige Wochen verfehlt wurde, 736 Ebd. Vgl. die ähnlich lautende Mitteilung Grimmes, vgl. G.R. Gauntlett (Headquarters, PR/ISC Group) an dass „die politische Überprüfung in Zukunft in den ein- Chief of Staff (HQ): Flag A: The Future of Broadcasting zelnen Häusern des NWDR durch den britischen Control- in the British Zone, 18.11.1947, PRO, FO 1049, 791. Zur loffizier und den Intendanten erfolgt.“, Protokolle der Bedeutung der VO 118 vgl. Geserick: Vom NWDR zum Chefbesprechungen, 25.02.1949. S. 2, TOP 10, StA HH, NDR, S. 150 f. NDR, 621-1, 1290. 731 G.R. Gauntlett (Chief ISD) an Military Governor: 737 Z.B. im Fall des Komponisten Norbert Schulze, der 18.09.1948, PRO, FO 1056, 275. vom britischen Controller Huet-Owen als „politisch sehr 732 „I have just received the following note from the stark belastet“ erklärt wurde und somit einem teilweisen Military Governor: ‚I agree that we should not exercise Bespielungsverbot im NWDR-Orchester unterlag, vgl. pre-censorship of NWDR. It should be made plain that Besprechung Dr. Grimme/Mr. Huet-Owen: Protokolle we reserve the right to exercise it again at our discretion.‘ der Chefbesprechungen, 11.02.1949, StA HH, NDR, No doubt you will be able to comply with the require- 621-1, 1290.

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laxe Haltung einreißen zu lassen. In den mehr als strengungen von britischer Seite, den NWDR wei- 200 protokollierten Chefbesprechungen des Jahres terhin gegen Nazi-Einflüsse zu imprägnieren, ledig- 1949 im Büro von Adolf Grimme war nicht mehr lich konsultativen Charakter hatten: häufig von der britischen Kontrollmacht die Rede, „Mr. Grinyer regt an, in jedem Haus und bei der aber wenn, dann drehte es sich fast immer um die Generaldirektion eine Kartei über die Fälle zu politische Überprüfung der Mitarbeiter.738 führen, in denen ein Beschäftigungsverbot aus Der Spielraum für quasi-hierarchische Interventio- politischen Gründen ausgesprochen wird. [...] nen auf der Personalebene schrumpfte erheblich Er bittet Herrn Dr. Grimme, gelegentlich mit infolge des Besatzungsstatuts vom 10.04.1949 den Intendanten auch gewisse allgemeine Richt- sowie des Gesetzes Nr. 5 der Alliierten Kontroll- linien für die politische Überprüfung zu bespre- kommission vom 21.09.1949 zur Presse- und In- chen unter besonderem Hinweis darauf, dass formationsfreiheit. Eine Personalkontrolle war nach Möglichkeit nur politisch völlig Unbelas- tete zur Mitarbeit im Rundfunk zugelassen wer- nicht mehr vorgesehen, was die deutsche Führungs- den sollten.“741 spitze des NWDR sogleich reklamierte: „Nach Erscheinen des Besatzungsstatuts wird Weniger als ein Jahr nach dem Amtsantritt des für eine Bestätigung der Organe des Nordwest- deutschen Generaldirektors erklärten die Briten deutschen Rundfunks durch die Militärregie- ihren Rückzug von der politischen Gesinnungskon- rung kein Raum mehr sein.“739 trolle: Das mochte in den Augen der Kontrollbehörden „Once a person is denazified we have no right recht selbstbewusst klingen, doch sie mussten fest- whatever to object to his or her appointment. […] Our officers will confine themselves to stellen, dass damit die neue Wirklichkeit eines giving advice and guidance. If this advice is not mündigen Landes beschrieben wurde. Die Bestim- accepted, no formal objections will be raised, mungsrechte der Verordnung Nr. 118 waren über- no formal report on diverging opinions will be holt, und damit auch die Präventivintervention bei rendered, but the German decision will Personalien: stand.“742 “Ordinance 118 will be contained in the list of Das Misstrauen der Kontrollbehörden darüber, ob legislation which the Germans are free to amend die deutsche NWDR-Führung die politische Über- or repeal after the promulgation of the Occupa- prüfung ihrer Mitarbeiter mit der nötigen Strenge tion Statute. Consequently it is left to them to deprive us of the right to confirm appointments verfolgen würde, war zwar groß, doch andererseits in N.W.D.R. There is little doubt that they will war ihnen bewusst, dass eine weitere Bevormun- do so.“740 dung in diesem Stadium das Ziel der Re-education konterkarieren musste, den NWDR in der Bevölke- Von da ab sah sich die britische Personalpolitik rung als unabhängigen Vertreter der vierten Gewalt gegenüber dem NWDR in Rückzugsgefechten. Die im demokratischen Gemeinwesen zu etablieren. An Entnazifizierung war inzwischen in deutsche Ei- erster Stelle stand das Bestreben, die mühevoll genverantwortung übergegangen, sodass alle An- entwickelte demokratische Kultur im NWDR zu bewahren. Das galt auch gegen Vorstöße aus dem 738 Vgl. Protokolle der Chefbesprechungen vom eigenen Lager. Um die Jahreshälfte 1949 verlangte 08.02.1949 bis 30.12.1949, StA HH, NDR, 621-1, 1290. der britische Geheimdienst in den Nachwehen des 739 Memorandum des Nordwestdeutschen Rundfunks Falles von Schnitzler den Einsatz von V-Männern über Änderung der Verordnung Nr. 118 und des Statuts im Kölner NWDR-Funkhaus: des Nordwestdeutschen Rundfunks anläßlich des Erlasses eines Besatzungsstatus, 07.03.1949, PRO, FO 1056, 275. Vgl. eine Äußerung von Dr. Nestel: „Der NWDR bittet 741 Besprechung zwischen Dr. Grimme und Mr. Grinyer: Sie, den beteiligten Persönlichkeiten und politischen Protokolle der Chefbesprechungen, 26.04.49, S. 1, TOP Organisationen unmissverständlich darzulegen, dass er in 2, StA HH, NDR, 621-1, 1290. vollem Sinne eine rein deutsche Körperschaft des öffent- 742 G.H. Gretton (Dep. Chief ISD) an Zonal Executive lichen Rechts ist. Eine Einflussnahme der Besatzungs- Officer (Zonal Office of Information Services, Ham- mächte findet weder auf die Programmgestaltung noch burg): Scrutiny of Applicants for Employment with auf die Organisation statt.“, Fernschreiben Dr. Nestel an NWDR, 30.07.1949, PRO, FO 1056, 276. Vgl. dazu den Nordfunk Berlin zum Thema „Deutscher Sender für Grimme: „Die Militärregierung werde nicht mehr ihr ‚Ja‘ Berlin“ als Telegrammvorlage für den (Berliner) Stadt- oder ‚Nein‘ zu jedem Mitarbeiter bekannt geben, sondern verordneten-Vorsteher Dr. Suhr, 18. Juli 1949, S. 1, StA die Listen entgegennehmen und in einzelnen Fällen HH, NDR, 621-1, 1290. etwaige Bedenken vortragen, ohne dass dieses für die 740 Michael Thomas for Deputy Chief Plans (ISD, Berlin) Deutschen zwangsläufige Rückschlüsse ergeben müss- an German Information Department (Foreign Office, te.“, Protokolle der Chefbesprechungen, 20.08.1949, StA London): 05.04.1949, PRO, FO 1056, 275. HH, NDR, 621-1, 1290.

