Die Große Konfusion
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Titel ULLSTEIN BILDERDIENST ULLSTEIN Bundeskanzler Adenauer (um 1955), Erhard (um 1965), Familie Kohl (1981): Sehnsucht nach der christdemokratischen Einheit von Die große Konfusion Die CDU auf Führungs- und Sinnsuche: Ist Angela Merkel zu liberal, verspricht ein Oldie wie Bernhard Vogel mehr Beruhigung als Volker Rühe? Die CSU rät zur bewährten Abgrenzung von Rot-Grün – doch diese Strategie durchkreuzt Gerhard Schröder mit seinem Kurs der Mitte. ür Peter Gauweiler ist die CDU der- zuletzt als seinen persönli- zeit „unsere Patientin“. Mit pseudo- chen Erfolg. „Dem Populis- Ftherapeutischer Nachsicht beobach- ten in München muss man tet der CSU-Publizist aus München im das Maul stopfen“, hatte der Fernsehen, wie sich die Prominenz der ewige Kanzler Helmut Kohl Schwesterpartei brav und artig in regiona- gewettert, als der CSU-Chef len Konferenzen dem Volk stellt. Ihn erin- gegen den Euro aufzu- nert das alles daran, wie sich Leute be- mucken wagte. nehmen, die einen überstandenen Suizid- Populist? Weder Strauß versuch herunterspielen wollen. noch Stoiber haben es je als So haben sie es gern in München: Die ehrenrührig angesehen, den CSU herrscht in weißblauer Macht und Leuten aufs Maul zu schau- Herrlichkeit und steht großmütig den ratlo- en und ihre Ängste und sen Berlinern als Modell für eine moderne Wünsche wahrzunehmen. konservative Volkspartei zur Verfügung. „Konservativ sein heißt, Dass sich das bayerische Biotop über an der Spitze des Fort- den großen Vorsitzenden Franz Josef schritts zu marschieren“, Strauß hinaus als einzig verbliebener Hort des deutschen Konservatismus behaupten M. S. UNGER * Am vergangenen Dienstag in der konnte, betrachtet Edmund Stoiber nicht Christdemokratin Merkel*: Diffuses linkes Image CDU/CSU-Fraktion. 22 der spiegel 9/2000 FOTOS: SVEN SIMON (li.); DPA (re.) SIMON (li.); DPA SVEN FOTOS: Wirtschaftswunder, Kirche und Heimat dröhnte Franz Josef Strauß dazu. Zur prä- ke schon seit einiger Zeit, jetzt auch für die zisen politischen Einordnung mochte der Lieber nicht Konservativen. Die Werte wandeln sich Begriff „konservativ“ nicht taugen. Zur nicht nur, sie verläppern. „Sollte die CDU/CSU bei der nächsten Beschreibung eines Lebensgefühls und ei- Macht und Feindbilder: Die alten Bin- Bundestagswahl mit Bayerns Minis- ner gesellschaftlichen Haltung war er demittel, die die unterschiedlichen Flügel brauchbar, für Freund und Feind. terpräsident Edmund Stoiber als der CDU zusammenhielten, lösen sich auf. Sorgsam haben die Strategen der CSU Kanzlerkandidat antreten?“ Das Fundament zerbröselt, auf dem die darauf geachtet, in Zeiten von Internet und CDU jahrzehntelang zu ruhen schien – ein Globalisierung ein soziales Kuschelmilieu Ja fest umrissenes Wertesystem mit eindeuti- mit Semmelknödeln und Blasmusik zu er- 45 gen Wurzeln und einer klaren Unterschei- halten – vor allem aber, es stets in Zusam- dung zwischen Gut und Böse. menhang mit der CSU in Verbindung zu Nein Jetzt ist die Union auf der Suche: nicht bringen. „Kultur und Lebensart sind das 52 nur nach neuem Führungspersonal, son- Verbindende in Bayern“, sagt Parteivize dern mehr noch nach einem neuen Werte- Horst