Vergessene katholische Widerstandskämpfer

Der Widerstand gegen das NS-Regime weil besonders christliche NS-Gegner wurde nach dem Krieg in Deutsch- weiter kaum oder gar keine öffentliche land kaum beachtet, ja teilweise sogar Beachtung finden. Dem wollte die be wusst tot geschwiegen oder sogar Akademie-Tagung „Vergessene katho- diffamiert. Erst Jahrzehnte später lische Widerstandskämpfer in Bayern“ wurden und werden die Männer und entgegenwirken, die am 14. November Frauen, die ihr Leben im Kampf gegen 2017 exemplarisch vier Menschen her- das Terrorregime riskierten und oft ausgriff, die ihrer christlichen Gewis- verloren, öffentlich gewürdigt. Doch senspflicht folgten und NS-Justizmor- es bleiben noch viele dunkle Flecken, den zum Opfer fielen.

Karl Ludwig Freiherr von Dr. Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg ist Historikerin und Tochter des Widerstandskämpfers Karl und zu Guttenberg (1902 bis 1945) Ludwig zu Guttenberg. Ihr Referat hatte den Titel „Ein kon- servativer katholischer Christ und bayerischer Monarchist im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg

I. und ihr Widerstand habe viel zu spät SS im Auftrag der , ohne dass lebensgefährlich und sie konnten nur eingesetzt. Ebenso wenig kann für ihn er je einen Prozess gehabt hätte oder gelingen, weil die Menschen der damali- Karl Ludwig zu Guttenberg wurde am der weitere Vorwurf gelten, dass die Na- sonst verurteilt worden wäre. Damit er- gen Zeit, vor allem, wenn sie mit dem 22. Mai 1902 als dritter Sohn und vier- tionalkonservativen, selbst wenn sie litt er das Schicksal all derer, die entwe- Regime nicht einig waren, sehr gut zwi- tes Kind seiner Eltern in Würzburg ge- später Widerstand leisteten und sogar der in oder für die Abwehr unter Cana- schen den Zeilen Verstecktes lesen und boren. Sein Vater Karl Theodor zu Gut- ihr Leben dafür einsetzten, Hitlers ris gegen das Regime gearbeitet hatten, verstehen konnten. Vor diesem Hinter- tenberg starb als Guttenberg zwei Jahre Machtübernahme zunächst begrüßt hät- wie auch Dietrich Bonhoeffer. Heute er- grund wird klar, dass diese Kritik tief alt war. Nach dem Abitur studierte Karl ten. klären Wissenschaftler diese Tatsache versteckt in anderen, auch nationalsozia- Ludwig zuerst Jura in Erlangen, nach Guttenberg hatte während der Wei- mit dem Hinweis darauf, dass die Mit- listischem Gedankengut gefälligeren Tex- kurzer Zeit wechselte er nach München marer Zeit versucht, mit der Zeitschrift glieder der Abwehr einfach zu viel über ten sein musste. und begann dort mit seinem Geschichts- Monarchie den Gedanken an die Mon- die Gräueltaten der Nationalsozialisten Der damals hoch geschätzte christli- studium, das er mit einer Dissertation archie als Staatsform wach zu halten. wussten. Daher kam ein Prozess nicht che Schriftsteller Reinhold Schneider, über „Lenin in der deutschen Presse“ in Diese Zeitschrift, die einen Artikel zum in Frage, denn eventuell wäre etwas über der aber seit den 1968er Jahren aus der Würzburg abschloss. Kurz vorher, im Geburtstag des ehemaligen deutschen dieses Wissen in den Aussagen nach Literaturwelt verschwunden ist, war der Jahre 1929, hatte er Therese Benedikta Kaisers, der im niederländischen Doorn außen gedrungen. In die Hände der wichtigste Autor in den Weißen Blät- Prinzessin zu Schwarzenberg geheiratet. lebte, veröffentlicht hatte, wurde im Ja- Feinde durften sie auf Grund ihres Wis- tern. Reinhold Schneider schrieb gern Das Paar bekam drei Kinder und be- nuar 1934 beschlagnahmt und verbo- sens aber auch nicht fallen. gelesene historische Artikel. Dieser christ- wohnte, mit einer kurzen Unterbrechung ten. Guttenberg gelang es 1935, die Er- Den Leiter, der das Rollkommando liche Dichter griff mit seinen Texten in in Würzburg, die Salzburg bei Bad Neu- laubnis für eine neue Zeitschrift zu er- gegen meinen Vater befehligte, fand die die geistige Auseinandersetzung mit dem stadt/Saale in Unterfranken. Mein Va- halten. Ihr gab er den Titel Weiße Blät- Polizei erst Anfang der 1970er Jahre in Nationalsozialismus in der Weise ein, ter, der eine journalistische Tätigkeit an- ter – Monatszeitschrift für Geschichte, Bonn. Kurt Stawinsky war da schon ge- dass seine historischen Ausführungen strebte, fand mit Hilfe seines Schwieger- Tradition und Staat. Die Weißen Blätter storben. Er hatte völlig unbehelligt un- dazu beitrugen, die Gegenwart an der vaters, des Fürsten Schwarzenberg, eine konnten bis März 1943 erscheinen. Die- ter falschem Namen gelebt. Professor Vergangenheit zu messen. Diese Gegen- Stelle im Aufsichtsrat der Münchner Neu- se Zeitschrift sollte Guttenberg den Weg Johannes Tuchel, Leiter der Gedenk- wart allerdings wurde in Form von Kurz- esten Nachrichten, der Vorläuferin der in den eigentlichen Widerstand ebnen. stätte Deutscher Widerstand in Berlin, meldungen festgehalten. heutigen Süddeutschen Zeitung, die zu 1942 wurde er nach Berlin ins Ober- deckte diese Erkenntnisse in seinem Reinhold Schneider entwarf in einem dieser Zeit, konservativ ausgerichtet, eine kommando der Wehrmacht, Amt Aus- Buch Denn ihrer aller wartet der Strick seiner Texte in den Weißen Blättern bei- der wenigen deutschen Zeitungen war, land Abwehr, berufen. Hier war sein Vor- auf. spielsweise ein lebendiges Bild vom ide- die bis zur sogenannten „Machtergrei- gesetzter Admiral Canaris. Mit Hans von alen König: „Der ideale König … ist mil- fung“ die Nationalsozialisten bekämpf- Dohnanyi arbeitete er unter Generalma- II. de und freundlich; Vernunft ist sein Rat- te. Entsprechend hart war die Vergel- jor Hans Oster. In dieser Abteilung wur- geber, das Gewissen steht neben seinem tung der Nationalsozialisten. de bekanntlich so lange der Aufstand ge- Wie und warum Guttenberg zum Thron und hilft ihm, das Recht zu be- So erlebte Guttenberg, wie die neuen gen Hitler geplant, bis es 1943 der Ge- eigentlichen Widerstand stieß, verrät schützen. Er weiß, dass er die Kirche Machthaber mit dem Leben und dem stapo gelang, Admiral Canaris und Hans der Inhalt der Weißen Blätter. Am An- und die Weisheit schirmen soll. Alles sei Eigentum ihrer Gegner umgingen, vor Oster auszuschalten und sich nun die fang noch schien es Guttenberg darum sein, erklärt ihm das Gewissen, damit er allem, wenn sie Juden waren. Mein Va- Planung auf die Gruppe um Henning von zu gehen, die Monarchie als Staatsform es verteidige, nichts, damit er es an sich ter war Monarchist und bayerischer Fö- Treskow und Klaus Graf Stauffenberg im Gedächtnis der Leser lebendig zu reiße.“ Hitler entsprach dem in keiner deralist und daher kein Anhänger der konzentrierte. In Berlin lernte mein Va- halten. Doch dann verschob sich dieses Weise, hier waren die Problemfelder des Weimarer Republik. Seine geistigen Wur- ter auch Helmut James Graf Moltke ken- Ziel. Das Gedenken an die Monarchie Widerstands deutlich angesprochen. Die zeln hatte er im Christentum, was ihn nen und kam so auch in den weiteren als Staatsform der Vergangenheit diente Wiederherstellung des Rechts war das dann zusätzlich zu einem Gegner der Kreis von Kreisau. dazu, die Defizite der Staatsform des oberste Anliegen der Männer und Frau- Nationalsozialisten werden ließ. Obwohl Er wurde, im Zuge des misslungenen Nationalsozialismus in der Gegenwart en des 20. Juli 1944. Damit eng verbun- er seitens der Historie dem konservati- Attentats auf Hitler am Juli 1944 in aufzuzeigen. Man maß die Gegenwart den waren oft das Fehlen des Schutzes ven Widerstand zugerechnet wird, trifft Agram, dem heutigen Zagreb, verhaftet an der Vergangenheit. Das gab die Mög- für die Kirchen und, nennen wir Weisheit auf ihn das oft pauschal vertretene Ur- und auf Umwegen in das Gefängnis in lichkeit, eben diese Gegenwart zu kriti- einmal Wissenschaft, deren Freiheit. Hit- teil nicht zu, alle Nationalkonservativen der Lehrterstraße nach Berlin gebracht. sieren. Die nationalsozialistischen Pres- ler riss im Sinne der Ideologie des Nati- seien Steigbügelhalter Hitlers gewesen In Verhören gefoltert, ermordete ihn die segesetze machten solche Bestrebungen onalsozialismus alles an sich.

zur debatte 1/2018 17 Dass nicht nur Soldaten Schwierig- keiten mit dem Eid auf den Führer hat- ten, beweisen die Berichte über Proble- me von Christen im Staatsdienst. So entzog der württembergische Kultus- minister sämtlichen katholischen und evangelischen Geistlichen, die wegen Un terrichtserteilung an öffentlichen Schulen das Treuegelöbnis auf den Füh- rer abzulegen hatten und das nicht oder nur unter Vorbehalt tun wollten, den Religionsunterricht und beauftragte staatliche Lehrer, „da es einen Eid mit Vorbehalten nicht geben könne, wer glaubt, einen Eid nicht halten zu kön- nen, muß seinen Dienst aufgeben.“ Natürlich berichteten die Weißen Blätter über die Verhaftungen von Geistlichen wegen scheinbarer Devisen- vergehen. Man kann in den Weißen Blättern nachlesen, dass „das Sonderge- richt München einen Kapuzinerpater aus Immenstadt wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte, weil er in Volks- missionspredigten die verleumderische Behauptung aufgestellt hatte, dass es „mit Kraft durch Freude auch nicht zum besten bestellt sei“, da die Leute da- durch den Sonntagsgottesdienst ver- säumten und „ihre Kraft durch Freude verbrauchten“. Die Urteilsbegründung lautete: „Diese Äußerungen wurden als geeignet angesehen, das Ansehen einer staatlichen Einrichtung, die sich in den breiten Massen des Volkes größter Be- liebtheit und im Ausland uneinge- schränkter Anerkennung erfreut, zu schädigen.“ Der Kirchenkampf betraf nicht nur die politische Ebene. Er war auch eine geistesgeschichtliche Kampfansage: das Christentum sollte von der nationalsozi- alistisch rassistisch geprägten Ideologie abgelöst werden. Auch dieser Kampf fand unter verschiedenen Aspekten statt. Guttenberg schrieb einmal an Reinhold Schneider, für ihn würden alle Probleme, tief durchdacht zu religiösen Problemen. So war es für ihn keine Schwierigkeit, auch die geistige Ausein- andersetzung aufzunehmen. Die Aus- einandersetzung zwischen Ferdinand Freiherrn von Lüninck, dem Oberpräsi- denten von Westfalen und Bischof Cle- mens August Graf von Galen wegen des Auftritts des NS-Ideologen Alfred Ro- senberg, des Verfassers von Mythus des 20. Jahrhunderts, fand ausführlich Ein- gang in die Kurzmeldungen, ebenso die Anfeindungen gegen die Enzyklika Mit brennender Sorge: „Der deutsche Bot- schafter am Vatikan hat im Auftrag der Reichsregierung dem Kardinalstaatsse- kretär eine Note überreicht, die gegen die Ausführungen der päpstlichen Enzy- Die historischen Abbildungen auf dieser und den folgenden klika vom 14. März schärfste Verwah- Der spätere Widerstandskämpfer bei Seiten sind entnommen dem Buch „Karl Ludwig Freiherr rung einlegt.“ von und zu Guttenberg. Ein Lebensbild“. Erschienen 2003 seiner Hochzeit mit Therese Benedikta im Berliner Lukasverlag. Die Enzyklika, die Papst Pius XI. un- Prinzessin zu Schwarzenberg. ter der Federführung Eugenio Pacelli, des späteren Pius XII. veröffentlichte, setzte sich auch mit der Rassenfrage aus- einander und erregte in Deutschland das größte Missfallen der Machthaber. Die Nationalsozialisten ließen nichts unver- Der Widerstand gegen den National- Problem für das Regime lag nicht nur in und Wilhelm Leuschner, haben ihre sucht, um zu verhindern, dass das Sch- sozialismus entstand aus den unter- den Massen, die der kirchliche Protest Weiterbildung in ihren weltlichen Ge- reiben des Papstes, wie das bei Enzykli- schiedlichsten Betroffenheiten der Men- unter Umständen mobilisieren konnte, werkschaften erhalten. Die National- ken üblich war, in den Kirchen von der schen, die die unterschiedlichsten Ebe- es galt auch, die geistige Ausrichtung, sozialisten aber wollten weder bewusste Kanzel verlesen wurde. Einen Monat nen des menschlichen Lebens beinhal- die Werte, auszuschalten, die die Verei- Christen noch selbstbewusste Demo- später hieß es in den Weißen Blättern: teten. Er war facettenreich. Aber ebenso ne, Verbände und damit auch die christ- kraten haben, sondern die Menschen „Reichsinnenminister Frick erklärte in vielfältig waren dann innerhalb dieser lichen Gewerkschaften ihren Mitgliedern nach ihren Vorstellungen prägen. So Bremen: „Wir haben nun genug von Hir- Facetten die Probleme, die sie mit sich vermittelten. sind die Weißen Blätter in den Kurz- tenbriefen und wollen keine Hirtenbriefe brachten. Zu dieser Zeit spielte Fortbildung eine nachrichten voll von Berichten über und Enzykliken mehr.“ Im Januarheft völlig andere Rolle als heute. Industrie aufgelöste oder gleichgeschaltete christ- 1940 verwies Guttenberg auf die Weih- III. und Wirtschaft boten auf diesem Gebiet liche Verbände und Vereine, beschlag- nachtsansprache des Papstes: „In einer wenig bis gar nichts an, das leisteten die nahmte und verbotene Zeitschriften. Weihnachtsansprache an das Kardinals- Das lässt sich gut am Kirchenkampf Verbände, Vereine und Gewerkschaften. Dort war zu lesen, dass in Bayern von kollegium spricht der Papst über die Si- ablesen. Da war zunächst der politische Sie boten die Möglichkeit, nach einem den anderthalb tausend klösterlichen cherung der Lebensrechte aller Nationen Kampf gegen die Kirche. Hier zitierte oft niederen Schulabschluss, sich weiter Volksschullehrerinnen 1250 abgebaut als Voraussetzung für einen gerechten mein Vater Alfred Rosenberg mit dessen zu bilden. So hat z. B. Nikolaus Groß und die 100 klösterlichen höheren Frieden.“ Behauptung, dass der Nationalsozialis- seine Bildung in der Katholischen Ar- Schulen entweder beseitigt oder stufen- Das alles klingt heute verklausuliert, mus an drei Fronten zu kämpfen habe, beitnehmerbewegung (KAB) erworben. weise umgestaltet wurden. Das Gleiche war aber den damals Lebenden durch- nämlich „gegen Judentum, Reaktionis- Die großen sozialdemokratischen Ge- gelte für die klösterlichen dreiklassigen aus vertraut und entschlüsselbar. Dass mus und politischen Katholizismus“. Das werkschafter im Widerstand, Julius Leber Mittelschulen. der Nationalsozialismus tatsächlich

18 zur debatte 1/2018 eine Gefahr für den Glauben darstellte, bewies ein Zitat aus einer Rede Baldur von Schirachs: „Man sagt, die Hitlerju- gend sei religionsfeindlich und wolle die Altäre einreißen. Ich weiß und bekenne mit der ganzen deutschen Jugend nur das eine: wer Adolf Hitler liebt, der liebt Deutschland und wer Deutschland liebt, der liebt Gott.“ IV.