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„Operation ‚Magnet‘ is an operation carried out Wahrung der Interessen der Besatzungsmacht – in with the object of recruiting informants in key der Hauptsache Sicherheit und Prestige – so lautete targets and installations. Through these infor- der Restumfang des britischen Interventionsvorbe- mants we would expect to get warning of com- halts: munist activity or of other adverse trends. […] I „We reserve the right to suspend any employee am keen to get this operation started without of N.W.D.R., irrespective of his political past, available loss of time and want to be able to tell either temporarily or permanently from the ex- the Regional Intelligence Officer to go ahead ercise of his functions if he has acted in a way with his plans as soon as possible.“743 affecting the security and prestige of the Occu- Eine solche Operation stellte die Rundfunkkon- pying Powers. We reserve the right to re-impose trollbehörde vor große Schwierigkeiten, da sie das pre-censorship, particularly in the case of politi- langwierig erworbene Vertrauen der deutschen cal commentaries, if there are further instances Seite in Transparenz und demokratische Abstim- of conduct prejudicial to the prestige of the Oc- mungsprozesse unterminieren musste: cupying Authorities.“746 „I am bound to admit that this kind of operation Solche martialischen Formulierungen konnten nicht makes me somewhat uneasy when applied to darüber hinwegtäuschen, dass für die Kontrollbe- N.W.D.R. […] It is our special task now to es- hörde keine steuernden, sondern nur noch sanktio- tablish with the Germans who run these organs nierende Funktionen (mit ungenauer Falldefinition) of public information the kind of relation of vorgesehen waren. Eine Auflistung vom Spätsom- confidence which will enable us to influence mer 1948 beschreibt für das britische NWDR- their policy both towards a sympathetic attitude Personal statt inhaltlicher ausschließlich verwal- to Britain and towards a liberal and democratic 744 tungstechnische Aufgaben, „die einen englischen outlook.“ oder internationalen Charakter haben.“747 Aus dem Kontrollmandat war ein Ratgeber- und Beobachter- 2. Rollenwechsel bei den Kontrollorganen status geworden, der sich auf die Darstellung der Nach dem Abschluss aller struktur-, programm- britischen Position in den deutschen Medien be- und personalpolitischen Aufbauschritte war die schränkte: Kontrollmacht auf der Suche nach einer neuen „Langsam wandelte sich die Kontrollaufgabe Rolle. Es war offensichtlich, dass der Prozess der von PRISC. Die ‚richtige‘ Darstellung des briti- Umerziehung, den sie als langfristige Entwicklung schen Standpunkts in den Medien rückte immer eingeschätzt hatte, erst in Ansätzen vorangekom- mehr in den Mittelpunkt (dementsprechend men war. Die deutsche Bevölkerung und Gesell- wurde im Oktober 1948 PRISC umbenannt in ISD, Information Services Division).“748 schaft war von einer trittsicheren Demokratie nach britischem Verständnis weit entfernt. Die einzig Die Kontrolloffiziere nannten sich in der Konse- verbliebene rechtliche Handhabe für die Besatzer quenz um in Verbindungsoffiziere („Liaison Of- fand sich in Artikel II.1. des Gesetzes Nr. 5 zu ficers“), welche sich auf die Darstellung der briti- Presse, Radio und anderen Informationsmedien: schen Besatzungspolitik in der deutschen „An enterprise or a person engaged therein or Öffentlichkeit zu konzentrieren hatten: utilising the facilities thereof shall not act in a „Their functions are to acquaint the Germans manner affecting or likely to affect prejudicially with the British view on matters which are the the prestige or security of the Allied Forces.“745 subject of publicity, to give advice when asked and to observe and report to this headquarters

743 Major-General J.C. Haydon (HQ Intelligence Divisi- on, Herford) an G.R. Gauntlett (ISD Berlin): 09.05.1949, PRO, FO 1056, 283. 746 W.H.F. Crowe (Zonal Executive Officer IS, Ham- 744 G.R. Gauntlett (ISD Berlin) an Major-General J.C. burg) an F.A.W. Grinyer (NWDR Broadcasting Liaison Haydon (HQ Intelligence Division, Herford): 27.05.1949, Branch): Scrutiny of Applicants for Employment with PRO, FO 1056, 283. N.W.D.R., 05.08.1949, PRO, FO 1056, 276. 745 Allied High Commission Law No. 5 for the Safeguard 747 Rundschreiben des Head Administration Section of the Freedom of the Press, Radio and other Information Broadcasting Branch: 18.08.1948, StA HH, NDR, 621-1, Media, Repealing Previous British, American, and 1387. Der Aufgabenkatalog nennt z.B. Verwaltung des French Military Government Legislation Relating to englischen Personals, Registrierung von englischer und Press, Radio and Censorship, 21.09.1949. In: Ruhm von internationaler Post, Kontrolle über Rechnungen für Oppen: Documents on Germany under Occupation, internationale Telefongespräche, Bezahlung in Sterling S. 416. Zum Verhältnis britischer und deutscher Zustän- für Vorlesungen in der Rundfunkschule und für Manu- digkeit für den Rundfunk nach 1948 vgl. Geserick: Vom skripte aus dem Ausland. NWDR zum NDR, S. 150 ff. 748 Thomas: Deutschland, England über alles, S. 241.

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on any political tendencies in NWDR which zum souveränen deutschen Zonenradio und auto- may be of interest to us.“749 nomen Demokratisierungsinstrument sein sollen. In weniger als zwei Jahren war nach der Übergabe Doch wenige Monate nach der Übergabe entzünde- des Senders die Rundfunkkontrollbehörde umorga- te sich im britischen Lager eine Debatte über das nisiert zur Beratungsstelle, die Zahl der damit be- weitere Schicksal des NWDR, die fast zwei Jahre fassten Verbindungsoffiziere reduziert auf zunächst hindurch zwischen Besorgnis, Zorn und Enttäu- sechs, ab Anfang 1950 zwei Mann.750 Kontrolle im schung oszillierte. Die Offiziere der Broadcasting Sinne von Zensur und Personalauswahl war mit Liaison Branch verfassten Bericht auf Bericht, die dem Besatzungsstatut nicht mehr vereinbar. Selbst ihre Vorgesetzten im ISD untereinander kommen- das Mittel einer Postzensur und schriftlichen Fixie- tierten und mit Ausrufezeichen versehen weiterlei- rung der NWDR-Sendungen zum Zweck der Nach- teten, woraufhin die Adressaten im Londoner Fo- prüfbarkeit, die ein Jahr zuvor gefordert wurden,751 reign Office in teils vehementen Reaktionen nach war nicht mehr haltbar: Deutschland zurückkabelten. Die Situation im „I do not wish to exercise any form of censor- NWDR lieferte seit Frühsommer 1949 Stoff für ship, or any form of control over the appoint- eine Papierflut, mit der sich die britischen Instanzen ment of staff in N.W.D.R. For this reason I am in Depeschen, Protokollen, Aktennotizen und Brie- doubtful about the propriety of Mr. Grinyer’s fen über die krisenhafte Entwicklung des Senders request to your Berlin status to send him copies in Kenntnis setzten. Ins Auge sticht dabei der De- of political scripts. […] I do not think it neces- tailreichtum, mit der in dieser Phase kleinste Beo- sary for this purpose that any of my officers bachtungen ausgedeutet wurden, wodurch die Be- should be regularly supplied with your richte oft zu mehrseitigen Journalen anschwollen – scripts.“752 nachdem zuvor im Schriftverkehr jahrelang briti- sche Kargheit und Klarheit geherrscht hatten. Der 3. Krise des NWDR und letzte Zug ins Epische war der zunehmenden Ratlosigkeit Steuerungsversuche geschuldet, mit der die Briten dem krisenhaften Abdriften des NWDR gegenüber standen. Die neue Der Abbau der Kontrolle hätte der Schlusspunkt in Protokollwut war eine Machtersatzhandlung infolge der Entwicklung vom britischen Besatzungssender der Abgabe interventionistischer Kontrollbefugnis- se.753 749 Brigadier W.L. Gibson an R.A.A. Chaput de Sainton- Im Fokus stand in den meisten Fällen die Person ge (German Information Dept, FO, London): Liaison Adolf Grimmes, der als deutscher Generaldirektor with NWDR, 24.09.1949, PRO, FO 1056, 276. Das die Amtsgeschäfte des britischen Hauptcontrollers Interesse der deutschen Redaktion an der Berichterstat- Hugh Carleton Greene übernommen hatte. Im Sin- tung über die britischen Positionen stieß zu dieser Zeit ne der Umerziehungsstrategie war Grimme für die offenbar schon an Grenzen: „No suitable opportunity Briten eine rationale Wahl. Nicht nur war er als should be missed when meeting appropriate N.W.D.R. Gegner des NS-Regimes bekannt, sondern als nie- employees to discuss with them topical and political dersächsischer Kulturpolitiker hatte er bereits vor views and long term policy […]. Even if the meeting dem Dritten Reich sein Augenmerk auf den Rund- concerns some quite different subject it should be possi- funk als erzieherisches Medium gewandt: ble for Liaison Officers to create an opportunity for „Er wendet sich an alle. Deshalb steht im selben discussing political views and policy.“, W.H.F. Crowe, Augenblick, wo das Ziel einer eigengesetzli- Zonal Executive Officer IS Hamburg an Liaison Officers chen Rundfunk-Kunst erreicht ist, der Rundfunk Hamburg, Cologne, Berlin: Projection of Policy – im System der Mittel der Volkserziehung an 754 N.W.D.R., 05.08.1949, PRO, FO 1056, 276. erster Stelle.“ 750 „That is a hard, unavoidable fact.“, Brigadier W.L. Als Bildungspolitiker war Grimme nach dem Krieg Gibson an R.A.A. Chaput de Saintonge: Liaison with der Überzeugung, dass der Rundfunk ein ideales NWDR, 24.09.1949, S. 2, PRO, FO 1056, 276. Dazu Instrument zur politischen Neuorientierung des auch F.A.W. Grinyer, Senior Liaison Officer (Broadcast- ing Liaison Branch, Hamburg) an Generaldirektor Dr. A. Grimme (NWDR, Hamburg): 24.12.1949, PRO, FO 753 Zum Begriff der „Machtersatzpolitik“ der Briten nach 1056, 276. 1945 vgl. Kettenacker: Krieg zur Friedenssicherung, 751 Rundschreiben Deputy Chief Information Services S. 517 ff.; Ders.: Großbritannien und die zukünftige Division (Berlin): Scripting of Broadcasts, 10.02.1949, Kontrolle Deutschlands, S. 28 ff. PRO, FO 1056, 275. 754 Adolf Grimme: Ansprache des Herrn Ministers für 752 Brigadier W.L. Gibson (Information Services Divisi- Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Grimme beim on, Wahnerheide) an Adolf Grimme (NWDR, Hamburg): Rundfunk-Tee im Ministerium am 26. Januar 1931, S. 3. Reorganisation of Broadcasting Liaison, 20.01.1950, In: Materialsammlung 50 Jahre Rundfunk, StA HH, PRO, FO 953, 819. NDR, 621-1, 1258.