Seehofer. Jodelndes Hightech, und kompass, nach Orientierung. die CSU immer mittendrin. Denn was eigentlich heißt heute kon- Dass der Parteispendenskandal derweil Zweikampf um den Vorsitz servativ? Und was ist fortschrittlich? Ist das die CDU an den Rand einer Existenzkrise Festhalten an starren Ladenschlusszeiten „Nach dem Rücktritt von Wolfgang brachte, kann die Bayern nicht freuen. Als konservativ? Oder doch fortschrittlich, weil Schäuble sucht die CDU nach ei- bundesweites Erfolgsmodell sind sie nur es Arbeitnehmerrechte schützt? Macht attraktiv, wenn die CDU wieder auf die nem Parteivorsitzenden. Wer ist für nicht Hans Eichel (SPD) eine konservative Beine kommt. Kein Wunder, dass Stoiber dieses Amt am besten geeignet?“ Finanzpolitik, wenn er einen ausgegliche- mit großer Aufmerksamkeit und Vorsicht nen Haushalt anstrebt? die Führungs- und Sinnsuche der Berliner Angela Ist es konservativ, bei den Staatsausgaben beobachtet. Merkel 40 zu sparen? Oder ist es fortschrittlich, weil es Wer ist der oder die Richtige? Angela dem Staat neue Spielräume eröffnet? Ist Merkel? Volker Rühe? Jürgen Rüttgers? Volker Aktienbesitz konservativ? Oder nicht viel- Der Übergangskandidat Bernhard Vogel? Rühe 37 mehr die Erfüllung der uralten sozialdemo- Alles ist im Fluss. Mit dem Verlust der kratischen Forderung nach Beteiligung am Bernhard Emnid-Umfrage unter Macht sind auch die klaren Fronten ab- CDU/CSU-Anhängern, Produktivkapital? handen gekommen. Eindeutige Zuord- Vogel 16 in Prozent Sind multinationale Militärinterventio- nungen werden immer schwieriger, für Lin- nen wie im Kosovo konservativ? Oder sind der spiegel 9/2000 23 Kommentar sie nicht vielmehr Ausdruck einer moder- nen, weil nicht mehr nationalen Außenpo- litik? Die CDU enthielt sich in Kohls Kanz- Wem noch glauben? lerschaft jeglicher offenen Programm- debatte. Jetzt rächt es sich. Doch bevor die RUDOLF AUGSTEIN CDU sich neu sortieren kann, muss sie erst einmal die Personen küren, die den Mo- an sollte meinen, der Präsident der dafür eintrat, die Vorgänge um den dernisierungsprozess führen sollen. des Deutschen Bundestags, jetzigen Bundespräsidenten Rau nicht Noch sind es sechs Wochen, bis die 1001 MWolfgang Thierse, könne bis mit denen um den moralisch erledigten Delegierten des CDU-Parteitags in Essen drei zählen. Dem scheint aber nicht so. Ministerpräsidenten Hessens, Roland darüber entscheiden, wer Nachfolger Wolf- Wie ist es möglich zu behaupten, sein Koch, zu vergleichen, weil die „mora- gang Schäubles wird. Bescheid an die CDU zur Rückzahlung lische Substanz dieser beiden Fälle völ- Doch während in der vergangenen Wo- von 41 Millionen Mark habe die Billi- lig unterschiedlich“ sei. che offiziell im Berliner Bundestag das gung dreier hoher Juristen, wenn einer Tatsächlich ist der Unterschied zwi- Thema „Verfolgte Christen“ auf der Ta- dieser drei Berater hinterher erklärt, schen diesen beiden Amtsträgern sicht- gesordnung stand, gab es für die Abgeord- er habe diese Entscheidung nicht mit- bar groß. Während es keinen stichhal- neten der christlichen Fraktion nur ein getragen. tigen Grund gibt, Rau den Amtsver- Thema: Wer verfolgt welche Ziele? Protokollarisch ist der Bundestags- zicht anzusinnen, gibt es jeden