All diese Meldungen fanden auch im privaten Leben Guttenbergs ihren Nie- derschlag: 1937 lehnte Guttenberg die ihm angetragene Aufnahme in die Par- tei in einem Brief an den Kreisleiter von Bad Neustadt mit folgender Begrün- dung ab: „Art und Form, mit welcher religiöse und kirchliche Fragen inner- halb der Partei zeitweise behandelt und zu lösen versucht werden, lassen sich aber mit meinem Empfinden so schwer in Einklang bringen, daß ich ein er- sprießliches Wirken für meine Person in der Partei selbst zur Zeit noch nicht zu sehen vermag“, so zitierte U. Cartarsius in seinem Buch Opposition gegen Hit- ler. Deutscher Widerstand. 1933 – 1945 den Brief meines Vaters. Guttenberg erkannte, dass im Hitler- kult nichts Geringeres stattfand als der Versuch, mit der eigenen Ideologie die christliche Religion auszuhebeln. Wie das bei den nationalsozialistischen Pro- testanten, den Deutschen Christen, aus- sah, machte diese kurze Notiz in den Weißen Blättern deutlich: „Auf einer Berliner Versammlung der Deutschen Christen erklärte Pfarrer Tausch, die Deutschen Christen wollten wohl das reformatorische Werk Martin Luthers, aber mit demselben Recht und Rang die von Adolf Hitler verkündete frohe Bot- schaft von Rasse, Boden und Blut. Pfar- rer Steiger sagte, „daß Gott mit der Welt nunmehr einen dritten Bund geschlos- sen habe durch seinen Gottesknecht, welcher im Schützengraben und in aller Armut die Bedrängnis der Welt getragen und damit aus sich heraus eine neue Einheit gesetzt habe; das deutsche Volk werde als Gottesgebärer das in Wahrheit ausgewählte Volk des neuen Äons sein.“ Der nationalsozialistische Vorwurf, das jüdisch-römisch orientierte Chris- tentum habe das ursprünglich tatkräfti- ge und wertvolle Germanentum zerstört und verweichlicht, führte auch inner- halb der evangelischen und katholi- schen Christenheit zu Stellungnahmen. In den Weißen Blättern finden wir eine Diskussion zwischen den Autoren Erich Müller-Gangloff und Reinhold Schnei- der über die Frage, ob das Christentum eine Religion des Leidens oder der Tat sei. Für den evangelischen Christen Müller ist das Christentum eine tatkräf- tige Religion, da sie letztlich auf Paulus Karl Ludwig zu Guttenberg 1942 in fußt. Der Katholik Schneider hingegen Wehrmachtsuniform – er diente unter führt an, dass sie, in deren Zentrum das Admiral Wilhelm Canaris im Oberkom- Opfer Christi steht, eine Religion des mando der Wehrmacht/Abteilung Leidens sei. Abwehr. Diese Diskussion war nicht ungefähr- lich. Das beweist das Schicksal des Münchner Historikers Hermann On- cken. Onckens ehemaliger Schüler An- Umgang mit den Wissenschaften be- seinen Angriffen gegen Oncken begon- V. ton Ritthaler gehörte von Anfang an dem leuchtete. nen, den er 1935 als Vertreter einer Redaktionsstab der Weißen Blätter an. Oncken hatte sich in einem Zeitungs- „durch die Gegenwartserfordernisse Das dritte Beispiel, wie die Kurzmel- Als ein anderer Schüler Onckens – Wal- beitrag mit der Entwicklung des Ge- überholte, weil lebensuntüchtige Ge- dungen die Übergriffe der Nationalsozi- ter Franke – diesen angriff, setzte sich schichtsbildes im neuen Deutschland schichtswissenschaft“ abqualifizierte. alisten in die Rechte der Bürger heraus- Anton Ritthaler in den Weißen Blättern auseinandergesetzt. Er forderte Behut- In einem Artikel im Völkischen Be- stellten, betrifft die so genannte „jüdi- für seinen alten Lehrer ein. Hermann samkeit im Umgang mit der Vergangen- obachter vom 3. Februar 1935 hatte sche Frage“. Schon vor der wortwört-li- Oncken versuchte die hemmungslose heit. So sei das deutsche Volkstum nun Frank gefordert, dass „… die Zeitgebun- chen Veröffentlichung der Rassen- Begeisterung der Nationalsozialisten für zum vornehmsten Gegenstande der Ge- denheit ja gerade die erste Voraussetzung gesetze, der Aberkennung ihrer akade- die germanische Vergangenheit der Deut- schichtsbetrachtungen geworden und einer Mitwirkung des Historikers an den mischen Titel, der Berufsverbote bis hin schen und die damit verbundenen Ge- diese stärkere Belichtung würde mit Schicksalen der Nation sei, jener objekti- zu dem Verbot für Juden in Österreich, schichtsklitterungen etwas einzudäm- Verdunkelung anderer Gegenstände er- ve Standpunkt aber müsse mit der Rela- Trachtenkleidung wie Dirndl tragen men. Im Augustheft 1934 veröffentlichen kauft, ein Vorgang, der durchaus ethi- tivierung aller Werte erkauft werden.“ zu dürfen, finden wir eine große An- die Weißen Blätter in ihrer Rubrik ‚Stim- sche Wertungen gefährde. Oncken be- Diese Vorstellung, die Ziele der Natio- zahl der fortlaufenden, diskriminieren- men und Urteile’, Auszüge aus einem mühte sich in dem Zeitungsartikel, als nalsozialisten müssten auch unter „Re- den Einschränkungen, die der National- Artikel von Hermann Oncken. Damit liberaler und nationaler Historiker, lativierung aller Werte“ erkauft werden, sozialismus den Juden auferlegte. Es beteiligten sich die Weißen Blätter, wie Rankes Ideal der Objektivität wieder lässt sich anhand der Kurznachrichten dürfte stimmen, dass ein Großteil der in den kommenden Jahren, an einer im zur Geltung zu bringen. Sein Schüler auch in anderen Bereichen verfolgen. deutschen Bevölkerung nichts oder nur Allgemeinen nicht ungefährlichen Dis- Walter Frank hatte schon vor 1933 un- Oncken verlor seine Professur an der wenig vom Holocaust wusste. Aber das kussion, die den nationalsozialistischen ter dem Decknamen Werner Fiedler mit Münchner Universität. war die Spitze des Eisbergs, und man

zur debatte 1/2018 19 der Gestapo gerieten, setzte allerdings – genau wie es Oster befürchtet hatte – eine neue Verhaftungswelle ein, die so- gar zu Todesurteilen führte. In Berlin entwickelte sich aus der neuen Bekannt- schaft mit Helmut James Graf Moltke auch eine echte Freundschaft. Gutten- berg gehörte so bald zum Kreisauer Kreis. Guttenbergs Rolle im Widerstand war die eines Netzwerkers. Die Heraus- gabe der Weißen Blätter erforderte per- sönliche Kontakte zu Lesern und Auto- ren. Das war mit häufigen Reisen ver- bunden, die wegen seiner Position im Oberkommando nicht auffielen. Diesem wichtigen Punkt im Aufbau des Wider- stands dienten zum einen Goerdeler, aber auch die Gewerkschafter Julius Le- ber und Wilhelm Leuschner: Guttenberg verfügte zusätzlich über freundschaftli- che und verwandtschaftliche Beziehun- gen nach Süddeutschland, Österreich und das heutige Tschechien. Er brachte Carl Friedrich Goerdeler und Ulrich von Hassel zusammen. Er organisierte ein Treffen zwischen den Jungen und den Alten im Widerstand. Er stellte über Pa- ter Augustin Rösch die Verbindung zu den Jesuiten für den Kreisauer Kreis her. Die Jesuiten waren die ausgewiesenen Kenner der katholischen Soziallehre. Helmuth James Graf Moltke und der Kreis um ihn wollten auch die Gewerk- schaften in ihre Planung einbinden. Guttenberg brachte auch einige Male Nachrichten von Helmuth James Graf Moltke zum Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing. Der Besuch des ka- tholischen Bayern erregte in den Augen der Geheimen Staatspolizei weniger Ver- dacht, als wenn der Preuße und Protes- tant Helmuth James Graf Moltke selbst ins bischöfliche Palais gegangen wäre. Das Netz der unterschiedlichen Geg- ner des Nationalsozialismus zeigt die Vielfalt der Gründe des Einzelnen, Wi- derstand zu leisten. Dieses Netz war aber für den Einzelnen auch von unverzicht- barer Tragkraft. Einst festverwurzelt in ihren Institutionen und vertraut mit de- ren Werten, sprengten sie für sich die Grenzen zwischen diesen einzelnen Gruppierungen und bildeten neue Krei- se. Das „Schubladendenken“ der dama- ligen Zeit darf nicht unterschätzt wer- den, sonst nimmt man dem Widerstand eine seiner wichtigsten Eigenschaften. Hier trafen Grundbesitzer und Industri- elle mit Gewerkschaftern aufeinander, Aristokraten mit Sozialisten und Kom- munisten, Katholiken mit Protestanten sowie Preußen mit Bayern und freunde- ten sich sogar an, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: die „Wiederherstel- lung der Majestät des Rechts“. Sie alle zusammen prägten damals das Gesicht Auch dieses Bild entstand 1942 und ist des Widerstands und standen für seinen ein Geburtstagsgeschenk für General Facettenreichtum, den heute viele nicht Hans Oster: Karl Ludwig zu Guttenberg mehr sehen wollen. Den Widerstand (li.) mit Hans von Dohnanyi und Justus leisteten nicht einzelne herausragende Delbrück. Helden, sondern sie waren eingebettet in ein Netz von Mitstreitern, die sie stützten und damit ihre Ursprungsinsti- tutionen ersetzten und deren Aufgabe übernahmen. Für die nächsten Genera- sollte sich nicht dahinter verstecken. Al- ein großes Anliegen war, finden wir un- nannten Zossener Akten her. Oft mit den tionen gilt – auch bezogen auf den Wi- les, was dorthin führte, konnte man ter den Autoren der Zeitschrift neben Namen der Zeugen verbunden, wurden derstand gegen das NS-Regime –, wie wissen, wenn man sich Mühe gab, den Reinhold Schneider und Werner Ber- hier minutiös die Rechtsbrüche und bei fast allen Situationen unseres Le- Nächsten wahrzunehmen. gengruen auch Rudolf Alexander Schrö- Gräueltaten der Nazis aufgezeichnet bens, Brechts resignierender Feststel- Reinhold Schneider sollte Jahre spä- der und Jochen Klepper. Aber auch spä- und gesammelt. Dohnanyi hatte mit die- lung entgegen zu wirken: ter in seinem Buch Verhüllter Tag das tere Widerständler veröffentlichten in ser Arbeit schon während seiner Zeit im Anliegen der Zeitschrift so umschreiben: der Zeitschrift, so der ehemalige Bot- Justizministerium in Leipzig begonnen. „Denn die einen sind im Dunklen „Der Zweck war, Menschen zu verbin- schafter Ulrich von Hassel. Er stellte Später verlangte der Militär Oster, dass Und die andern sind im Licht den, wenn möglich ein Wort zur Zeit zu über Generaloberst Ludwig Beck die diese Akten vernichtet werden sollten: Und man siehet die im Lichte sagen und geistig-religiöse Grundlagen Verbindung zu Admiral Canaris her, dem Feind, den Nazis, sollten sie nicht Die im Dunklen sieht man nicht.“ „ zu vertiefen und zu erneuern.“ Gutten- Guttenberg wurde – wie oben schon er- in die Hände fallen. Delbrück und Dohn- berg und Schneider wollten zusätzlich wähnt – als Sonderführer ins Oberkom- anyi, die Juristen, bewahrten die Akten neben der Information auch Orientie- mando der Wehrmacht in das Amt Ab- auf, weil sie nach dem Krieg Material rung geben. wehr berufen und kam so in engeren gegen die zu verurteilenden National- In den Weißen Blättern veröffentlich- Kontakt mit dem Widerstand. sozialisten in der Hand haben wollten. ten nicht nur Dichter, die den National- In der Abwehr stellte mein Vater mit Auch Guttenberg – als Historiker – sah sozialisten missliebig waren und später Justus Delbrück unter Anleitung von hier wichtige Quellen für die Nachwelt. der inneren Emigration zugerechnet Hans Oster und der Federführung von Die Akten blieben erhalten. Als sie im wurden. Da die Ökumene Guttenberg Hans von Dohnanyi die später so ge- Herbst 1944 dann doch in die Hände

20 zur debatte 1/2018 Franz Sperr (1878 bis 1945)