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Volkes war. Umerziehung war für ihn eine Not- Kulturpolitiker an den Tag gelegt hatte,758 empfah- wendigkeit, nicht wie für die Mehrheit der Deut- len ihn für die Leitung des NWDR. Als er am schen eine skandalöse Zumutung. Grimme stand in 15.11.1948 feierlich eingesetzt wurde, definierte er Übereinstimmung mit den wichtigsten Dogmen der seinen erzieherischen Anspruch an den Rundfunk: britischen Re-education-Theoretiker: der aktiven „Es ist ein demokratisches Organ und nicht ein politischen Teilnahme, der Selbsterziehung der Propaganda-Apparat für irgendwelchen Totali- Deutschen durch Deutsche, der Verantwortlichkeit tarismus. Das heisst nun nicht erwarten, der für das Nazi-Erbe. Als Vertreter des Sachgebiets Rundfunk soll über das politische Geschehen Erziehung im Zonenbeirat der britischen Besat- nur informieren. Er hat auch eine politische zungszone (Zonal Advisory Council) kämpfte er in Mission. Denn wenn er etwas ist, ist er ein In- langen Referaten um den Stellenwert der gesell- strument der Volksformung und damit der Ges- schaftlichen Umerziehung und Demokratisierung taltung des öffentlichen Lebens.“759 angesichts der viel drückender scheinenden Prob- Dies waren Worte nach dem Geschmack der abtre- 755 leme von Wirtschaft und Ernährung. In seinen tenden britischen Verwaltung, und es bestand kein Schriften und Reden formulierte er die Kernsätze Zweifel daran, dass Grimme sie ernst meinte. Sein der britischen Re-education auf deutsch: Vorgänger sah seine Inaugurierung voller Opti- „Kein Zweifel, daß da Umerziehung not tut. [...] mismus: Es gibt außer der Liebe nur eine unfehlbar wirk- „Sobald Sie am 15. November Ihr Amt über- same erzieherischen Kraft. Dies ist das eigene nehmen, wird ein neues Blatt in der Geschichte 756 Beispiel.“ des NWDR gewendet werden. Ich bin ganz si- „Politische Verantwortung! Wenn wir indes den cher, dieses wird keinen Wechsel in der freund- Durchschnittsdeutschen heute ansehen, dann schaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deut- scheint mir, dass als Entwicklung, und das nicht schen und Engländern bedeuten.“760 erst seit der Hitlerzeit, [...] zu beobachten ist, Trotz der vielversprechenden Auspizien geriet der das nicht sein dürfte, einmal nämlich, dass er nur an sich denkt, dass er versteckt und ver- neue Generaldirektor bald in eine Schieflage im stockt ist in seinem Ego, dass er zweitens gera- eigenen Haus, angesichts derer die Briten ihre De- dezu besessen von einer Lebensangst ist.“757 mokratisierungsbemühungen in Gefahr sahen. Im Mai 1949 informierte der neue Chef der Medien- Die scharfsichtige Analyse seiner Mitbürger und kontrollbehörde (inzwischen umbenannt in Broad- seine Forderung nach Umerziehung machten casting Liaison Branch) Grinyer seinen Vorgesetz- Grimme für die Besatzungsmacht zu einem Kandi- ten über Spannungen im NWDR, die in den daten für ein verantwortliches Amt. Seine Sympa- Folgemonaten eskalierten. In diesem Schreiben thien für den Rundfunk, die er als niedersächsischer sind diverse Unruheherde aufgelistet, die er zurück- führt auf die Schwächen Grimmes: 755 So betonte Grimme am 03.05.1946 im Zonenbeirat in „Dr. Grimme was not only not successful in the seinem ausführlichen Bericht über die Lage an den deut- form in which he attempted to overcome the schen Hochschulen die Notwendigkeit einer nachhaltigen many initial difficulties, but did not make use of Erwachsenenerziehung: „Was nützt uns die idealste [!] the degree of good will which his appointment Form der Demokratie, wenn es uns schließlich wieder so released. In the main it has been held against geht wie dem Staat von Weimar, der sich vor dem Auge him that his methods were ministerial and bu- der Geschichte enthüllt hat als eine Demokratie ohne Demokraten! Die Frage ist also, wie erreichen wir es, daß das künftige Staatswesen keine leere demokratische 758 Später verfasste Adolf Grimme eine Art Metaphysik Form bleibt, sondern von Menschen getragen wird, die des Rundfunks unter dem skurrilen Titel: Die Sendung vom sozialen und demokratischen Geiste erfüllt sind.“. der Sendungen des Rundfunks. Frankfurt am Main 1955: In: Zonenbeirat: Protokolle und Anlagen 1.-11. Sitzung „Auch im Rundfunk ist Wirkung Gnade. Wer so den 1946/47. Erster Halbband 1.-6. Sitzung 1946, bearb. v. Sinn der Sendungen des Rundfunks sieht, dem öffnet sich Gabriele Stüber. Düsseldorf 1993 (Quellen zur Geschich- dann wohl auch der Blick für die geheimste Sendung te des Parlamentarismus und der politischen Parteien, dieses modernen Wunders, des wir Zeugen sind.“, S. 12. Reihe 4, Bd. 9/I), S. 294. 759 Die Ansage – Mitteilungen des Nordwestdeutschen 756 Adolf Grimme: Umerziehung zur Menschlichkeit. In: Rundfunk Nr. 49: 15.11.1948, S. 4, StA HH, NDR, 621- Rettet den Menschen. Ansprachen und Aufsätze. Braun- 1, 1026. schweig, Berlin und Hamburg 1949, S. 12 f. Zum Aspekt 760 Greene an Grimme: 12.10.1948, PRO, FO 1056, 275. der Umerziehung in Grimmes Schulplan für Nordwest- Vgl. an anderer Stelle: „Ich glaube, es war für den deut- deutschland vgl. Lutzebäck: Die Bildungspolitik der schen Rundfunk ein bedeutender Gewinn, dass ein Mann Britischen Militärregierung, S. 390 ff. von Grimmes Ansehen und Integrität in jenen frühen 757 Adolf Grimme: Vom Sinngehalt der Schulreform. In: Nachkriegsjahren für den Rundfunk gewonnen wurde.“, Rettet den Menschen. S. 76. Greene: Entscheidung und Verantwortung, S. 57.

