Bernhard Vogel Zum 70. Geburtstag
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
397_17_22_Schmitt 28.11.2002 16:49 Uhr Seite 17 Den Wandel gestalten und Bernhard Vogel sich im Wandel bewähren zum 70. Geburtstag Karl Schmitt „Jugend ist nicht ein Lebensabschnitt, sie Ausnahmen abgesehen) sich nie zu höhe- ist ein Geisteszustand. Sie ist Schwung ren Positionen gedrängt, sondern hat des Willens, Regsamkeit der Fantasie, neue Aufgaben übernommen, wenn er Stärke der Gefühle, Sieg des Mutes über gerufen wurde. die Feigheit, Triumph der Abenteuerlust Der Weg Bernhard Vogels in die Poli- über die Trägheit. Niemand wird alt, weil tik begann – untypisch schon für seine er eine Anzahl Jahre hinter sich gebracht Generation, zu schweigen von der heuti- hat . .“ Wenn diese Weisheit Albert gen – nicht in einer Partei, sondern in der Schweitzers auf einen deutschen Politiker katholischen Jugendbewegung, in der er zutrifft, dann auf Bernhard Vogel, ist er sich in seiner Schüler- und Studentenzeit doch in der Tat mit den Jahren jung ge- engagierte. Hier entdeckte und entwi- blieben und eine außergewöhnliche, ja in ckelte er die Begabungen, die ihm später vieler Hinsicht singuläre Gestalt in der zugute kamen: die Fähigkeit, Menschen deutschen politischen Landschaft. zu überzeugen, zu gewinnen und zu füh- Wenn er seinen 70. Geburtstag feiert, ren, sowie ein ausgeprägtes Organisa- kann er auf eine Amtszeit als Landesre- tionstalent. Es verwundert nicht, dass er gierungschef von knapp 23 Jahren zu- sich für das neue Studienfach Politische rückblicken, die längste aller Ministerprä- Wissenschaft entschied, das in Heidel- sidenten der deutschen Nachkriegsge- berg eines seiner ersten Zentren hatte. schichte. Auch in Thüringen übertrifft die Für seine akademischen Lehrer Alfred Dauer seines Wirkens als Regierungschef Weber, Carl Joachim Friedrich und insbe- die sämtlicher Vorgänger seit Gründung sondere Dolf Sternberger war Politik- des Landes 1920. Zugleich ist Bernhard wissenschaft Demokratiewissenschaft. Vogel der einzige Ministerpräsident in der Sternberger, der sich als „Staatsfreund“ Geschichte der Bundesrepublik, der das bezeichnete, dem wir den Begriff „Ver- Amt in zwei Ländern ausgeübt hat, dazu fassungspatriotismus“ verdanken und noch im Westen und im Osten. den sein Schüler Bernhard Vogel später als „Lehrmeister unseres Verfassungs- Über die Wissenschaft der Politik staats“ rühmte, dieser Gelehrte forderte Hinter diesen äußeren Daten verbirgt sich einerseits eine genaue Beobachtung der eine noch wichtigere Besonderheit seiner politischen Wirklichkeit, bestand ande- politischen Laufbahn: Dem Vorbild sei- rerseits aber zugleich auf der Auseinan- nes Vaters folgend, bereitete er sich auf dersetzung mit den normativen Grundla- eine akademische Karriere vor. Er hat gen politischer Ordnungen: „Die politi- nicht beschlossen, Politiker zu werden, sche Wissenschaft... (kann sich) niemals sondern ist gleichsam in diesen Beruf hin- mit der bloßen Registrierung von Daten eingeglitten. Und als er dann doch Politi- begnügen, sie muss es zum Urteil brin- ker geworden war, hat er (von seltenen gen . .; (sie ist) immer zugleich empiri- Nr. 397 · Dezember 2002 Seite 17 397_17_22_Schmitt 28.11.2002 16:49 Uhr Seite 18 Karl Schmitt sche und normative Wissenschaft.