Manuel Limbach

Den Widerstand gegen den National- Anstoß für erste umfangreichere, ge- sozialismus in Bayern verbindet man schichtswissenschaftliche Darstellungen heute vor allem mit der „Weißen Rose“ zu Franz Sperr und seinem Widerstands- um die Münchener Studenten Hans und kreis. Eine detaillierte Studie zu Vorge- Sophie Scholl. Auch ist der Kunstschrei- schichte, Aufbau und Wirken des baye- ner und „Bürgerbräu-Attentäter“ Georg rischen „Sperr-Kreises“ aus der Feder Elser vielen ein Begriff. Dagegen kennt des Autors dieses Beitrags wird voraus- kaum jemand den letzten Bayerischen sichtlich im Herbst 2018 erscheinen. Gesandten in Berlin, Franz Sperr, der von 1935 bis 1944 einen über die Gren- II. Offizier und Gesandter im Dienste zen Bayerns hinaus wirkenden Wider- Bayerns standskreis gegen Hitler um sich bilde- te. Diesem liberal und katholisch gepräg- Franz Sperr wurde am 12. Februar ten „Sperr-Kreis“ kommt im Gesamtbild 1878 im unterfränkischen Karlstadt am des Widerstands im „Dritten Reich“ Main geboren. Er entstammte einer dem durchaus Bedeutung zu. Die folgende Hause Wittelsbach schon über Jahrzehn- Darstellung zeigt, dass Franz Sperr des- te verbundenen Försterfamilie. Erst sein halb bis heute zu Unrecht ein Schatten- Vater Ludwig hatte mit dieser Familien- dasein führt. tradition gebrochen und war Ingenieur der Königlich-Bayerischen Staats-Eisen- I. Gedenken und historische Aufarbei- bahnen geworden. tung Nach der Geburt Franz Sperrs zog seine Familie aufgrund der Beamtentä- Wie konnte Franz Sperr in Vergessen- tigkeit des Vaters regelmäßig innerhalb heit geraten? Nach 1945 schien zunächst des bayerischen Königreichs um. Der das Gegenteil der Fall zu sein. Denn das zufällige Geburtsort Karlstadt dürfte für öffentliche Gedenken an Sperr setzte den jungen Sperr deshalb nicht beson- Manuel Limbach arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter vergleichsweise früh ein. „In Memoriam ders prägend gewesen sein. Dagegen im Bundesarchiv in Koblenz und stellte das Schicksal von Franz Sperr“ lautete die Überschrift ei- scheint die aus Aschaffenburg stammen- Franz Sperr vor. „Gesandter und Widerständler im Dienste nes Artikels der Süddeutschen Zeitung de, tiefgläubige katholische Mutter Franz Bayerns“ lautete der Titel seines Referats. vom 25. Januar 1946. Schon ein Jahr und seine drei Geschwister nachhaltig nach der Hinrichtung Franz Sperrs skiz- beeinflusst zu haben, zugleich gab sie zierte Georg Deininger, ehemaliger Re- ihnen eine fränkische Liberalität mit auf serveleutnant und enger Vertrauter Sperrs den Weg. im Widerstand, dessen Leben in den Jah- In Kempten im Allgäu besuchte Franz marschall Paul von Hindenburg und erfolgte deshalb seine Versetzung zum ren nach 1933. Wenig später wurde ein Sperr das Gymnasium, sein Abitur soll- dessen Generalstabschef Erich Luden- bayerischen Militärbevollmächtigten kleiner Weg in München-Feldmoching te er „mit großer Auszeichnung“ auf dem dorff zum Beauftragten des Chefs des nach Berlin, wo er wenig später die Ge- nach dem letzten Bayerischen Gesand- Humanistischen Gymnasium in Ulm ab- Feldeisenbahnwesens der 8. Armee be- schäftsführung der Dienststelle über- ten in Berlin und Widerstandskämpfer solvieren. Anschließend schlug er eine fördert wurde. nehmen sollte. gegen den Nationalsozialismus benannt. Offizierslaufbahn ein. Sperrs sehr gute Wiederum richtungsweisend war Zeit seines Lebens blieb Franz Sperr Die öffentliche Erinnerung an Franz Leistungen spiegelten sich in seinem Sperrs Abordnung zur Armeeabteilung parteipolitisch ungebunden. Dagegen Sperr sollte sich jedoch rasch auf eine schnellen Aufstieg wider. Vom einfachen des Kriegsministeriums in München im hielt er bis 1918 und wohl auch darüber zunehmend private Ebene verlagern und Fahnenjunker wurde er nach nur fünf März 1917, wo er die Demobilmachung hinaus dem Hause Wittelsbach die Treue. schließlich vollends aussetzen. Zwar rief Monaten zum Fähnrich befördert und vorbereiten sollte. Sperr stellte sein aus- Entsprechend aufgebracht reagierte Sperr der Erlanger Universitätsprofessor Ernst an die Münchner Kriegsschule komman- gesprochenes Organisationstalent und auf den Ausbruch der Revolution im No- Meier – ebenso ein früher Weggefährte diert, wo er 1899 den Offizierslehrgang diplomatisches Feingefühl unter Beweis. vember 1918. Damals wollte er nicht zu Sperrs im Widerstand – bis Anfang der mit Auszeichnung beendete. Im gleichen Im Bayerischen Kriegsministerium ge- jenen zählen, die den König in dieser 1960er Jahre die Mitglieder des Wider- Jahr zum Leutnant ernannt, entschloss langte man zu der Überzeugung, dass schweren Stunde im Stich ließen. Den- standskreises zu Gedenkveranstaltungen sich Franz Sperr nach Abschluss seiner er seine Arbeit fortsetzen und professio- noch trat er in den Jahren der Weimarer zusammen. Doch geriet Sperr anschlie- zweijährigen freiwilligen Dienstzeit, Be- nalisieren solle. Ende Oktober 1918 Republik nicht als glühender Monarchist ßend in Vergessenheit. Weder die Öffent- rufssoldat zu werden. Den vier Jahren lichkeit noch die Geschichtswissenschaft bei seinem Stammregiment in Neu-Ulm nahmen nachhaltig Kenntnis von seinem folgten drei weitere beim Landwehrbe- Schicksal. zirkskommando Passau, ehe er 1906 in Die Gründe hierfür dürften vielfältig der Münchener Kriegsakademie die Aus- gewesen sein: Der Zeitgeist spielte eine bildung für den Generalstab der Bayeri- große Rolle. So wurden die Widerständ- schen Armee antrat. ler vom 20. Juli 1944 insgesamt von ei- Für Franz Sperrs spätere Sicht des nem Großteil der westdeutschen Bevöl- Föderalismus und seinen Platz im Wi- kerung noch Jahrzehnte lang als Hoch- derstand dürfte dieser Schritt prägend verräter angesehen. Zudem hatte der gewesen sein. Schließlich unterstrichen „Sperr-Kreis“ keinerlei schriftliche Auf- der in Friedenszeiten eigenständig agie- zeichnungen hinterlassen, was eine ge- rende Generalstab und die Kriegsaka- schichtswissenschaftliche Rekonstrukti- demie die weitgehende Eigenständigkeit on schwierig erscheinen ließ. Last but Bayerns in militärischen Fragen. Zu- not least: Die Persönlichkeit Franz Sperr gleich schuf sich Sperr in jenen Jahren war nicht so recht zu greifen. Weder ge- ein umfangreiches Beziehungsgeflecht hörte er einer politischen Strömung an, innerhalb des aktiven Offizierskorps, noch war er dem militärischen Wider- auf das er nach 1933 im Rahmen seiner stand zuzurechnen. Er war ein katholi- Widerstandstätigkeit zurückgreifen scher, bayerischer Föderalist. Ihm fehl- konnte. ten lange Zeit die Fürsprecher, die ein Im Oktober 1913 stand der nächste öffentliches Gedenken hätten anstoßen wichtige Karriereschritt an: Franz Sperr können. wurde zum Großen Generalstab des Dies sollte sich erst im Zuge des Re- Preußischen Heeres befohlen. Er betrat gierungsumzugs von Bonn nach Berlin nun zum ersten Mal das Berliner Par- um die Jahrtausendwende ändern. Nun kett und sammelte diplomatische Erfah- war das geschichtspolitische Interesse rungen, von denen er in den Jahren der bayerischen Staatsregierung am letz- zwischen 1919 und 1934 als bayerischer ten bayerischen Gesandten in Berlin ge- Interessensvertreter in Berlin profitieren weckt. In der neuen bayerischen Vertre- sollte. Rechtsanwalt Berthold Goerdeler aus Mitglieder des deut schen Widerstandes. tung in Berlin wurde öffentlichkeitswirk- Zu Beginn des Ersten Weltkrieges München (li.) ist ein Enkel des Daneben der Münchner Weihbischof sam ein Besprechungsraum nach Franz wurde Sperr als Generalstabshaupt- Leip ziger Oberbürgermeister Carl Rupert Graf zu Stolberg, der ebenfalls Sperr benannt. Eine Gedenktafel folgte mann nach Ostpreußen versetzt, wo er Goerdeler, ei nem der bedeutendsten an unserer Veranstaltung teilnahm. 2004. Die Initiativen boten zugleich den unter dem Oberbefehl von Generalfeld-

zur debatte 1/2018 21 nahmen die Möglichkeiten zu nehmen, die Verfassung in ihrem Sinne auszuhe- beln. Auf dieses Vabanquespiel wollte sich Franz Sperr allerdings nicht einlas- sen. Kurz darauf setzte die Reichsregierung einen Reichskommissar in Preußen ein. Der so genannte Preußen-Schlag vom Juli 1932 mehrte die Vermutung, Berlin werde auch mit anderen Reichsteilen in den folgenden Monaten kurzen Prozess machen. Die weitere Entwicklung sollte zei- gen, dass die Handlungsspielräume Bay- erns immer kleiner wurden. Noch im Dezember 1932 und Januar 1933 ver- suchte Franz Sperr, vom neuen Reichs- kanzler Kurt von Schleicher eine Ga- rantie für die Souveränität Bayerns zu erlangen. Nach dem Rücktritt des Kabi- netts Schleicher Ende Januar 1933 wur- de erneut Franz von Papen mit Regie- rungssondierungen beauftragt. Gegen- über einer erneuten Kanzlerschaft Pa- pens, die als einzige Alternative zu einer Regierungsübernahme Hitlers im Raum stand, äußerste Sperr zwar schwerste Bedenken und drohte sogar mit Konse- quenzen, die Bayern in diesem Fall er- greifen müsse. Allerdings hatte er auch längst erkannt, dass es einem Reichs- kanzler Hitler mit Hilfe der Weimarer Reichsverfassung möglich sein würde, auf scheinlegalem Wege das Reich in seinem Sinne umzugestalten. Sperr sprach sich daher letztlich für das klei- nere Übel, eine erneute Regierung Pa- pen, aus. Bekanntlich kam es anders: Am 30. Januar 1933 übertrug Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler die Macht im Reich. Innerhalb von anderthalb Jahren baute dieser nicht zuletzt durch die „Gleichschaltung“ der Parteien und der Länder seine Position zum uneinge- schränkten „Führer und Reichskanzler“ aus. Am 1. März 1933 erfolgte Franz Sperrs offizielle Ernennung zum Bayerischen Gesandten in Berlin. In der Folgezeit unternahm er den Versuch, im Sinne Bayerns Einfluss auf die Politik der Reichsregierung auszuüben. Den bayeri- schen Monarchisten, die in diesen Ta- gen die Ausrufung der Monarchie in München planten, riet er aus Sorge um die staatliche Integrität Bayerns von ih- rem Vorhaben ab. Sein einziges Gespräch mit dem neuen Reichskanzler Hitler An- fang März 1933 brachte Franz Sperr die Gewissheit: Eine Machtübernahme der Nationalsozialisten in Bayern stand un- mittelbar bevor. Trotz fortwährender Auseinandersetzung mit den Berliner Regierungsstellen konnte er diese am 9. März 1933 nicht verhindern. In den folgenden Monaten musste Franz Sperr die schrittweise Gleichschal- tung Bayerns mit dem Reich diploma- tisch begleiten. Die Frustration, dem na- tionalsozialistischen Machtstreben nichts entgegensetzen zu können, dürfte ihn Copyright: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv nachhaltig geprägt haben. Er musste er- Diese Aufnahme aus dem Fotoarchiv 1. März offizieller Bayerischer Gesand- kennen, dass Verhandlungen und Ver- Hoffmann entstand Anfang März 1933 ter, in der Mitte General Franz Ritter einbarungen mit den Nationalsozialis- in der Bayerischen Gesandtschaft in von Epp und rechts der bayerische ten keinerlei Wert besaßen. Auch das Berlin. Links sitzt Franz Sperr, ab dem NS-Mann Hermann Esser. Ziel der Männer um Franz von Papen, Hitler in seinem Regierungshandeln einzuengen, ihm seine Grenzen aufzu- zeigen und ihn dadurch in seinem Machtstreben zu zügeln, ließ sich nicht in Erscheinung. Im Gegensatz zu vielen war nun die Bayerische Staatsregierung. auf, die Leitung der politischen Abtei- verwirklichen. bürgerlichen Zeitgenossen lehnte er die Aufgrund seines selbstbewussten und lung seines Ministeriums zu überneh- Franz Sperrs Entschluss, in die baye- Republik keineswegs ab, sondern ver- durchaus erfolgreichen Auftretens in men. Sperr lehnte diese Offerte mit dem rische Heimat zurückzukehren, schien suchte, an ihrer Stabilisierung bei Berlin und Weimar wurde er in den baye- Hinweis auf seine innere Einstellung bereits gefallen zu sein, bevor der so ge- gleichzeitigem Erhalt eines starken Fö- rischen Staatsdienst übernommen und zum damaligen Reichskabinett ab. Sei- nannte Röhm-Putsch und die nachträg- deralismus mitzuwirken. Franz Sperr trat als vereidigter, bayerischer Beamter ne Kritik an der Reichsregierung unter liche Legitimierung der Mordaktionen war in erster Linie Föderalist. Reichs- in ein besonderes Treueverhältnis zum Franz von Papen hatte nicht zuletzt mit an unliebsamen politischen Gegnern das einheit und Erhalt der bayerischen Sou- Freistaat Bayern ein. deren Einstellung gegenüber Hitlers Fass zum Überlaufen brachten. Denn veränität waren für ihn keine Gegensät- In der Reichshauptstadt als Diplomat NSDAP zu tun. Denn Sperr hatte erfah- bereits Mitte April 1934 kündigte er im ze, sondern untrennbar miteinander etabliert, wurde Franz Sperr 1932 mit ren, dass das Kabinett angeblich eine engeren Kreis seinen Rücktritt als Ge- verbunden. der Wahrnehmung der Geschäfte der Regierungsübernahme der National- sandter an. Mit Schreiben vom 5. Sep- Seine Wandlung vom Offizier zum Bayerischen Gesandtschaft betraut. Im sozialisten vorbereitete. Ihr Ziel sei es tember 1934 bat er beim Bayerischen Gesandten vollzog Sperr ohne Anlauf- Juni des gleichen Jahres forderte ihn demnach gewesen, der NSDAP bereits Ministerpräsidenten offiziell um die Ver- schwierigkeiten. Sein neuer Dienstherr Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl im Vorfeld durch entsprechende Maß- setzung in den einstweiligen Ruhestand.

22 zur debatte 1/2018 Im Oktober 1934 kehrte Franz Sperr mit seiner Familie in die bayerische Heimat zurück.