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reaucratic, rather than in tune with the peculiar geltend zu machen versuchten. Dies war vereinbar requirements of a radio organisation.“761 mit dem alten Besatzungsprinzip der „indirect ru- Grinyer nannte schwere Fehler Grimmes bei der le“. Es entsprach zum anderen dem Umerziehungs- Besetzung wichtiger Posten in seinem Umfeld, wie grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe. Eine Sonderrol- etwa den persönlichen Referenten Wenzlau. Dazu le kam noch einmal Hugh Carleton Greene zu, der kam ein Machtkampf zwischen Grimme und dem zurück zur BBC als Chef der Eastern European ehrgeizigen Verwaltungsratsvorsitzenden Heinrich Services gegangen war. Auf Bitten des NWDR- Raskop.762 Für die Briten waren dies Krisensym- Verwaltungsrates stand er seit November 1948 als 766 ptome, gegen die ihnen aufgrund ihres Beobachter- „Special Adviser“ zur Verfügung. Allerdings status keine Handhabe mehr zustand: erwies sich diese externe Beraterrolle als kaum „In all this I have tried to steer a course which, geeignet, den NWDR gegen die einsetzende Eigen- in spite of many invitations, enabled me to keep dynamik auf dem erwünschten Kurs zu halten. Im clear of partisanship, and to maintain the role of Sommer 1949 sah Greene seine Mission als an interested, but objective, observer.“763 gescheitert an: „Recent events in NWDR seem to me to be so deplorable that I do not feel able to Bürokratisierung, Fehlbesetzungen und Fehlein- maintain any connection with the organisation.“767 schätzungen, Intrigen – immer wieder bekräftigten in der Folgezeit die Berichte über den NWDR Gri- Greenes Zweifel am Sinn seines Beraterstatus er- nyers Diagnose.764 Den Verbindungsoffizieren wiesen sich im Gefüge des britischen Besatzungs- blieb wenig mehr, als weiter zu beobachten und apparats als gerechtfertigt. Von seiner Rücktrittsab- Kontakt zu den Akteuren zu halten: sicht wurde er zunächst vom Planungschef der PR/ISC-Nachfolgeorganisation ISD George Gret- „After the promulgation of the Tri-partite Ordi- 768 nance on Information Media we shall have no ton abgebracht. Doch derselbe formulierte drei right to interfere in broadcasting matters except Monate später harsche Kritik am Einsatz Greenes: when our prestige and security or international „I agree that the position of Carleton-Greene relations (particularly international agreements) has become anomalous, and I think it would be are affected. Apart from this we can, of course, more satisfactory if he either gave up his posi- advise.“765 tion or began to make his functions more hon- 769 Kontinuierliche Beratung war die Strategie, mit der oured in the breach than the observance.“ die Briten in dieser Krisenphase ihren Einfluss Die britischen Kontrollbehörden empfanden Gree- nes Engagement als überflüssig und kontraproduk-

tiv, da sie es als Einmischung in Angelegenheiten 761 F.A.W. Grinyer Senior Liaison Officer (Broadcasting erachteten, die im Rahmen des Demokratisierungs- Liaison Branch, Hamburg) an Brigadier W.H.F. Crowe prozesses als innere Angelegenheiten der Deut- (Zonal Executive Officer): Situation in N.W.D.R., schen anzusehen waren. Dies betraf zum einen 26.05.1949, PRO, FO 1056, 276. Diese Auffassung Greenes Vorstellungen von einer sichtbaren Prä- wurde von weiten Teilen der bewährten NWDR- senz der Kontrollbehörde im NWDR, die im Ge- Belegschaft geteilt: „In die Gebäude der Hamburger Rothenbaumchaussee hielt mit Grimmes Gefolge eine wuchernde Bürokratie ihren Einzug. So jedenfalls kam es 766 Vgl. Hugh Carleton Greene (BBC, London) an Prof. den ‚Männern der ersten Stunde‘ damals vor.“, von Zahn: Raskop (NWDR, Hamburg): 03.06.1949, PRO, FO 1056, Stimme der ersten Stunde, S. 345. 276. 762 „I have no doubt that Raskop and Grimme, in spite of 767 Hintergrund war, dass der Verwaltungsrat mehrere their surface harmony, are highly conscious of their Beschlüsse ohne Konsultierung Grenes gefasst hatte, separate and factional interest.“, Grinyer: Situation in Hugh Carleton Greene (BBC, London) an Raymond N.W.D.R., PRO, FO 1056, 276. Zum Machtkampf zwi- Gauntlett (ISD): 03.06.1949, PRO, FO 1056, 276. Dazu schen Grimme und Raskop vgl. Geserick: Vom NWDR auch Greenes Entwurf für eine Rücktrittserklärung an zum NDR, S. 152. Raskop: 03.06.1949, PRO, FO 1056, 276. 763 Grinyer: Situation in N.W.D.R., PRO, FO 1056, 276. 768 G.H. Gretton D/Chief (Plans ISD) an Hugh Carleton 764 Vgl. z.B. Chief ISD (Berlin) an German Information Greene (BBC, London): 15.06.1949, PRO, FO 1056, Dept. (Foreign Office, London): 09.08.1949, PRO, FO 276. 1056, 276; F.A.W. Grinyer Senior Liaison Officer 769 G.H. Gretton D/Chief (Plans ISD) an Chief ISD: (Broadcasting Liaison Branch, Hamburg) an Brigadier Liaison with NWDR, 23.09.1949, PRO, FO 1056, 276. W.H.F. Crowe (Zonal Executive Officer): Situation in Wenig später wurde Gretton noch deutlicher: „I think it N.W.D.R., 05.02.1950, PRO, FO 1056, 276; W. Crowe most unfortunate Hugh Greene has kept his fingers in the ISD: N.W.D.R.: Director General, 19.05.1950, PRO, FO pie. There is no reason whatever why he, as Head of 1056, 277. BBC Eastern European Services, should have anything to 765 Chief ISD an German Information Dept.: 09.08.1949, say about NWDR.“, Gretton Chief/Plans (ISD, Wahn) an PRO, FO 1056, 276. Chief ISD: 06.12.1949, PRO, FO 1056, 276.