“ In tens stets bewusst: „Politiker sind nicht diesem Geist lernte Bernhard Vogel das die Ingenieure menschlichen Glücks.“ Handwerk des Politikwissenschaftlers, promovierte 1960 bei Sternberger mit ei- Kultusminister in Zeiten ner Dissertation über Freie Wählerverei- der „Bildungskatastrophe“ nigungen in den Kommunen und begann Seine Tätigkeit als Kultusminister setzte in den folgenden sieben Jahren als Assis- Bernhard Vogel fort, als sein Heidelberger tent und Lehrbeauftragter am Heidelber- Studienfreund Helmut Kohl 1969 Peter ger Seminar die Arbeit an einer Habilita- Altmeier nach dessen fast 22-jähriger tionsschrift über die Fragestunde im bri- Amtszeit als Ministerpräsident von Rhein- tischen Unterhaus, die ihm eine akademi- land-Pfalz ablöste und damit einen Gene- sche Laufbahn eröffnen sollte. rationswechsel und zugleich einen Neu- aufbruch in der Landespolitik einleitete. Geprägt von der Vogels Amtszeit fiel in eine Ära, in der katholischen Soziallehre nach dem Machtwechsel in Bonn nicht nur Eine weitere Prägung erfuhr er durch die sozialliberale Bundesregierung eine seine gleichzeitige Tätigkeit als Bildungs- bis dahin nicht gekannte Reformeuphorie referent am Heinrich-Pesch-Haus in entfachte. Auch die Länder standen – spä- Mannheim, dem „Vorort des süddeut- testens seit Georg Picht 1964 die „Bil- schen Sozialkatholizismus“ (Hans Mai- dungskatastrophe“ ausgerufen hatte – vor er). Hier vermittelte er die katholische So- großen Reformherausforderungen ge- ziallehre und wurde selbst tief von ihr ge- rade im Bildungsbereich, wobei sich die prägt. Der Übergang Bernhard Vogels in Auseinandersetzungen über Strukturen die praktische Politik vollzog sich glei- und Inhalte immer stärker polarisierten. tend; seine Mitgliedschaft im Heidelber- Von Anfang an bezog der junge Kultus- ger Stadtrat (1963–1965) und sein 1965 er- minister klare Positionen. Er bekämpfte rungenes Direktmandat im Deutschen jede falsche Politisierung der Schule, ihren Bundestag betrachtete er als eine Art an- Einsatz als „Schaltgetriebe für Gesell- spruchsvolle Nebentätigkeit. Die Arbeit schaftsreformen, [. .] als Reparaturbetrieb an seiner Habilitationsschrift brach er erst für alle gesellschaftlichen Mängel“ (Wer- ab, als Peter Altmeier ihn 1967 mit 34 Jah- ner Remmers). Stattdessen forderte er die ren als Kultusminister in sein Kabinett Orientierung an den Zielen der Chancen- nach Mainz berief. Der Politikwissen- gerechtigkeit und der individuellen För- schaft blieb er zeitlebens nicht nur durch derung. Jeder sollte die Chance bekom- eine beeindruckende Zahl von Fachveröf- men, seinen Weg zu gehen. Dies setzte ein fentlichungen eng verbunden. Sie prägte differenziertes Schulwesen mit Alternati- auch seinen Regierungsstil. Wie kaum ein ven in gleichrangigen Bildungswegen und anderer Politiker verband er die vita ac- jeweils spezifischer Leistungsförderung tiva mit der vita contemplativa, die den voraus, nicht aber eine egalitäre Einheits- beständigen Dialog mit der Wissenschaft schule. Diese Grundsätze wurden bestim- sucht. Diese theoretisch-wissenschaftli- mend für den Um- und Ausbau des Schul- che Neigung bewahrte ihn einerseits da- systems, den