III. Der Sperr-Kreis (1935 – 1944)

In München erreichte Franz Sperr um die Jahreswende 1934/35 die Bitte des bayerischen Kronprinzen Rupprecht, sich zu einem Gespräch bei ihm einzu- finden. Der älteste Sohn des letzten bayerischen Königs Ludwig III. lebte seit dem Zusammenbruch der Monar- chie mehr oder weniger zurückgezogen. Politischen Dingen gegenüber aufge- schlossen hatte er Anfang 1933 mit der bayerischen Staatsregierung erfolglos über seine Proklamation zum König ver- handelt, auch um einer Machtübernah- me der Nationalsozialisten in München zuvorzukommen. Spätestens seit Mitte 1934 war Rupprecht davon überzeugt, dass das NS-Regime aufgrund seiner inneren Zer- rissenheit und wirtschaftspolitischen In- kompetenz keinen langen Bestand ha- ben werde. Gemeinsam mit seinem Ka- binettschef, Franz Freiherr von Redwitz, rechnete der Kronprinz fest mit dem Zusammenbruch des unrechtstaatlichen Systems. Auf diesen Zeitpunkt wollte man sich allerdings vorbereiten. Es soll- te nicht erneut – wie 1918/19 beim Un- tergang der Monarchie – zu chaotischen Zuständen in den bayerischen Städten kommen. In der Einschätzung der Lage stimm- te Franz Sperr mit dem bayerischen Copyright: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv Kronprinzen überein. Neben Sperr zog Im Januar 1945 fand vor dem „Volksge- Rupprecht auch den ehemaligen Reichs- richtshof“ der Schauprozess u. a. gegen wehrminister Otto Geßler und den frü- Franz Sperr, der am Mikrofon steht, heren Reichswirtschaftsminister Eduard statt. Rechts hinter ihm ist Helmuth Hamm zu mehreren Treffen hinzu. Sperr James Graf von Moltke zu erkennen, war mit den beiden liberalen, aus Bay- der ebenfalls zum Tode verurteilt wurde. ern stammenden ehemaligen Politikern sehr gut bekannt. In den Gesprächen gelangte man zu der Überzeugung, in Bayern Vorsorge treffen zu müssen für den Fall, dass das NS-Regime zusam- Anteil an links- und nationalliberaler In München fanden die Besprechun- planwirtschaftliche und sozialistische menbrechen werde. sowie katholisch-konservativer Partei- gen bei den Jesuitenpatres Alfred Delp, Tendenzen aufwiesen. Auch spielte das Gemeinsam legte man eine Aufga- verbundenheit zu konstatieren. Die Mit- Lothar König und Augustin Rösch statt. künftige Verhältnis von Staat und Kir- benverteilung fest: Hiernach sollte sich glieder des Kreises verband ein auf Delp wirkte seit 1939 als Seelsorger in che bei den Gesprächen eine wichtige Sperr um die Kontaktaufnahme mit christlich-moralischen und liberal- München-Bogenhausen. Die Pfarrkir- Rolle. Über die Notwendigkeit der Ein- möglichen Vertrauensleuten in Polizei rechtsstaatlichen Grundsätzen basieren- che Heilig Blut befand sich nur wenige bindung der Kirche, vornehmlich der und Militär, Hamm um diejenige in Jus- des Staatsverständnis. In diesem spielte Meter vom Wohnhaus Sperrs entfernt. katholischen Kirche in Bayern, war man tiz, Wirtschaft und Verwaltung bemü- ein starker, die staatliche Integrität und Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Sperr sich im Sperr-Kreis einig. Daher hatte hen, während Geßler die Verbindung kultu relle Eigenheit Bayerns achtender Delp zumindest flüchtig kannte, bevor man frühzeitig die Verbindung mit geist- mit dem Ausland aufnehmen sollte. Mit Föderalismus eine wichtige Rolle. Die er im Frühjahr 1943 mit ihm und den lichen Würdenträgern aufgenommen. dem bayerischen Kronprinzen stand Frage der künftigen Staatsform, ob Mo- Männern um Moltke zusammentraf. Zu- Doch obwohl der Katholizismus unter man über Geßler auch während Rupp- narchie oder Republik, war letztlich für mindest soll Sperr den Namen Delp be- den Mitgliedern des Sperr-Kreises do- rechts Exilzeit in Florenz ab 1939 in die Widerstandsgruppe nicht entschei- reits vor Kriegsbeginn gegenüber einem minierte, entsprach es dem vor allem engem Austausch. dend. Von der Wiederherstellung der Vertrauensmann seines Widerstands- bürgerlich-liberalen Widerstandskreis, Franz Sperr verstand es, seine Wider- Wittelsbacher Monarchie unter einem kreises erwähnt haben. sich gegenüber den „Kreisauern“ für eine standshandlungen zu tarnen. Seit 1936 König Rupprecht versprach sie sich al- Inhaltlich drehten sich die Gespräche strikte Trennung von Staat und Kirche stand der ehemalige Offizier an der lerdings in Zeiten des Umbruchs eine insbesondere um staatsrechtliche Fra- in einem Nachkriegsdeutschland auszu- Spitze der Münchener Zweigstelle der nachhaltig integrative Wirkung, weshalb gen. Die Absicht der „Kreisauer“, neben sprechen. Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik sie diese Lösung favorisierte. Preußen auch Bayern im Zuge der Neu- Franz Sperr und sein Kreis rückten und Wehrwissenschaft (DGWW) und Regionale Widerstandszellen wurden ordnung aufzuspalten, stieß auf erhebli- im Verlauf der Jahre 1943 und 1944 konnte auf diese Weise seine konspirati- unter anderem in München, Augsburg che Gegenwehr Sperrs, der geradezu in noch näher an das Zentrum des Wider- ven Kontakte in militärische Kreise ste- und Nürnberg geschaffen. Eine heraus- seine alte Rolle als Verteidiger der staat- stands in Berlin heran. Am 6. Juni 1944 tig ausbauen. Selbst nach seinem Aus- ragende Rolle kam einer Augsburger lichen Integrität Bayerns zurückfiel. Er erfolgte die Landung der Alliierten in der tritt aus der „Gesellschaft“ unternahm Gruppe zu, die Franz Sperr an den Wi- betonte, dass eine Aufteilung Preußens Normandie. Am Nachmittag des gleichen er weiterhin Vortragsreisen. Seiner derstandskreis heranführte und diesem ein nicht so „gefährliches Experiment“ Tages traf Sperr in Bamberg mit Claus freundschaftlichen Verbindung zum wichtige Impulse verleihen sollte. Die sei wie eine Aufteilung Bayerns. Schenk Graf von Stauffenberg zusam- ehemaligen Reichswirtschaftsminister Männer um den Rechtsanwalt Franz Neben der Zumutung einer Auftei- men, der eineinhalb Monate später, am Kurt Schmitt verdankte Franz Sperr Reisert und den Unternehmer Ludwig lung Bayerns scheint Moltke Sperr auch 20. Juli, einen Attentatsversuch auf Hit- 1943 die Einstellung als Berater in der Berz waren überwiegend katholisch ge- das Gesuch „preußischer Offiziere“ über- ler unternehmen sollte. „Münchener Rückversicherungsgesell- prägt und standen parteipolitisch der mittelt zu haben, wonach Bayern im Auf beiden Seiten bestand Interesse schaft“. Auch diese Arbeit ermöglichte früheren Bayerischen Volkspartei nahe. Falle eines Umsturzes voranschreiten an einer Aussprache. Stauffenberg woll- es ihm, unauffällig Reisen in der bayeri- Ihr Wert für die Widerstandsgruppe lag sollte. Sperrs Reaktion fiel auch hier te Sperr über das geplante Attentat in- schen Heimat zu unternehmen und in erster Linie in der wirtschaftspoliti- deutlich aus: Er war davon überzeugt, formieren und sich hierfür offenbar die mögliche Vertrauensleute für den Wi- schen Expertise ihrer Mitglieder. dass ein solcher Aufstand mit einer to- Zustimmung und Rückendeckung der derstand zu gewinnen. Über Franz Reisert kam die Gruppe talen Vernichtung Bayerns enden müss- Bayern einholen. Sperr wurde also auch Nicht zuletzt durch Sperrs intensive um Sperr 1943 mit dem reichsweit agie- te. Denn Hitler würde auf einen Um- von der Militäropposition in Berlin als Werbungstätigkeit konnte der Wider- renden Kreisauer Kreis um Helmuth sturzversuch mit rücksichtsloser Härte Exponent des bayerischen Widerstands standskreis bis 1944 auf mindestens 66 James Graf von Moltke in Kontakt. Die reagieren und nicht einmal einen Ein- wahrgenommen. Dem ehemaligen Ge- Personen ausgebaut werden. Die Grup- „Kreisauer“ stellten gleich dem Sperr- satz der Luftwaffe scheuen. sandten ging es überwiegend darum, pe rekrutierte sich überwiegend aus Kreis Neuordnungspläne für die Zeit Die Diskussionen mit den „Kreisau- Stauffenbergs staatsrechtliche Vorstel- dem Lager der traditionellen, bürgerli- „Danach“ an. Sie waren seit der Jahres- ern“ drehten sich auch um Fragen der lungen für die Zeit „Danach“ in Erfah- chen Eliten Bayerns. Über die Hälfte wende 1942/43 auf der Suche nach ge- politischen Agenda. Differenzen gab es rung zu bringen. Insbesondere dessen der Mitglieder waren promovierte Aka- eigneten Landesverwesern, die nach hier im Hinblick auf die Ideen für eine Verständnis vom künftigen Reich-Län- demiker, die ihrer Arbeit als Beamte, dem Zusammenbruch in den einzelnen künftige Wirtschaftspolitik. Franz Sperr der-Verhältnis interessierte ihn. Unternehmer, Richter und Anwälte so- Reichsteilen Sicherheit und Ordnung scheint für eine marktwirtschaftliche Franz Sperr trat somit im Widerstand wie Politiker nachgingen. Von der poli- garantieren sollten. Für Süd-Bayern Orientierung eingetreten zu sein, wäh- in gewisser Weise inoffiziell als Diplo- tischen Sozialisation her ist ein hoher hatte man Franz Sperr ins Auge gefasst. rend Moltkes Vorstellungen teilweise mat im Dienste Bayerns in Erscheinung.

zur debatte 1/2018 23 Das Treffen mit Stauffenberg war in die- Franz Sperr zielte mit seiner Verteidi- ser Hinsicht die Fortsetzung der bereits gungstaktik offenbar darauf ab, lediglich Hans Wölfel (1902 bis 1944) 1943 mit den „Kreisauern“ geführten seinen eigenen Gesprächspart bei dem Verhandlungen. Da die Männer um Treffen mit Stauffenberg zu entschärfen. Alwin Reindl Sperr, Geßler und Hamm keineswegs Dass man ihm abnehmen würde, der beabsichtigten, Bayern aus dem Reich spätere Attentäter hätte ihm nichts von auszugliedern, erschien eine Koordinie- seinen Plänen erzählt, glaubte er nicht. rung mit einer möglichen neuen Reichs- Die Verteidigung war nicht sehr glück- führung bereits im Vorfeld eines eventu- lich, weil sie praktisch das Eingeständ- ellen Umsturzes zwingend geboten. nis seiner Mitwisserschaft in sich schloss. Die Aussprache mit Stauffenberg dürf- Sperr ging fatalerweise davon aus, dass I. Krieg führe. Die Feinde hatten Deutsch- te Sperr beruhigt haben: Denn dieser ihm Freisler seine Ehrlichkeit anrech- land den Krieg aufgezwungen, und er sprach sich ausdrücklich für einen föde- nen würde. Doch das Gegenteil war der Wir gedenken der Menschen, die wollte das Vaterland als Soldat auch un- ralistischen Bundesstaat aus. Dagegen Fall. Im Urteilsspruch hieß es: „Ein Gegner des Nationalsozialismus waren ter Einsatz des Lebens verteidigen. Er sah Sperr die Vorbereitungen für die Zeit Mann wie Sperr mußte wissen und hat und deshalb ihr Leben opfern mussten. meldete sich zur Jugendwehr seiner „Danach“ und den avisierten Zeitpunkt sich auch gesagt, daß es eine höchste Hans Wölfel gehört zu ihnen. Schule. für ein Attentat kritisch. Im Sperr-Kreis Gefahr für den Staat bedeutet, wenn ein Ein Gedenken hat immer zwei Rich- Das war kein Wunder, denn bei ihm war man sich einig, dass ein Umsturz Offizier in diesem Rang und in dieser tungen, zurück in die Vergangenheit: zu Hause herrschte eine nationale und nur gelingen konnte, wenn sich die Stellung Derartiges sagt. [...] Wenn er Wie war es? Und das Denken nach monarchische Stimmung: Sein Onkel, Stimmung innerhalb des deutschen Vol- deshalb das nicht meldete, obgleich wir vorn in die Zukunft: Wie soll es sein? der Pfarrer von Ebing, war Monarchist, kes gegen die eigene Regierung gewandt uns im scharfen Ringen um Sein oder Es soll besser werden, das ist unser aller Nationalist und – das muss wohl eben- hatte. Eine erneute Dolchstoßlegende Nichtsein befanden, so hat er damit Bestreben. Doch eben darum blicken falls erwähnt werden – Antisemit. Er musste dagegen die vom bayerischen Wi- Zeugnis dafür abgelegt, daß in ihm kei- wir zurück: Wir wollen alte Fehler er- schrieb ein Tagebuch seiner Pfarrei und derstandskreis seit einiger Zeit ange- ne Spur von Ehre vorhanden ist. Des- kennen, den Schaden, den sie verur- beschrieb darin das Kriegsgeschehen, stellten Bemühungen zur Schaffung ei- halb mußten wir ihn für dieses sein ver- sachten, bessern und die Zukunft nach wie er es von seiner Warte aus sah und ner „Auffangorganisation“ gefährden. räterisches Unterlassen mit dem Tode dauernden Grundsätzen neu gestalten, wie er es in seiner Pfarrei Ebing erlebte. Sperr scheint Stauffenberg zwar die Ge- bestrafen [...].“ Das Todesurteil gegen wie Thomas Dehler nach dem Zusam- Die Lektüre dieser Kriegschronik ver- folgschaft nicht grundsätzlich verwei- Franz Sperr wurde am 23. Januar 1945 menbruch der Hitlerherrschaft im Janu- mittelt dem Leser sehr eindringlich die gert zu haben. Doch blickten seine Mit- in Berlin-Plötzensee durch Erhängen ar 1946 im „Fränkischen Tag“ schrieb: politische Atmosphäre, in der Wölfel streiter und er mit tiefer Sorge auf die vollstreckt. „Unsere Jugend muss des Schicksals des lebte. sich abzeichnenden Ereignisse der fol- Die bayerische Widerstandsgruppe Hans Wölfel und der Umstände seines Es war also nicht nur Abenteuerlust, genden Tage und Wochen. war damit ihrer Spitze beraubt und soll- Todes immer eingedenk sein. … Hans die Wölfel trieb, Soldat zu werden, es Obwohl die Männer um Franz Sperr te nicht mehr nachhaltig in Erscheinung Wölfel, der um der Wahrheit Willen ei- war eine tiefgründige nationale Gesin- am 20. Juli 1944 nicht aktiv den Um- treten. Kronprinz Rupprecht erhielt noch nen ungerechten Tod erlitt, lehrt uns, nung und die Überzeugung, dass der sturz von Bayern aus vorantrieben, wur- vor Kriegsende in seinem Florentiner die Wahrheit lieben und das Unrecht Krieg Deutschland von seinen Feinden de die Führungsriege der Widerstands- Exil die Nachricht vom Tode Franz verachten, die Wahrheit bekennen, auch aufgezwungen worden sei. Und diese gruppe als Beteiligte des Umsturzver- Sperrs. Mit ihm verlor er einen seiner wenn sie den Machthabern nicht gefällt, Überzeugung war religiös begründet. suchs verhaftet. Der Gestapo war das engsten Vertrauten und den Kopf jener und wissen, dass Unrecht Unrecht Schon für den jungen Wölfel waren das Treffen zwischen Sperr und Stauffen- „Auffangorganisation“, in die er für die bleibt, auch wenn der Machthaber vor- Vaterland und Gott die höchsten Werte, berg bekannt geworden. Im Gefängnis Zeit nach dem Zusammenbruch des gibt, es nütze dem Volke und werde da- und das Vaterland konnte von seinen offenbarte Sperr seine katholische Prä- Dritten Reiches große Hoffnungen ge- durch zum Recht. In diesem Geiste wol- Bürgern alles verlangen, auch den gung, seine humanistische Gesinnung steckt hatte. len wir einen neuen Staat der Freiheit, Dienst als Soldat bis zum Tode – wenn und seine liberalen Grundsätze: Als ei- Der Verlust wog in der Tat schwer. der Gerechtigkeit und des Friedens diese Forderung gerecht war, ihre ner der wenigen „Mitverschwörer“ Sowohl Bayern als auch die frühe Bun- schaffen.“ Rechtfertigung in Gottes Gebot und wandte er sich im Verhör offen gegen desrepublik Deutschland hätten von In den letzten Ausgaben des „Fränki- Weltordnung hatte. die Unfreiheit des NS-Systems und be- Franz Sperrs großer politischer Erfah- schen Tages“ konnten Sie lesen, dass Für den jungen Wölfel war das der tonte seine Ablehnung der „Judenmaß- rung und seinem diplomatischen Ge- Bamberg sehr wohl seiner Vergangen- Fall, und so meldete er sich, nachdem nahmen“. schick profitieren können. Mit Sicher- heit gedenkt. Die Willy Aron Gesell- er 17 Jahre alt geworden war, nach dem Anfang Januar 1945 stand Franz heit hätte Sperr gleich seinen Mitstrei- schaft und die Stadt Bamberg überga- Zusammenbruch des Kaiserreiches zum Sperr gemeinsam mit seinen Verbünde- tern im Widerstand, die nach 1945 teil- ben der Öffentlichkeit ein Denkmal, das Freikorps, um die Kräfte zu bekämpfen, ten im Widerstandskreis sowie Mitglie- weise in hochrangige Positionen in Poli- an den Widerstand Bamberger Bürger die seiner politischen und auch religiö- dern des Kreisauer Kreises vor dem tik, Wirtschaft und Justiz gelangten, gegen den Nationalsozialismus und an sen Überzeugung nach den Zusammen- Volksgerichtshof. Dessen Präsident Ro- einen wichtigen Beitrag zum rechtstaat- ihr Eintreten für eine neue, bessere Welt bruch herbeigeführt hatten: Sozialde- land Freisler verstand den Prozess als lichen Neubeginn Deutschlands geleis- erinnert: Einem von ihnen, Hans Wöl- mokraten und Kommunisten. eine Abrechnung des NS-Regimes mit tet. fel, ist die Biografie gewidmet, die vor Er meldete sich als Freiwilliger zum dem Christentum. So mussten die Pro- Franz Sperr und sein Widerstands- kurzem der Öffentlichkeit übergeben Freikorps Berthold, wohl gerade zu die- testanten Helmuth von Moltke und der kreis stehen in besonderer Weise für das wird. sem, weil auch der Führer des Frei- spätere Bundestagspräsident Eugen Festhalten an christlichen und liberalen korps, Berthold, Schüler des Alten Gerstenmaier wie auch die Katholiken Grundsätzen in totalitären Zeiten. Für II. Gymnasiums war. So marschierte Wöl- Alfred Delp, Franz Sperr und Franz Rei- Gegenwart und Zukunft gilt es, dafür fel im Mai 1919 mit dem Freikorps sert die Hasstiraden Freislers über sich Sorge zu tragen, dass sie nicht erneut in Die Familie Wölfel war im Itzgrund, nach München, um die bayerische Räte- ergehen lassen. Vergessenheit geraten. „ in Untermerzbach, zu Hause. Wölfels republik niederzuschlagen. Als das Frei- Großvater war Schneider. Seinen ältes- korps in München eintraf, war die Re- ten Sohn schickte er nach Bamberg in volution jedoch schon vorbei. Wölfel das Ottonianum. Er wurde Priester. hat also nicht an eigentlichen Kampf- Sein zweiter Sohn erlernte das Schnei- handlungen teilgenommen. derhandwerk, ging, wie damals üblich, Im Herbst 1919 saß Wölfel wieder auf die Walz, kam bis nach Bad Hall in auf der Schulbank des Alten Gymnasi- Oberösterreich und fand dort sein ums. Er blieb jedoch Mitglied des Frei- Glück. Er heiratete eine Einheimische, korps und setzte sich auch aktiv für des- gründete ein Blumengeschäft für die sen Ziele ein. Auch am Gymnasium war Kurgäste und wurde ein angesehener er aktiv. Bei der Einweihung des Denk- Bürger. Er hatte neun Kinder. Sein vier- mals für die Gefallenen Schüler des tes, Hans Wölfel, geboren am 30. März Alten Gymnasiums und anlässlich der 1902, schickte er zu seinem Bruder, den 50-Jahrfeier der Reichsgründung im Ja- Pfarrer von Ebing. Dort verbrachte nuar 1921 wurde er ausgewählt, als Ver- Hans seine Kindheit und Jugend. Die treter der Schülerschaft zu sprechen. Haushälterin des Pfarrers wurde zur Diese politischen Aktivitäten des jun- zweiten Mutter des heimwehkranken gen Wölfel zeigen, dass er auf dem bes- Buben. Sie heiratete einen Einheimi- ten Weg war, ein Rechtsradikaler zu schen, Andreas Schneiderbanger. Wölfel werden. Warum wurde er es nicht? Die blieb der Familie Schneiderbanger zeit- Antwort ist, dass Wölfel neben dem Va- lebens verbunden. terland noch einen anderen höchsten Pfarrer Wölfel schickte seinen Neffen Wert kannte, den höchsten Wert einer auf das Alte Gymnasium in Bamberg. religiösen Werteskala, Gott. Die religiö- Wölfel wurde Zögling des Aufseesia- se Werteskala aber war, nach Wölfels nums. Als Gymnasiast studierte Wölfel Überzeugung, der irdischen übergeord- nicht nur Latein und Griechisch, er net und damit in allen Fragen letztlich Nach jedem Vortrag gab es ein ruhiges standskämpfer zu gedenken. Es spielten nahm sehr intensiv am Zeitgeschehen entscheidend. Gott war der höchste Musikstück, das der Besinnung diente Stephanie Knauer am Klavier und teil. Den Ausbruch des Weltkrieges er- Wert, und dem Göttlichen Recht waren und Zeit gab, der ermordeten Wider- Hyun-Jung Berger am Cello. lebte er – wie die studierende Jugend alle anderen weltlichen und gesell- allgemein – als eine nationale Erhe- schaftlichen Werte untergeordnet. Diese bung. Wölfel wollte dabei sein. Wölfel Auffassung hatte Wölfel wohl von sei- war kriegsbegeistert und er war über- nem Onkel. Es war die Richtschnur sei- zeugt, dass Deutschland einen gerechten nes Lebens. Es war das Kriterium, nach