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gensatz zur Reduzierung des britischen Einflusses NWDR-Berater zieht er eine vorsichtig optimisti- standen: sche Bilanz: „I do not agree that the power which remains to „It is certainly not possible to say that every- us under the Press and Radio Law could only be thing in the garden is lovely but there is now a exercised by someone in daily and continuous certain atmosphere of stability which was pre- contact with NWDR as in fact we are trying to viously lacking and the organisation no longer withdraw from day-to-day interference […]. It staggers from one crisis to another. To that ex- may be true as Carleton Greene suggests that a tent the first growing pains are overcome.“775 BBC Liaison Mission would create an unusual Auf Seiten der Medienbehörde ISD sah man die situation, but this applies far more to an inflated Lage kritischer. Die Machtkämpfe der Führungs- ISD team at this stage and I agree with you that riege, die ausufernde Bürokratisierung, die Rache it would be unwise to rely on our present pres- der Nazis und die Hexenjagd gegen Kommunisten, tige in NWDR as a ‚raison d’etre‘ for an ISD die wachsenden politischen Einflüsse und Rück- staff.“770 sichtnahmen, die Personalquerelen, das Versagen Andererseits bestand die Gefahr, dass die Bera- Grimmes776 – über all das konnten kurzfristige tungsreisen Greenes zwischen London und Ham- Befriedungen nicht hinwegtäuschen, sodass die burg als britische Intervention interpretiert werden Vision der Besatzungsmacht für einen unabhängi- konnten: gen Sender am Ende ausgehöhlt erschien: „In the light of present situation with N.W.D.R. „The present position is that in the field of ra- and in view of the fact that a new chairman of dio, with its audience of over four million lis- the Administrative Council will have to be teners, influences are at work among the gov- st elected before 31 March a visit by Greene erning body to disregard as much as possible could be interpreted as an attempt on our part to 771 any Allied supervision or interest. NWDR in influence the course of events.“ Hamburg has for some time been a hotbed of Obwohl die Beraterrolle Greenes in der Umbruch- intrigue and a house divided. It may well de- phase des NWDR umstritten war, hielt das Foreign velop tendencies directly contrary to Allied in- 777 Office bis Ende 1950 daran fest, als man die terests.“ schwerste Krise überwunden glaubte.772 Bis dahin Im Nachgang der Übergabe beurteilten die Briten behielt Greene seine Pendeldiplomatie bei, um den NWDR als Misserfolg im Experiment der De- durch Gespräche mit den zerstrittenen Parteien den mokratisierung und Umerziehung. Sie hielten den „battle for the soul of N.W.D.R.“773 im Sinne der Versuch für gescheitert, den britischen NWDR – britischen Besatzungspolitik zu beeinflussen. Seine „an organisation in which the team spirit, healthy z.T. sehr umfänglichen Berichte erhärten den Ein- outlook and goodwill towards the British was of a druck, dass die nach Abzug der Briten aufbrechen- den Differenzen im NWDR in aller Schärfe ausge- tragen wurden und der mäßigende Beitrag der britischen Kontrolleure keine entscheidende Rolle 819; H.C. Greene (confidential): More Notes on the 774 mehr spielte. In seinem letzten Schreiben als Situation in N.W.D.R., 17.02.1950, PRO, FO 953, 819. 775 Hugh Carleton Greene an Brigadier W.L. Gibson (Chief ISD, Wahnerheide): 05.09.1950, PRO, FO 953, 770 Michael Thomas (ISD) an R.A. Chaput de Saintonge: 819. Head of German Information Department (Foreign Of- 776 Vgl. die Lageberichte in den großen Akten über die fice, London), 06.10.1949, PRO, FO 1056, 276. NWDR-Krise im Public Record Office (Titel: Nordwest- 771 Telegramm des Information Services Division (CCG, deutscher Rundfunk NWDR organisation Vol. II, PRO, Wahnerheide) an Foreign Office German Section (Lon- FO 1056, 276, NWDR reports, PRO, FO 1056, 338), z.B. don): 30.01.1950, PRO, FO 953, 819. G.H. Gretton D/Chief Plans (ISD) an German Education 772 „His work as Honorary Adviser has proved very and Information Department (Foreign Office, London): valuable from our point of view, and has done a great Situation at N.W.D.R., 18.03.1950, PRO, FO 953, 819; deal to tide N.W.D.R. over an awkward stage in its exis- F.A.W. Grinyer, Broadcasting Liaison Branch (Ham- tence.“, Roland Chaput de Saintonge (Foreign Office, burg) an Brigadier W.H.F. Crowe (ISD, Wahnerheide): German Section, London) an Major-General Ian Jacob Situation at N.W.D.R., 25.05.1950, PRO, FO 1056, 338. (BBC, London): 22.09.1950, PRO, FO 953, 819. 777 Brigadier W.H.F.Crowe, Chief of the ISD (CCG, 773 H.C. Greene (confidential): More Notes on the Situa- Wahnerheide): Subject: N.W.D.R., 19.05.1950, PRO, FO tion in N.W.D.R., 17.02.1950, PRO, FO 953, 819. 1056, 277. Einen Monat später sagte Crowe im gleichen 774 Hugh Carleton Greene (BBC Head of East European Zusammenhang: „The barometer has moved from Service): Report on Visit to N.W.D.R., Sept. 1949, PRO, ‚stormy‛ to ‚variable‛ but is not yet rising to ‚set fair‛.“, FO 1056, 276; Hugh Carleton Greene (confidential): Crowe an GEID Foreign Office (German section): Report Notes on Situation in NWDR, Jan. 1950, PRO, FO 953, on N.W.D.R., 06. Juni 1950, PRO, FO 953, 819.

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high order“778 – in ein funktionierendes deutsches zu einem frustrierenden Befund: Pendant zu überführen. Dies glaubten sie am Ni- „Modern democracy demands a sense of politi- veau der Programminhalte feststellen zu müssen: cal responsibility on the part of the ordinary „The standard of programmes and especially of citizens, and a set of values common to a large political commentaries has fallen considerably portion of them, so that the elected government due to the loss of capable personnel, the bu- know broadly what they may and may not do. reaucratisation and the psychological aftermath In Germany today there is no public opinion of the crisis.“779 about anything. […] It is unlikely therefore that Mit der Aufgabe ihrer Kontrollhoheit sahen sich die a live, responsible democracy will develop in Germany in the near future.“780 Briten trotz aller Beratung nicht imstande, die Ge- schicke des NWDR in ihrem Sinne zu steuern. Diese Einschätzung betraf weniger den Zustand der Im April 1952 unternahm der Leiter der Deutsch- demokratischen Apparate und Institutionen in land-Abteilung des Foreign Office Roland Chaput Deutschland als vielmehr die politische Mentalität de Saintonge eine Reise durch Deutschland, um der Bevölkerung, die umzuorientieren 1945 zur sich ein Bild von der politischen Verfassung des Hauptaufgabe der neuen Medien erklärt worden Landes und vom Funktionieren der deutschen Me- war. Dem NWDR war es im Urteil der Briten nicht dien, u.a. des NWDR, zu machen. Sein Bericht an gelungen, sich selbst und seine Hörer auf eine de- den britischen High Commissioner Kirkpatrick kam mokratische Linie zu bringen.

780 R.A. Chaput de Saintonge (Foreign Office) an High Commissioner Ivone Kirkpatrick: Bl. 2: The Role of British Information Services in Germany. Summary and Conclusions, 16.05.1952, PRO, FO 953, 1285. Bereits vier Jahre zuvor hatte der Leiter der Education Branch einen vielbeachteten Warnruf in die Diskussion gebracht: „I do not consider that a democratic order in Germany, in political life, social relations or education, is in any way 778 Crowe, Chief of the ISD: Subject: N.W.D.R., assured.“, Robert Birley (Educational Adviser, Bad 19.05.1950, PRO, FO 1056, 277. Rothenfelde) an General Brian Robertson (Military Gov- 779 Chief ISD (Berlin) an German Information Depart- ernor and Commander-in-Chief): Prospects of a democ- ment (Foreign Office, London): 09.08.1949, PRO, FO ratic order in Germany with special reference to Educa- 1056, 276. tion, 24.07.1948, PRO, FO 371, 70716.

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VII) Re-education durch Rundfunk? Ein Fazit