Grund, Zeitweise drohte der Machtkampf aus präsident immerhin der zweite Mann den diskreditierten Hessen aus der vor- dem Ruder zu laufen. Zwar schickte die im Staat. Werden wir denn nur noch dersten Linie zurückzuziehen. Basis sich an, gesittet in Regionalkonfe- von Luschen regiert? Koch sieht dafür nicht den gerings- renzen, in Orts- und Kreisverbänden die Der oberste Repräsentant Johannes ten Grund, seine hessische CDU-Ge- von oben verordnete „demokratische Dis- Rau ist nicht schuldlos ins Gerede ge- folgschaft auch nicht. Es stimmt, dass kussionskultur“ (Jürgen Rüttgers) zu er- kommen. Er ist mit Staatsgeldern zu sie ohne ihn kopflos würde. Sie rea- proben. Aber die Parteioberen verbissen lasch umgegangen. Nun könnte das giert, wie jeder Psychologe hätte vor- sich in erbitterten Querelen. Dabei geht es jedem hohen Amtsträger unterlaufen, aussehen können, trotzig. Und die nicht nur um Posten, sondern auch um die wenn er schuldlos ins Bundespräsiden- FDP? Sie gibt sich in Hessen als jene Interpretationshoheit in der Frage: Wohin tenamt katapultiert wird, wie seiner- „alte Pendlerpartei“, als die Herbert steuert die CDU? zeit der Verlegenheits-Präsident Hein- Wehner sie zu Beginn der Regierung Unverhohlen hatte Volker Rühe die rich Lübke. Bei Rau aber fällt ins Ge- Brandt/Scheel 1969 noch beschimpft Wahl in Schleswig-Holstein zur Abstim- wicht, dass er kein anderes Berufsziel hatte. Die sechsköpfige Landtagsfrak- mung über seine Aussichten auf den Par- je vor Augen hatte als das, Bundesprä- tion unter der gesichtslosen Führung teivorsitz gemacht: „Je nachdem, wie gut sident zu werden. Ruth Wagners kleistert und kleistert ich hier abschneide, entscheidet das auch Dieser dringliche Wunsch wurde von und klebt an ihren Regierungssitzen. über meine Mitwirkungsmöglichkeiten in seiner SPD in Nordrhein-Westfalen der- Reichlich verquast hören wir nun, der Parteiführung.“ art verinnerlicht, dass man es gegen wie Richard von Weizsäcker Äpfel und Gleichzeitig mobbte er gegen Merkel, bessere Einsicht nicht wagte, die re- Birnen, und das heißt hier, Rau und die vor allem in der Öffentlichkeit und in spektable FDP-Kandidatin Hildegard Koch, nicht in einen Topf werfen will. den unteren Parteigliederungen Anhänger Hamm-Brücher zu wählen, was staats- In für Rau eher peinlicher Weise ver- politisch und parteipolitisch nahe gele- sucht er dessen Verhalten zu entschul- Christdemokrat Kohl* gen hätte. „Das können wir dem Jo- digen: „Koch hat aus Gründen, die er Fest umrissenes Wertesystem hannes nicht antun“, hieß damals die wissen muss, bewusst und vorsätzlich gequälte Parole. Im Wahljahr 1994 zähl- die Unwahrheit gesagt. Rau hat mehr- te die unbequeme und schwierige Poli- fach die Öffentlichkeit ,nachinformiert‘. tikerin 72 Jahre, war aber lebfrisch und Er hat gerade um der Wahrheit willen munter. Stattdessen wurde der ver- nachgeschoben, obwohl er wusste, dass schmitzte und gewitzte CDU-Mann Ro- es natürlich besser gewesen wäre, wenn man Herzog Präsident. Er machte nur er alles gleich auf einmal gewusst hät- den einen Fehler, sich, wonach ihn nie- te. Aber da war nun nichts weniger als mand gefragt hatte, auf eine einzige eine Verheimlichung der Wahrheit da- Amtsperiode zu beschränken, um