24 zur debatte 1/2018 8 Semestern legte Wölfel das Erste die Gesellschaft nach seinen Grund- Staatsexamen ab, mit durchschnittli- sätzen demokratisch, national und chem Erfolg. Es folgte die zweijährige christlich gestalten wollte. Er war kein Referendarzeit am OLG Bamberg. Im Mitläufer, er ging nicht einfach mit zweiten Staatsexamen erreichte er wie- seiner Zeit. Er wollte seine Zeit verste- derum einen Durchschnittsplatz. hen und gestalten. Doch auch er musste seinen Lebensunterhalt durch Arbeit IV. verdienen, auch er wollte Familie grün- den. Nun scheint es an der Zeit, nach Wölfels Privatleben zu fragen. Was be- V. schäftigte ihn neben Studium und Stu- dentenverein? Noch als Schüler am Al- Im Oktober 1929 übernahm Wölfel ten Gymnasium hatte Wölfel ein Mäd- die Stelle eines Anwalts des Oberfränki- chen kennengelernt, Elisabeth, die schen Bauernvereins. Damit hatte er die Tochter des Lehrers Andreas Rauh von Basis für Ehe und Familie gelegt. Hoch- Pödeldorf. Dieses lud er zum Abiturball, zeit war am 19. November 1929. Am und seitdem gingen beide gemeinsame 10. April 1931 kam die Tochter Irmgard Wege. Sie mögen einwenden, das sei zur Welt. Im Laufe der Jahre konnte eigentlich zu viel gesagt, denn wie wir sich Wölfel als Rechtsanwalt selbststän- gesehen haben, Wölfels Betätigungsfeld dig machen. Seine Kanzlei befand sich war die Studentenpolitik an der Uni- in der Luitpoldstraße 16. Im zweiten versität Würzburg. Elisabeth aber war Stock des Hauses hatte er auch seine in Pödeldorf zu Hause und wartete auf Wohnung. ihren Bräutigam. Wie oft ging dieser Wölfel hatte sich etabliert und dabei den Weg vom Bahnhof Bamberg durch hätte es bleiben können, wenn, ja wenn den Hauptsmoor nach Pödeldorf? Eli- Wölfel ein Mensch gewesen wäre, der sabeth wartete auf ihren Bräutigam, bis sich mit privatem Wohlstand zufrieden dieser das Zweite Staatsexsamen in der gibt und sich in gesicherter privater At- Tasche hatte und eine sichere Stelle als mosphäre zu Hause fühlt. Doch zwei Anwalt. Am 19. November 1929 heira- Sachverhalte ließen Wölfel nicht zur teten sie. bürgerlichen Ruhe kommen: zum einen Die langen Wartejahre verbrachte sein Temperament, zum anderen sein Elisabeth damit, die Reden ihres Ge- Verständnis der Rolle des Bürgers als liebten in ein Tagebuch zu schreiben: Staatsbürger. Beides drängte ihn, das öf- die Reden des Schülers am Alten Gym- fentliche Leben, die Gesellschaft mitzu- nasium, die Vereidigungsrede des Frei- gestalten. „Rechtsanwalt – Katholik – Gegner des Nationalsozialismus. korpskämpfers und die Reden, die Wöl- Tatsächlich war zu Wölfels Zeiten die Ein Bürger Bambergs“ überschrieb Dr. Alwin Reindl, früherer fel als Student hielt. So wissen wir gut gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Studiendirektor aus Bamberg, seinen Vortrag über den Bescheid über die Rolle Wölfels als Ver- Fluss und verlangte nach gestaltenden Widerstandskämpfer Hans Wölfel. treter einer katholischen Studentenver- Kräften! Wölfel sah, dass die Weimarer bindung, über seine gesellschaftlichen Republik bedroht war, und gegen diese politischen Zielsetzungen und über sei- Bedrohung wandte er sich. Auch er ne tiefe religiöse Überzeugung. wurde zum Politiker. Er trat in die Bay- Es findet sich in dem Tagebuch je- erische Volkspartei ein, übernahm je- doch noch eine Besonderheit: eine doch keine Positionen. Er wurde auf dem er alle gesellschaftlichen Werte und 1924 hielt er die Gründungsrede des Sammlung von Gedichten Wölfels. Tat- seine Art politisch aktiv: Er hielt Vorträ- Forderungen maß. Vor seinen Richtern Akademikerbundes vor Vertretern der sächlich hatte Wölfel auch eine poeti- ge: Vor den Abiturienten, vor den Lehr- erklärte er später: Ich gebe zu, dass ich Uni Würzburg, der Stadt, des Kultusmi- sche Ader, er konnte reimen und nutze lingen des St. Heinrichsvereins, vor der in den Jahren vor der Machtübernahme nisteriums und den Vertretern zahlrei- diese seine Fähigkeit, um gesellschaftli- katholischen Jugend Bambergs anläss- ein fanatischer Gegner des National- cher katholischer Vereine. Ein erfolgrei- chen Ereignissen eine besondere Würze lich der Reichstagswahl 1930. sozialismus war und diesem auch heute cher Start für ein aussichtsloses Unter- zu verleihen. Im Januar 1930 wurde das Ortskar- in einzelnen Punkten aus religiösen nehmen. Schon in Jahresfrist war es Herzlich und geistreich ist das Ge- tell der katholischen Vereine Bambergs Gründen nicht restlos zustimmen kann. vorbei. Der Vorstand, auch Wölfel, er- dicht, das er seiner Freundin zum Na- gegründet. Es sollte ein kulturelles Ge- Wann sich der Wandel in Wölfel von klärten ihren Rücktritt. menstag 1923 schrieb: gengewicht gegen die allgemeine politi- einem radikalen Nationalisten zum na- In Bamberg gab es einen Altherren- sche Radikalisierung schaffen. Ein Ver- tional gesonnenen, auf dem Boden des zirkel des KV. Dieser veranstaltete jähr- Schau nicht auf diese kleinen Dinge band mit 50 Mitgliedsvereinen. Ein po- Rechts und der Religion stehenden Poli- lich im Herbst einen „Vaterlandstag“, zu Die ich zum Feste Dir gegeben litisches Talent konnte daraus eine ein- tiker vollzogen hat, ist schwer zu sagen. dem die Bamberger Abiturienten gela- Frag nur: Warum? Dann wird die flussreiche Organisation machen und Es war kein Erweckungs- oder Wende- den waren. Auf dem Vaterlandstag des Freude das öffentliche Leben gestalten. Im De- erlebnis, es war vielmehr eine innere, Jahres 1923 hielt Wölfel die Vaterlands- Dich erst im Innersten beleben. zember 1931 wurde Wölfel Vorsitzen- persönliche Entwicklung, die der wer- rede. Der Kern der Rede war hart und der. Unmittelbar vor der Reichspräsi- dende und ins Leben ausgreifende kompromisslos: Kein KVler kann Mit- Frag diese zarten, dunklen Blüten dentenwahl im März 1932, in der sich Mensch vollzog. glied einer nationalistischen Partei sein, Die liebend dir entgegen scheinen, Hindenburg, Hitler und der Kommunist die sich anmaßt, unserer religiösen Sie werden es ganz leise flüsternd Ernst Thälmann zur Wahl stellten, III. Überzeugung Schranken zu setzen, weil Dem Herzen heimlich anvertrauen konnte Wölfel Ernst Muhler zu einem sie nach ihrer Anschauung dem sittli- Vortrag über den NS gewinnen. Der Be- Im Sommer 1922 immatrikulierte chen Empfinden der germanischen Ras- Und wenn sie gar zu leise sprechen richt des „Fränkischen Tages“ kritisierte sich Wölfel zum Jurastudium in Mün- se nicht entspreche. Wir verweigern ei- Und sie es Dir nicht deutlich sagen, die antinationalsozialistische Einstel- chen und trat einer katholischen Stu- ner völkischen Bewegung jede Unterstüt- Dann kannst Du ja, Du mein Herz lung des Redners, und das forderte Wöl- dentenverbindung bei, der Ottonia im zung, die den Völkerhass von vorne her- liebchen, fel heraus. Im „Bamberger Volksblatt“ Kartellverband katholischer deutscher ein zur Pflicht macht, schon allein des- Am Schlusse mich ja selber fragen. wies er die Berichterstattung des „Frän- Studentenvereine. Im Wintersemester wegen, weil es unchristlich ist und auch kischen Tages“ zurück und verwies da- 1922/23 setzte Wölfel das Studium in alles, was auf Hass und völkischem Ego- Auch Naturschilderungen gelingen bei auf Pater Ingbert Naab und dessen Würzburg fort. ismus aufgebaut ist, auf tönernen Füßen ihm. Im Grunde jedoch sind seine Ge- „Offenen Brief an Hitler“ vom 20. März Über das Studium Wölfels ist nichts steht und zusammenbricht. dichte eine Selbstschau. Indem Wölfel 1932. Wer hat Hitler gewählt? Leute Näheres bekannt. Besondere wissen- Das war und blieb Wölfels politisches das Gedicht schreibt, wird er sich seiner mit antirömischem Affekt! Die Masse schaftliche Bestrebungen hatte Wölfel Bekenntnis. Maßgeblich beigetragen zu Person und seiner persönlichen Proble- der Suggerierten. Die wirtschaftlich offensichtlich nicht. Doch als Mitglied Wölfels Gesellschafts- und Politikver- me bewusst. Sie sind wie ein Spiegel, in Zusammenbrechenden. Die Feiglinge, einer katholischen Studentenverbin- ständnis hat das Buch von Hartmann dem er sein Ich schaut und sich seiner die ihre Stellungen nicht verlieren woll- dung war er aktiv. Jetzt wollte er als Grisar, „Der deutsche Luther im Welt- eigenen Person versichert. ten. Die Stellenjäger und zukünftigen Student in das öffentliche, politische krieg und in der Gegenwart“. Das Buch Das also war der junge Wölfel, der Parteibuchbeamten. Menschen, die sich Leben eingreifen und sich für seine Ide- erschien 1924. Wölfel hat es erworben Wölfel, der bei seinem Pfarreronkel im ihren Zahlungsverpflichtungen entzie- ale einsetzen. und gründlich gelesen. Das zeigen die Dorf Ebing mit anderen Bauernbur- hen wollten. Eine Masse unreifer junger Damals gründete sich an der Univer- zahlreichen Unterstreichungen im Text schen im bäuerlich katholischen Milieu Menschen. Die Revolutionsmenschen. sität Würzburg der Katholische Akade- und Bemerkungen am Rand. Was Wöl- zu Hause war, der als Gymnasiast in die Die Untermenschen des Mordes und mikerbund, ein Zusammenschluss aller fel aus der Lektüre lernte? Wohl, dass humanistische, nationale und katholi- der Bedrohung des Nebenmenschen. katholischen Studentenvereine. Dieser die Kulturkampfzeiten noch nicht vorü- sche Bildungstradition hineinwuchs, der Trotz allem, am 1. Januar 1933 wurde sollte jedoch nicht nur akademische ber waren, und dass es für die Katholi- 17-jährige Wölfel, der sich im Revolu- Hitler Reichskanzler. Am 5. März fand Gruppen vereinen, er sollte alle katholi- ken Deutschlands nach wie vor gelte, tionsjahr 1919 den Dienst für das Vater- die letzte Wahl nach den Regeln der Wei- schen Vereine jedweden Standes oder die gesellschaftliche und politische land als Freikorpskämpfer leistete, der marer Republik statt. Noch einmal stan- Berufes umfassen. Ein hochgestecktes Gleichberechtigung mit den Protestan- als Student nicht nur Rechtswissen- den alle Parteien zur Wahl. Am Tag vor Ziel! ten zu erstreiten. schaft studierte, sondern aktiv in gesell- der Wahl schrieb Wölfel als Kartellvorsit- Wölfel war an der Führung des Ver- Blieb bei all diesen Aktivitäten noch schaftspolitische Entscheidungen ein- zender im „Bamberger Volksblatt“: „Aus eins maßgeblich beteiligt. Am 17. Januar Zeit zum Studium? Nach den üblichen greifen wollte, der das öffentliche Leben, ernster religiöser und vaterländischer