Die politische Re-education war das größte kollek- peasement“) bis zur rigorosen tivpsychologische Unternehmen in der europäi- Unterwerfungsrethorik eines Vansittart. Die Kom- schen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Ver- promissformel fanden die Planungsbehörden such der Alliierten, nach 1945 die besiegten schließlich in der Idee der Umerziehung, die unter Nationen politisch umzuerziehen, unterschied sich dem Einfluss der neukonzipierten psychologischen fundamental von der weltanschaulichen Besat- Kriegsführung und vor dem Hintergrund der tradi- zungspolitik des nationalsozialistischen Deutsch- tionellen britischen Erziehungsphilosophie einen land. Der Ansatz der Alliierten und speziell der eher subtilen politischen Mentalitätswandel der Briten war insofern historisch einmalig, als sie ihre Deutschen unter britischer Anleitung nach dem Erfahrungen mit der Besetzung und politischen militärischen Sieg postulierte. Langfristige außen- Umstrukturierung von fremden Nationen im Rah- politische Sicherheit war und blieb dabei in der men ihres Kolonialreiches gemacht hatten. Länder britischen Deutschlandpolitik das Leitmotiv. Ein wie Deutschland oder Österreich aber lagen mitten demokratisches Deutschland, so die Grundüberle- in Europa und waren hochentwickelte Industriena- gung, war ins System der westlichen Demokratien tionen mit ausgeprägten kulturell-politischen integrier- und damit kontrollierbar und bei funktio- Traditionen. Nun waren es genau diese Traditionen, nierender Gewaltenteilung nicht mehr so anfällig mit denen die Besatzer aufräumen wollten und für den fatalen Hang zur Kriegstreiberei. gegen die sie ihr Modell der „Political Re- Die nun folgende Entwicklung eines Mittel- und education“ setzten. Zielsystems im Konzept der Re-education blieb Die Rundfunkmedien bildeten darin keine Aus- allerdings nicht ohne eine schwer aufzulösende nahme. Zwar waren die in Deutschland in den frü- Widersprüchlichkeit. Eine funktionierende Demo- hen 20er Jahren gegründeten Radiosender mit be- kratie in Deutschland setzte langfristig Selbstän- achtlichem Entwicklungstempo gewachsen und von digkeit voraus. Die permanente politische Bevor- der Gesellschaft angenommen worden, doch als mundung der Deutschen entsprach weder der Träger und Vermittler demokratischen Bewusst- britischen Vorstellung von Demokratie noch ihrer seins hatten sie auf ganzer Linie versagt, wie im Absicht, sich nur so lange wie nötig auf dem Kon- nordwestdeutschen Raum an den Beispielen der tinent zu engagieren. Daher entwickelten die Nach- apolitischen Norag und des propagandistischen kriegsplaner das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe zu Reichssenders Hamburg zu zeigen war. Für die einer Kernmaxime der britischen Re-education- britischen Besatzer in Nordwestdeutschland kam es Politik. Demokratische Institutionen und Mecha- daher nicht infrage, auf die Kontinuität mit diesen nismen sollten zwischen Besatzern und Besiegten Rundfunksystemen zu setzen. Sie entschieden sich abgestimmt werden, deren Ausübung mussten die bereits während des Krieges dafür, ein vollkommen Menschen selbst lernen. Damit jedoch wohnte der neues Rundfunkmodell zu installieren, das im Ge- britischen Umerziehungspolitik eine zwangsläufige füge einer künftigen deutschen Demokratie eine Ambivalenz inne: Einerseits wollte man in Sicher- wesentliche Rolle spielen sollte. heit vor dem deutschen Militarismus leben und Legitimationsgrundlage für dieses Modell waren dazu das westliche Demokratiemodell installieren, die desaströsen Weltkriege, die in den Augen der andererseits musste man dafür die Deutschen in die Alliierten beide von deutschem Boden ausgegangen Selbständigkeit entlassen. Alternativen zur Demo- waren und das Gefüge nicht nur Europas, sondern kratisierung sollten den Deutschen nicht gestattet der ganzen Welt ins Wanken gebracht hatten. Den werden, zugleich aber sollten sie als mündige Planungen der Londoner Behörden für eine deut- Staatsbürger das Recht auf freie Selbstbestimmung sche Nachkriegsgesellschaft war in der britischen wahrnehmen. Mit Blick auf die Erfahrungen der Öffentlichkeit ein jahrzehntelanger Diskurs über Weimarer Republik lag in diesem Widerspruch ein den deutschen Nationalcharakter vorangegangen, in Risiko des Scheiterns, das den Planern der Umer- dessen Mittelpunkt das Bedrohungspotenzial der ziehungspolitik zunächst nur unvollständig bewusst unberechenbaren Mittelmacht für die Sicherheit war. Großbritanniens stand. Die Grundsatzfrage nach Die Darstellung der weiteren Ausarbeitung des dem Umgang mit dieser Bedrohung bildete den Pol, britischen Begriffs von Re-education hat indes auch um den herum sich ein weites Spektrum von kont- gezeigt, dass dieser weder ein Zufallsprodukt aus rären Strategien entfaltete, von der konsensorien- der Not des Augenblicks heraus war noch ein eu- tierten Befriedung im Stile Chamberlains („Ap- phemistischer Gummislogan für eine insgesamt

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konzeptionslose Besatzungspolitik. In den intensi- schen Zuhörer ankommen. Deutsche erziehen ven Diskurs in Ministerien, unter Experten und Deutsche zum demokratischen Denken – so lautete Politikern waren phasenweise so viele Instanzen in schließlich die Formel der britischen Erziehungspo- Großbritannien involviert, dass die Planungen kopf- litik. lastig und überorganisiert wurden, was auf Kosten So ausgiebig sich Planungsstäbe und Besatzungs- konkreter Handlungsanweisungen für die Besat- behörden mit den Entwicklungen nach der Kon- zungsoffiziere vor Ort ging. Dennoch hatten die trollübernahme befasst hatten, so wenig realistisch Planungsstäbe in London mit dem Konzept der hatten sie sich auf das Ende der Kontrollphase politischen Umerziehung einen Masterplan für die eingestellt. Bei der Überprüfung von Wirkung und Neuformation des kollektiven politischen Bewusst- Nachhaltigkeit ihrer Umerziehungsstrategie kamen seins in Deutschland entworfen, dessen Grundma- sie zunächst zu widersprüchlichen Ergebnissen. Für ximen der „indirect rule“, Hilfe zur Selbsthilfe und den Bereich des Rundfunks hat sich gezeigt, dass „Projection of Britain“ mit dem Projekt der Demo- mit dem Augenblick der Übergabe an die Deut- kratisierung konsistent waren. schen die britischen Kontrollbehörden den NWDR Am Beispiel des Rundfunks in der britischen Zone, in der Gefahr sahen, durch Politisierung, Einmi- seiner Neuorganisation und personellen wie pro- schung von Parteien und Behörden sowie durch grammlichen Ausrichtung lässt sich die Umsetzung Bürokratisierung seine mühsam erkämpfte demo- dieser Konzeption – wie auch im späteren Verlauf kratische Legitimation und damit seine erzieheri- seine Ambivalenz – deutlich nachvollziehen. Presse sche Funktion wieder zu verlieren. In den Folgejah- und öffentliche Meinung waren in Großbritannien ren versuchten sie über Einflussnahme und traditionell ein wichtiges Element der Demokratie. Beratung alles in ihrer verbliebenen Macht stehen- Daher legten die Briten großen Wert auf gezielte de, um die politische Unabhängigkeit des Senders Institutionenpolitik im deutschen Zeitungswesen zu erhalten. Als sie in dieser krisenhaften Über- und Rundfunk. Der Aufbau des NWDR vollzog gangsperiode die Politisierung der NWDR- sich strukturell in enger Anlehnung an die BBC vor Gremien, die Institutionalisierung externer Einflüs- allem deshalb, weil diese sich im Heimatland als se zunehmen und die angestrebte Rundfunkfreiheit politisch unabhängiger Akteur in der demokrati- schwinden sahen, erklärten sie zum Schluss den schen Gesellschaftsordnung etabliert hatte. Die NWDR als politisches Erziehungsinstrument für Personalpolitik der Rundfunkoffiziere im NWDR gescheitert. Dem entsprach auf allgemeinerer Ebe- folgte dem Grundsatz der „indirect rule“, dass die ne die Resignation, mit dem die Briten zu Ende richtigen Personen in den richtigen Positionen das ihrer aktiven Besatzungszeit die Chancen auf eine richtige (pro-demokratische) Programm produzie- nachhaltige Demokratisierung der deutschen Be- ren. Deswegen übten sie in Personalfragen ihre völkerung beurteilten. Kontrollhoheit am stärksten aus. So informell und Doch in der historischen Distanz von mehr als pragmatisch sie diese scheinbar handhabten, so einem halben Jahrhundert legt die abschließende blieb das Kriterium der politischen Gesinnung Frage nach der Wirkung der britischen Umerzie- dabei stets das entscheidende, wohingegen hand- hungspolitik im NWDR eine andere Interpretation werkliche Fragen (etwa nach journalistischen Vor- nahe. Das pessimistische Fazit der Briten verkannte kenntnissen) in den Hintergrund traten. Die von den in eklatanter Weise die Gesamtverfassung, in der meisten deutschen NWDR-Journalisten der briti- sich der NWDR (und später NDR und WDR) auch schen Ära als liberal und tolerant charakterisierte nach 1948 im weithin zerstörten Nachkriegs- Programmpolitik hingegen interessierte die Kon- deutschland befand. Trotz der politischen Ränke- trolleure erst in zweiter Linie, da sie sie als Funkti- spiele in und um den Sender, auf die sich das Urteil on in Abhängigkeit des entsprechenden Personals der britischen Beobachter verengte, hatte er sich als ansahen. Die zurückhaltende Ausübung der formal fester Pol in der öffentlichen Meinungsbildung existierenden Zensur belegt, dass die Briten mit etabliert. Die Organisationsform als öffentlich- dem Personal gleichzeitig auch die Programminhal- rechtliche Anstalt wurde im Grundsatz nicht nur te hinreichend unter ihrer Kontrolle glaubten. Die niemals angetastet, sondern zum Vorbild in den unbestreitbaren Freiräume bei der Gestaltung neuer anderen Westzonen. Die publizistische und politi- Genres und der Behandlung heikler Themen sowie sche Ausrichtung der NWDR-Journalisten mochte die Loyalität der Kontrolloffiziere gegenüber den gewissen Konjunkturen unterliegen, doch sie war deutschen NWDR-Mitarbeitern war weniger groß- nicht demokratiefeindlich. Das Bekenntnis des zügige Geste als vielmehr Umsetzung des Re- Senders zur neuen parlamentarisch-demokratischen education-Prinzips, ihnen zwar die gröbsten Denk- Verfassung stand in der ganzen Zeit seines Beste- fehler und überkommenen Sprachmuster auszutrei- hens nicht infrage. Dazu kam, dass allein der Um- ben, sie darüber hinaus aber zu Experiment und fang der Hörer-Resonanz darauf schließen ließ, Wahlfreiheit zu ermutigen. Dergestalt sollte die dass der Rundfunk als politisches Informationsmit- angestrebte Meinungsvielfalt am Ende beim deut-