Bernhard Vogel mit Energie vor, ein reiner Pragmatiker oder gar Tech- und Augenmaß ins Werk setzte: Abschaf- niker der Politik zu werden. Sein Blick fung der Konfessionsschulen und ihre Er- ging immer auch auf das Übergreifende setzung durch christliche Gemeinschafts- und Prinzipielle. Im Sinne von Max We- schulen bei Erhaltung des gegliederten bers Verantwortungsethik waren ihm an- Schulwesens, Einführung des 10. Schul- dererseits die Grenzen politischen Gestal- jahres in Hauptschulen als Angebot, Re- Seite 18 Die politische Meinung 397_17_22_Schmitt 28.11.2002 16:49 Uhr Seite 19 Bernhard Vogel zum 70. Geburtstag form der Sonderschulen, Leistungssteige- Die folgenden Jahre als Vorsitzender rung der Lehrerbildung durch Einrich- der Konrad-Adenauer-Stiftung wird tung einer Erziehungswissenschaftlichen Bernhard Vogel als Rückkehr zu seinen Hochschule. Der Mangel an Studienplät- Ursprüngen, an die Schnittstelle von Wis- zen in Rheinland-Pfalz wurde durch die senschaft und Politik und zum Dialog von von ihm in kürzester Zeit zum Erfolg ge- Geist und Macht empfunden haben. Als in führte Gründung der Universität Trier- Thüringen im Januar 1992 Ministerpräsi- Kaiserslautern beseitigt. dent Joseph Duchac zurückgetreten war, zögerte Vogel jedoch nicht, dem Ruf füh- Ministerpräsident render Thüringer CDU-Politiker zu fol- in Rheinland-Pfalz gen, in Erfurt dessen Nachfolge anzutre- Als Helmut Kohl 1976 als Fraktionsvor- ten. Er sah es „als unverhofftes Glück, in sitzender in den Bundestag nach Bonn der Politik noch einmal weitermachen zu wechselte, setzte sich Bernhard Vogel ge- dürfen“, fügte aber hinzu: „Wenn man gen Kohls Wunschkandidat Gaddum als jetzt gebraucht wird, [. .] dann hat man ei- Nachfolger im Amt des Ministerpräsi- gentlich die verdammte Pflicht, sich dafür denten durch. Unterstützt durch ein zur Verfügung zu stellen.“ Vogel kam Team junger, innovativer und dynami- nicht unvorbereitet nach Thüringen. Dass scher Minister (u. a. Geißler, Gölter, Lau- für ihn das Eintreten für die deutsche Ein- rien und Töpfer), trieb er die Entwick- heit weit mehr als ein Lippenbekenntnis lung von Rheinland-Pfalz, das noch im- bedeutete, hatte er bereits dadurch unter mer unter den Rückständen eines Agrar- Beweis gestellt, dass er über Jahrzehnte landes litt, voran. Seine Erfolge in der hinweg mehrmals im Jahr in die DDR ge- Verwaltungsreform, beim Ausbau der reist war, um sich ein persönliches Bild zu Verkehrswege, bei der Förderung der machen und Verbindungen zu pflegen. Forschungslandschaft und der Kommu- Die Städtepartnerschaften Trier/Weimar nen verschafften ihm rasch große Popula- und Mainz/Erfurt gehen auf sein nach- rität als „Landesvater“, der seiner Partei drückliches Eintreten bei Erich Honecker bei zwei Landtagswahlen die absolute zurück. Mehrheit sichern konnte. Besondere Ver- dienste erwarb sich Bernhard Vogel in Neuanfang in Thüringen der Medienpolitik: mit dem Kabelfern- Die Herausforderungen, vor denen er in seh-Pilotprojekt Ludwigshafen über- Thüringen stand, waren ungleich größer nahm Rheinland-Pfalz eine Pionierrolle als in Rheinland-Pfalz. In seiner ersten Re- bei der Einführung des privaten Rund- gierungserklärung steckte er sich ein ho- funks in Deutschland.