zur debatte 1/2018 25 und erbat dessen Hilfe. Die Gestapo hatte ein Bild beschlagnahmt, das er in seinem Schaufenster ausgestellt hatte. Es war das graphisch gestaltete Pro- gramm der katholischen Jugend- und Jungmännervereine Deutschlands aus dem Jahre 1924. Wölfel schrieb an Erz- bischof Jacobus von Hauck: „Es ist und muss das ehrliche Bestreben jedes deut- schen Katholiken sein, an dem Wieder- aufbau des neuen Staates mit allen Kräften mitzuarbeiten ... Dieser Wille zur Mitarbeit wird aber bei einem ver- antwortungsbewussten Katholiken einer unlösbaren Hemmung unterworfen, wenn in diesem Staat es nicht mehr er- laubt sein soll, der Losung zu folgen: Für Christus und ein neues Deutsch- land. ... Die Beschlagnahme des Fuldaer Bekenntnisses ist geeignet, einen Zwie- spalt zwischen den Pflichten gegenüber der Kirche und dem Staat heraufzube- schwören.“ Wie der Bischof antwortete, ist nicht bekannt. Doch gerade das zeigt die Rat- losigkeit und Machtlosigkeit aller Nicht- Nationalsozialisten gegenüber den neu- en Herren, gegenüber der Rechtlosig- keit, mit der das neue Regime regierte. Der Fall zeigt jedoch auch, dass Wöl- fel eine Vertrauensperson war, an die man sich wenden konnte, wenn man mit den Machthabern in Konflikt kam. Das war so in dem Falle Ernst Schäf- lein, das war so im Falle Gaiganz, und das war so im Fall Anna Thäle. Sie war die Frau eines ehemaligen Reichsbahn- inspektors, Witwe und Mutter von 11 Kindern. Wölfel verteidigte sie vor dem Sondergericht, vor dem sie angeklagt war, den Reichsminister für Volksauf- klärung und Propaganda Joseph Goeb- bels beleidigt zu haben. Sonst lebte Wölfel das Leben des da- maligen Bürgers. Er wurde Besitzer ei- nes Automobils. Die Sonntage ver- brachte er in Ebing bei der Familie sei- ner Ziehmutter. Er trug dabei österrei- chische Lederhosen, im fränkischen Ebing eine auffallende Erscheinung. Den Anschluss Österreichs, die Gründung des Großdeutschen Reiches, hat Wölfel sicher begrüßt. Wölfel war immer national gesonnen. Das Vater- land war sein Ideal von Jugend auf. Doch auch als Anwalt, auch als Bürger im Dritten Reich blieb er bei seiner Überzeugung, dass alle Maßnahmen des Staates und alles staatlich gesetzte Recht übereinstimmen müsse mit dem Göttlichen Recht. An seiner religiösen Überzeugung, seinem Katholischsein, ließ er keinen Zweifel. Sonntags besuchte er die heilige Mes- se in seiner Pfarrkirche Sankt Gangolf. Seinen Stammplatz hatte er vor dem Kreuzaltar im nördlichen Querschiff. Dort habe ich ihn als Kind noch gese- hen. Mein Vater wies hinüber und sag- te: Schau nüber, dort sitzt der Wölfel. Warum er seinen Sohn auf Wölfel auf- merksam machte, ist mir heute nicht mehr bewusst. Copyright: Archiv des Erzbistums Bamberg (AEB, Rep. 80 Slg 6 Nr. 1895A)/Foto: Hans Förg Wölfel war zuckerkrank, er wurde Wohl ein Passfoto des Bamberger daher nicht zum Kriegsdienst eingezo- Rechtsanwalts, Katholiken und gen. Sein Kriegsdienst bestand darin, Widerstandskämpfers Hans Wölfel dass er in Vertretung die Kanzleige- (1902 bis 1944). schäfte eingezogener Kollegen weiter- führte. Das bedeutete eine starke Ar- beitsüberlastung. Im Juli 1943 suchte er Erholung bei dem Bruder seiner Frau, Rudolf Rauh. Dieser war Archivar des Gesinnung müssen wir uns gegen dieses jetzt erst recht … am 5. März nur Baye- VI. Fürsten von Waldburg-Zeil. Am 26. Juli unverantwortliche Treiben wenden, und rische Volkspartei.“ 1943 fuhren die Wölfels und Hildegard unsere Vereinsmitglieder und darüber Das Wahlergebnis ist bekannt: 44 Pro- Wie lebte Wölfel zur Zeit der Hitler- Rauh zu deren Eltern nach Iggenau. hinaus den ganzen katholischen Volks- zent der Deutschen wählten NSDAP, in diktatur? Er wurde nicht Mitglied der Nachmittags saß man bei Kuchen und teil und alle wahrhaft christlich geson- Bamberg erhielt die NSDAP 15.469 NS, obwohl dies von allen Personen mit Kaffee zusammen. Da klingelte es. Vor nenen Männer und Frauen warnen, Stimmen (1932: 11.497), für die BVP öffentlicher Stellung mit Nachdruck ge- der Haustür stand eine junge Frau, Lise- durch Abgabe ihrer Stimmen zugunsten votierten 10.407 (11.094) Stimmberech- fordert wurde, doch er wurde Mitglied lotte Gerster aus Biberach. Sie war auf dieser radikalen Parteien deren Front tigte und für die SPD 5.125 (5.164). Die der NS-Volkswohlfahrt. In dieser Orga- einer Radtour und wollte bei ihren Be- zu stärken. Wir stehen zu den Männern Bamberger stimmten also mehrheitlich nisation betätigte er sich aktiv. Wie aber kannten vorsprechen. Sie war willkom- und den Parteien, welche seit Jahren für die NSDAP, während im Bamberger stand er zur Partei der NSDAP, zum NS men in der Kaffeerunde. Wölfel unter- treu zu Kirche und Staat und zum Volke Umland die BVP stärkste politische und zur Politik des Staates? hielt sich sehr angeregt mit ihr. Offen- gehalten und mit Erfolg auch unsere Kraft blieb. Im August 1934 kam der Bamberger sichtlich fand er in der jungen Dame Rechte vertreten haben. … Wir wählen Buchhändler Ernst Schäflein zu Wölfel eine interessierte Zuhörerin. Liselotte

26 zur debatte 1/2018 Gerster war Mitglied im Bund deut- Kriegssonderstrafrechtsverordnung, mit scher Mädchen gewesen und war, voll- dem das Urteil begründet wurde, sah jährig geworden, der Partei beigetreten. auch mildere Strafmöglichkeiten vor. Ob Wölfel das wusste, als er mit ihr po- Tatsächlich endeten auch viele Prozesse litische Themen und militärische Tages- ähnlicher Art mit der Verhängung einer ereignisse besprach, ist fraglich, jeden- Zuchthausstrafe. Warum im Fall Wölfel falls trafen sich verschiedene Auffassun- die Todesstrafe verhängt wurde, lässt gen. Gerster sah die politische Lage so, sich nicht feststellen. wie es von der Partei vorgeschrieben Wie verbrachte Wölfel nach dem Ur- wurde, also wenig tatsachenbelastet, teilsspruch die Monate, Tage, Stunden aber siegessicher, während Wölfel die in seiner Zelle? Eine Person, deren militärische Lage wohl etwas realisti- Identität nicht mehr festgestellt werden scher einschätzte, den Endsieg der deut- kann, verschaffte ihm ein Missale. Die- schen Truppen aber sicher nicht in ses Missale ist erhalten, es liegt im Ar- Zweifel zog. Oder äußerte er sich vor chiv des Erzbistums Bamberg. Wölfel der jungen Nationalsozialistin doch zu las es täglich, das heißt, er feierte täglich kritisch über die militärische Lage? die heilige Messe. Was ihm die Messtex- Dennoch, es war ein gemütlicher te sagten, machte er deutlich, wie er das Abend. Sowohl die junge Frau als auch immer gemacht hatte, wenn ihn etwas Wölfels blieben zu Gast. Am nächsten in seiner Lektüre ansprach: Er unter- Morgen trennte man sich in aller strich es und fügte am Rand eine per- Freundlichkeit. sönliche Bemerkung an. So wissen wir, Offensichtlich aber machte sich Lise- dass Wölfel seine Person, sein Leben lotte Gerster vielerlei Gedanken über und sein Schicksal mit dem eines Men- Wölfel, denn sechs Wochen später zeig- schen in der Nachfolge Christi gleich- te sie ihn an: Wölfel habe dies und jenes setzte. behauptet und dadurch ihre Siegeszu- In Bamberg muss sich die Nachricht, versicht in Frage gestellt. dass Wölfel zum Tode verurteilt worden Auch eine ganze Anzahl junger Men- sei, in Windeseile verbreitet haben. Der schen kam zu der Veranstaltung und Bamberger Parteiführung dämmerte es informierte sich über die Widerstands- jetzt, dass mit diesem Urteil doch etwas kämpfer. Zwei Polizeibeamte holten schief gelaufen war. Oberbürgermeister Wölfel ab. Sie gaben ihm und Kreisleiter Lorenz Zahneisen schrieb ein Gnadengesuch an die Par- gerade noch so viel Zeit, teileitung in Berlin. Doch dieses war, dass die Tochter die Mutter wie auch die Gnadengesuche und Leu- mundszeugnisse zahlreicher Bamberger dass er das Bekenntnis der katholischen Damals konnte dieser Grundsatz nur aus der Morgenmesse holen Bürger, erfolglos. Eine gewisse Frau Eli- Jugend in seinem Schaufenster der Öf- unter Einsatz des Lebens verwirklicht konnte. sabeth Rudhart, eine entfernte Ver- fentlichkeit zur Schau stellte? Ja, denn werden. Was fordert er heute? Diese wandte des Reichsführers SS und es war eine Form des öffentlichen Be- Frage ist nicht leicht zu beantworten, Reichsminister des Inneren Heinrich kenntnisses und des Protestes. Er, Ernst denn es setzt ein Wissen, ein Einver- Himmler, sammelte 200 Unterschriften Schäflein, stimmte eben in gewissen An- ständnis, eine gemeinsame Denkbasis Der Leiter der Gestapostelle Nürn- für ihre Bitte um Gnade bei Himmler, gelegenheit mit der Meinung und den voraus, die Gemeinsamkeit von Demo- berg, Kriminaloberassistent Josef Küh- doch auch sie hatte keinen Erfolg. Über Maßnahmen der Partei des NS Staates kratie, Friede und Rechtsstaat – alles horn, meldete die Sache dem Reichssi- den Verlauf der Hinrichtung am 3. Juli nicht überein. hehre Ideale, doch Ideale verwirklichen cherheitshauptamt. Dieses ordnete die 1944 wissen wir – außer dem offiziellen War es Widerstand, dass sich seit No- sich nicht von selbst. Sie brauchen die Verhaftung Wölfels an. Am 12. Oktober Protokoll – nichts. Wir können aber an- vember 1942 einige Bamberger Bürger Bejahung, das Verständnis und den per- früh 7 Uhr läutete es an der Haustür nehmen, dass Wölfel in christlicher in unregelmäßigen Abständen trafen, sönlichen Einsatz, also möglicherweise Wölfels. Zwei Polizeibeamte holten Überzeugung gefasst in den Tod ging. um über – ja, worüber sprachen sie auch persönlichen Verzicht, Opfermut. Wölfel ab. Sie gaben ihm gerade noch Die Leichen der Hingerichteten wurden denn? Thomas Christa, die schon 1947 Danken wir Männern wie Hans Wölfel, so viel Zeit, dass die Tochter die Mutter in Brandenburg Görden verbrannt, die eine Biografie Hans Wölfels geschrieben dass wir heute diese Ideen weitgehend aus der Morgenmesse in Sankt Gangolf Urnen wurden auf dem Gefängnisfried- hat, nennt folgende Themen: „Die An- verwirklicht haben. Nehmen wir uns holen konnte. Wölfel wurde durch die hof beigesetzt. wendung der christlichen Grundsätze ein Vorbild an diesen Männern, damit Adolf Hitler Straße über die Untere im Leben. Die restlose Durchführung auch unsere Zukunft in ihrem Geiste Brücke zum Landgerichtsgefängnis in VII. des Rechts. Die Jugendverführung im gestaltet wird. der Sandstraße geführt und dort inhaf- Hitlerreich. Die kommende Not der Ju- Hans Wölfel verdient den Ehrentitel tiert. Das Verhör durch Kühhorn fand Am 10. Juli fand in der Pfarrkirche gend.“ Sind das politische Themen, Auf- eines Märtyrers im religiösen Sinne und nachmittags statt. Am Ende erklärte Hans Wölfels, Sankt Gangolf, ein Trau- forderungen zum Widerstand, Umsturz- er verdient auch ein Denkmal, das ihn Wölfel: „Es trifft tatsächlich zu, dass ich ergottesdienst statt. Jupp Schneider hielt pläne? Und wer waren die Personen, als politischen Gegner des Nationalso- mich heute über nähere Einzelheiten das Requiem. Er lehnte das schwarze die sich trafen? Doch gut bürgerliche zialismus ehrt. Wölfel war ein Bamber- der mit der Gerster geführten Unterhal- Messgewand ab und wählte das rote. Menschen, gediegene Juristen und ver- ger, ein Demokrat, ein Katholik und ein tung nicht mehr entsinnen kann … So- Rot ist die liturgische Farbe des Gottes- antwortungsbewusste Geistliche: Georg Märtyrer. weit ich in der Lage bin, Angaben zu dienstes für Märtyrer. Angermeier und Hans Wölfel, die Juris- Allerdings ist auf der Ausgabe der machen, habe ich dies getan, wobei ich Im Januar 1946 wurde das Oberlan- ten Lorenz Krapp und Hans Heinrich Biographie kein dunkles Braun oder jederzeit abstreite, dass ich mit meinen desgericht Bamberg wiederbegründet. Sommerock, der katholische Jugend- Rostbraun zu sehen. Kein dunkles Blut- Ausführungen staatsfeindliche Absich- Die Wiederbegründung war der Anlass, seelsorger Jupp Schneider und die Fran- rot oder liturgisches Violett. Im Gegen- ten zu verwirklichen versuchte. Ich Wölfels zu gedenken. Präsident Lorenz ziskanermönche Bruno und Herigar teil, lebendiges, hoffnungsvolles Grün. gebe zu, dass ich in den Jahren vor der Krapp enthüllte die Gedenktafel im Mekes. Es ist das Grün des Bamberger Fried- Machtübernahme ein fanatischer Geg- Treppenaufgang des Gerichtsgebäudes. Hätte die Gestapo etwas davon er- hofes und darin das Ehrengrab Hans ner des Nationalsozialismus war und Sie trägt die Inschrift: „Vindex Juris Pe- fahren, die Betroffenen wären sofort Wölfels. Darüber aber liegt Grau, zwar diesem auch heute in einzelnen Punk- riit“. Diese Inschrift geht wohl auf verhaftet worden und einem ungewis- ein helles Grau, doch leer, bis auf ein ten aus religiösen Gründen nicht restlos Krapp, der ein umfassend gebildeter sen Schicksal ausgesetzt gewesen. Ihr Kreuz darin, ein krummes, fragwürdiges zustimmen kann.“ Er unterschrieb das Mann war, selbst zurück. Mut und Einsatz, ihre Bereitschaft, bei Kreuz, ohne Korpus, doch mit einer Protokoll, erschöpft, ohne es nochmals Thomas Dehler, der Generalstaats- dem abzusehenden Zusammenbruch schwer lesbaren Inschrift. Es sind die durchzulesen. anwalt des neu gegründeten Oberlan- Deutschlands Verantwortung zu über- zwei Tuchstreifen, die die Urne mit der Erst in den nächsten Tagen wurde desgerichts, veranlasste, dass die nehmen und dazu beizutragen, einen Asche Hans Wölfels verschlossen. Das ihm bewusst, in welcher Gefahr er sich Aschenurne Wölfels vom Gefängnis- neuen Staat zu bauen, kann nicht genug helle Grau, es ist die Ungewissheit der befand, und verfasste eine zweite Dar- friedhof Görden nach Bamberg ge- eingeschätzt werden. Im Grunde wurde Zukunft, es ist die Aufforderung, die stellung seines Gesprächs mit Gerster, bracht werden konnte. Gertrud Stranz, der Wiederaufbau nach 1945 von Män- Zukunft zu gestalten. Die Zukunft aber in der er ausführlicher und genauer auf eine Verwandte Wölfels, Reichspostan- nern wie die der Wölfelgruppe geleistet. muss gestaltet werden nach den Grund- die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein- gestellte in Berlin, brachte die Urne im War das Widerstand? Es ist im Grun- sätzen, für die Hans Wölfel gestorben ging. Am 9. November wurde Wölfel Rucksack vom Gefängnisfriedhof Bran- de das, was von uns allen auch heute ist. „ nach Berlin Moabit gebracht. Wölfels denburg Görden durch die sowjetische gefordert wird: Die Verpflichtung jedes Berufskollege und Freund Thomas Deh- Besatzungszone nach Bamberg. Am 3. Bürgers eines demokratischen Staates, ler übernahm die Führung der Kanzlei Juli 1947, dem dritten Todestag Wölfels, teilzunehmen am öffentlichen Leben, Wölfel. Er beriet Frau Wölfel in allen erfolgte die Beisetzung der Aschenurne sich Gedanken zu machen über die Pro- Rechtsfragen und verschaffte Wölfel ei- im Ehrengrab der Stadt Bamberg. bleme des öffentlichen Lebens, und mit- nen Rechtsanwalt in Berlin. Warum wurde Wölfel in Bamberg ein zuwirken bei der Gestaltung des öffent- Am 24. Februar 1944 stand Wölfel Widerstandsmahnmal errichtet? War lichen Lebens. vor dem Volksgerichtshof. Vorgeworfen Wölfel ein Widerstandskämpfer? Mit Nicht Rückzug in die Privatsphäre wurden ihm „defaitistische Äußerungen dem Wort Widerstand und Wider- und selbstgenügsames Leben ist das gegenüber einer jüngeren Volksgenossin, standskämpfer geht die Öffentlichkeit Ideal Wölfels gewesen, sondern teilneh- und Feindbegüns- heute etwas großzügig und gedankenlos men und gestalten nach allgemeingül- tigung“. Das Urteil wurde einstimmig um. Kommen wir auf den Fall Ernst tigen Prinzipien: Das Wohl des Vater- gefällt. Es lautete auf Tod. Der § 5 der Schäflein zurück. War es Widerstand, landes gegründet auf Göttliches Recht.