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tel akzeptiert war und blieb. Gerade in Krisenpha- hatte. Die Deutschen mochten formell die Mecha- sen wie der Übergangsperiode nach 1945, der Spal- nismen westlicher Demokratien übernommen ha- tung des NWDR in NDR und WDR 1955 und der ben, doch verinnerlicht hatten sie deren Mentalität NDR-Staatsvertragskrise von 1978 bis 1980 zeigte offenbar nicht – ein Befund, der im Deutschland sich das System stabil und krisenfest. der beginnenden 50er Jahre sicher nicht ganz ab- Die Idee, das System BBC auf deutsche Verhältnis- wegig war. Das alte Misstrauen gegenüber dem se zu übertragen, war in einem entscheidenden unberechenbaren deutschen Nationalcharakter Punkt aber tatsächlich gescheitert. Es war nicht wurde hier spürbar, ebenso wie die Angst um die möglich, das Organ des Hauptausschusses in Ana- Sicherheit Großbritanniens, die viel später im Zuge logie zur britischen Krone als überparteiliche und der deutschen Vereinigung sich wieder offen ihre staats- und politikferne Instanz zu verankern. Dies Bahn brachen. war eine strukturpolitische Fehlentscheidung sei- Doch sowohl der Verlauf des Vereinigungsprozes- tens der Briten, die die politischen Kräfte und Pro- ses wie auch die Erfolgsgeschichte der bundesre- zesse in Deutschland in diesem Punkt falsch ein- publikanischen Demokratie in den 40 Jahren zuvor bzw. unterschätzen. Der Neubeginn in Deutschland lassen den Schluss zu, dass die politischen Befürch- war eben keine voraussetzungslose „Stunde Null“, tungen der Briten um eine Wiederkehr des ver- sondern stand im Rahmen vielfältiger politischer hängnisvollen deutschen Sonderwegs nicht gerecht- Kontinuität und Tradition auch jenseits des Dritten fertigt waren. Im Gegensatz dazu herrscht heute Reichs. Die Ambivalenz der politischen Umerzie- selbst im Urteil kritischer Betrachter Konsens dar- hung Deutschlands zwischen kontrollierter Demo- über, dass Deutschland zum normalen demokrati- kratisierung und Selbstbestimmung führte an dieser schen Staat geworden ist. Die politische Re- Stelle zu so starken Abweichungen vom britischen education hatte daran unzweifelhaft ihren Anteil, Idealmodell, dass der erzieherische Erfolg als ge- und die Entwicklung des NWDR vom Verlautba- scheitert galt. Eben diese Ambivalenz war der rungsorgan der britischen Militärregierung zum Grund dafür, dass aus britischer Sicht das Projekt selbstbewussten journalistischen Rundfunksender der Demokratisierung nicht zum Erfolg geführt ist dafür ein Beweis.

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Abkürzungsverzeichnis

ACA Allied Control Authority PID Political Intelligence Department ACAO Armistice and Civil Affairs Committee (P) Mil Militärregierung der Provinzen APW Armistice and Post-War Committee Gov Det BBC British Broadcasting Corporation POW Prisoner of War BCU Broadcasting Control Unit PRD Public Relations Directorate CAB War Cabinet PR/ISC Public Relations/Information Services Control CCG/BE Control Commission for Ger- many/British Element PRO Public Record Office COGA Control Office for Germany and Aus- PWD Political Warfare Division tria PWE Political Warfare Executive COS Chiefs of Staff SBZ Sowjetisch Besetzte Zone DPD Deutscher Pressedienst SHAEF Supreme Headquarters Allied Expedi- Dradag Drahtloser Dienst AG tionary Forces (S/K) Mil DVV Deutsche Zentralverwaltung für Volks- Militärregierung der Stadtkreise bildung Gov Det EAC European Advisory Commission SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland EIPS Economic and Industrial Planning Staff StA HH Staatsarchiv der Freien und Hansestadt FO Foreign Office Hamburg FORD Foreign Office Research Department WO War Office FRPS Foreign Research and Press Service ZEL Zentralamt für Ernährung und Land- (Royal Institute of International Af- wirtschaft fairs, später FORD) ICU Information Control Unit ISC Information Services Control ISD Information Services Directorate bzw. Information Services Division JCS Joint Chiefs of Staff (L/K) Mil Militärregierung der Landkreise Gov Det (L/R) Mil Militärregierung der Länder oder Re- Gov Det gierungsbezirke Mil Gov Military Government Detachment Det MoI Ministry of Information MoEW Ministry of Economic Warfare NDR Norddeutscher Rundfunk Norag Nordische Rundfunk AG NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbei- terpartei NWDR Nordwestdeutscher Rundfunk PHP Post-Hostilities Planning Sub- Committee des COS/Post-Hostilities Planning Staff