zur debatte 1/2018 27 Walter Klingenbeck (1924 bis 1943)

Jürgen Zarusky

I. Das letzte Lebenszeichen – ein Brief Von offizieller kirchlicher Seite wur- den die Missachtungen des Konkordats „München-Stadelheim, den 5. August und christlicher Werte 1937 in der En- 1943 zyklika „Mit brennender Sorge“ ange- Lieber Jonny! prangert, an deren Entstehung Kardinal Vorhin habe ich von Deiner Begnadi- Faulhaber maßgeblichen Anteil hatte. gung erfahren. Gratuliere! Mein Ge- Doch dieser Vorstoß blieb im Rahmen such ist allerdings abgelehnt. Ergo der Verteidigung des kirchlichen Le- geht‘s dahin. Nimm‘s net tragisch. Du bensraums, wie sie für den Katholizis- bist ja durch. Das ist schon viel wert. mus unter der NS-Diktatur charakteris- Ich habe soeben die Sakramente tisch war. Klingenbeck ging einen Schritt empfangen und bin jetzt ganz gefasst. weiter, den zum politischen Widerstand. Wenn Du etwas für mich tun willst, bete ein paar Vaterunser. II. Radio und Politik Leb wohl, Walter“ Er war ein politischer Kopf, machte Dieser Brief an seinen Freund Hans sich eigene Gedanken und hörte intensiv Haberl ist das letzte bekannte Lebens- sogenannte Feindsender. Der Rundfunk zeugnis des Münchner Jugendlichen war seinerzeit, als das Fernsehen noch Walter Klingenbeck, der, vom Volks- im Versuchsstadium steckte, das mo- gerichtshof wegen „landesverräterischer dernste Medium, und er übte auf Klin- Feindbegünstigung, Vorbereitung zum genbeck eine starke Faszination aus. Er Hochverrat und Schwarzsendens“ zum war nach einer kaufmännischen Ausbil- Tode verurteilt, am späten Nachmittag dung als Anlernschaltmechaniker in die desselben Tages, dem 5. August 1943, Firma Rohde und Schwarz und damit in mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. die Welt der Technik eingetreten. Und er „Der Hinrichtungsvorgang dauerte vom war, wie auch seine Freunde, ein begeis- Mit dem jungen Schaltmechaniker Walter Klingenbeck Verlassen der Zelle an gerechnet 1 Mi- terter Radiobastler. Der Rundfunk war befasste sich der Vortrag von Dr. Jürgen Zarusky, wissen- nute 4 Sekunden, von der Übergabe an aber auch das wichtigste alternative Me- schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte den Scharfrichter bis zum Falle des Bei- dium in einer gleichgeschalteten Infor- München-Berlin. Als Titel wählte er: „Ein Münchner Jugend- les 12 Sekunden. Zwischenfälle oder mationslandschaft. Besonders seit widerständler aus dem katholischen Milieu.“ sonstige Vorkommnisse von Bedeutung Kriegsbeginn hatte der Propaganda- sind nicht zu berichten“, heißt es im kampf im Äther eingesetzt. Eine ganze Vollstreckungsakt. Walter Klingenbeck Reihe deutschsprachiger Sender, von wurde wegen seines Widerstands gegen „Gustav Siegfried 1“ und dem „Sender das NS-Regime getötet. Er wurde 19 der SA-Fronde“ bis zum „Christlichen Sender „Gustav Siegfried 1“, der vor- zwischen Propagandaminister Goebbels Jahre alt. Sender“ und dem „Sender der Europäi- gab, den Standpunkt des „aufrechten und der 1940 verstorbenen Schauspie- Die Verankerung im katholischen schen Revolution“ und vor allem dem deutschen Offiziers“ zu vertreten, brach- lerin La Jana. Auch die – unter anderem Milieu war eine wichtige Voraussetzung deutschsprachigen Programm der BBC, te zahlreiche, meist erfundene Gerüchte von Auslandsendern – verbreitete Be- für Klingenbecks Handeln, aber alleine versuchte die Loyalität der Deutschen über sexuelle Ausschweifungen und Ver- hauptung, die Abstürze der berühmten nicht auslösend für den Widerstand. zur NS-Herrschaft aufzuweichen. fehlungen von NS-Prominenten und Militärflieger Generaloberst Ernst Udet Dazu kam sein wacher, rebellischer Die nationalsozialistischen Machtha- SS-Leuten, die bei Klingenbeck auf kein und Oberst Werner Mölders im Novem- Geist und die Gegeninformation aus der ber waren sich der Gefahr bewusst und geringes Interesse stießen und die er ber 1941 seien von NSDAP-Stellen ab- für ihn technisch wie informatorisch so reagierten darauf am 1. September 1939 auch recht unvorsichtig weitererzählte. sichtlich herbeigeführt worden, waren faszinierenden Welt des Radios, und mit der „Verordnung über außerordent- Ob Klingenbeck alles glaubte, was er da Gesprächsgegenstand. nicht zuletzt ein Gespür für den tiefen liche Rundfunkmaßnahmen“. Sie trat hörte, kann man bezweifeln, weil er Aber auch solcherart abträgliche Äu- historischen Einschnitt, den der am 22. 7. September in Kraft und drohte für das selbst begann, das Regime diskreditieren- ßerungen gegen das NS-Regime und Juni 1941 erfolgte deutsche Angriff auf absichtliche Abhören ausländischer de Gerüchte zu erfinden, die er in Um- seine Repräsentanten begründeten noch die Sowjetunion bedeutete. Sender Zuchthausstrafen an, im Falle lauf bringen wollte. Vor allem ging es da- keinen politischen Widerstand. In der Walter Klingenbeck wurde am 30. der Weiterverbreitung der empfangenen bei um Anknüpfungen an ohnehin kur- Regel wurde so etwas als „Heimtücke“ März 1924 als Sohn eines Straßenbahn- Nachrichten konnte sogar die Todes- sierendes Gerede über eine Beziehung und nicht als „Hochverrat“ bestraft. schaffners geboren. Die Familie lebte in strafe verhängt werden. In der Präambel der Amalienstraße in einfachen Verhält- der Verordnung hieß es: „Jedes Wort, nissen und war tief katholisch. Der Vater das der Gegner herübersendet, ist ministrierte jeden Morgen vor Dienstan- selbstverständlich verlogen und dazu tritt in der Gemeinde Sankt Ludwig und bestimmt, dem deutschen Volke Scha- war Mitglied der von Pater Rupert May- den zuzufügen.“ er geleiteten Männerkongregation. Zwei- Walter Klingenbeck sah das anders fellos immunisierte das katholische Mili- und ließ sich durch das Verbot nicht da- eu Klingenbeck gegen den Nationalsozi- von abhalten, weiter Radio Vatikan zu alismus. Die Familie war, nach Aussagen hören. Dabei stieß er auf zahlreiche seiner Schwester Anneliese Miller, im weitere Sender, von denen einige bereits Dritten Reich „immer gegen alles“. angeführt wurden. Mit dem Vater hörte er schon früh Sendungen von Radio Vatikan. Er war III. Gruppenbildung und Mitglied der katholischen Jungschar, die Widerstandsaktivitäten in der Pfarrgemeinde Sankt Ludwig un- ter der Leitung des Kaplans Georg Ungefähr seit dem Frühjahr 1941 be- Handwerker stand, der immer wieder gann Klingenbeck, seinem Freund Hans Schwierigkeiten mit der Gestapo hatte. Haberl von den abgehörten Sendungen 1936 wurde Klingenbecks Jungschar- zu erzählen. Auch Haberl stammte aus gruppe aufgelöst und dem Jungvolk der einer streng katholischen Familie. Er Hitlerjugend eingegliedert. Vor der Ge- war Hochfrequenztechniker und be- stapo sagte er später aus, er sei immer wohnte zusammen mit dem Flugzeug- noch erbittert darüber. Er habe sich motorenschlosserlehrling Erwin Eidel schon als Elfjähriger mit den Bestim- ein Zimmer im Lehrlingswohnheim der mungen des Reichskonkordats von Salesianer. Beide waren 1941 dem Ka- 1933 und den zahlreichen Verstößen tholischen Gesellenverein beigetreten, dagegen beschäftigt. Ehrlicher wäre es auf dessen Versammlungen die damals gewesen, wenn der Staat den Vertrag verfügte Entfernung der Kruzifixe aus Freifrau von dem Bottlenberg-Lands- gekündigt hätte, statt ihn ständig zu ver- den Klassenzimmern heftige Kritik her- berg (Mi.) mit ihrer Schwester Elisabeth letzen, sagte er im Verhör. Da spricht vorgerufen hatte. Charlotte Gräfin Walderdorff (re.) und das von Kompromisszwängen ungetrüb- Es ging allerdings in den Gesprächen Marie Gabriele Gräfin zu Stolberg-Stol- te, klare jugendliche Gerechtigkeitsbe- nicht nur um kirchliche Anliegen. Gera- berg, der Mutter des Münchner Weih- dürfnis, das ihm zueigen war. de der von Klingenbeck häufig gehörte bischofs Rupert zu Stolberg.

28 zur debatte 1/2018 Der politische Kern von Klingen- Haberl entstand die Idee, die Flugblät- becks antinazistischer Einstellung war ter mittels eines ferngesteuerten Flug- die Überzeugung, Hitler könne den von zeugs zu verbreiten. ihm selbst absichtsvoll herbeigeführten All diese Pläne blieben unverwirk- Krieg nicht gewinnen, sondern nur ver- licht. Weiter gedieh hingegen die Idee, längern. Es gehe deshalb darum, den einen eigenen Schwarzsender zu errich- unvermeidlichen Sturz des Regimes zu ten, in dem die abgehörten Meldungen beschleunigen und so die Leben vieler der ausländischen Sender weiterverbrei- Soldaten, eigener wie feindlicher, zu ret- tet werden sollten. ten. In der Sprache des Oberreichsan- Klingenbeck wollte ihn nach der im walts beim Volksgerichtshof hört sich Mai 1940 gnadenlos bombadierten nie- das so an: Klingenbeck vertrat „in Über- derländischen Stadt Rotterdam nennen einstimmung mit der feindlichen Kriegs- oder vielleicht auch „Sender der Frei- propaganda den Standpunkt, dass heit“ oder „GS 8“. Um eine Anpeilung Deutschland den Krieg verlieren und der durch die Polizei zu vermeiden, sollte Sieg der Feindmächte zu einer Besserung von drei Stationen aus gesendet wer- der Verhältnisse im Reich führen werde, den. Klingenbeck und Haberl bauten da sich der Krieg nicht gegen das deut- hierzu einen Kurz- und zwei Mittelwel- sche Volk, sondern nur gegen seine Füh- lensender. Gemeinsam mit von Reck- rung richte.“ Klingenbeck setzte dabei linghausen machten sie in der zweiten vor allem auf einen Sieg der Westmächte. Jahreshälfte 1941 diverse Sendeversu- Im Sommer 1941 freundete er sich che. Dass ihr Unterfangen gefährlich mit Daniel von Recklinghausen an, der war, war den Jugendlichen bewusst. als Praktikant bei Rohde und Schwarz Klingenbeck erzählte seinen Freunden, eingetreten war. Auch er war ein leiden- er sei bereit, bei einer eventuellen Fest- schaftlicher Radio- und Hochfrequenz- nahme Gestapobeamte „umzulegen“. techniker. Auch den katholischen Hin- tergrund teilte er mit Klingenbeck, aller- IV. Das Ende dings bei weniger ausgeprägter Bindung an das Milieu. Vor allem die Radiolei- Überhaupt hatte er eine allzu lockere denschaft und die Gleichaltrigkeit Zunge. Am 10. Januar 1942 ging bei der brachten die beiden bei Rohde und Gestapo München eine Denunziation Schwarz zueinander. Und ein besonde- von Frau Klara Dietmayer ein, in deren rer Freund des Dritten Reichs war von Radiogeschäft sich Klingenbeck an eini- Recklinghausen, der eine jüdische gen Tagen in den Abendstunden etwas Großmutter hatte und in den USA ge- dazuverdiente. Die Geschäftseigentüme- boren und die ersten Jahre seines Le- rin beschuldigte ihn zahlreicher staats- bens aufgewachsen war, auch nicht. feindlicher Äußerungen, außerdem habe Das Hören von Feindsendern genüg- er sich einem Bekannten gegenüber mit te Klingenbeck bald nicht mehr, ihn der V-Aktion großgetan. drängte es zum Handeln. Den Anstoß Am 26. Januar 1942 wurde Walter zu einer ersten Aktion gab die von der Klingenbeck festgenommen. Bei der BBC initiierte „V-Kampagne“. Sie rich- Durchsuchung der elterlichen Wohnung tete sich an die Bevölkerung der von wurden Radiobauteile gefunden, die ihn der deutschen Wehrmacht besetzten in den Verdacht des Schwarzsendens westeuropäischen Länder. Ab Januar brachten. Klingenbeck versuchte sich 1941 wurde sie über die britischen Sen- zunächst darauf hinauszureden, er habe der aufgefordert, wo immer es ging, den die V-Zeichen im Sinne Fritzsches als Buchstaben „V“ anzubringen. Er stand Symbole für den deutschen Sieg ver- für „Victoire“ oder „Victory“ und sollte standen. Damit fand er allerdings bei Foto: Paul Feam/alamy die Siegesgewissheit der Westalliierten dem vernehmenden Kriminalkommissar Walter Klingenbeck wurde 1943 von zum Ausdruck bringen. Der deutsche Krüger keinen Glauben, zumal er auch den Nazis hingerichtet. Dienst der BBC erhielt die auf einer aus seiner katholischen Einstellung kei- Pauke gespielten ersten vier Noten von nen Hehl machte. Die Gestapo nahm Beethovens fünfter Symphonie als schließlich auch Daniel von Reckling- Kennmarke, die dem „V“ im Morse- hausen sowie Haberl und dessen Wohn- alphabet entsprachen. Die Kampagne genossen Eidel fest. Den erfahrenen Er- indes der Senatsvorsitzende Engert Volkes einsetzen, haben Staatsfeinde, führte zu einer Art Kampf um das „V“, mittlern waren die Jugendlichen nicht schon 1939 in einem Aufsatz über deren verbrecherische Handlungen dar- da die Goebbels‘sche Propaganda ver- gewachsen, zumal ihnen die trügerische „Stellung und Aufgaben des Volks- auf hinzielen, Sinn und Zweck dieses suchte, das Symbol für sich zu reklamie- Hoffnung vermittelt wurde, dass sie mit gerichtshofes“ geschrieben. Nach dieser Einsatzes zu zerstören, keine Gnade ren. Der bekannte Rundfunkkommen- vollständigen Geständnissen eine mil- Devise verhielt sich der Vater zweier verdient“, schrieb Stabsführer Möckel. tator Hans Fritzsche deutete es in einer dere Behandlung erreichen könnten. Töchter auch, als er über die jugendli- Die Münchner Gestapo war da gnädi- Sendung am 17. Juli 1941 als Zeichen Das war falsch, und wahrscheinlich chen Widerständler zu urteilen hatte. ger, vor allem im Hinblick auf Haberl, für den angeblichen alten deutschen ganz einfach gelogen. Am 24. Septem- Klingenbeck, von Recklinghausen und der nicht dem Typ des Staatsfeindes Siegesruf „Viktoria“ um. ber 1942 verhandelte der zweite Senat Haberl wurden wegen landesverräteri- entspreche. Bei von Recklinghausen, Klingenbeck jedenfalls machte sich des Volksgerichtshofes in München scher Feindbegünstigung, Vorbereitung der seine Tat bereut habe, stellte man gemeinsam mit Daniel von Reckling- über den Fall Klingenbeck und andere. zum Hochverrat und Schwarzsendens auch eine Begnadigung anheim. Dass hausen an einem Samstagabend Ende Die Verhandlung dauerte einen Tag. zum Tode verurteilt. Eidel erhielt wegen Lorenz Roder sich einen Monat nach August/Anfang September auf den Weg Geführt wurde sie als Senatsvorsitzen- Nichtanzeige eines hochverräterischen dem offiziellen Begnadigungsgesuch an in den Stadtteil Bogenhausen, wo er an dem vom Vizepräsident des Volksge- Unternehmens, Abhörens ausländischer den Oberreichsanwalt beim Volksge- etwa 40 Stellen mit Pinsel und Lackfar- richtshofs Karl Engert, einem fanati- Rundfunksender und Beihilfe zur richtshof vom September 1942 direkt be V-Zeichen malte, während von Reck- schen Nationalsozialisten der ersten Schwarzsendung acht Jahre Zuchthaus. an die Kanzlei des Führers und dort linghausen Wache stand. Das „V“ Stunde. Die Angeklagten – so hat es Er- In der Begründung für die Todesurteile persönlich an Hitlers Adjutanten Julius scheint indes nicht als allzu provokant win Eidel erzählt, der eher eine Randfi- hieß es, die Aktivitäten der Angeklagten Schaub wandte, um für Haberl und von wahrgenommen worden zu sein, denn gur des Geschehens war – wurden von hätten dazu beigetragen, „die innere Recklinghausen einzutreten, hat mögli- noch Ende Januar, als ein Gestapo-Be- ihm angebrüllt und als Rotzjungen be- Front zu lähmen“. „Wer in der Notzeit cherweise das Blatt gewendet. amter die Strecke mit von Recklinghau- schimpft. Mit Ausnahme von Klingen- des Krieges in dieser verbrecherischen Elf Monate verbrachten die drei To- sen abging, konnte das Zeichen an vie- beck hatten sie Lorenz Roder als Vertei- Weise seinem Volk in den Rücken fällt, deskandidaten im Gefängnis Stadel- len Stellen fotografiert werden. diger, der 1924 Adolf Hitler in seinem ist ein Verräter und hat keinen Platz heim, bis am 2. August 1943 Daniel von Klingenbeck hatte aber noch weitere Hochverratsprozess wegen des Putsch- mehr in der deutschen Volksgemein- Recklinghausen und Hans Haberl er- Pläne. Er wollte eigene Flugblätter pro- versuches vom 9. November 1923 ver- schaft.“ fuhren, dass sie zu acht Jahren Zucht- duzieren, die unter dem – ebenfalls von teidigt hatte. Die Wirkungsmöglichkei- Nun begann der Begnadigungswett- haus begnadigt worden waren. Klingen- der BBC verbreiteten – Motto „Hitler ten der Verteidigung beim Volksge- lauf, der allerdings in der politischen beck hingegen wurde drei Tage später, kann den Krieg nie gewinnen, er kann richtshof waren allerdings sehr gering. Justiz des Dritten Reichs kaum etwas am 5. August, vormittags um 11 Uhr ihn nur verlängern“ stehen sollten. Er So blieb auch Roder nicht viel mehr üb- bewirkte. mitgeteilt, dass seine Hinrichtung auf beschaffte sich dazu vom Bruder seines rig, als die Vorwürfe gegen seine Man- Verzweifelte Gesuche wurden einge- denselben Tag um 17 Uhr anberaumt künftigen Schwagers, einem Frontsolda- danten zu relativieren und an die Groß- reicht, mit denen die Bürokratie in der worden war. ten, Fotos gefallener deutscher Solda- zügigkeit des Gerichts zu appellieren. ihr eigenen Routine verfuhr. Nicht zu- Klingenbecks Totengottesdienst in ten, die zur Illustration verwendet wer- „Das Reich ist groß und mächtig, es letzt mussten Stellungnahmen eingeholt Sankt Ludwig verlief in äußerster Zu- den sollten. In einer weiteren Flug- kann auch Gerechtigkeit üben und soll- werden. Die Hitlerjugend beziehungs- rückhaltung, aber auf sein Sterbebild- schrift wollte Klingenbeck das selbst er- te die kleinen Leute nur gering bestra- weise die Reichsjugendführung sprachen chen hatte die Familie eine Botschaft fundene Gerücht verbreiten, Joseph fen“, lautete sein Schlusswort. sich für die Hinrichtung der Delinquen- drucken lassen, die nur als klare Absage Goebbels habe die Tänzerin La Jana Ankläger und Richter am Volksge- ten aus. „In einer Zeit, wo schon sieb- an das Urteil des Volksgerichtshofs gele- durch seine Nachstellungen in den richtshof müssten „in erster Linie Poli- zehnjährige junge Deutsche Tag und sen werden kann: „Walter Klingenbeck, Selbstmord getrieben. Im Gespräch mit tiker und dann erst Richter“ sein, hatte Nacht ihr Leben für den Bestand unseres der als 19-Jähriger am 5. August 1943

zur debatte 1/2018 29 Foto: Christine Graf Foto: Robert Kiderle Direktorium, Lehrer und Schüler der dass der Widerstandskämpfer eben nicht In den 90er Jahren ehrte die Landes- Der Weg verläuft in der Maxvorstadt Walter-Klingenbeck-Realschule in „vergessen“ wird. Äußeres Zeichen des hauptstadt München auf Initiative zwischen der Staatsbibliothek und dem Taufkirchen bei München kümmern sich Engagements der Schulgemeinschaft ist engagierte Bürger und Lokalhistoriker Historischen Kolleg auf der einen Seite mit mannigfaltigen Aktionen darum, diese Gedenktafel in der Aula. den Widerstandskämpfer Walter sowie der Ludwigskirche von der Klingenbeck mit einem Straßennamen. Ludwig- zur Kaulbachstraße.

seine reine, tapfere Seele in die Hände vom Juli/August 1941, die auch Klin- und seinem Krieg zum Ziel“, hieß es in Bayerischen Staatsbibliothek gibt es seit seines Schöpfers zurückgeben durfte, genbeck kannte. einer ihrer Flugschriften. Landgraf und 1998 den Walter-Klingenbeck-Weg, der bittet um unser Gebet.“ Es ist daher wohl nicht ganz zufällig, sein Freund Anton Brunner wurden, die Ludwigs- und die Kaulbachstraße dass nahezu zeitgleich in Hamburg und nachdem sie denunziert worden waren, verbindet. Er verdankt sich einer Initia- V. Kontexte des Widerstandes Wien ganz ähnliche jugendliche Wider- am 23. August 1942 vom Volksgerichts- tive von Klaus Bäumler, dem seinerzei- standsgruppen entstanden wie die um hof zum Tode verurteilt, dann aber zu tigen Vorsitzenden des Bezirksaus- Dafür, dass er und seine Freunde ge- Klingenbeck in München. In Hamburg Haftstrafen begnadigt. Auch die ande- schusses Maxvorstadt. In Taufkirchen rade 1941 aktiv wurden, spielte die Kon- hieß der führende Kopf Helmuth Hü- ren beiden Beteiligten mussten ins Ge- gibt es die Walter-Klingenbeck-Real- stellation von Lebensalter und histori- bener, der drei Freunde aus seiner Mor- fängnis. schule, in der Geschichtsrubrik der scher Entwicklung eine entscheidende monengemeinde aktivierte. Hübener, Man darf nicht verschweigen, dass Website von Sankt Ludwig firmiert Rolle. Am 22. Juni 1941 hatte der Ver- ein Verwaltungslehrling und ähnlich die Kirche seinerzeit ganz andere Positi- Klingenbeck direkt neben Romano Gu- nichtungskrieg Hitler-Deutschlands ge- aufgeweckt wie Klingenbeck, hörte wie onen einnahm. Nicht nur viele Bischö- ardini, und überhaupt findet sich im In- gen die Sowjetunion begonnen. Trotz dieser Auslandssender, und verteilte ab fe, auch ein erheblicher, wahrscheinlich ternet allerhand über ihn. der Anfangserfolge der Wehrmacht war August 1941 Flugblätter. Er wurde am sogar der größte Teil der Gemeindepfar- Wirklich unvergessen sind die Wider- dieser Krieg anders als die vorhergegan- 11. August vom Volksgerichtshof zum rer, Ordensleute und einfachen Gläubi- ständler aber nur dann, wenn sie nicht genen Blitzfeldzüge. Allein in den letz- Tode verurteilt – ebenfalls unter dem gen standen positiv zum Krieg gegen die von ihrer Zeit isoliert gesehen, sondern ten Junitagen fielen 25.000 deutsche Senatsvorsitzenden Engert – und am 27. Sowjetunion, der als eine Art Kreuzzug wenn ihre Anliegen ernst genommen Soldaten, mehr als halb so viele wie Oktober 1942 in Berlin-Plötzensee hin- gegen den Bolschewismus verstanden werden. Wir sollten also, wenn wir an während des gesamten Frankreichfeld- gerichtet. Seine drei Freunde erhielten wurde. Walter Klingenbeck indes be- Walter Klingenbeck denken, auch an zuges, im Juli stieg die Zahl auf über Haftstrafen. fand sich mit seiner schlichten Überzeu- Rotterdam denken, und überhaupt an 60.000 an. Die Zeitungen füllten sich In Wien hörte der Gymnasiast Josef gung, der Krieg sei Hitlers Werk, er sei den verbrecherischen Krieg, dessen mit Todesanzeigen. Der Russlandfeld- Landgraf schon seit Kriegsbeginn Aus- nicht zu gewinnen, und es gehe darum, Sinn- und Aussichtslosigkeit der jugend- zug wurde von den meisten Deutschen landssender und produzierte, ebenfalls durch Widerstandsarbeit etwas zum liche Klingenbeck im Gegensatz zu keineswegs mit Begeisterung aufgenom- zusammen mit drei Freunden, ab Sep- schnelleren Sturz des Regimes beizutra- vielen Erwachsenen frühzeitig erkannt men, der Zweifrontenkrieg und die tember 1941 Flugblätter. Auch diese gen, um die Zahl der Opfer zu begren- hatte. „ Rückschläge im Herbst wurden mit Sor- Gruppe hatte einen katholischen Hinter- zen, sicherlich in größerer Nähe zu ge betrachtet. Nicht nur im katholi- grund und setzte auf den Sieg der West- Wahrheit und Humanität. schen Milieu kam dazu die Wirkung der mächte, und sie griff, wie Klingenbeck, Ist Klingenbeck ein „vergessener Predigten über die „Euthanasie“-Morde die V-Propaganda auf: „Die V-Armee Widerstandskämpfer“? Ja und nein. des Münsteraner Kardinals von Galen hat lediglich die Befreiung von Hitler Zwischen der Ludwigskirche und der

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