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Personenverzeichnis

Balfour, Michael: General; seit August 1945 Lei- schen Hefte“; 1949 Kündigung aus Protest ge- ter der Information Services, hatte zuvor im gen parteipolitische Einflussnahme gemeinsamen Planungskomitee von BBC und Gauntlett, Raymond: Von Oktober 1947 bis PWE und bei PWD/SHAEF die Leitlinien für Sommer 1949 Chef von PR/ISC Berlin den Rundfunk in der britischen Zone ausgear- Gibson, W.L.: Brigadier; erst Stellvertreter von beitet Alexander Bishop, ab Anfang 1949 Chef von Bamm, Peter: 1897-1975; Schriftsteller und Chi- PR/ISC in Wahnerheide rurg; seit 1945 beim NWDR, Leiter der Sen- Greene, Hugh Carleton: 1910-1987; von 1933 bis dung „Streiflichter der Zeit“, Autor zahlreicher zu seiner Ausweisung 1939 Deutschland- Feuilletons Korrespondent für verschiedene britische Zei- Birley, Robert: 1903-1982; Erziehungsberater tungen; 1940 bis 1946 Direktor des deutsch- (Educational Advisor) für die Kontrollkommis- sprachigen Dienstes der BBC; 1946-1948 erster sion in der Britischen Zone in Deutschland Generaldirektor des NWDR und Kontrolloffi- Bishop, Alexander: 1897-1984; Generalmajor; zier der britischen Besatzungsmacht in Deutsch- Anfang 1945 vom War Office zur Londoner land; 1949/50 Leiter des Osteuropa-Dienstes PWE versetzt und zu ihrem stellvertretenden der BBC Leiter ernannt; von Juni 1945 bis Ende 1946 Gretton, George: Ab Anfang 1948 stellv. Chef Chef von PR/ISC in Berlin; 1946-1948 stellv. von PR/ISC Stabschef der Kontrollkommission in Deutsch- Grimme, Adolf: 1889-1963; Pädagoge, Bildungs- land; 1948-1950 Regionalkommissar für Nord- und Rundfunkpolitiker; 1946-1948 Bildungs- rhein-Westfalen bzw. Kultusminister in Niedersachsen; 1948- Bodenstedt, Hans: Intendant der Norag 1924- 1956 Generaldirektor des NWDR 1933; nach der Machtergreifung von den Natio- Grinyer, F.A.W.: Verbindungsoffizier der Broad- nalsozialisten entlassen casting Liaison Branch in Hamburg Bredow, Hans: 1879-1959; Begründer des deut- Hadamovsky, Eugen: 1904-1945; NS- schen Rundfunks; 1926-1933 Rundfunkkom- Reichssendeleiter und Direktor der Reichsrund- missar des Reichspostministers und Organisator funkgesellschaft 1933 bis 1943; seit 1940 Leiter des deutschen Rundfunkwesens; 1933 Rücktritt der Rundfunkabteilung im Propagandaministe- nach der Machtergreifung der Nationalsozialis- rium ten Haley, William: 1901-1987; Generaldirektor der Burghardt, Max: 1893-1977; erster deutscher BBC von 1944 bis 1952 Intendant des Kölner NWDR-Funkhauses von Hartseil, Wilhelm: Sendeleiter beim Reichssender Mai 1946 bis Februar 1947; ging 1947 in die Hamburg SBZ Haydon, J. Charles: Generalmajor; Intelligence Chaput de Saintonge, Roland: Offizier im Ger- Division HQ Herford 1949 man Information Department, Foreign Office Hynd, John B.: 1902-1971; Staatsminister und von Crawford, Stewart: Im Foreign Office zuständig Juli 1945 bis April 1947 Chef der britischen für Fragen des Rundfunks in der britischen Zo- Kontrollbehörde für Deutschland und Öster- ne reich COGA („Deutschlandminister“) Crowe, W.H.F.: Brigadier, Chef der ISD in Wah- Lieven, Paul: Oberst; militärischer Leiter der Son- nerheide dereinheit, die den Reichssender Hamburg im Dovifat, Emil: 1890-1969; Zeitungswissenschaft- Mai 1945 besetzte ler; seit 1946 am Berliner Institut für Publizis- Maass, Alexander: Rundfunkpionier in der Wei- tik; Vorsitzender des NWDR-Verwaltungsrats marer Republik; musste 1933 als Kommunist seit 1948 emigrieren; Rückkehr mit der britischen Besat- Eden, Anthony: 1897-1977; Britischer Außenmi- zungsarmee 1945; zunächst „Production Chief“ nister von 1940 bis 1945 und von 1951 bis 1955 (Sendeleiter) im NWDR; ab 1947 Leiter der Eggebrecht, Axel: 1899-1991; Journalist und Pub- NWDR-Rundfunkschule; ab 1949 Programm- lizist; im Juli 1945 beim NWDR angestellt, Ab- chef, später stellv. Programmdirektor teilungsleiter, Autor zahlreicher Features, Hör- Neville, Alfred G.: 1891-1955; Brigadier; im spiele, Leiter von Diskussionssendungen; 1946- Sommer 1945 Chef der Information Control 1947 Jahr Mitherausgeber der „Nordwestdeut- Branch

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O’Neill, Con : 1945 stellv. Direktor der Political Zahn, Peter von: 1913-2001; im Juli 1945 beim Division NWDR angestellt, Abteilungsleiter für ver- Palmer, Rex: Seit Frühsommer 1946 Leiter des schiedene Sendungen, Autor zahlreicher Fea- NWDR Hamburg; zugleich Leiter des Rund- tures, Kommentare, Berichte; 1948 Leiter des funks innerhalb der Medienbehörde der Kon- NWDR-Studios in Düsseldorf; ab 1951 erster trollkommission, der sog. Chief-Controller des USA-Korrespondent des NWDR Zonenrundfunks Poston, Ralph: Zweiter Leiter des NWDR Sommer 1945 bis Frühsommer 1946, im Zivilberuf Geistlicher Raskop, Heinrich: Professor; Vorsitzender des NWDR-Verwaltungsrats von 1948 bis 1950, Rundfunkberater von Bundeskanzler Adenauer Robertson, Brian: 1896-1974; General und Ver- waltungsfachmann, ab Mai 1946 stellv. Militär- gouverneur, von November 1947 bis 1949 Mili- tärgouverneur in Deutschland Schnabel, Ernst: 1913-1986; Schriftsteller; von 1946-1949 zunächst Chefdramaturg, später Lei- ter der Abteilung Wort beim NWDR; 1947 Mitbegründer des NWDR-„Nachtprogramm“; 1949-1950 bei BBC London; 1951-1955 Inten- dant des NWDR Schnitzler, Karl Eduard von: 1918-2001; Jour- nalist; 1944 Mitarbeiter der BBC/Abt. Deutschland; 1946-1947 beim NWDR, u.a. als Leiter der politischen Abteilung und stellv. In- tendant; Entlassung aus politischen Gründen, anschließend Übersiedlung in die SBZ Schütz, Eberhard: Erster NWDR-Programm- direktor von September 1947 bis Mai 1949; später Intendant des Funkhauses in Hamburg; Anfang der 50er Jahre Politischer Direktor des RIAS bzw. RIAS-Programmdirektor Stapelfeldt, Kurt: Hauptfunkleiter bei der Norag seit 1924; 1933 entlassen Strang, William: Politischer Berater (Political Advisor) von Militärgouverneur General Brian Robertson Templer, Gerald: Generalmajor; Stabschef und Stellv. Militärgouverneur unter Brian Robertson Thomas, Michael: Ab Anfang 1948 Verbindungs- Offizier bei PR/ISC; ab Sommer 1949 Leiter der Abt. Grundsatz und Planung des Medienwe- sens Thompson, Keith: Experte für Werberundfunk bei Radio Luxemburg, nach Paul Lieven Leiter von Radio Hamburg im Sommer 1945, ging kurz darauf als Controller nach Köln Wilson, Duncan: Im Planungskomitee von BBC und PWE für den Rundfunk in der britischen Zone; von Sommer 1945 bis Frühjahr 1946 Po- litischer Berater (Political Advisor) von Gene- ralmajor Alexander Bishop; übernahm am PR/ISC-Sitz in Bünde die B-Group (Referat für Zeitungen und Rundfunk), dem die Broad- casting Control Units nachgeordnet waren

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Quellenverzeichnis

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13 2 NwdHzR Sonderheft: Re-education durch Rundfunk

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134 NwdHzR Sonderheft: Re-education durch Rundfunk

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NwdHzR Sonderheft: Re-education durch Rundfunk 135

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Lebenslauf Florian Huber

02.12.1967 Geboren in Nürnberg 1978-1987 Gymnasium in Prien am Chiemsee; Studium der Neueren und Neuesten Ge- schichte, Romanistik (Spanisch) und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten München, Freiburg und Köln; Abschluss mit der Magisterarbeit: „Das geschichtli- che Zeitverständnis in der Renaissance“ 1990 Teaching Assistant am Rollins-College, Orlando, Florida (USA); Nachrichtenre- dakteur der Tageszeitung „El Nuevo Día“ (Puerto Rico) 1995-1996 Lektor beim Wirtschaftsverlag Arcum, Köln 1997-1998 Volontariat beim Norddeutschen Rundfunk seit 1998 Redakteur und Autor beim NDR-Fernsehen, Hamburg

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Die Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland, ein Kooperationsprojekt von NDR, WDR, Universität Hamburg und Hans-Bredow-Institut, knüpft mit der vorliegenden Schriftenreihe an eine Tradition an. Von 1946 bis 1948 verantworteten Axel Eggebrecht und Peter von Zahn neben ihrer Rundfunktätigkeit eine Zeitschrift, die „Nordwestdeutschen Hefte“. Sie bot eine Auswahl der wichtigsten und interessantesten Beiträge, die für den NWDR geschrieben wur- den. Unter dem Titel „Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte“ werden in unregelmäßigen Abständen Ergebnisse veröffentlicht, die aus der bisherigen Arbeit der Forschungsstelle hervorge- hen. Hierzu zählen die Edition von Dokumenten aus der Hörfunk- und Fernsehgeschichte des NWDR, kommentierte Ausgaben ausgewählter Zeitzeugen-Interviews sowie wissenschaftliche Untersuchungen zu speziellen Themen der NWDR-Geschichte. Herausgeber der Schriftenreihe sind die Projektbearbeiter Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner. Die „Nordwestdeutschen Hefte zur Rundfunkgeschichte“ sind zum Download unter www.nwdr- geschichte.de über die Forschungsstelle erhältlich.

ISSN 1612-5304